Naturschutzfachliche Aufwertung von Unternehmensarealen. Konzept zur Integration lokaler Naturschutzziele


Masterarbeit, 2014

134 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Dankssagung

Abstract

Schlagwörter

Glossar

1 Einleitung

2 Relevanz und wissenschaftlicher Hintergrund der Aufwertung urban-industrieller Flächen
2.1 Aktuelle Projekte und Ansätze zur naturschutzfachlichen Aufwertung von Unternehmensarealen
2.2 Das Thema der Arbeit im Kontext der Renaturierungsökologie
2.3 Urban-industrielle Landschaften in der Renaturierungsökologie
2.4 Flächenanteil urban-industrieller Gebiete in Bayern
2.5 Abiotische Eigenschaften urban-industrieller Ökosysteme
2.5.1 Klima
2.5.2 Böden
2.5.3 Wasserhaushalt
2.6 Besonderheiten der Flora urban-industrieller Ökosysteme
2.7 Besonderheiten der Fauna urban-industrieller Ökosysteme
2.8 Die ökologischen Eigenschaften und Besonderheiten urban-industrieller Landschaften im Kontext der Arbeit

3 Theorie und Methodik der Zielfindung
3.1 Zielsysteme
3.1.1 Leitbilder
3.1.2 Umweltqualitätsziele
3.1.3 Umweltqualitätsstandards
3.1.4 Das Zielartenkonzept
3.2 Zielfindung zur naturschutzfachlichen Aufwertung von Unternehmensarealen
3.2.1 Die bayerische Biodiversitätsstrategie als umweltpolitische Leitlinie
3.2.2 Leitbild der naturschutzfachlichen Aufwertung von Unternehmensarealen
3.2.3 Erläuterungen zum Nutzungsfokus des Leidbildes
3.2.3.1 Nutzungsansprüche an Unternehmensareale
3.2.3.2 Aufwand zur Umsetzung und Erhaltung eines Lebensraumes
3.2.4 Adaption des Zielartenkonzeptes
3.2.5 Gesamtspektrum förderungswürdiger Arten in der Region
3.2.6 Konkrete Maßnahmen für ausgewählte Zielarten

4 Theorie und Methodik der Datenerhebung und Auswertung
4.1 Grundlagen der Datenerhebung und Auswertung
4.1.1 Strukturkartierung
4.1.2 Vegetationsaufnahme
4.1.3 Lokale Besonderheiten und Schutzziele
4.1.3.1 Das Arten und Biotopschutzprogramm
4.1.3.2 Potentielle natürliche Vegetation
4.1.4 Die Methode der Zeigerarten nach Ellenberg und ihr ökologischer Hintergrund
4.2 Umsetzung der Datenerhebung
4.2.1 Aufnahmebogen
4.2.2 Anwendung der Methode der Zeigerarten nach Ellenberg

5 Best Practice: Roche Diagnostics, Penzberg (Obb.)

6 Charakterisierung der Untersuchungsflächen
6.1 Rapunzel, Legau
6.1.1 Lage und Beschreibung des Areals (allgemein)
6.1.2 Strukturtypen und deren Standortbedingungen
6.1.3 Zusammenfassung der Standortbedingungen
6.2 Bergader, Waging
6.2.1 Lage und Beschreibung des Areals (allgemein)
6.2.2 Strukturtypen und deren Standortbedingungen
6.2.3 Zusammenfassung der Standortbedingungen

7 Entwicklungsziele für die einzelnen Untersuchungsflächen
7.1 Rapunzel, Legau
7.1.1 Bilanzen, Ziele, Schwerpunkte und Maßnahmen des Naturschutzes in und um Legau
7.1.2 Zielarten für das Areal von Rapunzel, Legau
7.1.2.1 Schleiereule (Tyto alba)
7.1.2.2 Neuntöter (Lanius collurio)
7.2 Bergader, Waging
7.2.1 Bilanzen, Ziele, Maßnahmen und Schwerpunkte des Naturschutzes in und um Waging
7.2.2 Zielarten für das Areal von Bergader, Waging
7.2.2.1 Wimperfledermaus (Myotis emarginatus)
7.2.2.2 Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea nausithous)

