Sprachkompetenz bei Kindern aus bildungsfernen Familien. Wie wirkt sich soziale Benachteiligung auf Sprache und Bildung aus?


Hausarbeit, 2012

35 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Wer ist „Bildungsfern“ oder „Bildungsarm“?
Begriffsdefinitionen
Der Zusammenhang von „Bildungsferne“ und „Armut“
Bildungsferne und Schule

Wie kennzeichnet sich Bildungsarmut im Alltag?

Die Sprachentwicklung des Kindes

Wie kann ein bildungsfernes Milieu die Sprachentwicklung beeinflussen?

Mögliche Ursachen der Sprachanwendung

Fördermöglichkeiten /Mögliche Hilfen
Für Eltern
Für Kinder

Fazit

Literatur

Internetquellen

Anhang

Anmerkung:

Die in den folgenden Kapiteln beschriebenen Theorien beziehen sich auf bildungsferne Familien der unteren sozialen Schicht mit niedrigem sozio-ökonomischen Status.

Einleitung

Für unsere Gesellschaft ist Bildung und Bildungserfolg von großer Bedeutung. Bildung bedeutet für die Mitglieder der Gesellschaft einen erfolgreichen Verlauf der schulischen Laufbahn, möglicherweise ein Studium und einen aussichtsreichen Berufsstart. Bildung dient der Existenzsicherung und ermöglicht Familien die Partizipation an gesellschaftlichen Unternehmungen, kulturellen Ereignissen und am sozialen Miteinander. Doch auch in einer Bildungsgesellschaft sind soziale Ungleichheiten und Personengruppen, die aus dem Raster fallen und die man als „Bildungsfern“ bezeichnet, zu finden. „Die Verteilung der materiellen und immateriellen Güter ist (…) durch eine erhebliche Ungleichheit gekennzeichnet“ (Hurrelmann 2002, S.171). Diese Ungleichheit macht sich auch verstärkt in den Kindertageseinrichtungen bemerkbar. Kindern aus solchen sozial-, finanziell- und bildungsbenachteiligten Familien fallen häufig in den Kindertagesstätten nicht nur durch ihr äußeres Erscheinungsbild auf. Auch in anderen Bereichen, z.B. der Sprachkompetenz, unterscheiden sie sich von den Kindern der sozialen Mittel- und Oberschicht. Nach der ersten Pisa-Studie 2000 ist die Sprachförderung besonders im Elementar- und Grundschulbereich in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt, die gesellschaftliche Bedeutung von Kindertageseinrichtungen als „erste Bildungseinrichtung“ für Kinder ist unbestreitbar, besonders wichtig sind die Verbesserung der Sprachkompetenz und die Förderung benachteiligter Kinder.

Doch warum sind diese Auffälligkeiten, besonders im sprachlichen Bereich, hauptsächlich gehäuft bei sozial schwachen Familien und Elternhäusern zu beobachten? Unterscheiden sich das Aufwachsen, die Kindheit und das Erziehungsverhalten in „bildungsfernen“ und „armen“ Elternhäusern von dem der „normalen“ Familien? Kann eine soziale Benachteiligung oder Bildungsferne einer Familie sich auf kognitiven Leistungen, Kompetenzerwerb und sogar die sprachliche Entwicklung von Kindern auswirken? Besteht möglicherweise ein Zusammenhang zwischen einem bildungsfernen Milieu und der Sprachanwendung?

Wie wirkt sich ein bildungsarmes Elternhaus auf die Anwendung der Sprache des Kindes aus?

Ziel dieser Theoriearbeit ist die Überprüfung eines möglichen Zusammenhanges zwischen einem sozial schwachen und bildungsfernen Elternhaus und dem Sprachgebrauch der Kinder dieser Familien. Der erste Teil des Textes definiert grundlegende Begriffe und versucht, einen Zusammenhang von Armut und Bildungsferne herzustellen sowie die weiteren Konsequenzen in der Schullaufbahn aufzuzeigen. Der Text stellt Bereiche vor, in denen bildungsferne Familien im Alltag Einschränkungen erfahren können, verdeutlicht die Schwierigkeiten und versucht Ursachen und Anzeichen zu erklären. Der zweite Aspekt der Arbeit behandelt den Verlauf der kindlichen Sprachentwicklung und unternimmt den Versuch, die Sprachanwendung bildungsferner Familien und deren Kinder zu deuten. Abschließend erfolgt eine Analyse, die einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Aufwachsen in einem bildungsarmen Umfeld und die angewendete Sprache der Kinder herstellt.

