Rechtsvergleichende Untersuchung der Vor- und Nachteile des monistischen und dualistischen Führungssystems


Seminararbeit, 2011

41 Seiten, Note: 14


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Schriftumsverzeichnis

Einführung

Ausgangspunkte
Trennung von Eigentum und Kontrolle
Konzeptionelle Ansätze
Pfadabhängigkeit (Path Dependence)
Einfluss der Europäischen Union

Länderbericht: dualistisches System
Historischer Abriss
Ausgestaltung des dualistischen Systems in Deutschland

Länderbericht: monistisches System
USA.
Großbritannien

Vor- und Nachteile
Generelle Vor- und Nachteile beider Systeme
Monistisches System
Dualistisches System

Spezifische Betrachtungen
Minimierung der agency costs
„Managerialism”
Mitbestimmung

Konklusion

Schriftumsverzeichnis

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A. Einleitung

Der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung - die Vor- und Nachteile des monistischen und dualistischen Führungssystems in Unternehmen - ist ein ständig wiederkehrender Topos, seit der deutsche Gesetzgeber - kommend vom monistischen System - mit den Aktienrechtsreformen von 1861, 1870, 1884 und spätestens 1937 das dualistische Führungssystem im Aktienrecht festgeschrieben hat; diese Festsetzung hat der deutsche Gesetzgeber 1960 bestätigt, während in den umliegenden Staaten dieses strikte dualistische System nahezu unbekannt gewesen und gerade im angelsächsischem Raum immer wieder auf Ablehnung gestoßen ist. Im Laufe der Jahrzehnte ist sowohl in der rechtswissenschaftlichen als auch wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion die Überlegenheit des einen oder anderen Systems propagiert worden.

Die Untersuchung der Vor- und Nachteile beider Systeme berührt einen Kernbereich der Corporate Governance. Darunter ist - vereinfacht - die Funktionsweise der Leitungsorgane, ihr Zusammenwirken und die Überwachung ihres Verhaltens zu verstehen.1 Dabei bestehen Lücken zwischen schlecht informierten Aktionären als Auftraggebern („principal“) und den umfassend informierten Führungskräften als den Beauftragten („agent“) - das sog. principal-agent-problem.2 Diese Lücken müssen im Sinne einer guten Corporate Governance geschlossen werden. Im monistischen Sytem geschieht dies zunehmend über die sog. independent Non-Executive Directors, im dualistischen System über den Aufsichtsrat.3

Die Diskussion um Vor- und Nachteile bzw. die Überlegenheit eines Systems flammte insbesondere immer wieder nach größeren Unternehmensskandalen auf - exemplarisch sind für den Anfang des 21. Jahrhunderts für Deutschland als Vertreter des Dualismus die Fälle Holzmann und Metallgesellschaft, für den Monismus die Skandale um Enron und die Barings Bank zu nennen - und ist nach der vergangenen Finanzkrise wieder hochaktuell. Es zeigt sich, dass beide Systeme im Einzelfall nicht frei von Missständen und Fehlern sind.4

Der jüngste Bericht des US Kongresses5 nennt als hauptschuldige Auslöser der Finanzkrise nicht nur die Wall Street, mithin also Unternehmen, die nach dem monistischen System organisiert sind, sondern weist auch der Deutschen Bank, einem Geldunternehmen das dem dualistischen System folgt, die Schuld zu. Dies legt den Schluss nahe, dass im Falle der Finanzkrise sowohl das monistische als auch dualistische System bei Kontrolle und Risikomanagement versagt haben.