8 Empfehlungen zur Aufwertung der Untersuchungsflächen
8.1 Rapunzel, Legau
8.2 Bergader, Waging

9 Diskussion

10 Zusammenfassung und Ausblick

11 Literatur

12 Anhang
12.1 Abbildungsverzeichnis
12.2 Tabellenverzeichnis
12.3 Kartenverzeichnis
12.4 Anhänge

Dankssagung

Mein besonderer Dank gilt zunächst meiner Arbeitsbetreuerin Dr. Annette Voigt für die jederzeit engagierte Hilfe und Unterstützung. Weiter möchte ich meinen FreundInnen und StudienkollegInnen für die zahlreichen Diskussionen danken, die mich beim Schreiben dieser Arbeit oft weiter gebracht haben. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei Johanna Schnellinger und der ANL Laufen für die finanzielle und organisatorische Unterstützung.

Ebenfalls danken möchte ich Torsten Sause von Roche Diagnostics Penzberg, Beatrice Kress, der Geschäftsführerin der Bergader Käserei in Waging sowie Daniela Sottsas von Rapunzel in Legau, dass sie mir ermöglicht haben, ihre Betriebsgelände zu besichtigen.

Abstract

In dieser Masterarbeit wird ein Konzept zur naturnahen Gestaltung von Unternehmensarealen entwickelt. Dabei steht eine naturschutzfachliche Aufwertung der Flächen unter Einbeziehung des bayerischen Arten- und Biotopschutzprogrammes auf Landkreisebene im Fokus. Ziel ist es, Unternehmensareale als Lebensräume für naturschutzfachlich relevante Arten zu erschließen. Schwerpunkt der Arbeit ist die Entwicklung einer mehrstufigen Methodik: Nach einem speziellen Schema werden aus dem Spektrum regional auftretender geschützter oder gefährdeter Arten Zielarten für die Umgestaltung von Betriebsgeländen ausgewählt. Durch Berücksichtigung der Ansprüche, die diese Zielarten an ihre Lebensräume stellen, können im lokalen Kontext sinnvolle und standortgerechte Aufwertungsmaßnahmen abgeleitet und geplant werden. Es wurden Arten ausgewählt, die im Umfeld der Betriebsgelände nachgewiesen wurden. Darum bestehen die von ihnen bevorzugten Habitatstrukturen in diesem Gebiet. Da es sich um naturschutzfachlich relevante Arten handelt sind diese Strukturen jedoch tendenziell eher selten. Das Konzept beinhaltet somit auch einen Leitfaden zur Identifizierung seltener, aber lokal typischer und für die Zielarten überlebenswichtiger Strukturen. Wenn ein Areal durch Schaffung dieser Strukturen naturnah gestaltet wird, liegt eine naturschutzfachliche Aufwertung vor, die sich an den Ansprüchen ausgewählter lokal auftretender Arten orientiert. Zudem führt eine Aufwertung nach diesen Kriterien unter Umständen dazu, dass sich ein Betriebsgelände besser in die regionaltypische Landschaft eingliedert.

Das Konzept wird in dieser Arbeit beispielhaft auf zwei Unternehmensareale angewendet. Es werden jeweils Zielarten benannt und auf Grundlage der Lebensraumansprüche dieser Arten Maßnahmen für ausgewählte Zielflächen auf den Arealen vorgeschlagen.

Schlagwörter

Naturnahe Gestaltung, naturschutzfachliche Aufwertung, Betriebsgelände, Unternehmensareal, Firmengelände, Arten und Biotopschutzprogramm, Zielart, repräsentative Art, Renaturierungsökologie, Stadtökologie, Naturschutz, Stadtnatur.

Glossar

Begriffe und Formulierungen, für die eine genaue Definition im Rahmen dieser Arbeit notwendig ist, sind bei ihrer ersten Erwähnung in einer Fußnote erläutert.

1 Einleitung

Bayern ist eine wirtschaftlich sehr erfolgreiche Region. Das Wirtschaftswachstum Bayerns ist das höchste in Deutschland. Mit einem Wachstum von 16,2 % in den Jahren 1999 bis 2009 war es sogar höher als das Wachstum der meisten westeuropäischen Staaten (BAYERISCHE STAATSREGIERUNG: 2014) Bayern hatte 2013 mit 38.429 € von den Flächenstaaten Deutschlands das zweitgrößte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (knapp hinter Hessen, mit 38.490€) (STATISTA: 2014a). Das gesamte BIP Bayerns lag mit 487.987 Mio. € an zweiter Stelle nach dem BIP Nordrhein Westfalens (599.752 Mio. €) (STATISTA: 2014b).

