Frühkindliche Spielentwicklung. Beobachtungen zum Rollenspiel in einer Kinderkrippe


Facharbeit (Schule), 2009

47 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Frühkindliche Spielentwicklung
2.1 Merkmale des kindlichen Spiels
2.2 Entwicklung des frühkindlichen Spiels
2.2.1 Psychomotorische Spiele (auch Funktionsspiele)
2.2.2 Konstruktionsspiele
2.2.3 Rollenspiele
2.3 Entwicklungsmöglichkeiten im kindlichen Spiel unter 5 besonderer Berücksichtigung des Rollenspiels

3. Beobachtungen in der Praxis und Begleitung der Kinder 7 im Rollenspiel
3.1 Darstellung des Entwicklungsstandes der Kinder basierend auf 7 Beobachtungen im freien Spiel und Entwicklung der leitenden Fragestellung
3.2 Rolle des Erziehers: Unterstützungsmöglichkeiten beim 9 Rollenspiel
3.3 Gestaltung einer Praxissituation zur Unterstützung des 11 kindlichen Rollenspiels
3.4 Beobachtungen während und nach der gestalteten Situation

4. Auswertung der Beobachtungen
4.1 Reflexion meines Vorgehens
4.2 Rückschlüsse auf Kompetenzen und Unterstützungsbedarf der 16 drei Kinder
4.3 Intensivierung des Spiels durch Rollenfüllung

5. Schlussfolgerungen und Bedeutung für die Praxis

6. Literaturverzeichnis

7. Anlagen

1. Einleitung

Die Auswahl der Thematik „Frühkindliche Spielentwicklung“ hat ihren Ursprung in meinen Beobachtungen zum frühen kindlichen Spiel in der Krippengruppe einer Kita. Die Kita verfügt über hohe Qualitätsstandards. Ein Großteil der Kitaplätze, in zwei Krippen- und einer Elementargruppe, wird an Kinder von Mitarbeitern großer Unternehmen vergeben. Dementsprechend kommt die Mehrzahl der Kinder aus bildungsnahen Haushalten. Im Rahmen meiner Ausbildung wurde die Begleitung des angeleiteten Spiels ausführlich thematisiert, eine Auseinandersetzung mit dem „freien“ Spiel der Kinder und Anforderungen diesbezüglich an mich als Erzieherin1 fand jedoch nicht statt. So drängten sich mir in der praktischen Arbeit Fragen auf: “Welchen Stellenwert sollte ich dem freien Spielen im Kita- Alltag einräumen?“ und “Welche Aufgabe habe ich als Erzieher während des freien Spiels der Kinder?“ Dabei interessierte mich besonders das Zusammenspiel der Kinder im Rahmen des Rollenspiels. Sollte ich vermittelnd eingreifen, Impulse geben oder spielen lassen, auf Miteinander bestehen oder Spielgruppen vor „Eindringlingen“ schützen? Basierend auf diesen Überlegungen entstand folgende Zielsetzung: Kindliches Spiel in seiner Bedeutung für die Entwicklung zu verstehen und Unterstützungsmöglichkeiten am Beispiel des Rollenspiels theoretisch und praktisch zu erschließen. Durch die Definition des „Spiels“ in Anlehnung an unterschiedliche Autoren wird der Arbeit ein einheitlicher Spielbegriff zugrunde gelegt (siehe 2.1). Um Klarheit über meine Rolle als Erzieher während des freien Spiels und insbesondere im Rollenspiel zu gewinnen, erschien mir zunächst eine Abgrenzung des Rollenspiels zu anderen Spielformen sinnvoll (siehe 2.2), die nicht nur die Einordnung meiner Spielbeobachtungen in der Praxis erleichtert, sondern auch die Spielentwicklung verdeutlicht, die jedes Kind im Verlaufe seiner Entwicklung durchläuft. Dabei wird die Form des Regelspiels vernachlässigt, zumal es für die Kinder meiner Praktikumsgruppe noch nicht von Bedeutung ist. Da der Umgang Erwachsener mit dem kindlichen Spiel auch geprägt ist von der Bedeutung, die sie ihm zusprechen, folgt in der Arbeit eine Auseinandersetzung mit den Entwicklungsmöglichkeiten im kindlichen Spiel (siehe 2.3).

Basierend auf meinen Beobachtungen der Kinder wird eine erste Einschätzung des (spielerischen) Entwicklungsstandes der Kinder vorgenommen (siehe 3.1), Möglichkeiten der Unterstützung des Rollenspiels aufgezeigt (siehe 3.2) und Erfahrungen mit der Umsetzung einer ausgewählten Methode in der Praxis beschrieben (siehe 3.3), um abschließend die Beobachtungen unter Berücksichtigung theoretischer Kenntnisse auszuwerten (siehe 4).