Nach dem wirtschaftswissenschaftlichen Grundsatz, dass sich immer das jeweils effektivere und effizientere System durchsetzt, müsste sich die Diskussion über die seit dem späten 19. Jahrhundert bestehenden Divergenzen in den Führungssystemen der verschiedenen Rechtskreise eigentlich schon längst von selbst erledigt haben. Dabei ist gerade das Gegenteil der Fall - die Diskussion ist in Wissenschaft und Praxis wie eh und je präsent. Bei der Beantwortung der Frage nach dem Warum der anhaltenden Debatten und der Frage, warum sich nicht gemäß des o.g. wirtschaftlichen Grundsatzes ein System durchgesetzt hat, ist jedoch neben den reinen Systemuntersuchungen und deren immanenten Stärken und Schwächen auch die sozio-kulturellen und wirtschaftshistorischen und allgemein historischen Einbettung zu betrachten.

Der rechtsvergleichende Ansatz der vorliegenden Arbeit erfordert es, zunächst Länderberichte, also eine isolierte Betrachtung und Darstellung der Systeme, zu erstellen; dabei sollen vorliegend das Hauptaugenmerk auf den Lösungsansätzen der Corporate Governance in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika liegen. In der den Länderberichten folgenden Vergleichung hingegen „ wird jede der untersuchten Lösungen vor dem Hintergrund aller anderen untersuchten Lösungen gesehen und beurteilt, nicht mehr im Zusammenhang ihrer eigenen Rechtsordnung. (...) Die Lösungen der untersuchten Rechtsordnungen sind von allen systematischen Begriffen dieser Rechtsordnungen zu befreien, aus ihrer nur-nationalen dogmatischen Verkrustungen zu lösen und ausschließlich unter dem Aspekt der Funktionalit ä t, der Befriedigung des jeweiligen Rechtsbed ü rfnisses zu sehen. ” 6

B. Ausgangspunkte

Die vorliegende Arbeit wird sich im Wesentlichen auf die Betrachtung der verschiedenen Führungssysteme in an der Börse gehandelten Publikumsgesellschaften beziehen.

I. Trennung von Eigentum und Kontrolle

Ein der Corporate Governance seit langem immanentes Problem ist die Trennung von Eigentum und Kontrolle bzw. Verfügungsgewalt.7 Vom Grundgedanken her besteht sowohl im monistischen wie auch im dualistischen System bereits eine unabhängige Überwachungsinstanz - die Gesellschafter8 ; sowohl im dualistischen System, in dem diese durch die Wahl des Aufsichtsrates9 und Möglichkeit der Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern10, als auch beim monistischen System, in dem diese die Board-Mitglieder wählen und abberufen können.11 Die für die Überwachung notwendigen Informationen erhalten die Gesellschafter dabei über die verschiedenen Berichtspflichten und Einsichtsnahmerechte.12 Diese Art der unabhängigen Überwachung ist jedoch leider lediglich eine Utopie. In der modernen Publikumsgesellschaft besteht eine Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht.13 Diese Trennung zieht vor allem zwei Probleme nach sich: erstens das „principal-agent-Problem“ und zweitens das „collective-action-Problem“.

Ersteres Problem beschreibt die Informationsasymmetrie zwischen dem Eigentümer (principal) und dem Geschäftsführer (agent), welche u.a. zur Überwachung des agent durch den principal besondere Kosten hervorruft (sog. monitoring oder auch agency costs).14 Diese Kosten werden in einer Publikumsgesellschaft für den einzelnen Eigentümer, je geringer sein eigener Anteil ist, natürlich ansteigen und damit wird eine effiziente Überwachung durch den agent - weil mit zu hohen Kosten verbunden - unattraktiv.

Das zweite Problem, das collective-action-Problem, bezieht sich auf die durch die Zersplitterung der Eigenkapitalgeberfunktion bestehenden Schwierigkeiten einer dem Management gegengewichtigen Interessenvertretung.15 Die Kosten für den einzelnen Anteilseigentümer sind hoch, während der individuelle Nutzen bezogen auf das kollektive Wirken der Kontrollbemühungen relativ gering ist, sodass aus ökonomischer Perspektive für den Einzelnen Passivität hinsichtlich der Kontrolle/ Überwachung angeraten ist. Dies gilt umso mehr je diversifizierter die Aktionärsstruktur ist.

