Jane Bennetts Assemblagen und dessen Agencies in der kriminalpolizeilichen Untersuchung eines Tatorts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

14 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 - Einleitung

2 - Posthumanistische Konzepte: Die Assemblage und dessen Agency
2.1 – Was sind Assemblagen und welche Agency haben sie?
2.2 – Welche Agency hat die Assemblage „Tatort“?

3 - Zusammenfassung der Ergebnisse

4 - Literaturangaben

1 - Einleitung

Vital materialism […] reminds humans of the very radical character of the (fractious) kinship between the human and the nonhuman. My ‘own’ body is material, and yet this materiality is not fully or exclusively human. […] In a world of vibrant matter, it is thus not enough to say that we are ‘embodied.’ We are, rather, an array of bodies, many different kinds of them in a nested set of microbiomes. (Bennett 2010; 112-113)

Jane Bennett vertritt in den neueren Diskussionen in der Soziologie, sowie in der Philosophie, einen interessanten Standpunkt. Sie kritisiert in ihrer Arbeit „Vibrant Matter – A political ecology of things“ eine Zentrierung vieler Theorien auf das Subjekt.1 Bennett offeriert mit ihrem Werk eine neuere Sicht, indem sie sich von genau solchen theoretischen Ausgangspunkten abgrenzt. Sie will eine Auflösung der Dualismen Subjekt-Objekt oder lebendig-materiell denken. Sie möchte eine neue Sicht auf die Interaktion zwischen Menschen und Objekten werfen und verdeutlichen, dass Objekte genauso eine wichtige Rolle spielen und dass sie gleichermaßen befähigt sind zu handeln, wie die Menschen.

Ähnlich wie Deleuze und Guattari oder Spinoza, geht es Bennett darum zu klären, wie dieser klassische Dualismus aufgebrochen und neu gedacht werden kann. Sie folgt in ihrer politischen Argumentation über die „pulsierende Materie“2 einigen Beispielen von diesen Theoretikern, die versuchen den Menschen zu dezentralisieren, um somit einen Ausgleich zu schaffen und die Subjekte und Objekte näher aneinander rücken zu lassen. Diese objekt-orientierte Ontologie befähigt die Theoretiker mit der Möglichkeit des Denkens, dass Objekte in der Lage sind, genauso wie Menschen selbstständig zu agieren und in Interaktion zu treten.

Ein solcher Ansatz, so beschreibt auch Bennett ihre Theorie, ist eher eine konstruktivistische, sehr theoretische Überlegung, eine politische Anregung zum Andersdenken.3 Denn Bennett versucht auf ein politisches Problem aufmerksam zu machen: heutzutage sollte die Materialität (Dinge, Objekte, Gegenstände etc.) nicht als etwas angesehen werden, was rein passiv agiert, d.h. als etwas, das vom Menschen kontrolliert und konstruiert werden kann. Bennett möchte ein Modell erstellen, welches ihr erlaubt die Materie als lebendig, vital und pulsierend zu denken, sodass diese zu einem aktiven Aktanten wird. Die Theoretikerin ist der Ansicht, dass durch die Debatte ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft vorgenommen werden kann, was die Menschen dazu bewegen könnte in einem Einklang mit der Natur zu leben und diese nicht (weiter) zu zerstören.4 Insofern soll eine Sensibilisierung der Subjekte vor allem im Bereich des Konsumierens, aber auch im eigentlichen Umgang mit Ressourcen, geschaffen werden.5

In meiner Hausarbeit möchte ich mich vor allem deshalb mit einem Konzept der posthumanistischen Sichtweise beschäftigen, weil diese Sichtweise in den aktuellen Debatten immer wichtiger wird und als neuer Standpunkt mehr Zuspruch erhält.

Ich werde zunächst im Kapitel 2.1 das Konzept der Assemblagen und der Agency (Handlungsfähigkeit) von Jane Bennett reproduzieren und dabei auf Theoretiker wie Spinoza, Deleuze und Guattari eingehen. Zu einem späteren Zeitpunkt (Kapitel 2.2) werde ich versuchen Bennetts Konzept auf die Kriminaltechnik anzuwenden, indem ich anhand des Beispiels „Tatort“ beschreibe welche Assemblagen vorzufinden sind und welche Handlungsfähigkeit diese besitzen. Dabei werde ich zunächst eine Beschreibung des Tatorts vornehmen, der von Polizeibeamten abgesucht wird, um Hinweise auf einen Täter zu erhalten. Ich habe mich für das Beispiel der Kriminaltechnik entschieden, da in diesem Feld schon seit einiger Zeit die Arbeit mit Objekten immer mehr in den Vordergrund rückt.

In einem abschließenden Kapitel werde ich eine Zusammenfassung meiner Ergebnisse präsentieren und die Möglichkeiten und Grenzen der Theorie Bennetts für meine Analyse aufzeigen.

2 - Posthumanistische Konzepte: Die Assemblage und dessen Agency

2.1 – Was sind Assemblagen und welche Agency haben sie?

Jane Bennett ist nicht die erste Theoretikerin, die sich mit Fragen beschäftigt, wie der Umgang mit Materialität anders gedacht, und wie der Dualismus Subjekt-Objekt bzw. lebendig-materiell aufgelöst werden kann. Bennett folgt den Konzepten von Spinoza „affective bodies“ und Deleuzes/Guattaris „Assemblagen“ deshalb, weil sie wichtige Aspekte für ihr eigenes Konzept aus diesen theoretischen Grundlagen entzieht. Insofern ist es wichtig zu verstehen, welche Kernpunkte Spinoza und Deleuze/Guattari für die Theorie von Jane Bennett liefern:

Spinoza geht davon aus, dass es „affective bodies“ gibt. Dies sind Körper, die gleichzeitig einander affizieren und welche selbst affiziert werden. Diese Körper sind antriebhaft, d.h. sie können miteinander interagieren und in Kollektiven zusammentreten. Die Körper oder Substanzen, die sich in diesem Kollektiv befinden, bilden keine Hierarchie, sondern sie sind alle gleich stark und handeln zusammen:

[c]onative substance turns itself into confederate bodies, that is, complex bodies that in turn congregate with each other in the pursuit of the enhancement of their power (Bennett 2010; 22).

Je größer dieses Kollektiv ist und je mehr es andere Körper affiziert und auch wieder von diesen affiziert wird, desto besser ist es, laut Spinoza.

Das wichtige Element, welches für Bennett eine Grundlage ihrer Theorie bildet ist die Ansicht von Spinoza, dass Körper miteinander in Interaktion treten und sich daraus eine heterogene Assemblage bzw. ein Kollektiv unterschiedlicher Elemente bildet. Diese Assemblage ist, so Bennett, nicht an den menschlichen Körper gebunden, sondern entsteht aus heterogenen Elementen, die zusammen als ein Konglomerat wirken und ihre Wirksamkeit („efficacy“) bzw. ihre Handlungsfähigkeit „agency“ (Bennett 2010; 23) ausüben. Das Zitat von Jane Bennett in meiner Einleitung verdeutlicht dies: Die Autorin geht z.B. davon aus, dass der menschliche Körper auch aus einer Ansammlung von sehr vielen Assemblagen besteht. Als Beispiel nennt sie die Krümmung des Ellenbogens, welche ein Ökosystem für mindestens sechs unterschiedliche Stämme von Bakterien bilde. Diese Bakterien befeuchten die Haut permanent, indem sie die Fette, die diese Haut produziert, abbauen (vgl. Bennett 2010; 112).

Für Bennett, sowie für Deleuze und Guattari, zeichnen sich Assemblagen vor allem dadurch aus, dass sie spontane Zusammenschlüsse von unterschiedlichen materiellen Elementen darstellen:

Assemblages are ad hoc groupings of diverse elements of vibrant materials of all sorts. Assemblages are living, throbbing confederations that are able to function despite the persistent presence of energies that confound them from within. (Bennett 2010; 23f)

Bennett beschreibt diese Assemblagen als „throbbing“, also als lebendig, pulsierend, pochend. Diese Ansicht stellt einen Versuch dar, den Dualismus zwischen dem Subjekt und dem Objekt aufzubrechen, indem der heterogenen Assemblage ein organisches Merkmal zugesprochen wird. Denn in den lebenden Organismen ist das Herz derjenige Teil, der den Organismus durch das permanente Pochen und Pulsieren am Leben erhält. Bennett spricht den Assemblagen also eine Vitalität zu, die in klassischen Theorien nur dem Menschen oder den Tieren, nicht aber materiellen Dingen, zugesprochen wurde.

Jenny Rice, eine Professorin für theoretisches Schreiben an der Universität von Kentucky, beschreibt die Assemblage bei Bennett als eine Ansammlung von unterschiedlichen Akteuren: Menschen, Objekten, Tieren, Gemüse, Mineralien, Natur, Kultur, Technologie und anderen. Innerhalb dieser Assemblagen spielen die einzelnen Akteure eine ausgeglichene Rolle (vgl. Rice 2012). Diese allerdings doch schwammige Beschreibung6 wird an einer anderen Stelle noch weiter ausgeführt und verdeutlicht.

Innerhalb der Assemblage gibt es somit, nach Bennett, keine Hierarchie, da kein einzelnes Element die Macht oder „power“ (Bennett 2010; 23) hat, die Bewegungsbahn („trajectory“, Bennett 2010; 24) der Assemblage zu bestimmen. Nur die Assemblage als Zusammenschluss aus allen diesen Elementen hat eine Handlungsmacht, die Bennett die „agency“ nennt:

Assemblages are not governed by any central head: no one materiality or type of material has sufficient competence to determine consistently the trajectory or impact of the group. […] Each member […] of the assemblage has a certain vital force, but there is also an effectivity proper to the grouping as such: an agency of the assemblage. (Bennett 2010; 23f)

Dies ist ein wichtiger Aspekt der Theorie, da Bennett sich durch diese Sichtweise von vielen anderen Theorien abgrenzt. Vor allem die klassischen soziologischen oder philosophischen Theoretiker sind der Ansicht, dass nur Menschen allein (intentional) handeln können.7 Jedoch spricht sie auch den Assemblagen eine solche Handlungsmacht zu, wenngleich sie davon ausgeht, dass diese Assemblagen nicht, wie Subjekte, intentional handeln. Sondern die Handlungsmacht der Assemblagen ist eng mit der Idee einer Richtungsabhängigkeit verknüpft, d.h. die Assemblagen handeln kausal und dementsprechend linear, ohne allerdings einem bestimmten Ziel zu folgen.

Die Assemblage ist, so Bennett weiter, niemals ein permanentes Kollektiv aus Elementen. Sie hat immer eine begrenzte Lebensdauer, da sie von der Zeit und vom Raum abhängig ist. Die Elemente innerhalb dieser Assemblage arbeiten nur solange zusammen, wie die Assemblage ‚lebendig‘ ist. Jedes Element kann sich jedoch auch wieder verändern und dadurch nicht mehr in diese Assemblage passen. Daraus resultierend verändert sich erstens die ursprüngliche Assemblage und reproduziert sich und zweitens ergibt sich für das Element, welches sich verändert hat eine neue Assemblage, in welcher es einen Platz findet (vgl. Bennett 2010; 35).

Aufgrund dessen kann eine Assemblage auch nicht als ein eigenständiger Organismus betrachtet werden (vgl. Bennett 2010; 24).

Diese sehr theoretische Ansicht über Assemblagen und ihre Handlungsfähigkeit kann am besten am Beispiel erklärt werden, welches Bennett in ihrer Theorie selbst vorstellt. Bennett schreibt über die Assemblage ‘Stromnetz‘ in den USA, welche der Grund für einen Stromausfall in vielen Bundesstaaten Nordamerikas im Jahr 2003 war.

Die Assemblage Stromnetz ist für Bennett nicht einfach eine Maschine oder ein Werkzeug zur Erzeugung von Strom. Für „vital materialists“ (Bennett 2010; 25), wie Bennett sich selbst beschreibt, ist ein solches Stromnetz als eine Assemblage aus unterschiedlichen Elementen anzusehen: es besteht aus elektromagnetischen Feldern, aus Plastik, Computerprogrammen, Elektronenströmen, aus Motiven zur Profitsteigerung von Netzbetreibern, sowie aus der Hitze, die erzeugt wird, aus Öl und anderen Aktanten. Hier kann also schon festgestellt werden was Jenny Rice meint, wenn davon die Rede ist, dass Assemblagen aus Technologien, Menschen, Natur, Kultur oder politischen Strukturen eines Landes bestehen, die allesamt auf sie einwirken.

[...]


1 Beispielsweise Michel Foucault, Judith Butler, Donna Haraway u.a.

2 Orig.: „vibrant matter“ (siehe Titel).

3 Siehe Interview mit Peter Gratton.

4 Bennett sagte im Interview mit Peter Gratton: „the story of vibrant matter I tell seeks to induce a greater attentiveness to the active power of things — a power that can impede, collaborate with, or compete with our desire to live better, healthier, even happier lives.“ (Bennett April 2010)

5 Im Interview mit Peter Gratton sagte sie weiterhin: „My political strategy is indirect because its target is the micro-politics of sensibility-formation.” (Bennett April 2010)

6 Es ist eine schwammige Beschreibung, weil nicht deutlich wird, welcher Teil der Natur oder welches Element der Kultur in der Assemblage vorhanden ist.

7 Bennett stellt sich z.B. gegen die Ansichten von Kant, Augustine, Merleau-Ponty u.a.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Jane Bennetts Assemblagen und dessen Agencies in der kriminalpolizeilichen Untersuchung eines Tatorts
Hochschule
Universität Hamburg  (Soziologie)
Veranstaltung
Klassiker soziologischer Theorie
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
14
Katalognummer
V301209
ISBN (eBook)
9783656978930
ISBN (Buch)
9783656978947
Dateigröße
448 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jane Bennett;, Agency;, Assemblagen;, Tatort, Klassische Soziologie;, Posthumanismus;
Arbeit zitieren
Stephanie Kroll (Autor:in), 2013, Jane Bennetts Assemblagen und dessen Agencies in der kriminalpolizeilichen Untersuchung eines Tatorts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301209

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