2. Frühkindliche Spielentwicklung

Zu Beginn der Auseinandersetzung stellte sich mir die Frage, was „Spiel“ ist bzw. was das Spiel, das ich in Bezug auf seine Bedeutung für die Entwicklung des Kindes untersuchen möchte, auszeichnet. Zunächst erfolgt daher eine Auseinadersetzung mit dem „Spiel“ in Form der Bestimmung seiner grundlegenden Merkmale. Basierend auf diesen, werden die verschiedenen Formen des kindlichen Spiels dargestellt und deren Bedeutung für die Entwicklung des Kindes unter besonderer Bezugnahme auf das Rollenspiel erläutert.

2.1 Merkmale des kindlichen Spiels

Eine einheitliche Definition von Spiel existiert nicht. Folgende Merkmale erscheinen jedoch geeignet, sie dieser Arbeit als Spielbegriff zugrunde zu legen. Spielen geschieht spontan und freiwillig, aus einer inneren Motivation heraus (vgl. Hetzler 1986 zit. n. Nickel u.a. 1991, S.121). Ein wichtiges Kriterium ist die Zweckfreiheit, die bei Mogel (2008) differenziert analysiert wird. Mit seinem Spiel verfolgt das Kind keine äußeren bzw. von anderen Personen gesetzten Zwecke, wie z.B. lernen. Das Kind spielt um des Spielens Willen (vgl. Mogel 2008, S.33f). Die Spieltätigkeit ist wichtiger als das Spielergebnis und wird vom Kind als freudvoll und von positiven Gefühlen begleitet erlebt (vgl. Nickel u.a. 1991, S.121). Mogel (2008) verweist darauf, dass auch Unlustgefühle ein wichtiger Teil der Spielerfahrung sind, die z.B. im Konstruktionsspiel provoziert werden können. Des Weiteren kommt er zu der Schlussfolgerung, dass das Spiel zwar nicht auf Zwecke außerhalb des Spiels gerichtet ist, aber dennoch zweckvoll ist. Damit spricht er dem Spiel einen inneren (Selbst-) Zweck zu. Das Kind setzt sich selbst Ziele innerhalb des Spiels (zielgerichtet). Diese Zielausrichtung des kindlichen Spiels wird nach Mogel von anderen Autoren übersehen, da die Spielziele schnell wechseln (Zielfluktation). Dies erklärt er damit, dass das Kind im Spiel seine Spielgegenstände verändert, die dann neue Anforderungen an das Kind stellen und einen schnellen Wechsel der Spielziele bewirken kann. Der Zweck und die Zielausrichtung sind daher nur schwer erkennbar, aber vorhanden (vgl. Mogel 2008, S.23f, 34ff, 72). Die ausgearbeiteten Merkmale des Spiels sind wichtige Kriterien, um ein echtes Spiel zu erkennen und bilden die gemeinsame Basis der einzelnen Formen des Spiels.

2.2 Entwicklung des frühkindlichen Spiels

Im Verlauf der frühen Kindheit zeigt das sich normal entwickelnde Kind unterschiedliche Formen des Spiels. Diese bauen zum Teil aufeinander auf, indem sie für andere Formen Voraussetzungen schaffen, sie können aber auch nebeneinander bestehen bzw. sich vermischen (Anlage 1). Eine klare Zuordnung einer kindlichen Spieltätigkeit zu einer Spielform ist nicht einfach. Ursache ist die unterschiedliche Einteilung der Spielformen bei den einzelnen Autoren. Je nach den zugrunde gelegten Kriterien, gelangen die Autoren nicht nur zu unterschiedlichen Bezeichnungen der einzelnen Formen, sondern auch zu inhaltlich differierenden Ausführungen, die in dieser Arbeit jedoch nicht diskutiert werden sollen. Nach Sichtung der Ausführungen unterschiedlicher Autoren bin ich zu folgender Einteilung gekommen:

2.2.1 Psychomotorische Spiele (auch Funktionsspiele)

In Anlehnung an Einsiedler (1991) bezeichne ich die erste auftretende Spielform als “Psychomotorische Spiele“, die bereits im ersten Lebensjahr auftreten (vgl. Einsiedler 1991, S.60f). Das Kind erprobt zunächst die Funktionen seines Körpers und die der Gegenstände seiner näheren Umgebung. Dieses Handeln wird durch die Funktionslust des Säuglings an Bewegung motiviert und ist noch nicht zielgerichtet (vgl. Mogel 2008, S.45; vgl. Pausewang 1997, S.19f). Die Spieltätigkeit des Kindes führt unbeabsichtigt zu einem Effekt, der vom Kind als lustvoll erlebt wird und es zu gezielten Wiederholungen bzw. Nachahmungen von Bewegungen motiviert (vgl. Mogel 2008, S.45, 105; vgl. Pausewang 1997, S.19f). Als Weiterentwicklung des Funktionsspiels hebt Mogel (2008) gesondert das Experimentierspiel hervor, das etwa mit Beginn des 2. Lebensjahres einsetzt. Nachdem das Kind bemerkt hat, dass es mit Bewegungen Effekte herstellen kann, beginnt es, diese zu variieren. Es ahmt nicht mehr nur nach, es verändert aktiv seine Umwelt und beginnt nach Gesetzmäßigkeiten von Effekten bei der Manipulation von Gegenständen zu forschen (vgl. Mogel 2008, S.50). Es testet die Handlungsmöglichkeiten an Gegenständen bzw. deren physikalische Merkmale und eignet sich so Materialerfahrungen an, die ihm einen zunehmend sachgerechteren Umgang mit dem Spielmaterial ermöglichen (vgl. Mogel 2008, S.138). Dabei fertigt das Kind unbeabsichtigt und ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen Gegenstandsgefüge bzw. Konstruktionen an. Erkennt das Kind, dass es etwas erstellt hat und benennt es das Konstrukt im Nachhinein nach einem Gegenstand, zu dem das Konstrukt in der Regel nur wenig Bezug hat (vgl. Pausewang 1997, S. 124ff) so ist der Weg zum Konstruktionsspiel geebnet.

2.2.2 Konstruktionsspiele

Das Konstruktionsspiel, beginnend zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr, unterscheidet sich vom prozessorientierten Funktions- und Experimentierspiel dadurch, dass es ergebnisorientiert ist. Das Kind erstellt nach eigener Vorstellung Konstrukte. Es benennt zuerst das geplante Objekt bzw. hat eine Vorstellung, was es bauen will und beginnt dann die Planung umzusetzen (vgl. Becker). Dabei kann sich das Bauziel während des Bauprozesses mit den Impulsen, die das Kind durch das sich entwickelnde Objekt erhält, ändern. Das Kind übt solange, bis das Produkt sich der an der Realität orientierenden Vorstellung, möglichst ähnlich wird (vgl. Mogel 2008, S.46).

2.2.3 Rollenspiele

Bei Götte (1997) findet sich eine differenzierte Unterteilung des Rollenspiels (Anlage 2). In Anlehnung an Götte betrachte ich das Nachahmungsspiel (bzw. Symbolspiel) als die erste Stufe des Rollenspiels, die das Kind ab dem zweiten Lebensjahr erreichen kann. Diese Spielform basiert auf den Erfahrungen des Funktionsspiels und der zunehmenden Symbolisierungsfähigkeit2 (vgl. Pausewang 1997, S.136, 21f). Das Kind erkennt aufgrund seiner Erfahrungen aus dem Funktions- und Experimentierspiel über die (pyhsikalischen) Eigenschaften eines Gegenstandes, dass es diesen aufgrund seiner Merkmale für einen anderen Gegenstand im Spiel symbolisch einsetzten kann, z.B. der Stock wird als Telefon genutzt (vgl. Mogel 2008, S.138, 53; vgl. Pausewang 1997, S.21f). Das Kind imitiert mit Hilfe der symbolischen Gegenstände beobachtete Tätigkeiten von Bezugspersonen, ohne sich in deren Rolle hineinzuversetzen. Das eigentliche Rollenspiel, in dem sich das Kind in Rollen hinein versetzt3, beginnt Ende des dritten Lebensjahres: (a) mit dem einfachen Rollenspiel, in dem das Kind alleine Rollen spielt, dann (b) das kollektive Rollenspiel, in dem die Kinder nebeneinander zu einer ähnlichen oder gleichen Thematik spielen, sich ggf. gegenseitig ansprechen, ohne jedoch eine Antwort zu erwarten, (c) das soziale Rollenspiel Stufe I, in dem das Spiel von mindestens zwei Kindern aufeinander bezogen ist und in dem mehr gehandelt als geredet wird und (d) das soziale Rollenspiel Stufe II, in dem die komplexeren Handlungen längere verbale Äußerungen verlangen. Das Rollenspiel beinhaltet das Symbolspiel, in Form von Handlungen, die nur symbolisch durchgeführt werden (das Kind tut nur so, als ob es im Spiel trinkt). Das Kind spielt Rollen, die für es bedeutsame Erfahrungen thematisieren (vgl. Pausewang 1997, 21f). Dabei ahmt das Kleinkind Bezugspersonen nach, während das ältere Vorschulkind auch Berufsrollen wie Ärzte oder Polizisten spielt (vgl. Nickel u.a. 1991, S.128). Das Kind ist bestrebt, die Verhaltensweisen bzw. Tätigkeiten Erwachsener möglichst real nachzugestalten und lässt keine Abweichungen von der im Alltag erfahrenen Form der Tätigkeit zu. Mogel (2008) lehnt die Begriffe “Fiktionsspiel“, “Als-Ob-Spiel“ oder den der “Quasi-Realität“ ab, da die Rolle für das Kind im Spiel zu seiner Wirklichkeit wird. Es tut es nicht nur so, als ob es die Mutter ist, es fühlt sich auch so (vgl. Mogel 2008, S.50ff & 109f).

2.3 Entwicklungsmöglichkeiten im kindlichen Spiel unter besonderer

Berücksichtigung des Rollenspiels

Jede Form des Spiels unterstützt auf ihre Weise die Aneignung von Welt und kann somit als kindgemäße Form der Lebensbewältigung bezeichnet werden. Sie ermöglicht die Auseinandersetzung mit sich selbst (Psychomotorische Spiele), mit der materiellen (Konstruktionsspiel und Experimente) und der sozialen Umwelt (Rollenspiele) (vgl. Nickel u.a. 1991, S.121). Das kindliche Spiel und die Entwicklung des Kindes beeinflussen sich zum Teil wechselseitig. Im Spiel werden emotionale, motorische, soziale und kognitive Kompetenzen gefördert, die wiederum Voraussetzung für eine andere Form des Spiels sein können. Während das Kind im psychomotorischen und im explorativen Spiel Funktionen seines Körpers und Eigenschaften von Gegenständen erst zufällig und dann experimentierend erkundet, eignet es sich motorische Fähigkeiten und Eigenschaftswissen an, die Basis für das Konstruktionsspiel und für das Rollenspiel sind. Im Konstruktionsspiel entwickelt das Kind ein Verständnis für kausale Zusammenhänge und Problemlösungen. Es lernt, sich selbst Handlungsziele zu setzen und zukunftsbezogen zu denken. Im Herstellungsprozess macht es Erfahrungen mit Erfolg und Misserfolg, die es zu bewältigen lernt (vgl. Mogel 2008, S.108- 114). Nach Elkonin (1980) besteht die entscheidende Bedeutung des Rollenspiels in der Entwicklung des Bedürfnisses, in das Leben der Erwachsenen vorzudringen und die Bedeutung der menschlichen Tätigkeiten zu verstehen. Zu Beginn nehmen die gegenständlichen Handlungen die Aufmerksamkeit des Kindes in Anspruch. Erst nachdem das Kind im Nachahmungsspiel gelernt hat, handelnd mit der gegenständlichen Welt umzugehen, erkennt es, dass es wie ein Erwachsener handelt und entwickelt ein Bewusstsein für die Tätigkeiten und Beziehungen der Erwachsenen, die es sich handelnd zu eigen machen möchte (vgl. Elkonin 1980, S.410ff; vgl. Mogel 2008, S.109). Während der spielerischen Auseinandersetzung im Rollenspiel werden weitere Entwicklungen des Kindes angeregt (Anlage 3). Sieht das Kind zu Beginn den Sinn seines Spiels in der Nachahmung von Handlungen anderer Personen, so wird es mit zunehmendem Alter und mit der zunehmenden Fähigkeit zur Perspektivübernahme beginnen, zwischenmenschliche Beziehungen nachzugestalten, indem es Personen in ihren Beziehungen zu anderen Menschen darstellt. In dieser Phase entwickelt das Kind ein Personenbewusstsein von sich selbst in Abgrenzung zu anderen (vgl. Elkonin S.300ff). Die Nachahmung von Tätigkeiten ist zunächst noch stereotyp und das Kind vollzieht häufig wiederholend einaktige Handlungen (Anlage 4) und eignet sich so bestimmte motorische Handlungsmuster an. Im nächsten Schritt kommt es zu einer willkürlichen Aneinanderreihung verschiedener Handlungen z.B. mit einer Puppe, die in keinem logischen Zusammenhang stehen (vgl. Elkonin 1980, S.146). Elkonin sieht in diesem Vorgehen eine Reproduktion verschiedener Handlungsmöglichkeiten an einem Gegenstand (vgl. Elkonin 1980, S.245f). Ziel ist die Aneinanderreihung zusammengehörender Handlungen (Sequentierung), die sich an der Logik des Lebens orientiert und damit die Verinnerlichung von Handlungsabläufen aus der Erwachsenenwelt, was dem Hineinwachsen in unsere Gesellschaft zuträglich ist (vgl. Elkonin 1980, S.247). Im Spiel spiegelt sich auch die geistige Entwicklung des Kindes wieder: ist sein Spiel an realistische Gegenstände gebunden und an einen ausführlichen Handlungsvollzug gekoppelt, so agiert das Kind auf der Stufe des konkreten, an Gegenstände und Handlungen gebundenen Denkens. Mit zunehmender Symbolisierungsfähigkeit und Sprachentwicklung kann das Kind Handlungen verkürzen, indem es sie erst durch Gesten und Worte ersetzt (anschaulich-bildhaftes Denken) und sich diese dann nur noch denkt (verbal-logisches Denken). Spiel unterstützt diese kognitive Entwicklung. An Gegenstände gebundene geistige Handlungen werden zunehmend vom gegenständlichen Kontext gelöst (Dekontextualisierung) und zu von Gegenständen unabhängigen geistigen Handlungen. Diese Fähigkeit ist Voraussetzung für die Ausbildung von Phantasie (vgl. Elkonin S.422ff; vgl. Einsiedler S.86ff). Außerdem findet eine Entwicklung vom selbstbezogenen Spiel (Egozentrismus) zum fremdbezogenen Spiel statt (Dezentrierung). Erst im fremdbezogenen Spiel mit anderen Kindern, das eine Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Wünschen erfordert, sowie bei der Übernahme von Rollen im Spiel, wird das Kind mit anderen Perspektiven konfrontiert. Es lernt von der jeweils anderen Rolle aus zu handeln, Situationen nicht mehr nur von seinem Standpunkt aus zu betrachten und sich zunehmend in Andere hinein zu versetzen. Die Fähigkeit zur Perspektivübernahme wird angebahnt und der Egozentrismus überwunden (vgl. Elkonin 1980, S.415-422; vgl. Einsiedler 1991, S.79 & 85). Des Weiteren sehe ich die Möglichkeit der Verarbeitung von Erfahrungen, sowie die Umsetzung von Wünschen als bedeutsam an. Erlebnisse im Rollenspiel sind nach Mogel (2008) für das Kind real und werden damit Teil ihrer Erfahrung (vgl. Mogel 2008, S.78). Es macht wichtige Selbsterfahrungen in der Interaktion mit seiner Umwelt und kann im Spiel Handlungsalternativen erproben, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