Wer ist „Bildungsfern“ oder „Bildungsarm“?

Die Begriffe „bildungsfern“, „bildungsarm“, oder „bildungsbenachteiligt“ finden sich oft im Zusammenhang mit den Begriffen „Armut“, „niederer sozio-ökonomischer Status“ und „untere sozialen Schichten“. Besonders bei dieser sozialen Schicht scheint ein verstärkter Bildungsmangel zu existieren. Doch wie sind diese Begriffe genau definiert? Im Anschluss folgen erklärende Definitionen aus der Literatur, um die Begrifflichkeiten kennen zu lernen und dem weiteren Textverlauf verstehen zu können.

Begriffsdefinitionen

Bildungsarmut: „Die Schule ohne Abschluss zu verlassen oder keine Berufsausbildung abgeschlossen zu haben gehört zu den Definitionen von Bildungsarmut“ (Quenzel/Hurrelmann 2010, S. 11). Der Bildungsbereich unterscheidet zwischen absoluter Bildungsarmut (Nicht-Erreichen eines Mindeststandards, z.B. minimaler Schulabschlusses/Alphabetisierung) und relativer Bildungsarmut, die sich auf eine Positionierung in einem Verteilungsspektrum bezieht und zwischen den zwei Bildungsdimensionen zertifikate/formale Bildung (dokumentiert Bildungsabschlüsse oder Kompetenzen durch Zeugnisse) und Leistungsfähigkeit (muss nicht mit zertifizierten Fähigkeiten übereinstimmen), unterscheidet (vgl. Quenzel/Hurrelmann 2010, S. 38).

Armutsgefährdung: Nach EU-Definition ist eine Person armutsgefährdet, „wenn sie nach Einbeziehung staatlicher Transferleistungen ein Einkommen von weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung des Landes, in dem sie lebt, zur Verfügung hat“ (www.destatis.de).

Armut: Die Betrachtung erfolgt „jeweils in Relation zum durchschnittlichen Lebensstandard in der Bundesrepublik“. Relative Armut bezeichnet “Personen oder Familien (Haushalte), die über nur so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in der Bundesrepublik als unterste Grenze des Akzeptablen annehmbar ist“. Mit absoluter Armut „ist ein Niveau des Lebensstandards bezeichnet, unterhalb dessen die unumgänglich lebensnotwendigen Grundlagen (Essen, Kleidung und Wohnen) fehlen“, lebensnotwendige Grundlagen sind nicht auf Dauer und in ausreichendem Maße gesichert (vgl. Klocke/Hurrelmann 2001, S. 11f).

Sozioökonomischer Status: Der sozioökonomische Status „drückt die relative Position im gesellschaftlichen Gefüge von Privilegien und Wohlstand aus“ und lässt sich nach finanziellen Ressourcen, Bildungs- und gesellschaftlichem Anerkennungsgrad bestimmen. Die Gesellschaftsmitglieder lassen sich, je nach erreichter Menge von Statuswerten, der Ober-, Mittel- oder Unterschicht zuordnen und verfügen über ungleiche Lebensbedingungen (vgl. Hurrelmann 2006, S. 26f).

Soziale Schicht: Teilgruppe der Gesellschaft, deren Mitglieder bestimmte gemeinsame Merkmale besitzen und sich dadurch von anderen Teilgruppen nach ihrer Position in der Sozialstruktur unterscheiden.

Unterschicht: „Die Zugehörigkeit zur untersten Herkunftsschicht (Unterschicht) bedeutet, dass in so gut wie allen Fällen beide Elternteile, sofern vorhanden, maximal über einen Hauptschulabschluss verfügen“ (World Visions Deutschland e.V. 2010, S. 75).

Brennpunkte: „Soziale Brennpunkte sind Wohngebiete, in denen Faktoren, die die Lebensbedingungen ihrer Bewohner und insbesondere die Entwicklungschancen von Kindern (…) negativ bestimmten“ (Breitfuss/Dangschat zitiert Deutscher Städtetag, 1979, S. 12).

Der Zusammenhang von „Bildungsferne“ und „Armut“

In der Öffentlichkeit, dem Medien und der Literatur stößt man häufig auf die Begriffe „Armut und „Bildungsferne“ in einem Zusammenhang. Selten findet sich eine Erklärung, warum sie in einer Beziehung zueinander stehen und sich gegenseitig bedingen. Es scheint eine Wechselwirkung zwischen den beiden Umständen zu geben. Das Bildungsniveau der Eltern entscheidet über ihre möglichen Berufaussichten und die daraus folgenden finanziellen Mittel. Ein niedriges Bildungsniveau oder fehlende Bildungsabschlüsse der Eltern verhindern eine qualifizierte Beschäftigung und können zu sozialem Abstieg und Armutslagen führen. „Niedrige Bildung der Eltern und deren damit einhergehende geringe Arbeitsmarktintegration erhöht das Armutsrisiko der Kinder“ (Wittmann/Rauschenbach/Leu 2011, S.100). Materielle Armut ist oft die Folge geringer Bildung und kann zu schlechteren Bildungschancen führen (Quenzel/Hurrelmann 2010, S. 181).

Eine prekäre Wohnumgebung, ein niedriger sozialer Status und eine schlechte sozioökonomische Lage können die gesamte Familie in die Position einer sozialen Randgruppe drängen, die gesellschaftliche Exklusion ist vorprogrammiert. Kinder wachsen in Armutsfamilien häufiger in sozial belasteten Nachbarschaften und beengten Wohnverhältnissen auf. Dazu kommt, dass Eltern deprivierter Familien ein vergleichsweise geringes Bildungsniveau und geringe sozio-kulturelle Orientierungen haben (vgl. Grundmann 2001, S. 210). Niedrige Bildung geht mit ansteigenden Exklusionsrisiken einher, Menschen mit niedrigen Bildungsniveau und fehlenden Berufsabschlüssen sind oft von gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen (vgl. Quenzel/Hurrelmann 2010, S. 55-56). Die genannten Faktoren verringern wiederum erneut die Bildungschancen der Kinder, benachteiligen auch sie in ihren weiteren Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten und drängen sie in eine Armutsspirale. Die bildungsarme Elterngeneration „vererbt“ die gleiche Situation in die nächste Generation ihrer Kinder. Vermutlich lässt dich die Reproduktion der Ungleichheit von einer Generation zur anderen auf die Erziehungs- und Sozialisationsfunktionen der Familie zurückzuführen. Die soziale Position der Familie wird meist an die Kindergeneration weitergegeben (vgl. Hurrelmann 1990, S.107).

Die Übergänge und Abstufungen von „Bildungsferne“ zu „Armut“ sind gering und verlaufen oft fließend. Beide Umstände bedingen sich gegenseitig und stehen in einer Wechselwirkung miteinander. Es ist davon auszugehen, dass Armut längerfristig auch zu Bildungsferne und Bildungsferne zu Armut führt. „Dennoch besteht eine hohe Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg“ (Iben/Katzenbach 2010, S. 11). „Armut bringt nachteilige Konsequenzen für die Entwicklung der Kinder in Bezug auf Selbstbild, Problemverhalten, Sozial- und Intelligenzentwicklung (…) mit sich“ (Hurrelmann 2006, S. 29).

Die KiGGS-Studie zeigte, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien unter anderem in einem ungünstigen Familienumfeld aufwachsen und geringere personale, soziale und familiäre Ressourcen besitzen (vgl. Wittmann/Rauschenbach/Leu 20111, S.140).

Armut und Bildungsferne wirken sich stark auf die Bildung und die gesamte Entwicklung sowie auf die schulische Laufbahn der Kinder aus. Die AWO / ISS-Studie (Arbeiter-Wohlfahrt und Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik) „Gute Kindheit – schlechte Kindheit“ analysierte die Lebenslagen armer und nicht-armer Kinder durch ein kindspezifisches mehrdimensionales Armutskonzept mit Blick auf Kinder im Vorschulalter. Die Ergebnisse zeigten überproportionale Einschränkungen der armen Kinder in zentralen Lebensbereichen, z.B. der Grundversorgung, im kulturellen-, sozialen und gesundheitlichen Bereich. Im kulturellen und sozialen Bereich sind ungefähr doppelt so viele arme Kinder von Einschränkungen betroffen, sie weisen stärkere Auffälligkeiten in ihrem Spielverhalten sowie Defizite in ihrem Sprach- und Arbeitsverhalten auf, welche den regulären Übertritt von der Kindertagesstätte in die Regelschule erschweren. Zudem meiden gleichaltrige Kinder in Kindertageseinrichtungen arme Kinder mehr als nicht-arme (vgl. Hübenthal 2009, S 23).

