Edward Hopper und Niklas Luhmann. Bestätigt der Künstler den Theoretiker?

Eine theoriekritische Analyse


Hausarbeit, 1999

32 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1.) Einleitende Fragen

2.) Eine Charakterisierung des Werkes von Edward Hopper

3.) Kurze Rekapitulation von Luhmanns Theorieansatz

4.) Verschiedene Aspekte der Luhmann´schen These, angewandt auf Bildbeispiele. Diskussion der These
4.1. Was ist eigentlich Beobachtung?
4.2. Beobachtung und Wahrnehmung
4.3. Die Spaltung der Realität - Beobachtung erster, zweiter und dritter Ordnung

5.) Schlussbemerkung

Bibliographie Bildnachweise

1.) Einleitende Fragen

Das künstlerische Werk Edward Hoppers bietet viele Anhaltspunkte psychologischer, aber auch rein künstlerisch-technischer Natur, die eine Verbindung zur Theorie Niklas Luhmanns herzustellen sinnvoll erscheinen lassen. Es wird z. Bsp. zu fragen sein, wie dieser Maler Ƿbeobachtet“ und was als Hinweis auf Vorgänge der Beobachtung angesehen werden kann: die Wahl der Perspektive, oder die Setzung von inhaltlichen Schwerpunkten im Bild (Dominanz von Details, Erzeugung von bildimmanenten Widersprüchen). Ebenfalls wichtig wird die Frage sein, wie der Betrachter in das Bild integriert wird, d. h.: Handelt es sich um eine verdeckende, oder eine entdeckende Perspektive? Korrespondiert die im Bild dargestellte Situation mit dem durch formale Mittel erzeugten und miteinbezogenen Außenstandpunkt des Betrachters? Weniger wichtig, aber trotzdem relevant erscheint mir die Thematisierung von im Bild erscheinenden Aspekten, die dem Betrachter Aufschluss über die Persönlichkeit des Malers geben. Hier wird zu fragen sein, wie die ǷAura“ der Maler-Persönlichkeit in Kommunikation (besser: in Zwiegespräch) mit der Betrachter-Persönlichkeit tritt: Verhüllt sich der Künstler im Werk, schützt er sein Werk womöglich vor dem Zugriff des ǷZu-Schauers“, also dessen, der etwas hinzugibt oder abzieht, der das Bild interpretiert?

Gerade Hoppers Werk fordert dazu heraus, auch ganz abstrakte Kategorien anzulegen. Hierunter fallen Überlegungen, die das Bild auf raum-zeitliche Verschiebbarkeit oder Beweglichkeit untersuchen: Ist der Bildeindruck ein stehender oder ein fließender? Dies lässt sich meiner Meinung nach beantworten, indem man nach dem Verhältnis von belebten und unbelebten Bildinhalten fragt, oder, darüber hinaus: Erschließt sich, die Bewegung im Bild, als bloßer Seheindruck, oder gibt es eine weitere Ƿpsychische“ Kategorie, die z. Bsp. darauf abzielt, beim Betrachter die Erwartung von Bewegung gerade dort zu wecken, wo das Bild selbst diese Erwartung enttäuscht oder negiert? Luhmanns Theorie hat ǷWeltkunst“ zum Inhalt. Das eröffnet die Frage nach der kunstgeschichtlichen Einordbarkeit des Hopper´schen Werkes: Welche spezifische Realität meint Hopper, welche kontextgebundenen sozialen, geschichtlichen oder metiergebundenen Aspekte leiten ihn? Und last, but not least: Die soziologischen Fragen...

Was macht den Künstler zum Künstler, wie Ƿverhält“ er sich, mit welchem Verhalten Ƿrechnet“ er? Auf welchen Ebenen der Kommunikation stellt der Künstler Verbindungen zu seiner Umwelt her, bzw. umgekehrt? Wie passen ǷWeltkunst“ als theoretisches Gebäude und die tatsächlich vorhandene ǷKunstwelt“ zusammen? Welche Realität teilen sie, welche Realität trennt sie, oder ist es womöglich so, dass die Realität selbst aufgetrennt wird, wenn sich herausstellt, dass ǷWeltkunst“ und ǷKunstwelt“ jeweils genau eine solche Realität bilden, deren jede überhaupt nur über den Ausschluss der anderen behauptet werden kann? Luhmann schreibt:

ǷDie vielleicht wichtigste Einsicht ist, dass die moderne Kunst eine auf eigenes Unterscheiden gegründete Welt konstruiert. Sie ist genau in diesem Sinne Weltkunst.“ (1997; S. 77)

Hier kann man gleich im Anschluss fragen: Ist die Kunst sich ihres Tuns bzw. ihrer Existenz denn überhaupt bewusst? Warum unterscheidet sie überhaupt - weil die sie umgebende Welt Ƿnicht genug“ unterscheidet, oder weil sie durch eine bestimmte Art der Unterscheidung die Unterscheidung selbst abheben und bestimmen will? Ist die Unterscheidung Selbstzweck oder dient sie vielleicht einer ganz anderen Idee? Viele dieser Fragen beantwortet Luhmann, andere, die sich für mich gerade aus dem konkreten Bemühen um Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk ergeben, lässt er unbeantwortet.

Mit diesen Formulierungen sei nun der Rahmen gesteckt, innerhalb dessen sich mir der Vergleich des Künstlers Hopper mit dem Theoretiker Luhmann nach einer ersten, intuitiven Betrachtung aufgeschlossen hat.

Ich möchte noch vorab betonen, dass ich mit der Zuordnung der Begriffe ǷKünstler“ und ǷTheoretiker“ nicht den Ausdruck einer Wertung verstanden wissen möchte. Sie bezeichnet nur den Tatbestand, dass ein Künstler in seinem Ausdruck verstanden werden will (also gleichsam seinen Ausdruck auf das Verstehen anwendet), während der Theoretiker sich den Künstler für sein Verständnis Ƿbestimmt“ (und so sein Verstehen auf den Ausdruck anwendet).

2.) Eine Charakterisierung des Werkes von Edward Hopper

Edward Hopper (1882-1967) war unter allen Gesichtspunkten ein amerikanischer Maler, und nicht mal ein guter. CLEMENT GREENBERG, zu jener Zeit Amerikas bedeutendster Kunstkritiker, schrieb 1946 über Hopper:

ǷMan sollte eine neue künstlerische Kategorie erfinden für das, was Hopper macht. Seine Mittel sind epigonal, armselig und unpersönlich. Aber sein Sinn für Komposition reicht im Grunde aus, um uns einen Blick in den derzeitigen Zustand des amerikanischen Lebens tun zu lassen, den unsere Literatur nicht bietet - und das, obwohl es sich dabei um einen durchaus literarischen Vorgang handelt. (...) Hopper ist einfach ein schlechter Maler. Aber wenn er ein besserer Maler wäre, dann wäre er wahrscheinlich kein so großer Künstler.“ (zitiert nach Kranzfelder; 1998; S. 177)

Hoppers im Bild erscheinende Personen wirken häufig wie Staffage, als ob Hopper mit ihnen das Menschliche nur klischeehaft, repräsentativ darstellen wollte; sie wirken durch ihre Gestenlosigkeit, ihre unentschiedene Mimik, ihre Unaufmerksamkeit und ihre (physische wie psychische) Unbewegtheit, aber ebenso durch ihr hilfloses, autistisch anmutendes Tun fast durchweg teilnahmslos, müde und isoliert, und das auch dort, wo Beziehungslosigkeit nicht eigens dargestellt werden soll, wie z. Bsp. in ǷCape Cod Evening“:

Cape Cod Evening (1939); 76,8 x 102,2 cm

Die Blicke der Menschen scheinen nicht auf etwas Bestimmtes gerichtet zu sein, ihre Augen befinden sich schon durch die unterschiedlichen Körperhaltungen auf keiner gemeinsamen Ebene, die ihnen eine Beziehungsaufnahme erlauben würde. Beide, die Frau und der Mann, blicken den Schäferhund an, der seinerseits in die Richtung blickt, in der er sich von den beiden Menschen her betrachtet befindet. Hopper meinte zu diesem Bild, der Hund würde auf ein Tier oder ein Geräusch achten, das sich außerhalb des Bildes befände. Bezeichnenderweise ist diese Stellungnahme so ohne weiteres nicht nachvollziehbar: Man hat eher den Eindruck, als würde der Hund genau deshalb wegschauen, weil er betrachtet wird. Der Eindruck von Beziehungslosigkeit wird zudem dadurch verstärkt, dass die dargestellten Lebewesen sich zwar mit ihren Körpern einander zuwenden, ihre Blicke aber voneinander weg weisen. Man könnte sagen: Gerade dadurch, dass sie einander nicht sehen (wollen), sind sie aufeinander bezogen - nicht nur eine Beziehungslosigkeit ist dargestellt, sondern vielmehr eine Art Anti- Beziehungshaftigkeit.

Auch viele andere Bilder Hoppers stellen Menschen in gegenseitiger Beziehungslosigkeit dar, die allerdings nicht wirklich ein antipathisches Voneinander-Abwenden ist; vielmehr scheinen sie nicht zu wissen, wie sie es anstellen sollen, nehmen einfach aus Desinteresse die Gelegenheit nicht wahr oder erkennen die Notwendigkeit des Handelns nicht. Oft sieht man Personen von hinten oder schräg hinten, oder sie lesen, beschäftigen sich, lenken sich ab, was aber meiner Ansicht nach in den wenigsten Fällen als Einkehr (oder ǷIntrospektive“, wie IVO KRANZFELDER es nennt) verstanden werden kann.

Ein immer wiederkehrendes Motiv bei Hopper ist der ǷBlick aus dem Fenster“. Ist aus immanenter Perspektive ein Innenraum dargestellt, richtet sich die Aufmerksamkeit der darin befindlichen Person häufig auf die Möglichkeit der Bezugnahme auf ein ǷAußen“, die Außenwelt, die meistens inkonkret oder nur angedeutet bleibt. Oder aber der Maler lässt den Betrachter des Bildes durch ein Fenster, eine Türflucht oder hinter einer Ecke hervor auf die dargestellte Person blicken und transportiert so die Außenwelt in das Bild hinein. Dieser Eindruck wird fast immer durch eine (nicht sichtbare) Lichtquelle verstärkt, die Schatten und angestrahlte Flächen im Innenraum gegeneinander auftreten lässt. Eine verwandte Intention kann Hoppers ǷBrückenbildern“ unterstellt werden. Eine Brücke wird bei Hopper nie ganz sichtbar, ein Ende bleibt immer außerhalb des Bildes - die Außenwelt ist somit die des Betrachters.

Queensborough Bridge (1913)

Hopper malte auch viele Gebäude, Großstadthochhäuser, Cafés, Büros, ǷBürgersteigszenarien“, aber auch viele Kleinstadt-Einfamilienhäuser, Reihenhäuser, Motels und Tankstellen. Daneben Szenen aus der Provinz, einsame Dorfstraßen und kleinbürgerliche Idyllen. Weiterhin existiert eine große Zahl von Landschaftsbildern, auf denen Leuchttürme (ein Lieblingsmotiv Hoppers), Eisenbahnlinien, Bahnübergänge und Überlandstraßen mit säumenden Telegraphenmasten dargestellt sind. Was Hopper aber bezeichnenderweise nie zeigt - und genau das lässt eine große Nähe zu Luhmanns Theorie entstehen -, das ist der Mensch in der Natur. Wie die Leuchttürme markieren immer vom Menschen geschaffene Dinge (meistens Häuser) die Grenze zur Natur. So stehen z. Bsp. häufig Personen auf einer Türschwelle, d. h. am Rand zur Außenwelt / Umwelt / Natur. (Zur näheren Deutung dieses Umstands als Zwiespalt zwischen Mensch und Natur siehe Kranzfelder; S. 80 ff.)

