Die Bedeutung des Zufalls in Friedrich Dürrenmatts „Das Versprechen“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1. Der literarische Zufall
2.2. Die Idee des Zufalls bei Dürrenmatt

3. Die Rolle des Zufalls in „Das Versprechen“
3.1. Dr. H.s Kritik am Kriminalroman
3.2. Das falsche Geständnis
3.3. „Einen Raubfisch mit etwas Lebendigem fangen“

3.4. Die Beichte der Frau Schrott

4. Fazit und abschließender Gedanke

5. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„Ich griff die Fabel aufs neue auf und dachte sie weiter, jenseits des Pädagogischen“1

- Friedrich Dürrenmatt

Der Roman „Das Versprechen“ erscheint im Jahre 1957, nach „Der Richter und sein Henker“ und „Der Verdacht“, als dritter Kriminalroman Dürrenmatts. Das Werk geht ursprünglich auf eine Auftragsarbeit zurück. Im Nachwort zu „Das Versprechen“ schildert Dürrenmatt die Entstehungsgeschichte:

Der vorliegende Roman ist mit dem Film, der leider den Titel 'Es geschah am hellichten Tag' führt, auf folgende Weise verknüpft: Im Frühjahr 1957 bestellte der Produzent Lazar Wechsler bei mir eine Filmerzählung. Thema: Sexualverbrechen an Kindern. Beabsichtigt war, vor dieser leider immer häufigeren Gefahr zu warnen. Ich lieferte eine Erzählung ab, eine Vorfassung des Romans, die ich später mit dem Regisseur des Filmes, Ladislao Vajda, zu einem Drehbuch verarbeitete, der sich zum größten Teil eng an die Filmerzählung hielt. Es liegt mir daran, hier festzuhalten, daß der Film meinen Intentionen im Wesentlichen entspricht, daß der Roman einen andern Weg gegangen ist, stellt keine Kritik an der hervorragenden Arbeit des Regisseurs dar. Der Grund liegt allein darin, daß ich mich nach der Fertigstellung des Drehbuches noch einmal an die Arbeit machte.2

Wieso er sich noch einmal an die Arbeit machte, erläutert Dürrenmatt in seinem autobiographischem Werk „Stoffe“. Während der Produzent Wechsler einen „moralischen Film“ wollte, war Dürrenmatts Absicht dem Stoff einen „Dreh“ zu geben,

der die Suche nach dem Mörder, all den Scharfsinn des Detektivs und die Falle, die er dem Verbrecher stellte absurd erscheinen läßt, weil der Mörder längst tot ist, diese Wendung gegen die Gesetze des Kriminalromans, nach welchen ein Mörder nicht sterben darf, bevor er entdeckt worden ist, war gegen die Abmachung. Wollte Wechsler eine logische, berechenbare Handlung, faszinierte mich die Möglichkeit, eine grundsätzlich unberechenbare Welt aufzuzeigen, an der eine grundsätzlich richtige Überlegung scheitert.3

Schon der Untertitel der Arbeit, „Requiem auf den Kriminalroman“, zeigt die Intention des Autors, denn durch den „Verstoß“ gegen die Gesetze des Kriminalromans lässt Dürrenmatt den klassischen Kriminalroman sterben. Die unberechenbare Welt, von der er spricht, gipfelt sich in diesem Werk in dem Scheitern seiner Hauptfigur durch eine Häufung von unglücklichen Zufällen.

Diese Arbeit wird sich nun mit der Frage beschäftigen, inwieweit der Zufall bei dieser

Geschichte eine Rolle spielt. Ist er der verantwortlich für den Niedergang der Hauptfigur? Und ist es wirklich eine Welt, in der keine Logik angewandt werden kann? Zu Beginn der Arbeit muss jedoch analysiert werden, was man bei einem Zufall im Allgemeinen und insbesondere in Bezug auf die Literatur versteht. Im Anschluss muss auch die Idee des Zufalls bei Dürrenmatt geklärt werden, um seine Gedankengänge und seine Schlussfolgerungen zu verstehen. Erst daraufhin wird sich diese Arbeit im Detail dem Drama „Das Versprechen“ zuwenden und versuchen, die Frage nach dem Zufall anhand der wichtigsten Szenen zu beantworten.

2. Theoretische Grundladen

„Das, wobei unsere Berechnungen versagen, nennen wir Zufall.“4

- Albert Einstein

Im alltäglichen Sprachgebrauch versteht man unter einem Zufall „etw[as], was man nicht vorausgesehen hat, was nicht beabsichtigt war, was unerwartet geschah […].“5 Anders gesagt: ein plötzlich auftretendes Ereignis, dessen Eintreten man weder erwartet noch beabsichtigt hat. „Der Zufall wird recht häufig definiert als die Koinzidenz oder Kreuzung zweier unabhängiger Ereignisfolgen oder Kausalketten.“6 Ein einfaches Beispiel zur Veranschaulichung: Zwei Personen treffen sich, ohne sich vorher zu verabreden, auf der Straße. Wenn es von mindestens einer Person nicht beabsichtigt, es nicht vorhersehbar und überraschend war, spricht man von einem Zufall.

2.1. Der literarische Zufall

Für die Analyse von Dürrenmatts „Das Versprechen“ ist jedoch eine allgemeine Kurzdefinition von „Zufall“ nicht ausreichend. Eine nähere Betrachtung des Zufalls in der Erzählkunst ist notwendig, um sich der Szenenanalyse widmen zu können.

Ernst Nef hebt den Begriff des Zufalls zunächst vom gegensätzlichen Begriff der Notwendigkeit ab.7 Dabei beruft er sich auf das „Modalitätenschema“8 Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Dieser stellt nämlich Möglichkeit und Unmöglichkeit, Dasein und Nichtsein sowie Notwendigkeit und Zufall gegenüber.9 Somit ist etwas zufälliges nicht nur etwas unvorhersehbares oder plötzliches, sondern ebenso etwas nicht notwendiges. Rückblickend auf das vorher beschriebene Beispiel, kann bei einem Aufeinandertreffen zweier Personen auf der Straße nach Kant erst von einem Zufall gesprochen werden, wenn es „nicht notwendig erscheint“10, dass die beiden sich treffen.

Auch Heinrich Theodor Rötscher differenziert schon im Jahre 1848 die Begriffe Zufall und Notwendigkeit. Er definiert den Zufall als etwas, das „so und auch anders sein kann, was also kein Gesetz in sich selber hat. […] Notwendig ist [dagegen] das, was nur so und nicht anders sein kann, was also das Gesetz seiner Existenz in sich selber hat.“11

Dieser Gegensatz zeigt auf, dass beide Begriffe nicht ohne den jeweils anderen existieren können. Sie brauchen einander, denn Zufälle können nur „innerhalb bestimmter Notwendigkeiten eintreten [und] […] nur innerhalb bestimmter Grenzen wirken […]. Salopp gesagt: aus der Mücke kann auch durch den schönsten Zufall kein Elefant werden.“12

Nef formuliert bei seinen monographischen Untersuchungen auf diese Problematik ein genauer:

Aber Zufälligkeit ist in besonderer Weise auf Notwendigkeit angewiesen und nicht bloß deren einfach Gegensatz; denn erst im Entwurf, im Plan einer Ordnung, die das ihr Entsprechende als notwendig erscheinen läßt, kann überhaupt das Phänomen des Zufalls entstehen. Zufälligkeit tritt jeweils nur innerhalb einer entsprechenden Ordnung zutage, das heißt, jeder Zufall ist nur in bezug auf ein bestimmtes Ordnungsprinzip zufällig;13

