Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland

Eine Beschreibung ihrer Lebenssituation


Diplomarbeit, 2008

73 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Deutschland als Einwanderungsland

3 In Deutschland lebende Migranten

4 Bildung
4.1 Bildung im Elementarbereich
4.1.1 Amtliche Statistik
4.1.2 Ergebnisse weiterführender Studien
4.1.3 Ursachen für geringere Beteiligung an außerhäuslicher Betreuung
4.1.3.1 Ökonomische Faktoren
4.1.3.2 Soziale Netzwerke
4.1.3.3 Informations- und Wissensstand der Eltern
4.1.3.4 Normative und kulturelle Faktoren
4.2 Schulische Bildung
4.2.1 Einschulung
4.2.2 Grundschule und Übergang in die Sekundarstufe I
4.2.3 Ausländische Schülerinnen und Schüler
4.2.4 Die Verteilung ausländischer Schülerinnen und Schüler nach Schularten und Nationalität
4.2.5 Erreichte Schulabschlüsse
4.2.6 PISA 2006 – Zentrale Ergebnisse
4.2.7 Verzögerte Schullaufbahn
4.3 Berufliche Bildung

5 Ökonomische Situation und Armut
5.1 Einkommen, soziale Schicht und staatliche Transferzahlungen
5.2 Taschengeld

6 Wohnsituation
6.1 Indikatoren zur Beschreibung der Wohnsituation
6.1.1 Wohndichte
6.1.2 Wohneigentum, Miete und Mietbelastung
6.1.3 Qualität der Wohnumgebung
6.1.4 Rückzugsmöglichkeiten in der Wohnung

7 Gesundheit
7.1 Medizinische Versorgung und physische Gesundheit
7.2 Psychische Gesundheit

8 Kriminalität
8.1 Polizeiliche Kriminalstatistik
8.2 Dunkelfeldforschung
8.2.1 Migrantenkinder und -jugendliche als Opfer
8.2.2 Migrantenkinder und -jugendliche als Täter

9 Fazit und Ausblick

10 Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1: Alterstruktur der ausländischen Bevölkerung 1970, 1974 und 1982

Abbildung 3.1: Alterstruktur nach Migrationshintergrund 2005 (in %)

Abbildung 3.2: Geschlechterverhältnis nach Migrationshintergrund 2005 (in %)

Abbildung 3.3: Einheimische und ausländische männliche Bevölkerung nach Altersgruppen 2005 (in %)

Abbildung 3.4: Anteil der Personen mit Migrationshintergrund 2005 nach Ländern

Abbildung 3.5: Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Herkunftsnationalität 2005 (in %)

Abbildung 4.1: Besuch von vorschulischen Betreuungseinrichtungen der 3- bis 7-jährigen Kinder vor der Einschulung (SOEP, 1984-2003)

Abbildung 4.2: Verteilung ausländischer Schüler nach Nationalität und Schulart (in %)

Abbildung 4.3: Erreichte Punkte in den verschiedenen Kompetenzen nach Migrationshintergrund

Abbildung 4.4: Kumulierte Wiederholungsquote von 15-Jährigen nach Migrationsstatus, Schulform und Zeitpunkt der ersten Klassenwiederholung

Abbildung 4.5: Verzögerte Schullaufbahn bei 15-Jährigen nach Ländern und Herkunftsregionen

Abbildung 4.6: Ausbildungsquote nach Staatsangehörigkeit 1993 bis 2005 in %

Abbildung 5.1: Nettoeinkommen nach Migrationshintergrund (ja/nein) in %

Abbildung 5.2: Schichtzugehörigkeit nach Migrationshintergrund (ja/nein) in %

Abbildung 6.1: Familien mit und ohne Migrationshintergrund nach Qualität der Wohnumgebung (in %)

Abbildung 7.1: Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen U3 bis U9

Abbildung 7.2: Zahnpflegeverhalten

Abbildung 7.3: Zähneputzhäufigkeit nach Sozialstatus und Migrationshintergrund

Abbildung 7.4: Übergewicht nach Migrationsstatus

Abbildung 8.1: Anteil der Opferwerdung nach ethnischer Herkunft der Opfer (in %)

Abbildung 8.2: Selbstberichtete Delinquenz nach Bevölkerungsgruppen und Delikt (in %)

Abbildung 8.3: Rate der Täter mit 5 und mehr Gewaltdelikten in den letzten 12 Monaten nach Geschlecht und Nationalität (in %)

Abbildung: 8.4: Rate der Opfer elterlicher Gewalt in der Kindheit nach Intensität und ethnischer Herkunft

Tabellenverzeichnis

Tabelle 4.1: Besucherquoten der Nicht-Schulkinder in einer Kindertageseinrichtung nach Migrationshintergrund

Tabelle 4.2: Durchschnittliche vereinbarte Betreuungszeit pro Tag 2006

Tabelle 4.3: Kindergartenbesuch (in %)

Tabelle 4.4: Form der institutionellen Betreuung der drei Kindergruppen in %

Tabelle 4.5: Besuch einer Betreuungseinrichtung nach Alter (Abstromprozent)

Tabelle 4.6: Schulfähigkeit, CPM-Testscore und Sprachförderbedarf

Tabelle 4.7: Übergangsraten und Schulleistungen nach Nationalitäten

Tabelle 4.8: Verteilung ausländischer und deutscher Schüler nach Schulart (in %)

Tabelle 4.9: ausländische und deutsche Absolventen nach Art des Abschluss 1995 und 2005 (in %)

Tabelle 4.10: Ausländer ohne Abschluss bzw. mit Abitur nach Bundesland (in %)

Tabelle 4.11: 15-jährige Jugendliche nach Migrationshintergrund 2000, 2003 und 2006 (in %)

Tabelle 4.12: Die fünf häufigsten von ausländischen Auszubildenden gewählten Ausbildungsberufe 2006 und Anteil der deutschen Auszubildenden mit gleicher Berufswahl (in %)

Tabelle 6.1: Indikatoren der Wohnsituation 1997 und 2006 nach Migrationshintergrund

Tabelle 6.2: monatliche Mietbelastung (in %)

Tabelle 6.3: Vorhandensein eines eigenen Zimmers (in %)

1 Einleitung

Im Jahr 2006 hatten 28% von den Kindern und Jugendlichen im Alter bis unter 20 Jahren einen Migrationshintergrund.1 Es handelt sich um eine zunehmend bedeutsame Population innerhalb der deutschen Wohnbevölkerung. Auch wenn das Interesse an kindzentrierten Studien in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat (z.B. DJI Kinderpanel, LBS-Kinderbarometer, World Vision Kinderstudie), weiß man aktuell erschreckend wenig über die Lebenssituation von Migrantenkindern und -jugendlichen. Das einzige Thema, welches man als relativ gut erforscht bewerten könnte, ist die Bildung.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die vorhandenen Informationen zusammenzutragen, um eine Art Status Quo der deutschen Forschung in Bezug auf Migrantenkinder zu erstellen und Lücken, sowie Potentiale aufzuzeigen.

In einem kurzen historischen Exkurs werden die Entwicklung und wichtigsten Etappen von Deutschland zum Einwanderungsland aufgezeigt und anschließend die aktuelle Alters- und Geschlechterstruktur, regionale Verteilung, sowie häufigsten ethnischen Herkunftsgruppen betrachtet.

Der thematische Schwerpunkt wurde auf den Bereich Bildung gesetzt. Vom Aufbau wird der Bildungsbiographie gefolgt – beginnend im Elementar- und Vorschulbereich, anschließend Grundschule und Übergang zur Sekundarstufe I, tatsächlich erreichte Schulabschlüsse und abschließend Ergebnisse vom Ausbildungsmarkt. Es werden jeweils Daten aus der amtlichen Statistik, sowie weiterführend Ergebnisse aus Studien mit Individualdatensätzen präsentiert.

Der Forschungsstand in den folgenden Kapiteln (ökonomische Situation und Armut, Wohnsituation, Gesundheit und Kriminalität) ist bei weitem nicht so umfassend wie im Bereich Bildung und fällt daher weniger umfangreich aus. In diesen Themenbereichen liegen vermutlich die größten Forschungsdefizite, aber auch Potentiale.

2 Deutschland als Einwanderungsland

Bis in das frühe 20. Jahrhundert war Deutschland eher ein Auswandererland. So verließen zwischen 1800 und 1930 etwa 7 Millionen Deutsche ihre Heimat. In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft kam es dann aufgrund der Verfolgung von Systemgegnern zu einer Reihe von Auswanderungen. Jedoch wurden auch etwa 650000 Volksdeutsche zur Übersiedlung nach Deutschland gezwungen. Von den während des NS-Regimes rekrutierten Zwangsarbeitern blieben nach 1945 nur wenige in Deutschland.2

Die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer war bis Anfang der 1960er Jahre eher gering und umfasste 1961 nur etwa 0,7 Millionen Menschen.3 In den 1950er Jahren erfuhr die Bundesrepublik einen wirtschaftlichen Aufschwung und konnte ihren Arbeitskräftebedarf nicht mehr decken. Aus diesem Grund wurden Anwerberverträge mit Italien (1955), Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1962), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968) geschlossen. In den ersten Jahren der Anwerbung kamen Gastarbeiter eher in geringem Umfang, da die innerdeutsche Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR noch nicht geschlossen war. Mit dem Mauerbau 1961 verschärfte sich das Problem des Arbeitskräftemangels allerdings und die Zahl der angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte stieg seitdem rapide an.4 1967 befanden sich bereits 1,8 Millionen (3%) Ausländer in Deutschland. Die Anwerbung der Gastarbeiter sollte nach dem Rotationsprinzip erfolgen. Demnach sollten die ausländischen Arbeitnehmer eine begrenzte Zeit in Deutschland arbeiten und dann wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren. Je nach wirtschaftlicher Notwendigkeit und Bedarf hätte dann das Anwerbeland neue Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Unter dieser Annahme bestand für die Bundesrepublik kein dringender Eingliederungsbedarf, da davon ausgegangen wurde, dass die Gastarbeiter aufgrund der begrenzten Aufenthaltsdauer nicht den Wunsch hätten, ihre Familien nachzuholen oder ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland zu verlegen.5 Für viele traf dies zu. So kamen zwischen 1955 und 1973 etwa 14 Millionen Ausländer nach Deutschland und 11 Millionen kehrten wieder in ihr Herkunftsland zurück. Jedoch ergibt sich daraus auch ein positives Wanderungssaldo von etwa 3 Millionen, so dass 1973 knapp 4 Millionen Ausländer (6,4%) in der Bundesrepublik lebten. Die Zahl der ausländischen Beschäftigten betrug im selben Jahr etwa 2,6 Millionen. Demnach waren ca. 1/3 der „Gastarbeiter“ keine Gastarbeiter, sondern abhängige Familienangehörige, wie Ehepartner und Kinder.6 Zudem waren weder Arbeitgeber noch die die ausländischen Arbeitnehmer an einer Rückkehr in das Herkunftsland interessiert. Für die Arbeitgeber war das Rotationsprinzip aufgrund immer wiederkehrender Anlernkosten ineffizient, und für die vermeintlichen Gastarbeiter hätte eine Rückkehr in das Herkunftsland oft zu einer sozialen und finanziellen Schlechterstellung geführt. Es setzte damit ein schleichender Prozess von der Arbeitsmigration zur Einwanderung ein.7 Aufgrund wirtschaftlicher Rezession und steigender Arbeitslosigkeit wurden ab 1973 keine weiteren ausländischen Gastarbeiter mehr angeworben. Die Zahl der ausländischen Beschäftigten sank in Folge dessen auf ca. 2 Millionen, jedoch blieb die Zahl der Ausländer in Deutschland bis 1978 relativ konstant auf 4 Millionen. Durch anhaltende Familiennachzüge und hohe Geburtenraten stieg die Zahl der Ausländer seit 1978 stetig an.

In Folge der Familienbildungs- und Familienzusammenführungsprozesse veränderte sich auch die Sozialstruktur der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer. Während die Gastarbeiter meist männlich waren, stieg nun durch die Nachzüge auch der Frauenanteil. So lag dieser in den 1960er bei nur 31% und 1980 bereits bei 44%. Auch die Altersstruktur unterlag Veränderungen (Abbildung 2.1). So nahm insbesondere der Anteil der unter 18-jährigen deutlich zu und stieg im Zeitraum von 1970 bis 1982 um 10 Prozentpunkte von 22% auf 32%. Auch die Zahl der älteren Ausländer stieg an. So waren 1971 etwa 18,6% in der Altersgruppe 40 und älter, während es 1982 24,4% waren.8

Abbildung 2.1: Alterstruktur der ausländischen Bevölkerung 1970, 1974 und 1982

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006, Fachserie 1, Reihe 1.3

Die Niederlassungsabsichten der Gastarbeiter und ihrer Familien stellten die Bundesregierung jedoch vor zahlreiche Probleme. So musste man zu Beginn der Anwerberphase lediglich für die Arbeits-, Wohn- und Freizeitbedingungen von allein stehenden Männern sorgen, während es seit den 1970er ganze Familien mit Bleibeabsichten in das Alltagsleben, Schulsystem und Rechtssystem zu integrieren galt. Im Jahr 1978 wurde mit den Beauftragten der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen die politische Institution gebildet, die sich fortan mit Fragen der Integration beschäftigen sollte.9

Seit den 1980er Jahren kam es zu einem erhöhten Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern10 nach Deutschland, der 1992 mit 438 000 Asylanträgen seinen Höhepunkt erreichte. Infolge dessen wurde der Artikel 16a des Grundgesetzes – das Recht auf Asyl – um die Drittstaatenregelung erweitert. Diese besagt, dass Asyl nicht gewährt wird, wenn der Antragsteller zwar im ursprünglichen Herkunftsland verfolgt wird, aber über einen als sicher geltenden Drittstaat nach Deutschland einreisen will. Seitdem ist ein stetiges Absinken der Asylbewerberzahlen zu beobachten. Wobei auch beachtet werden muss, dass dieser Rückgang nur zum Teil durch die Gesetzesänderung erklärt werden kann. Durch eine relative Stabilisierung der osteuropäischen Staaten und Beendigungen der Kriegshandlungen im ehemaligen Jugoslawien milderte sich der Zustrom an Flüchtlingen aus diesen Gebieten. Zudem wird erst seit 1994 zwischen Erst- und Folgeanträgen unterschieden – vor dieser Trennung kam es quasi zu Mehrfachzählungen von Anträgen eines Antragstellers, wenn dieser in mehreren Jahren Asylanträge gestellt hat. 1998 sank die Zahl der Asylsuchenden erstmals unter 100 000 und liegt nunmehr (2006) bei etwa 21 000 Erstanträgen (Insgesamt: 30 100), wobei die Gesamtablehnungsquote 57,8% beträgt.11

Die dritte große Einwanderergruppe in Deutschland sind die deutschstämmigen (Spät)Aussiedler. Bereits in den 1950er Jahren wurden deutschstämmige Aussiedler von beiden deutschen Regierungen aufgenommen. Bis zum Jahr 2005 kamen etwa 4,5 Millionen Aussiedler nach Deutschland. Allerdings wurden sie erst Ende der 1980er quantitativ bedeutsam. Aufgrund der politischen Zweiteilung der Welt durch den „Eisernen Vorhang“ und administrativen Hindernissen war es schwierig, aus den osteuropäischen Staaten auszuwandern. So kamen 1987 etwa 79 000 Aussiedler nach Deutschland, während es 1988 bereits 202 000 waren. Der Höhepunkt wurde 1990 mit knapp 400 000 eingereisten Aussiedlern erreicht. Auch hier kam es 1992/1993, wie bei der Asylbewerberpolitik, zu restriktiven Gesetzesänderungen. Seitdem sind die Zahlen rückläufig und lagen 2005 bei 35 500 eingewanderten Spätaussiedlern. Von den insgesamt 4,5 Millionen eingereisten Aussiedlern kamen 52% aus der ehemaligen UdSSR, 32% aus Polen, 9,6% aus Rumänien, 2,3% aus dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei und 2% aus dem ehemaligen Jugoslawien.12

Seit 2000 lässt sich ein Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik beobachten. Nach den eher restriktiven Maßnahmen der 1980er und 1990er geht die Tendenz hin zu einer offeneren Politik. So wurde der Anwerberstopp gelockert. Software- und IT-Experten oder andere Spezialisten konnten mittels Green Cards und Blue Cards gezielt angeworben werden. Auch das Staatsangehörigkeitsrecht wurde reformiert. Von besonderer Bedeutung ist hier das eingeführte Geburtsortrecht (ius soli), welches besagt, dass Kinder ausländischer Eltern unter bestimmten Voraussetzungen13 die deutsche Staatsangehörigkeit mit der Geburt in Deutschland erhalten. Diese Kinder erhalten neben der deutschen, die Staatsangehörigkeit(en) der Eltern und müssen sich zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr entscheiden, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit beibehalten wollen. Durch die Ius-soli Regelung haben seit 2000 etwa 278 000 Kinder mit ausländischen Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten.14

3 In Deutschland lebende Migranten

Im Jahr 2005 lebten in der Bundesrepublik Deutschland 82,4 Millionen Menschen. Davon besitzen etwa 7,3 Millionen (9%) keine deutsche Staatsangehörigkeit. Weitere 8 Millionen Deutsche (knapp 10%) besitzen einen Migrationshintergrund. Bisher wird in der amtlichen Statistik und zahlreichen Untersuchungen der Migrationshintergrund meist nur anzureichend erfasst, da oft nur anhand der Staatsangehörigkeit zwischen Deutschen und Migranten unterschieden wird. Wenn im Folgenden der Begriff „Ausländer“ verwendet wird, beziehen sich die Angaben nur auf Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit, während Migrationshintergrund Personen mit ausländischer Nationalität und Deutsche mit Migrationshintergrund meint.

Die in Deutschland lebenden Migranten sind im Durchschnitt wesentlich jünger als die deutsche Population (Abbildung 3.1). Insgesamt 29,3% aller Personen mit Migrationshintergrund sind im Alter von 0 bis 20 Jahren, während der Anteil der Personen ohne Migrationshintergrund mit 17% deutlich niedriger ist. Differenziert man den Migrationshintergrund in dieser Altersgruppe aus, ergibt sich, dass ausländische Personen etwas häufiger (21,1%) und Deutsche mit Migrationshintergrund sehr viel häufiger (36,7%) im Alter von 0 bis 20 Jahren sind. Analog verhält es sich in der Altersgruppe 35 Jahre und älter. 66,7% der Personen ohne Migrationshintergrund befinden sich in dieser Altersspanne, während der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund bei nur 45,3% liegt.

Abbildung 3.1: Alterstruktur nach Migrationshintergrund 2005 (in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006, Fachserie 1 Reihe 2.2, eigene Berechnungen

In Hinblick auf die Geschlechterstruktur ergeben sich zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund ebenso Unterschiede (Abbildung 3.2). Während bei der einheimischen Bevölkerungsgruppe der Frauenanteil höher ist, dreht sich das Geschlechterverhältnis bei Migranten zu Gunsten der männlichen Bevölkerung. Besonders deutlich werden die Unterschiede beim Vergleich zwischen Personen ohne Migrationshintergrund und Ausländern: So liegt der Anteil der männlichen Bevölkerung in der einheimischen Population mit 48,5% deutlich unter dem Wert der ausländischen Bevölkerung (52%).

Abbildung 3.2: Geschlechterverhältnis nach Migrationshintergrund 2005 (in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006, Fachserie 1 Reihe 2.2, eigene Berechnungen

Im Vergleich zwischen der ausländischen männlichen Bevölkerung und männlichen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund in verschiedenen Altersgruppen ergibt sich Folgendes:

Abbildung 3.3: Einheimische und ausländische männliche Bevölkerung nach Altersgruppen 2005 (in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006, Fachserie 1 Reihe 2.2, eigene Berechnungen

In fast allen Altersgruppen liegt der Männeranteil bei der ausländischen Bevölkerung über dem der Einheimischen. Die größte Abweichung, mit 12,9 Prozentpunkten über dem deutschen Wert, liegt in der Altersgruppe 65 bis 75 Jahren.15 Bei männlichen Kindern und Jugendlichen in den Altersgruppen unter 5 bis 20 Jahren liegt der ausländische Wert von 0,1% (5 bis 10 Jahre) bis 2,7% (unter 5 Jahren) über dem der Kinder und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.

Betrachtet man die räumliche Verteilung von Personen mit Migrationshintergrund auf die Bundesländer, so ergibt sich, dass 95,6% auf dem früheren Bundesgebiet und Berlin leben und nur 4,7% in den neuen Bundesländern. Auch zwischen den einzelnen Bundesländern gibt es enorme Unterschiede, wie Abbildung 3.4 zeigt. So liegt der Migrantenanteil in den Stadtstaaten Hamburg (26,8%), Bremen (24,9%) und Berlin (23,4%), sowie in den Bundesländern Baden-Württemberg (25,1%), Nordrhein-Westfalen (23,6%) und Hessen (23,5%) besonders hoch und deutlich über dem Durchschnitt des früheren Bundesgebiet (21,3%), während ihr Anteil in Schleswig-Holstein (12,6%), Niedersachsen (16%) und Rheinland-Pfalz (17,5) geringer ausfällt.

Abbildung 3.4: Anteil der Personen mit Migrationshintergrund 2005 nach Ländern

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006, Fachserie 1 Reihe 2.2, eigene Berechnungen

Bezogen auf die Siedlungsstruktur ergibt sich, dass Migranten häufiger in Großstädten (über 100 000 Einwohner) leben als Personen ohne Migrationshintergrund. Während 28% der Nicht-Migranten in Großstädten leben, sind es bei Personen mit Migrationshintergrund 43,6% bzw. 49,5% bei Personen ausländischer Nationalität.

Betrachtet man die ethnische Herkunft der in Deutschland lebenden Migranten anhand von aktueller oder früherer Staatsangehörigkeit, lassen sich neun quantitativ bedeutsame Herkunftsländer identifizieren (Abbildung 3.5): Türkei (2,4 Mio.), Russische Förderation (1 Mio.), Polen (763,4 Tsd.), Italien (670,5 Tsd.), Serbien und Montenegro (387,4 Tsd.), Kroatien (355,3 Tsd.), Rumänien (323,8 Tsd.), Griechenland (351,1 Tsd.) und Bosnien und Herzegowina (294,5 Tsd.).

Abbildung 3.5: Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Herkunftsnationalität 2005 (in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006, Fachserie 1 Reihe 2.2, eigene Berechnungen

Vergleicht man die unterschiedlichen Herkunftsethnien mit Personen ohne Migrationshintergrund in der Altergruppe 0 bis unter 20 ergibt sich folgendes Bild: Personen türkischer und serbischer oder montenegrischer Herkunft befinden sich deutlich häufiger (27,8% und 26,3%), mit bosnisch/herzegowischer und italienischer Herkunft etwas häufiger (19,7% und 18,3%) als Personen ohne Migrationshintergrund im Alter von 0 bis 20 (17%). Personen kroatischer und polnischer Herkunft sind dagegen mit 14,2% und 8,3% deutlich seltener in dieser Altersgruppe.

4 Bildung

Das Thema der Bildungsbenachteiligung von Migrantenkindern ist in der Sozialwissenschaft seit geraumer Zeit als Problemfeld bekannt.16 Die öffentliche Diskussion erreichte es erst eindringlich mit den Veröffentlichungen der ersten PISA17 -Ergebnisse 2000. Im Folgenden werden die entscheidenden Bildungsetappen betrachtet und Ursachen für das schlechtere Abschneiden von Migranten im deutschen Bildungssystem aufgezeigt.

4.1 Bildung im Elementarbereich

Der Besuch von außerhäuslichen Betreuungseinrichtungen hat nachweislich positive Auswirkungen auf die weitere Entwicklung kognitiver, sozialer, emotionaler, körperlicher und sprachlicher Kompetenzen von Kindern. Darüber hinaus sind die ersten sechs Lebensjahre die entscheidenden Bildungsjahre, da in diesem Zeitraum die Lern- und Aufnahmefähigkeit besonders hoch ist.18 Demnach kann man von positiven Bildungseffekten der vorschulischen Betreuung ausgehen. Bestehende Chancen-ungleichheiten im deutschen Bildungssystem, können durch kompensatorische Erziehung und Bildung vermindert werden. Daher spielt vorschulische Betreuung und Bildung insbesondere im Migrationskontext eine entscheidende Rolle.19

Jedoch werden seit Jahrzehnten in der amtlichen Statistik, sowie diversen Untersuchungen auf Basis von Individualdatensätzen geringere Besucherquoten für Migrantenkinder konstatiert, obwohl sie ihre Startchancen in eine erfolgreiche Bildungskarriere durch außerhäusliche, vorschulische Betreuung deutlich verbessern können.

Im Folgenden werden einige Ergebnisse aus der amtlichen Statistik und Studien präsentiert, wobei es hierbei nicht auf direkte Vergleichbarkeit ankommen soll, sondern vielmehr darum, möglichst viele verschiedene Aspekte zu betrachten. Anschließend werden Erklärungen für die geringeren Besucherquoten aufgeführt.

4.1.1 Amtliche Statistik

Seit 2006 werden in den Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Kindertageseinrichtungen deutlich detaillierter und jährlich (vorher alle 4 Jahre) erfasst. So werden für jedes einzelne Kind u.a. Betreuungszeiten, Mittagsverpflegung und der Migrationshintergrund erfragt. Dieser wird bestimmt durch das ausländische Herkunftsland von mindestens einem Elternteil, sowie über die vorwiegend zu Hause gesprochene Sprache.

Leider kann derzeit das Potential der neuen Daten (noch) nicht im vollen Maß genutzt werden, da es Probleme bezüglich der Vergleichbarkeit mit anderen Fachserien (z.B. Fachserie 1, Reihe 2.2) des Statistischen Bundesamts gibt. So kommt es zu Problemen aufgrund unterschiedlicher Stichtage, Definition des Migrationshintergrundes sowie der Zusammenstellung der Altersgruppen.

In Tabelle 4.1 wurden anhand der Kinder- und Jugendhilfestatistiken (Stichtag 15.3.2006) und Daten aus der Fachserie 1, Reihe 2.2 des Statistischen Bundesamts20 (Stichtag 31.12.2006) die Besucherquoten für Nicht-Schulkinder nach Migrationshintergrund in den jeweiligen Altersgruppen berechnet.

Es ist deutlich zu sehen, dass Kinder ohne Migrationshintergrund früher eine Kindertageseinrichtung besuchen als Kinder mit Migrationshintergrund. So liegt die Inanspruchnahme in der Altersgruppe der 2- bis unter 3-Jährigen bei Nicht-Migranten mit 34,21% deutlich über dem Wert der Migrantenkinder (11,79%). Während bei Kindern ohne Migrationshintergrund bereits im Alter von 4 bis 5 Jahren nahezu jeder eine Tageseinrichtung besucht, steigt bei Migrantenkinder der Anteil erst kurz vor der Einschulung im Alter von 5 bis 6 Jahren auf höheres Niveau (72,25%), wenn auch immer noch deutlich unter den Werten für deutsche Kinder. Einschränkend muss man an dieser Stelle jedoch noch sagen, dass Migrantenkinder zunehmend spezielle Vorklassen zur Vorbereitung für die Schule besuchen und dann bereits in der Statistik unter Schulkinder geführt werden. Der exakte Anteil der Migrantenkinder auf welche dies zutrifft, kann bei vorliegenden Daten allerdings nicht bestimmt werden.

Tabelle 4.1: Besucherquoten der Nicht-Schulkinder in einer Kindertageseinrichtung nach Migrationshintergrund

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2007, Fachserie 1, Reihe 2.2; Kinder- und Jugendhilfestatistik, 2007; eigene Berechnungen

* Aufgrund oben genannter Einschränken der Vergleichbarkeit der Datengrundlage kam es in dieser Altersgruppe bei Kindern ohne Migrationshintergrund zu unlogischen Ergebnissen und wurden daher nicht aufgenommen

Vergleicht man die durchschnittliche tägliche Betreuungszeit von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund (Tabelle 4.2) ergeben sich keine deutlichen Unterschiede. Bei einer vereinbarten Betreuungszeit von bis zu 7 Stunden findet diese überwiegend am Vormittag statt. Tendenziell könnte man sagen, dass wenn Migrantenkinder eine Kindertageseinrichtung besuchen, die vereinbarte Betreuungszeit pro Tag etwas höher ist. Und offenbar wird häufiger die Betreuungszeit verteilt auf Vormittag und Nachmittag. Eventuell spielen hier kulturelle Faktoren eine Rolle (siehe Abschnitt 4.1.3.4), wie beispielsweise der Wunsch der Eltern, dass ihre Kinder typische Nationalgerichte zum Mittag bekommen.

Tabelle 4.2: Durchschnittliche vereinbarte Betreuungszeit pro Tag 2006

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistik der Kinder- und Jugendhilfe 2007, eigene Berechnungen

4.1.2 Ergebnisse weiterführender Studien

Joos (2005) analysierte das Nutzungsverhalten außerhäuslicher Betreuungseinrichtungen von deutschen, türkischen und russischen Kindern auf der Datenbasis der Haupterhebung (2002), sowie der Zusatzstichprobe (2003) des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Der Migrationshintergrund der Kinder wird hierbei anhand des Geburtslandes der Mutter ermittelt, so dass auch bereits eingebürgerte Migrantenkinder identifiziert werden konnten.21

Für die meisten deutschen Kinder (95,3%) ist der Besuch einer Kindertageseinrichtung erster Baustein in der Bildungsbiographie. Bei türkischen und russischen Kindern wird diese Ausprägung nicht erreicht (Tabelle 4.3), wobei man die Ergebnisse auch dahingehend interpretieren kann, dass immerhin für über 4/5 der türkischen und russischen Kinder ein Kindergartenbesuch zum Teil der Bildungsbiographie geworden ist.22

Tabelle 4.3: Kindergartenbesuch (in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Joos, 2005, S. 13

Betrachtet man zusätzlich noch den Besuch einer Vorschule, ergibt sich folgendes Bild. Insgesamt besuchten 18,2% aller untersuchten Kinder eine Vorschule. Jedoch ergeben sich deutliche ethnische Differenzen. Während nur 13,6% der deutschen Kinder eine Vorschule besuchten, waren es unter den türkischen 21,9% und bei den russischen Kindern 28,8%. Joos untersuchte in einem weiteren Analyseschritt, welche der Kinder, die nicht im Kindergarten waren, zumindest eine Vorschule besuchten. Von den türkischen Kindern ohne Kindergartenerfahrung besuchten 25,6% eine Vorschule, während es bei den russischen Kindern mit 46,3% deutlich mehr waren. Bei den deutschen Kindern ohne Kindergartenbesuch waren es dagegen nur 23,1%. Daraus ergibt sich, dass zumindest ein Teil der Kinder ohne Kindergartenbetreuung institutionelle Betreuung in Form eines Vorschulbesuches erfahren.23

Im nächsten Analyseschritt sollte geklärt werden, wie viele der untersuchten Kinder überhaupt keine Form der institutionellen Betreuung erfahren haben. Aus dem hierfür gebildeten Index, bestehend aus institutioneller Betreuung in Form von Kindergarten und/oder Vorschule, sowie weder Kindergarten noch Vorschule, ergibt sich folgende Verteilung (Tabelle 4.4)

Tabelle 4.4: Form der institutionellen Betreuung der drei Kindergruppen in %

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Joos, 2005, S.14

Demnach erfahren 14,1% der türkischen Kinder keine Form einer institutionellen Betreuung, während es bei den russischen noch 8,1% der untersuchten Kinder sind. Demgegenüber steht eine Minderheit von 4,0% der deutschen Kinder, die keine vorschulische Bildung erfahren. Daraus folgt, dass es insbesondere türkischen Kindern an einem wichtigen und oftmals fachlich empfohlenen Grundstein einer erfolgreichen Bildungskarriere fehlt.24

Becker/Tremel (2006) untersuchten auf der Datenbasis des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) unter anderem die Inanspruchnahme von vorschulischen Betreuungseinrichtungen.25 Darunter werden Kinderkrippen, Kindergärten, Kindertageseinrichtungen und Vorschulen verstanden. Wie Abbildung 4.1 zeigt, weisen Migrantenkinder gegenüber ostdeutschen Kindern deutlich niedrigere und gegenüber westdeutschen Kindern etwas niedrigere Besucherquoten auf. Während durchschnittlich 80,5% der deutschen Kinder eine außerhäusliche Betreuung erfahren haben, waren es bei Kindern mit Migrationshintergrund nur 67%. Der Umkehrschluss aus diesen Besucherquoten ergibt, dass 33% der untersuchten Migrantenkinder keine Form der institutionellen Betreuung erfahren haben. Auch wenn keine direkten Vergleiche mit den Ergebnissen von Joos möglich sind, ist der Unterschied auffällig.

Abbildung 4.1: Besuch von vorschulischen Betreuungseinrichtungen der 3- bis 7-jährigen Kinder vor der Einschulung (SOEP, 1984-2003)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Becker/Tremel, S. 405

Auch Becker/Tremel stellten in ihren Analysen fest, dass mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, eine Kindertageseinrichtung zu besuchen, steigt.26 In Tabelle 4.5 werden die Abstromprozente der betrachteten Gruppen nach Altersjahren aufgeführt. Die meisten Kinder besuchen im Alter von 6 Jahren eine vorschulische Betreuungseinrichtung. Die Unterschiede zwischen ausländischen und deutschen Kindern sind jedoch in dieser Altersgruppe mit 19,5 (altes Bundesgebiet) und 18,4 (neues Bundesgebiet) Prozentpunkten deutlich ausgeprägter, als auf der Datenbasis des DJI.

Tabelle 4.5: Besuch einer Betreuungseinrichtung nach Alter (Abstromprozent)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Becker/Tremel, 2006, S. 405

Es wurden in diesem Abschnitt verschiedene Datenquellen zur Kindertagesbetreuung betrachtet. Auch wenn man bezüglich der Vergleichbarkeit, wie erwähnt, Einschränkungen machen muss, so konstatieren alle Daten und Analysen, dass die Beteiligung von Migrantenkindern an außerhäuslicher Betreuung niedriger als bei deutschen Kindern ist. Daher soll sich im folgenden Abschnitt mit den Ursachen der niedrigeren Besucherquoten beschäftigt werden.

4.1.3 Ursachen für geringere Beteiligung an außerhäuslicher Betreuung

Kinder beginnen mit unterschiedlichen Voraussetzungen ihre Schullaufbahn. Die Fähigkeiten und der Wissensbestand eines Kindes hängen in erster Linie von seiner Sozialisation ab. Hierfür wichtig sind vor allem bildungsrelevante Ressourcen des Elternhauses. Schon im Vorschulalter wirken Effekte der sozialen Herkunft auf die Entwicklung eines Kindes. Damit unterscheiden sich Chancen und Potentiale einer erfolgreichen Schullaufbahn schon vor der Einschulung. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dass benachteiligte Kinder außerfamiliäre Lernkontexte erfahren, da durch diese negative Sozialisationseffekte kompensiert werden können. Die Unterschiede in Fähigkeiten und Wissensbestand schon vor Schulbeginn sind als Spiegelbild sozialer Ungleichheit zu verstehen, da benachteiligte Familien oftmals über weniger bildungsrelevante Ressourcen verfügen.27 Bei Migrantenfamilien kommen noch migrationsspezifische Ungleichheitsfaktoren und Sozialisationsbedingungen hinzu. So erschwert der Mangel an sprachlichen und kulturellen Ressourcen die (Bildungs-)Situation von Kindern mit Migrationshintergrund noch zusätzlich. Dabei ist gerade der Besuch einer außerhäuslichen Betreuungseinrichtung eine günstige Gelegenheit, um die deutsche Sprache und Kultur kennen zu lernen und diese ungünstigen Startchancen schon vor Schulbeginn auszugleichen. Zudem kann ein früher Kontakt zum deutschen Bildungssystem auch positive Einflüsse auf die Eltern haben, da eventuelle Vorbehalte und Ängste abgebaut werden können und sich auch langfristig die Bildungserwartung an die Kindern verändern kann. Positive Erfahrungen in vorschulischen Einrichtungen können dazu führen, dass Eltern ihren Kindern mehr zutrauen und sie zu höheren Bildungsabschlüssen motivieren. Dies führt bei den Kindern wiederum zu einem erhöhten Vertrauen in die eigene Leistung, welches sich positiv auf die Schulleistung auswirken kann.28

Jedoch können unter bestimmten Umständen auch negative Effekte aus dem Besuch einer außerhäuslichen Betreuungseinrichtung entstehen, da nicht jede Einrichtung für Migrantenkinder ein günstiges Lernklima bietet. Damit ist es auch möglich, dass sich durch die Wahl einer ungeeigneten Einrichtung Leistungsunterschiede zwischen deutschen und Migrantenkindern noch vergrößern können. Ob sich Familien mit Migrationshintergrund dann aber für die günstigere Einrichtung entscheiden, ist eher fraglich, aufgrund mangelnder bildungsrelevanter Ressourcen. Diese bildungsrelevanten Faktoren, die die Wahl einer außerhäuslichen Betreuungseinrichtung beeinflussen, lassen sich unterscheiden in (1) ökonomische Faktoren, (2) soziale Netzwerke (3) Informations- und Wissensstand über das Betreuungssystem und (4) normative und kulturelle Einflussfaktoren, wobei es teilweise zu Überlappungen kommt.

4.1.3.1 Ökonomische Faktoren

Der Besuch einer vorschulischen Betreuungseinrichtung ist mit finanziellen Aufwendungen verbunden. Der private Finanzierungsanteil beträgt in Deutschland 37% und ist somit deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 17%. Wenn man bedenkt, dass Familien mit Migrationshintergrund meist über geringere finanzielle Ressourcen verfügen, ergibt sich, dass vorschulische Bildungsinvestitionen für Migrantenfamilien deutlich höher ausfallen als für Einheimische.29 So äußersten rund 40% der befragten Türken, Griechen, Ex-Jugoslawen und Italiener in der Repräsentativuntersuchung 2001 des Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung den Wunsch, dass Kindergärten kostenfrei sein sollten.30

Gerade für Migrantenkinder ist ein Kindergartenbesuch aufgrund der ungleichen sozialen und ökonomischen Situation besonders wichtig, um eventuelle kognitive, soziale und sprachliche Defizite auszugleichen. Aus diesem Grund ist die gesetzliche Situation als problematisch anzusehen, denn es gibt keine einheitlichen Regelungen zu den elterngetragenen Finanzierungsanteilen in den Bundesländern. Zwar wird der Rahmen durch das achte Sozialgesetzbuch (SGB VIII) gegeben, da §90 vorsieht, dass Teilnehmerbeiträge oder Gebühren nach Einkommensgruppen und Kinderzahl gestaffelt und auch erlassen werden können, jedoch untersteht die Ausführung des Sozialgesetzbuches der Ländergesetzgebung.31 Das bedeutet, dass es zwischen den Bundesländern enorme Unterschiede gibt, ob und in welchen Umfang die Elternbeiträge gesetzlich geregelt sind. So ist beispielsweise im Saarland und Mecklenburg-Vorpommern das letzte Kindergartenjahr kostenfrei. Andere Bundesländer verankern gesetzlich, dass die Elternbeiträge sozialverträglich nach Einkommen und Kinderzahl gestaffelt werden müssen (z.B. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen). In Sachsen und Rheinland-Pfalz wird dagegen eine prozentuale Grenze gesetzlich vorgegeben, die nicht überschritten werden darf. In einigen Bundesländern erfolgt keine gesetzliche Verankerung der Elternbeiträge. So werden beispielsweise in Bayern und Hessen die Elternbeiträge von der jeweiligen Einrichtung festgelegt.32

Die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen der Länder haben offensichtlich einen Einfluss auf die Inanspruchnahme von Kindertageseinrichtungen. Dies wird deutlich, wenn man den Anteil ausländischer Kinder an den prinzipiell kostenfreien Schulkindergärten und/oder Vorschulen in den oben genannten Bundesländern33 vergleicht. Bundesländer mit eher sozialverträglichen Gesetzesregelungen34 liegen unter dem Durchschnitt (früheres Bundesgebiet) von 21,1% So ist im Saarland, seit der Einführung des kostenfreien letzten Kindergartenjahres im Jahr 2000, der Anteil von 27,7% auf 18,4% (2005/2006) gesunken. Auch Niedersachsen und Rheinland-Pfalz liegen mit 18,9% und 14,3% unter dem Durchschnitt, während in Hessen der Anteil an ausländischen Kindern in Schulkindergärten mit 28,2% deutlich darüber liegt.35

Die Erwerbstätigkeit der Mutter hat neben den direkten Kosten auch Einfluss auf den Besuch einer außerhäuslichen Betreuungseinrichtung.36 Prinzipiell steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind extern betreut wird an, wenn die Mutter erwerbstätig ist, da die Mutter bei einer Berufstätigkeit mehr Zeit auf dem Arbeitsmarkt verbringt und weniger Zeit für die Kinderbetreuung zur Verfügung steht. Die Erwerbstätigkeit der Mutter hängt wiederum u.a. vom erwartbaren Einkommen, Preis der externen Kinderbetreuung und Zahl der Kinder ab.37 Wenn das erwartbare Einkommen hoch ist und die Kosten für die externe Kinderbetreuung nicht übersteigt, wird Kinderbetreuungszeit mit Arbeitszeit substituiert, da dies mehr Nutzen generiert. Mit steigender Kinderzahl erhöhen sich auch die Kosten für die externe Kinderbetreuung, während bei häuslicher Kinderbetreuung sich die Kosten für die Mutter auch bei mehreren Kindern kaum erhöhen. Bezogen auf Mütter mit Migrationshintergrund kann man sagen, dass zumindest die Zahl der Kinder und das erwartbare Einkommen einen negativen Effekt auf die Erwerbsbeteiligung haben und somit auch die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass Migrantenkinder eine außerhäusliche Betreuungseinrichtung besuchen. Denn generell haben Frauen mit Migrationshintergrund aufgrund schlechterer Bildungsabschlüsse eher ungünstigere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und das erreichbare Einkommen wird entsprechend niedrig ausfallen. Zudem ist die Kinderzahl in Migrantenfamilien meist höher, welches die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit aufgrund höherer Kosten für eine externe Betreuung zusätzlich reduziert.

[...]


1 Statistisches Bundesamt, 2008, Fachserie 1, Reihe 2.2

2 Münz, 2001, S.171

3 Hradil, 2005, S.332

4 BMFSFJ, 2000, S.34

5 Hradil, 2005, S.334

6 Diefenbach, 2004, S.226

7 Hradil, 2005, S.335

8 Statistisches Bundesamt, 2006, Fachserie 1, Reihe 1.3

9 Hradil, 2005, S.335

10 Laut der Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Flüchtling eine „Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.“ (UNHCR, http://www.unhcr.at/grundlagen/genfer-fluechtlingskonvention.html, Stand 29.08.2007)

11 BAMF, 2006, S.8ff.; BMFSFJ, 2000S. 44ff; Müller, 2005, S.23

12 Hradil, 2005, S.338/339; Müller, 2005, S.19/20

13 Mindestens ein Elternteil muss mindestens rechtmäßig acht Jahre in Deutschland leben und eine Aufenthaltsberechtigung oder mindestens drei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis besitzen. (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2005, S.334)

14 Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, 2002, S. 54/346

15 Im Laufe der Anwerbung von Gastarbeitern in den 1950er bis 1970er Jahren kamen vor allem junge Männer in die BRD.

16 Z.B. Castles, 1980; Alba et al., 1994

17 Programme for International Student Assessment

18 Kunze/Gisbert, 2005, S.43; Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2005, S.38

19 Becker/Tremel, 2006, S.399

20 Auf Anfrage beim Bundesamt wurden die Hilfstabellen zu den Alterspyramiden zur Verfügung gestellt.

21 Insgesamt wurden die Angaben von 1.403 Müttern in den Analysen berücksichtigt. Von ihnen hatten 20,1% einen türkischen und 20,0% einen russischen Migrationshintergrund. (Joos, 2005, S.9)

22 Joos, 2005, S.13

23 Ebd. S.14

24 Joos, 2005, S. 14

25 Untersucht wurden im Zeitraum von 1984 bis 2003 Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren, bevor sie eingeschult wurden. (Becker/Tremel, 2006, S.402)

26 Becker/Tremel, 2006, S.405

27 Becker, 2007, S.1

28 Joos, 2005, S.10; Becker, 2007, S.2; Becker/Tremel, 2006, S.399

29 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2005, S.39

30 BMAS, 2002, S.40

31 DJI, 2005, S. 17

32 Ebd. S.28

33 Ohne Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, aufgrund des geringen Anteils an ausländischen Schülern; ohne Bayern, weil in der bayrischen Schulstatistik Schulkindergärten nicht ausgewiesen werde.

34 Mit sozialverträglichen Regelungen sind solche gemeint, die eine Beitragsstaffelung und/oder Erlassung vorsehen oder eine angemessene Beitragsgrenze setzen.

35 Statistisches Bundesamt 2006, Fachserie 11 Reihe 1

36 Dieser Erklärungsansatz begründet sich auf den Ideen der ökonomischen Theorie der Familie, die die Frage ob ein Kind extern betreut wird, anhand von der Erwerbstätigkeit der Mutter untersucht. Unter Restriktionen (Zeit, monetäre Beschränkungen) versuchen Familien ihren Nutzen zu maximieren. Zeit ist ein knappes Gut und sie muss optimal auf Arbeit, Freizeit und Kinderbetreuung aufgeteilt werden. (Becker, 2007, S.3)

37 Allerdings ist hier die Richtung des Kausalzusammenhang noch etwas unklar: Werden Kinder in eine Kindertageseinrichtung geschickt, weil die Mutter arbeiten will, oder geht die Mutter arbeiten, weil das Kind extern betreut wird und sie damit mehr Zeit für eine Erwerbsarbeit hinzugewonnen hat? (Becker, 2007, S.6)

Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland
Untertitel
Eine Beschreibung ihrer Lebenssituation
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Institut für Soziologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
73
Katalognummer
V301008
ISBN (eBook)
9783656971122
ISBN (Buch)
9783656971139
Dateigröße
837 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Migration, Kinder, Jugendliche, Ungleichheit, Bildung, Lebenssituation, Armut, Wohnen, Gesundheit, Kriminalität
Arbeit zitieren
Elisabeth Richter (Autor:in), 2008, Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301008

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