Zu beachten ist dabei jedoch, dass diese Problematiken von Rechtskreis zu Rechtskreis unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Dies hängt insbesondere mit den - historisch gewachsenen - unterschiedlich starken Ausprägungen der Aktionärsstruktur zusammen. In den USA herrscht vor allem bei an den Börsen gehandelten Publikumsgesellschaften eine sehr breit diversifizierte Aktionärsstruktur. Die Aktien befinden sich dort vor allem in Streubesitz; größere Anteile eines Einzelaktionärs gibt es nicht.16 Vergleichbares ist auch in Großbritannien zu beobachten.17

Gänzlich anderes gilt für Deutschland. Hier ist bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts eine starke Rolle institutioneller Investoren, vor allem von Banken, zu beobachten.18 Der Anteil an Aktien, die sich im Streubesitz befinden, ist relativ gering, während es mehr Einzelinvestoren gibt, die ein größeres Aktienpaket besitzen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war vor allem zu Zeiten der „Deutschland AG“ zu beachten, bei der die Unternehmen untereinander größere Aktienpakete besaßen - vergleichbar mit der Aktionärsstruktur in Japan.19

Die verschiedenen Führungssysteme versuchen diesen Problematiken unterschiedlich zu begegnen und vor allem die agency costs zu reduzieren.

II. Konzeptionelle Ansätze

Es gibt grundlegend zwei verschiedene Ansätze zur Corporate Governance. Erstens ist zu unterscheiden - abhängig von der Verortung der Kontrolle - zwischen interner Corporate Governance und externer Corporate Governance. Während bei dieser Art der Corporate Governance die Kontrolle über Marktmechanismen erfolgt, setzt jene auf ein verwaltungsinternes Gremium.20 Die externe Corporate Governance erfolgt insbesondere auf dem Markt für Unternehmenskontrolle, den Kapital- und Arbeitsmärkten und durch die Banken.21

Innerhalb des zweiten Ansatzes ist zwischen den Handlungsanforderungen an die Unternehmensverwaltung zu unterscheiden22. Die Handlungsmaxime kann einerseits lediglich die Interessensberücksichtung der Anteilseigentümer, also die Maximierung der Anteilswerte, sein (shareholder value), andererseits aber auch die Interessensberücksichtung sämtlicher mit dem Unternehmen verbunden Interessenträger - Gläubiger, Arbeitnehmer, Anteilseigner - und natürlich auch das Unternehmen als juristische Person selbst, sein (stakeholder value).23

III. Pfadabhängigkeit (Path Dependence)

Das Konzept der Pfadabhängigkeit besagt, dass neben dem Spiel der Märkte ebenso Tradition, Historie und Kultur das Recht geformt haben und dies auch weiterhin bestimmen.24 Die Entscheidungen und Entwicklungen in der Vergangenheit haben Auswirkungen auf die heutigen Entscheidungen und Situation. Durch die Pfadabhängigkeit besteht die Gefahr „ of welfare losses for the adoption of outside institutional arrangements. “ 25

In Deutschland bestand bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts eine etablierte Bankenwirtschaft, die der Kapitalgeber für die industrielle Revolution war und das moderne Aktienrecht schuf;26 „Depotstimmrecht, Aufsichtsratssitze und Vorsichtsprinzip sind die natürliche Folge.“27 Der Kleinanleger als Kapitalgeber war somit in der deutschen Unternehmensgeschichte nachrangig.

Dies steht diametral im Gegensatz zu der Entwicklung in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. In Großbritannien gaben, mit den Worten Bernhard Großfelds,den Anstoß(...) nicht die Banken, sondern wagemutige Unternehmer, die Kapital f ü r die sehr langen und riskanten Handelsfahrten nach Ost- und Westindien zu b ü ndeln suchten.“28 Ebenso in den USA, in der „ das riesige Land (...) große Chancen [bot], aber das Kapital (...) knapp [war], [und] (...) eine fl ä chendeckende Bankenorganisation [fehlte]. Wieder waren es wagemutige Unternehmer, die ü ber Aktiengesellschaften eine Finanzierung an den Banken vorbei unmittelbar bei den Investoren suchten und fanden. “ 29 Damit war sowohl in Großbritannien als auch in den USA der Grundstein gelegt für eine große Publizität der Aktie30 und damit eine große Zersplitterung der Aktionärsstruktur mit vielen Kleinanlegern.

Ein weiterer, bei der Pfadabhängigkeit zu beachtender Punkt, ist die - im anglo-amerikanschen Rechtskreis in der Weise unbekannte - Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Deutschland.31 Dies ist auch ein Ausdruck des in Deutschland vorherrschenden stakeholder Ansatzes.32

Des Weiteren sind bei der Betrachtung der Pfadabhängigkeit die verschiedenen Bankensysteme einzubeziehen. Das deutsche Universalbankensystem - also die Vereinigung von Kredit- und Investmentbank - ist im anglo-amerikanischen Rechtskreis unbekannt; dort sind Investmentbanken und Kreditbanken getrennt - am striktesten unter dem Glass-Steagall System in den USA,33 welches den Banken Beziehungen zu Nichtbanken mit Ausnahmen von passiven Beteiligungen unter 5% untersagt.34

Die starke Stellung der Universalbanken in Deutschland gibt diesen erheblichen Machteinfluss auf die Unternehmen in Deutschland. Seit langem bestehen wesentliche Beteiligungen deutscher Banken an Schlüsselindustrien35 und diese besetzen traditionell36 viele Aufsichtsratsposten.37

Aufgrund der langsameren Entwicklung des Kapitalmarktes in Deutschland38 ist der Markt für Unternehmenskontrollen - mithin also ein Teil des externen Kontrollsystems39 - deutlich schwächer ausgeprägt als in Großbritannien oder den USA.40

IV. Einfluss der Europäischen Union

Gerade in Europa wird die Corporate Governance Debatte um die Führungssysteme durch das Europarecht im Bezug auf börsennotierte Gesellschaften stark beeinflusst.41 Zuletzt zeigt die Veröffentlichung des “Grünbuch Europäischer Corporate Governance-Rahmen” durch die Europäische Kommission, dass sich mit diesem Thema laufend beschäftigt wird.42

Es ist damit zu rechnen, dass in Zukunft auch außerhalb der SE eine Wahlmöglichkeit zwischen dualistischem und monistischem System in der Europäischen Union kommen wird.

C. Länderbericht: dualistisches System

Das dualistische System ist, mit den Worten von Klaus J. Hopt „ historically the incarnation of the idea of a strictly separate outside board to control the management board for the sake of the shareholders, but also to protect the public interest. “ 43

Im dualistischen System (auch “two-tier system”) sind Unternehmensleitung und Aufsicht in zwei verschiedenen Organen aufgeteilt - Vorstand und Aufsichtsrat. Während der Vorstand für die Leitung des operativen Geschäftes zuständig ist, zeichnet der Aufsichtsrat für die Kontrolle des erstgenannten Organs sowie die Festlegung der Unternehmensgrundsätze verantwortlich.44 Das dualistische System ist hauptsächlich im Gesellschaftsrecht Deutschlands zu finden. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich daher auf Deutschland als Vertreter des dualistischen Systems.

I. Historischer Abriss

Das dualistische System in Deutschland ist keineswegs ein dem deutschen Gesellschaftsrecht originäres.45 Bis zur Aktienrechtsreform von 1861 bestand die Unternehmensleitung nur aus einem Verwaltungsrat. Die Reform von 1861 führte auf Grundlage der Beratungen der Nürnberger Konferenz von 1857 in Art. 204 ADHGB den Aufsichtsrat als Kontroll- und Überwachungsorgan auch nur fakultativ ein.46 Erst mit der Aktienrechtsnovelle von 1870 wurde die Einrichtung eines Aufsichtsrates, als Ersatz für das staatliche Konzessionssystem, obligatorisch.47 Jedoch blieb auch nach einer weiteren Änderung im Jahre 1884 die Möglichkeit für die Satzungsgeber bestehen, dem Aufsichtsrat neben der Kontrollfunktion weiterhin Verwaltungsfunktionen zuzuschreiben.48 Erst mit der Aktienrechtsreform von 1937 wurde der Aufsichtsrat zum einem reinen Kontrollorgan gemacht.49 Auch mit der Reform von 1961, bei der die Einführung des anglo-amerikanischen monistischen Systems diskutiert aber letztlich doch verworfen wurde, hat sich daran nichts geändert.50

Interessantes findet sich dabei in der Allgemeinen Begründung zur Novelle von 188451: „ Meinungsverschiedenheit besteht dagegen hinsichtlich der Beibehaltung des Aufsichtsraths als eines obligatorischen Organs. [...] Die Gegner ü berstehen indessen die reale Gestaltung der Dinge. Neben der Verwaltung eines mit den weitesgehenden Befugnissen ausgestatteten Vorstandes vermag nur ein st ä ndiges Organ die Interessen der Gesellschaft und der Gesellschaftsgl ä ubiger mit Erfolg wahrzunehmen. [...] Verst öß e gegen das Gesetz und den Gesellschaftsvertrag seitens des Vorstandes können vielmehr wirksam nur durch ein, die Verwaltung desselben stetig im Auge behaltendes Organ verh ü tet werden. Ein nur zeitweise fungirendes Organ wird meist dem schon eingetretenen Schaden gegen ü berstehen und, unbekannt mit den einzelnen Vorg ä ngen der Verwaltung, sich begn ü gen, seine Th ä tigkeit auf eine rein formelle Pr ü fung der Rechnungen und der Buchf ü hrung zu beschr ä nken, daher zu der Stellung einfacher Rechnungsrevisoren herabsinken. “ 52

[...]


1 Kort, MüKo zum AktG, Vor § 76, Rdn. 1, Rdn. 72.

2 Vgl. auch den Bericht der High Level Group, S. 63.; abgerufen am 26. Apr. 11 unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf.

3 Siehe unten.

4 Lieder, Aufsichtsrat, S. 643 mwN.

5 United States Senate PERMANENT SUBCOMMITTEE ON INVESTIGATIONS Committee on Homeland Security and Governmental Affairs, Wall Street and the Financial Crisis, 13. April 2011, abgerufen am 16. April 2011 unter: http://hsgac.senate.gov/public/_files/Financial_Crisis/FinancialCrisisReport.pdf; vgl. auch Financial Times Deutschland vom 14. April 2011, US-Senat stellt Goldman und Deutsche Bank an den Pranger, abgerufen am 16. April 2011 unter: http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/:aufarbeitung-der-finanzkrise-us-senat-stellt-goldman- und-deutsche-bank-an-den-pranger/60039530.html.

6 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 3 V, S. 43.

7 Vgl. dazu nur Hopt/Leyens, Board Models in Europe - Recent Developments of Internal Corporate Governance Structures in Germany, the United Kingdom, France, and Italy, ECFR 2004, 135, 136, mwN in Fußnote 1.

8 Vlg. dazu auch Conard, Die Überwachung des Unternehmensmanangements, ZGR 1987, S. 180, 185.

9 § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG.

10 § 103 AktG.

11 Vgl. nur Del. Code Ann. tit. 8, §§ 141(k), 211.

12 Für Deutschland: § 131 AktG; für die USA siehe z.B. Securities Exchange Act von 1934, Regulations, 17 C.F.R. § 240. 14 a-3.

13 Vgl. dazu grundlegend: Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property, 1933; siehe auch: Baums, Der Aufsichtsrat - Aufgaben und Reformfragen, ZIP 1995.

14 Vgl. nur Leyens, RabelsZ67, 57, 63.

15 Vgl. nur Leyens, aaO, 63.

16 Roe, 102 Yale L.J. 1927.

17 Pothoff, BFuP 1996, 253, 257; Großfeld, Bilanzziele und kulturelles Umfeld, in: WPg, 1994, 797.

18 as Pothoff, BFuP 1996, 253, 258.

19 Siehe Roe, 102 Yale L.J 1927.

20 Vgl. nur Leyens, RabelsZ 67, 57, 63.

21 Hopt, Gemeinsam Grundsätze der Corporate Governance in Europa?, ZGR 2000, 779, 782.

22 Leyens, aaO, 64.

23 Vgl. Leyens, aaO.

24 Hopt/Prigge in Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (Hrsg.): Comparative Corporate Governance, 1998, V; ebenda, S. 1201ff.

25 Bratton/McCahery, Comparative Corporate Governance and the Theory of the Form: The Case Against Global Cross Reference, 38 Columbia Journal of Transnational Law 213.

26 vgl. dazu Pothoff, BFuP 1996, 253, 257; Großfeld, Bilanzziele und kulturelles Umfeld, in: WPg, 1994, 797.

27 Großfeld, aaO.

28 Großfeld, aaO.

29 Großfeld, aaO; Roe in Hopt/Wymeersch, Comparative Corporate Governance, 1997, S. 165 (168f.).

30 Potthoff, BFuP 1996, 253, 258.

31 Vgl. Hopt, Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europa?, ZGR 2000, 779 (798).

32 Vgl. nur Hopt, aaO, 799; auf den Inhalt und die Folgen der Mitbestimmung in Deutschland soll dabei jedoch in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden.

33 Hopt, aaO, 803; Hoffmann, WM 2000, 1773.

34 Roe, Some Differences in Corporate Structure in Germany, Japan, and the United States, 102 Yale L.J. 1927, 1949.

35 Zur historischen Entwicklung vgl. insbes. Roe, aaO, 1927ff, 1998.

36 Siehe oben.

37 Hopt, aaO, 804; Roe, aaO.

38 Vgl. nur Hopt, aaO, 803.

39 Siehe oben.

40 Hopt, aaO, 804.

41 Van Hulle/Maul, ZGR 2004, 484; Hopt, ZIP 2005, 461.

42 Abgerufen am 8. Mai 2011 unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/com2011-164_de.pdf.

43 Hopt, The German Two-Tier Board: Experience, Theories, Reforms, in Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge, Comp. Corp. Governance, 1998, S. 230.

44 Vgl. dazu nur Kessler, RIW 1998, 602, 604ff.

45 vgl. ausführlich zur Geschichte des Aufsichtsrates expemplarisch Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht, 1961, S. 270 ff; Lieder, Aufsichtsrat, Kapitel B. “Leitlinien der Entwicklungsgeschichte des Aufsichtsrats”.

46 Schiessl, ZHR 167, 235, 237f.

47 vgl. nur Lieder, Aufsichtsrat, S. 102f.

48 Schiessl, S. 238.

49 Schiessl, S. aaO.

50 Schiessl, aaO.

51 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags 1884, Aktenstück Nr. 21, S. 215 ff., zu finden unter: http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt3_k5_bsb00018447_00000.html (abgerufen am 28. April 2011).

52 RT 1884, Aktenstück Nr. 21 (1884), S. 286 f.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Rechtsvergleichende Untersuchung der Vor- und Nachteile des monistischen und dualistischen Führungssystems
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
14
Autor
Jahr
2011
Seiten
41
Katalognummer
V302649
ISBN (eBook)
9783668058583
ISBN (Buch)
9783668058590
Dateigröße
829 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Führungssysteme, Vorstand, Aufsichtsrat, monistisch, dualistisch, Rechtsvergleich
Arbeit zitieren
Fabian Reischauer (Autor:in), 2011, Rechtsvergleichende Untersuchung der Vor- und Nachteile des monistischen und dualistischen Führungssystems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302649

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