Die Druckkritik der Frühen Neuzeit. Der Buchdruck als trojanisches Pferd?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

27 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Beginn einer neuen Ära

3. Kritik an den Druckern
3.1 Die Druckkritik von Johannes Trithemius
3.2 Francesco Petrarca und Desiderius Erasmus
3.3 Trithemius' Sinneswandel

4. Missbrauch am Buchdruck
4.1 Hans Folz
4.2 Die Zeitungsdebatte
4.3 Das Narrenschiff von Sebastian Brant

5. Heilsame Anleitung über die Ausübung der Buchdruckerkunst

6. Humanistische Druckkritik

7. Kirchliche Kritik am Buchdruck

8. Zensuren

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bei einer Gegenüberstellung der Literatur des Hohen Mittelalters um 1200 nach Christus - vor der Medienrevolution durch Gutenberg - mit der in der frühen Neuzeit nach 1500 lässt sich schnell erkennen, dass sich in diesem relativ kurzen Zeitraum ein enormer Wandel im literarischen Leben vollzogen hat. Fürsten und adlige Herren als dominierende Auftraggeber für teure Handschriften und die höfische Gesellschaft als vorherrschende Rezipienten der literarischen Werke gehörten nunmehr der Vergangenheit an. Ebenso kam es bei deren Inhalten innerhalb dieser 300 Jahre zu einer Neuorientierung: Minnesang im Bereich der Lyrik sowie das Arthusrittertum im Bereich der Prosa zur Idealisierung der höfischen Welt wurden abgelöst von einer neuen literarischen Richtung mit bürgerlichem und geistlichem Gehalt. Dieser kirchliche Bereich machte mit dem Meistergesang zudem deutlich, dass die bürgerlichen Rezipienten durchaus für feierliche und kunstvolle Formkunst offen waren. Weiterhin fanden antike Werke durch den sich von Italien ausbreitenden Humanismus und die schnellere und kostengünstigere Herstellung gedruckter Werke leichter Zugang zu den Menschen. Mit der Übersetzung der Bibel durch Martin Luther und die darauf folgende Verbreitung der gedruckten Lutherbibel wurde die deutsche Literatur ab 1520 von den Auseinandersetzungen der katholischen Kirche mit dem neu entstandenen protestantischen Glauben bestimmt.1

Darüber hinaus kam es neben dem Rückzug des Adels aus der Literatur, und der damit an Einfluss gewinnenden bürgerlichen Gesellschaft, allmählich zu einer weiteren Vergrößerung des Leserpublikums. Denn nicht mehr allein die jungen oder erfolgreichen und damit maßgebenden Rezipienten waren ein Richterwert für die Themen literarischer Werke. Vielmehr trat der alternde Mensch als Leser hervor, der logische und besonnene Forderungen in die Literatur mit einfließen ließ. Auch die Aufmerksamkeit, die diese neuen Leser auf Religion, Unterricht und Fragen zu ihrem Leben richteten, spielten in der Themenwahl eine entscheidende Rolle.2 Diese Entwicklung des sich ausweitenden Rezipientenkreises in den verschiedensten Schichten der Bevölkerung hatte auch zur Folge, dass neue Handschiftenfabriken innerhalb Deutschlands entstehen konnten, wie beispielsweise die des Diebolt Lauber in Hagenau. Hier wurden literarische Werke nicht mehr nur nach Eingang eines Auftrags gefertigt, sondern auf Vorrat, um die gestiegene Nachfrage zu befriedigen.3