Gerade Kinder sind Leidtragende dieser Situation, sie haben keine Chance, sich aus eigener Kraft aus der Situation zu befreien, sich dagegen zu wehren oder Eigeninitiative zu ergreifen.

Die vorliegenden Äußerungen und Zitate liefern keine allgemeingültige Aussage über den tatsächliche Wissens- und Bildungsstand eines Individuums bzw. einer Gesellschaftsschicht. Auch Personen, die in den unteren sozialen Schichten leben, von Armut bedroht oder betroffen sind und keinen Schulabschluss besitzen können durchaus in der Lage sein, ihre Kinder durch gezielte Hilfen und Präventionsprogramme zu fördern und ihnen eine gute Entwicklung zu ermöglichen. Es soll keine Verallgemeinerungen ganzer Schichten erfolgen, eine individuelle Betrachtungsweise ist wichtig um Chancengleichheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Es ist hinzuzufügen dass die Generalisation „untere soziale Schicht = arm“ oder „untere soziale Schicht = bildungsarm“ bzw. „arm“ = „bildungsarm“nicht allgemeingültig ist und nicht alle Familien betrifft. Es finden sich jedoch immer wieder Aussagen, die bei zusammenhängenden Faktoren ein erhöhtes Risiko und eine Wechselwirkung nicht ausschließen oder sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen. „In Deutschland unterliegen, je nach Herkunftsschicht, nicht wenige Kinder dem Risiko, in Armut aufzuwachsen. „In der Regel handelt es sich dabei um Kinder aus den unteren Herkunftsschichten. (…) Niedrige soziale Herkunftsschicht, ein alleinerziehender Elternteil sowie fehlende Integration der Eltern in den Arbeitsmarkt sind die klassischen Risikofaktoren für ein Aufwachsen in Armut“ (Wittmann/Rauschenbach/Leu 2011, S.40).

„Die Wahrscheinlichkeit, das eigene Herkunftsmilieu über einen sozialen Aufstieg durch Bildung zu verlassen, muss nach wie vor als begrenzt angesehen werden“ (Otto/Rauschenbach 2004, S. 50).

Trotz solchen Zukunftsaussichten ist die Förderung, Bereitstellung und Unterstützung von Möglichkeiten zum Bildungserwerb für bildungsferne Familien und im Besonderen für ihre Kinder unverzichtbar. Jede einzelne Familie, die ihren weiteren sozialen Abstieg verhindert, oder sich in ihrem gesellschaftlichen Status verbessern kann, gibt Hoffnung und Ausblick auf eine gesellschaftliche Veränderung, eine Verminderung der Ausgrenzung und Aussicht auf ein Entkommen aus dem „Teufelskreis“ der Armut und Perspektivenlosigkeit. Jede dieser Familien kann als gutes Vorbild für andere Familien dienen und Mut und Hoffnung schenken.

Kinder aus den unteren sozialen Schichten verdienen, wie jedes andere Kind auch, gerechte Möglichkeiten und gleiche Chancen, um soziale oder herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen und Ausgrenzung zu vermeiden.

Bildungsferne und Schule

Das Thema der Arbeit „Wie wirkt sich ein bildungsarmes Elternhaus auf die Anwendung der Sprache des Kindes aus?“ fokussiert den Elementarbereich und das Vorschulalter. Der folgende Abschnitt geht bewusst nur kurz auf Besonderheiten und Ergebnisse ein, die Armut und Bildungsarmut für Kinder im Hinblick auf ihre schulische Laufbahn bedeuten.

Die Durchführung der PISA-Studie 2000 erfolgte ausschließlich an 15-jährigen Schülern und liefert keine Ergebnisse über die sprachliche Entwicklung des vorschulischen Bereiches. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Problematiken und der Zusammenhang zwischen dem bildungsarmen Umfeld und den schlechteren Schul- und Sprachleistungen dieser Schüler schon seit der frühen Kindheit bestehen und nicht erst in der Schule entstanden sind.