Mit „Ordnungsprinzip“ meint er dabei „die Geschlossenheit und logische Folgerichtigkeit des Handlungsablaufs“ und mit Zufall infolgedessen „was nicht aus der Handlung Vorhergegangenen hervorgeht.“14 Doch im Gegensatz zum außer-literarischen Zufall ist beim erzählerischen Zufall nur eine Person für das „Vorhergegangene“ verantwortlich: der Autor. Er „platziert den Zufall gewollt an dieser Stelle in seinem Werk“.15 Er „kann etwas in die Ordnung einer Handlung einbringen, ohne daß es aus dem bisher Berichteten hervorgehen müßte. […] Für das erzählerische Kunstwerk ist deshalb als Zufall zu bestimmten, was weder unmittelbar aus der Handlung hervorgeht noch anderweitig vom Erzähler abgeleitet wird.“16

2.2. Die Idee des Zufalls bei Dürrenmatt

Nach der Untersuchung des Zufalls im Allgemeinen, sowie in der Literaturwissenschaft, soll nun geprüft werden, inwieweit sich Dürrenmatt, ein Schriftsteller, „der das Paradox liebt, sein Werk als provokativ versteht und provoziert hat“17, sich bei seiner Idee des Zufalls an den vorangehenden Definitionen orientiert.

[...]


1 Friedrich Dürrenmatt: Das Versprechen. Requiem auf den Kriminalroman/Aufenthalt in einer kleiner Stadt. Fragment. Zürich 1980 [=Werkausgabe in 30 Bänden. Hrsg. In Zusammenarbeit mit dem Autor, Bd. 22], Nachwort, S. 203.

2 Ebd., S. 204

3 Friedrich Dürrenmatt: Stoffe, Zusammenhänge. Zürich 1996 [= Gesammelte Werke, Bd. 6], S. 350-351.

4 Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger: Aphorismen und Zitateüber Natur und Wissenschaft. Weinheim 2013, S.281.

5 Duden: Zufall . In: Deutsches Universalwörterbuch. 7. überarb. u. erw. Aufl. Hrsg. v. der Dudenredaktion. Mannheim und Zürich. 2011, S. 2070, Spalte 2.

6 >Paul Erbrich: Zufall. Eine naturwissenschaftlich-philosophische Untersuchung. Stuttgart u.a. 1988 [= Münchner philosophische Studien, Bd. 2], S. 91.

7 Vgl. Ernst Nef: Der Zufall in der Erzählkunst. Bern und München 1970, S. 5.

8 Peter Vogt: Kontingenz und Zufall. Eine Ideen- und Begriffsgeschichte. Mit einem Vorwort von Hans Joas. Berlin 2011, S. 61.

9 Vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft 1. Werkausgabe. Band III. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main 1974, S. 119.

10 Ernst Nef: Der Zufall in der Erzählkunst, S. 5.

11 Heinrich Theodor Rötscher: Der Zufall und die Notwendigkeit im Drama. In: Jahrbücher der dramatischen

Kunst und Literatur von Professor Dr. H. Th. Rötscher, Bd. 1. Berlin 1848, S. 123.

12 Jan Knopf: Friedrich Dürrenmatt. 4., neubearb. Aufl. München 1988 [= BsR 611], S. 59.

13 Ernst Nef: Der Zufall in der Erzählkunst, S. 5.

14 Ebd., S. 6.

15 Chantal Zbinden: Der Einfluss des Zufalls auf die Ermittler in Friedrich Dürrenmatts „ Der Richter und sein

Henker “ und „ Das Versprechen “ . Studienarbeit. Freiburg 2014, S. 5.

16 Ernst Nef: Der Zufall in der Erzählkunst, S. 6.

17 Jan Knopf: Friedrich Dürrenmatt, S. 7.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung des Zufalls in Friedrich Dürrenmatts „Das Versprechen“
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Masterseminar: Friedrich Dürrenmatt: Literatur – Theater – Film (MKW)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
17
Katalognummer
V300493
ISBN (eBook)
9783656967989
ISBN (Buch)
9783656967996
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bedeutung, zufalls, friedrich, dürrenmatts, versprechen
Arbeit zitieren
Lisa Demmel (Autor:in), 2015, Die Bedeutung des Zufalls in Friedrich Dürrenmatts „Das Versprechen“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300493

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