Formen und Funktionen des utopischen und dystopischen Diskurses in Christian Krachts Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten"


Hausarbeit, 2014

20 Seiten, Note: 2,0

Julia Löwe (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Utopie – kurze Begriffs- und Literaturgeschichte
2.1. Utopie und Dystopie: Begriffsgeschichte
2.2. Kurze Geschichte der Gattung „Utopie“ in der deutschsprachigen Literatur und Bedeutungsvielfalt

3. Utopische Elemente im Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“
3.1. Figuren mit utopischen Zügen
3.2. Anspielungen auf fiktionale Utopien im Roman
3.3. Anspielungen auf reale utopische Projekte
3.4. Intertextuelle Anspielungen auf dystopische Fiktionen
3.5. Intertextuelle Verweise auf Aspekte der Realgeschichte

4. Erzähltextanalyse
4.1. Formale Gliederung des Romans
4.2. Ort und Zeit der Romanhandlung
4.3. Erzählergestaltung (nach Martinez/Scheffel)

5. Formen und Funktionen des utopischen und dystopischen Diskurses im Roman – Zusammenfassung der Ergebnisse

6. Literaturverzeichnis
6.1. Primärliteratur
6.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

In der darstellenden Literatur rückt der konkrete philosophisch-politische Entwurf einer perfekten und besseren Gesellschaft, vor allem seitdem das Werk „Utopia“ von Thomas Morus im Jahr 1516 auf den Markt kam, immer mehr in den Fokus.1 Die Vorstellung einer perfekten und somit utopischen Gesellschaft wurde seither in vielen Romanen verwirklicht; sei es von Tommaso Campanella, William Morris, Ernest Callenbach oder Doris Lessing – alle haben neue Welten konstruiert, bessere Zukunftsmodelle entwickelt und dadurch die aktuelle gesellschaftliche Lage kritisiert.2

Auch im Roman von Christian Kracht Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten3 sind utopische und dystopische Elemente verwirklicht, und eine neues Weltbild wurde geschaffen: Es herrscht seit 96 Jahren Krieg (vgl. IW 13). Die uns gegenwärtig als meist neutral bekannte Schweiz wurde zur Sowjetrepublik und befindet sich im Krieg mit den faschistischen Mächten Deutschland und England. Die Afrikaner wurden von den Schweizern als Soldaten ausgebildet, was auch auf den Protagonisten der Handlung zutrifft (vgl. IW 57).

IW ist „eine alternative Version der Geschichte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart“, welche nicht der Realität entspricht und große Nähe zur Science-Fiction aufweist, was utopische und dystopische Elemente belegen.4 Die nachfolgende Hausarbeit beschäftigt sich daher mit der Frage nach den Formen und Funktionen des utopischen und dystopischen Diskurses im Sonnenschein-Roman, das heißt, dass die unterschiedlichen utopischen Elemente in ihrer Form erläutert werden und ihre Funktion, also ihre Wirkung im Roman, im Hinblick auf Utopie und Dystopie herausgearbeitet wird.

Um eine umfassende Analyse utopischer und dystopischer Elemente in literarischen Werken zu verwirklichen, müssen zunächst die Begrifflichkeiten geklärt werden. Aus diesem Grund beschäftigt sich das zweite Kapitel mit den grundlegenden Fakten: Nennung und Erläuterung der Begriffe Utopie und Dystopie, Herkunftsbeschreibung, Werdegang und Verwendung dieser.

Das darauf folgende dritte Kapitel unterteilt die im Roman vorhandenen utopischen Elemente in kleinere Abschnitte, welche die Figurenhandlungen mit utopischen Zügen (3.1.), die Anspielung auf fiktionale Utopie im Roman (3.2.), die Anspielung auf reale utopische Projekte (3.3.), die intertextuelle Anspielung auf dystopische Fiktionen (3.4.) und die intertextuellen Verweise auf Aspekte der Realgeschichte (3.5.) sind.

Es besteht nun noch die Notwendigkeit einer systematischen Überprüfung der utopischen und dystopischen Elemente im Hinblick auf ihre erzählerische Einbettung im Text. Diesbezüglich werden im vierten Kapitel die Punkte „Formale Gliederung“ (4.1.), „Ort und Zeit der Romanhandlung“ (4.2.) sowie die „Erzählergestaltung (nach Martinez/ Scheffel)“ (4.3.) untersucht. Eine Zusammenfassung der systematischen Analyse und deren Ergebnisse werden im Hinblick auf die Ausgangsfrage im fünften Kapitel erläutert.

Ein Verzeichnis der benutzten und zitierten Primär- und Sekundärliteratur und die Selbständigkeitserklärung schließen die Arbeit ab.

2. Utopie – kurze Begriffs- und Literaturgeschichte

2.1. Utopie und Dystopie: Begriffsgeschichte

Der Begriff Utopia, woraus sich später der Begriff Utopie entwickelt, stammt von der Zusammensetzung der griechischen Begriffe ού [ou = „nicht“] und τοπος [topos = Ort], also Nicht- Ort, ab.5 Durch einen Aussprachefehler der Engländer wurde aus dem griechischen ού die Ableitung vom griechischen Wort εύ [eu = „schön“] und dadurch entstand die Übersetzung „schöner/guter Ort“.6

Ursprünglich war die Utopie Gegenstand der soziologischen und philosophischen Forschung und wurde erst später zum Thema darstellender Literatur durch den „konkrete[n] philosophisch-politische[n] Entwurf einer (idealen, anderen) Gesellschaft“, insbesondere bei Romanen.7 Die Vorstellung einer idealen Gesellschaft ruft bald auch die Vorstellung einer von Grund auf schlechten Gesellschaft hervor und dadurch entsteht das Gegenteil der Utopie, die „Anti-Utopie, Dystopie oder negative bzw. schwarze Utopie“.8

2.2. Kurze Geschichte der Gattung „Utopie“ in der deutschsprachigen Literatur und Bedeutungsvielfalt

Im Laufe der Zeit haben sich zwei Grundtypen der Utopie entwickelt: die ältere und die neuere Version der Utopie. Bei der traditionellen, älteren Version wird ein schwer zugänglicher und fremder Ort beschrieben, der somit einen statischen Gegensatz zum realen Bild darstellt. Dem entgegen steht die neuere Variante, welche sich mit der Darstellung der utopischen Gesellschaft der Zukunft beschäftigt.9

Die ältere Darstellung lässt sich zeitlich vor allem ins 16., 17. und 18. Jahrhundert verorten, während die neuere Ausführung durch den technischen Fortschritt der heutigen Zeit geprägt ist. Dadurch entspricht die neuere Version eher Science-Fiction-Romanen, die den rasanten technischen Fortschritt gedanklich weiterentwickeln, oder Dystopien, um aktuelle gesellschaftliche Missstände zu kritisieren.10

Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Utopie wurde weiter ausgedehnt und kann nun, laut Friedrich, in verschiedene Verwendungsweisen unterteilt werden:

Die erste Bedeutung lässt sich auf den Namensgeber Thomas Morus zurückführen und beschreibt das von ihm entwickelte Gemeinwesen, beziehungsweise sein literarisches Werk. Morus‘ Konzept wird im 16. und 17. Jahrhundert weiterentwickelt und wird zu einem „fiktiven Ort und damit zu einer geographischen Metapher“.11

Während im 18. Jahrhundert der Begriff Utopie im Lexikon als „Schlaraffenland“ ausgezeichnet ist, erfährt die Bedeutung im 19. Jahrhundert eine gravierende Wende. „Frühsozialistische Entwürfe werden polemisch als ‚unrealisierbare Vorstellungen‘ angegriffen“ und somit wird die Utopie als ‚Hirngespinst‘ angesehen. Zudem rückt die Science-Fiction-Literatur immer mehr in den Vordergrund und wegen „stofflicher Überschneidungen“ zwischen utopischer und Zukunftsliteratur wird diese auch als Utopie identifiziert.12

Als literarische Gattung wird die Utopie erst durch Robert von Mohl 1845 eingeführt, als Begriff setzt sie sich erst im 20. Jahrhundert durch und nur kurze Zeit darauf folgen auch Darstellungen des Gegenteils, die „Anti-Utopie, Dystopie oder negative bzw. schwarze Utopie“.13

Eingang in die sozialphilosophische Forschung als „wirklichkeitsüberschreitende und auf ein ideales Telos [= Ziel] ausgerichtete Denkhaltung“ fand die Utopie durch Gustav Landauer 1907.14

Heute versteht man allgemein gefasst den Begriff Utopie als „Modell einer idealen Gesellschaft“.15

[...]


1 Vgl. Uwe Spörl (Hg.): Utopie, in: Basislexikon Literaturwissenschaft, 2., durchgeseh. Aufl., Paderborn [u.a.] 2006, S. 170-171, hier S. 170.

2 Vgl. Andreas Kemper: Liste utopischer Romane. Die Literatur der wünschenswerten Sozialordnungen, http://andreaskemper2.wordpress.com/article/liste-utopischer-romane-8bgikaqot3ts-128/ (Art. vom 01.08. 2009) [eingesehen am 30.08.2014].

3 Christian Krachts Roman wird im Folgenden nach der Erstausgabe Christian Kracht: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2008 zitiert unter der Verwendung der Sigle IW.

4 Johannes Birgfeld & Claude D. Conter (Hg.): Die Morgenröte des Posthumanismus. ´Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten` und der Abschied von Begehren, in: Christian Kracht. Zu Leben und Werk, 1. Aufl., Köln 2009, S. 252-268, hier S. 257.

5 Hans-Edwin Friedrich: Utopie, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller, Bd. 3, 3., neubearb. Aufl., Berlin 2003, S.739-743, hier S.740.

6 Ebd.

7 Spörl: Utopie, S. 170.

8 Friedrich: Utopie, S.739.

9 Vgl. Spörl: Utopie, S. 170.

10 Vgl. ebd., S. 171.

11 Friedrich: Utopie, S.739.

12 Ebd.

13 Ebd.

14 Ebd.

15 Ebd. S.739.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Formen und Funktionen des utopischen und dystopischen Diskurses in Christian Krachts Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten"
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Universität)
Veranstaltung
Proseminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V300738
ISBN (eBook)
9783656968702
ISBN (Buch)
9783656968719
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Utopisch, Dystopisch, Kracht, Dystopie, Utopie, Ich werde hier sein im Sonnenschein und Schatten
Arbeit zitieren
Julia Löwe (Autor:in), 2014, Formen und Funktionen des utopischen und dystopischen Diskurses in Christian Krachts Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300738

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