Pierre Bourdieu. Soziale Ungleichheit im Hochschulstudium und der Einfluss der sozialen Herkunft


Hausarbeit, 2015

28 Seiten, Note: 2,7

Sabrina Puetz (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Soziale Ungleichheit - Begriffsklärung
2.1 Bildungsbenachteiligungen und Chancengleichheit

3. Pierre Bourdieu und soziale Ungleichheit
3.1 Das Modell des sozialen Raum - zentrale Begriffe
3.2 Der Kapitalbegriff
3.2.1 Das ökonomische Kapital
3.2.2 Das kulturelle Kapital
3.2.3 Das soziale Kapital
3.2.4 Symbolisches Kapital
3.2.5 Kapitalumwandlungen

4. Soziale Ungleichheit im Hochschulstudium
4.1 „Die Illusion der Chancengleichheit“ in Frankreich
4.2. Betrachtung aktueller Forschungsergebnisse in Deutschland

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Wenn man sich anstrengt, kann man alles erreichen!“. Dieser gut gemeinte Ratschlag wird häufig erteilt, wenn in unserer Gesellschaft über Bildungs- und Aufstiegschancen gesprochen wird. Doch hängt der Bildungserfolg in der modernen Gesellschaft tatsächlich allein von der individuellen Leistungsbereitschaft ab? Viele Studien verweisen auf einen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg. So haben die Untersuchungen der internationalen Schulleistungsstudie PISA bereits im Jahr 2000 gezeigt, dass „in allen PISA-Teilnehmerstaaten ein Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und erworbenen Kompetenzen [besteht]“ (PISA-Konsortium 2000, S.57). Kinder, deren Eltern einen hohen sozioökonomischen Status aufweisen, erreichen in der Regel ein höheres Kompetenzniveau als diejenigen, deren Eltern der Arbeiterklasse angehören (vgl. ebd.). Besonders in Deutschland ist der Schulerfolg von der sozialen Herkunft und der familiären Orientierung abhängig (vgl. ebd.). Diese Entwicklung wirkt angesichts der Forderung nach Chancengleichheit im Bildungssystem alarmierend. Es stellt sich die Frage, ob von diesem Umstand nicht nur SchülerInnen der Sekundarstufe, sondern auch zunehmend Studierende der Hochschulen betroffen sind. Im Januar 2010 veröffentliche die Hans-Böckler-Stiftung im Rahmen einer Projektstudie mehrere Arbeitspapiere zum Thema soziale Ungleichheit im Hochschulstudium. Aus den Studien geht hervor, dass sich viele Studierende während ihres Studiums aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt fühlen (vgl. Bargel/Bargel 2010, S.21). Die beschriebene Problematik ist jedoch nicht unbekannt und wurde bereits in den 1960er Jahren in Frankreich von den Soziologen Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron untersucht. In ihrem gemeinsamen Werk „Die Illusion der Chancengleichheit“ von 1964/1971 widmen sich die Forscher dem Zusammenhang von sozialer Herkunft und Studienerfolg im französischen Bildungssystem.

Wie aber entstehen soziale Ungleichheiten? Inwieweit wirkt sich die soziale Herkunft auf den Bildungserfolg aus und welche Relevanz haben Bourdieus und Passerons Studienergebnisse für die heutige Sozialforschung? Die vorliegende Arbeit soll versuchen, das Thema Bildungsbenachteiligungen von Studierenden aufgrund ihrer sozialen Herkunft näher zu beleuchten. Um den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg erschließen zu können, werden zunächst wichtige Begriffe definiert und das von Bourdieu entwickelte Modell des sozialen Raumes erläutert. Im darauffolgenden Kapitel wird die beschriebene Studienarbeit von Bourdieu und Passeron näher untersucht. Anschließend sollen die Erklärungsansätze zur Reproduktion sozialer Ungleichheit im französischen Bildungssystem mit neueren Forschungsergebnissen in Deutschland in Bezug gesetzt werden.

2. Soziale Ungleichheit - Begriffsklärung

Der Begriff der sozialen Ungleichheit hat vielfältige Erscheinungsformen und ist sowohl in seiner Ursache als auch in seiner Bedeutung komplex und vielfältig. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf die Definition von Hradil (2001), der soziale Ungleichheit in gesellschaftlichen Kontexten zunächst mit verschiedenen Ressourcen verbindet, die als wichtig und notwendig empfunden werden (vgl. ebd., S.28). Im Zuge des menschlichen Zusammenlebens entwickeln die Menschen verschiedene Lebensvorstellungen, welche sie als erstrebenswert und wertvoll erachten. So wird zum Beispiel in unserer modernen Dienst- und Wissensgesellschaft ein erfülltes Leben häufig mit Einfluss, Wohlstand, Prestige, Gesundheit oder Autonomie assoziiert. Um diese Lebensvorstellungen verwirklichen zu können, bedarf es eines geregelten Einkommens, eines Bildungsabschlusses oder nützlicher sozialer Kontakte (vgl. ebd.). Hradil bezeichnet diese Ressourcen als „bestimmte Güter, die im Rahmen einer Gesellschaft als wertvoll gelten“ (ebd.). Besitzt ein Individuum viele dieser wertvollen Güter, kann es in direktem Vergleich höher- oder bessergestellt als andere erscheinen und dadurch verschiedene Vorteile entwickeln, welche die Lebensbedingungen positiv beeinflussen (vgl. ebd., S. 27). Gleichzeitig ergibt sich daraus, dass Menschen mit einer geringen Menge an wertvollen Gütern (z.B. wenig Vermögen) nur bedingt die Möglichkeit haben, den ihrerseits erstrebten Lebensstandard zu erreichen (z.B. ein Haus kaufen). Folglich bezieht sich der Begriff der sozialen Ungleichheit darauf, wie die bestimmten Güter innerhalb einer Gesellschaft verteilt sind. „In der soziologischen Terminologie wird immer dann von sozialer Ungleichheit gesprochen, wenn als 'wertvoll' geltende 'Güter' nicht absolut gleich verteilt sind" (ebd., S. 29, Hervorheb. im Original). Entscheidend für die Entstehung sozialer Ungleichheiten ist somit eine ungleiche Verteilung der Ressourcen bzw. der als wertvoll erachteten Güter innerhalb einer Gesellschaft (vgl. ebd., S. 25). Eine ungleiche Verteilung geht wiederum mit den verschiedenen sozialen Positionen einher, denn ein Handwerker verdient beispielsweise viel weniger, als ein diplomierter Ingenieur, der sich aufgrund seines Einkommens im Umkehrschluss eine größere Anzahl an wertvollen Gütern leisten kann (vgl. ebd., S. 28.). Eine hohe soziale Position verschafft somit einen finanziellen Vorteil (vgl. ebd.). Hradil fasst zusammen, dass „'Soziale Ungleichheit' [dann vorliegt], wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den wertvollen Gütern einer Gesellschaft regelmäßig mehr als andere erhalten“ (ebd., S. 30, Hervorheb. im Original). Da Bildung eine wichtige Determinante für die einzelnen sozialen Positionen einer Gesellschaft darstellt, soll ihr Stellenwert im folgenden Kapitel erläutert werden und die Funktionen des Bildungssystems kurz skizziert werden.

2.1 Bildungsbenachteiligungen und Chancengleichheit

Die enorme Signifikanz von Bildung1 ist in der heutigen Zeit nicht abzustreiten. Sie „ist zur wichtigsten Grundlage für den materiellen Wohlstand moderner Gesellschaften geworden“ (Hradil 2001, S. 149) und ermöglicht neben dem sozialen Aufstieg ebenso die Partizipation am gesellschaftlichen und kulturellen Leben (vgl. ebd.). Gleichzeitig ist das Bildungsniveau auch für das Wirtschaftswachstum und die internationale Konkurrenzfähigkeit einer Gesellschaft von Bedeutung, denn nur durch qualifizierte Arbeits- und Fachkräfte können neue Technologien und Verfahren optimiert und entwickelt werden (vgl. ebd., S.35). Eine langfristige Investition in Bildung erscheint daher in vielerlei Hinsicht sinnvoll. Da Bildung einen entscheidenden Faktor bei der Ausgestaltung von Lebenschancen darstellt, „kommt der Frage nach Disparitäten in der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs (...) eine hohe Bildungspolitische Bedeutung zu“ (Wild/Gerber 2006, S. 21). Nach dem Prinzip der Chancengleichheit soll jeder Mensch von den Bildungsangeboten, die eine Gesellschaft zur Verfügung stellt, profitieren können (vgl. Becker 2009, S.85). Unter Chancengleichheit im Bildungswesen wird im allgemeinen verstanden, dass „(...) der Erwerb von Bildungsgraden und die dadurch erfolgende Verteilung von Lebenschancen so zu erfolgen hat, dass sie sich ausschließlich an der individuellen Leistung bemessen“ (Becker 2009, S. 86, Hradil 1999, S. 148). Chancengleichheit liegt folglich dann vor, wenn der Bildungserfolg nicht durch sozioökonomische und kulturelle Merkmale beeinträchtigt wird (vgl. Becker 2009, S. 86). Trotz der Einführung der allgemeinen Schulpflicht und verschiedener Bildungsreformen sind der Zugang zu höherer Bildung und der Erwerb hochwertiger Bildungsabschlüsse nicht für alle Sozialgruppen gleichermaßen möglich (vgl. ebd.). Ein Zitat von Max Weber findet auch heute noch große Beachtung: „Unterschiede in der Bildung (…) sind zweifellos der wichtigste ständebildende Unterschied (…). Unterschiede der Bildung sind - man mag das noch so sehr bedauern - eine der allerstärksten rein innerlich wirkenden sozialen Schranken“ (Weber 1921, S. 279).

Um die Problematik der Bildungsbenachteiligung in Deutschland erfassen zu können, ist es notwendig, sich mit den verschiedenen Funktionen des Bildungssystems auseinanderzusetzen. Das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland ist ein ausdifferenziertes System verschiedener Bildungseinrichtungen, in denen die Übergänge von einem Teilbereich zum nächsten geregelt werden (vgl. Bauer 2011, S. 76f). Dieses System muss eine Vielzahl von Aufgaben verrichten und soll neben einer Sozialisationsfunktion und der Vermittlung elementarer Wissensbestände vor allem eine Allokationsfunktion erfüllen (vgl. ebd.). Damit ist gemeint, dass durch die Messung individueller Leistungsnachweise jedem Individuum ein passender, gesellschaftlicher Status zugewiesen werden kann (vgl. Hradil 2001, S. 150). Mit der Statuszuweisung ist gleichzeitig eine Auslesefunktion verbunden, bei welcher das Bildungssystem die Individuen entsprechend ihrer Leistung aussortiert (vgl. ebd.). Hinsichtlich der Chancengleichheit soll dabei weder die soziale Herkunft noch die ethnische Zugehörigkeit oder das Geschlecht einen negativen Einfluss auf diese Auslese haben (vgl. Becker 2009, S. 86). Die sich daraus ergebende Problematik wird deutlich, wenn man die verschiedenen Funktionen des Bildungssystems vor dem Prinzip der zuvor erläuterten Chancengleichheit betrachtet:

„In der politisch-liberalen Konzeption wird Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit bereits als gegeben gesehen, wenn gleiche Zugangschancen zum Bildungssystem gewährt werden. Wenn aber gefordert wird, dass jedem Kind ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen seiner Eltern der Bildungsweg offen stehen müsse (…) und, dass Bildungserfolge ausschließlich von individuellen Fähigkeiten, Anstrengungen, Leistungen und Motivationen abhängen sollen, dann wird (…) nicht darauf eingegangen, dass (…) [diese] Leistungen an die soziale Herkunft gekoppelt sind (…). [Ebenso] bleibt unberücksichtigt, (…) ob schon zum Eintrittszeitpunkt in die Schule ungleiche Lernvoraussetzungen bestehen.“ (Becker 2009, S. 86).

Wenn Chancengleichheit bereits mit gleichen Zugangsmöglichkeiten bei Bildungsangeboten einhergeht, wird also die Tatsache außer Acht gelassen, dass jedes Individuum unterschiedliche Startchancen bei diesem Zugang mitbringt (vgl. ebd., S. 86f). Da die Startchancen durch die individuellen Lern- und Lebensbedingungen beeinflusst werden, sind diese somit auch von der sozialen Lage des Elternhauses abhängig (vgl. ebd., S. 87). Bezieht man die Startchancen weiter auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen eines Individuums, so wird deutlich, dass hinsichtlich der Chancengleichheit weitere Barrieren entstehen können. So kann beispielsweise ein Kind aus einer wohlhabenden Familie viel besser in seinem Werdegang unterstützt werden, als ein Kind aus einer finanziell schwachen Familie (vgl. ebd.). In einem Akademiker Haushalt kann wiederum aufgrund der elterlichen Hochschulbildung eine viel höhere Relevanz von Bildung vermittelt werden, als es in einer Arbeiterfamilie der Fall ist. Der Bildungsweg der Kinder wird folglich auch durch die zur Verfügung stehenden kulturellen, sozialen und ökonomischen Ressourcen des Elternhauses bestimmt (vgl. ebd., S. 87f). Dieser Ansatz findet sich auch in den Überlegungen von Pierre Bourdieu wieder. Die Entstehung und Reproduktion sozialer Ungleichheit erklärt er mit Hilfe des von ihm entwickelten Modells des sozialen Raumes, das im Folgenden Kapital erläutert werden soll.

3. Pierre Bourdieu und soziale Ungleichheit

Bourdieus theoretischer Ansatz findet in der Analyse sozialer Ungleichheiten häufig Verwendung, da er die gesellschaftlichen Strukturen und Unterschiede in vielerlei Hinsicht darstellen kann. Das Modell richtet sich dabei „auf die grundlegende Frage des Verhältnisses von Gesellschaft und Individuum im Rahmen einer allgemeinen Gesellschaftstheorie“ (Müller 1997, S. 242). Bourdieus zentrales Anliegen ist es, soziale Unterschiede, die auch über mehrere Generationen hinweg bestehen, zu ergründen (vgl. ebd., S. 243). Im Zuge seiner Theorie führt Bourdieu verschiedene Begriffe ein, die zunächst erläutert werden.

3.1 Das Modell des sozialen Raum - zentrale Begriffe

Nach Bourdieu lässt sich die Gesellschaft in „Form eines - mehrdimensionalen - Raumes darstellen, dem bestimmte Unterscheidungs- bzw. Verteilungsprinzipien zugrundeliegen“ (Bourdieu 1985, S. 9). Dieses Konstrukt ergänzt bisherige Schichtungs- und Klassentheorien dahingehend, dass es die Hierarchie verschiedener Klassen nicht ausschließlich anhand des jeweils zuzuordnenden Kapitalumfangs definiert, sondern „die Gesamtheit der Eigenschaften (...), die innerhalb eines fraglichen sozialen Universums wirksam sind [betrachtet]“ (ebd.). In einer ersten Betrachtung bezieht sich Bourdieu auf die Klasseneinteilung von Karl Marx, bei der die Zugehörigkeit zu einer herrschenden (Bourgeoisie) oder beherrschten Klasse (Proletariat) durch das zur Verfügung stehende Kapital2 bestimmt wird (vgl. Marx, Engels (1962)[1890], S. 161). Bourdieu kritisiert, dass Marx den Kapitalbegriff ausschließlich unter ökonomischen Aspekten betrachtet: „Der wirtschaftswissenschaftliche Kapitalbegriff reduziert die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse auf den bloßen Warenaustausch, der […] vom Eigennutz geleitet ist“ (Bourdieu 1997, S.50). Dadurch bleiben nach Bourdieu alle anderen Formen des sozialen Austausches unberücksichtigt. Aus diesem Grund führt er neben dem ökonomischen Kapital drei weitere Kapitalformen ein: Das kulturelle Kapital, das soziale Kapital und das symbolische Kapital. Den Umfang dieser Kapitalformen bezeichnet er als das Kapitalvolumen (vgl. ebd.).

Der soziale Raum konzipiert sich aus dem oben genannten Kapitalvolumen, der Kapitalstruktur, d.h der Zusammensetzung der verschiedenen Kapitalien und der Laufbahn der positionierten Akteure. Die Akteure nehmen je nachdem wie viel Kapitalvolumen ihnen zur Verfügung steht eine bestimmte Stellung in einem bestimmten Bereich des sozialen Raumes ein. Somit lässt sich der soziale Raum in verschiedene Felder einteilen, in welchem „das Kapital - in seiner objektivierten Form als materielles Eigentum wie in seiner inkorporierten Form zum Beispiel als kulturelles Kapital - (…) Verfügungsmacht im Rahmen eines Feldes dar[stellt].“ (Bourdieu 1985, S.10). Die gesellschaftliche Stellung eines Individuums wird somit durch den Umfang seines Kapitalvolumens bestimmt:

„Die soziale Stellung eines Akteurs ist folglich zu definieren anhand seiner Stellung innerhalb der einzelnen Felder, das heißt innerhalb der Verteilungsstruktur (...) primär ökonomisches Kapital (…) dann kulturelles und soziales Kapital und schließlich noch symbolisches Kapital“ (ebd., S. 10f).

Ausgehend von den sozialen Stellungen und den verschiedenen Kapitalformen lässt sich der soziale Raum nach Bourdieu ebenso in verschiedene Klassen, „das heißt Essambles von Akteuren mit ähnlichen Stellungen (…) und folglich auch ähnliche[n] Praktiken und politisch -ideologische[n] Positionen“ (ebd., S. 12) einteilen. Die verschiedenen an Berufsgruppen festgemachten sozialen Positionen werden dabei in drei große soziale Klassen zusammengefasst: Die herrschende Klasse, die über eine große Mengen an ökonomischem bzw. kulturellem Kapital verfügt, der Mittelklasse und schlussendlich der Volksklasse, welche die beherrschte Klasse darstellt und nur wenig ökonomisches und kulturelles Kapital besitzt (vgl. Schwingel 1998, S.106f). Neben der klassenspezifischen Einteilung unterteilt Bourdieu den sozialen Raum in zwei weitere Subräume: Den Raum der sozialen Positionen und den Raum der Lebensstile. Der Raum der sozialen Positionen umfasst die verschiedenen Berufsgruppen sowie die jeweiligen sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen eines Individuums (vgl. ebd S. 107). Der Raum der Lebensstile setzt sich hingegen aus subjektiven Wahrnehmungen, die für verschiedene Akteure oder Klassen charakteristisch sind und aus den „symbolischen Merkmale[n] der Lebensführung“ (ebd.) zusammen. In Zusammenhang mit den sozialen Positionen und den Lebensstilen führt Bourdieu einen weiteren zentralen Begriff ein - den Habitus. Bourdieu bezeichnet den Habitus als ein „sozial konstruiertes System von strukturierten und strukturierenden Dispositionen, das durch Praxis erworben wird und konstant auf praktische Funktionen ausgerichtet ist“ (Bourdieu/Wacquant 1996, S. 154). Er wird durch die soziale Position, das Geschlecht, die soziale Herkunft und ethnische Zugehörigkeit bestimmt (vgl. ebd.). Im Habitus werden außerdem verschiedene Stile, Vorlieben, Grundüberzeugungen und Geschmacksurteile manifestiert (vgl. ebd S. 155). Damit stellt der Habitus eine allgemeine Grundhaltung des Menschen gegenüber der Welt dar, wobei er bestimmte Formen des Verhaltens und der Wertung erzeugt, die wiederum unter dem Einfluss des sozialen Raums stehen (vgl. Dörpinghaus/Upphoff 2011, S. 122). „Kurzum: Der Habitus ist das, was wir sind“ (ebd., S. 123). Da der Habitus träge ist und die Tendenz hat, sich Situationen anzunehmen, die er bereits kennt, verbleiben die Individuen nach Bourdieu häufig in den sozialen Milieus, in denen sie sich sozialisiert haben (vgl. Bourdieu 1982, S. 238) Bourdieu bezeichnet dies als „ hysterisis -Effekt“ (ebd. Hervorheb. im Original). In Bezug auf den Raum der Lebensstile kommen dem Habitus zusätzlich zwei grundlegende Eigenschaften zu. Diese umfassen zum einen das Hervorbringen von Praxisformen und Werken, zum anderen den Geschmack, welcher die jeweiligen Formen und Produkte trennt bzw. wertet (vgl. ebd., S. 238). Als Geschmack bezeichnet Bourdieu die „Neigung und Fähigkeit zur (materiellen und/oder symbolischen) Aneignung einer bestimmten Klasse klassifizierter und klassifizierender Gegenstände und Praktiken (…)“ (ebd., S. 238).

[...]


1 Nach dem klassischen Bildungsbegriff von Humboldt, vgl. Konrad, Franz-Michael (2010): in Wilhelm von Humboldt, UBT Verlag, Stuttgart. S. 38f.

2 Kapitalbegriff nach Marx, vgl. in Marx, K. / Engels, F. (1962)[1890]: Das Kapital - Kritik der politischen Ökonomie, [Online] https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band23.pdf [19.04.2015], S. 161

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Pierre Bourdieu. Soziale Ungleichheit im Hochschulstudium und der Einfluss der sozialen Herkunft
Hochschule
Universität Trier
Note
2,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
28
Katalognummer
V301287
ISBN (eBook)
9783956872679
ISBN (Buch)
9783668003750
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
pierre, bourdieu, soziale, ungleichheit, hochschulstudium, einfluss, herkunft
Arbeit zitieren
Sabrina Puetz (Autor:in), 2015, Pierre Bourdieu. Soziale Ungleichheit im Hochschulstudium und der Einfluss der sozialen Herkunft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301287

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