Gerechtigkeit in Platons "Der Staat" aus zeitgenössischer Perspektive


Hausarbeit, 2014

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Begriffe und Grundannahmen

3. Gott und gut als regulative Idee

4. Gerechtigkeit bei Platon
4.1 Gerechtigkeit und Bildung in Polis und Familie
4.2 Gerechtigkeit im Staat
4.3 Gerechtigkeit im Einzelnen

5. Schlussbemerkungen

6. Quellen und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Platon hatte kein Verhältnis zur Politik seiner Zeit. Von aktuellen politischen Ereignissen und Entwicklungen ist in seinen Dialogen niemals die Rede. Weder der Aufstieg und Fall Spartas noch die Wandlungen Athens seit dem Peloponnesischen Krieg werden thematisiert. Auch Fragen der Außenpolitik, der zwischenstaatlichen Beziehungen, der äußeren Friedensordnung usw. haben den Philosophen offenbar nicht interessiert. Und für Politik als Kunst, Macht zu erwerben und zu behaupten, hatte Platon nur Verachtung übrig.“[1]

Dennoch darf Platon nicht als unpolitisch oder politisch uninteressiert gesehen werden. Er äußert sich in seinen Dialogen zwar kaum oder nie konkret zu speziellen historischen Ereignissen, setzt sich aber durchaus mit einer Krise seiner Zeit auseinander. Diese sieht Platon aber weder außenpolitisch, also als einen Missstand zwischen den Poleis, noch innenpolitisch, denn die Polis an sich ist auch für ihn die höchste Form des menschlichen Zusammenlebens.[2] Vielmehr deckt er durch die Gespräche seines[3] Sokrates mit Männern verschiedener Herkunft und Geisteshaltung eine moralische Krise auf.[4] Unterschiedliche Moralvorstellungen und Wertbegriffe unter den Bürgern führen zu einer Spaltung ebendieser und haben so eine die Polis schwächende Wirkung. Mit einer gewissen Leidenschaft führt Platon die Diskussion um Werte und Moral innerhalb des doch recht abstrakten Staatswesens. „Platon ist innerhalb der westlichen Welt der erste, der erkannt hat, wie intensiv und leidenschaftlich unsere Bindung an so abstrakte Objekte wie soziale Reformen, Lyrik, Kunst, Wissenschaften und Philosophie sein kann.“[5] Platons Werke lassen sich nicht streng voneinander abgrenzen, weder inhaltlich noch thematisch. Auch wenn sich nachfolgend im Wesentlichen mit der Betrachtung von Platons Politeia begnügt werden soll, so gehen doch alle seine Schriften ineinander über, greifen verschiedene Themengebiete auf und sind nicht getrennt voneinander betrachtbar.[6] Letztendlich setzt sich die Betrachtung der Ansicht Platons aus einem Mosaik von verschiedenen Quellen zusammen, die auch nur als großes Ganzes zu verstehen sind und stets in seiner Ideenlehre gipfeln.

In den Philosophieschulen des antiken Griechenlands verstand man unter Gerechtigkeit (Δικαιοσύνη) eine allgemeine Wertevorstellung. Diese wurde unter anderem durch Mysterien überliefert. Diese quasireligiöse Unterscheidung in Bekanntes und Unbekanntes ist auch bei Platon zu finden.[7] Die Auseinandersetzung mit Gerechtigkeit verfolgt Platon unter anderem in der Politeia. Platon baut sich in der Theorie einen Staat, der einer der Grundtugenden genügen soll: Er soll gerecht sein! Obwohl dieser gebastelte Staat theoretischer Natur ist, also in dieser Form nicht besteht, so liefern die Schriften Platons doch einen Hinweis darauf, welche Staatsformen zu seinen Lebzeiten bestand hatten – gerade, weil er seine Theorie als Abgrenzung zu diesen formuliert.

So lässt sich aus der Frage: Was ist ein gerechter Staat nach Platon? herleiten, was nach Ansicht Platons Gerechtigkeit ist, woraus sie entstammt und was die Probleme (oder Krisen) in der zeitgenössischen Politik waren, ohne dass sie Platon explizit benennt.

2. Begriffe und Grundannahmen

Seit jeher machen sich Menschen Gedanken darüber, was gut oder schlecht, was gerecht oder ungerecht ist oder erstrebenswert sein oder abgelehnt werden sollte. Belegt werden kann dies durch Mythen. Beispiel hierfür ist Herakles, der Bezwinger alles Bösen oder Odysseus, der heimkehrte, um die aufdringlichen Freier um Penelope zu besiegen. Eine der höchsten richterlichen Instanzen war dem Glauben nach Dike (Δίκη), die personifizierte Gerechtigkeit, die Göttin der Gerechtigkeit, Herrin über Leben und Tod, Schicksalsgöttin der Menschen.[8] Wie auch die Beschützerin Adrasteia (Ἀδράστεια), der Tochter des Zeus[9], zeigt, spielten die Griechen geradezu damit, Eigenschaften oder Merkmalen einen Namen zu geben und diese zu personifizieren. So ist auch Arete (Ἀρήτη) im ethischen und kriegerischen Sinne die Personifikation der Tugendhaftigkeit, die nahe verwandt mit der Idee der Athene ist.[10] Charaktereigenschaften wie Mut, Besonnenheit, Rede- und Dichtkunst und auch die Fähigkeit, gerecht zu urteilen war für die Griechen erstrebenswertes Ideal. Auch sollte jeder in der Lage sein, der Gemeinschaft zu dienen und den Staat mit Leib und Leben zu beschützen.

Die Tugend der Gerechtigkeit zählte zu den vier Kardinalstugenden. Erstmals erwähnt sie der Dichter Aischylos um 467 v. Chr. in seiner Tragödie Sieben gegen Theben. [11] Darin werden diese Tugenden als bekannt vorausgesetzt. Aischylos charakterisiert den Seher Amphiaros als tugendhaften Menschen indem er ihm: Besonnenheit [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]; Tapferkeit (ἀγαθόν); Frömmigkeit, Gläubigkeit [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]; und Gerechtigkeit (δίκαιος) zuspricht.[12] Platon übernahm in seinen Dialogen Politeia (Der Staat) und Nomoi (Die Gesetze) die Idee der vier Haupttugenden. Er ließ die Tapferkeit, die Besonnenheit und die Gerechtigkeit, ersetzte aber die Frömmigkeit durch die Weisheit (φρόνησις). Blinder Glaube war etwas, was Platon offenbar nicht gebrauchen konnte. Ganz im Gegenteil, er versuchte, dem blinden Glauben (wenn man Frömmigkeit so nennen darf), das logische Denken entgegenzusetzen, denn für Platon ist der Verstand die wichtigste Erkenntnismöglichkeit. Da kam ihm die Klugheit als Merkmal des Intellekts gerade recht. Frömmigkeit ist eher etwas Gefühltes, was sich in der Seele abspielt. Nach Platon ist diese (Seele) aber dem Verstand, wie ein Pferdegespann dem Wagenlenker, untergeordnet. Der Verstand ist Lenker unserer Seele, die mit guten wie schlechten Eigenschaften behaftet ist.

3. Gott und gut als regulative Idee

Auch Platon leitet die Idee der Gerechtigkeit von der göttlichen Gerechtigkeit ab. Sie ist wie alle anderen göttlichen Ideen ein Urbild des Schönen, Wahren, Guten. Die Welt der Ideen wurde von Gott geschaffen und war schon immer da. Platon spricht von der göttlichen Idee als einer Art Paradigma, der ersten Ursache von allem, was existiert. Im Höhlengleichnis zeigt er auf, dass die Dinge, die wir als wahrhaft schön, gut und gerecht zu erkennen glauben, nur Abbilder einer Wirklichkeit sind, die hinter der physischen Sinnenwelt liegt. Ähnlich wie Menschen, die gefesselt in einer Höhle sitzen und gezwungen sind auf die kahle Wand zu schauen, sehen sie nur Schatten von Dingen, die am Höhleneingang vorüberziehen.[13] Im Höhlengleichnis zeigt Platon, wie nach einem umwenden ein Erkenntnisprozess in Form eines mühsamen Aufstiegs stattfindet. Aus einer dunklen, verschwommenen Welt hinauf in eine Lichterfüllte am Höhleneingang. Anfangs erblickt der Wahrheitssuchende nur das Höhlenfeuer. In weiteren Schritten jedoch das klare Licht der Sonne und die Originale, die ihre Schatten an die Höhlenwand warfen.

Gott und das Göttliche erklärt Platon u.a., in dem er Sokrates die Frage des Adeimantos danach, was die Richtlinien für die Götterlehre sind, beantworten lässt:

„Sokrates: ‚Gott ist in Wahrheit gut und also auch so darzustellen, nicht?‘

Adeimantos: ‚Gewiß!‘

‚Nichts Gutes ist schädlich! Oder?‘

‚Nichts!‘

‚Schadet etwas, was nicht schädlich ist?‘

‚Keineswegs!‘

‚Erzeugt, was nicht schadet, ein Übel?‘

‚Auch das nicht!‘

‚Was nichts Übles erzeugt, ist doch auch nicht Ursache eines Übels?‘

‚Wie sollte es?‘

‚Weiter! Ist das Gute nützlich?‘

‚Ja!‘

‚Also auch die Ursache des Glücks?‘

‚Ja!‘
‚Das Gute ist also nicht für alles die Ursache, sondern nur für alles, was sich wohl verhält, am Übel ist es unschuldig?‘

‚Ganz und gar!‘

‚Da Gott nun gut ist, so ist er nicht an allem schuld, wie die meisten behaupten; vielmehr ist er für die Menschen die Ursache nur von wenigem, an vielem ist er unschuldig. Denn das Gute wird uns viel weniger zuteil als das Schlechte; für das Gute brauchen wir keinen andern Urheber zu suchen als ihn, für das Übel aber alle andern, nur nicht ihn!‘“[14]

[...]


[1] Trampedach, Kai: Platon, die Akademie und die zeitgenössische Politik. Stuttgart 1994. S.278.

[2] Vgl. Ebd.

[3] „seines“ – da nicht genau nachvollziehbar ist, wann Platon in seinen Dialogen seine Sicht der Dinge durch Sokrates vermitteln lässt bzw. die Auffassung seines Lehrers Sokrates selbst.

[4] Vgl. Ebd.

[5] Vlastos, Gregory: Das Individuum als Gegenstand der Liebe bei Platon in: Thomä, Dieter (Hrsg.): Analytische Philosophie der Liebe. Paderborn 2000. S. 37.

[6] Anders sieht dies Trampedach: „Fast alle Dialoge stehen für sich und knüpfen nicht an die Ergebnisse […] vorhergehender Gespräche an.“ (Trampedach, Kai: Platon, die Akademie und die zeitgenössische Politik. Stuttgart 1994. S.279).

[7] Vgl.: Ewald, Johann Ludwig: Eleusis, oder Über den Ursprung und die Zwecke der alten Mysterien. Wien 1819. S.139ff.

[8] Vgl. Roscher, Wilhelm Heinrich: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Leipzig 1884. S.1018f.

[9] Roscher, Wilhelm Heinrich: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Leipzig 1884. S.77f.

[10] Roscher, Wilhelm Heinrich: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Leipzig 1884. S.493f.

[11] Vgl.: Aeschylos: Sieben gegen Theben in: Stolberg, Friedrich Leopold (Hrsg./Übers.): Vier Tragödien des Aeschylos. Hamburg 1802. S.77ff. Auch: Droysen, Johann Gustav: Des Aischylos Werke. 2. Aufl. Berlin 1842. S.564f.

[12] Ebd.

[13] Vgl. rep. 514a-517a.

[14] rep. 379bc

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Gerechtigkeit in Platons "Der Staat" aus zeitgenössischer Perspektive
Note
2,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V301523
ISBN (eBook)
9783956871733
ISBN (Buch)
9783668003293
Dateigröße
578 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Platon, Gerechtigkeit, Politeia, Staat, Der Staat, Politik, Philosophie, Antike, Geschichte, Trampedach, Tugend, Recht, Athen, Sparta, Werte, Dialog, Sokrates, Griechenland, Theben, Polis, Akademie, Πολιτεία, de re publica
Arbeit zitieren
Oliver Neumann (Autor:in), 2014, Gerechtigkeit in Platons "Der Staat" aus zeitgenössischer Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301523

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Gerechtigkeit in Platons "Der Staat" aus zeitgenössischer Perspektive



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden