Mitgift: Gift für die Seele

Hintergründe und Konsequenzen der Mitgiftpraxis für das Leben indischer Frauen in Kindheit, Jugend und Heiratsalter


Referat (Ausarbeitung), 2003

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gesellschaftliche und historische Hintergründe der Mitgiftpraxis

3. Konsequenzen der Mitgiftpraxis in der Lebensphase der Kindheit
3.1. Soziale und ökonomische Konsequenzen
3.2. Psychische Konsequenzen
3.3. Ein Beispiel: Suraya

4. Konsequenzen der Mitgiftpraxis in der Lebensphase der Adoleszenz und des frühen Heiratsalters
4.1. Soziale und ökonomische Konsequenzen
4.2. Psychische Konsequenzen
4.3. Ein Beispiel: Sumitra

5. Schlussbemerkung

6. Literaturverzeichnis

7. Anlagen

1. Einleitung

„Mit der Mitgiftpraxis wird der Wert oder Nicht-Wert weiblicher Existenz zugespitzt und materialisiert, was besonders in der Jugend zu unlösbaren intra- und interpersonalen Konflikten führen kann.“[1]

Diese Konflikte, welche sich aus der Praxis der dowry in Indien ergeben, sollen in der vorliegenden Arbeit dargestellt werden. Für bemerkenswert halte ich, wie stark sich ein auf den ersten Blick rein ökonomisches Phänomen auf die Sozialisation der indischen Frauen auswirkt. „Sozialisation ist- und dies ist Konsens in der gegenwärtigen Sozialisationsdebatte- zu verstehen als Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt.“[2] Gerade bei dieser Entwicklung hin zu einem gesellschaftsfähigen Wesen stellt die Praxis der Mitgift im Kontext mit anderen kulturspezifischen Aspekten einen Faktor dar, welcher auf das Leben indischer Frauen und Mädchen unglaubliche Auswirkungen hat.

Die Folgen- soziale, ökologische, sowie psychologische- sollen hier in Bezug auf die ersten Lebensphasen der indischen Frau dargestellt werden.

Vieles weitere könnte noch gesagt werden: von den Mitgiftmorden, den grausamen psychischen und oft auch körperlichen Qualen, die Frauen auch nach der Ehe aufgrund dieser Konvention zu erleiden haben bis hin zu Initiativen und Anstrengungen, die gegen die Mitgiftpraxis unternommen wurden. Bezeichnend ist besonders, das das unter normalen Umständen überall auf der Welt etwa ausgeglichene Geburtenverhältnis von Männern und Frauen in Indien soweit verschoben ist, dass inzwischen auf 1000 Männer nur noch ca. 933 Frauen kommen.[3] All das wirft in den beschriebenen Phasen der Kindheit und Jugend bereits seinen Schatten voraus.

Ein Problem bei der Darstellung der Mitgiftpraxis ist die Differenzierung aufgrund von Schichtunterschieden sowie von Unterschieden zwischen ländlichem und urbanem Leben. Noch immer leben ca. 70% der Bevölkerung Indiens auf dem Land[4] und ohne Frage hat die Mitgiftpraxis auch dort ihre Auswirkungen. Tatsache ist aber, dass sie in modernen Kreisen- der Mittel- und gehobenen Mittelschicht nicht etwa zurückgeht, sondern vielmehr besonders extensiv praktiziert wird. Es scheint sich um ein genuines Modernitätsphänomen zu handeln, dass nicht mehr viel mit der Abwertungstradition, sondern vielmehr mit der Übernahme eines westlichen Konsummodells zu tun hat.

Der Bezug zum seminarübergreifenden Thema „Frauensozialisation im interkulturellen Vergleich“ ergibt sich m.E. insbesondere daraus, dass es sich bei der Mitgiftpraxis um ein Phänomen handelt, dass Indien von den Kulturräumen China und Japan unterscheidet. Es soll untersucht werden, inwiefern es dennoch die Identität indischer Frauen beeinflusst .

Die Mitgiftpraxis ist sicherlich ein Sozialisierungsaspekt, der – eingeordnet in den historischen und kulturellen Kontext- den Zugang zu dem kulturspezifischen indischen Frauenbild wesentlich erleichtern kann.

Meine Ausführungen beginne ich aufgrund dieser Ausgangsthese mit einer Darstellung des gesellschaftlichen und historischen Hintergrundes der Mitgiftpraxis.

Im folgenden beschreibe ich chronologisch die Anfangsphasen des Lebens einer indischen Frau und gehe hierbei auf die jeweiligen Auswirkungen der Mitgiftpraxis ein. Beginnend mit der Kindheit, in der das Schwergewicht auf den psychischen Auswirkungen liegt, fahre ich mit der Beschreibung der Jugend indischer Mädchen fort, in der sie oft in der Erwartung der kommenden Ehe unter dem besonderen psychischen und ökonomischen Druck stehen, gemeinsam mit den Eltern die Mitgift aufzubringen. Häufig sind auch noch die ersten Ehejahre, von der Mitgiftproblematik überschattet. Im Extremfall kann es sich dabei gar um eine Frage von Leben und Tod handeln: nach offiziellen Zahlen ( die Dunkelziffern sind hoch) werden derzeit jährlich ca. 5000 Mitgiftmorde begangen.[5]

In meiner Schlussbetrachtung möchte ich die Ergebnisse kurz zusammenfassen. Außerdem soll noch einmal abschließend eine Einordnung in den Kontext des Seminars stattfinden und ein Fazit gezogen werden.

2. Gesellschaftliche und historische Hintergründe der Mitgiftpraxis

„Soziale Rollen und Rollenerwartungen, die von Männern und Frauen in konkretern sozialen Situationen als verpflichtende Norm erfahren werden, sind abhängig von der Kultur der jeweiligen Gesellschaft, die ihrerseits wiederum das Ergebnis oft weit in die Vergangenheit zurückreichender historischer Prozesse ist.“[6]

Um den Einfluss zu begreifen, den die Mitgiftpraxis auf den Sozialisationsprozess indischer Mädchen und Frauen hat, sollen daher hier zunächst überblickartig historische und gesellschaftliche Hintergründe dieses Phänomens beleuchtet werden. Hierbei ist zu beachten, dass die charakteristische „Vielfalt der Lebensformen und Kulturen“ in Indien- die „soziale Stellung von Frauen ist kasten- und klassenspezifisch unterschiedlich“[7] - Generalisierungen schwierig macht.

Was dennoch zunächst für alle Frauen gilt, sind die Gesetze des ca. 200- 300 n.Chr. lebenden Gesetzeslehrers Manu, der die Stellung der Frau neu definierte: „ Die Frau ist so falsch wie die Falschheit selbst. (...) Als er sie erschuf, teilte der Gott aller Kreaturen den Frauen die Liebe zu ihrem Bett, ihrem Stuhl und Tand zu, ebenso unreine Gedanken, Zorn, Unehrlichkeit, Gehässigkeit und schlechtes Betragen. (...) Von der Wiege bis zum Grab ist eine Frau von einem Mann abhängig: in der Kindheit von ihrem Vater, in der Jugend von ihrem Gatten, im Alter von ihrem Sohn.“[8] Diese und viele andere Zuschreibungen und Verhaltensregeln die unbedingten Gehorsam und Anbetung des Mannes von der Frau verlangen gelten auf den Dörfern noch heute als verbindlicher Maßstab für das Verhältnis zwischen den Geschlechtern.

In diesem Kontext wird vielleicht leichter verständlich, wie die Mitgift, die früher den Frauen als persönlicher Besitz mit in die Ehe gegeben wurde unter den wachsenden Konsumansprüchen einer sich wandelnden Gesellschaft immer häufiger missbraucht werden konnte. „Während Frauen in den verschiedenen Brautpreissystemen[9] als ´wertvoll ´angesehen werden, ist das in dem indischen dowry oder Mitgiftsystem, das zunächst nur in den höheren patrilinearen und patriarchalischen Kasten und Klassen existierte, gerade umgekehrt.“[10]

Dennoch lässt die indische Gesellschaft den Frauen keine andere Alternative als die Hochzeit: - eine unverheiratete Frau ist nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern gilt als Schande für ihre Familie. Bei den Hindus gehört zu den religiösen Pflichten eines Mannes neben dem Zeugen von Söhnen auch die Verheiratung seiner Töchter. Durch die Erfüllung dieser Pflicht kommt er möglicherweise seiner Erlösung einen kleinen Schritt näher und kann auf eine bessere Wiedergeburt in seinem nächsten Leben hoffen. Nur so, sagen die Hindus, lässt sich Erlösung finden - koste es, was es wolle.