Die unterschiedlichen Formen des Spiels stehen in engem Zusammenhang mit der Entwicklung des Kindes und ermöglichen so Rückschlüsse auf die Entwicklung bzw. Kompetenzen des einzelnen Kindes. Dennoch ist es ratsam, mit der Deutung von Einzelbeobachtungen vorsichtig umzugehen, da Kinder in Abhängigkeit von Tagesform, Spielthema oder Spielpartner unterschiedlich spielen.

3. Beobachtungen in der Praxis und Begleitung der Kinder im

Rollenspiel

Um einen Eindruck vom Spiel der Kinder meiner Gruppe zu gewinnen, war mir die Beobachtung während des freien Spiels wichtig. Mit „frei“ kann dabei jedoch nur eine relative Freiheit gemeint sein, da das Spiel durch die Räumlichkeiten, den strukturierten Tagesablauf, durch das zur Verfügung stehende Spielmaterial und die potentiellen Spielpartner beeinflusst wird. Freiheit bedeutet die selbst bestimmte Wahl des Spielthemas und des Spielmaterials, der Spielform (Einzel- oder Sozialspiel mit Partner), des Spielortes, der Spielzeit unter den in der Einrichtung vorgegebenen Rahmenbedingungen.

3.1 Darstellung des Entwicklungsstandes der Kinder basierend auf Beobachtungen im freien Spiel und Entwicklung der leitenden Fragestellung

Die Kinder meiner Praktikumsgruppe sind im Januar 2009 zwischen fünf Monaten und drei Jahren und zwei Monaten alt. Von den 16 Kindern der Gruppe sind bis auf ein Mädchen alle Kinder vor Vollendung des ersten Lebensjahres in die Gruppe gekommen. Mit den gezielten Beobachtungen zum kindlichen Spiel habe ich Ende Oktober 2008 begonnen. Gute Beobachtungsmöglichkeiten beim „ungestörten“ Spiel der älteren Kinder hatte ich nachmittags, wenn nur wenige Kinder wach waren oder bei Gruppenteilungen. Auffällig war, dass die Kinder sich immer dann besonders aktiv zeigten, wenn neue, realistische Gegenstände eingeführt wurden, wie z.B. der Kaufmannsladen oder die Küchenecke. Alle Kinder haben dann zunächst die Funktionen ausprobiert, wobei die älteren Kinder schnell zum Symbolspiel, zum einfachen und kollektiven Rollenspiel, z.T. auch zum sozialen Rollenspiel Stufe I übergingen (Anlage 5). Diese Beobachtungen decken sich mit den Erkenntnissen aus Studien von Einsiedler, nach denen „hochrealistisches Spielzeug zu hohen Anteilen von imitativem Phantasiespiel4 führt, während niedrigrealistisches Spielzeug [insbesondere bei Vorschulkindern] dazu geeignet ist, Phantasiespiel im eigentlichen Sinne, nämlich der Umwandlung in fiktive Objekte und Situationen, zu fördern“ (zit.n. Einsiedler 1991, S.95) und damit auch verstärkt das symbolische Denken anregt. Dabei hebt er hervor, dass Zweijährige im Phantasiespiel realistisches Spielzeug vorziehen, das insbesondere Nachahmungsspiele stimuliert (vgl. Einsiedler 1991, S.95f).

Die leitende Fragestellung entwickelte ich dann basierend auf meinen Beobachtungen zum Umgang mit einem “Arztkoffer“: Direkt nach Weihnachten erhielt die Kindergruppe als neues Spielzeug einen Arztkoffer, der insbesondere bei den älteren Kindern ab 2½ Jahren auf große Begeisterung stieß. An diesem Tag wurden die Instrumente gemeinsam angesehen und von den einzelnen Kindern ab zwei Jahren untersucht und ausprobiert. Dabei wurde deutlich, dass einzelne Kinder bereits über fragmentarisches Wissen verfügten, z.B. das Fieberthermometer war bekannt, z.T. auch das Stethoskop. Außerdem wussten sie, dass man zum Arzt geht, wenn man krank ist. In den folgenden Tagen setzte das freie Spielen mit den Materialien ein. Aufgrund des hohen Aufforderungscharakters des realistischen Materials und aufgrund erster eigener Erfahrungen mit dem Arzt, ahmten einige der älteren Kinder das Verhalten bzw. das Handeln des Arztes nach. Dabei fiel bei Isa die starke Bindung an die Requisite “Arztkoffer“ auf. Sie lief sehr viel mit dem Arztkoffer durch die Einrichtung und untersuchte die enthaltenen Gegenstände. Sie war nicht bereit den Koffer oder einen Gegenstand daraus anderen Kindern zu überlassen und verteidigte ihn vehement. Es fanden zwar erste Versuche statt, andere Kinder zu untersuchen, diese endeten jedoch schnell. Die Kinder sprachen nur wenig oder gar nicht miteinander und das Spiel war auf ausführende Handlungen beschränkt (Anlage 6). Ausnahme bildete hier Sarah, die in ihrer Rolle als Ärztin zu mir sagte, wo ich mich hinzulegen habe und mich fragte, was ich habe. Daraufhin begann sie eine Untersuchung meines Bauches um dann wieder zu fragen „und was hast du noch?“ Bei anderen Kindern (Marie und Anne) konnte ich beobachten, dass sie nur die Funktionen ausprobierten oder mich als Ärztin für ihre Puppen auswählten, die Rolle jedoch nicht selbst übernahmen. In den Situationen offenbarte sich mir ein reges Interesse der Kinder am Spiel mit dem Arztkoffer und der Arztrolle. Zugleich konnte ich beobachten, dass die Spiele schnell abbrachen und die Kinder häufig im Funktionsspiel oder Nachahmungsspiel verharrten, d.h. die Utensilien auf ihre Funktionen untersuchten und dann die ärztlichen Handlungen nachahmten, ohne eine weiterführende Form des Rollenspiels zu entwickeln. Ich hatte den Eindruck, dass die Kinder für ein längeres Symbolspiel bzw. Rollenspiel noch nicht genug Vorstellungen vom Arztbesuch bzw. von den Arzttätigkeiten hatten und die Rolle kaum mit Inhalten füllen konnten. Ich entwickelte für mich die These: Eine stärkere Rollenfüllung, d.h. Wissen über die körperlichen und sprachlichen Handlungen eines Arztes, helfen den Kindern, ihr Rollenspiel auszubauen und zu intensivieren. Basierend auf diesen Beobachtungen und Überlegungen bin ich zu der allgemeinen Fragestellung gelangt: „Wie kann ich das kindliche Rollenspiel unterstützen?“

3.2 Rolle des Erziehers: Unterstützungsmöglichkeiten beim Rollenspiel

Im Rahmen dieser Arbeit soll der Blick auf die Unterstützungsmöglichkeiten des Rollenspiels gerichtet werden, das z. T. auch auf die anderen Formen des Spiels übertragbar ist (siehe 2.2). Der Erzieher kann indirekt und direkt auf das kindliche Spiel einwirken. Unter indirekter Spielführung5 versteht man die Gestaltung der Rahmenbedingungen: Das Kind muss ausreichend Zeit zum freien Spielen haben und vor “Eindringlingen“ von außen geschützt werden. Der Erzieher bietet nicht nur Schutz vor Unterbrechungen bzw. Störungen, er muss auch Veränderungen und Unordnung akzeptieren. Da in Kitas feste Tagesabläufe bestehen, ist eine Ankündigung des baldigen Endes der Spielphase wichtig, damit das Kind nicht abrupt aus seinem Spiel gerissen wird (vgl. Mogel 2008, S.15f; vgl. Buchmann 2005; vgl. Thiesen 1994, S.22f). Kinder können sich erst auf Spieltätigkeit im „Hier und Jetzt“ einlassen, wenn sie sich geborgen und sicher fühlen und frei von Ängsten sind. Dazu müssen ihnen die Grenzen klar sein, innerhalb derer gespielt werden darf (vgl. Pausewang 1997, S.42f, 74; vgl. Buchmann 2005), denn „werden Kinder in kurzen Abständen immer wieder aus ihrem Spiel gerissen, werden sie nervös, spielunlustig und mit der Zeit vielleicht […] unkonzentriert und motorisch unruhig“ (zit.n. Buchmann, 2005). Auch durch die Auswahl der Spielmaterialien übt der Erwachsene Einfluss auf das Spiel aus. In der Regel wird weniger realistisches Spielzeug empfohlen, da dieses aufgrund seiner Mehrdeutigkeit für verschiedene Spielhandlungen einsetzbar ist (vgl. Pausewang 1997, S.137). Ein ausgewähltes Angebot von Requisiten z.B. in Form von realistischen Handlungsgegenständen erleichtert jedoch jüngeren Kindern den Einstieg in das Rollenspiel und die Rollenfindung. Dabei sollte der Erzieher das “Als-Ob-Denken“ weiter anregen (vgl. Wege u.a. 2004, S.108). Insgesamt sollte der Erzieher seine Wertschätzung gegenüber dem freien Spiel des Kindes zum Ausdruck bringen (vgl. Mogel 2008, S.15f; vgl. Pausewang 1997, S.137), u.a. durch die aufmerksame Spielbeobachtung und den darauf basierenden Hilfestellungen. Außerdem kann der Erzieher durch die Spielbeobachtung Stärken und Schwächen der Kinder erkennen und Schwierigkeiten aufdecken, z.B. dass die Spieler in monotonen Satzwiederholungen stecken bleiben oder dass einzelne Kinder unterdrückt werden und immer unbeliebte Rollen spielen müssen oder ganz ausgeschlossen werden (vgl. Einsiedler 1991, S.146ff; vgl. Pausewang 1997, S.41ff, 70ff). Basierend auf dem indirekten Ansatz haben Einsiedler u.a. den Begriff „situationsbezogene und gestaltende Spielführung“ entwickelt, nach der die Spielentwicklung des Kindes unterstützt werden kann, indem situative Spieltätigkeiten aufgegriffen und entfaltet werden, der Spielprozess aber durchgehend offen für die kindlichen Impulse bleibt (vgl. Einsiedler 1991, S.146f). Die direkte Spielführung ermöglicht es dem Erzieher, Kindern neue Spielmöglichkeiten aufzuzeigen (vgl. Pausewang 1997, S.50). In Anlehnung an Pausewang und den Phantasiespiel- Förderansatz im Kindergarten nach Johnson, Christie & Yawkey (1987) unterteile ich die direkte Spielführung in Mitspielen und Beratung6. Beim Mitspielen geschieht die Spielführung aus dem Spielgeschehen heraus. Der Erzieher schließt sich der Spielidee der Kinder an, befolgt deren Spielideen und streut nur spielstützende Einzelimpulse ein, die das einzelne Kind veranlassen, sich aktiv in das Spiel einzubringen. Spielt der Erzieher z.B. einen Patienten im Wartezimmer, kann er durch die Aussage: „Warten Sie auch schon so lange, was können wir tun, damit wir schneller dran kommen“ einen Impuls zur Selbsthilfe setzten. Der Erzieher zieht sich zurück, sobald das Spiel läuft. Er kann aber auch von innen die Spielführung übernehmen und neue Themen initiieren bzw. den Verlauf des Spiels maßgeblich durch Handlungen oder Äußerungen beeinflussen, indem er z.B. neue Rollen (Kinder) einführt oder Umdeutungen von Gegenständen vornimmt (Symbolverständnis fördert). Eine Beratung von außen kann einsetzen, wenn der Erzieher beobachtet, dass das Spiel stockt oder die Kinder nur nebeneinander spielen. So kann er durch Impulse wie: „Wollen sich die Puppenmütter nicht besuchen und miteinander Kaffe trinken?“ eine neue Spielsituation schaffen (vgl. Johnson, Christie & Yawkey 1987 zit. n. Einsiedler 1991, S.145, 152f; vgl. Pausewang 1997, S.75, 137f). Als weitere Form des Phantasiespiel- Förderansatzes wird außerdem das “Thematische Phantasiespiel“ genannt, bei dem die Kinder Märchen oder Geschichten nachspielen, das besonders für Kinder mit wenig Spielerfahrungen förderlich ist (vgl. Einsiedler 1991, S.153). In Versuchen konnten nachgewiesen werden, dass spielförderndes Verhalten zu Entwicklungsfortschritten im kindlichen Rollenspiel führt (vgl. Einsiedler 1991, S.144ff). Spiellenkung ist wichtig, da viele Kinder nicht mehr in der Lage sind, die kreativen Möglichkeiten von Spielen auszuschöpfen und ihre eigene Spielfähigkeit ohne Unterstützung zu entfalten. Dabei gilt: Spiellenkung „so viel wie nötig und so wenig wie möglich einzusetzen“ (zit.n. Pausewang 1997, S.75). Die Phase des freien Rollenspiels ist demnach eine Phase, in der der Erzieher äußerst aktiv werden sollte. Durch Beobachtungen kann er wichtige Erkenntnisse über die Entwicklung des einzelnen Kindes gewinnen und erkennen, wenn die Kinder Hilfe von außen benötigen. Durch die besondere Beachtung des kindlichen Spiels durch Beobachtung, beratende Impulse von außen oder das Mitspielen unterstützt der Erzieher nicht nur die Weiterentwicklung und das Fortbestehen des Spiels, er verdeutlicht auch seine Wertschätzung dem kindlichen Spiel gegenüber, die für das Kind in seiner Spieltätigkeit sehr wichtig ist.

