Walter Benjamins Verständnis von Sprache in der Kinder- und Jugendliteratur und ihre Wirkung auf den Leser


Hausarbeit, 2013

13 Seiten, Note: 2,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Walter Benjamins Bezug zu Sprache in der Kinder- und Jugendliteratur

Die sprachlichen Besonderheiten von Kinderbüchern

Wirkung der KJL auf Kinder nach Benjamin

Die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kinderbüchern nach Benjamin

Benjamin über die Intention der Kinder- und Jugendliteratur

Walter Benjamins Bezug zu Sprache in der Kinder- und Jugendliteratur

Vermutlich lenkte Walter Benjamin erstmals im Jahr 1918 seinen wissenschaftlichen Fokus auf die literarische Kinderwelt. Neben der Geburt seines Sohnes Stefan, war mutmaßlich auch die Suche eines Dissertationsthemas im Bereich der Romantik[1] der Grund für Benjamins reges Interesse an der Kinder- und Jugendliteratur (KJL).Diese Gedanken formulierte er in Essays, Rezensionen sowie Rundfunkbeiträgen. Die Zusammenfassung einiger dieser Texte bildet das Werk „Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin: Ausstellung des Instituts für Jugendbuchforschung der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität und der Stadt- und Universitäts-Bibliothek“, welches als Grundlage für diese Arbeit dienen soll. Im Folgenden soll dabei zunächst die Sprache und ihre besonderen Mittel in der KJL betrachtet werden. Anschließend soll der Versuch einer Darstellung von Benjamins Auffassung über die Wirkung von Literatur auf das Wesen von Kindern unternommen werden. Aber auch die Beziehung von Erwachsenen zu Kinderbüchern war Teil von Benjamins Gedanken und soll daher in diese Betrachtung mit einfließen. Abschließend soll nach Benjamins Auffassung zusammenfassend die Intention von Kinderbüchern erörtert werden, sprich ob es überhaupt spezifisches Schreiben für Kinder gibt, oder ob Kinder als Adressaten von den Autoren zunächst gar nicht beabsichtigt waren.

Die sprachlichen Besonderheiten von Kinderbüchern

Gleich zu Beginn eines Rundfunkvortrages[2] aus dem Jahr 1929spricht Walter Benjamin die Glorifizierung von Kinderlektüre aus der Sicht von Erwachsenen an und geißelt sie zugleich. So sei diese „Erinnerung nicht allein das Schönste und Beste (…) es kommt (…) oft und fälschlich genug sogar einzig vor“wie Benjamin es formuliert. Er knüpft daran mit der Redewendung „laudatortemporisacti“ aus Horaz „Ars Poetica“ an, womit von einem Lobredner einer vergangenen Zeit gesprochen wird. Im darauf folgenden Absatz umreißt Benjamin die Schöpfung der eigenen Sprache eines jeden Menschen. Dabei ist für ihn zunächst der erste Abschnitt des Lernens von Lesen und Schreiben eine problematische Phase, da jeder Buchstabe „ein Joch ist, durch das Hand und Zunge gedemütigt schlüpfen müssen“. Benjamins Wortwahl des „demütigen“ fällt einem als Leser dabei gleich auf. Wirkt es auf den ersten Blick unpassend zur Beschreibung der kindlichen Welt, so fällt beim Betrachten der gedemütigten Objekte, nämlich „Hand und Zunge“, auf, dass Benjamin auf den physischen Lernprozess des Lesens und Schreibens hinweisen will. Metaphorisch verleiht er dieser Aussage mit dem Bild, der durch ein Joch schlüpfenden Objekte, zusätzliche Wirkungskraft. Da jene physische Realisierung von Schriftsprache und ihr Auffassen durch das Lesen von geübten Erwachsenen bereits ein unterbewusster, automatisierter Akt ist, kommt für kindliche Leser eine ganz andere Beziehung zur Schriftsprache, da das kindliche Lesen ein sehr bewusster Prozess, jenseits der Aufnahme des Lektüreinhalts, ist. Dieser Umgang mit Sprache verändert sich zudem im Laufe der kindlichen Entwicklung hin zu einem spielenden Verhältnis mit der Sprache und seinen Lauten, so Benjamin. Zunächst greift er beispielhaft frühe deutsche Fibeln auf, um konkrete Aspekte der Schriftsprache für Kinder aufzuzeigen. Mit der Bezeichnung „Stimmenbüchlein“ zeigt Benjamin die Beziehung zwischen Laut- und Schriftsprache, welche ebenfalls auf den Entwicklungsstand der Heranwachsenden sowie deren besonderes Verhältnis zum gesprochenen und geschriebenen Wort hinweist. Mit konkreten Onomatopoetika aus jenen Werken zeigt Benjamin, wie stark der Schriftspracherwerb mit alltäglichen Geräuschen für Kinder greifbarer gemacht wird. Hiermit lässt sich, wenn auch auf einer Interpretationsebene, an Benjamins Verständnis von magischer Sprache anknüpfen, in der er eine eindeutige Möglichkeit für Sprechhandlungen, wie beispielsweise der Taufe oder der Eheschließung, sieht. So steht der Buchstabe „O“ als einzelner Laut in der Lautsprache für den Ausdruck der Verwunderung. Dieses Symbol ist bereits für Kinder im Alter des Lernens von Lesen und Schreiben zu erkennen. Die Eindeutigkeit dieses Symbols gibt den Kindern dauerhaft eine Verknüpfung von der Schriftsprachemit der Lautsprache.

