Parlamentarische Streitkulturen im Preußischen Abgeordnetenhaus 1908 und 1909


Hausarbeit, 2013

15 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Hauptteil
2.1 Emotionalität/ Rationalität
2.1.1 Die Situation 1908
2.1.2 Die Situation 1909
2.1.3 Vergleich 1908/09
2.2 Thematisierung der außerparlamentarische Situation in den Debatten

3 Fazit

4 Quellen- und Literaturverzeichnis

5 Anhang

1 Einleitung

„Die Regierung eines Einzelnen ist eine Ungeheuerlichkeit. Das eingeschränkte Wahlrecht ist eine Ungerechtigkeit. Das allgemeine Wahlrecht ist eine Dumm- heit.“ Diesen Satz schreibt man dem französischen Schriftsteller und Journalisten Guy de Maupassant zu. Das Wahlrecht zur Wahl des Abgeordnetenhauses im Kö- nigreich Preußen war ein ungleiches Wahlrecht, das im Gegensatz zum Reichs- tagswahlrecht in der Forschung eine eher stiefmütterliche Behandlung genossen hat. Dies ist zum Einen auf die relativ lückenhafte Quellensituation1 zurückzufüh- ren und zum Anderen auf die Schwierigkeit, dass die Wahlen in den deutschen Bundesstaaten im allgemeinen eher ein vernachlässigtes Feld darstellen, da die Reichstagswahlen in aller Regel für bedeutender gehalten wurden.

Jedoch lohnt sich die Beschäftigung mit dem preußischen Dreiklassenwahlrecht. Allein ob der Tatsache, dass die Wahlergebnisse für das Preußische Haus der Ab- geordneten im Laufe der Zeit zunehmend von denen im Reichstag abwichen und auch die Wahlbeteiligung gegenläufig zur Entwicklung im Reich nach den neunzi- ger Jahren des 20. Jahrhunderts nie wieder über ein Drittel stieg2, wird dieses The- ma interessant. Des Weiteren ist das Preußische Abgeordnetenhaus in der Zeit zwischen 1848 und 1918 ein Paradebeispiel im puncto Unterrepräsentation von Wählergruppen3 wie z.B. der Sozialdemokratie und schon ob dieses Umstandes untersuchenswert.

Der Gegenstand dieses Beitrages ist folgerichtig das preußische Dreiklassenwahl- recht, welches erst ab 1890 zu einem wesentlichen Thema im Abgeordnetenhaus wurde.4 Ausgewählte Debatten des preußischen Abgeordnetenhauses über eine mögliche Reform des Wahlgesetzes in den Jahren 1908 und 1909 werden zum Zweck einer detaillierteren Beschäftigung analysiert. Da im Juni 1908 eine Wahl stattfand, deren Ergebnis erstmalig dazu führte, dass Mitglieder der von den ande- ren Parteien als Bedrohung eingestuften Sozialdemokraten in den Landtag einzogen, erscheint dieser Vergleich besonders interessant. Außerdem wurden ab dieser Zeit immer wieder Anträge von linksliberaler Seite zu diesem Thema einge- bracht.5 Es ist somit zu erwarten, dass sie die Debatten sich nach der Wahl verän- dert haben.

Gefragt wird konkret nach dem Grad an Emotionalität oder Rationalität, der der Debatte zu Grunde lag. Außerdem soll herausgefunden werden inwiefern die außerparlamentarische Konfliktaustragung zu einer angestrebten Wahlrechtsreform in den Debatten thematisiert wurde.

Der folgenden Arbeit liegen die stenographischen Mitschriften des preußischen Abgeordnetenhauses6 als Quellenbasis zu Grunde. Des Weiteren versteht sie sich als Ergänzung der kultursoziologischen Analyse der Wahlrechtsdebatten um das Dreiklassenwahlrecht von Gerhards/Rössel7 und der Analyse der preußischen Wahlrechtskonflikte von Jörg Rössel.8 Informationen zu den Rednern des Abge- ordnetenhauses sind dem Handbuch der Wahlen zum Preußischen Abgeordneten- haus9 sowie dem Biographischen Handbuch zum Preußischen Abgeordnetenhaus10 entnommen.

Beginnend mit der Auseinandersetzung mit Frage, inwiefern sich die Debatten zum Thema Wahlrecht emotional oder rational gestaltet hat, gehen wir die Proble- matik an, wie sich der Stil der Debattenführung zwischen 1908 und 1909 entwi- ckelt hat. Hierbei werden zunächst beide ausgewählten Debatten getrennt betrach- tet, um auf ihre jeweiligen Spezifika eingehen und anschließend besser deren Un- terschiede und Übereinstimmungen herausarbeiten zu können. In diesem Ver- gleich wird sich außerdem ein Vergleich der kulturellen Deutungsmuster der ein- zelnen Parteien finden. Die Beschäftigung mit der außerparlamentarischen Situati- on und der Frage, inwiefern diese in den Debatten thematisiert wird, schließt sich unter Zuhilfenahme des Vorwortes der Broschüre „Die Wahlrechtsreform im Drei- klassenwahlrecht“11 an, welche zu diesem Thema ein Statement seitens der Sozial- demokraten geben kann. Zuletzt werden die Ergebnisse der Untersuchung präsen- tiert.

2 Hauptteil

2.1 Emotionalität/ Rationalität

Die Wahlrechtsfrage in Preußen dürfte ohne Frage ein emotionales Thema darstellen, insbesondere nachdem die Sozialdemokratie 1908 Einzug in den Landtag gehalten hat und somit eine weitere Fraktion gegeben ist, die eine Reform anstrebt. Doch wird dies auch in den Debatten sichtbar? Dieser Frage wird sich im Folgenden aus verschiedenen Richtungen genähert.

Zum Einen werden die einzelnen Zwischenrufe pro Debatte, Spalte und Redner unter Berücksichtigung ihrer Fraktionszugehörigkeit ausgezählt. Zum Anderen scheint eine Betrachtung des Verhältnisses sachlicher Argumente zu unsachlichen Bemerkungen oder gar Diffamierungen des politischen Gegners sinnvoll. Auch das Vorhandensein von Ordnungsrufen wird herangezogen, da es als eindeutiger Indikator für emotionale Aufladung gewertet werden kann.

Wenden wir uns zunächst den Zwischenrufen in den Sitzungen am 10. Januar 908 und jenen vom 25. und 26. Januar 1909 zu. Ausgewählt wurden diese beiden De- batten, da sie circa ein Jahr trennt und sie thematische sehr ähnlich gelagert sind. In der 8. Sitzung der vierten Session 1907/08 wurde über zwei Anträge „betref- fend die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts mit gehei- mer Stimmabgabe für die Wahlen zum Abgeordnetenhause, sowie die anderweiti- ge Feststellung der Wahlbezirke“12 debattiert. In der 17. Sitzung der zweiten Session 1908/09 standen die beiden Anträge „betreffend die Änderung des Landtagswahlrechts und der Wahlbezirke“13 zur Diskussion. Die Letztere dürfte jedoch auf Grund der Beteiligung der Sozialdemokraten 1909 emotionaler ausfallen; diese Hypothese gilt es im Folgenden zu überprüfen.

Als Zwischenrufe werden an dieser Stelle alle Arten von Äußerungen gezählt, die sich dazu eignen Missfallen oder Zustimmung kund zu tun. So werde neben ver- balen Zurufen beispielsweise auch Beifall oder hämisches Gelächter berücksich- tigt. Anzumerken bleibt bei diesem Verfahren, dass man sich bei der Auswertung der Zwischenrufe vollends auf die Wahrnehmung des Stenographen verlassen muss, da keine andere Quelle vorhanden ist, die diese Informationen liefern oder ergänzen könnten. Daraus folgend muss an einigen Stellen unklar bleiben, wie ein Einwurf gemeint ist oder wie ein Lachen oder Zischen zu deuten ist. Ebenso wird im Verborgenen bleiben, wie genau es der/die StenotypistIn mit der Aufzeichnung genommen hat.

In der Tabelle 1 im Anhang findet sich eine Darstellung der beiden Debatten, in der verglichen wird, wie viele Zwischenrufe es gab, von Mitgliedern welcher Par- tei diese getätigt wurden und bei wessen Rede dies geschah. Mit Hilfe der bei den Fraktionen der Redner in Klammern angemerkten Spalten-Angaben kann in der Analyse die Länge der Rede mit der Zahl der Zwischenrufe in Zusammenhang ge- stellt werden. Des Weiteren bietet sie eine Übersicht, ob es sich um Zustimmung oder Ablehnung handelte und wie viele Zurufe es jeweils von jeder Art gab. Es schließen sich einige konkrete Beispiele für Zwischenrufe an. Ergänzend folgt eine kurze Beschäftigung mit den Ordnungsrufen des Präsidenten des Abgeordne- tenhaus.

[...]


1 Kühne, Thomas: Handbuch der Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus. 1867-1918; Wahlergebnisse, Wahlbündnisse und Wahlkandidaten (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 6), Düsseldorf 1994, S. 30-31 (im Folgenden: Kühne, 1994).

2 Kühne, 1994, S. 12.

3 z.B. Heimann, Siegfried: Der Preußische Landtag 1899 - 1947, Eine politische Geschichte, Berlin 2011, S. 79 (im Folgenden: Heimann, 2011).

4 Gerhards, Jürgen/ Rössel, Jörg: Interessen und Ideen im Konflikt um das Wahlrecht, Eine kultursoziologische Analyse der Parlamentarischen Debatten über das Dreiklassenwahlrecht in Preußen, Leipzig 1999, S. 36 (im Folgenden: Gerhards/ Rössel, 1999).

5 Ebda.

6 Preußen / Haus der Abgeordneten: Stenografische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Hauses der Abgeordneten, 20. Legislaturperiode, 4. Session, 1907/08, Bd. 1, Berlin 1908; Preußen / Haus der Abgeordneten: Stenografische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, 2. Session, 1908/09, Bd. 1, Berlin 1909.

7 Gerhards/ Rössel, 1999.

8 Rössel, Jörg: Soziale Mobilisierung und Demokratie, Die preußischen Wahlrechtskonflikte 1900 bis 1918, Wiesbaden 2000 (im Folgenden: Rössel, 2000).

9 Kühne, 1994a.

10 Mann, Bernhard: Biographisches Handbuch für das preußische Abgeordnetenhaus 1867 -1918 [Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 5], Bd. 3, Düsseldorf 1988.

11 Preußen / Haus der Abgeordneten: Die Wahlrechtsreform im „Dreiklassenparlament“, Die Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses vom 10. Januar 1908, nebst einem Vorwort, Berlin 1908 (im Folgenden: Preußen/Haus der Abgeordneten, Die Wahlrechtsreform, 1908).

12 Preußen / Haus der Abgeordneten: Stenografische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Hauses der Abgeordneten, 20. Legislaturperiode, 4. Session, 1907/08, Bd. 1, Berlin 1908, Spalte 370 (im Folgenden: Stenografische Berichte, 20/4, Bd. 1, Berlin 1908, Sp. 370).

13 Preußen / Haus der Abgeordneten: Stenografische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, 2. Session, 1908/09, Bd. 1, Berlin 1909, Spalte 1184 (im Folgenden: Stenografische Berichte, 21/2, Bd. 1, Berlin 1909, Sp. 1184).

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Parlamentarische Streitkulturen im Preußischen Abgeordnetenhaus 1908 und 1909
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Politische Wahlen in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert
Note
2,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
15
Katalognummer
V301515
ISBN (eBook)
9783956871795
ISBN (Buch)
9783668003323
Dateigröße
448 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dreiklassenwahlrecht, Preußen, USA, 19. Jahrhundert, neuste Geschichte, Streitkultur, Parlament, Wahlrechtsreform
Arbeit zitieren
Birte Katrin Jensen (Autor:in), 2013, Parlamentarische Streitkulturen im Preußischen Abgeordnetenhaus 1908 und 1909, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301515

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