Die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union und die Euro-Mediterrane Partnerschaft: Herausforderungen und Perspektiven des Barcelona-Prozesses seit November 1995


Magisterarbeit, 2004

79 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung
1.1 Fragestellung
1.2 Stand der Forschung

2. Mittelmeerpolitik: Vom kolonialen Erbe zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit
2.1 Das Mittelmeer als außenpolitischer Handlungsraum der „Zivilmacht“ Europa
2.2 Die geostrategische Bedeutung des Mittelmeerraums

3 Die Mittelmeerpolitik: Regionale und globale Herausforderungen
3.1 Wandel im internationalen System
3.2 Der europäische Integrationsprozess
3.3 Die Europäisierung der Mittelmeerpolitik
3.4 Die politischen und ökonomischen Entwicklungen in den MDL
3.4.1 Regionaler Zusammenschluss in Nordafrika
3.5 Die europäische Mittelmeerstrategie: Neue Orientierung

4. Die Euro-mediterrane Partnerschaft: Erfolgschancen und Hindernissen
4.1 Grundlage der zukünftigen Partnerschaft
4.2 Genese der Euro-Mediterranen Partnerschaft
4.3 Struktur und Konzeption des Barcelona-Prozesses

5. Herausforderungen und Perspektiven des Barcelona-Prozesses
5.1 Politische und Sicherheitspartnerschaft: Interessen und Zielkonflikte
5.1.1 Demokratisierung oder Stabilisierung?
5.1.2 Der Nahostkonflikt: Hindernis für die EU-Mittelmeerpolitik
5.2 Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft:
Schaffung einer Zone gemeinsamen Wohlstandes?
5.2.1 Ökonomische Asymmetrie im Schatten des Freihandels
5.2.2 Die Islamische Herausforderung?
5.2.3 Auswirkungen und Perspektiven einer Freihandelszone
5.3 Partnerschaft im kulturellen, sozialen und menschlichen Bereich.
5.3.1 Ziele und Instrumente
5.3.2 Zivilgesellschaft: Demokratisierung von unten?
5.3.3 Partnerschaft zwischen Dialog und Feindbild

6. Schlussbetrachtung

7. Literaturverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1. Einführung

Die Geschichte Europas und des Mittelmeers ist eine lange Geschichte zunehmender Verflechtung, die sowohl in ihrer kriegerischen, als auch in ihrer wirtschaftlich-kooperativen Form durch Jahrhunderte kultureller Asymmetrie geprägt war.

Die damals als überlegen geltenden Kulturen im Mittelmeerraum, wo zweimal in dieser langen Geschichte Weltreiche, das römische und das osmanische, fast das gesamte Mittelmeer umspannten, gehören heute der Peripherie an und sind somit nur ein Schatten dessen, was die früheren Mittelmeermächte einst waren.

Nun werden vor allem die vom Islam geprägten Kulturen am südlichen und östlichen Ufer des Mittelmeers als Bedrohung für den Westen angesehen und das nicht zuletzt seit dem 11. September.

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hat der belgische Historiker Henrie Pirenne (1865-1935) die These formuliert, dass Europa mit dem Einbruch des Islam ins Mittelmeer von den mittelmeerischen Traditionen der Spätantike abgekoppelt worden sei. Für ihn sei damit der eigentliche Beginn des Mittelalters anzusetzen[1]. Inzwischen gilt diese These unter Mittelalterforschern und Orientalisten als widerlegt, weil sie nur die konflikthaften Auseinandersetzungen, die Kreuzzüge und Türkenkriege betrachtet und dabei die friedlichen Handelsbeziehungen und vor allem die gegenseitige kulturelle Befruchtung übersah, die weit über das Mittelalter hinaus die Beziehungen zwischen dem christlich-abendländischen Europa und der sich am südlichen Mittelmeerufer sich befindenden islamisch geprägten Welt beeinflusst haben.[2]

Doch schon vor mehr als zwei tausend Jahren hätte Hannibal mit seinen erfolgreichen Eroberungen während des 2. Punischen Kriegs (218-201 v. Chr.) beinahe Rom zerstört. Als der aus Nordafrika stammende Kriegsherr mit seinen Truppen nach dem Sieg bei Cannae gegen die Römer an der Ewigen Stadt vorbei zog, setzte er seinen Feldzug gegen das Römische Reich bis nach Süditalien fort.[3]

Damit war der an das südliche und östliche Mittelmeer angrenzende Raum schon immer und vor dem Aufkommen des Islam Schnittpunkt konkurrierender geostrategischer Interessen und somit Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen.

Bis in die Neuzeit entsprangen die wesentlichen Impulse für die geistige und kulturelle Entwicklung Europas dem Mittelmeerraum. Seine Wurzeln sind mediterran, deshalb ist es ohne die Kulturen, die seit vier Jahrtausenden sukzessiv rund um das Mittelmeer entstanden sind, nicht zu begreifen.

Vor allem in der politischen Diskussion, wenn es um das klassische wie hoch aktuelle Thema der Orient-Okzidentsproblematik geht, wird immer wieder fest gestellt, dass die These von Pirenne „in unseren Köpfen nicht nur irgendwie fortlebt, sondern aktiv und keineswegs interesselos praktiziert wird[4], wobei das historische Faktum, dass die Araber, und damit ein nichteuropäisches, sondern ein am südlichen und östlichen Ufer des Mittelmeers ansässiges Volk als „Vermittler antiker Wissenschaft[5] fungierte, oft ausgeblendet wird.

Vor allem in Spanien, auf Sizilien und in der Provence, den Zonen des lebendigsten Kontaktes der Mittelmeerkulturen, wo die Welt des Islam in Südeuropa heimisch war und seine Kultur in Andalusien eine Blütezeit von 700 Jahren erlebte[6], wurden die seit dem 9. Jahrhundert von muslimischen und jüdischen Gelehrten verfasste Rezeption und Verarbeitung der griechischen Tradition, insbesondere des Aristoteles, aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt, nachdem sie im Abendland jahrhundertelang teilweise unberücksichtigt geblieben war.