Hopper als vielseitigen oder gar tiefgründigen Maler zu bezeichnen wäre - zumindest bezüglich der Wahl seiner Motive - sicherlich übertrieben. Meist geht es ihm darum, hergestellte Dinge oder Geräte (aber auch Menschen in einem analogen Sinn) in ihrer Funktionalität und nüchternen Faktizität (oder ǷGeworfenheit“, um ein Wort HEIDEGGERs zu gebrauchen) das sein zu lassen, was sie sind; darüber hinaus fragt er nach keiner weiteren oder höheren Bedeutung. Neben dem (meist eindimensionalen und in gleicher Form wiederkehrenden) Gegensatz Mensch/Natur taucht immer wieder die Thematisierung der amerikanischen Normalität, des Unspektakulären und Alltäglichen, aber auch des Tristen und Hoffnungslosen auf.

Ebenso hat sich Hoppers Stil während seiner gesamten Schaffenszeit fast überhaupt nicht verändert, sieht man von einigen wenigen Referenzen an die französischen Impressionisten und einem eher schwachen Einfluss durch DEGAS und MANET ab. Auch ein Experimentieren mit eigenen Mitteln ist als geringfügig einzustufen. Zwar werden Hoppers Bilder im Laufe seines Schaffens zunehmend Ƿleerer“ (KRANZFELDER), d. h. es fand eine Reduktion der Zahl von Bilddetails statt, wie auch die Bewegung zunehmend aus Hoppers Bildern verschwindet. Hopper kann als Realist in dem Sinne eingestuft werden, dass er scheinbar nur die Faktizität der Dinge, ihr nacktes Gegebensein und ihre Unveränderlichkeit zeigen wollte. Der Gedanke einer Veränderbarkeit oder einer verändernden, in den Lauf der Welt eingreifenden Darstellung muss Hopper als in sich widersprüchlich und angesichts der erdrückenden Macht und Gleichmütigkeit des Gegebenen als unbedeutend empfunden haben.

Was bei der Interpretation von Hopper erschwerend hinzukommt, ist die Tatsache, dass Hopper sich zu seinen Werken so gut wie gar nicht geäußert hat. Es existieren nur sehr wenige und äußerst spärliche Aussagen. Die interessanteste ist wohl die (ebenso knappe und nebulöse wie aufschlussreiche) Auskunft, es sei sehr schwer, Ƿein Außen und ein Innen gleichzeitig zu malen.“

3.) Kurze Rekapitulation von Luhmanns Theorieansatz

Ganz offensichtlich hat Luhmanns Theorie ihren Dreh- und Angelpunkt im Formbegriff. Das ist, was die Begrifflichkeiten der Kunsttheoriegeschichte angeht, nicht sonderlich neu, und deshalb erscheint es mir wichtig, in einer kurzen Zusammenschau die wesentlichen korrelierenden Begriffe zu bezeichnen, die Luhmanns Theorie zu einer soziologischen machen. Es sind dies z. Bsp. Begriffe wie ǷBeobachtung“ und Ƿbinäre Codierung“. Aber auch Luhmanns ǷWelt“-Begriff spielt eine zentrale Rolle, impliziert er doch Unterscheidungen wie ǷFremdreferenz/Selbstreferenz“ oder ǷSystem/Umwelt“. Ebenso wichtig und deshalb an allen Orten präsent ist in meiner Arbeit eine permanente Diskussion der Luhmann´schen Analysemethode, die ich an dieser Stelle bereits als dialektisch motiviert bezeichnen möchte, und auf deren besondere (und problematische) Anwendung schon an dieser Stelle hingewiesen sei. Ich werde mich im Folgenden primär auf Luhmanns Beitrag in ǷSoziologie der Kunst“ (1997; S. 55-99) beziehen, der alle relevanten Gesichtspunkte aus ǷDie Kunst der Gesellschaft“ (Niklas Luhmann, 1995) zusammenfasst, aber auch dieses Werk berücksichtigen, falls es nötig ist. Diese Beschränkung ergibt sich aus dem (begrenzenden) Anspruch, eine gleichberechtigte und konzentrierte Auseinandersetzung mit Hopper zu gewährleisten. Beide Werke Luhmanns werde ich im Folgenden gemäß ihres Erscheinungsjahres und ohne jeweilige Nennung des Autors mit Ƿ1997“ bzw. Ƿ1995“ kennzeichnen.

Eingangs formuliert Luhmann, was er unter ǷWeltkunst“ versteht; von entscheidender Relevanz sei der historisch neue Umstand, dass der Ƿnaturale kosmologische Weltbegriff“ durch die Transzendentalphilosophie gesprengt worden sei; dies habe Auswirkungen in allen Bereichen, auch auf das Gesellschaftssystem gehabt. Von den drei Ƿrelevanten Sinndimensionen“ (zeitlich, sachlich und sozial), die verändert worden seien, sei nur eine herausgegriffen:

ǷSozial gesehen werden alle menschlichen Individuen als Subjekt und insofern als gleich dargestellt mit der Folge, dass die soziale Ordnung nicht mehr von der Natur der Individuen abhängen kann. (...) Das, was dann noch als Welt angesehen werden kann, transzendiert all diese Schematismen und zieht sich in ihre Horizonte zurück.“

Und seit HEGEL gelte:

ǷAussagen über die Welt können nun nicht mehr als ein Hinüberkopieren von Sachverhalten ins Bewusstsein verstanden werden.“

Nichtsdestotrotz bleibe aber die für die Kunst die Forderung nach einem ǷMehrwert“, Ƿden die Welt selbst nicht anbieten kann“ (alle 1997; S. 56 f.), jetzt, da die Welt nicht mehr als Ganzes vorausgesetzt werden könne. Die diesem Umstand Rechnung tragende Lösung sieht Luhmann im Ƿdifferenztheoretisch angesetzten, Erkennen und Handeln übergreifenden Begriff des Beobachtens“ gegeben:

ǷDer Beobachter setzt sich ab. Aber alle Beobachtung von Welt ist nur als Beobachtung in der Welt möglich, und letztlich: als Beobachtung von Beobachtern. Es kommt darauf an, welche Differenz es macht, wenn Welt beobachtet wird, und das kann man nicht in der Welt, sondern nur an Beobachtern beobachten.“ (beide ebd.)

Die Welt ist so für Luhmann Ƿnur eine Kunstwelt, nur das Artefakt ihrer Selbstbeschreibung.“ (ebd.; S. 58); an späterer Stelle wird sie sogar als vollkommen unreflektierbar beschrieben: ǷDie Welt - das ist der blinde Fleck ihrer Selbstbeobachtung.“ (S. 66) Was heißt das nun für die Kunst?

Die prämoderne Kunst sei durch die von ihr betriebene ǷZentralperspektive“ letztlich Ƿkeine Lehre der Entschlüsselung der Machart des Kunstwerks, sondern nur eine Lehre für den Künstler“ gewesen: ǷDer Betrachter soll das Bild so sehen, wie er normalerweise die Welt sieht, er soll durch die (für ihn nicht sichtbare) Perspektive dazu verführt werden.“ Der Künstler hingegen Ƿist nicht daran interessiert selber als Beobachter beobachtet zu werden.“ (alle S. 58) Der ǷStrudel der Umorientierung“ wirke nun auf die moderne Kunst derart ein, dass diese den Betrachter auf ganz andere Art provozieren wolle: ǷSie legt es darauf an, selbst als Beobachter beobachtet zu werden.“ (beide S. 59)

Transparenz, Entschlüsselbarkeit wird also hier von Luhmann als das wesentliche Merkmal an der modernen Kunst identifiziert, und es geht einher mit einem gewissenhaften, selbstentblößerischen Gestus: Die Künstler Ƿhalten sich an ihre Mittel“ (S. 59), sie sind darüber hinaus daran interessiert, den Rezipienten gleichsam demokratisch an diesem Prozess teilhaben zu lassen. Nichts findet mehr heimlich statt, Beobachtbarkeit ist Postulat und Dogma der modernen Kunst. Was die Machart des Kunstwerks betrifft, ist keine Zweideutigkeit, kein Hintersinn mehr zulässig, dem Künstler ist es nicht mehr gegeben sich in bzw. Ƿhinter“ sein Werk zurückzuziehen. Die Kunst wird geschichtslos. Und nun fragt Luhmann: ǷWas beobachtet man, wenn man beobachtet, dass Künstler sich an ihre Mittel halten?“ Antwort:

ǷMan beobachtet das Beobachten. Man beobachtet das Einsetzen von Markierungen in einen zunächst leeren Raum oder in eine zunächst leere Zeit. Nichts anderes soll gemeint sein, wenn wir sagen: man beobachtet das Gewinnen von Form.“ (beide ebd.)

Das, was nun „Weltkunst“ vor ǷObjektkunst“ (die nur in einer Wiederholung und Affirmation des vom Künstler Gemeinten bestehe) auszeichnet, sei, so Luhmann, die Beschreibung dessen, Ƿwas damit notwendig einhergehe; nämlich die Unterscheidung des Hervorgehobenen von anderem.“ (ebd.) Es ergäben sich neue Möglichkeiten des Sehens. Die Unterscheidung von Form und Inhalt sei dazu unbrauchbar. Sie habe nur bewirken können, Ƿdie Einheit der Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz zum Ausdruck zu bringen, denn Form steht für Selbstreferenz und Inhalt steht für Fremdreferenz. Aber die Frage bleibt dann: aufgrund welchen operativen Verständnisses?“ (S. 60)

Schon in ǷDie Kunst der Gesellschaft“ stellte Luhmann seine Theorie der Kommunikation auf die Füße der Unterscheidung Selbstreferenz (=Mitteilung) und Fremdreferenz (=Information). Die Kommunikation war hier die Reproduktion dieser Unterscheidung und in diesem Sinne konträr zur psychischen Wahrnehmung gedacht worden. Kunst kommuniziere ausschließlich durch Kunstwerke, behauptete Luhmann dort, und über die Beobachtung sei ebenfalls der Gebrauch einer Unterscheidung etabliert, bloß werde nun eine der beiden möglichen Seiten der Form beschrieben.

[...]

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Edward Hopper und Niklas Luhmann. Bestätigt der Künstler den Theoretiker?
Untertitel
Eine theoriekritische Analyse
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Soziologisches Seminar)
Veranstaltung
Kunstsoziologie
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
32
Katalognummer
V302655
ISBN (eBook)
9783668030268
ISBN (Buch)
9783668030275
Dateigröße
2397 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziologie, Kunstsoziologie, Niklas Luhmann, Edward Hopper, Hopper, Luhmann, Systemtheorie, Dialektik, Kunsttheorie, Theorie der Kunst, Form, Formbegriff, Beobachtung, Ästhetik, Wahrnehmung, Beobachter, Richard Sennett, Sennett, Hegel, Kant
Arbeit zitieren
Frederik Schlenk (Autor:in), 1999, Edward Hopper und Niklas Luhmann. Bestätigt der Künstler den Theoretiker?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302655

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