Der Held in Gogols "Die toten Seelen": Pavel Ivanovi Cicikov


Seminararbeit, 1997

22 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Typisierung der Figuren zur Unterstützung der Charakterisierung

3. Figur und Figurenreihe - >i<ikow und die Gutssbesitzer

4. Pavel Ivanovic >i<ikow - die Außnahme unter Gogols Romanfiguren
4.1. Das äußere Erscheinungsbild
4.2. Darstellung und Selbstdarstellung - >i<ikows Innenleben
4.2.1 >i<ikows Anpassungsfähigkeit
4.2.2 >i<ikows Eitelkeit
4.2.3 >i<ikows Moral

5. Die Beziehung Autor und >i<ikow

6. Schlussbemerkung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Protagonisten Pawel Ivanovi< ČiČikow des literarischen Hauptwerks von Gogol - „Die Toten Seelen“. Das Poem, das Mitte Mai 1842 erschien[1], ist ursprünglich von Gogol als dreiteiliges Werk konzipiert gewesen[2], wobei nur der erste Teil vollständig ist und eine entsprechende Überarbeitung erfahren hat[3]. Aus diesem Grunde erscheint es sinnvoll, die Untersuchung auf den ersten Teil der „Toten Seelen“ zu konzentrieren.

Eine umfangreiche Studie über die Figur >i<ikow liegt nicht vor. Der Held aus den „Toten Seelen“ wird zumeist im Zusammenhang mit der Handlung des Poems und in Beziehung zu den Gutsbesitzern bewertet. An anderer Stelle unterliegt die Untersuchung der Personendarstellung dem Gesamtwerk Gogols[4]. Die Hervorhebung einer einzelnen Figur eines einzelnen Werkes wie die das der „Toten Seelen“ hat aber dennoch ihren Stellenwert.

Der Aufbau und die Handlung des Werks sind um eine einzige zentrale Figur komponiert - dem Helden >i<ikow. Die Figur zieht sich als Leitfaden durch alle elf Kapitel des ersten Teils, wobei der Autor erst im letzten Kapitel eine zusammenhängende und verbindliche Darstellung über Herkunft und Vorleben >i<ikows einschiebt. Weitere Figuen, die im Werk auftauchen, sind weiniger als Perönlichkeit zu werten, sondern eher als Typus, der für eine bestimmte Schicht, für einen bestimmten Charakter steht: Gutsbesitzer, Bauern, Beamte, rechtschaffen, empfindsam, aktiv. Dennoch ist es ratsam bei der Betrachtung des Protagonisten auch die Beziehung zu anderen Figuren zu beleuchten. Im Wesentlichen aber soll auf die Eigenschaften >i<ikows eingangen werden und wie diese Figur in Beziehung zum Autor zu setzen ist.

2. Typisierung der Figuren zur Unterstützung der Charakterisierung

Um die Besonderheit des Helden >i<ikow in den „Toten Seelen“ zu verstehen, lohnt es sich, zunächst andere Figuren des Poems in Augenschein zu nehmen. Kennzeichnend ist die Typisierung der „weniger wichtigeren“ Figuren. Es zeigt sich in den fünf Gutsbesitzern eine Gleichschaltung: Manilov, Korobo<ka, Nosdrev, Sobakewi< und Pljuvkin sind alle demselben Prozess unterworfen, sie unterstellen sich einem fast rituellen Ablauf und reagieren letztendlich alle gleich: sie verkaufen die toten Seelen. Zudem treten diese Figuren in einer aufeinander abfolgenden Reihe auf, jede ein Kapitel für sich, sie bilden eine geschlossene Reihe, die allerdings auf dem Prinzip des Gegensatzes aufgebaut ist. „Bezdeätelßnyj Manilow i neutomimo hlopotliwaä Korobo<ka- w nekotorom rode antipody“.[5]

Anders erscheint die Beamtenschaft, sie verliert ihr Gesicht und ist häufig nur in Konturen erkennbar, wird allerdings sie gleichfalls mit bestimmten Merkmalen versehen, also typisiert. Der Berufstand zeigt sich anhand von Gegenständen oder Bewegungen. So zeichnet Gogol das Bild der Beamtenschaft in den Toten Seelen anhand von „Fräcken und Röcken“, „viel Papier“ „ein Protokoll abschreibend“[6]. Eine bizarre Rolle kommt in den „Toten Seelen“ den Bauern und Leibeigenen zu. Ihr Wert liegt in erster Linie im Tod, erst dann sind sie für >i<ikow als „Handelsware“ von Nutzen.

