Stereotypen im Vergleich. Kulturelle, gesellschaftliche und sprachliche Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien


Hausarbeit, 2014

47 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Methode: Leitfaden-Interview

3. Einführende Begriffserklärungen
3.1 Semiotik: Was ist das?
3.2 Definition: Stereotyp

4. Semiotische Analyse der Resultate
4.1 Norditalien
4.1.1 Persönliche Einschätzung spezifischer Merkmale der eigenen Gesellschaft und Kultur
4.1.2 Linguistische Besonderheiten
4.2 Süditalien - Rom -
4.2.1 Persönliche Einschätzung spezifischer Merkmale der eigenen Gesellschaft und Kultur
4.2.2 Linguistische Besonderheiten
4.3 Autostereotypen und Heterostereotypen im Vergleich
4.3.1 Rom über Norditalien
4.3.2 Norditalien über Rom

5. Zusammenfassung der Resultate in Bezug auf die Problematik: Stereotypen

6. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Gedanken an kulturfremde Gesellschaften lösen in jedem Individuum unwillkürlich bestimmte Vorstellungen hervor. Diese Ansichten können der Wahrheit entsprechen, stimmen aber nicht ausnahmslos mit der Realität überein. Im herkömmlichen Sprachgebrauch werden diese Vorstellungen als Klischees bezeichnet, wohingegen in der Wissenschaft der Begriff Stereotypen verwendet wird.1

Diesbezüglich assoziiere ich beispielsweise die italienische Kultur und Gesellschaft automatisch mit Pizza, Pasta und der Mafia. Des Weiteren habe ich das Bild einer Gesellschaft im Kopf die sehr laut ist und auffällig gestikuliert. Demzufolge stellte es sich als interessant heraus zu erfahren, wie Italiener selbst über ihre Gesellschaft denken.

In der vorliegenden Arbeit soll dementsprechend untersucht werden und der folgenden Forschungsfrage nachgegangen werden: Inwieweit bestehen gesellschaftliche, kulturelle und sprachliche Unterschiede zwischen Nord- und Süditalienern und wie lassen sich diese Unterschiede, in Bezug auf die Problematik der Stereotypen, als Zeichen analysieren? Zur Beantwortung der Frage wurden zwei Leitfaden-Interviews durchgeführt, wobei die erste Interviewpartnerin eine Repräsentantin der norditalienischen und die zweite Interviewpartnerin eine Repräsentantin der römischen Gesellschaft darstellt. Obwohl Rom geographisch gesehen in Mittelitalien liegt sprachen die Interviewerinnen selbst oftmals von Süditalien, weshalb in der Analyse Nord- und Süditalien im Vergleich stehen.

Der Aufbau dieser Arbeit gestaltet sich wie folgt: Vorerst wird die Methode des Leitfaden-Interviews vorgestellt (Kap. 2). Für ein besseres Verständnis werden danach die Begriffe Semiotik und Stereotypen erläutert (Kap. 3). Der Hauptteil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der semiotischen Analyse ausgewählter sprachlicher und nicht-sprachlicher Zeichen. Dabei werden die Schilderungen von Seiten der Befragten über die jeweils eigene und die kulturfremde Gesellschaft gegenübergestellt und verglichen. Schließlich werden relevante Resultate der Analyse zusammenfassend betrachtet (Kap. 4). Den Abschluss dieser Arbeit bildet das Fazit, in welchem die Ergebnisse der Analyse interpretativ dargestellt werden sowie ein Ausblick für anschließende Forschungsvorhaben erläutert wird (Kap. 5).

Der Rahmen dieser Arbeit ist begrenzt, weshalb sich die Auswahl der zu analysierenden Aussagen und Gesten aus den Interviews auf wenige beschränkt.

Da die Fachliteratur bezüglich des Themas begrenzt ist, werden überwiegend die Seminartexte von Giovanni Lanza als theoretische Grundlage verwendet sowie die beiden Interviews das Fundament für den analytischen Teil bilden.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die folgende Analyse der vorliegenden Arbeit meine individuellen Interpretationen enthält, da ich als Interviewerin und Verfasserin dieser Arbeit fungiere. Ganz unwillkürlich unterliegen die Interpretationen meinen eigenen kulturellen, politischen, religiösen und gesellschaftlichen Hintergründen. Meine Auslegungen können richtig sein und dennoch Raum für weitere Interpretationen lassen.