[...]


1 Im Folgenden werde ich aus Platzgründen nur die männliche Form von Erzieher verwenden.

2 Voraussetzung für Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit ist die Objektpermanenz, d.h. das Kind kann sich ein Objekt vorstellen, auch wenn das Objekt nicht anwesend ist (vgl. Mogel 2008, S.107).

3 Nachahmungsspiel und einfaches Rollenspiel sind in der Praxis schwer zu unterscheiden, da der entscheidende Unterschied in inneren Prozessen (versetzt sich das Kind in die Rolle oder nicht) besteht.

4 Einsiedler verwendet anstelle des Begriffs “Rollenspiel“ den des “Phantasiespiels“, der inhaltliche dieselben Dimensionen umfasst, wie der hier verwendete Rollenspielbegriff.

5 Die Konzepte der „indirekten Spielführung“ und der „direkten Spielführung“ sind zentrale Förderansätze in der Spielpädagogik und gehen in ihrer Begrifflichkeit auf Hetzler (1950) zurück (vgl. Einsiedler 1991, S.145).

6 Johnson u.a. unterteilen in Mitspielen (sich dem Spielverlauf anpassen), Spieltutoring (den Spielverlauf aktiv von innen oder außen verändern) und in das thematische Phantasiespiel (vgl. Einsiedler 1991, S.153).

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Frühkindliche Spielentwicklung. Beobachtungen zum Rollenspiel in einer Kinderkrippe
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
47
Katalognummer
V303031
ISBN (eBook)
9783668029668
ISBN (Buch)
9783668029675
Dateigröße
1008 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rollenspiel, Freies Spiel, Praktische Arbeit Kita, Arztspiel, Spielverhalten, Spielentwicklung
Arbeit zitieren
Nina Bernhardt (Autor:in), 2009, Frühkindliche Spielentwicklung. Beobachtungen zum Rollenspiel in einer Kinderkrippe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/303031

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