Ein weiterer Aspekt der Sprache für Kinder, vor allem in Fibeln der KJL, ist nach Benjamin„die Anschauung so weit wie nur möglich vom Wort, geschweige vom Buchstaben“[3] loszulösen.Damit verdeutlicht Benjamin die Bedeutung von Abbildungen in Kinderbüchern und seine Wertschätzung dessen. Doch nicht nur als Unterstützung für den Schriftspracherwerb der Kinder in den ersten Schuljahren, wie etwa in Fibeln, sind bildhafte Darstellungen in der Lektüre relevant, auch in der Literatur für ältere Kinder findet man zahlreiche Beispiele hierfür. So seien die Bildergeschichten von Wilhelm Busch an dieser Stelle genannt, in denen Bild und Text nahezu eine symbiotische Beziehung eingehen, um dem Leser ein eindeutiges Verständnis der Situationen in den Geschichten zu geben. Dabei geben die bildlichen Darstellungen Inhalte wieder, die im Text nicht erwähnt werden, wofür die Geschichte von „Hans Huckebein“ als gutes Beispiel zu nennen ist. Im Gegensatz dazu zeigt das „orbispictus“, ein Schulbuch aus dem 17. Jahrhundert, alltägliche Gegenstände in Abbildungen und dem niedergeschriebenen Begriff. Dieses Werk bezeichnet Benjamin als einen der „großen und seltenen gewordenen Erfolge im Reiche des pädagogischen Kinderbuches“[4]. Hiermit wird zugleich eine Diskrepanz zu seiner Theorie über das geistige Wesen einer jeden Sache, welches stets mehrdeutig ist, erkennbar. So geschieht im „orbispictus“ die Reduzierung eines Gegenstandes auf eine äußere Erscheinungsform, womit man jedoch zugleich der kindlichen Reizauffassung entgegen kommt.Dieses Werk gibt dabei Kindern andererseits auch die Möglichkeit, Dinge die für sie neu sind, überhaupt erst zu benennen, wodurch sie nach Benjamins Theorie aus seinem Aufsatz „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen“ erst ein geistiges Wesen erhalten und existieren. Es lässt sich also festhalten, dass Kinderbücher, vor allem jene mit bildhaften Darstellungen, für Benjamin die Grundlage zum Verständnis von Sprache und dem damit einhergehenden Wesen einer jeden Sache für Kinder sind. In seinen weiteren Ausführungen des Rundfunkvortrages spitzt er dieses Wort-Bild-Verhältnis jedoch so zu, dass er von einer pädagogischen Diskrepanz „das Zeichen gegen das Wort“ (S. 19)spricht. Hierbei sieht er eine Gefahr, dass sich jene Kinderbücher vom Text, mehr zu bildlichen Darstellungen hin, fortbewegen. Ein grundsätzliches Auskommen ohne Illustrationen, wie es lange Zeit üblich war, sieht Benjamin hingegen für die falsche Norm (S. 20). In einem Brief Benjamins an Gershom Scholem vom 16. September 1924, in dem er die Bildauswahl in „Karl Hobrecker: Alte vergessene Kinderbücher“ als problematisch beschreibt, wird deutlich, dass er in der undifferenzierten Verwendung von Illustrationen in der KJL kein Allheilmittel für ein pädagogisch wertvolles Buch sieht.

Bezeichnet man ein Kinderbuch also als Text mit bewusster Unterstützung durch das Bild, so käme dies vermutlich dem Verständnis von Walter Benjamin am nächsten.

Ungeachtet der sprachwissenschaftlich konkret analysierbaren Eigenschaften von Sprache in der KJL, sieht Benjamin einen wichtigen Faktor in dem Wirken eines jeden Buchs auf den Leser. An dieser Stelle bietet sich der Begriff der Magie durchaus an, da erin dem Textabschnitt „LESENDES KIND“[5] von „dem Treiben des Textes“ spricht, womiter die literarische Kunst, Kinder in den Bann einer Geschichte zu ziehen, beschreiben will. Mit Hilfe dieser Schreibfähigkeit soll Kindern die Welt „mit einem Griff zur Stelle“[6] bereit stehen.