Wenn auch häufig die Darstellung der Figuren flach ist und nur in Form einer Aufzählung oder in Form der Wiederholung erkennbar ist, so skizziert Gogol doch auch eine bestimmte Art von „Individualität“[7]. An anderer Stelle wird dies auch als Charakterisierung in Form von Charaktertypen formuliert[8]. So sind die Gutsbesitzer zwar sicherlich der Kategorie Kulaken[9] zuzuordnen, weisen aber charakteristische eigenständige Grundformen auf, wie etwa empfindsam, nüchtern, aktiv[10].

In dieser Kombination erscheinen die Figuren Gogols in den „Toten Seelen“ als etwas besonderes. Einerseits sind sie in ihrer Statik und Einseitigkeit als Typus erkennbar, gewinnen aber durch die immer wieder veränderte Darstellungsweise des einen typischen Zugs eine individuelle Komponente. In vollendeter Form ist dies im indischen Kathakali-Theater[11] zu finden, in dem jede exakt geschminkte Maske der Kathakali-Tänze r einen bestimmten Typus verkörpern (Dieb, König, ...), der Akteur aber mit seiner Sprache und seinen Bewegungen einen individuellen Charakter (guter Dieb, böser König, ...) entwickeln kann.

3. Figur und Figurenreihe - >i<ikow und die Gutssbesitzer

Zwei wesentliche Aspekte zeichnen die Gogol`sche Figuren-Komposition in den „Toten Seelen“: fünf Kapitel sind der Figurenreihe der Gutsbesitzer gewidmet, demgegenüber steht die Figur Pavel Ivanovi< >i<ikow in ständiger Präsenz durch alle elf Kapitel des Poems.

Bei der Interaktion zwischen Figur und Figurenreihe wird deutlich, welche Bedeutung der Figur >i<ikow zuzuschreiben ist. Jeder der Gutsbesitzer ist eine in sich abgeschlossene Gestalt, die von ihrem ersten Auftreten an bis zu ihrem letzten Auftritt in ihren Charakterzügen und mit ihrer Weltanschaung nu unwesentliche Veränderungen zeigt. Es zeichnet sich hier keine Entwicklung ab. Dagegen schafft Gogol in >i<ikow eine Figur, die während seiner Odysee von einem Gutsbesitzer zum anderen eine Kombination von charakteristischen Zügen aufweist und die aus der statischen Betrachtungseise ausbricht.[12] - Wenn auch immer dem eigentlichen Ziel, dem Kauf von toten Seelen, dienend.

Verdeutlicht werden kann dies im Vergleich zu den Gutsbesitzern. Diese werden mit Hilfe ihrer nächsten Umgebung skizziert. Das Haus, die Räume, die Einrichtung, der Hof, der Garten, die Eßgewohnheiten geben wertvolle zusätzliche Angaben, um das Persönlichkeitsbild und die Verhältnisse der Gutsbesitzer zu beschreiben.[13] >i<ikows Umgebung aber, bedingt durch seine Reise von einem Gutsbesitzer zum anderen, verändert sich ständig, er ist ein Reisender. Daher versucht Gogol, die Charakteristik >i<ikows durch die Aktionen, durch die Handlung[14].

Die Figurenreihe besitzt keine Dynamik, die Gutsbesitzer bilden klar umrissene Gestalten, >i<ikow dagegen ist eine Figur die bis zur der Enthüllung der Vorgeschichte, sogar noch die Komponente „rätselhaft“ erhält, obwohl der Autor bemüht ist, >i<ikow nicht zu sehr als auffallende Figur zu zeichnen[15]. Eine Besonderheit der Komposition der Figur >i<ikow ist zudem, daß Gogol hier einen biographischen Epilog im elften Kapitel einbaut. Mit einer Ausnahme, nämlich Pljuvkin[16], ist >i<ikow die enzige Figur in den „Toten Seelen“, deren ganze Lebensgeschichte, wenn auch am Ende des Poem erzählt wird.

In der Gegenüberstellung von der Figur >i<ikow und der Figurenreihe „Gutsbesitzer“ wird deutlich, daß dem Held des Poems eine Sonderrolle eingeräumt wird. Die Reihe ist statisch, der Protagonist dynamisch. Zugleich birgt >i<ikow mehrere Typengruppen in sich, auf der anderen Seite verkörpert ein jeder Gutsbesitzer einen ganz bestimmten Typus für sich alleine.[17].

4. Pavel Ivanovic >i<ikow - ein Sondertyp in der Gogolschen Erzählform

4.1 Das äußere Erscheinungsbild

Um eine literarische Figur dem Leser nahe zu bringen, wird häufig eine detaillierte Beschreibung äußerer Merkmale vorgenommen. Die Beschreibung des Äußeren von >i<ikow unterliegt einer ganz anderen Komposition. Es erscheint nicht als Einheit und konsequente Einführung in die Person, viel eher liefert Gogol Fragmente, die die Charakeristik >i<ikows erschließen sollen. Die äußere Beschreibung >i<ikows fällt, wenn überhaupt, nur durch die konsequent ungenaue Beschreibung und die konsequente Wiederholung auf.

Erste Angaben in den „Toten Seelen“ findet man schon im zweiten Satz des Poems. “...gospodin, ne krasawec, no i ne durnoj naruqnosti, ni slivkom tolst, ni slivkom tonok; nelßzä skazatß, <toby star, odnako q i ne tak <toby slivkom molod."[18] Auffallend ist die Mittelmäßigkeit, die Durchschnittlichkeit im Aussehen von >i<ikow - ein symbolischer Akt: unter dem Verdeck eines gewöhnlich aussehenden Menschen, lauert die Gefahr[19]. Die Symbolik in Bezug auf die äußere Erscheinung >i<ikows erscheint noch stärker im zehnten Kapitel, als >i<ikow mit Napoleon verglichen wird. „...

[...]


[1] Keil, Rolf-Dietrich: Gogol, Rowohlts monographien 1985, S.100

[2] Walicki, Andrzej: MikoÄaj Gogol in: Literatura Rosyjska, Bd.1, 1970, S. 606

[3] vgl. Gerigk, Horst-Jürgen: Gogol. Die Toten Seelen, in: Der russische Roman, hrsg. von Bodo Zelinsky, 1979, S. 87

[4] Kasack, Wolfgang: Die Technik der Personendarstellung bei Nikolaj Vasilevi< Gogol, in: Bibliotheca Slavica, 1957

[5] Mavinskij, Igor: Mertwye duvi N. W. Gogolja, 1966, S.41

[6] Gogol, S.132. Dieser Arbeit wird die Ausgabe Mertwye duvi, in: N. W. Gogol Sobrane so<ineni Bd. V, Hudoqestwennaja Literatura, Moskau 1985, zugrunde gelegt.

[7] Mavinskij, S.43

[8] hierzu das Kapitel von Wolfgang Kasack „Gogols Typenbestand“, S.127-141

[9] Reicher Großbauer, der seinen Reichtum mithilfe von Leibeigenen erreichte und eine gesonderte Stellung gegenüber seinen Dorfgenossen, den „muqiki“ eingenommen hatte. Vgl. Lexikon der Geschichte Rußlands, hrsg. von Hans-Joachim Torke, München 1985, S. 55

[10] Kasack, S. 159

[11] Kathakali ist eine Tanz- und Theaterform in Indien, Kerala. Die Charakterisierung der einzelnen Figuren wird durch eine klar definierte Schminkkunst vorgegeben. Die so entstehenden „Masken“ symbolisieren einen Typus (Bauer, Gott, Fischer, etc.) mit entsprechenden Eigenschaften (böse, eifersüchtig, intelligent, etc.) vgl. Iyer, K. Bharata: Khatakali, London 1983

[12] Hrap<enko, M. B.: Mertwye duvi N. W. Gogolja, Moskau 1952, S.69

[13] Kasack, S. 55

[14] Kasack, S. 68

[15] Setschkareff, V.: N. V. Gogol. Leben und Schaffen, 1953, S.143

[16] Pljuvkin ist die einzige Figur unter den Gutsbesitzern bei der Gogol einen Ausschnit seiner Biographie präsentiert.

[17] Kasack, S. 157

[18] Gogol, S. 6. „ ...ein Herr von nicht außerordentlich hübschem, aber auch nicht üblem Aussehen, nicht zu dick und nicht zu mager; man hätte nicht sagen können, daß er alt, aber auch nicht, daß er allzu jung sei.“ Die Übersetzung aus dem Russischen, die hier verwendet wird, stammt von Alexander Eliasberg: Nikolai Gogol, Die Toten Seelen, Leipzig und Weimar 1989, S. 7

[19] Setschkareff, S. 142

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Held in Gogols "Die toten Seelen": Pavel Ivanovi Cicikov
Hochschule
Universität zu Köln  (Slavisches Institut)
Veranstaltung
Seminar: Gogol’s „Mertvye dusi“
Note
2
Autor
Jahr
1997
Seiten
22
Katalognummer
V30268
ISBN (eBook)
9783638315623
ISBN (Buch)
9783638650687
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Held, Gogols, Seelen, Pavel, Ivanovi, Cicikov, Seminar, Gogol’s
Arbeit zitieren
Teresa Wanczura (Autor:in), 1997, Der Held in Gogols "Die toten Seelen": Pavel Ivanovi Cicikov, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30268

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