In Indien sind Mitgiftzahlungen seit 1961 verboten. Das Strafgesetzbuch wurde dort 1986 außerdem um den Zusatz ergänzt, dass der Ehemann oder seine Angehörigen in den ersten sieben Ehejahren bis zum Beweis ihrer Unschuld für jeden unnatürlichen Tod einer Ehefrau verantwortlich zu machen sind, sofern ihnen vorausgegangene Schikanen nachgewiesen werden können. Mitgiftmorde werden jedoch auch weiterhin begangen. Meist unter dem Mantel der Verschwiegenheit, von Verwandten, Nachbarn und der Polizei ignoriert.

Eine Öffentlichkeit für solche Fälle entstand sehr spät: Mitte der 70er Jahre Hatte die Regierung den alarmierenden Bericht „Auf dem Weg zur Gleichheit“ veröffentlicht, indem sich die Lage der Frauen in Indien seit der Unabhängigkeit als eine sich verschlechternde darstellte. Erst Ende der siebziger Jahre kamen Begriffe wie ´Braut-Verbrennung` und ´Mitgift- Mord´ in Indien in Umlauf, als eine kleine Gruppe von Feministinnen gegen einzelne Fälle, die in der Öffentlichkeit bekannt wurden, protestierte.[11]

Dennoch: im Geschlechterverhältnis Indiens „gehört zu Herrschaft und Kontrolle als gewichtiger Faktor [weiterhin] die Notwendigkeit der Heirat und die weit über die Person der Braut hinausreichende Übereignung von Sach- und Geldmitteln von der Brautfamilie an die Familie des Bräutigams.“[12]

Von dieser Praxis wird bereits im indischen Epos des Mahabarata ( ca. 400 v.Chr. bis 400 n.Chr.) berichtet und trotz des Kampfes feministischer Gruppen gegen die Mitgiftpraxis und –morde wird sich ein Änderungsprozess nur sehr schwerfällig vollziehen. Zuviel profitiert die männliche Welt- die Welt der die Mächtigen entstammen- von der frauenfeindlichen Kultur, um ernsthafte Schritte in Richtung einer Veränderung zu unternehmen.

3. Konsequenzen der Mitgiftpraxis in der Lebensphase der Kindheit

3.1. Soziale und ökonomische Konsequenzen

Im vorliegenden Unterabschnitt soll die Phase im Leben eines indischen Mädchens beschrieben werden, die etwa bis zum Eintritt in die Pubertät andauert.

Angesichts der im vorangehenden Teil beschriebenen horrenden Mitgiftzahlungen ist in ökonomischer Hinsicht nicht verwunderlich, „dass die Geburt eines oder gar mehrerer Mädchen für eine Familie (...) eine Katastrophe ist.“[13]

Tatsächlich gehört für ein indisches Mädchen aus diesen Gründen schon eine gehörige Portion Glück dazu, überhaupt auf die Welt zu kommen: „Die Diskriminierung der Mädchen beginnt schon vor der Geburt.“[14] Eine nicht selten genutzte Möglichkeit der modernen Medizin ist die gezielte Abtreibung weiblicher Föten nach einer Fruchtwasseruntersuchung. Allein in Mumbai werden jedes Jahr über 50.000 Föten abgetrieben, in ganz Indien sind es mehr als 600.000 - alle sind weiblich. Ein Gesetz, das diese Praxis verbieten sollte, hat sich als wirkungslos erwiesen. So kommt es, dass Indien als einziges Land der Welt mehr Männer als Frauen hat Hinzu kommt die lange Tradition in einigen Regionen Indiens, Säuglinge gleich nach der Geburt umzubringen- z.B. durch Bestreichen der Brustwarzen beim Stillen mit Opium.

Aber auch nach der Geburt werden Mädchen ständig benachteiligt. Sie bekommen weniger und schlechteres Essen als Jungen, was bereits damit beginnt, dass Töchter oft gar nicht oder kürzer gestillt werden, als Söhne. Außerdem werden sie schlechter gepflegt und auch im Krankheitsfall lange nicht so oft zum Arzt gebracht wie ihr Brüder. Alles Tatsachen, die dazu führen, dass die Sterblichkeitsrate zwischen dem ersten und vierten Lebensjahr bei Mädchen viermal so hoch ist wie bei Jungen. Immer noch sterben in Indien ein Drittel aller Kinder vor Erreichen des fünften Lebensjahres an Krankheiten, wie Durchfall oder Tetanus, die einfach zu umgehen wären.[15] Das Dilemma hat seine Wurzeln in der sozialen Situation der Inderinnen:

[...]


[1] Anna Reiter (1997): „Die Tochter ist das ärgste Elend“. Wie Frauen in Indien zu Frauen gemacht werden, Frankfurt: Campus , S. 126

[2] Peter Zimmermann (2000, 6. Auflage): Grundwissen Sozialisation, Opladen: Leske & Budrich, S. 16

[3] Zahlenmäßiges Geschlechterverhältnis von 2000: http://www.censusindia.net/results/provindia1.html

[4] VHS: Indien: Der Elefant erwacht, Indien ungeliebte Töchter, 1997

[5] vgl. http://www.dadalos.org/deutsch/Menschenrechte/Grundkurs_MR3/frauenrechte/warum/mitgift.html

[6] Mies, Maria( 1973): Indische Frauen zwischen Patriarchat und Chancengleichheit, Rollenkonflikte studierender und berufstätiger Frauen, Meisenheim am Glan: Syndikat, S. 19

[7] Beide in diesem Satz enthaltenen Zitate: Hildegard Scheu (1993): Entwicklungsziel: Frauenmacht! Frauenarbeit und Frauenorganisationen in Indien, Frankfurt a.M.: IKO, S. 16

[8] Elisabeth Bumiller (1992): Hundert Söhne sollst du haben...Frauenleben in Indien. München: Knesebeck , S. 21

[9] vgl. Maria Mies (1985): Brautpreis, Mitgift und Mitgiftmorde in Indien, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis- Geld oder Leben 15/16. Köln: Eigenverlag des Vereins Sozialwissenschaftlicher Forschung und Praxis für Frauen. In ihrem Aufsatz stellt Mies Mitgift und Brautpreis nebeneinander. Der Brautpreis wird entgegen der Mitgift in der Regel von der Familie des Bräutigams an die Familie der Braut gezahlt

[10] ebd., S. 78

[11] Elisabeth Bumiller (1992): Hundert Söhne sollst du haben...Frauenleben in Indien. München: Knesebeck , S. 66

[12] Anna Reiter (1997): „Die Tochter ist das ärgste Elend“. Wie Frauen in Indien zu Frauen gemacht werden, Frankfurt: Campus, S. 119

[13] vgl. Maria Mies (1985): Brautpreis, Mitgift und Mitgiftmorde in Indien, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis- Geld oder Leben 15/16. Köln: Eigenverlag des Vereins Sozialwissenschaftlicher Forschung und Praxis für Frauen, S. 87

[14] The Times of India, 13. Oktober 1985, zit. nach: Dieter Riemenschneider (Hg.)( 1987, 2. Auflage): Shiva tanzt, Das Indien-Lesebuch. Zürich: Unionsverlag, S. 184

[15] vgl. http://www.andheri.de/duelmen/infos/frauen.html

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Mitgift: Gift für die Seele
Untertitel
Hintergründe und Konsequenzen der Mitgiftpraxis für das Leben indischer Frauen in Kindheit, Jugend und Heiratsalter
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V30531
ISBN (eBook)
9783638317764
ISBN (Buch)
9783638957342
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Inklusive sind die Folien zum Referat, sowie das Thesenpapier 4 Seiten).
Schlagworte
Mitgift, Gift, Seele
Arbeit zitieren
Nadine Stern (Autor:in), 2003, Mitgift: Gift für die Seele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30531

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