Die PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) ist eine Schulleistungsstudie, die dem Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund der Schüler und ihrem Bildungserfolg vertieft nachgeht. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schullaufbahn ist eng, bei gleichen kognitiven Fähigkeiten besitzt ein Kind aus einer höheren Sozialschicht bessere Chancen als ein Arbeiterkind (vgl. Baumert 2003, S.19-27). Ergebnisse der ersten PISA-Studie 2001 entfachten rege Diskussionen über den Zusammenhang zwischen sozialer und sprachlicher Herkunft, vorschulischer Sprachentwicklung und schulischem Erfolg. Das schlechte Abschneiden deutscher Schüler schrieb man, unter anderem, der unzureichenden vorschulischen Sprachförderung und den gravierend schlechten Voraussetzungen für Kinder bildungsferner Schichten zu. Dies war Anlass für die Einführung von Sprachstandserhebungen und Sprachfördermaßnahmen deutschlandweit (vgl. Iven 2012, S. 65). Die zweite PISA-Studie 2003 führte zu einer Reihe Interventionen wie die verstärkte Förderung frühkindlicher Bildung und die Formulierung einheitlicher Bildungsstandards (vgl. Bertram 2008, S. 85). Die Studie hat wiederholt belegt, dass Kinder aus benachteiligten Herkunftsmilieus und unteren Einkommensschichten niedrige Bildungschancen haben. „Hinzu kommt die herkunftsabhängige Einschätzung des Leistungspotentials von Kindern durch Lehrer und Eltern und die ungleichen, von der Schichtzugehörigkeit abhängigen Entscheidungen über den weiteren Bildungsweg der Kinder bei gleichen Kompetenzen“ (vgl. Wittmann/Rauschenbach/Leu 20111, S.106f).

In der ersten Grundschulklasse fällt die Entscheidung über den Verlauf der zukünftigen Schulkarriere. Erhalten Kinder aus unterprivilegierten Schichten keine zusätzliche fachliche und emotionale Förderung vom Lehrpersonal, können sie vorhandene Leistungsunterschiede schwer allein abbauen und zeigen am Ende der Grundschulzeit deutlich geringere Leistungen (Quenzel/Hurrelmann 2010, S. 133).

Wie kennzeichnet sich Bildungsarmut im Alltag?

Der Alltag bildungsarmer Familien unterscheidet sich in verschiedenen Bereichen von dem der Mittel- oder Oberschicht. Die mangelnde Bildung der Familien wirkt sich nicht nur in finanzieller Hinsicht negativ aus, auch zahlreiche andere Bereiche sind mit betroffen. Die folgenden Punkte liefern einen kleinen Einblick in die Bereiche, in denen bildungsarme Familien teilweise starke Einschränkungen erfahren und nicht gleichwertig im gesellschaftlichen Leben partizipieren können. Die Bereiche haben oft fließende Übergänge und bedingen sich gegenseitig.

Bildung: Die Eltern bildungsferner Familien kennzeichnen sich häufig durch geringe, schlechte oder fehlende Schulabschlüsse und besitzen nur wenig Potential und eine geringe Fähigkeit, ihre Kinder in schulischen Dingen zu fördern oder ihnen bei Hausaufgaben behilflich zu sein. Die Armut von Kindern ist, neben struktureller und entwicklungspsychologischer Hinsicht auch „bildungsspezifisch durch schlechtere Lernmöglichkeiten (als Folge überbelegter Wohnungen und häufig geringer Unterstützung des Lernens seitens des Elternhauses und belastender Schulbedingungen) und daher niedrigere Bildungsabschüsse“ problematisch anzusehen (vgl. Breitfuss/Dangschat 2001, S. 121). Das betrifft vor allem Kinder aus sozial schwachen Schichten, in denen Eltern häufig keinen oder nur einen Hauptschulabschluss besitzen (Kiziak/Kreuter/Klingholz, S. 4). Diese mangelnde Unterstützung erschwert den Schulerfolg der Kinder und führt zu einem geringeren Bildungserwerb. „Nach Erkenntnissen der OECD ist ein erfolgreicher Bildungsweg bei Kindern aus wirtschaftlich schlechter gestellten Familien weniger wahrscheinlich als bei Kindern aus wohlhabenderen Familien“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Familienreport 2011, S. 119).