2. Methode: Leitfaden-Interview

Das Leitfaden-Interview gilt als eine teilstandardisierte und qualitative Erhebungsmethode. Mit Hilfe des offenen und flexiblen Aufbaus und Ablaufs gelingt es individuelle Sichtweisen von Befragten aufzudecken. Dabei fungiert der Leitfaden als Grundgerüst für den Verlauf des Interviews und als eine Art Gedankenstütze, mit Hilfe derer alle forschungsrelevanten Aspekte angesprochen werden können. Der flexible Fragenkatalog beinhaltet offene Formulierungen, die in ihrer Reihenfolge variabel sind. Dabei ist es wichtig, dass der Befragende den Gesamtüberblick über die Interviewsituation behält und sich zusätzlich dem Verlauf des Gesprächs anpasst sowie eine kontinuierliche Verbindung zwischen dem Leitfaden und dem Gesprächsprozess herstellt. Unbedingt zu vermeiden sind hierbei Wiederholungen von Fragen, eine zu starre Orientierung am Leitfaden sowie sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen, wobei die Gefahr besteht, dass der Fokus des Fragenkatalogs verloren geht. Nichtsdestotrotz ist der Befragende dazu angehalten bei interessanten und unklaren Aussagen nachzuhaken. Schließlich stellt es sich für den Interviewer als essentiell heraus, sich gegenüber den Befragten neutral und aufgeschlossen zu verhalten, ihm mit Sensibilität zu begegnen und Anonymität zuzusichern.2

3. Einführende Begriffserklärungen

Das Feld semiotischer Theorien ist sehr breit gefächert und beinhaltet die Lehren der Zeichen in jeglicher Form, dabei kann nach Peirce alles ein Zeichen sein.3

Für die Bearbeitung der Forschungsfrage dient die Peirce´sche Theorie, welche die Definitionen von Zeichen sowie dessen Funktionen und Bedeutungen einschließen, als Grundlage für die folgende semiotische Analyse der Interviews.

3.1 Semiotik: Was ist das?

Die Semiotik bezeichnet:

„an action, or influence, which is, or involves, a cooperation of three subjects, such as a sign, its object, and its interpretant, this tri-relative influence not being in anyway resolvable into actions between pairs.”4

Das soll bedeuten, dass ein beliebiges Zeichen ein Bindeglied zwischen einem Objekt ist, welches es signifiziert und dessen Bedeutung für Sender und Empfänger darstellt. In diesem Zusammenhang ist das Zeichen Signifikant für etwas anderes. Diese Erscheinung wird als Semiotik bezeichnet. Die semiotische Wirkung eines Zeichens ist dann wahrzunehmen, wenn das Zeichen eine bestimmte Funktion erfüllt, als Zeichen gedeutet und interpretiert wird und zum Beispiel ein bestimmtes Verhalten veranlasst oder eine gewisse Vorstellung hervorruft. Das Ausmaß dessen unterliegt gesellschaftlichen und kulturellen Konventionen. Nach Peirce lassen sich drei unterschiedliche Zeichen klassifizieren: das Ikon, der Index und das Symbol.5

Das Ikon ist ein Zeichen, welches in enger Verbindung zum bezeichneten Objekt steht und diesem sehr ähnelt. Dabei kann es sich beispielsweise um eine graphische Darstellung handeln oder um eine Lautmalerei. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei dem Index um ein Zeichen, welches eine hinweisende Funktion erfüllt, wie beispielsweise die Flamme auf einer Spraydose Hinweis darauf gibt, dass diese Flasche entzündlich ist. Schließlich sind Zeichen Symbole, wenn sie sich auf ein bestimmtes Ding beziehen, wobei die Beziehung zwischen ihnen willkürlich oder konventionell ist. Symbole sind demnach Träger von Bedeutungen und lösen bestimmte Vorstellungen hervor, wie zum Beispiel das sprachliche Zeichen – Baum – das Ding: Baum symbolisiert.6 Daraus wird ersichtlich, dass Zeichen Bilder, Graphiken, nachahmende Geräusche, Gestiken oder Wörter sein können.

Peirce bezeichnet ein Zeichen als Representamen, welches das zu Bezeichnende mit Hilfe eines Codes ausdrückt. Der spezifische Inhalt eines Zeichens stellt dar wofür es steht. Für den Empfänger ergeben sich dann individuelle Vorstellungen, die Peirce als Interpretanten bezeichnet. Diese unterschiedlichen Interpretanten sind weitere, aber entschlüsselte Zeichen. Sie offenbaren die tatsächliche Bedeutung des ersten Zeichens und symbolisieren die Wirklichkeit die vom Empfänger ausgeht.7

Schließlich unterteilt Peirce drei Interpretanten: den unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten. Der unmittelbare Interpretant kennzeichnet die „erste Übersetzung“ des Zeichens, welche von einem Repräsentanten individuell erzeugt wurde. Es stellt die erste Übersetzung des Representamen in ein anderes Zeichensystem dar, wie beispielsweise die Übersetzung eines italienischen Satzes in das deutsch sprachliche Zeichensystem.8

Im Gegensatz dazu repräsentiert der dynamische Interpretant die reale Bedeutung des Zeichens. Das heißt, dass der dynamische Interpretant eine interpretative Vorstellung des Empfängers darüber beinhaltet, was der Sender tatsächlich kommunizieren möchte. Überdies basiert der Ausdruck eines Zeichens sowie die interpretative Bedeutung dessen auf kulturspezifischen Gewohnheiten, die Peirce finale Interpretanten nennt. Das soll bedeuten, dass die Vermittlung eines Zeichens und dessen was der Empfänger versteht oder nicht versteht, gesellschaftlichen und kulturellen Konventionen unterliegt. Die Unterschiede der Gewohnheiten können zu Missverständnissen, Gewohnheitsveränderungen, aber auch dazu führen, dass ein dynamischer Interpretant nicht realisiert werden kann.9

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein beliebiges Zeichen von einem Sender in individuell codierter Form vermittelt wird, welches als Träger für einen bestimmten Inhalt dient und somit für ein anderes Zeichen steht. Es bezieht sich auf ein bestimmtes Objekt. Um die tatsächliche Bedeutung des Zeichens zu erfassen, muss der Empfänger das Zeichen ganz nach seinem Ermessen decodieren und interpretieren. Da die Botschaften oder Zeichen nach kulturspezifischen Gewohnheiten, Verhaltensweisen, Denkweisen usw. codiert wurden und der Vorgang der Decodierung oder Interpretation des übermittelten Zeichens in gleicher Weise kulturell abhängig ist, können bei der Verständigung Missverständnisse entstehen. Gleichzeitig impliziert dies, dass die Interpretation immer unterschiedlich ausfällt, da jeder Empfänger und Sender sein Verständnis an eigenen Erfahrungen, Gewohnheiten oder kulturellen Eigenheiten misst.

Überdies können Zeichen unterschiedlich konnotiert und von unterschiedlichen Assoziationen geprägt sein, was als stereotypen-behaftete Vorstellungen bezeichnet werden kann. Besonders bei interkulturellen Begegnungen und Kommunikationen können diese Assoziationen dazu führen, dass die Bedeutungen von Zeichen determiniert sind.

3.2 Definition: Stereotyp

Der Begriff Stereotyp stammt ursprünglich aus der Drucktechnik, Stereotypie10, und wurde in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von Walter Lippmann erstmals als wissenschaftlicher Terminus aufgenommen und geprägt. Im übertragenden Sinne ist ein Stereotyp ein komprimiertes Bündel von Vorstellungen, welches explizite Merkmale von B durch A enthält. Dabei ist die Bildung von Stereotypen häufig von Automatismen geprägt, wobei prägnante Eigenschaften oder Charakteristika, beispielsweise einer Gesellschaftsgruppe, kommuniziert werden. Mit anderen Worten verhelfen Stereotypen ein komprimiertes Verständnis der Realität zu entwickeln11 und dienen einer besseren „Orientierung in der Welt.“12

Darüber hinaus können Stereotypen auf fehlerhaft ausgewählten Charakteristika basieren, wodurch sich schließlich falsche Vorstellungen manifestieren. Nach Donec liegt es in der Natur des Menschen die Beurteilung anderer ethnischer Gruppen auf Grundlage der Eigenen vorzunehmen, wodurch es häufig zu der Bildung falscher und insbesondere negativer Einstellungen kommt. Überdies dient die Bildung von Stereotypen dazu, sich von anderen Gesellschaftsgruppen abzugrenzen und demnach die eigene Identität zu konsolidieren. Da sich aufgrund äußerer Einflüsse die Realität verändert ist es möglich, dass ein Stereotyp nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmt, was zudem nicht impliziert, dass Stereotypen von Anfang an die Wahrheit widerspiegeln. Außerdem ist die Konstanz eines einmal formulierten Stereotyps als problematisch anzusehen.13

Es werden verschiedene Arten von Stereotypen unterschieden. Zum einen können sich Stereotypen auf spezifische Merkmale eines bestimmten gesellschaftlichen Kollektivs oder auf auserkorene Eigenschaften von Ländern beziehen. Zum anderen können Stereotypen pragmatischer oder kognitiver Herkunft sein. Für die folgende Verwendung des Begriffes Stereotyp stellte sich insbesondere der Betrachtungsstandpunkt als elementar heraus. Dahingehend wird zwischen Auto- und Heterostereotypen unterschieden. Heterostereotypen sind eben diese Vorstellungen, die über andere Kulturen und Gesellschaften, Länder etc. hervorgerufen werden. Ein Autostereotyp hingegen kennzeichnet die individuelle Sicht auf die eigene Kultur und trifft außerdem Aussagen darüber, was eine Gesellschaft A denkt, welche besonderen Einstellungen eine kulturfremde Gesellschaft B über die Eigene hat. Die erzeugten Eigenbilder sind nicht immer mit der Wirklichkeit gleichzusetzen.14

Des Weiteren ist darauf zu achten, dass ein Stereotyp kein Image15, Vorurteil16 oder Feindbild17 ist.

Schließlich birgt die statische Verallgemeinerung bestimmter Charaktereigenschaften einer anderen Kultur die Gefahr, dass allen Mitgliedern einer Gesellschaft, diese oder jene Eigenschaften, Verhaltensweisen oder bestimmte olfaktorische Merkmale zugeschrieben werden.18

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Stereotypen die intuitiv konstruierten Bilder in den Köpfen eines jeden Individuums beschreiben, die automatisch erzeugt werden, sobald eine bestimmte ethnische Gruppe thematisiert wird. Wie zum Beispiel meine eingangs dargestellten Vorstellungen über die italienische Gesellschaft, die ich als stereotype Bilder bezeichne.

Stereotypen sind nicht immer mit der Realität gleichzusetzen, geben aber an die Wirklichkeit zu repräsentieren. Geprägt werden Stereotypen in Gesellschaften und können positive oder negative Assoziationen enthalten. Es besteht die Möglichkeit bestimmte Stereotypen durch interkulturelle Erfahrungen zu revidieren. Des Weiteren kann sich eine interkulturelle Begegnung aufgrund stereotyper Vorstellungen erschweren. Letztlich hängt die Aufrechterhaltung von Stereotypen davon ab, wie stark ein vorgegebener Stereotyp in dem kollektiven Bewusstsein einer Gesellschaft verankert ist und dem tatsächlich Glauben geschenkt wird.

Die folgende Analyse beschäftigt sich mit den stereotypen Vorstellungen der norditalienischen Gesellschaft und die der Römer, wobei meine beiden Interviewpartnerinnen als Repräsentantinnen der jeweiligen Gesellschaften fungieren.

4. Semiotische Analyse der Resultate

In den folgenden Kapiteln werden einschlägige Zitate aus den Interviews genauer betrachtet und als Zeichen semiotisch analysiert. Dabei wird untersucht inwieweit sich gesellschaftliche, kulturelle und sprachliche Unterschiede zwischen Norditalien und Rom ergeben sowie diesbezüglich analysiert wird, ob diese als Stereotypen zu kennzeichnen sind. Bei den zu analysierenden Zeichen handelt es sich zum einen um sprachliche Zeichen, in Form von Aussagen der Interviewten sowie zum anderen um non-verbale Zeichen, in Form von Redebegleitenden Gesten19.

4.1 Norditalien

Die erste Interviewte ist 29 Jahre alt und kommt aus einer Grenzregion in Norditalien, die sich Friuli Venezia Giulia nennt. Sie lebt seit 4 Jahren in Deutschland und hat Politikwissenschaften in Padova studiert. In der folgenden Analyse wird die erste Interviewte fortlaufend mit B1 gekennzeichnet.

4.1.1 Persönliche Einschätzung spezifischer Merkmale der eigenen Gesellschaft und Kultur

Der erste zu betrachtende Ausdruck, der in Form eines sprachlichen Zeichens den Representamen darstellt, lautet wie folgt:

„[...] ich finde ein bisschen, ich würde sagen, so eine ein bisschen konservative Gesellschaft, sehr orientiert an Arbeit, Arbeit, Arbeit [...]“20

Dieser Ausdruck stellt gleichzeitig den unmittelbaren Interpretanten dar, weil mit der Aussage ausgedrückt wird, was B1 mit diesem sprachlichen Zeichen inhaltlich mitteilen möchte und zwar, dass das zu Bezeichnende: die Gesellschaft Norditaliens, sehr auf Arbeit konzentriert ist. Der erste Ausdruck des Zeichens löst bei mir als Interviewerin und demnach Empfängerin der Aussage eine bestimmte Vorstellung hervor, welche als dynamischer Interpretant zu bezeichnen ist und darauf hinweist, wie ich die Aussage von B1 tatsächlich verstanden habe. Demgemäß interpretiere ich diesen sprachliche Ausdruck wie folgt: Das zu Bezeichnende, die Gesellschaft Norditaliens, scheint sehr fleißig zu sein, einem geregelten Tagesablauf nachzugehen und Arbeit als oberste Priorität anzusehen. Dadurch sind die Norditaliener als eine auf Traditionen bedachte und konservative Arbeitergesellschaft zu verstehen. Resultierend daraus kann hypothetisch als Gewohnheit und demnach als finaler Interpretant, auf welche der Ausdruck von B1 basiert, festgehalten werden, dass das Leben der Norditaliener ausschließlich auf die Arbeit ausgerichtet ist.

Da die zweite Interviewte diese Eigenschaft von Norditalienern schließlich mit der Aussage:

„Ja das eben im Gegensatz zu Süditalien sehr auf die Arbeit konzentriert sind (lächelt) und ja wenig Zeit für Spaß und Freunde haben (lacht).“21

welche in Kapitel 4.3.1 semiotisch analysiert wird, bestätigt und demgegenüber als Repräsentantin der römischen Gesellschaft dessen Vorstellungen über die Norditaliener zum Ausdruck bringt, kann dieses Merkmal als Stereotyp betrachtet werden.

Ein weiterer zu betrachtender Representamen lautet folgendermaßen:

„[…] meine Region ist sehr sehr geprägt von Minderheiten […] die sprechen ihren eigenen Sprachen das wird als eine Minderheitssprachen anerkannt. […] Dann es gibt so slowenische Minderheiten, andere Art von slawische Minderheiten und deutsche Minderheiten, beziehungsweise Östereichen und das macht unsere Situation als als auch Region an der Grenze sehr besonders. [...]“22

Mittels des hier aufgeführten Representamen möchte B1 folgendes kommunizieren: Die Gesellschaft Norditaliens ist von Minderheiten geprägt. Diesbezüglich wird eine eigene Sprache gesprochen, was als eine kulturelle Besonderheit dieser Grenzregion zu erfassen ist. Folglich hat diese Aussage für mich als Interviewerin die Bedeutung, dass Norditalien aufgrund der geographischen Lage von unterschiedlichen ethnischen Gruppen geprägt ist, die ein eigentümliches Sprachsystem aufweisen. Daraus kann geschlossen werden, dass die norditalienische Gesellschaft nicht uniform als kulturelle Einheit zu erfassen ist, sondern von unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen und Kulturen geprägt ist. Dies impliziert weiterhin, dass die jeweiligen ethnischen Gruppen untereinander eine besondere Art von Zusammengehörigkeitsgefühl teilen, da sie jeweils als eine Minderheit zu erfassen sind. Aufgrund dieser Tatsachen ist anzunehmen, dass Norditaliener nicht ausschließlich als Italiener zu bezeichnen sind, was in Kapitel 4.3.1 noch genauer untersucht wird.

Dieser Representamen stellt einen gegenwärtigen Zustand der norditalienischen Kultur und Gesellschaft dar, anhand dessen weiterführend auf spezifische Eigenschaften dieser Gesellschaft geschlossen werden kann, jedoch ohne den Bezug auf andere sprachliche Zeichen nicht als Stereotyp zu betrachten ist.

Der sprachliche Ausdruck von B1 basiert auf der hypothetischen Gewohnheit, dass die Norditaliener multiethnisch geprägt sind.

Zusätzlich wurde diese Aussage von zahlreichen Gesten begleitet. Zwei sich ähnelnde und immer wieder kehrende Gesten, besonders während der Verwendung von Possessivpronomen, sind in Abbildung 1 und 2 bildlich dargestellt.

Wenn B1 sprachlich ausdrückt: „[…] meine Region […]“, wird diesem sprachlichen Zeichen gleichzeitig eine Redebegleitende Geste, siehe Abbildung 1, hinzugefügt. Des Weiteren werden die sprachlichen Zeichen: „[...] unsere Situation [...]“ mit einer ähnlichen Geste, siehe Abbildung 2, kombiniert.

Die Anordnung und Proxemik der Hände in beiden Gesten stellt sich wie folgt dar:

Die Handflächen beider Hände zeigen nach unten wobei beide Hände ansatzweise einen Halbkreis formen und sich synchron sehr schnell nach unten und oben bewegen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2

Diese spezifisch eingesetzten Gesten stellen weitere zu analysierende Zeichen dar, welche als Representamen zu verstehen sind. Sie versinnbildlichen die sprachlichen Zeichen „meine Region“ und „unsere Situation“. Die Decodierung der Representamen in ein sprachliches Zeichensystem sind als unmittelbare Interpretanten aufzufassen, da diese inhaltlich ausdrücken, was B1, in Bezug auf das zu Bezeichnende - die Region und Gesellschaft Norditaliens - mit der dargestellten Geste kommunizieren möchte.

Der dynamische Interpretant für beide Gesten, welcher sich aus der Kombination der individuellen Handbewegungen und den dazugehörigen Aussagen erschließen lässt, stellt sich wie folgt dar: Die offenen nach unten zeigenden Handflächen modellieren eine Art Halbkreis, was meiner Meinung nach darauf hinweist, dass B1 eine bestimmte Einheit symbolisieren möchte. In Bezug auf die sprachlichen Zeichen „meine Region“ und „unsere Situation“ wird erkenntlich, dass B1 mittels der Gesten womöglich die Situation ihrer Region und Gesellschaft versinnbildlicht. Aufgrund des angedeuteten Halbkreises wird außerdem deutlich, dass B1 als Repräsentantin von Norditalien die jeweiligen Gesellschaft als Minderheiten ansieht und diese sich demnach von anderen italienischen Gesellschaften unterscheiden. Des Weiteren könnte damit auch das jeweilige Zusammengehörigkeitsgefühl der unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Norditalien ausgedrückt werden.

Als hypothetische Gewohnheit und demnach finaler Interpretant kann festgehalten werden, dass das Wir-Gefühl in den unterschiedlichen ethnischen Gruppen Norditaliens sehr stark ausgeprägt ist.

Bei dem letzten in diesem Kapitel zu betrachtenden Representamen handelt es sich wieder ausschließlich um den Ausdruck von sprachlichen Zeichen. Die Aussage von B1 lautet:

„[...] was ich gern mag ist das sie sie sehr pragmatisch sind, man braucht man macht und Punkt, [...] was ich nicht mag ist (lacht) das diese Art von pragmatisch begrenzt dir viel von andere Darstellungen also das ist eine ziemlich geschlossene Mentalität was man da hat.“23

B1 möchte mittels diesen Ausdrucks kommunizieren, dass die norditalienische Gesellschaft als pragmatisch zu bezeichnen ist und außerdem eine geschlossene Mentalität aufweist. Diesbezüglich kann folgender dynamischer Interpretant entwickelt werden: Norditaliener sind ein sehr zuverlässiges Volk. Vorhaben werden ohne Umwege konsequent umgesetzt. Gleichzeitig impliziert dies, dass die Gesellschaft in Norditalien wenig Bereitschaft für Veränderungen zeigt und daher den zu Beginn analysierten sprachlichen Ausdruck, dass Norditaliener sehr konservativ und auf Traditionen bedacht sind, unterstützt. Des Weiteren birgt die Aussage die Bedeutung, dass die Gesellschaft in Norditalien nicht sehr aufgeschlossen ist und beispielsweise gerne unter sich bleibt. Der daraus resultierende finale Interpretant kann dementsprechend folgendermaßen formuliert werden: Die Norditaliener sind zuverlässig, jedoch aufgrund ihrer verschlossenen Mentalität Veränderungen und Neugestaltungen gegenüber nicht flexibel. Bei der semiotischen Analyse weiterer sprachlicher Zeichen in Kapitel 4.3.1 wird erkenntlich, dass sich insbesondere die verschlossene Mentalität der Norditaliener als ein Stereotyp manifestiert hat.

4.1.2 Linguistische Besonderheiten

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den linguistischen Besonderheiten der Norditaliener. Wie sich im Verlauf des Interviews herausgestellt hat, spricht die Generation von B1 italienisch, wobei sie zusätzlich bestimmte Wörter verwenden, die nur in ihrer Region genutzt werden, da sie auf Friulano24 sind.25

Der erste zu betrachtende Representamen äußert sich wie folgt:

[...]


1 Vgl. Donec (1999: 7ff.).

2 Vgl. Diekmann (2008: 446ff.).

3 Vgl. Wagner (1997: 34).

4 Lanza (2013: 1). (http://www.giovanni-lanza.de/Zum%20Zeichen.pdf).

5 Vgl. Lanza (2013: 1f.). (http://www.giovanni-lanza.de/Zum%20Zeichen.pdf).

6 Vgl. Wagner (1997: 52ff.).

7 Vgl. Lanza (2013: 1ff.). (http://www.giovanni-lanza.de/Vertiefung-IKK.pdf).

8 Vgl. Lanza (2013: 2). (http://www.giovanni-lanza.de/Vertiefung-IKK.pdf).

9 Vgl. Lanza (2013: 12ff.). (http://www.giovanni-lanza.de/Vertiefung-IKK.pdf).

10 Der Begriff Stereotypie beschreibt die Möglichkeit des Massendrucks mit nur einer vorgefertigten Druckvorlage. (Vgl. Donec 1999: 7).

11 Vgl. Donec (1999: 7).

12 Donec (1999: 7).

13 Vgl. Donec (1999: 7f.).

14 Vgl. Donec (1999: 8f.).

15 Das Image unterliegt positiven Aspekten und ist intentional. (Vgl. Donec 1999: 9).

16 Ein Vorurteil ist negativ behaftet und ist intuitiv geprägt. (Vgl. Donec 1999: 9).

17 Charakteristisch für das Feindbild ist die zielgerichtete Entstehung und insbesondere die pejorative Prägung, die eine bestimmte ethnische Gruppe, speziell in Krisen- oder Kriegszeiten, schaden soll. (Vgl. Donec 1999: 9).

18 Vgl. Donec (1999: 10f.).

19 Literaturverweis: Müller, Cornelia (1998): Redebegleitende Geste. Kulturgeschichte – Theorie – Sprachvergleich. Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz GmbH.

20 Interview: Norditalien (2014: 1).

21 Interview: Rom(2014: 7).

22 Interview: Norditalien (2014: 4).

23 Interview: Norditalien (2014: 7).

24 Friulano ist ein rätoromanischer Dialekt, der sich aufgrund unterschiedlicher Grammatik, Morphologie und Phonologie von der italienischen Sprache unterscheidet. (Vgl. Bußmann 2008: 567).

25 Vgl. Interview: Norditalien (2014: 5).

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Stereotypen im Vergleich. Kulturelle, gesellschaftliche und sprachliche Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)  (Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Semiotische Theorie und Analyse der Fremderfahrung
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
47
Katalognummer
V302241
ISBN (eBook)
9783668006546
ISBN (Buch)
9783668006553
Dateigröße
573 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Semiotik, semiotische Analyse, Leitfadeninterviews, Unterschiede zwischen Süd- und Norditalien, Stereotypen
Arbeit zitieren
Christin Franke (Autor:in), 2014, Stereotypen im Vergleich. Kulturelle, gesellschaftliche und sprachliche Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302241

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