Die großen naturwissenschaftlichen und medizinischen Lehrbücher aus dem islamischen Kulturkreis wurden bereits im 11. Jahrhundert von Constantinus Africanus in der Medizinschule von Salerno ins Lateinische übersetzt, während Gerhard von Cremona mit seinen Übersetzungen arabischer Schriften Abhandlungen der Griechen, die von arabischen und persischen Gelehrten selbstständig weiterentwickelt und systematisiert wurden, dem lateinischen Westen zugänglich machte.[7]

Diese asymmetrischen Verhältnisse haben sich am Ende des 20. Jahrhunderts umgekehrt.

Die Länder im südlichen und östlichen Mittelmeerraum, wo sich nun die übliche Armut, die sozialen Missstände und wirtschaftliche Unterentwicklung sowie ein weitverbreiteter Analphabetismus, verschönt noch durch prestigeträchtige Ferienanlagen an den langen Badestränden, hinter Landschaften verbergen, blicken nun auf den Norden, das südliche und nördliche Europa. Sie möchten von ihm lernen, sich inspirieren lassen und in ihn wirtschaftlich weitgehend integriert werden, um dem zunehmenden Fanatismus im Süden und der Ignoranz im Norden, die den seit Jahrhunderten überwiegend von dem „Kulturaustausch zwischen Morgenland und Abendland[8] bestimmten Prozess außer Kraft setzen und dafür einen Krieg der Kulturen hervorrufen wollen, eine Absage zu erteilen.

1.1 Fragestellung

Die südlichen und östlichen Ufer des Mittelmeers haben aus dem wirtschaftlichen Aufschwung Westeuropas nur marginalen Nutzen gezogen. Zwar erlebten die Mittelmeerdrittländer (MDL) während der 70er Jahre einen durch die Intensivierung der Handelsbeziehungen bewirkten Aufschwung, doch spätestens mit der Süderweiterung verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage im Süden des Mittelmeers. Bürgerkriege, soziale und ökonomische Missstände, Armut und Migration waren die Folge.

Gefürchtet wird außerdem eine Ausbreitung des Islamismus, die Verschärfung von Regionalkonflikten, die Zunahme von Drogenhandel, organisierter Kriminalität und ein ungebremstes Bevölkerungswachstum, das infolge der Krisensituation die Migrantenzahlen in den Westen in die Höhe treiben würde.

Infolgedessen nimmt die EU die Destabilisierung im südlichen und östlichen Mittelmeerraum zunehmend als Bedrohung eigener Wohlfahrts- und Sicherheitsinteressen wahr und entwickelte seit 1994 eine Mittelmeerstrategie, die sich eine Vertiefung der ökonomischen Beziehungen zu den MDL und den politischen Dialog mit den Mittelmeerpartnern zur Aufgabe machte, um die gemeinsamen Probleme der Region bewältigen zu können.

Vor diesem Hintergrund werden in dieser Arbeit die Herausforderungen und Perspektiven der Euro-Mediterranen Partnerschaft untersucht, die mit dem Fortschreiten des Barcelona-Prozesses seit seiner Lancierung in einem Spannungsverhältnis zwischen Dominanz und Partnerschaft stehen.

Die Partnerschaft bietet zwar eine nie da gewesene Chance, mit den südlichen und östlichen Nachbarn im Mittelmeer einen multilateralen Rahmen für politischen und kulturellen Dialog und wirtschaftliche Kooperation zu schaffen, birgt aber gleichzeitig unkalkulierbare Risiken für die Staaten und Gesellschaften im Süden.

Zunächst wird im ersten Kapitel die geostrategische Bedeutung des Mittelmeers nicht nur als außenpolitischer Handlungsraum der EG/EU seit ihrer Gründung, sondern auch als Raum vitaler unterschiedlicher Interessen von konkurrierenden Mächten, der trotz des Zusammenbruchs des bipolaren Systems an Relevanz nicht verloren hat - wie es der Fall für andere Regionen in der Welt war -­­ hervorgehoben. Danach wird die neue Mittelmeerpolitik als Reaktion der EU auf die veränderten Rahmenbedingungen auf regionaler und globaler Ebene untersucht. Dabei geht es vor allem um die neue Sicherheitslage im Süden, die nach dem Ausbruch von regionalen Konflikten und der Zunahme von auf Terror als politisches Mittel setzenden fundamentalistischen Bewegungen ein bedrohliches Ausmaß angenommen hat. Zu diesem Zweck wird zwischen vier Analyseebenen differenziert: dem Wandel im internationalen System, dem europäischen Integrationsprozess und den nationalen Interessen der Mitgliedstaaten. Ihnen gegenüber stehen die MDL, die sich ebenfalls zwangsweise einem sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Wandlungsprozess zu unterziehen haben. Die in diesem Zusammenhang untersuchten Bedingungsfaktoren sind deshalb von großer Bedeutung, weil sie die weitere Entwicklung der Mittelmeerpolitik erheblich beeinflussten und eine umfassende globale Strategie seitens der EU gegenüber den südlichen und östlichen Nachbarn im Mittelmeer unmittelbar hervorbrachten.

Allerdings erwies sich die EU, die damals im Lauf des Integrationsprozesses selber an einer Reihe von strukturellen Probleme bezüglich der Prioritätensetzung ihrer Außenbeziehungen und der Dualität im EU-System gelitten hat, als unfähig, sich den Problemen der Mittelmeerregion zu widmen und dabei ihrem Ruf als internationaler Akteur in der Weltpolitik gerecht zu werden.

Die Neugestaltung der Mittelmeerpolitik stand somit mit dem Ende des Ost-West-Konflikts vor neuen Herausforderungen, die sich nicht nur auf die sicherheitspolitische und sozioökonomische Lage der MDL beziehen, sondern denen auch Differenzen zwischen den EU-Mitgliedsländern über die Gestaltung der EU-Außenbeziehungen zugrunde liegen.

Angesichts dieses Tauziehens zwischen den nördlichen und südlichen EU-Mitgliedstaaten wegen der Frage, ob Ost- und Mitteleuropa oder der Mittelmeerraum mehr Aufmerksamkeit von Europa verdienen, kam der Kommission eine wichtige Rolle bei der Neuorientierung der Mittelmeerpolitik und der Gestaltung der euro-mediterranen Beziehungen zu, die bis dahin lediglich aus einem Konglomerat bilateraler Handels- und Wirtschaftbeziehungen unterschiedlicher Reichweite bestanden.

Im nächsten Kapitel wird die beim Außenministertreffen der Mitgliedstaaten und den MDL in Barcelona 1995 ausgerufene Euro-Mediterrane Partnerschaft auf ihre Erfolgschancen und Hindernisse hin überprüft. Dabei werden die drei interdependenten Bereiche der Partnerschaft in Fragen des politischen Dialogs, der Wirtschaft und Kultur untersucht, wobei eine Reihe von Hindernissen und Herausforderungen, die von den ungelösten regionalen Konflikten in der Region verursacht werden und sich ebenfalls in der Frage der Vereinbarkeit der Partnerschaft mit einer Region mit einem anderen kulturellen und religiösen Hintergrund darstellen, das Fortschreiten des Barcelona-Prozess erschweren und ihn teilweise auch lahm legen.

Als problematisch erweist sich auch die der Partnerschaft zugrunde liegende Mittelmeerstrategie der EU, die darauf bedacht ist, lediglich eine kontrollierte Annäherung von den MLD und nicht ihre ernsthafte Integration in den europäischen Binnenmarkt zu erreichen. Doch nicht nur die für die Realisierung des Ziels der Partnerschaft (Schaffung eines Raums des Friedens, des geteilten Wohlstands und des Dialogs) vorgesehenen Finanzierungsprogramme, sondern auch die Zielkonflikte der Partnerschaft zwischen Demokratisierung und Stabilisierung der MDL rufen Skepsis und Zweifel hervor, ob die Schaffung einer Freihandelszone nach der Handelsliberalisierung im gesamten Wirtschaftsraum zur politischen und ökonomischen Stabilisierung in den MDL führt. Dabei wird die Frage untersucht, ob mit der Errichtung einer Freihandelszone nicht das konträre Ergebnis, nämlich die Verschärfung der sozioökonomischen Missstände in den armen und ökonomisch nicht wettbewerbsfähigen Mittelmeerpartnerstaaten eintreten würde. Dieser Umstand wirft die Frage nach den Kosten und Nutzen einer Euro-Mediterranen Partnerschaft auf, die lediglich aus den sicherheitspolitischen Bedürfnissen der Mitgliedstaaten resultiert: Obwohl sich die EU in ihren Erklärungen zur Europa-Mittelmeer-Partnerschaft auf dem partnerschaftlichen Geist beruft, kann sie ihre Dominanz und ihr starkes Gewicht in der Konzeption und Struktur des Barcelona-Prozesses nicht verstecken.

Neben dem Versuch der EU, Demokratisierungsprozesse in MDL auf staatlicher Ebene zu beschleunigen, wurde ebenfalls im Rahmen der Partnerschaft die Kooperation mit den politischen und gesellschaftlichen Akteuren aus der Zivilgesellschaft geplant, die nach ein paar Rückschlägen überdacht werden musste, da eine „Demokratisierung von unten“ auf Widerstand der Regierungen der MDL gestoßen ist. In diesem Aspekt der Partnerschaft werden nach der Betrachtung der Instrumente und Ziele einer kulturellen Partnerschaft nach der Bedeutung eines Dialogs und einer Zusammenarbeit im menschlichen und sozialen Bereich gefragt, zumal der Kampf gegen den Terror oft als Kampf gegen den Islam und somit gegen 1,2 Mrd. Menschen interpretiert wird.

Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit noch einmal zusammengefasst dargestellt. Dabei wird der Barcelona-Prozess einer kritischen Bewertung unterzogen, wobei der Verfasser dabei nicht die Partnerschaftskonzeption per se, sondern die Implementierung des Barcelona-Prozesses für problematisch hält.

1.2. Stand der Forschung

Aufgrund der starken Verästelung der Forschungstrends und ihrer sehr unterschiedlichen Ansprüche und Akzentsetzung auf Teilbereiche der euro-mediterranen Beziehungen lassen sich allgemeine Aussagen zu Stand und Entwicklung der Mittelmeerpolitik der europäischen Union kaum machen.

Sicher ist aber, dass es im deutschsprachigen Raum bis vor kurzem kein umfassendes Werk zur europäischen Mittelmeerpolitik gegeben hat, wobei die letzte Monographie, die diese Thematik unter Berücksichtung der strukturellen Probleme im EG-System behandelt, auf die achtziger Jahre zurückgeht.[9]

Zu den unterschiedlichen Aspekten der euro-mediterranen Partnerschaft liefert die Monographie von Annette Jünemann die Forschungsergebnisse aus den schriftlichen Habilitationsleistungen, die nun in Form eines umfassenden Standardwerk veröffentlicht werden. Ergänzt wird das Werk um die Ergebnisse der Forschungsprojekte der selben Autorin zu der europäischen Sicherheitsarchitektur im Zusammenhang mit der Anti-Terror-Allianz und ihren Auswirkungen auf das Verhältnis zu den Dialogpartnern aus dem östlichen und südlichen Mittelmeerraum.[10]

Ein gros des heute vorhandenen Corpus der Literatur in Form von Sammelbänden erlebte seinen Höhepunkt in den Jahren nach dem Startschuss der Euro-Mediterranen Partnerschaft und fokussierte gleichermaßen die wirtschaftlichen Teilaspekte der Mittelmeerpolitik und die mit der Errichtung einer Freihandelszone verbundenen ökonomischen Perspektiven für die Mittelmeerregion[11]. Zu den sicherheitspolitischen Aspekten der Partnerschaft ist vor allem der Sammelband von Jacobs und Masala, der ein ausführliche Analyse zur Sicherheit Europas am Mittelmeer liefert und die unterschiedlichen Fragen der Mittelmeerpolitik (Dialog, Kooperation, Rüstung, Wanderung, Terrorismus, transatlantische und geostrategische Partnerschaft) untersucht.[12] Zudem muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass die sicherheitspolitischen Aspekte der Partnerschaft, in denen militärisch-strategische Fragen vor dem Hintergrund einer eventuellen militärischen Bedrohung aus dem Süden thematisiert werden, das Spektrum der Literatur zu den Beziehungen Europa-Mittelmeerraum dominieren[13]. Für die Literatur zur Mittelmeerpolitik stellte der 11. September ebenfalls eine Zäsur dar. Eine Untersuchung der Euro-Mediterranen Partnerschaft vor dem Hintergrund der Anschläge und New York und Washington mit der Fragestellung, welche Auswirkungen diese für den Europa-Mittelmeer-Dialog haben könnten oder ob der Barcelona-Prozess überhaupt fortgesetzt wird, wird insbesondere vom Zentrum für Europäische Integrationsforschung unternommen.[14]

