Stevia. Das neue light? Innovationsmanagement im Getränke-Bereich der Lebensmittelbranche

Marketingstrategie für Coca Cola life


Masterarbeit, 2014

204 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


I Inhaltsverzeichnis

II Abbildungsverzeichnis

III Abkürzungsverzeichnis

1 Motivation, Ziel und Aufbau der Arbeit

2 Stevia – die neue Ingredienz
2.1 Was ist Stevia?
2.2 Stevia im Vergleich zu anderen Süßstoffen
2.2.1 Künstliche Süßstoffe
2.2.2 Natürliche Süßstoffe
2.3 Stevia in Lebensmitteln – Aktuelles und Perspektiven

3 Wissenschaftliche Grundlagen des Innovationsmanagements
3.1 Begriff der Innovation
3.2 Management von Innovationen
3.3 Innovationsmodelle
3.3.1 Lineare Innovationsmodelle
3.3.2 Moderne Innovationsmodelle
3.3.2.1 Open Innovation
3.3.2.2 Crowdsourcing
3.3.2.3 Promotorenmodell nach Witte

4 Lebensmittelbranche und Innovationen
4.1 Lebensmittelindustrie – national und international
4.2 Besonderheit der Produktgruppe Lebensmittel
4.3 Auswirkung von Lebensstilen auf die Industrie
4.4 Innovation in der Lebensmittelindustrie – Möglichkeiten und Probleme
4.5 Süßstoffe in der Lebensmittelindustrie
4.6 Innovationsmodelle in der Lebensmittelindustrie

5 Marktanalyse: Stevia in der Getränkeindustrie
5.1 Marktpotential
5.1.1 Marktbeobachtung
5.1.2 Kundenbefragung
5.2 Marktsegmentierung
5.2.1 Diabetiker
5.2.2 Ernährungsbewusste Ernährungstypen
5.3 Umfeldanalyse
5.3.1 Porters Five Forces
5.3.2 PESTEL-Analyse des deutschen Marktes

6 Coca Cola life – ein Erfolg für den deutschen Markt?
6.1 Das Produkt
6.2 Strategieanalyse für Argentinien und Chile
6.3 Markteinführungsstrategie für den deutschen Markt
6.3.1 SWOT-Analyse
6.3.2 Innovationsprozess für den deutschen Markt
6.3.3 Zielsetzung
6.3.4 Marktsegmentierung
6.3.5 Positionierung
6.3.6 Marketing-Mix – die 4 Ps
6.3.7 Implementierungs- und Budgetplan
6.4 Ein Erfolg für den deutschen Markt?

7 Stevia – das neue light ?

IV Literaturverzeichnis

V Anhang

II Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Sensorik verschiedener Steviolglykoside

Abbildung 2: Getränke mit Steviolglykosiden

Abbildung 3: Bestandteile von Innovation Quelle: in Anlehnung an Gassmann und Sutter 2008, S. 3

Abbildung 4: Innovationszyklus

Abbildung 5: Stage-Gate-Modell

Abbildung 6: Open Innovation im Trichtermodell Quelle: Braun (2012), S. 8

Abbildung 7: Ernährungstypen in Deutschland 2003

Abbildung 8: Anzahl Diabetiker weltweit 2013 und 2035

Abbildung 9: Coca Cola life Quelle: Coca Cola Argentina (2014)

Abbildung 10: SWOT von Coca Cola

III Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Motivation, Ziel und Aufbau der Arbeit

Der Süßstoff Steviolglykosid, häufig auch kurz Stevia genannt, wird von Experten als „Zucker des 21. Jahrhunderts“1 bezeichnet. Diese Aussage spiegelt das große Potential wider, das in dem neuen Süßstoff gesehen wird. Bei Steviolglykosiden handelt es sich um einen natürlichen Süßstoff, der aus der Steviapflanze gewonnen wird. Obwohl die indigenen Völker Paraguays den Süßstoff schon vor vielen hundert Jahren zum Süßen einsetzten, wurde Stevia erst 2011 für die Europäische Union zugelassen. Stevia gilt als wahre Revolution für die Lebensmittelindustrie und bietet so große Chancen und Möglichkeiten für Produkt­innovationen. Dies lässt die Frage aufkommen, ob Stevia das neue light ist? Das bedeutet, werden die bisher bekannten Süßstoffe nach und nach vom Markt verschwinden und durch Steviolglykoside ersetzt? Grundlage dieser Frage ist das zunehmende Streben nach Natürlichkeit, aber auch Gesundheit in der Bevölkerung. Somit liegt zum einen die Annahme nah, dass zukünftig Süßstoffe eine größere Rolle spielen werden. Zum anderen werden die meisten Süßstoffe jedoch von vielen Kunden als unsicher angesehen und deshalb skeptisch betrachtet. Da jedoch der Wünsch nach dem süßen Geschmack nicht verbannt werden kann, wird ein anderer Stoff zum Süßen verwendet werden müssen. Die Frage ist ob dieser Süßstoff Stevia sein wird.

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, wird zu Beginn aufgezeigt, welche Süßstoffe bis jetzt primär in der Lebensmittelbranche eingesetzt wurden. Zudem wird betrachtet, inwiefern Stevia in der deutschen Lebensmittelbranche angekommen ist. Um festzustellen, wie der Impuls durch Steviolglykoside für Innovationen genutzt werden kann, wird eine kurze Einführung in das Innova­tionsmanagement gegeben. Hierzu gilt es die wichtigsten Modelle zu erläutern, die für den weiteren Verlauf der Arbeit von Relevanz sind. Es folgt ein kurzer Blick auf die Lebensmittelindustrie. Zum einen wird betrachtet, welche Besonderheiten Lebensmittel im Vergleich zu anderen Produkten auszeichnen. Zum anderen werden Innovationen im Lebensmittelumfeld näher ins Auge gefasst. Bis heute ist die Lebensmittelbrache ein Industriezweig mit den niedrigsten Innovationsraten. Dieser Tatsache soll auf den Grund gegangen und mögliche Lösungen aufgezeigt werden.

Auf dieser Basis wird in den nächsten Kapiteln der deutsche Markt für Getränke mit Steviolglykosiden untersucht und analysiert. Zu diesem Zweck erfolgte eine Befragung von 101 Kunden. Die Befragung wurde anonym mit Hilfe eines Fragebogens durchgeführt, den die Kunden selbständig beantwortet haben. Teil der Befragung war eine Bildverkostung zwei verschiedener Colasorten. Eine war mit synthetischen Süßstoffen, die andere mit Steviolglykosiden und Zucker gesüßt. Die Ergebnisse der Befragung werden verwendet, um Potentiale zu erkennen und den Markt zu segmentieren. Zur Vervollständigung wird zudem eine Analyse des Umfeldes durchgeführt.

Im Anschluss wird das Steviaprodukt des Unternehmens Coca Cola, Cola life, betrachtet. Mit Hilfe der Erkenntnisse aus dem theoretischen Teil und der empirischen Untersuchung wird eine Markteinführungsstrategie für den deutschen Markt entwickelt. Abschließend zeigt ein Fazit, ob und inwiefern das Produkt Cola life eine Chance auf dem deutschen Markt hat. Im letzten Kapitel richtet sich der Blick in die Zukunft, um die Frage zu beantworten, ob Stevia die bisher gängigen Lightprodukte vom Markt verdrängen wird.

2 Stevia – die neue Ingredienz

Bereits seit mehr als 200 Jahre sind die Menschen auf der Suche nach einem kalorienarmen oder gar kalorienfreien Ersatz zum Süßen von Lebensmitteln. Zum einen geht es um Diabetespatienten, die Zuckersorten mit einem hohen Glykämischen Index (GI) nicht zu sich nehmen dürfen.2 Der GI ist das Maß, in dem sich ein Lebensmittel auf den Blutzuckerspiegel auswirkt.3 Zum anderen lässt sich in den letzten Jahren der Trend eines wachsenden Gesundheitsbewusstseins beobachten, in dessen Zuge die Konsumenten zunehmend auf die tägliche Kalorienzufuhr und somit auch auf ihren Zuckerkonsum achten.4 Dieses Kapitel gibt einen kleinen Einblick in die Welt der Süßstoffe und betrachtet den neusten aller Süßstoffe, Stevia, genauer.

2.1 Was ist Stevia?

Stevia ist eine Pflanze, die zu der Familie der Asteraceae gehört. Neben dem Süßkraut gibt es insgesamt 154 verschiedene Arten, aber nur aus zwei dieser Arten kann der Süßstoff Steviolglykoside gewonnen werden.5 Stevia ist eine krautähnliche und sehr blattreiche Pflanze (siehe Anhang I), die ursprünglich aus dem Grenzgebiet zwischen Paraguay und Brasilien stammt. Dort wird Stevia schon seit Jahrhunderten von den Einwohnern zum Süßen von Mate verwendet. Entdeckt und klassifiziert wurde das Gewächs 1899, und bereits ein Jahr später konnte erstmals ein süß schmeckendes Extrakt aus den Blättern gewonnen werden. Der Süßstoff, der als Extrakt aus den Blättern gewonnen wird, heißt Steviolglykoside und ist eine Mischung aus Steviosid und Reabudiosid A. Darüber hinaus hat Stevia eine 200 bis 300 höhere Süßwirkung als handelsüblicher Kristallzucker.6

Die Herstellung des Süßstoffes Steviolglykoside ist sehr aufwendig, da nur hochreines Steviolglykosid mit mindestens 95 % in der EU zugelassen ist. Zu Beginn werden die Blätter der Steviapflanze geerntet, getrocknet und die Stängel entfernt, da diese die Qualität negativ beeinflussen. Der erste Schritt der Herstellung ist die Extraktion. Hierbei werden die Steviolglykoside durch Wasser oder alkoholische Lösungen entzogen. Der nächste Schritt ist die Fällung, bei der bestimmte Salze eingesetzt werden. Dabei wird der pH-Wert des Extrakts weit heruntergesetzt, wodurch Isomere entstehen, die ebenso entfernt werden müssen. Der dritte Schritt ist das Entfärben, wobei Absorberharze verwendet werden, die wiederum mit Alkohol entfernt werden. Der Alkohol selbst muss für den nächsten Schritt ebenfalls entfernt werden. Der vierte Schritt ist das Entsalzen mit Ionenaustausch; dabei wird das Steviolglykosid aufkonzentriert. Danach wird der Süßstoff aus alkoholischer Lösung kristallisiert. Dies muss mehrmals wiederholt werden, bis die angestrebte Reinheit von 95 % erreicht wird. Zum Schluss werden noch Lösungsmittelrückstände entfernt und das Steviolglykosid getrocknet. Zurück bleibt am Ende ein feines weißes Pulver (Anhang I).7

Steviolglykoside werden von den Herstellern der Lebensmittelindustrie häufig als der „natürliche“ unter den Süßstoffen bezeichnet. Anhand des Herstellungsprozesses wird jedoch deutlich, dass auch Steviolglykoside nur doch chemische Verfahren gewonnen werden können. Dessen ungeachtet ist es aber ein Süßstoff, der in der Natur vorkommt; der chemische Prozess ist nur erforderlich, um den hoch reinen Süßstoff zu erhalten, der in der EU zugelassen ist. Japan hat schon früh das Potential der süßen Blätter erkannt, weshalb der Süßstoff dort schon seit Mitte der 70er Jahre für Lebensmittel und als Zuckerersatzstoff zugelassen ist. Kurz danach entschied sich auch China dafür, Stevia als Süßstoff offiziell anzuerkennen.8

Die Zulassung von Stevia war ein langwieriger Prozess, der in einem Erlass von November 2011 seinen Abschluss fand. Durch die EU-Verordnung 1131/2011 wurde der Süßstoff im Dezember 2011 endgültig für die EU als Lebensmittelzusatzstoff E 960 zugelassen. Vor allem Coca Cola hat mit dem Einreichen von Studien mit dazu beigetragen, dass Steviolglykoside für den EU-Raum zugelassen werden.9 Für den Süßstoff wurde ein Acceptable Daily Intake (AID) von 4 mg pro kg Körpergewicht pro Tag (mg/kg bw/d) festgelegt.10 Warum die Zulassung für Stevia in der EU so lange gedauert hat, hat verschiedene Gründe. Zum einen gaben erste Tierstudien den Hinweis darauf, dass Stevia eine fruchtschädigende und negative physiologische Wirkung haben könnte. Dies war möglicherweise auf verunreinigte Extrakte zurückzuführen, versetzte jedoch die Zulassungsbehörden in Alarmbereitschaft. Entsprechend wurde Stevia über einen langen Zeitraum getestet, um sicherzugehen, dass der Süßstoff gesundheitlich unbedenklich ist.11

Aus Sicht der Lebensmittelindustrie ist eines der größten Probleme der negative lakritzartige Nachgeschmack und die langanhaltende Süße. Dem kann auf mehreren Wegen begegnet werden. Eine Möglichkeit hat die Getränkeindustrie in der membranbasierten Wasserreinigung des Süßstoffes gefunden, bei der das Vorhandensein der Bitterstoffe vermindert wird.12 Eine andere Möglichkeit ist es, den natürlichen Süßstoff mit anderen Stoffen zu mischen. Dazu gibt es mehrere Optionen. Es können kalorienhaltige Süßungsmittel wie Saccharose mit Stevia gemischt werden, wodurch die Kalorienzahl gesenkt wird und das Lebensmittel den typischen Kristallzuckergeschmack behält. Eine andere Option ist es, Stevia mit anderen (synthetischen oder natürlichen) Süßstoffen zu mischen. Bei der zusätzlichen Verwendung von synthetischen Süßstoffen stellt sich jedoch die Frage, inwiefern dadurch einer der Vorteil von Stevia, die Natürlichkeit, verloren geht. Trotz dieser Schwierigkeiten wird erwartet, dass Steviolglykoside den Markt für Süßstoffe revolutionieren.

2.2 Stevia im Vergleich zu anderen Süßstoffen

Vor einem Vergleich der verschiedenen Süßstoffe muss geklärt werden, was Süßstoff überhaupt ist. In der heutigen Zeit wird viel über Süßstoffe und ihre Vor- und Nachteile gesprochen, jedoch ist meist unklar, was sich hinter dem Begriff verbirgt. Süßstoff ist ein Sammelbegriff für alle synthetischen und natürlichen Verbindungen, die einen intensiv süßen Geschmack haben, jedoch (weitgehend) kalorienfrei sind.13

Die Gründe, warum Süßstoffe verwendet und konsumiert werden, sind vielfältig; zu einem späterem Zeitpunkt wird am Beispiel des Süßstoffes Stevia noch genauer darauf einzugehen sein. Es ist jedoch klar, was das Ziel ist: Zucker in seiner Rohform, aber auch in Lebensmitteln teilweise oder vollständig zu ersetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde in der Vergangenheit viel geforscht und experimentiert. Dazu ist zudem ein hoher finanzieller Aufwand erforderlich, da lange Zeit vergehen kann, bis ein Süßstoff, egal ob synthetisch oder natürlich, als solcher zugelassen wird. Stevia veranschaulicht dies nur zu gut.

Um welchen Süßstoff es sich auch handelt, es werden doch immer die gleichen Anforderungen an das Ersatzprodukt gestellt. Besonders treffend hat sie Grant E. DuBois von der Coca Cola Company umrissen:

1. Sicherheit
2. Geschmacksqualität
3. Geschmacksqualität
4. Geschmacksqualität
5. Geschmacksqualität
6. Stabilität
7. Löslichkeit
8. Kosten
9. Patentierbarkeit14

DuBois macht damit deutlich, dass nach der Sicherstellung, dass ein Süßstoff nicht toxisch ist, allein der Geschmack zählt, da er den Kunden davon überzeugen muss, das Produkt zu kaufen. Süßstoff sollte demnach nicht nur süß, sondern vor allem wie Zucker schmecken. Es reicht dabei nicht, dass ein Süßstoff gefunden wird, dessen Geschmack dem Zucker sehr ähnlich ist. Inwiefern ein Lightprodukt mehr oder weniger wie das kalorienhaltige Pendant schmeckt, wird vor allem durch das Lebensmittel selbst bestimmt.15

Die Welt der Süßstoffe (Anhang II) kann grob in zwei Kategorien aufgeteilt werden. Auf der einen Seite sind die synthetischen Süßstoffe, die auf künstlichem Wege gewonnen werden, auf der anderen Seite die natürlichen, die aus Pflanzen extrahiert werden können. Seit der Entdeckung des ersten Süßstoffes wurden viele weitere Alternativen zum Süßen von Lebensmitteln gefunden, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.

2.2.1 Künstliche Süßstoffe

Künstliche Süßstoffe sind schon seit mehreren Jahrhunderten bekannt. Eine der ersten Definitionen für künstliche Süßstoffe stammt von 1898. Im § 1 des Süßstoffgesetzes heißt es:

„Künstliche Süßstoffe im Sinne dieses Gesetzes sind alle auf künstlichem Weg gewonnene Stoffe, welche als Süßmittel dienen können und eine höhere Süßkraft als raffinierter Rohr- oder Rübenzucker, aber nicht entsprechenden Nährwerth besitzen“.16

Grund für dieses erste Gesetz war die Entdeckung des Saccharins. Insgesamt gibt es heute neun zugelassene synthetische Süßstoffe, wovon die wichtigsten vorgestellt werden.

Saccharin (C7H5NO3S)

Dieser Süßstoff wurde 1878 von den Chemikern Fahlberg und Remsen durch einen Zufall entdeckt. Nach Streitigkeiten darüber, wem die Patentierung zusteht, und nach Überprüfung der Unbedenklichkeit des Süßstoffes begann 1887 die Produktion in Deutschland. Saccharin besitzt eine 550-mal höhere Süßkraft als Saccharose (Kristallzucker) und ist dabei vollkommen ohne jeden Nährwert. Dadurch gewann der Süßstoff ab ungefähr 1890 immer mehr an Bedeutung. Zum einen diente er als diätisch wertvoller Zuckerersatz vor allem für Diabetiker, aber auch für adipöse, das heißt krankhaft übergewichtige Patienten. Zum anderen war Saccharin eine preiswerte Alternative zum Zucker, da im Vergleich zu diesem nur ein Bruchteil zum Süßen benötigt wurde. Als damals einzige kalorienfreie Alternative konnte es sich schnell am Markt behaupten. Ein Nachteil des Saccharins ist sein metallischer Nachgeschmack bei einer Verwendung in höheren Mengen. Seit einer fragwürdigen Studie an Laborratten 1977 steht Saccharin unter dem Verdacht einer karzinogenen Wirkung. Dies ging sogar so weit, dass der Süßstoff in den USA verboten werden sollte. In späteren Studien konnte dieser Verdacht zwar widerlegt werden, jedoch war das Vertrauen in den Süßstoff erschüttert. Heute trägt der Lebensmittelzusatzstoff die Nummer E954 und hat einen ADI-Wert von 5 mg/kg bw/d.17

Cyclamat (C6H12NNaO3S)

Der Süßstoff Cyclamat wurde ungefähr 50 Jahre nach dem Saccharin ebenfalls durch einen Zufall entdeckt – der Doktorand Sveda war eigentlich auf der Suche nach einem fiebersenkenden Wirkstoff. Schnell wurde ein Patent angemeldet, und der Süßstoff sollte bei Antibiotika und Schlafmitteln zum Einsatz kommen, um deren Bitterkeit zu maskieren. Cyclamat hat nur eine relativ geringe Süßkraft von 45 und ist in der Herstellung wesentlich teurer als Saccharin, jedoch hat es einen schlagenden Vorteil: Der Geschmackseindruck von Cyclamat ist fast wie bei Rohrzucker.18 Dies ist auch einer der Gründe, warum das erste kalorienfreie Erfrischungsgetränk, No-Cal, 1951 mit Cyclamat gesüßt wurde. Das Getränk wurde ursprünglich für ein jüdisches Sanatorium für chronische Krankheiten entwickelt, nach kurzer Zeit wurde das Getränk aber auch außerhalb verkauft und war ein großer Erfolg.19 Dieser war vor allem einer klugen Anzeigenkampagne geschuldet, die das Hauptaugenmerk auf „schlanke Linie“ statt Gesundheit legte. So wurde innerhalb von einem Jahr ein Umsatz von 6 Millionen $ generiert.20 Noch größere Bedeutung gewann Cyclamat in einer 1:10-Mischung mit Saccharin, was zu einem nachgeschmacksfreien und hitze- und pH-stabilen Süßstoff führte. Dies legte den Grundstein für die erste kalorienfreie Cola von 1958: Dite-Rite. Das erste kalorienfreie Getränk von Coca Cola, Tab, kam dann 1963 auf den Markt.21

Wichtig für jeden Lebensmittelzusatzstoff ist die Bewertung als GRAS (generally recognized as safe). Diesen Status erhielt Cyclamat 1958, und er wurde 1967 bestätigt. Trotzdem wurde Cyclamat 1969 in den USA verboten, da auch hier eine Studie mit Laborratten den Hinweis gab, dass der Süßstoff karzinogene Wirkung haben könnte. Als Reaktion darauf wurde der GRAS-Status aberkannt und der Süßstoff verboten.22 Dies stellte die Getränkeindustrie in den USA vor ein großes Problem, da plötzlich nur noch das geschmacklich schlechtere Saccharin zum kalorienfreien Süßen zur Verfügung stand. In Europa wurde Cyclamat 1969 als Süßstoff anerkannt und auch nicht verboten, da in späteren Studien der Hinweis widerlegt werden konnte. Cyclamat ist in der EU als Lebensmittelzusatzstoff E 952 eingetragen und hat den ADI-Wert 7 mg/kg bw/d23. In den USA ist der Süßstoff hingegen noch heute verboten.24

Aspartam (C14H18N2O5)

Der Süßstoff Aspartam wurde 1965 von James Schlatter – auch hier wieder zufällig – entdeckt, als er auf der Suche nach einer neuen Behandlung von Magengeschwüren war. Umgehend wurden Studien in Auftrag gegeben, um die Toxizität und das gesundheitliche Risiko einzuschätzen, diese Studien brachten aber keine negativen Ergebnisse. Nach einigen Problemen wurde Aspartam 1981 erstmals für Trockenprodukte zugelassen. Aspartam ist als Zusatzstoff E 951 mit einem ADI-Wert von 40 mg/kg bw/d25 zugelassen. Der Süßstoff hat einen ähnlichen Nährwert wie Kristallzucker, enthält jedoch mit seiner wesentlich höheren Süßkraft des 100- bis 250-Fachen in üblich verwendeten Mengen praktisch keine Kalorien. Problematisch ist, dass der Süßstoff weniger stabil ist als andere. Sein pH-Optimum hat Aspartam bei 4, weshalb es für die Getränkeherstellung besonders geeignet ist. Insgesamt wurde Aspartam von Beginn an mehr Vertrauen entgegengebracht als vergleichbaren Stoffen, weil der Süßstoff ein Bruchstück eines natürlichen Proteins ist.26

Eines der Probleme und Nachteile von Aspartam sind dessen Abbauprodukte im menschlichen Körper. Während der Verdauung entstehen verschiedene Stoffe. Einer davon ist Methanol, jedoch nur in so geringen Mengen, dass es keine schädigende Wirkung haben kann. Viel schwieriger ist die Aminosäure Phenylalanin, da diese von Phenylketonurie-Patienten nicht abgebaut werden kann. Phenylketonurie ist eine angeborene Stoffwechselkrankheit, die bei 1 von 10.000 Neugeborenen27 auftritt. Unbehandelt kann sie zu einer schweren geistigen Entwicklungsstörung und Epilepsie führen. Aus diesem Grund muss auf allen aspartamhaltigen Lebensmitteln ein Warnhinweis stehen.28

Acesulfram-K (C4H4KNO4S)

Acesulfam-K ist heute als Zusatzstoff E 950 zugelassen. Entdeckt wurde der Süßstoff 1967 von dem Chemiker Karl Clauß. Er zeichnet sich durch seine hoher Wasserlöslichkeit und Stabilität aus. Ein weiterer Vorteil ist die Reinheit des Geschmackseindrucks, die bei Süßstoff eine besonders große Rolle spielt. Acesulfam-K hat keinen Einfluss auf den Körper, da es unverändert über die Nieren ausgeschieden wird.29 Daraus resultiert jedoch der Nachteil eines großen Umweltproblems. Der Stoff gelangt ins Abwasser und kann selbst durch moderne Kältetechnik nicht herausgefiltert werden kann. Dadurch landet Acesulfam-K letztlich in unserem Trinkwasser.30

Der zugelassene Süßstoff besitzt eine 200-fach höhere Süßkraft als Kristallzucker. Für die USA wurde ein ADI-Wert von 15 mg/kg bw/d festgelegt, für die EU liegt die Grenze bei 9 mg/kg bw/d. Grund für das vorsichtige Verhalten der EU sind Hinweise, dass der Stoff eine sehr hohe Verweildauer im Körper haben kann.31

Aspartam-Acesulfam-Salz (C18H23N3O9S)

Bei diesem Süßstoff handelt es sich um die Mischung von 64 % Aspartam und 35 % Acesulfam K.32 Dadurch erhält das Gemisch mit der Zusatzstoffnummer E 962 eine 350-fach höhere Süßkraft im Vergleich zu Zucker. Es hat eine erhöhte Stabilität und Wasserlöslichkeit, was ein erheblicher Vorteil für die Anwendung in Lebensmitteln ist. Des Weiteren erhöht das Salz die Haltbarkeit von Kaugummi, da es im Verhältnis zu anderen Süßstoffen weniger anfällig gegenüber Aromastoffen wie Zimt oder Kirsche ist. Die Nachteile und Probleme sind die gleichen wie bei Aspartam und Acesulfam. Außer als Zusatzstoff in Kaugummis hat der Süßstoff keine größere Bedeutung.33

Neohesperidin-DC (C28H36O15)

Neohesperidin-DC ist ein aus Citrusfrüchten gewonnener Süßstoff, bei dem der Bitterstoff abgewandelt wird. Besonders leicht lässt er sich aus Grapefruitschalen extrahieren. Der enorme Vorteil ist die hohe Stabilität bei Hitze und säurehaltigen Lösungen. Besonders gut eignet er sich für die Verwendung in Erfrischungsgetränken und Säften. Problematisch ist jedoch der bei höheren Mengen auftretende lakritzartige und mentholartige Beigeschmack, positiv ist hingegen seine aromaverstärkende Wirkung. Auf Grund seines Geschmacksprofils wird Neohesperidin-DC vor allem auf der Iberischen Halbinsel eingesetzt.

Neotam (C20H30N2O5)

Der Süßstoff Neotam ist der Kraftprotz unter den künstlichen Süßstoffen: Je nach Konzentration hat er eine 7.000- bis 13.000-fache Süßkraft von Zucker. Er ist ein Derivat von Aspartam,34 weshalb er ein ähnliches Geschmacksprofil wie Aspartam aufweist. Im Vergleich zu diesem hat er jedoch zwei schlagende Vorteile: Auf der einen Seite kommt es bei Neotam zu keinen unerwünschten Reaktionen mit in Lebensmitteln verwendeten Aromastoffen. Auf der anderen Seite ist Neotam hitzebeständig, was auch die Verwendung in Backwaren zulässt. Darüber hinaus entsteht bei der Verdauung primär Carbonsäure, die einfach ausgeschieden wird. Zugelassen ist der Süßstoff in Europa seit 2010 und kann in Lebensmitteln mit der Zusatznummer E 961 eingesetzt werden. Die maximale Tagesdosis wurde auf 2 mg/kg Körpergewicht festgelegt.35

Sucralose (C12H19Cl3O8)

Dieser Süßstoff war der erste, der durch gezielte Versuche gefunden wurde, indem man die Süßkraft von Kristallzucker durch chemische Veränderung zu erhöhen suchte. Durch den Austausch eines Stoffes gelang es 1976, die Süßkraft von Saccharose um ein Vielfaches zu übertreffen – um das 400- bis 800-Fache. Sucralose wurde als gesundheitlich unbedenklich eingestuft, da es im Körper nicht abgebaut wird. Klarer Vorteil ist das positive Geschmacksprofil, jedoch fürchten sich viele Verbraucher vor der chlorhaltige organische Verbindung.36 Der Süßstoff ist seit 2004 in der EU zugelassen und der ADI-Wert wurde auf 15 mg/kg bw/d festgelegt.37

Es gibt sehr viele verschiedene synthetische Süßstoffe, die auf dem europäischen und damit auch auf dem deutschen Markt zugelassen sind. Verglichen mit Stevia haben alle vorgestellten Stoffe aus Kundensicht den Nachteil, dass sie künstlich hergestellt wurden. Die Mehrzahl der Kunden entwickelt ein immer größeres Bewusstsein von der eigenen Ernährung. Darüber hinaus wächst die Angst und Skepsis gegenüber chemischen Stoffen, wie besonders an der Diskussion über Cyclamat und Saccharin zu erkennen ist. Aber auch die anderen vorgestellten Süßstoffe verlieren immer mehr an Vertrauen. Darüber hinaus besteht weiterhin das Problem, dass man bei den ohnehin schon „zweifelhaften“ Substanzen immer noch den Unterschied zum Zucker schmeckt. Andererseits möchten viele nicht auf die Vorteile der Süßstoffe verzichten und sind auf der Suche nach einer natürlichen Alternative, die viele in Stevia gefunden zu haben glauben.

Insgesamt ist Stevia aus Sicht der meisten Kunden eine Alternative zu herkömmlichen Süßstoffen. Allerdings ist der negative Nachgeschmack für die Lebensmittelhersteller ein Problem, dem momentan durch weitere Forschung, aber auch durch Mischung von Stevia mit anderen Süßstoffen oder auch mit Zucker entgegengewirkt wird.

2.2.2 Natürliche Süßstoffe

Der Begriff „natürlicher Süßstoff“ klingt an sich schon positiver als „künstlicher“ oder auch „synthetischer Süßstoff“. Damit stellt sich die Frage, was natürlicher Süßstoff ist. Eine einheitliche Definition ist schwer zu finden. Grundlegend denkbar wäre: Ein natürlicher Süßstoff ist eine süß schmeckende und kalorienfreie Verbindung, die in der Natur vorkommt und eine höhere Süßkraft als raffinierter Zucker besitzt. Dadurch ist auch die Abgrenzung gegenüber den synthetischen Süßstoffen klar, die künstlich hergestellt und gewonnen werden. Dies schließt nicht aus, dass sie auf natürlichen Verbindungen basieren, jedoch werden diese dann chemisch weiterentwickelt.

Der einzige natürliche Süßstoff neben Stevia ist Thaumatin, der aus den Beeren der Katamfe-Staude (Thamumatococcus danellii) gewonnen wird und eine 2.000- bis 3.000-fach höhere Süßkraft als Zucker hat. Die Katamfe-Pflanze kommt vor allem in Ghana, der Elfenbeinküste, Togo und Sierra Leone vor. Wie Stevia auch wurde die Süßkraft der Pflanze lange vor dem Rohrzucker von den Einwohnern entdeckt. Erste internationale Beachtung fand die dreikantige Beere 1839 durch den englischen Militärarzt Daniell, der sie nach England brachte.

Der süße Inhaltsstoff ist eine Mischung aus fünf verschiedenen Proteinen, von denen die wichtigsten Thaumatin I und II sind. 1972 gelang es Wissenschaftlern von Unilever erstmals, die beiden Hauptbestandteile zu isolieren. Der Geschmackseindruck ist ähnlich wie bei Stevia ein lakritzartiger Nachgeschmack mit einer spät einsetzenden und lang anhaltenden Süße. Gesundheitlich ist der Süßstoff vollkommen unbedenklich, da er im Körper in keinen körperfremden Stoff metaboliert wird. Entsprechend hat Thaumatin den GRAS-Status erhalten und ist seit 1996 in der EU als Lebensmittelzusatzstoff E 957 zugelassen. Auf die Festlegung eines ADI-Wertes wurde verzichtet, da er auf Grund der hohen Süßkraft keine praktische Anwendung hätte. Neben der Verwendung als Süßstoff wird Thaumatin auch als Geschmacksverstärker eingesetzt, da es die Geschmacksschwelle gegenüber Aromen senkt.38 Insgesamt ist der Süßstoff hitzestabil, verliert jedoch bei Erhitzung einen Teil seiner Süßkraft.39 Ein weiteres Problem stellt der Anbau dar, der relativ aufwendig ist. Deshalb wurde nach vielen Versuchen ein Gen isoliert, womit Thaumatin als extrazelluläres Produkt gewonnen werden kann.

Im Hinblick auf die Welt der Süßstoffe sind sich Stevia und Thaumatin sehr ähnlich. Allerdings ist Stevia wesentlich bekannter und verbreiteter als Thaumatin, obwohl es später zugelassen wurde als dieses.40 Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise liegt es daran, dass die extrem hohe Süßkraft dem Verbraucher den Umgang und den Gebrauch erschwert. Schon bei Stevia haben viele Konsumenten das Problem, die „richtige“ Dosierung zu finden. Bei einem Süßstoff wie Thaumatin, der extrem süß schmeckt, ist eine nur minimal zu hohe Dosierung fast abschreckend. Ein weiterer möglicher Grund ist, dass sich große Unternehmen wie Coca Cola oder Pepsi für den Einsatz von Stevia als natürlicher Süßstoff entschieden und Studien und Zulassungen dies unterstützt haben. Vorteilhaft ist sicher auch der einfachere Anbau. Insgesamt ist jedoch nicht bekannt, warum Stevia einen besseren Stand hat als Thaumatin, klar ist nur, dass es bis heute so ist.

2.3 Stevia in Lebensmitteln – Aktuelles und Perspektiven

Für die Verwendung in Lebensmitteln ist, wie zuvor dargestellt, nach der Zulassung der Geschmack eines Süßstoffes mit das Wichtigste. Bei Steviolglykosiden kann der Geschmackseindruck jedoch variieren. Dies hängt weniger von dem Süßstoff selbst, ob nun Steviosid oder Reabudiosid A, oder der Reinheit ab, sondern von der Art der Herstellung beziehungsweise dem Hersteller. In einem Forschungsprojekt der EU wurden verschiedene Steviolglykoside auf ihre sensorischen Eigenschaften hin getestet. Insgesamt wurden 15 verschiedene sensorische Eigenschaften bestimmt und erfragt (Anhang III). In Abbildung 1 sind die Ergebnisse dieses Projektes dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Sensorik verschiedener Steviolglykoside

Quelle: Kienle 2012, S. 13

Es wird deutlich, dass Steviosid mit einer Reinheit von 95 % den besten Geschmack liefert. Reabudiosid A aus Chile mit der Reinheit von 60 % schneidet dagegen am schlechtesten ab. Die Geschmacksqualität hängt jedoch nicht mit dem Reinheitsgrad zusammen. Dies lässt sich daran erkennen, dass Reabudiosid A aus Paraguay mit einer Reinheit von 60 % besser abschneidet. Das zeigt, dass die Qualität des Süßstoffes von der Art der Herstellung und dem Herstellungsprozess abhängt. Somit müssen Innovationen in der Herstellung weiter gefördert werden, um den Geschmack zu verbessern und die negativen Eigenschaften zu verringern.

Seit ihrer Zulassung in der EU im Jahr 2011 haben Steviolglykoside sowohl bei den Kunden also auch bei den Lebensmittelherstellern an Bekanntheit und Beliebtheit gewonnen. Somit ist es kein Wunder, dass seit Dezember 2011 immer mehr Lebensmittel auf den Markt kommen, die den Süßstoff Steviolglykosid enthalten. Im Folgenden werden einige Produkte, die heute schon in Deutschland erhältlich sind, vorgestellt.

Eines der ersten Produkte waren die Steviablätter, die schon vor der Zulassung von Steviolglykosiden in Deutschland erhältlich waren, jedoch nicht als Lebensmittel oder Süßstoff, sondern als Badezusatz in Reformhäusern. Auch heute sind die Blätter der Steviapflanze noch nicht als Lebensmittel zugelassen. Sie werden trotzdem von vielen gekauft und auch als solche verwendet.

Nach der Zulassung kamen schnell Steviolglykoside in Pulver- oder Tablettenform auf den Markt, umgangssprachlich auch „Stevia-Pulver“ oder „Stevia-Tab­letten“ genannt. Diese Entwicklung entspricht der anderer konventioneller Süßstoffe für den Privatgebrauch, und entsprechend findet man Süßstoffe aus Stevia im jedem größeren Supermarkt bei den anderen Süßstoffen. Der Vorteil der Stevia-Produkte ist, dass sie zu 100 % aus Steviolglykosiden bestehen, also weder Zucker noch andere Süßstoffe beigemischt werden.41

Darüber hinaus gibt es viele Lebensmittelprodukte, die zugunsten von Steviol­glykosiden auf Kristallzucker verzichten. Eine Produktgruppe sind Konfitüren: Aktuell gibt es auf dem Markt zwei Marken, die mit Steviolglykosiden süßen. Zentis bietet seine „Leichten Früchte“ in vier Geschmacksrichtungen an: Aprikose, Erdbeere, Himbeere und Sauerkirsche.42 Worin sich das „leichte“ Produkt von anderen unterscheidet, lässt sich am besten anhand des Vergleichs einer Konfitüre aus der Gruppe „Leichte Früchte“ mit einem zuckerhaltigen Pendant aufzeigen. Auch in der „leichten“ Konfitüre ist noch immer Zucker enthalten; der süße Geschmack kommt nur zu 10 % von Steviolglykosiden, der Rest der Süße von der Frucht selbst und zusätzlichem Zucker.43 Bei der Konfitüre „Leichte Früchte“ Erdbeere sind in 100 g Konfitüre noch immer 36,4 g Zucker enthalten – jedoch sind es 30,8 % weniger als bei der „Frühstücks-Konfitüre“. Diese enthält 50 g Zucker auf 100 g Konfitüre. Darüber hinaus werden bei den „Leichten Früchten“ auch 30,5 % der Kalorien eingespart.44 Somit liegt der Vorteil klar auf der Hand: Durch die Steviavariante lassen sich der Zucker- und Kalorienkonsum erheblich verringern.

Die zweite Marke ist Schwartau. Bei der Konfitüre „Frutivia“ ist schon im Namen enthalten, dass sie mit Stevia gesüßt ist. Auch „Frutivia“ ist in vier verschiedenen Sorten erhältlich: Erdbeere, Kirsche, Multivitamin und Waldfrucht. Die Konfitüre „Frutivia“ ist ebenfalls nur zu einem geringen Anteil mit Steviolglykosiden gesüßt, der größte Teil der Süße stammt aus den Früchten selbst. So kommt die Konfitüre „Frutivia“ Erdbeere auf insgesamt 38,3 g Zucker auf 100 g Konfitüre. Im Vergleich zur Schwartau „Extra“ Erdbeere sind das 34,6 % weniger, enthält diese doch 58,6 g Kohlenhydrate auf 100 g Konfitüre. Bei den Kalorien verhält es sich ähnlich: Die mit Stevia gesüßte Variante hat 34,2 % weniger Kalorien als das Original.45 Geschmacklich unterscheiden sich die beiden Konfitüren jedoch erheblich. Laut Stiftung Warentest schmeck die Stevia-Konfitüre „weniger süß, […] leicht bitter im Nachgeschmack“46.

Eine weitere Produktgruppe sind Süßigkeiten. Sowohl Bonbons und Lakritze als auch Schokolade gibt es mit dem Süßstoff Steviolglykosid. Bei den Bonbons gibt es zwei verschiedene. Seit Anfang 2012 süßt Pulmoll alle seine zuckerfreien Sorten mit Steviolglykosiden. Geworben wird damit, dass der Geschmack dadurch „noch natürlicher“ sei, da vollständig auf künstliche Süßstoffe verzichtet werde.47 Jedoch sind sie dadurch keinesfalls kalorienarm. Pulmoll setzt bei seinen zuckerfreien Produkten auf die Zahnfreundlichkeit. Es wird mit mehrwertigen Alkoholen gesüßt, die keine Karies hervorrufen, aber sehr viele Kalorien enthalten. So enthält eine Dose (50 g) 118 Kalorien. Beim süßen Geschmack spielt Steviolglykosid nur eine untergeordnete Rolle, der größte Anteil kommt vom Isomalt. Dies wirkt, als würde Stevia nur deshalb eingesetzt, um innovativ zu wirken. Positiv ist, dass der Geschmack sich nicht groß von der ursprünglichen Version unterscheidet.48

Auch die für ihre Goldbären bekannte Firma Haribo hat die Süßkraft der Steviol­glykoside für seine Produkte entdeckt. Es werden gleich zwei verschiedene Weichgummis angeboten, die mit dem Süßstoff aus der Stevia-Pflanze gesüßt werden. Zum einen hat Haribo seine Hals- und Bronchialbonbons „Bronchiol“ mit Stevia gesüßt. Die Kalorien- und Zuckerersparnis ist enorm. Im Vergleich zur mit Zucker gesüßten Sorte hat „Bronchiol Stevia“ 44 %, nämlich 151 Kalo­rien weniger auf 100 Gramm. Noch deutlicher fällt der Unterschied beim Zuckeranteil aus: Hierbei kann durch das Steviaprodukt 90 % Zucker eingespart werden. Zum anderen gibt es von Haribo „Stevi-Lakritz“, auch Wellness-Lakritz genannt. Im Gegensatz zu anderen Lebensmitteln mit Steviolglykosiden, wird bei der Verwendung in Lakritz einer der größen Nachteile eliminiert: Der Süßstoff hat in höheren Konzentrationen einen lakritzartigen Nachgeschmack. Dieser mag in anderen Produkten stören, aber bei „Stevi-Lakritz“ fällt er nicht weiter auf. Die Wellness-Lakritz von Haribo enthält fast 95 % weniger Zucker, das heißt nur 2,8 g auf 100 g. Auch bei den Kalorien wurden 44 % im Vergleich zum herkömmlichen Produkt gespart. Dafür enthalten sie wesentlich mehr Ballaststoffe.49

Schokolade gehört wohl mit zu den beliebtesten Süßigkeiten. Bisher hat sich ein kleines Unternehmen namens Cavalier vorgewagt und Stevia zur Süßung seiner Schokoladen eingesetzt. Es ist eine belgische Marke, die in nur wenigen Supermärkten erhältlich ist. Alle Sorten werden mit Steviolglykosiden und Erythritol gesüßt, wobei die meiste Süße vom Zuckeralkohol stammt.50

Eine weitere Produktgruppe, bei der ein Hersteller schon auf Stevia setzt, ist Ketchup. Schon lange ist bekannt, dass Ketchup viel Zucker enthält, obwohl dies nicht unbedingt erwartet wird. Aus diesem Grund gibt es schon seit Jahren Ketchup-Light-Versionen, die schlichtweg mit weniger Zucker auskommen. Knorr hat nun statt Ketchup mit weniger Zucker ein Produkt mit weniger Zucker, das gleichzeitig mit Steviolglykosiden gesüßt ist, auf den Markt gebracht. Der „Knorr Tomaten Ketchup“ mit der Süße aus Stevia kommt mit der Hälfte an Zucker aus, die Kalorienersparnis liegt bei ungefähr 34 %.51 Im Geschmacksvergleich schneidet der mit Steviolglykosiden gesüßte Ketchup etwas schlechter ab. Tester beschreiben ihn als „weniger aromatisch und cremig“.52

Die Produktgruppe, in der die meisten Produkte mit Steviolglykosiden gesüßt werden, ist ohne Zweifel die Getränkeindustrie. Es gibt schon einige Zeit viele Getränke, die mit Süßstoff gesüßt werden, also light sind. Da jedoch viele der bislang verwendeten Süßstoffe auf Grund ihrer synthetischen Herkunft kritisch betrachtet werden, musste eine Alternative gefunden werden. Deshalb haben die Hersteller schon vor der Zulassung von Steviolglykosid das große Potential des neuen Süßstoffes erkannt. Die Coca Cola Company, die maßgeblich für die Zulassung verantwortlich war, hat schon 2007 24 Patente für Süßstoffmischungen auf Stevia-Basis eingereicht.53 Nach der Zulassung im Jahr 2011 haben sich immer mehr Hersteller in Richtung Stevia vor gewagt. Der große Boom ist jedoch bislang ausgeblieben. Zum einen warten viele große Hersteller darauf, dass Coca Cola den ersten Schritt macht.54 Zum anderen ist der geringe ADI-Wert ein Problem. In einem Liter Limonade ist im Schnitt 80 g Zucker55. Um diesen vollständig zu ersetzen, müssen in einem Liter 0,75 g56 Steviolglykoside sein. Jedoch sind in der EU für Erfrischungsgetränke maximal 80 mg pro Liter57 zugelassen. Um die Entwicklung weiter voranzutreiben, müssten dementspre­chend die ADI-Werte erhöht werden.

Dessen ungeachtet gibt es bereits heute viele Hersteller in Deutschland, die Erfrischungsgetränke mit Steviolglykosiden süßen. Bei solchen Getränken handelt es sich um kalorienreduzierte Varianten, die hauptsächlich zusätzlich mit Zucker gesüßt werden. Ein Steviaerfrischungsgetränk der ersten Stunde ist fritz-kola Stevia. Einen Tag nach der Zulassung von Steviolglykosiden in der EU hat das Unternehmen seine kalorienreduzierte Version auf den Markt gebracht. Diese enthält im Vergleich zum Original nur die Hälfte an Kalorien und die Hälfte an Zucker. Geschmacklich ist fritz-kola Stevia zu Beginn seinem zuckerhaltigen Pendant sehr ähnlich. Die Süße klingt jedoch schneller ab und hinterlässt ein stumpfes Gefühl im Mund.58

Ein weiteres Unternehmen, das sich bislang sehr für Stevia eingesetzt hat, ist Bad Dürrheimer. Das 1958 gegründete Unternehmen ist eine der größten Mineralbrunnengesellschaften in Baden Württemberg.59 Schon seit Anfang 2012 süßt der Getränkehersteller verschiedene Sorten der eigenen Limonade mit Steviolglykosiden. Heute gibt es vier Sorten: Orange, Zitrone, Blutorange und Grapefruit. Die Produkte haben im Vergleich zu den zuckerhaltigen Originalen im Schnitt 50 % weniger Kalorien. Des Weiteren ist das Unternehmen so sehr von Stevia als Süßstoff überzeugt, dass die komplette Lightproduktlinie aus dem Sortiment genommen wurde. Das wirkt besonders für dieses Unternehmen sehr konsequent, da es in der Kommunikation Wert auf Natürlichkeit und natürliche Herkunft legt.60

Neben den kleineren Mittelständlern haben sich auch die beiden großen Unternehmen, Pepsi und Cola, auf den Steviamarkt gewagt. Jedoch sind die ersten Schritte noch verhalten, denn die beiden Unternehmen haben dazu keine Produkte genommen, die man mit den Konzernen direkt in Verbindung bringt. Pepsi hat seinen Lipton Ice Tea Green mit Stevia gesüßt. Jedoch ist dies mehr Marketing als eine wirkliche Kalorienreduktion. Ein „normaler“ Lipton Ice Tea Green Limone hat 50 Kalorien und 12,3 g Zucker auf 250 ml, die Version mit Stevia 47 Kalorien und 11,3 g Zucker bei der gleichen Menge. Somit macht es allenfalls geschmacklich einen Unterschied, welche Sorte gekauft wird. Der eigentliche Vorteil von Stevia, der geringe Zuckeranteil und die niedrigen Kalorien, sind hier vernachlässigbar.61 Coca Cola hat die Sorte Nestea Grüntee-Citrus, die seit Ende 2012 auf dem Markt ist, mit Steviolglykosiden gesüßt. Zuvor wurde das Getränk auf dem Schweizer Markt getestet und brachte dort gute Erfolge. Im Vergleich zum Lipton Ice Tea enthält Nestea Grüntee Citrus 30 % weniger Kalorien.62

Insgesamt gibt es somit auf dem deutschen Markt bereits einige Produkte, die mit Steviolglykosiden gesüßt sind, und seit der Zulassung im Jahr 2011 werden es stetig mehr. Viele kritisieren, dass die Lebensmittelhersteller nicht vollständig auf Steviolglykoside setzen und mit Zucker oder anderen Süßstoffen nachhelfen. Die Problematik entsteht jedoch zum einen durch den bitteren oder lakritz­artigen Nachgeschmack. Hier muss noch geforscht werden, um den Süßstoff weiter zu verbessern und den Beigeschmack so weit wie möglich zu eliminieren. Zum anderen ist die tägliche Maximaldosis so gering angesetzt, dass Limonaden, aber auch andere Lebensmittel nicht vollständig damit gesüßt werden können. Um die gleiche Süße zu erreichen wie bei den gewohnten Produkten, müssen zusätzliche Süßungsmittel verwendet werden.

3 Wissenschaftliche Grundlagen des Innovationsmanagements

Innovation ist einer der wichtigsten Bestandteile eines Unternehmens und entscheidend für den Unternehmenserfolg. Ohne kontinuierliche Innovation ist es so gut wie unmöglich, in den heutigen Märkten zu überleben. Produkte müssen sich ständig ändernden Marktbedingungen angepasst werden, um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben. Dabei stellt sich zunächst die Frage, was genau Innovation ist.

3.1 Begriff der Innovation

Innovation ist ein Begriff, der immer häufiger verwendet wird. Durch Globalisierung und dynamische Märkte wird es immer wichtiger, Produkte an veränderte Bedingungen anzupassen. Somit ist die Innovationskraft entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens. Nur so kann gegen die immer schnellere Imitation früherer Innovation durch Billiganbieter vorgegangen und Marktanteile dauerhaft gesichert werden.63 Obwohl Innovation in aller Munde ist, ist eine einheitliche Definition schwer zu finden. Grundsätzlich steht Innovation für „etwas Neues“. Ein Unternehmen ist innovativ, wenn es bereit ist, sich und seine Produkte zu ändern. Innovation führt zu einer ständigen Erneuerung und Veränderung der Industrie, unter anderem durch den Prozess der kreativen Zerstörung. Durch eine Innovation kann der Zweck eines Produktes neu gesetzt werden, sie kann neue Mittel zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks hervorbringen oder eine Kombination aus beidem sein.64

Um das Schlagwort weiter zu umreißen, ist es wichtig, es von dem ähnlich klingenden Wort Invention oder Erfindung abzugrenzen. Bei der Invention geht es um die Entwicklung oder Erfindung einer neuen Technologie oder eines neuen Produktes. Im Gegenzug dazu ist die Innovation die Kommerzialisierung dieser Erfindungen. Dies lässt sich gut an einem Beispiel aus der Vergangenheit darstellen: 2001 brachte Apple den ersten iPod auf den Markt. Dies war eine der erfolgreichsten Innovationen unserer Zeit. Der Erfolg des MP3-Players basiert jedoch nicht auf einer neuen Technologie, die Apple erfunden hatte. Die MP3-Technologie stammt vielmehr aus Deutschland vom Fraunhofer-Institut und wurde schon 1992 als Standard etabliert. Für den iPod reicherte Apple diese vorhandene Technologie durch ein neuartiges Geschäftsmodell, nämlich iTunes, ein einzigartiges Design mit dem Click Wheel und einen neuen Kundennutzen an. Bei einer Innovation zählt also nicht herausragende und neue Technologie allein, sondern das Zusammenspiel von vier Faktoren, die zusammen einen Mehrwert generieren.65 Diese vier Faktoren sind in Abbildung 3 als Pyramide dargestellt. Der Faktor Technologie steht für beispielsweise neue Produktionsmaschinen oder auch neue Produktionstechniken. Der Faktor des Geschäftsmodells bezieht sich auf ein neuartiges Geschäftsmodell, das bisher nicht verwendete wurde. Ein Beispiel hierfür ist Amazon, die erstmalig Bücher über das Internet verkauften. Der Aspekt des Usage bezieht sich auch die Verwendung eines Produktes. Kann ein Problem auf andere Weise gelöst werden, handelt es sich um eine Innovation. Innovation im Bereich Design bedeutet, dass einem Produkt ein neuartiges Aussehen oder Design verliehen wird. Die Pyramide hilft auch dabei, Innovationen der Art nach zu unterscheiden.

In der Fachliteratur werden verschiedene Arten von Innovationen differenziert. Je nach Autor gibt es eine unterschiedliche Anzahl. Zwei Arten tauchen jedoch bei jedem Autor auf: radikale Innovation und inkrementelle Innovation. Dabei wird primär das Augenmerk auf den Neuigkeitsgrad der Innovation gelegt. Eine inkrementelle Innovation ist die Weiterentwicklung und Verbesserung eines bestehenden Produktes. Diese Art von Innovation ist vor allem im späteren Verlauf des Produktlebenszyklus zu finden, um die Position am Markt beizubehalten oder zu verbessern. Ein Beispiel für eine inkrementelle Innovation ist zum Beispiel die das iPhone 5, dass lediglich eine Weiterentwicklung des iPhone 4 ist und nur geringere Neuerungen brachte. Bei radikalen Innovationen handelt es sich hingegen um Produkte, die vollkommen neu sind. Durch solche Produkte werden die Probleme von Kunden auf neue Weise gelöst. Darüber hinaus ist diese Lösung auch neu für das anbietende Unternehmen. Somit hat diese Art von Innovation einen höheren Neuigkeitsgrad und das Potential, vorhandene Produkte zu verdrängen. Ein gutes Beispiel für eine radikale Innovation ist die Entwicklung der digitalen Fotografie, die die analoge Fotografie größtenteils ersetzt hat.66

Die Unterscheidung der beiden Innovationsarten ist nicht immer leicht, lässt sich jedoch anhand der Pyramide (Abb. 3) gut erklären. Da eine inkrementelle Innovation die Verbesserung eines bestehenden Produktes ist, werden dabei ein bis zwei Bereiche aus der Pyramide verwendet. Das ist bei einer radikalen Innovation anders. Bei solch einer Neuerung sind drei, wenn nicht sogar alle vier Bereiche neu. Dies macht deutlich, dass radikale Innovationen wesentlich seltener sind als inkrementelle. Sie bieten ein höheres Einnahmenpotential durch ihre Neuartigkeit, bringen jedoch auch ein höheres Flop-Risiko mit sich.

Neben der Einteilung in Innovationsarten können Innovationen auch in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden. In der Fachliteratur finden sich auch hier viele unterschiedliche Einteilungen, wobei zwei Kategorien immer auftauchen: Produktinnovation und Prozessinnovation. Unter Produktinnovation versteht man die Entwicklung von neuartigen Produkten, die dem Kunden eine neu- oder andersartige Verwendungsmöglichkeit bieten. Diese Art der Innova­tion ist für den Kunden leicht zu erkennen. Von einer Prozessinnovation spricht man, wenn etwas auf eine andere und bessere Art produziert wird. Bei dieser Innovationkategorie kommt es zu einer neuartigen Faktorkombination, die es dem Hersteller ermöglicht, eine Leistung schneller, effizienter, besser oder preisgünstiger zu erstellen. Prozessinnovationen werden selten vom Kunden wahrgenommen, da der Kunde vornehmlich nicht Bestandteil des Leistungserstellungsprozesses ist. Sie treten häufig zusammen mit Produktinnovationen auf, da für die Erstellung eines neuartigen Produktes nicht selten auch neue Prozesse und Fertigungsverfahren notwendig sind. Zusätzlich taucht häufig der Begriff Dienstleistungsinnovation auf. Hierbei kann es sich sowohl um eine Produkt- als auch um eine Prozessinnovation handeln.67

3.2 Management von Innovationen

Innovationsmanagement ist ein Begriff, der immer wichtiger wird. Darunter versteht man eine Tätigkeit im Unternehmen, die auf die Herausforderungen durch Innovationen ausgerichtet ist.68 Um als Unternehmen erfolgreich und innovativ zu sein, reicht es nicht, nur gute Ideen zu haben. Es stellt sich die Frage, was die Erfolgsfaktoren für Innovation sind. Sie ist jedoch nicht so einfach zu beantworten, denn es gibt nicht das „eine“ Erfolgsrezept, das für jedes Unternehmen das richtige ist. Dennoch ist viel geforscht und sind viele Studien durchgeführt worden, um wichtige Erfolgsfaktoren herauszukristallisieren. Eine Metaanalyse von 60 Studien von Henard und Szymanski kam zu dem Ergebnis, dass es vier Kategorien für Erfolgsfaktoren gibt (siehe Anhang IV): Produkteigenschaften, strategische Faktoren, Prozesseigenschaften und Markteigenschaften.69 Zusätzlich muss auf allen Managementebenen der Innovationsprozess gelenkt und geleitet werden. Somit ist das Innovationsmanagement die bewusste Gestaltung eines Innovationssystems.70

Ein wichtiger Bestandteil des Innovationsmanagements ist die Innovationsorganisation, die in die Strategie und Organisation des Unternehmens eingebettet sein muss. Innovation ist nur dann möglich, wenn eine innovationsfördernde Organisationsstruktur und Kreativität vorhanden ist. Es können zwei Arten von Innovationsorganisationen unterschieden werden: die Funktionsstrategie und die Metastrategie. Bei der Funktionsstrategie ist Innovation in die Abteilung Forschung und Entwicklung (F&E) eingebettet und bleibt primär auf diese beschränkt. Im Gegensatz dazu zieht sich bei der Metastrategie die Innovationsstrategie durch alle Funktionen. Dies hat den Vorteil, dass das Wissen über Abteilungsgrenzen hinweg verwendet wird und in die Innovation einfließt. Nachteil ist jedoch der hohe Koordinations- und Kommunikationsaufwand.71

Der nächste Schritt zu Erstellung einer Innovationsstrategie ist die Marktein­tritts­strategie (Abb. 4). Hierbei wird zwischen drei Arten unterschieden: First-to-Market, Early-Follower oder Late-Follower. Die Wahl der passenden Eintrittsstrategie wird dadurch bestimmt, welchen Herausforderungen sich das Unternehmen gegenübergestellt sieht. Hier lassen sich grob drei Bereiche unterscheiden. Zum einen kann ein Unternehmen sich vornehmlich an der Umwelt orientieren. Um erfolgreich zu agieren, müssen ausreichend Informationen über die Unternehmensumwelt beschafft werden, damit wichtige Entwicklungen und Trends frühzeitig erkannt werden. Die Informationen können durch verschiedene Analysetools, etwa eine Analyse der Umwelt (PESTEL-Analyse) oder eine Branchenanalyse (Porter’s Five Forces), beschafft werden. Unternehmen mit einer starken Orientierung am Markt und an der Umwelt sollten sich hingegen für eine Early-Follower-Strategie entscheiden, um erst genug Wissen zu sammeln und dann das First-to-Market-Unternehmen zu überholen. Zum anderen kann sich das Unternehmen vorrangig den Bedürfnissen der Kunden stellen. Ziel ist dann, die Wünsche des Kunden optimal zu erfüllen. Deshalb ist es für solche Unternehmen besonders wichtig, die Kunden gut zu kennen. Um dies zu erreichen, lassen sich wiederum verschiedene Analysetools verwenden, wie zum Beispiel Benchmarking, Messung der Kundenzufriedenheit oder kundenorientierte Produktanalyse. Hierbei hängt die Innova­tionskraft des Unternehmens primär von den eingesetzten Tools ab. Da es sich um einen reaktiven Ansatz handelt, sollte das Unternehmen eine Early-Follo­wer- oder Late-Follower-Strategie wählen. Die dritte Perspektive entsteht durch technische Herausforderungen. Solche Unternehmen setzen auf den Fortschritt der Technik. Deshalb haben sie einen stark ausgeprägten F&E-Bereich, und die meiste Innovations- und Ideenfindungskraft wird auf die Forschung konzentriert. Ziel ist es, Wettbewerbsvorteile zu erlangen und schneller als die Wettbewerber zu sein. Dementsprechend sollten diese Unternehmen einen First-to-Market-Ansatz vertreten.72

Um die Innovationsstrategie zu vervollständigen, muss nun noch das oder die Innovationsziele formuliert werden. Wichtig ist hier, dass sowohl qualitative als auch quantitative Ziele gesetzt werden. Des Weiteren sollten alle Ziele die SMART-Kiterien erfüllen. Das heißt, ein Ziel muss spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminiert sein. Mit diesem Schritt steht die Innova­tionsstrategie fest.73

3.3 Innovationsmodelle

Um das Innovationsmanagement genauer nachvollziehen und planen zu können, wurden in der Vergangenheit und werden in der Gegenwart verschiedene Innovationsmodelle entwickelt. Solche Modelle helfen bei der Ideenfindung und der Strukturierung der Ideen und damit der daraus resultierenden Innovationen. In der Literatur sind viele verschiedene Modelle zu finden, jedoch lassen sich Innovationsmodelle grob in zwei Arten unterscheiden. Auf der einen Seite stehen lineare, auf der anderen Seite flexible Modelle.74

3.3.1 Lineare Innovationsmodelle

Als lineare Innovationsmodelle werden solche bezeichnet, die bei der graphischen Darstellung in einer Linie verlaufen. Dies ist bei den Modellen der Fall, die in Phasen gegliedert sind, wobei erst mit Beendigung der einen Phase die nächste Phase beginnt. Die lineare Darstellung entspricht der traditionellen Vorstellung von Innovationsprozessen. So gibt es besonders viele lineare Modelle, die sich alle nur geringfügig unterscheiden. In jedem Fachbuch werden andere Modelle vorgestellt.75 Exemplarisch wird hier eines der bekanntesten und am weitesten verbreiteten Modelle vorgestellt: das Stage-Gate-Modell (Abb. 5). Es wurde 1986 von Cooper entwickelt, um sowohl den Innovations- als auch den Entwicklungsprozess zu optimieren. Das Modell gliedert sich in fünf Phase (Stages) und fünf Entscheidungspunkte oder Tore (Gates). Es wird der Prozess von der Idee zum Launch dargestellt, wobei verschiedene Phasen durchlaufen werden müssen.76

In jeder Phase (Stage) werden Informationen gesammelt und Arbeitsschritte unternommen, um am nächsten Tor (Gate) die jeweilige Entscheidung zu treffen. An diesen Entscheidungspunkten kann die Antwort Go (Weiterführung des Projektes), Kill (Beendigung des Projektes), Hold (Anhalten des Projektes) oder Recycle (Überarbeitung des Projektes) lauten. Am Entscheidungspunkt Gate 1 wird ein erstes Ideenscreening durchgeführt, um vorhandene Ideen zu selektieren. Wie für jedes Screening müssen auch hier Kriterien für die Selektion gefunden werden, wie zum Beispiel die Machbarkeit der Idee, der Neuigkeitsgrad, das Marktpotential oder auch das technische Umsetzungspotential. Wenn erste Ideen ausgewählt wurden, geht es weiter zur nächsten Stufe. In Stage 1 wird das erste Aufgabenpaket bearbeitet. Es sollen detaillierte Studien zur Machbarkeit und Durchsetzbarkeit der möglichen Innovation durchgeführt werden. Damit gelangt man zu Gate 2, wo anhand der neu erlangten Informationen erneut eine der vier möglichen Entscheidungen getroffen werden muss. In Stage 2 gilt es nun, das geprüfte Innovationsprojekt zu formulieren und zu definieren. Des Weiteren muss auf der Basis der gesammelten Informationen ein Plan erstellt werden. Bei Gate 3 wird der formulierte Projektplan kritisch überprüft. Nur wenn der Business Case den Kriterien standhält, kann der nächste Schritt getan werden. Wurde dieser Meilenstein mit „Go“ beantwortet, geht es in Stage 3 darum, das Produkt erstmalig zu entwickeln. Das bedeutet, dass die Produktion und das Marketing geplant werden müssen. Darüber hinaus ist ein erster Prototyp zu erstellen. Zusätzlich ist es wichtig, dass Testing-Pläne entworfen werden, die in der nächsten Phase überprüft werden können. Ist dieses Aufgabenpaket abgeschlossen, folgt Gate 4, bei dem das entwickelte Produkt mit den Kriterien und Anforderungen, die für Gate 3 verfasst wurden, verglichen wird. Die Frage ist, ob es Abweichungen gibt und inwiefern diese die Absatzpläne beeinflussen. Stage 4 kann dann als Finalisierung des Projektes angesehen werden. Zu diesem Zeitpunkt wird das gesamte Innovationsprojekt zusammengefasst. Die geplanten Produkte werden ein letztes Mal getestet und überprüft. An diesem Punkt angelangt, setzen die ersten Marketing- und Sales-Maßnahmen an. Gate 5 ist das „Tor zum Markt“. Wenn dieser Punkt erreicht ist, wird der Startschuss für die Produktion und Markteinführung gegeben. Der letzte Schritt ist Stage 5, bei dem die Innovation auf den Markt gebracht, also gelauncht wird.77

3.3.2 Moderne Innovationsmodelle

Unter modernen Innovationsmodellen werden hier alle Modelle verstanden, die von der linearen Phasendarstellung abweichen. Dies sind vor allem neuere Ansätze. Der Vorteil einer solchen Abweichung ist, dass versucht wird, den Prozess zu erweitern. Jedoch wird dadurch die Innovation noch komplexer.

3.3.2.1 Open Innovation

Wie bereits dargestellt, sind der Kunde und dessen Wünsche und Bedürfnisse ein wichtiger Bestandteil von Innovationen. Bei dem Ansatz der Open Innova­tion geht es darum, dass der Kunde in den Prozess der Innovationsfindung und -erstellung mit eingebunden wird. Dies ist besonders für Unternehmen wichtig, deren primäre Herausforderung die optimale Erfüllung der Kundenwünsche ist (siehe Kapitel 3.2). Der Vorteil einer solchen Einbindung ist, dass zum einen das Risiko eines Flops verringert wird. Dadurch können die Kosten für Innova­tionen gesenkt werden, da weniger unerwünschte Innovationen erstellt und getestet werden müssen. Des Weiteren wird der Nutzen der Innovation erhöht, da es wahrscheinlicher ist, dass das erstellte Produkt den Anforderungen des Kunden entspricht. Open Innovation steht dem Konzept der Closed Innovation gegenüber, bei dem nur das Unternehmen selbst in den Innovationsprozess involviert ist. Die Nachteile eines solchen Ansatzes sind eine erhöhtes Risiko für unerwünschte Innovationen, das heißt ein höheres Floprisiko.78 Open Innovation ist aber nicht nur darauf begrenzt, dass Kunden in den Innovationsprozess eingebunden werden, sondern es können auch andere Unternehmen einbezogen werden. Dadurch lassen sich im Regelfall bessere Innovationen in kürzerer Zeit erstellen, da sich die einzelnen Unternehmen auf den Teil der Innovation konzentrieren können, in dem sie am besten sind.79

Der Open-Innovation-Ansatz stammt von Chesbrough. Für ihn bedeutet Open Innovation, dass die Idee für eine Innovation sowohl aus dem Unternehmen selbst als auch von außerhalb des Unternehmens kommen kann, ebenso aber auch, dass das Produkt vom Unternehmen selbst erstellt wird oder aber von außerhalb des Unternehmens kommt.80 Chesterbrough grenzt den Begriff der Open Innovation dadurch weiter ein, dass er sie der Closed Innovation gegenüberstellt. Bei einer Closed Innovation kommen alle Ideen, die technische Entwicklung, das Marketing und letztlich der Launch nur aus dem Unternehmen selbst. Die Gründe, warum Unternehmen diesen Ansatz verfolgen, sind die Angst vor einer raschen Nachahmung und der Glauben, mit der Closed Innovation eine bessere Positionierung am Markt erzielen zu können.81

Im Gegensatz dazu ist der Open-Innovation-Ansatz ein kooperativer Ansatz, der letztlich auf der Redewendung basiert: „Gemeinsam sind wir schlauer“. Hierbei wird sowohl mit Unternehmen als auch mit Kunden zusammengearbeitet. Die anderen Unternehmen können sowohl Konkurrenten als auch vollkommen branchenfremde Partner sein. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, dass es zur gegenseitigen Ergänzung und somit zu neuen und anderen Innovationen kommt. Die Idee der Open Innovation lässt sich dabei in Form eines Trichters darstellen (Abb. 6). Die Linien des Trichters stellen die Unternehmensgrenze dar, sie sind jedoch gestrichelt, ergo durchlässig. Es wird deutlich, dass Produkte erst durch das Mitwirken von anderen, beispielsweise durch externe Technologien, möglich werden. Auch lassen sich so eventuell zwei Ideen miteinander verbinden. Darüber hinaus gibt es auch Ideen, die nicht zum eigenen Markt oder der präferierten Zielgruppe gehören. Beim geschlossenen Modell würden sie schlichtweg verworfen und vergessen. Im offenen Innova­tionsmodell kann eine solche Idee hingegen an ein anderes Unternehmen weitergegeben werden. So wird der traditionelle prozessbasierte Ansatz durch Zyklen ersetzt. Jeder dieser Zyklen kann Anstoß für eine Innovation geben.82

3.3.2.2 Crowdsourcing

Der Begriff Crowdsourcing setzt sich aus den Wörtern „crowd“, englisch für Masse, und „outsourcing“, das bedeutet das Auslagern einer Tätigkeit oder Leistung, zusammen. Erstmalig geprägt wurde der Begriff von Jeff Howe 2006 in einem Computermagazin. Howe definiert ihn wie folgt: „Crowdsourcing represents the act of a company or institution taking a function once performed by employees and outsourcing it to an undefined (and generally large) network of people in the form of an open call.“83 Somit ist Crowdsourcing eine Art des Outsourcings. Papsdorf erweiterte die Definition um zwei weitere wesentliche Punkte. Zum einen beantwortete er die Frage, wer Crowdsourcing betreiben kann, und verweist hier sowohl auf Organisationen als auch auf Privatpersonen. Zum anderen wurde der betriebswirtschaftliche Aspekt mit aufgenommen, insofern Crowdsourcer durch das Crowdsourcing einen frei verwendbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangen können.84

Crowdsourcing stellt eine Unterart der Open Innovation dar, denn auch hier wird die Innovation außerhalb des Unternehmens gesucht. Im Gegensatz zu Open Innovation ist Crowdsourcing eine interaktive und communitybasierte Innova­tionsstrategie. Sie hat sich primär auf Grund des Internets und der dadurch entstandenen Möglichkeiten entwickelt. Grob beschrieben gibt es beim Crowdsourcing eine bestimmte Plattform, meist eine Website, auf der Unternehmen, aber auch Privatpersonen Probleme vorstellen. Dies können wissenschaftliche und Forschungsprobleme sein, aber auch Fragen zur Erstellung neuer Produkte oder Designs. Auch für Marketingkampagnen wird das Wissen der Masse genutzt. Auf der anderen Seite steht eine breite Masse an Menschen, die zur Lösung dieser Probleme beitragen. Zur Motivation, das je eigene Wissen preiszugeben, werden häufig (aber nicht immer) Incentives, meist in Form von Sachpreisen oder Honoraren, verteilt. Diese grobe Beschreibung trifft auf die meisten Formen des Crowdsourcings zu. Generell kann Crowdsourcing dabei in fünf Kategorien beziehungsweise Plattformen (Anhang V) unterschieden werden.85

Die erste Kategorie sind intermediäre Plattformen. Hier werden verschiedene Parteien zusammengebracht, wobei die Website die Schnittstelle zwischen dem Fragenden oder auch Auftragsstellenden und dem Lösenden ist. Der Teilnehmer, dessen Lösung vom Unternehmen ausgewählt wird, erhält ein vorher festgelegtes Incentive. Solche Plattformen gibt es für verschiedene Probleme oder Fragestellungen. Eine F&E-Plattform etwa ist ein Wissenspool und dient der Vernetzung von Unternehmen und Wissenschaftlern. Bei einer Marketing- und Designplattform werden hingegen beispielsweise Fragen nach einem neuen Logo oder einer neuartigen Werbekampagne gestellt. Zu diesem Zweck werden sowohl Fachleute als auch Laien angesprochen. Plattformen für Freelancer bilden ein Bindeglied zwischen Unternehmen und Freelancern; dort vorgestellte Probleme sind häufig weniger innovativ. Zu guter Letzt gibt es noch Ideenplattformen, bei denen der Lösungsfindungsprozess und nicht die Qualifikation der Lösenden im Vordergrund steht. Vor allem auf solchen Plattformen wird nach neuen Produktideen gesucht, da hier die Masse aller Kunden teilnehmen kann.86

Die zweite Kategorie sind gemeinsame freie Lösungen. Hierbei stellt kein Unternehmen eine konkrete Frage, sondern die Lösung steht allen über das Internet zur Verfügung. Eine Art solcher Lösungen sind Websites, auf denen das Wissen und Können vieler Nutzer gesammelt wird. Ein Beispiel dafür ist Wikipedia. Eine andere Art solcher Lösungen ist Open-Source-Software. Darunter versteht man die Zusammenarbeit von Programmierern, die über die ganze Welt verteilt sind. Gemeinsam arbeiten sie an Softwaresystemen, die aber allen zugänglich sind. In diesem Bereich findet der Begriff des Crowdsourcings schon lange Anwendung. Ein Beispiel hierfür ist der Internetbrowser Firefox.87

Die dritte Kategorie sind unternehmenseigene Plattformen, also Websites oder Plattformen von Unternehmen. Der positive Nebeneffekt ist, dass sich hierdurch das Unternehmen als besonders innovativ und kundennah darstellen kann. Zum einen gibt es Plattformen für Produktideen und Problemlösungen. Hierbei fragt das Unternehmen den Kunden, welche neuen Produkte gewünscht sind. Dadurch wird das zukünftige Produktportfolio bestimmt. Zum anderen gibt es Plattformen für Branding und Design, wobei die Design- und Marketingkenntnisse angezapft werden.88

Die vierte Kategorie sind Marktplätze für eigene Ideen. Auf dieser Art von Websites haben kreative Köpfe die Möglichkeit, ihre Produkte zu verkaufen, wie zum Beispiel selbst designte Kleidung. Eine andere Möglichkeit ist auch, dass auf einer solchen Plattform Ideen bzw. mögliche Produkte vorgestellt werden, um so die noch fehlenden finanziellen Mittel für Prototypen oder für die Produktion zu sammeln. Hier spricht man auch von Crowdfounding.89

Die letzte Kategorie sind öffentliche Initiativen, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen sollen. Hauptmerkmal solcher Initiativen ist, dass der Auftraggeber öffentlich ist, wie Universitäten, Regierungen oder ähnliches.90

3.3.2.3 Promotorenmodell nach Witte

Beim Promotorenmodell geht es weniger darum, welche Aufgaben unternommen werden müssen, damit ein innovatives Produkt entsteht. Es geht vielmehr um die Frage, welchen Prozess ein Unternehmen durchlaufen muss, damit der Innovationsprozess erfolgreich sein kann.

Das klassische Promotorenmodell wurde 1973 erstmalig von Witte entwickelt. Die Annahme war, dass ein Innovationsprozess nicht eigendynamisch abläuft. Auf Grund dessen werden Personen benötigt, die diesen Innovationsprozess unterstützen. Diese Personen werden Promotoren genannt. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass ein Innovationsprozess auf Widerstände – Witt nennt es Barrieren – stößt. Personen, die gegen einen Innovationsprozess sind, werden Opponenten genannt. Damit es zu einer Innovation kommen kann, müssen Barrieren überwunden werden. Es werden zwei Arten von Barrieren unterschieden. Zum einen gibt es Willensbarrieren. Das bedeutet, ein Opponent möchte eine Innovation oder Veränderung nicht akzeptieren. Das führt auch zu negativen Reaktionen gegenüber Personen, die die Neuerung akzeptieren oder vorantreiben. Zum anderen gibt es Fähigkeitsbarrieren, bei denen schlichtweg das fachliche Verständnis fehlt. Um diese Barrieren zu überwinden, gibt es im klassischen Promotorenmodell zwei verschiedene Promotoren. Fachpromotoren bringen den Innovationsprozess durch ihr Fachwissen weiter. Hierbei dient das Wissen zur Aufklärung der Opponenten und ist somit die Argumentationskraft. Machtpromotoren hingegen können durch ihr hierarchisches Potential die Innovation im Unternehmen voranbringen. Dieser Personenkreis hat eine höhere Position in der Aufbauorganisation inne und somit einen formalen Einfluss auf bestimmte Opponenten. Der Machtpromotor kann die Opponenten sanktionieren, um Akzeptanz herbeizurufen.

Dies bildet die Basis für das klassische Promotorenmodell. Es wird weiter aufgeteilt in drei Elemente. Das Korrespondenztheorem steht dafür, dass zur Überwindung der Barrieren ein spezifisches Einwirken erforderlich ist. Willensbarrieren können primär durch Machtpromotoren, Fähigkeitsbarrieren vor allem durch das Wissen der Fachpromotoren überwunden werden. Das zweite Element ist das Theorem der Arbeitsteilung. Der Innovationsprozess ist erfolgreicher, wenn verschiedene Personen beteiligt sind. Als drittes steht noch das Interaktionstheorem, wonach der Durchsetzungsprozess erfolgreicher ist, wenn Macht- und Fachpromotoren zusammenarbeiten.91

4 Lebensmittelbranche und Innovationen

4.1 Lebensmittelindustrie – national und international

Die Lebensmittelindustrie oder auch Ernährungswirtschaft ist einer der wichtigsten Zweige des verarbeitenden Gewerbes, sowohl in Deutschland als auch weltweit. Es handelt sich um einen der Landwirtschaft nachgelagerten Wirtschaftszweig, der für die Erstellung und Aufbereitung von Agrarprodukten für die Ernährung des Menschen zuständig ist.92 Unter Lebensmitteln versteht man laut Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 „alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden“93. In Deutschland ist die Ernährungswirtschaft der viertgrößte Wirtschaftszweig des verarbeitenden Gewerbes nach dem Kraftfahrzeugbau, dem Maschinenbau und der Chemie­industrie.94 Im letzten Jahr lag der Umsatz der Ernährungsindustrie bei ungefähr 175 Milliarden Euro.95 Der Sektor wächst zwar kontinuierlich, jedoch nur langsam. Im Jahr 2012 lag die Veränderung des Umsatzes bei 3,6 % und 2013 bei 3,5 %.96 Der Wachstumstrend wird durch immer stärker wachsende Konsumausgaben der privaten Haushalte weiter unterstützt, die seit 2005 kontinuierlich ansteigen.97

Innerhalb der Lebensmittelindustrie sind vor allem Fleisch- und Milchverarbeitung die größten Segmente mit einem Anteil von 23 % bzw. 16 % am Umsatz der Ernährungsindustrie in 2013. Die Herstellung von Erfrischungsgetränken liegt auf dem achten Platz mit 4 % des Umsatzes.98 In der EU ist, gemessen am Umsatz, Deutschland der größte Lebensmittelproduzent, gefolgt von Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich.99 Insgesamt wurde im Jahr 2012 in Europa ein Umsatz von 1,048 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das Wachstum im Jahr 2012 lag im Vergleich zum Vorjahr bei 3,1 %.100 Sowohl in der EU, besonders aber in Deutschland gibt es vor allem viele kleine und mittelständische Unternehmen in der Ernährungsindustrie. Diesen kleinen und mittelständischen Unternehmen kommt eine große Bedeutung zu, da sie trotz ihrer Größe extrem wichtig für den Sektor sind. Im Jahr 2011 erwirtschaftete die Gruppe erstmalig über 50 % des Gesamtumsatzes in Europa.101 Weltweit gesehen ist die EU gemessen am Umsatz der größte Produzent von Lebensmitteln und Getränken, gefolgt von den USA mit 478 Milliarden Euro und China mit 447 Milliarden Euro. Global hat die Industrie ein Marktvolumen von ungefähr 2.800 Milliarden Euro.102

Zusammenfassend ist die Ernährungsindustrie ein Zweig, in dem viele Umsätze generiert werden und der trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise weiteres Wachstum verzeichnen konnte. Des Weiteren hat der Bereich große Bedeutung für den Menschen und wird auch in Zukunft weiter eine wichtige Position in der Gesamtwirtschaft einnehmen. Dennoch wird es einen Wandel in der Ernährungsindustrie geben, und dies aus vielen Gründen. Wichtig sind hier vor allem zwei: Zum einen sorgt die demographische Entwicklung für eine Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung, insbesondere in den Industrieländern. Zum anderen entstehen durch viele aufstrebende Staaten neue Märkte, zugleich kommt es aber auch zu einer Verschärfung der Gesamternährungssituation.

[...]


1 Vgl. Kienle 2011, S. 3.

2 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 168.

3 Vgl. Koula-Jenik 2006, S. 11f.

4 Vgl. Sáinz et al. 2013, S. 34.

5 Vgl. Madan et al. 2010, S. 267.

6 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 187f.

7 Vgl. Kienle 2011, S. 44.

8 Vgl. Wilke-Weichbrodt 2012, S. 14.

9 Vgl. Voß 2012, S. 62.

10 Vgl. European Parliament and of the Council 2011, S. 205.

11 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 187.

12 Vgl. Sáinz et al. 2013, S. 36.

13 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 169.

14 Vgl. Weerasinghe und DuBois 2008, S. 444–462.

15 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 188f.

16 Vgl. Grüne 1994, S. 349.

17 Vgl. Roth und Lück 2011, S. 406–423.

18 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 172f.

19 Vgl. Smith 2011, S. 249.

20 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 172.

21 Vgl. Smith 2011, S. 249.

22 Vgl. Mund 2007, S. 489f.

23 Vgl. Rosenplenter und Nöhle 2007, S. 544.

24 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 173f.

25 Vgl. Rosenplenter und Nöhle 2007, S. 544.

26 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 175–178.

27 Vgl. Hirsch-Kauffmann et al. 2009, S. 157.

28 Vgl. Knopf 2000, S. 20.

29 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 179f.

30 Vgl. Grimm und Ubbenhorst 2013, S. E 950.

31 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 180.

32 Vgl. Grimm und Ubbenhorst 2013, S. E 962.

33 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 184.

34 Vgl. Wenda 2007, S. 530.

35 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 187.

36 Vgl. Diehl und Rosenplenter 2007, S. 514f.

37 Vgl. Roth und Lück 2012, S. 184.

38 Vgl. Schwarz 2002, S. 36–39.

39 Vgl. Suter 2008, S. 81.

40 Vgl. Kinghorn 2002, S. 7.

41 Vgl. Stocker 2012, S. 29.

42 Vgl. Zentis GmbH & Co. KG 2014.

43 Vgl. Stocker 2012, S. 30.

44 Vgl. Zentis GmbH & Co. KG 2014.

45 Vgl. SCHWARTAUER WERKE GmbH & Co. KGaA 2014.

46 Vgl. Stocker 2012, S. 29.

47 Vgl. Kalfany Süße Werbung GmbH & Co. KG 2012.

48 Vgl. Stocker 2012, S. 30.

49 Vgl. HARIBO GmbH & Co. KG 2014.

50 Vgl. Stocker 2012, S. 30.

51 Vgl. Unilever Deutschland GmbH 2012.

52 Vgl. Stocker 2012, S. 29.

53 Vgl. Wilke-Weichbrodt 2012, S. 14.

54 Vgl. Voß 2012, S. 62.

55 Vgl. Kienle 2011, S. 145.

56 Vgl. Kienle 2011, S. 139.

57 Vgl. European Parliament and of the Council 2011, S. 210.

58 Vgl. Stocker 2012, S. 28.

59 Vgl. Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbH+Co. KG Heilbrunnen 2014a.

60 Vgl. Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbH+Co. KG Heilbrunnen 2014b.

61 Vgl. PepsiCo Deutschland GmbH 2013.

62 Vgl. Coca Cola Deutschland 2012.

63 Vgl. Schori und Roch 2012, S. 13.

64 Vgl. Hauschildt und Salomo 2011, S. 3–5.

65 Vgl. Gassmann und Sutter 2008, S. 1–3.

66 Vgl. Wintz 2010, S. 10.

67 Vgl. Wintz 2010, S. 8f.

68 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon 2014a.

69 Vgl. Hauschildt und Salomo 2011, S. 31–33.

70 Vgl. Hauschildt und Salomo 2011, S. 29.

71 Vgl. Schori und Roch 2012, S. 59–60.

72 Vgl. Schori und Roch 2012, S. 61–64.

73 Vgl. Mertins 2009, S. 28.

74 Vgl. Verworn und Herstatt 2000, S. 1–2.

75 Vgl. Verworn und Herstatt 2000, S. 1–2.

76 Vgl. Badura 2011, S. 226.

77 Vgl. Badura 2011, S. 226–228.

78 Vgl. Hauschildt und Salomo 2011, S. 174–175.

79 Vgl. Andrew und Sirkin 2003, S. 81–82.

80 Vgl. Chesbrough 2006, S. 43.

81 Vgl. Braun 2012, S. 6.

82 Vgl. Braun 2012, S. 8–9.

83 Vgl. Howe 2006.

84 Vgl. Papsdorf 2009, S. 69.

85 Vgl. Gassmann 2012, S. 3–8.

86 Vgl. Gassmann 2012, S. 7–9.

87 Vgl. Gassmann 2012, S. 9–10.

88 Vgl. Gassmann 2012, S. 10–12.

89 Vgl. Gassmann 2012, S. 12–13.

90 Vgl. Gassmann 2012, S. 14.

91 Vgl. Wieske 2004, S. 147–149.

92 Vgl. i.m.a – information.medien.agrar e. V. 2014.

93 Vgl. Europäische Gemeinschaft 01.02.2002, S. 7.

94 Vgl. Statistisches Bundesamt und Verband der Chemischen Industrie e. V. VCI 2013, S. 13.

95 Vgl. Statistisches Bundesamt 2014b.

96 Vgl. BVE Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie 2014, S. 11.

97 Vgl. Statistisches Bundesamt 2014a.

98 Vgl. BVE Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie 2014, S. 12.

99 Vgl. FoodDrinkEurope 2014, S. 9.

100 Vgl. FoodDrinkEurope 2014, S. 3.

101 Vgl. FoodDrinkEurope 2014, S. 7.

102 Vgl. FoodDrinkEurope 2014, S. 19.

Ende der Leseprobe aus 204 Seiten

Details

Titel
Stevia. Das neue light? Innovationsmanagement im Getränke-Bereich der Lebensmittelbranche
Untertitel
Marketingstrategie für Coca Cola life
Hochschule
Hochschule Bochum  (Wirtschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
204
Katalognummer
V301848
ISBN (eBook)
9783668011267
ISBN (Buch)
9783668011274
Dateigröße
6584 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stevia, Marketing, Innovation, Innovationsmanagement, Lebensmittelbranche
Arbeit zitieren
Ann-Christine Bischoff (Autor:in), 2014, Stevia. Das neue light? Innovationsmanagement im Getränke-Bereich der Lebensmittelbranche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301848

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