Selbstverständlich hat die Erfindung der Buchdruckerkunst durch Gutenberg diese Entwicklung in der literarischen Welt entscheidend beeinflusst und verstärkt. Zwar wollte Gutenberg mit dieser neuen Technik lediglich die kirchlichen Handschriften durch die Ebenmäßigkeit des Drucks noch schöner darstellen, doch nachdem die Drucktechnik in Klöstern und Kirchen eingesetzt worden war, wurden schnell neue Absatzmärkte und ein breiteres Publikum gesucht.4 Doch mit der Verbreitung von Druckwerken unter den ‚gemeinen’ Bürgern wurden kritische Stimmen laut. Die geistliche und weltliche Macht fürchtete sich vor der möglichen Propaganda innerhalb der Druckerzeugnisse. Denn die neuen Medien, vor allem das Flugblatt und die Flugschrift, wurden durchaus als Kampfmedium verwendet, um neue oder andersartige Meinungen erfolgreich unter dem Volk zu verbreiten.5 Die Obrigkeit versuchte solche Inhalte von vornherein zu unterbinden, um ihre bisher gefestigte Stellung einzubehalten. Die Kirche sah sich auch durch die Schriften Luthers bedroht, deren Verbreitung sich durch die Drucktechnik nur schwer kontrollieren ließ. Aber auch gegenüber Übersetzungen der heiligen Schrift und anderen Werken in die sogenannte Volkssprache war man kritisch eingestellt. Es herrschte die Angst, dass die Volkssprachen den Inhalt nicht korrekt wiedergeben und damit der eigentliche Sinn der Schriften entstellt werden könnte. Grundsätzlich waren die Meinungen zweigeteilt, da die Gelehrten einerseits um die Möglichkeiten, die sich durch den Buchdruck eröffneten, wussten, andererseits aber auch Angst vor einem Missbrauch an der neuen Kunst hatten.6 Und auch Bewegungen, denen der Buchdruck eine enorme Erleichterung verschaffte, setzten sich teilweise kritisch mit dem neuen Medium auseinander, wie etwa der Humanismus.

Guillaume Fichet verglich die Medienrevolution in seiner Laudatio auf den Buchdruck mit dem trojanischen Pferd und auch andere Stimmen in den europäischen Ländern warnten vor der Drucktechnik, die sich hinter dem Aussehen eines altehrwürdigen Schlachtrosses verstecke und dabei die seit Jahrhunderten erbauten Mauern und Wege einreißen würde, wenn man ihr Zugang zur Welt gewähre.7

Die Druckkritik der frühen Neuzeit ist somit als eine Medienkritik zu verstehen, die einer langen Tradition folgt. Viele der durch den Buchdruck aufkommenden Ängste waren bereits in den Jahrhunderten davor verbreitet, wenn neue Techniken entwickelt wurden. Um die Ängste dieser Menschen zu verstehen ist es notwendig, die im Gegensatz zu den bisher verbreitenden Handschriften auf die Menschen revolutionär wirkenden Auswirkungen und Einflussbereiche der neuen Druckerzeugnisse zu begreifen. Die folgende Arbeit setzt sich mit diesen kritischen Stimmen der frühen Neuzeit auseinander und zeigt die Versuche auf, die unternommen wurden, um die neue Technik und ihre Werke zu kontrollieren.

2. Der Beginn einer neuen Ära

Die Revolutionierung des Buchdrucks hatte einen einschneidenden Wandel in den Gesellschaftsformen zur Folge. Denn die bisher verbreiteten Menschenmedien wurden durch die nach der Medienrevolution aufkommenden Druckmedien allmählich dominiert und abgelöst. In der frühen Neuzeit zählten zu den populärsten und bedeutendsten Medien der Brief, das Flugblatt, die Flugschrift und der Kalender. Etwas später kam es zur Herausgabe des periodischen Mediums Zeitung. Dies hatte selbstverständlich einen enormen gesellschaftlichen Wandel zur Folge. Denn wurde das Lesen von Büchern vor der Entwicklung der Drucktechnik nur einigen Teilen des Adels sowie dem Klerus zuteil, sorgte die erleichterte Herstellung von Büchern und anderen gedruckten Werken wie Flugblättern dafür, dass das gespeicherte Wissen auch weiteren Schichten zugänglich wurde. Schreiben und Lesen war nicht mehr länger ein Standesmerkmal oder zeichnete Menschen für ihren Beruf aus, vielmehr wurde es zu einer gebräuchlichen Kulturtätigkeit. Diese brachte es jedoch auch mit sich, dass analphabete Menschen das Lesen und Schreiben erlernen mussten. Andernfalls hätte die Drucktechnik nicht dieselbe Geltung erlangen können, die ihr letztendlich zuteil wurde.8

Einher mit dieser Entwicklung ging auch das Schreiben von Büchern, die dem gemeinen Nutzen der Menschen dienen. Die Aufbewahrung von Handschriften in Klöstern, Privatbibliotheken oder privaten Sammlung wurde abgelehnt. Der Rezipientenkreis erweiterte sich aufgrund der Medienrevolution wodurch ein neuer Kommunikationspartner, das ‚gemeine Volk‘, entstand.9 Dementsprechend schrieben und veröffentlichten nun Personen ihre Werke, die ihr Wissen mit anderen Menschen teilen wollten und denen dies aufgrund ihres Standes vor der Entwicklung des Buchdrucks nicht möglich gewesen war: beispielsweise der ungelehrte Handwerker.10

Bernhard von Breydenbach, ein wohlhabender Mainzer Domherr, schrieb im Vorwort seines Werkes Hortus Sanitatis oder „Gart der Gesundheit“, dass er sich nichts „nutzers oder heiligers werck oder arbeyt“ vorstellen könne, „dan ein buoch zuosamen brengen...zuo aller Welt troist und gemeyne(m) nutz.“11. Das gedruckte Buch eröffnete erst die Möglichkeit, allgemeines Wissen aus Lebenserfahrung und Berufstätigkeiten an breite Bevölkerungsteile zu vermitteln.12 Auch die Anschaffung von gedruckten Schriften blieb keinen bestimmten Institutionen mehr vorbehalten, da die Herstellungskosten und damit auch der Kaufpreis gedruckter Ware enorm sanken.13 Das Buch wurde vom Prestigeobjekt der Oberschicht zur Ware der Öffentlichkeit.14

Selbstverständlich erweckt die Anzahl der gedruckten Bücher aus heutiger Sicht nicht den Anschein einer ‚Bücherflut’, dennoch hatte der Buchdruck hinsichtlich der Alphabetisierung einen unwiderruflichen sozialen Wandel herbeigeführt.15 Und eben dieser Zerfall der sozialen Strukturen ist zum Teil für die Kritik an der neuen Technik verantwortlich, wobei negative Beurteilung in der frühen Neuzeit größtenteils mit Lob einhergehen, sie fungieren sozusagen als Nachtrag, der auf die Gefahren aufmerksam machen soll.16

Skepsis begegnete dem Buchdruck vor allem hinsichtlich der neuen Technik, aber auch ästhetische- sowie sprachwissenschaftliche Gründe kamen zum Tragen. Primär jedoch wurde die Zweischneidigkeit von Gutenbergs Erfindung bemängelt, denn die Menschen erkannten schnell, wie leicht sich die Rezipienten von den Inhalten der Druckerzeugnisse jeglicher Art beeinflussen lassen.17 Bei diesen Kritikpunkten sticht jedoch heraus, dass eben diese bereits bei der Anfertigung von Handschriften hervorgebracht wurden, bei der neuen Technologie somit dieselben Risiken erkannt wurden wie bei ihrem Vorgänger. Die Gefahren, die Zeitgenossen des Buchdrucks in der neuen Technik erkannten, wurden somit bereits seit Jahrhunderten im abendländischen Europa erläutert. Neu an Gutenbergs Erfindung ist jedoch, dass mit ihr eine viel breitere Masse an Menschen erreicht werden kann, als es noch mit der handschriftlichen Informationsverbreitung möglich gewesen war, wodurch diese alten Ängste viel stärker zu Tage treten als zuvor. Hinzu kommt, dass die neue Technologie die Entwicklung und Verbreitung neuer Druckerzeugnisse zur Informationsverbreitung ermöglicht, wie beispielsweise das Flugblatt oder die neue Zeitung, womit sie selbstverständlich misstrauische Blicke jener auf sich zog, die alte Werte und Ordnungen erhalten wollten.18

3. Kritik an den Druckern

Unaufhörlich bist du auf der Suche nach den Geheimnissen entlegener Schriften, und du tust gewiß recht daran, wenn du neu entdeckte Handschriften zum Druck bringst - weniger zu deinem persönlichen Nutzen als zur öffentlichen Erhöhung der römischen Kirche und zum Ruhme der deutschen Nation. Würdest du dies um des Gewinn willens tun..., so müßte ich dich der Habsucht bezichtigen. Es ist der Gipfel des Unsinns, Schätzen nachzujagen und dabei das Leben oder das Heil der Seele zu verlieren...19

Dies sind die Worte des Benediktiners Martin Movemius in einem Brief vom Herbst 1496 an seinen Freund Johannes Amerbach, einen Basler Drucker und Verleger. Offenkundig ist Movemius von dem regen Arbeitsantrieb Amerbachs überrascht und lässt ihn mit diesem Brief von seinen Überlegungen bezüglich der Motivation dieses Eifers, „Tag und Nacht“ im Verlag zu arbeiten, wissen.20

Doch nicht nur der Benediktiner Movemius sinnierte über die Gründe der engagiert arbeitenden Drucker. Mit der Einführung des Buchdrucks schien der Müßiggang bei der Anfertigung von Handschriften, die von den gläubigen Mönchen als Gottesdienst und Akt zur Selbstbesinnung erlebt worden war, durch Hetzerei, Ruhelosigkeit und Profitgier ersetzt worden zu sein. Die einst geltenden Wertvorstellungen des Mittelalters, die Spiritualität als treibende Kraft bei der Abschrift von Texten sei in den Druckereien scheinbar der „Gier nach eitlem Ruhm oder Geld“ gewichen, wie es im Mainzer Zensuredikt von 1485 formuliert wird. Auch der Zisterzienser Conrad Leontorius, der ebenfalls mit Amerbach im Briefkontakt stand, spracht von der „mannigfaltigen und verwerflichen Hetze des Druckens, die fast für alle oberstes Gesetz ist“21.22

Die Drucker reagierten sehr schnell auf diese sich in der Allgemeinheit ausbreitenden Befürchtungen. Bereits im Jahre 1472 schrieb der Buchhändler und Verleger Peter Schöffler in einem Prospekt über sein Verlagsprogramm, dass sich niemand aufgrund der Angst vor Flüchtigkeitsfehlern oder grober Fahrlässigkeit davon abbringen lassen sollte, die gedruckten Werke zu erstehen.23

Mit welch peinlicher Sorgfalt und Bemühung und mit wieviel geistiger und körperlicher Arbeit der Druck dieser Bücher verbessert und durchgesehen wurde wird jedermann...einsehen, sobald die Bücher erschienen sind“.24

Die Medienrevolution hat zu einem Wandel der besonnenen und völlig in den Dienst des Glaubens gestellten Tätigkeit der Handschriftenherstellung zu einer rein auf die Gewinnerzielung ausgerichteten Warenproduktion geführt. Die alte Sinnstiftung des Mittelalters galt in der frühen Neuzeit nicht mehr. Doch auch dieses Faktum änderte nichts daran, dass nach Einführung des Buchdrucks wenige Klöster trotz dieser Wertumkehrung die neue Technik in ihre Institution aufnahmen, wie etwa das Augsburger Stift Sankt Ulrich und Afra, in dem in den Jahren 1471 bis 1476 das Skriptorium und die Druckerei nebeneinander existierten.25 Dennoch nahmen die Vorwürfe bezüglich der schlechten Textqualitäten und der Achtlosigkeit der Autoren während des gesamten 16. Jahrhunderts nicht ab.

3.1 Die Druckkritik von Johannes Trithemius

Der Bücher liebende Abt Johannes Trithemius äußerte sich in einem 1494 erschienenen und bei Peter Friedberg gedruckten Traktat De laude scriptorum, „zum Lobe der Schreiber“, sehr negativ über den Buchdruck. Zwar wird dieser Schrift auch in der heutigen Forschung kaum Aufmerksamkeit geschenkt, dennoch findet sich in ihrem siebten Kapitel eine interessante Untersuchung über das typographische und das skriptographische Medium.26 Trithemius räumt hierin zwar ein, dass der Buchdruck viel Leistung erbringe, dennoch in der Rangfolge der Medien zur Informations- und Kommunikationsverarbeitung an oberster Stelle die Handschrift stehe.27 Daher gebe die Entwicklung der Buchdruckerkunst nach Meinung des Abtes auch keinerlei Anlass dazu, die Anfertigung von Handschriften einzustellen. Denn Trithemius sorgte sich, wie sein Traktat erkennen lässt, dass die Mönche aufgrund der Medienrevolution ihre traditionelle Pflicht des Abschreibens von Texten versäumen könnten.28

Um die Mönche auf ihre bedeutende Aufgabe hinzuweisen, stellt er sich in seiner Schrift die Frage, wie lange das auf Papier Gedruckte überhaupt halten möge. Er stellt den Buchdruck als eine res papirea, eine Sache auf Papier, dar. Im Gegensatz dazu nennt er die Handschriften, die, da sie auf Pergament gefertigt würden, an die tausend Jahre bestehen können und damit für die Nachwelt einen bedeutenderen Wert aufweisen als das Gedruckte.29

Geschriebenes, wenn man es auf Pergament bringt, wird an die tausend Jahre Bestand haben

[...]wenn man Gedrucktes in einem Band aus Papier an die zweihundert Jahre Bestand haben wird, wird es hoch kommen; indessen gibt es viele, die der Meinung sind, daß durch den Stoff an sich der Druck sich verbrauche.30

Trithemius war somit der Meinung, dass über die Dauerhaftigkeit von gedruckten Schriften die Zukunft entscheiden müsse. Er selbst jedoch räumte den Druckwerken lediglich 200 Jahre Bestand ein.31 Diese Argumentation Trithemius' hinsichtlich der Haltbarkeit von Druckerzeugnissen ist allerdings nicht stichhaltig. Hierbei muss bedacht werden, dass bereits zu Zeiten des Abtes Handschriften bereits hauptsächlich auf Papier angefertigt wurden und nicht mehr wie noch einige hundert Jahre zuvor nur auf Pergament. Und andererseits wurde in besonderen Fällen auch auf Pergament und nicht nur auf Papier gedruckt.32

Dennoch sah Trithemius in dieser Argumentationsstruktur die Verpflichtung der Mönche, weiterhin Handschriften anzufertigen, als hinreichend begründet an. Denn auch wenn alle Bücher der Welt mithilfe der Buchdruckerkunst hergestellt würden, solle die handschriftliche Anfertigung nicht in Vergessenheit geraten. Vielmehr sollten die Mönche den gedruckten Büchern mit nützlichem Inhalt zu einem längeren Bestand verhelfen, indem sie eben diese selbst abschrieben. Denn ansonsten würden die gedruckten Bücher nicht lange bestehen und ihr Wissen damit für die Nachwelt verloren gehen.33 Weiterhin schreibt Trithemius:

Der Schreiber steht im Rang nämlich nicht so sehr unter dem Drucker, dass er seine Beschäftigung aufgeben müsste, weil jeder druckt... Wer aber die Beschäftigung des Schreibend dem Druck zuliebe aufgibt, ist kein wahrer Freund des schriftlich Überlieferten [...] Darum, liebe Brüder, wollen wir im Blick auf den Lohn, der in dieser heiligen Arbeit des Abschreibens liegt, davon nicht ablassen, auch wenn wir viele Tausende von Bänden besitzen sollten. Mit geschriebenen Büchern nämlich lasen sich gedruckte niemals auf eine Stufe stellen.34

Diese Aufforderung Trithemius' ähnelt den Worten des Römers Cassiodor, der in seinem Kloster Vivarium im 6. Jahrhundert seinen Mönchen die Pflicht auferlegte, Bücher zu studieren und diese durch Abschreiben zu erhalten. Bei Trithemius' Traktat fällt jedoch auf, dass er den Schwerpunkt seiner Erläuterung über den Buchdruck nicht auf eine Untersuchung der technischen Aspekte der neuen Erfindung legt. Dabei hätte vor allem eine Kritik auf dieser Ebene Wirkung zeigen können, da es gerade zu den Anfängen der Buchdruckerkunst technische Schwierigkeiten gab. So führten etwa missglückte Mischungen der Druckerschwärze zu Tintenfraß. Texte gingen durch diesen verloren, da die gedruckten Wörter nach einer gewissen Zeit einfach abblätterten. Dieser Fakt hätte die Angst von Trithemius, dass durch den Buchdruck einige Texte nicht für die Nachwelt erhalten werden könnten, untermauert. Stattdessen konzentriert sich der Abt auf die Kritik am ideologischen Anspruch der Drucktechnik. Seiner Argumentation folgend könnte man meinen, das einhergehend mit der Erfindung der Drucktechnik die Anfertigung von Texten nicht mehr nötig gewesen wäre. Dabei ist offensichtlich, dass gedruckte Bücher nur mithilfe von Vorlagen, also handschriftlich verfassten Texten, produziert werden können. Der Druck kann erst durch die Schrift existieren, womit Informationen, die mit der Hand festgehalten werden, auch einen höheren Stellwert zugute kommt, als den gedruckten.35 „Aber wenn auch viele Bücher gedruckt vorliegen sollten, so werden sie doch niemals in dem Umfang gedruckt werden, daß man nicht immer etwas zum Schrieben finden könnte, was noch nicht gedruckt ist.“36

3.2 Francesco Petrarca und Desiderius Erasmus

Paraellen zu Trithemius' Einstellung am Buchdruck lassen sich zu dem im 14. Jahrhundert veröffentlichten Werk Von beiderlei Glück von Francesco Petrarca ziehen. Im 43. Kapitel dieser Schrift, mit der Überschrift „Von vberflussz / menge und viele der beucher“ betitelt, lässt Petrarca verlauten: „Wenig kunst und buecher vil / Das ist der narren frewden spil.“37. Weiterhin schreibt er: „Der darf nit vil der beucher hon / Der Christlich lebt vn[d] rehct will thon.“38. In diesem Abschnitt lässt Petrarca den Freund und die Vernunft über die Vor- und Nachteile des Bücherkonsums und der Bücherherstellung disputieren, wobei der Freund die von den Büchern begeisterte Seite der Diskussion darstellt. Die Vernunft hingehen mahnt, die Bücher „hond aber herwideru[m]b auch eine[n] wol unsin[n]ig vn[d] doll gemacht“ und kritisiert, dass jedermann bei der Produktion der Bücher nur zu seinem eigenen Vorteil arbeiten würde.39 Ein weiterer Kernpunkt in Petrarcas Schrift ist, dass auch die Personen Bücher schreiben würden, die diese Arbeit gar nicht gelernt hätten. Denn wie auch seine Zeitgenossen sieht Petrarca das Bücherschreiben als ein Amt an, zu dem man berufen oder zumindest durch eine andere Instanz zugelassen sein muss. Der italienische Geschichtsschreiber kritisierte somit auch den Untergang der ständischen Ordnung des Mittelalters.40

Auch der Gelehrte Desiderius Erasmus kritisierte wie Trithemius, dass ein einmal gedruckter Fehler tausendfach in den Druckerzeugnissen erscheinen würde. In einer Vorrede des Laurentius Valla zur

Übertragung des Neuen Testaments in die lateinische Sprache schreibt Erasmus zudem, dass sich die Übersetzter des Neuen Testaments an einigen Stellen ebenso hätten irren können, wie damals die Übersetzter des Alten Testaments. Er fügt hinzu: „Und nicht zum kleinsten Teil haben Entstellungen ihre Ursache in der Druckkunst, zufolge deren ein einziger Fehler häufig in tausend Exemplaren verbreitet wird.“41

3.3 Trithemius' Sinneswandel

Obwohl sich Trithemius in seiner Schrift De laude scriptorum negativ über den Buchdruck äußert, ist er dennoch beispielhaft für eine langsame Anpassung an die technische Neuerung in der frühen Neuzeit.42 Denn in später verfassten Ausführungen über den Buchdruck - unter anderem der im Jahre 1515 vollendeten Chronik des Klosters Hirsau - spricht der Abt in großer Anerkennung von jener „wunderbare[n] und früher nicht gekannte[n] Kunst des Bücherdruckens“43.44 Bereits neun Jahre zuvor, in einem Brief an seinen Bruder Jakob vom 24. Juni 1506, hatte sich Trithemius daran erfreut, dass aufgrund der neuen Technik Gutenbergs viele Werke gelehrter Männer aus der Vergangenheit sowie der Gegenwart veröffentlicht würden und dadurch jeder Mensch gegen ein geringes Entgelt selbst Gelehrter werden könne.45 Anhand dieser Äußerungen von Trithemius lässt sich eindeutig ein Wandel seiner Einstellung zu der Medienrevolution erkennen.

4. Missbrauch am Buchdruck

Eine auch aus heutiger Sicht greifbare Kritik am Buchdruck im Vergleich zu aufkommenden ästhetisch-emotionalen und technischen Bedenken stellt die Zweischneidigkeit der neuen Kunst dar.

[...]


1 Vgl.: Hellmut Rosenfeld: Brants >>Narrenschiff<< und seine Stellung in der Publizistik und zur Gesellschaft. In:

Beiträge zur Geschichte des Buches und seiner Funktion in der Gesellschaft, Festschrift für Hans Widmann zum 65.Geburtstag. Am 28. März 1973, hg. von Alfred Świerk, Stuttgart 1974, S. 230.

2 Vgl.: Rosenfeld: Brants >>Narrenschiff<< und seine Stellung in der Publizistik und zur Gesellschaft, S. 230f.

3 Vgl.: Rosenfeld: Brants >>Narrenschiff<< und seine Stellung in der Publizistik und zur Gesellschaft, S. 231 (Anm.).

4 Vgl.: Rosenfeld: Brants >>Narrenschiff<< und seine Stellung in der Publizistik und zur Gesellschaft, S. 231f.

5 Vgl.: Werner Faulstich: Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700-1830), Göttingen 2002, S. 10.

6 Vgl.: Hans Widmann: Vom Nutzen und Nachteil der Erfindung des Buchdrucks – aus der Sicht der Zeitgenossen des Erfinders, Mainz 1973, S. 30.

7 Vgl.: Michael Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt am Main 1991, S. 168.

8 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 173f.

9 Vgl.: Michael Giesecke: Sinnenwandel. Sprachwandel. Kulturwandel. Studien zur Vorgeschichte der Informationsgesellschaft, Frankfurt am Main 1992, S. 107.

10 Vgl: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 175.

11 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 339 (Anm.).

12 Vgl.: Giesecke: Sinnenwandel. Sprachwandel. Kulturwandel, S. 106f.

13 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 175.

14 Vgl.: Giesecke: Sinnenwandel. Sprachwandel. Kulturwandel, S. 107.

15 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 174.

16 Vgl.: Ebd., S. 169.

17 Vgl.: Heinrich Pallmann: Des Erzbischofs Berthold von Mainz ältestes Censuredikt. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels, Bd. 9, hg. von der Historischen Commission des Bo?rsenvereins der Deutschen Buchha? ndler, Leipzig 1884, S. 238-241.

18 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 169-171.

19 Hans Widmann / Horst Kliemann / Bernhard Wendt (Hgg.): Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. 1, Hamburg 1965, S. 25.

20 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 181.

21 Widmann / Kliemann / Wendt (Hgg.): Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. 1, S. 26.

22 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 181f.

23 Vgl.: Ebd., S. 170.

24 Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 180 (Anm.).

25 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 182.

26 Vgl.: Widmann: Vom Nutzen und Nachteil der Erfindung des Buchdrucks, S. 28.

27 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 183.

28 Vgl.: Hans Widmann (Hg.): Bibliothek des Buchwesens, Bd. 1, Der gegenwärtige Stand der Gutenberg-Forschung, Stuttgart 1972, S. 255.

29 Vgl: Widmann: Vom Nutzen und Nachteil der Erfindung des Buchdrucks, S. 28.

30 Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 183 (Anm.).

31 Vgl: Widmann (Hg.): Bibliothek des Buchwesens, S. 255.

32 Vgl.: Widmann: Vom Nutzen und Nachteil der Erfindung des Buchdrucks, S. 29.

33 Vgl.: Ebd., S. 28.

34 Widmann: Vom Nutzen und Nachteil der Erfindung des Buchdrucks, S. 28 (Anm.).

35 Vgl.: Giesecke: Der Bruchdruck in der frühen Neuzeit, S. 183.

36 Ebd., S. 183 (Anm.).

37 Ebd., S. 172 (Anm.).

38 Ebd.

39 Vgl.: Ebd., S. 172.

40 Vgl.: Ebd., S. 172f.

41 Percy Stafford Allen / Helen Mary Allen (Hgg.): Opus epistolarum Des: Erasmi Roterdami denvo recognitium, Oxford 1906, S. 410f.

42 Vgl.: Widmann: Vom Nutzen und Nachteil der Erfindung des Buchdrucks, S. 27.

43 Ebd.

44 Vgl.: Widmann (Hg.): Bibliothek des Buchwesens, S. 255.

45 Vgl.: Karl Büchner: Geschichte der Textüberlieferung, Bd. 1, Zürich 1961, S. 336-368.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die Druckkritik der Frühen Neuzeit. Der Buchdruck als trojanisches Pferd?
Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Kultur-Technik und Medium: Schreiben und Schrift in der Vormoderne
Note
2,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
27
Katalognummer
V301841
ISBN (eBook)
9783956874925
ISBN (Buch)
9783668010260
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
druckkritik, frühen, neuzeit, buchdruck, pferd
Arbeit zitieren
Rebecca Schwarz (Autor:in), 2010, Die Druckkritik der Frühen Neuzeit. Der Buchdruck als trojanisches Pferd?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301841

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