Alles in allem spielen damit sowohl stilistische Mittel und bildhafte Darstellungen, als auch das geistige Wesen der Sprache selbst, ihre Magie, für Benjamin in der Kinder- und Jugendliteratur eine entscheidende Rolle.

Wirkung der KJL auf Kinder nach Benjamin

Nachdem zunächst der allgemeine sprachliche Gebrauch in Kinderbüchern und Benjamins Verhältnis dazu betrachtet wurde, sollen im Folgenden seine Gedanken zum Verhältnis zwischen Kindern und der für sie geschaffenen Literatur näher betrachtet werden. Auch diesbezüglich lässt sich auf Benjamins eigenes Erlebtes blicken, wie man anhanddes Textes „LESENDES KIND“ erkennen kann. Als erster Schlüsselbegriff fällt dabei „grenzenloses Vertrauen“ (Z. 6) auf, womit Benjamin eine markante Begrifflichkeit für das kindliche Verhältnis zur KJL schafft. Interessant ist auch der übernächste Satz des Textes, in dem Benjamin den Inhalt von Kinderbüchern als etwas Nebensächliches degradiert und anschließend die Vorstellungskraft der Kinder hervorhebt, mit der sie sich „selber Geschichten im Bett“ ausdachten. Darin lässt sich bereits sein Verständnis erkennen, dass es sich um Literatur zur Anregung der kindlichen Phantasie handelt, nicht nur um die bloße Aufnahme einer Geschichte durch den Leser. Diese Perspektive Benjamins ist zu Beginn seines Rundfunkvortrages ebenfalls zu erkennen, als er von dem Rückblick Erwachsener auf Geschichtenbücher ihrer Kindheit spricht. Jene Erinnerungenhalten sich ebenfalls an die „magische“ Epik, die dem Leser eine eigene Gedankenwelt ermöglicht. Ein komplett anderes Verhältnis sieht Benjamin hingegen zwischen der pädagogischen Lektüre, wie beispielsweise Fibeln, und ihren Adressaten. Jene Beziehung sei nicht nur für Kinder problematisch, sondern habe „die Fibel es mit dem Kinde am schwersten“[7], womit unweigerlich auch die Autoren in den Blick geraten. Es ist anzunehmen, dass es ihnen durch das Vermitteln rationaler Inhalte, wie etwa dem Alphabet in Schriftsprache, schwerer fällt, den freien Geist und die Phantasie der Heranwachsenden zu erreichen. Die Inspiration zu eigenen Denkweisen und Ideen ist neben dem Hauptziel der Wissensvermittlung eine hohe Hürde für Autoren der pädagogischen KJL. Damit lässt sich neben der Intention der Autoren, auch in der Wirkung auf die kindlichen Leser bereits eine erste Zweiteilung der Kinderbücher nach Benjamins Vorstellungen festhalten.

Eine weitere, auf den ersten Blick sehr allgemeine, Trennung nimmt Walter Benjamin im analysierten Rundfunkvortrag[8] vor, indem er Hebels „Schatzkästlein“ als keine „Jugendschrift im strengsten Sinne“ bezeichnet.Eine Erläuterung dieser Bewertunggibt Benjamin jedoch nicht. An Hebels Schriften hebt Benjamin das filigrane Beschreiben der Geschehnisse hervor und bringt zudem einen wichtigen Aspekt, die Moral, erstmals mit ein. Damit ist jedoch nicht die klassisch pädagogische Lehrmoral gemeint, sondern eine Überwindung dieser abstrakten Moral. Jene Moral weckte bereits das früheste kindliche Staunen[9] meint Benjamin und es begleitet einen ein Leben lang. Die Kunst der Autoren ist es demnach, eine neue und eigene Moral für kindliche Leser authentisch zu transportieren und den erhobenen Zeigefinger des Lehrenden wegzulassen.

[...]


[1] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 13

[2] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 18

[3] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 19

[4] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 19

[5] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 26 f.

[6] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 28

[7] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 19

[8] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 22

[9] Vgl. Institut für Jugendbuchforschung: Die Kinderbuchsammlung Walter Benjamin. Frankfurt am Main 1987. S. 22

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Walter Benjamins Verständnis von Sprache in der Kinder- und Jugendliteratur und ihre Wirkung auf den Leser
Hochschule
Universität Leipzig  (Germanistik)
Veranstaltung
Seminar: Walter Benjamin: Sprach- und Medientheorie
Note
2,3
Jahr
2013
Seiten
13
Katalognummer
V302833
ISBN (eBook)
9783668012097
ISBN (Buch)
9783668012103
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Walter Benjamin, Kinderliteratur, Jugendliteratur, Sprachphilosophie, Sprachtheorie
Arbeit zitieren
Anonym, 2013, Walter Benjamins Verständnis von Sprache in der Kinder- und Jugendliteratur und ihre Wirkung auf den Leser, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302833

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