Beruf: Die geringe bzw. fehlende schulische Qualifizierung ermöglicht nur eine gering qualifizierte Arbeit oder Hilfsarbeitertätigkeiten. Nicht selten kommt es in bildungsfernen Familien zu, oft lang andauernder, Arbeitslosigkeit. „Als traditionelle Risikogruppe im Bildungserwerb gelten Kinder aus bildungsfernen Herkunftsschichten (Arbeiterkinder)“ (Quenzel/Hurrelmann 2010, S. 224).

Finanzielle Lage: Bildungsferne Familien befinden sich oftmals in einer finanziellen Abhängigkeit von Staat (Grundsicherung HARTZ IV, Sozialhilfe…) und leben dadurch in beengten Wohnverhältnissen oder in sozialen Brennpunkten. Freizeitaktivitäten finden, wenn überhaupt, nur eingeschränkt statt, da die finanzielle Situation die Teilnahme an Ausflügen, kulturellen Veranstaltungen oder Vereinen oft nicht zulässt. „Regelmäßiges Mitmachen in Vereinen oder die Nutzung von sonstigen angeboten ist in Deutschland ebenfalls schichtabhängig. Je niedriger die Schicht, desto geringer die Wahrscheinlichkeit in Kreativ-Aktivitäten eingebunden zu sein“ (Wittmann/Rauschenbach/Leu 20111, S.42-43). Kinder dieser Familien nehmen deutlich weniger an Freizeit- und Bildungsangeboten teil und haben, um die eigene Situation zu verschleiern oder Kosten zu sparen, weniger einfache soziale Kontakte außerhalb dieser Angebote (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Familienreport 2011, S. 108f).

Oft sind die Familien auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und leiden unter mangelnder und eingeschränkter Mobilität. Die finanzielle Situation ermöglicht keine hochwertigen Nahrungsmittel, die Einkäufe erfolgen oft in billigen Discountern und bedingen daher eine schlechte/falsche/unzureichende Ernährung der Familie.

Häufig besitzen die Familien keine bzw. wenige Bücher, Musikinstrumente und Spielmaterialien und können kein Geld für Nachhilfe oder ein förderliches Lernumfeld (Schreibtisch, Lampe…) aufbringen. Der Umgang mit finanziellen Mitteln ist oft schlecht, die die Familien geben Geld schnell aus, als Beweis, „dass sie sich auch etwas leisten können“. Familien schränken Entwicklungs- und gesundheitsförderliche Ausgaben wie Betreuungs-, Bildungs- und Förderangebote zugunsten demonstrativer Konsumgüter ein (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Familienreport 2011, S. 108f).

Familienkonstellationen: Oft charakterisieren sich bildungsarme Schichten durch schwierige Familienkonstellationen, zerbrochene familiäre Strukturen, allein erziehende Elternteile und eine hohe Kinderzahl. Möglich sind auch Gewalt, psychische Krankheiten oder eine Suchtproblematik innerhalb der Familie.

Gesundheit: Der Alltag ist durch einen erhöhten Medienkonsum gekennzeichnet, welcher neben Bewegungsmangel und Übergewicht auch durch die mangelnde sprachliche Anregung Auffälligkeiten oder Verzögerungen der Sprachentwicklung begünstigen kann. „41% der Kinder aus den untersten Herkunftsschichtenberichten geben an, regelmäßig am Tag mehr als zwei Stunden fernzusehen. Bei Kindern aus den gehobenen Schichten trifft dies hingegen nur auf um die 10% zu“ (Wittmann/Rauschenbach/Leu 2011, S.44).

Eine regelmäßige Vorstellung bei Ärzten oder Vorsorgeuntersuchungsterminen der Kinder erfolgt selten. „Ferner nehmen sozial benachteiligte Personengruppen die bestehenden Gesundheitsangebote, z.B. Vorsorgeuntersuchungen weniger wahr“ (Butterwegge/Holm/Zander 2004, S. 179). Bei den U-Untersuchungen findet man bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozio-ökonomischen Status überdurchschnittlich häufig Entwicklungs-, Sprach- und Verhaltensprobleme, zudem nehmen die Kinder der sozialen Unterschicht weniger an Vorsorgeuntersuchungen teil (vgl. Hurrelmann 2006, S. 28).

Ungenügende bzw. mangelhafte Grundkenntnisse über Gesundheit sowie erlerntes Verhalten innerhalb der Familie führen auch zu mangelnder Hygiene, z.B. bei der Zahnpflege und falscher sowie ungesunder Ernährung. „Auch Sprachauffälligkeiten, -störungen, Koordinationsschwierigkeiten und Übergewicht treten in solchen Wohnquartieren (Anmerkung: sozial benachteiligte Stadtteile) bei Kindern vergleichsweise häufiger auf als in wohlhabenderen Gebieten“ (Butterwegge/Holm/Zander 2004, S. 179).

Erziehungsverhalten: Die Familien verfallen in Erziehungsmuster, die sie kennen gelernt haben, andere Verhaltensweisen haben sie nicht kennen gelernt. Oft zeigt sich dabei ein inkonsequentes Verhalten gegenüber den Kindern und die Unfähigkeit Regeln aufzustellen. Sie vermeiden Situationen, in denen sie Verantwortung oder Konsequenzen tragen müssen. Sie beruhen auf den eigenen Erfahrungen der Eltern, die sie wiederum auf ihre Kinder übertragen. „Von den Eltern übernehmen schon Kleinkinder die Muster von Hygiene, Ernährung, Bewegung und Tagesrhythmus und eignen sie sich unbewusst an“ (Hurrelmann 2006, S. 27).

Oft sind Erzieher oder Lehrer der Kinder Feindbilder für die Familie, da sie Kritik an den Lebensumständen oder dem Erziehungsverhalten der Familie üben. Die Kinder nehmen ihre Umwelt „durch die Augen der Eltern wahr“ und übernehmen häufig deren Einstellung bezüglich gesellschaftlicher Werte, Lernen, Arbeit und Sauberkeit. Eltern aus unteren Bildungsschichten streben häufig eine niedrigere Schullaufbahn für ihre Kinder an, auch wenn diese eine höhere Schullaufbahnempfehlung erhalten. Oft beeinflussen ihre Unterstützungsbereitschaft und ihr Bildungsniveau die Schullaufbahnempfehlung der Lehrer (vgl. Quenzel/Hurrelmann 2010, S. 14f).

Einstellung und Meinung: Ihre Kinder bzw. das Kindergeld sind eine Einkommensquelle der Familie und eine Rechtfertigung, keine Beschäftigung eingehen zu müssen, die Kinder erfahren oftmals wenig emotionale Zuwendung. Erhöhter Medienkonsum durch TV, Internet, Spielkonsolen, PC, oder Videospiele beherrscht die Freizeit, die Kommunikation untereinander und die (z.B. sprachlichen Anreize) für Kinder sind oft stark eingeschränkt. Der Fernsehkonsum in der Unterschicht ist deutlich höher als in anderen sozialen Schichten, jedoch ersetzt die Sprachberieselung durch Rundfunk oder Fernsehen nicht die wechselseitige Kommunikation. Das Sprachangebot an die Kinder im Alltag ist geringer und erhöht das Risiko, sich sprachlich nicht altersgemäß zu entwickeln (vgl. Kiziak/Kreuter/ Klingholz 2012, S. 7).

[...]

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Sprachkompetenz bei Kindern aus bildungsfernen Familien. Wie wirkt sich soziale Benachteiligung auf Sprache und Bildung aus?
Hochschule
Fachhochschule Koblenz - Standort RheinAhrCampus Remagen
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
35
Katalognummer
V302855
ISBN (eBook)
9783668012134
ISBN (Buch)
9783668012141
Dateigröße
3776 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bildungsarmut, Bildungsferne, Armut, Sprachentwicklung, Kinder, Sprachanwendung, Bildungsfernes Milieu, Anwendung der Sprache bei Kindern
Arbeit zitieren
Nina Weber (Autor:in), 2012, Sprachkompetenz bei Kindern aus bildungsfernen Familien. Wie wirkt sich soziale Benachteiligung auf Sprache und Bildung aus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302855

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Sprachkompetenz bei Kindern aus bildungsfernen Familien. Wie wirkt sich soziale Benachteiligung auf Sprache und Bildung aus?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden