Feldpostkarten als Quellen zur Erfahrungsgeschichte des Ersten Weltkrieges

Aussagewert, Auswertungsmethoden und Erkenntnispotentiale


Term Paper, 2014

13 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


1. Einleitung

Während des Ersten Weltkrieges beförderte die deutsche Feldpost um die 28,7 Milliarden Sendungen zwischen Front und Heimat.1 Insgesamt wurden mehr Sendungen von der Heimat an die Front geschickt als in umgekehrter Richtung.2 Die Feldpost diente dazu, den Kontakt zwischen den Soldaten an der Front und ihren Angehörigen in der Heimat herzustellen und aufrechtzuerhalten, und dadurch sowohl die Kriegsmoral der Soldaten als auch die Solidarität, den Patriotismus und das Durchhaltevermögen an der „Heimatfront“ zu stärken. Die Postsendungen zwischen Heimat und Front beinhalteten Postkarten, Briefe, Pakete und Zeitungen. Feldpostkarten wurden am häufigsten verschickt, weil sie die Möglichkeit eines kurzen und vor allem schnellen Grußes boten.3 Aufgrund der hohen Nachfrage wurden Bildpostkarten massenweise von kommerziellen Verlagen und Privatleuten produziert.

Neben dem schriftlichen Inhalt sind Feldpostkarten als sozial- und kulturhistorische Quelle vor allem wegen ihres vielfältigen Repertoires an Bildmotiven für die Geschichtswissenschaft interessant. Die Quellengattung der Feldpostkarten ist in der historischen Forschung lange vernachlässigt worden4, doch in jüngster Zeit gibt es immer mehr umfangreiche Studien, die sich mit den Aussagewerten, Auswertungsmethoden und Erkenntnispotenzialen der Bildpostkarten befassen.5

Die vorliegende Arbeit lehnt sich an den Untersuchungsergebnissen von Brocks und Eckart an und macht es sich zur Aufgabe, eine kleine Zahl ausgewählter Postkartenmotive mittels systematischer Bildanalyse auf ihre Gestaltung und ihre Wirkung hin zu untersuchen.6 Auch soll ermittelt werden wer die mutmaßlichen Produzenten und Adressaten der Postkarte waren und welche Wirkungsabsicht mit dem Postkartenmotiv verfolgt wurde. Die ausgewählten vier Postkartenmotive sind alles Fotografien, die sich jedoch in ihrer Herstellungsart, ihren Themen und Wirkungsabsichten sowie ihrem Adressatenkreis voneinander unterscheiden. Daher soll in einem ersten Schritt über die besonderen Kennzeichen fotografischer Postkartenmotive und des fotografischen Mediums informiert werden. Der Studie von Brocks folgend werden die vier Postkartenmotive anschließend nach ihrer Herstellungsart und ihrem Produzenten kategorisiert. Die ersten beiden Postkarten sind inszenierte Fotografien, die im Atelier aufgenommen und retuschiert wurden, während die anderen beiden Postkartenmotive den Aufnahmen von Berufsfotografen und offiziellen Kriegsberichterstattern an der Front zuzuordnen sind. Die besonderen Merkmale der beiden Aufnahmearten sollen vor der eigentlichen Bildbeschreibung und Analyse kurz vorgestellt werden. Anschließend wird für jedes einzelne Postkartenmotiv wird eine detaillierte Bildbeschreibung mit textimmanenter Bildanalyse erfolgen. Davon ausgehend können sowohl die mutmaßlichen Adressaten der Postkarten, der Aussagewert und die Wirkungsabsicht der Postkarte ermittelt werden. Es wird sich zeigen, dass allen Postkartenmotiven ihre propagandistische7 Wirkung gemeinsam ist. Die Aufnahmen dienen alle dazu, die Moral und den Patriotismus der Soldaten an der Front und der Bevölkerung in der Heimat aufrecht zu erhalten.

Die anschließende Schlussbetrachtung soll die erarbeiteten Ergebnisse kurz zusammenfassen und auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Postkarten hinweisen.

2. Fotographische Postkartenmotive

Fotographische Postkartenmotive waren im Ersten Weltkrieg sehr gefragt, sodass sie von vielen Verlegern gedruckt wurden.8 Die verwendeten Fotos waren entweder inszenierte Atelierfotografien aus der Heimat, Amateuraufnahmen von Soldaten oder Fotografien von offiziellen Kriegsberichterstattern und Berufsfotografen an der Front.9 Durch das Medium der Fotografie erhielten die Aufnahmen eine vermeintliche Authentizität und ihnen haftete ein Wahrheitswert an.10 So wurde dem fotographisch Dargestellten oft ein dokumentarischer und Charakter zugesprochen. Die Fotografien bildeten das wirkliche Geschehen jedoch keineswegs rein objektiv ab, sondern inszenierten und konstruierten lediglich Wirklichkeiten.11

Über die Bedeutung der Propaganda im Ersten Weltkrieg siehe Jeismann, Michael: Propaganda. In: Enzyklopädie Erster Weltkrieg (2009), S. 189-209.

3. Atelierfotografien

Viele Fotografien wurden ausschließlich in der Heimat in Ateliers aufgenommen und reproduziert. Eine große Einnahmequelle für die Fotografen waren Porträtaufnahmen von Soldaten und ihren Angehörigen, aber auch zahlreiche Aufnahmen von szenisch inszenierten Bildern.12 So zeigen die ersten beiden Postkartenmotive keine realen Situationen in der Heimat und an der Front, sondern bilden gestellte Szenen im Fotoatelier ab. Besonders deutlich ist die Inszenierung bei dem ersten Postkartenmotiv13, da das Bild hier unrealistisch nachkoloriert wurde und der vermeintlich dokumentarische Charakter der Fotografie in den Hintergrund rückt. Um den authentischen Fotocharakter der zweiten Postkarte14 nicht zu zerstören, ist diese bewusst in schwarz-weiß gehalten. Es wird sich zeigen, dass die inszenierten und gestellten Postkartenmotive aus dem Atelier eine stark phatische und emotionale Botschaftsfunktion innehaben.

3.1. Weihnachten in der Heimat

Die erste Feldpostkarte ist eine Collage, die sich aus einem gemalten Hintergrund und der farblich retuschierten, gestellten Fotographie eines Mädchens zusammensetzt. Das Motiv zeigt ein glücklich dreinblickendes Mädchen, das mit einem Korb voller bunt verpackter Geschenke neben einem grünen Tannenbaum vor einer idyllischen Landschaft steht. Das Mädchen ist das dominierende Bildelement, da es zentral in der Mitte des Bildes positioniert ist. Mit seinen runden, roten Backen, seinem lachenden Mund, seinen großen Augen und dem Babyspeck an den Armen, entspricht das Mädchen dem „Kindchenschema“15 zahlreicher Postkartenmotive. Das Mädchen trägt feste schwarze Stiefel und hat einen großen roten Schal um sich geschlungen. Sowohl das wohlgenährte Aussehen als auch die gute Kleidung deuten darauf hin, dass es dem Kind gut geht und es gesund ist. Auch der Korb mit den zwei Weinflaschen und den vier bunten Geschenken, den das Mädchen am linken Arm trägt, suggeriert, dass das Mädchen ein kindgerechtes Weihnachten feiern kann und keine Entbehrungen erleiden muss. Der Korb ist so voll bepackt, dass das Mädchen zusätzlich noch eine große Weinflasche im rechten Arm trägt und ein Geschenk an einer Schnur hält. Da beide Gegenstände nicht mehr in den Korb zu passen scheinen, wird der hervorgerufene Eindruck von Wohlstand und Überfluss noch verstärkt. Neben dem Korb voller Geschenke,

[...]


1 Vgl. Ulrich, Bernd: Feldpostbriefe im Ersten Weltkrieg. Bedeutung und Zensur. In: Peter Knoch (Hg.): Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung. Stuttgart 1989, S. 43.

2 So gibt Wolfgang U. Eckart an, dass insgesamt circa 17,7 Milliarden von der Heimat an die Front versenden wurden, während es in umgekehrter Richtung 11 Milliarden waren. Vergleiche Eckart, Wolfgang U.: Die Wunden heilen sehr schön. Feldpostkarten aus dem Lazarett 1914-1918. Stuttgart 2013, S. 11.

3 Wolfgang U. Eckart geht davon aus, dass Feldpostkarten ungefähr die Hälfte aller Postsendungen ausgemacht haben dürften und im Durchschnitt täglich 8,5 Millionen Postkarten zwischen Heimat und Front versandt wurden. Vgl. Eckart, Die Wunden heilen so schön, S. 11.

4 Vgl. Brocks, Christine: Die bunte Welt des Krieges. Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg 1914-1918. 1.

5Aufl. Essen 2008, S.16.

6Zu nennen sind hier insbesondere Christine Brocks, die in ihrer Monographie von 2008 verschiedenste Postkartenmotive mittels einer semiotischen Bildanalyse untersucht und kategorisiert, als auch Wolfgang U. Eckart, der in seinem 2013 erschienen Bildband Postkarten aus dem Lazarett im Ersten Weltkrieg profund analysiert.

7Die vier Postkarten, die in dieser Arbeit untersucht und analysiert werden, stammen aus einer privaten Sammlung und sind daher nicht im Quellenverzeichnis vermerkt. Die Postkartenmotive sind im Anhang zu finden.

8 Vgl. Brocks: Die bunte Welt des Krieges, S. 47-49.

9 Vgl. ebenda S. 54.

10 Vgl. Eckart: Die Wunden heilen sehr schön, S. 12.

11 Peter Holzwarth Aufsatz bietet eine gute Übersicht, mit welchen bildtechnischen Mitteln Fotografen Wirklichkeiten konstruieren. Siehe hierzu: Holzwarth, Peter: Fotographische Wirklichkeitskonstruktionen im Spannungsfeld von Bildgestaltung und Bildmanipulation. In: MedienPädagogik 23 (2013), S. 69-90. http://www.medienpaed.com/Documents/medienpaed/23/Heft_23_Visuelle_Kompetenz.pdf (letzter Zugriff: 03.07.4014).

12 Vgl. Brocks: Die bunte Welt des Krieges, S. 57.

13 Siehe Anhang: Abbildung 1: Weihnachten in der Heimat, S. 1.

14 Siehe Anhang: Abbildung 2: Weihnachten an der Front, S. 2.

15 Brocks, Christine: Die bunte Welt des Krieges, S. 186.

Excerpt out of 13 pages

Details

Title
Feldpostkarten als Quellen zur Erfahrungsgeschichte des Ersten Weltkrieges
Subtitle
Aussagewert, Auswertungsmethoden und Erkenntnispotentiale
College
University of Frankfurt (Main)
Course
Lokale Quellen zu den Kriegserfahrungen in hessischen Städten und Landgemeinden
Grade
1,0
Author
Year
2014
Pages
13
Catalog Number
V301735
ISBN (eBook)
9783668000704
ISBN (Book)
9783668000711
File size
414 KB
Language
German
Keywords
feldpostkarten, quellen, erfahrungsgeschichte, ersten, weltkrieges, aussagewert, auswertungsmethoden, erkenntnispotentiale
Quote paper
Sabrina Rutner (Author), 2014, Feldpostkarten als Quellen zur Erfahrungsgeschichte des Ersten Weltkrieges, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301735

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