Deutlich untergeordneten Rang nehmen bisher Untersuchungen zu zivilgesellschaftlichen Fragen im Literaturspektrum der Mittelmeerpolitik, obwohl seit Begin der Partnerschaft mit den südlichen Nachbarn nicht nur eine intensive und umfangreiche Debatte zur Bedeutung und Rolle der Zivilgesellschaft bei der Beschleunigung der Transformationsprozesses im Nahen Osten und Nordafrika in Gange ist, sondern auch die zahl der NGOs hat sich mit dem verstärkten Einsatz der EU für die Demokratisierung verdoppelt.[15]

2. Mittelmeerpolitik: Vom kolonialen Erbe zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit

2.1 Das Mittelmeer als außenpolitischer Handlungsraum der „Zivilmacht“ Europa

Schon zu Beginn der sechziger Jahre erkannte die Europäische Gemeinschaft die Bedeutung des Mittelmeers und sah sich angesichts der Konfrontation der beiden Supermächte, USA und UdSSR, gezwungen, in dieser Region aktiv zu werden.

Die damals gesetzten Ziele ihrer Mittelmeerpolitik sahen nicht nur vor, Griechenland und die Türkei in die NATO einzubeziehen, sondern auch deren Wirtschaften durch Finanzhilfen zu stabilisieren. Schrittweise wurden die beiden Länder in eine Zollunion mit der Gemeinschaft integriert.[16]

Dies war die Geburtstunde einer Politik, mit deren Hilfe die junge Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zum ersten Mal seit ihrer Gründung eine direkte außenpolitische Einflussnahme im Mittelmeerraum unternahm.

Doch schon ein Jahrzehnt zuvor führte die Kolonialgeschichte Frankreichs dazu, dass die Kernländer des Maghreb (Marokko, Algerien und Tunesien) Ende der sechziger Jahre Assoziierungsverträge mit der Gemeinschaft schlossen, in denen vor allem die Handelsbeziehungen geregelt wurden.[17] Dadurch wurde seitens der EG den besonderen wirtschaftlichen Beziehungen, die Frankreich zu seinen ehemaligen Kolonien und Protektoraten unterhielt, Rechnung getragen.

Nachdem die Ära der Kolonialreiche mit dem Abschluss des von den nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika erfolgreich geführten Dekolonisierungsprozesses zu Ende gegangen war, versuchten die französischen Regierungen der V. Republik, die Grundlage für fortdauernde Präsenz und Einfluss in Nordafrika zu schaffen. Dabei fühlte sich Frankreich „einer langfristigen Mission postkolonialer Entwicklungszusammenarbeit“ verpflichtet[18]. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Frankreich bei dieser wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den ehemaligen abhängigen Gebieten, die später mit der EWG und den westeuropäischen Staaten auf der einen und den Maghreb-Staaten auf der anderen Seite fortgesetzt wurde, von einer coopération privilégié[19] sprach .

Für manche Beobachter war diese wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Übernahme der

privilegierten Beziehungen“ mit den nordafrikanischen Staaten durch die EG-Staaten nichts anderes als die Fortsetzung der alten Abhängigkeitsverhältnisse in einem partnerschaftlichen Rahmen und sah dies als eine Fortsetzung kolonialer Politik mit anderen Mittel.[20]

Die weitreichenden Abkommen über eine wirtschaftliche Zusammenarbeit, die schon Mitte der siebziger Jahre den Ländern im Maghreb und Maschrek einen freien Zugang zum europäischen Markt für Industrieerzeugnisse, Zollpräferenzen für die wichtigsten Agrarerzeugnisse sowie finanzielle Hilfe ermöglichten, führten zu einem beeindruckenden Anstieg des Handels zwischen Europa und den Mittelmeerländern.[21]

Allerdings kann man die Partnerschaft mit den südlichen Nachbarn nicht nur vor dem Hintergrund des kolonialen Erbes erklären, sondern ihr lag seit den siebziger Jahren ein theoretisches Konzept zugrunde, das bis heute die Gestaltung der Außenbeziehungen der EU bestimmt.

Damals sprach Francois Duchene von der Zivilmacht Europa, das nun das Zentrum ziviler Macht im internationalen System werde und deshalb seine zivile und friedenspolitische Potenziale weiter entwickeln sollte[22]. Das friedliche Verhältnis der europäischen Staaten untereinander als Ausgangspunkt veranlasste andere Autoren zu weiteren Überlegungen über das entworfene Zivilmachtkonzept, das nun auch auf die außenpolitischen Beziehungen der EG/EU zu Drittländern ausgedehnt wurde[23].

Um den auch nach dem Zweiten Weltkrieg bestehenden „ Animositäten“ zwischen konkurrierenden EG-Staaten entgegen zu wirken und die Renaissance von aggressiven Nationalismen in Europa zu verhindern, gelang es der EG/EU als Zivilmacht einerseits durch einen vertieften europäischen Integrationsprozess und andererseits durch zunehmende Verflechtung der politischen und ökonomischen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten einen wieder aufflammenden Krieg in Europa unmöglich zu machen.

Im Kern des weiterentwickelten und modernen Zivilmachtkonzepts steht jedoch nach Jünemann und Schörnig eine Reihe von Kriterien, die ebenfalls in den Methoden, Strategien und Zielen der neuen Mittelmeerpolitik der EU leicht zu erkennen sind:

- Bewusster Verzicht auf die Methoden klassischer Machtpolitik: Im Mittelmeerraum ist die EU von Nachbarstaaten umgeben, die Gefahrenpotenziale und Destabilisierungsrisiken aufweisen. Im Umgang mit diesen Entwicklungen räumt die EU den friedensstiftenden Effekten des politischen Dialogs und der wirtschaftlichen Kooperation Priorität ein. Der Einsatz militärischer Machtmittel wird dabei nicht vollkommen ausgeschlossen, sondern nur als Ultima ratio angesehen.[24]
- Aktiver Einsatz für die Zivilisierung von zwischenstaatlichen Beziehungen: Dieser Überlegung liegt die Annahme zugrunde, dass die weitgestreckte Vernetzung der internationalen Beziehungen durch ein die Staatengemeinschaft umfassendes System von Regelungen und Institutionen auf internationaler Eben den Ausbruch von Kriegen verhindert, während die politische und ökonomische Verflechtung eine gerechte Verteilung von Ressourcen bewirkt und somit eine gewaltsame Austragung von Ressourcenkonflikten verhindert.[25]
- Förderung von Demokratie und Menschenrechten: In diesem Kriterium kommt das normative Leitbild des Zivilmachtkonzepts zum Ausdruck, das den Theorien des demokratischen Friedens nahe steht. Demzufolge sollten die sicherheitspolitischen Überlegungen seitens demokratischer Staaten (Friedensstiftung /Krisenmanagement) auf Demokratisierung basiert sein als die beste Befriedigungsstrategie, weil Demokratien untereinander keinen Krieg führen.[26]

Allerdings darf man bei der Betrachtung dieser Kriterien einerseits nicht vergessen, dass sie eher dem Profil eines idealtypischen Bilds entsprechen, das dem Verhalten einer Zivilmacht nach dem hier beschriebenen Kriterienkatalog Orientierungshilfe bieten sollte. Andererseits vermisst man in den Dokumenten und Deklarationen der EU im Rahmen der euro-mediterranen Partnerschaft nicht solche „idealtypische“ Formulierungen, wenn man die selbst gesteckten Ziele und verfolgte Mittelmeerstrategie zur Realisierung eines „geteilten Friedens und Wohlstands“ unter die Lupe nimmt. In den Augen von Beobachtern ist das nichts anderes als Zweckoptimismus,[27] der nicht nur falsche Perspektiven und unrealistische Erwartungen bei den armen Völkern an der Schwelle Europas hervorrufen würde, sondern unter Verzicht auf klassische machtpolitische Instrumente die Durchsetzung von ökonomischen und politischen Interessen (Öffnung der Märkte, außenpolitische Einflussnahme und Demokratisierung) mit minimalen Kosten ermöglicht.

2.2 Die geostrategische Bedeutung des Mittelmeerraums

Auf den Mittelmeerraum sind die Großmächte keineswegs erst mit dem Ausbruch des kalten Kriegs aufmerksam geworden. Schon 1902 vertrat der amerikanische Admiral Alfred Mahan die Einsicht, dass ein konflikthafter Zustand in den Subregionen des Mittelmeers nur vermieden werden könne, wenn die ganze Region in den Herrschaftsbereich einer dominierenden Macht einbezogen werde[28]. Während des Kalten Kriegs aber gewann diese Ansicht an Bedeutung. Mit dem Aufbau der US-Luftwaffenstützpunkte im Maghreb und der Sicherung der Südflanke durch die Nato-Stützpunkte gelang es der westlichen Allianz, ihre Dominanz gegenüber der Sowjetunion geltend zu machen. Dabei spielte nicht nur die Containment -Politik eine Rolle, sondern auch die soliden Handelsbeziehungen

(coopération privilégiée) der südlichen und östlichen Länder des Mittelmeers mit der EG haben die Dominanz der USA in der Region begünstigt.

Was die Mittelmeerpolitik der EU betrifft, so bezieht sie sich heute definitorisch auf die Drittländer im Mittelmeerraum und umfasst die südlichen und östlichen Nachbarländer der EU, mit denen diese vertragliche Handelsbeziehungen unterhält.

Zwar richten sich nun die Mittelmeerinitiativen der EU auf die gesamte Region, doch konzentrierten sich die Bemühungen der Europäischen Kommission anfänglich auf die Maghrebregion, die auf Grund der kolonialen Geschichte und zahlreicher kultureller Verbindungen stark auf Europa ausgerichtet ist.

Sowohl die weitere Verflechtung der Beziehungen mit den Maghrebstaaten, als auch die zunehmenden Gefahrenpotenziale im Mittelmeerraum insgesamt forderten ein Umdenken bei den nordeuropäischen Ländern, vor allem der Bundesrepublik, die bis zum Ende der Bipolarität nur die südlichen europäischen Staaten von den zahlreichen Problemen im Mittelmeer betroffen sah.

Doch spätesten bis zur Ölkrise und mit dem Ausfall der wichtigsten Route für die westliche Ölversorgung, als der Suez-Kanal geschlossen wurde, wurden sich die Europäer nicht nur ihrer Energieabhängigkeit schmerzhaft bewusst, sondern es war ihnen auch klar geworden, wie vital das Mittelmeer für die Interessen Europas war (und ist), als es im Gefolge des vierten israelisch-arabischen Kriegs im Herbst 1973 zu einem Ölboykott kam.

Die Mittelmeerpolitik[29] war infolgedessen wieder gefragt und setzte den Rahmen für eine europäische Initiative, die den euro-arabischen Dialog aus der Taufe hob. Mit ihm sollte die Mittelmeerpolitik umfassender werden und sich dabei gleichermaßen um die südliche und östliche Seite des Mittelmeerraums kümmern, da die „ Unruhenzone Mittelmeer“ und insbesondere die explosive Lage im Nahen Osten als Teil des Problempakets der Weltpolitik negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Industrieländer der EG/EU hatte.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in Europa ein Bewusstsein, das Strategien und Konzepte für notwendig hält, um den nach dem Zusammenbruch des Kommunismus aus dem Süden kommenden Sicherheitsrisiken für den alten Kontinent entgegen zu wirken. Anlässlich der zu diesem Zweck initiierten internationalen Konferenz in Barcelona im Oktober 1991, zu der Politiker, Wissenschaftler sowie Vertreter der Medien und Wirtschaft aus den Anrainerstaaten und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft eingeladen waren, erklärte der Leiter der Forschungsgruppe Europa, Werner Weidenfeld, dass es notwendig und im Interesse Europas sei, sich um diese Region zu kümmern: „Europa hat nicht die theoretische oder abstrakte Alternative, ob es sich denn dieser Region mit besonderer Aufmerksamkeit widmen will oder nicht, es geht hier im Grunde für Europa um eine existentielle Problemlösung im eigenen Interesse. Wenn Europa zu spät aufwacht, wird es von den Problemen überrollt.“[30]

3 Die Mittelmeerpolitik: Regionale und globale Herausforderungen

3.1 Wandel im internationalen System

Im Mittelmeerraum waren die MDL die größten Nutznießer des Kräftegleichgewichtes und der Konkurrenz der beiden Großmächte in der Region. Politisch motivierte Finanzhilfen erlaubten ihnen sogar, sie gegeneinander auszuspielen. Dabei war die Rolle der EG aus dem Hintergrund des globalen Nullsummenspiels unbedeutend, und ihr Einfluss in der Region war eher gering.

Doch nach dem Zusammenbruch dieses Ordnungssystems hat sich zunächst eine neue politische Sicherheitslage entwickelt, die die EG vor eine neue Herausforderung stellte. Viele lokale, ethnische und religiöse Konflikte, die vom Kalten Krieg überdeckt worden waren, sind Anfangs der 1990er Jahre ausgebrochen und dominierten nun die Konfliktstrukturen im Mittelmeer. Zwar ließen sich die Gründe dieser religiösen und ethnischen Auseinandersetzungen durch die sozioökonomische Situation der Bevölkerung erklären[31], die auf die ungerechte Güterverteilung zwischen der herrschenden Klasse und der breiten Masse der Bevölkerung, verstärkt noch durch die Wirtschaftkrise der 1980er Jahre in den MDL, zurückzuführen ist. In der europäischen Perzeption werden jedoch die Gründe dafür in einem sich politisierenden Islam gesehen[32], der als politischer Faktor in der internationalen Politik eine zunehmende Bedrohung für den aus dem Kalten Krieg gestärkt hervorgegangen Westen darstellen sollte.

Was die europäische Mittelmeerpolitik bis zum Anfang der 90er Jahre anbelangt, so erwies sich der stark auf wirtschafts- und handelspolitische Zusammenarbeit angelegte „Globale Ansatz“ der EG als unwirksam. Mit Hilfe von Assoziationsabkommen gelang es der EG nicht, den Entwicklungsabstand zwischen den MDL und den Staaten der Gemeinschaft zu reduzieren.[33]

Aufgrund der mangelnden politischen Zusammenarbeit in der Kooperation mit den MDL, deren Regierungen jede Initiative seitens der EG/EU zur Öffnung der autoritären Regime in fast allen Staaten des südlichen Mittelmeerraums als koloniale Einmischung in die inneren Angelegenheiten ablehnen, konnte die EG/EU ihre Demokratisierungsmaßnahmen nicht durchsetzen und kaum Verbesserungen in den Menschenrechtsfragen erzielen.

Infolgedessen kann abschließend festgestellt werden, dass die Bilanz europäischer Mittelmeerpolitik seit ihrer Genese ihre Ziele weit verfehlte und dass nun angesichts der explosiven Lage in der Region eine neue und effizientere Mittelmeerstrategie nötig geworden ist.

3.2 Der europäische Integrationsprozess

Die neu veränderten Rahmenbedingungen im globalen Rahmen hatten nicht nur Auswirkungen auf die Außenbeziehungen der EG/EU, die vor allem in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas aktiv gestaltend einzuwirken versuchte, sondern auch auf die internen Entwicklungen Europas. Der europäische Integrationsprozess erlebte in dieser Zeit die bedeutendesten Entwicklungsphasen seiner Geschichte, die für die Zukunft Europas als internationaler Akteur entscheidend waren.

Obwohl man Anfang der 1990 nicht von einer europäischen Stimme sprechen konnte, doch bahnte sich mit dem Vertrag über die Europäische Union und der Installierung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eine Entwicklung hin zu einem gemeinsamen und geschlossenen Auftreten an. Damit beabsichtigte die EU eine gemeinsame Deklarations- und Demarchenpolitik und ein geschlossenes Auftreten in internationalen Konferenzen.

Für die euro-mediterranen Beziehungen waren die stufenweise Vertiefung der EG/EU von großer Bedeutung, weil die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), die jetzt beschlossene GASP, und das Schengener Abkommen als wichtige Stufen des europäischen Einigungsprozess ihr Zustandekommen ermöglichten.[34]

Nun standen die MDL vor neu veränderten Rahmenbedingungen in den internen Strukturen des EU-Systems, die mit der Kompetenzverlagerung an die supranationale Ebene innerhalb der EU, deren Sonderbeziehungen zu den einzelnen Mitgliedstaaten an Bedeutung verloren. Zugleich gewannen die Kommission und das Europäische Parlament (EP) mit den von den Mitgliedstaaten abgetretenen Entscheidungskompetenzen an mehr Einfluss in den Außenbeziehungen, so dass die Prioritätensetzung, wie in der Frage der Demokratisierung, in den euro-mediterranen Beziehungen neu festgelegt wurde.

Die Organisation der Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission in den Außenbeziehungen sind damit zwar übersichtlicher geworden, weil die Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinschaft nur auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission entscheiden können, doch sie verfügen auf einer anderen Ebene immer noch über größere Freiräume für separate nationale Aktionen, ein unbegrenztes Initiativrecht und ein Vetorecht innerhalb der GASP, so dass dieser Dualismus des EU-Systems

- wirtschaftliche Außenbeziehungen liegen im Kompetenzbereich der Kommission und des Rates im Rahmen des supranationalen EG-Gefüges, während alle außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten in den intergouvernementalen Rahmen der GASP fallen - als institutionelles und verfahrensmäßiges Problem in den internen Strukturen der EU die Neugestaltung der Mittelmeerpolitik schwieriger macht.[35]

Die MDL müssen sich insofern nicht nur auf die strukturellen Probleme der außenpolitischen Politikgestaltung im EU-Mehrebenensystem[36] einstellen, sondern sie sehen sich mit unterschiedlichen Interessen der zahlreichen Akteure innerhalb der EU konfrontiert. Während zum einen die Kommission den Erfolg ihrer Arbeit von den Forschritten in den vertraglichen Beziehungen mit den MDL zur Errichtung einer umfassenden Europa-Mittelmeer- Partnerschaft abhängig macht, die auf die Schaffung einer Feihandelszone abzielt, stehen für den Europäischen Rat stabilitätspolitische Kriterien im Vordergrund. Zum anderen sind die die ökonomischen Interessen der EU-Mitgliedstaaten von größerer Bedeutung. In den Verhandlungen mit den südlichen Partnerstaaten über Assoziationsabkommen, die von der Kommission ausgehandelt werden, erwarten sie Fortschritte in der Öffnung von Märkten und Stabilisierung der sozioökonomischen Situation der MDL, während aber das EP die Akzente auf die Demokratisierungsprozesse und Verbesserungen in den Menschenrechtsfragen setzt und den Fortschritt in diesem Bereich als zentrales Kriterium für den Erfolg der euro-mediterranen Partnerschaft sieht.

Die Komplexität der EU-Strukturen erhöht sich noch durch den Umstand, dass die Gemeinschaft für neue europäische Mitglieder aus dem Norden, Osten und Süden Europas

offen ist, so dass nach ihren Beitritt in die EU die komplexen Entscheidungsprozesse im EU- Mehrebenensystem kaum nachvollziehbar sind.

Bei dem sich vollziehenden Integrationsprozess in der EU war nicht nur die Vertiefung, sondern auch die Erweiterung der EG/EU für die Genese der Euro-Mediterranen Partnerschaft entscheidend. Einerseits erweiterten sie den Wirkungsbereich der Mittelmeerpolitik sowohl nach Norden (Norderweiterung 1995) als auch nach Süden, weil die im Rahmen der Partnerschaft mit den Mittelmeerpartnern verabschiedeten Beschlüsse nun auch für nordeuropäischen Mitgliedstaaten gelten. Für die MDL blieb jedoch die Norderweiterung ohne negative Auswirkungen auf ihre Handelsbeziehungen mit der EU, da diese keineswegs in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen.

Andererseits jedoch führte die Süderweiterung bereits bei den Aufnahmeverhandlungen zu nicht unbegründeten Befürchtungen und weitreichenden Vorbehalten seitens der Maghrebstaaten[37], die sich zum Teil bewahrheiten sollten.

Die negativen Auswirkungen der Süderweiterung auf die Handelsinteressen der MDL machten sich schnell bemerkbar, als die Preise volkswirtschaftlich wichtiger Güter durch die im Rahmen des europäischen Binnenmarkes hervorgerufene Überproduktion fielen. Dieser durch Subventionen noch verstärkte Preisverfall kam den EU- Mitgliedstaaten zwar gelegen, weil die EG/ EU damit eines ihrer Gründungsziele, nämlich die sichere Versorgung der europäischen Bevölkerung mit Agrargütern, erreichte, setzte aber die vorwiegend auf der Landwirtschaft basierenden Volkswirtschaften der Maghreb- und Maschrekstaaten zusätzlich unter Druck.

Abschließend kann man mit Recht behaupten, dass der Integrationsprozess als Bedingungsfaktor für die Neuorientierung der Mittelmeerpolitik keineswegs für die MDL von Vorteil war. Es ist somit nachvollziehbar, dass man schon damals, als sich vor allem die südeuropäischen Mitgliedstaaten für einen neuen Ansatz in den euro-mediterranen Beziehungen einsetzten, von einer Vernachlässigung der europäischen Mittelmeerpolitik im Hinblick auf das deutsche Engagement zugunsten osteuropäischer Staaten sprach, deren Fortsetzung sowohl durch die strukturellen Probleme im EU-System als auch wegen der zum Nachteil der MDL vollzogenen Süderweiterung zusätzlich erschwert wurde.

[...]


[1] Lesourd, Jean-Alain: Mittelmeer. In: Europarat und Internationale Schulbuchinstitut (Hrsg.), Grundbegriffe der Geschichte. Gütersloh 1964, S. 239f.

[2] Reissner, Johannes: Christliches Abendland und islamischer Orient: Probleme des Dialogs zwischen den Kulturen, in: Wulfdiether Zippel (Hrsg.), Die Mittelmeerpolitik der EU. 1. Aufl., Baden-Baden, 1999. S. 11.

[3] Vgl. Nigel, Bagnal: Rom und Karthago. Kampf um das Mittelmeer. Berlin 1995. Und Franz Hampl: Vorgeschichte des ersten und zweiten punischen Kriegs. In: Hildegard Temporini (Hrsg.), Von den Ausgängen Roms bis zum Ausgang der Republik. Berlin, New York 1972.

[4] Reissner, Johannes: a.a.O, S. 11.

[5] Vgl. Haverkamp, Alfred: Die Araber als Vermittler antiker Wissenschaft. In: Maria Haarmann (Hrsg.),

Der Islam. Ein historisches Lesebuch. München 1995, S. 216ff.

[6] Blaschke, Björn: Der Orient im Okzident. Streifzüge durch die islamische Tradition Europas, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 12/2001 S. 1481-1491.

[7] Haverkamp, Alfred: a.a.O., S. 217.

[8] Blaschke, Björn: a.a.O., S. 1496.

[9] Vgl. Detlef Puhl: Die Mittelmeerpolitik der EG. Strukturschwächen des EG-Systems bei der Verwirklichung des Globalkonzepts, Baden Baden 1983.

[10] Die noch im Laufe dieses Jahrs erscheinende Monographie soll die aktuellsten Entwicklungen der euro-mediterranen Beziehungen liefern: Jünemann Annette: Die Euro-Mediterrane Partnerschaft. Bilanz und Perspektiven eines Modells zur zivilen Gestaltung der europäischen Außenbeziehungen. Nomos Verlagsgesellschaft, Aktuelle Materialien zur Internationalen Politik, Baden Baden 2004.

[11] Zu erwähnen sind insbesondere die Sammelbände von Gillespie 1997, Zippel 1999.

[12] Jacobs/Masala 2000

[13] Hier sind vorwiegend südeuropäische Forschergruppen um Roberto Aliboni zu nennen, die im Rahmen von Forschungsprojekten des Instituto Affari Internationali in Rom und der französischen Zeitschrift Défence nationale politisch-strategische Studien liefern.

[14] Hierbei sind insbesondere der Text von Masala, Die Euro-Mediterrane Partnerschaft, und die Untersuchung von Calleya, Is the Barcelona Prozess Working?

[15] Siehe dazu ausführlich Curbach, Janina 2003.

[16] Rhein, Eberhard: Europa und der Mittelmeerraum, in: Werner Weidelfeld (Hrsg.), Europa-Handbuch, Bd. 359. Bonn 1999, S. 692.

[17] Ruf, Werner: Möglichkeiten einer konstruktiven Sicherheitspolitik zwischen Europa und dem Maghreb, in: Deutsch-französisches Institut (Hrsg.), Frankreich Jahrbuch 1997, Opladen 1997, S. 117.

[18] Clam, Jean-Josef: Frankeichs Maghrebpolitik, in: Helmut Hubel (Hrsg.) Nordafrika in der internationalen Politik. Probleme und Zukunft der südlichen Nachbarregion Europas. München 1988, S. 153.

[19] Fund, Sven: Grammatik (en) der Macht. Die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union und die Zentralamerika-Politik der USA. Opladen 2002, S. 203.

[20] Ebd. Fund, Sven. S, 203.

[21] Rhein, Eberhard: Europa und der Mittelmeerraum, a.a O., S. 693.

[22] Vgl. Duchene, Francois: Europ’s Rolle in the World Peace. In: Richard Mayne (Hrsg.), Europe Tomorrow. Sixteen Europeans Lock Ahead. London 1972, S. 31-47.

[23] Eine einheitliche Definition des Zivilmachtkonzeptes fehlt bis heute. Die Auseinandersetzungen mit diesem Konzept führten zu unterschiedlichen Positionen, die die widersprüchlichen Facetten des Zivilmachtkonzeptes widerspiegeln: Während die einen die fehlende Fähigkeit, eine Konfliktregelung durch den Einsatz militärischer Mittel durchzusetzen, als eine Bedingung der Zivilmacht sehen, wollen die anderen die Evaluierung eines Zivilmacht-Status nur anhand eines Kriterienkatalogs erreichen, in dem das normative Leitbild bei der Gestaltung der außenpolitischen Beziehungen den Charakter der Zivilmacht ausmacht. Vgl. Jünemann, Annette/ Schöring Niklas: Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der „ Zivilmacht“ Europa“. Ein Widerspruch in sich? In: HSFK-Report 13/2002.

[24] Annette, Jünemann/Niklas, Schöring: Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der „ Zivilmacht“ Europa, a.a.O., S. 5.

[25] Ebd. Annette, Jünemann/Niklas, Schöring, a.a.O., S. 6.

[26] Ebd. Annette, Jünemann/Niklas, Schöring, a.a.O., S. 6.

[27] Vgl. Zaafrane, H/ Mahjoub, A: The Euro-Mediterranean Free Trade Zone: Economic Challenge and Social Impacts on the Countries of the South and East Mediterranean. In: A. Vasconcelos and G. Joffé (Hrsg.), The Barcelona Process. Mediterranean Politics 5 (2000) H. 1, Special Issue, S. 9-32.

[28] Faath, Sigrid: Hintergründe und Ziele des Partnerschaftsprojektes USA-Maghreb, in: Thomas Koszinowski/Hanspeter Mattes (Hrsg.), Nachost Jahrbuch 1999, Opladen 2000, S. 213.

[29] In ihrer Mitteilung an den Rat vom 23. September 1972 (Schriftliche Anfrage Nr. 87/72, Amtsblatt Nr. C 97/7) griff die Kommission den Terminus „ Mittelmeerpolitik “ auf und definierte ihn als Ausdruck des neuen Bewusstseins, den nun die EG-Staaten bei der Aufnahme von Verhandlungen zur Mittelmeerpolitik in der Region als Ganzer aufweisen. Damit wurde der Einschätzung, dass die Zusammenarbeit mit den südlichen und östlichen Nachbarn im Mittelmeerraum einer strukturierten und koordinierten gemeinsamen Politik bedürfe, Rechnung getragen.

[30] Weidenfeld, Werner: Europas Nachbarn im Süden – Aufgaben und die Ziele der europäischen Politik, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.) Herausforderung Mittelmeer: Aufgaben, Ziele und Strategien europäischer Politik, Gütersloh 1992, S. 30.

[31] Jünemann, Annette: Europas Mittelmeerpolitik im regionalen und globalen Wandel: Interessen und Zielkonflikte. In: Wulfdiether Zippel (Hrsg.), Die Mittelmeerpolitik der EU. 1. Aufl., Baden-Baden, 1999, S. 35f.

[32] Ebd. Jünemann, Annette. S. 35f

[33] Masala, Carlo: Die Euro-Mediterrane Partnerschaft. Geschichte-Struktur-Prozess. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Zei Discussion Paper, C 68/2000, S. 10.

[34] Jünemann, Annette: Europas Mittelmeerpolitik im regionalen und globalen Wandel: Interessen und Zielkonflikte, a.a.O. S. 31.

[35] Monar, Jörg: Die interne Dimension der Mittelmeerpolitik der Europäische Union: Institutionelle und verfahrensmäßige Probleme. In: Wulfdiether Zippel (Hrsg.), Die Mittelmeerpolitik der EU. 1. Aufl., Baden-Baden, 1999, S. 65-75.

[36] Vgl. Annette, Jünemann: Auswärtige Politikgestaltung im EU-Mehrebenensystem. Eine Analyse der strukturellen Probleme am Beispiel der Euro-Mediterranen Partnerschaft. In: Muller-Brandeck-Bocquet, Giesela/Schubert, Klaus (Hrsg.): Die Europäische Union als Akteur der Weltpolitik. Opladen 2000, S. 65-80.

[37] Fund, Sven: Grammatik (en) der Macht, a.a.O. S. 237.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union und die Euro-Mediterrane Partnerschaft: Herausforderungen und Perspektiven des Barcelona-Prozesses seit November 1995
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Politisches Seminar)
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
79
Katalognummer
V30287
ISBN (eBook)
9783638315760
ISBN (Buch)
9783656753667
Dateigröße
865 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mittelmeerpolitik, Europäischen, Union, Euro-Mediterrane, Partnerschaft, Herausforderungen, Perspektiven, Barcelona-Prozesses, November
Arbeit zitieren
MA Youssef Fargane (Autor:in), 2004, Die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union und die Euro-Mediterrane Partnerschaft: Herausforderungen und Perspektiven des Barcelona-Prozesses seit November 1995, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30287

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