Ein Nebeneffekt des wirtschaftlichen Erfolges ist ein erhöhter Flächenverbrauch. Pro Millionen Euro realem BIP werden gut 0,8 ha Siedlungs- und Verkehrsfläche in Anspruch genommen (STATISTISCHES BUNDESAMT: 1999; 5). Einhergehend mit diesem Flächenverbrauch und seinem zu erwartendem Anstieg steigt auch der Druck auf naturnahe Räume und die freie Landschaft. Neben deren Vernichtung oder Zerschneidung nehmen auch die Störungen1 der verbliebenen Lebensräume, etwa in Form verschiedener Emissionen durch Verkehr und Produktion, zu. Die Zerstörung von Lebensräumen ist nach Nutzungsintensivierung und Nutzungsaufgabe die dritthäufigste Gefährdungsursache von Farn-und Blütenpflanzen der Roten Liste (LÜTT: 2004; 23, nach KORNEK ET AL.: 1998). In Bayern ist heute die Aussterberate 100 bis 1000-mal höher, als dies unter natürlichen Bedingungen zu erwarten wäre (STMUV: 2014).

Diese Umstände wurden von der Umweltpolitik freilich erkannt und aufgegriffen. Die bayerische Biodiversitätsstrategie, in der festgehalten ist, dass sich die Gefährdungssituation für mindestens 50% der Rote Liste Arten bis 2020 um eine Stufe gebessert haben soll (STMUG: 2009; 13), ist Ausdruck dieser Politik (vgl. 3.2.1). Dieses und andere Ziele sollen durch verschiedene Ansätze erreicht werden. Unter anderem soll der Aspekt der Erhaltung der biologischen Vielfalt verstärkt in der Wirtschaft integriert werden. Dies ist die Aufgabe des Projektes „Unternehmen Natur“. Dieses Projekt ist ein Teil des Aktionsprogramms "Bayerische Artenvielfalt", das aus der Biodiversitätsstrategie hervorgegangen ist und durch das Staatsministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz finanziert wird.

Ziel des Projektes ist es, Firmen zu animieren, ihre Freiflächen so zu gestalten, dass sie einen optimierten Beitrag zur Förderung der biologischen Vielfalt in bebauten Gebieten leisten. Darüber hinaus soll durch die Umgestaltung der Nutzwert für Betriebsangehörige und gegebenenfalls AnwohnerInnen erhöht werden. Der Fokus liegt dabei auf den Außenbereichen der Areale, einschließlich der Dächer und Fassaden der Gebäude. Zentrale Elemente von „Unternehmen Natur - Biologische Vielfalt und Wirtschaft“ sind die Ausarbeitung eines Unternehmenskonzepts, eines Anreizsystems für Unternehmen, naturschutzfachlicher und sozialer Qualitätskriterien sowie der Aufbau eines Netzwerks (ANL: 2014). In dieser Masterarbeit befasse ich mich mit den naturschutzfachlichen Aspekten des Projektes. Ziel ist die Entwicklung eines Konzeptes, das das Regionale Arten- und Biotopschutzprogramm sinnvoll in das Arealmanagement von Unternehmen Integriert. Auf Basis regionaler Schwerpunktarten des Naturschutzes und der individuellen Bedingungen auf dem jeweiligen Areal können so maßgeschneiderte Vorschläge zur Aufwertung von Unternehmensarealen erarbeitet werden. Durch Umsetzung dieser Vorschläge könnten die Unternehmensflächen bestehende Flächen mit naturschutzfachlichem Wert ergänzen oder zu

Trittsteinbiotopen für gefährdete Arten in der Region2 werden. Entscheidend ist dabei, dass ich nicht auf universell anwendbare Maßnahmen zurückgreife, sondern Maßnahmen vorschlage, die sich an den Bedürfnissen tatsächlich in der Umgebung auftretender, naturschutzrelevanter Arten orientieren. Diese Vorgehensweise soll einer Vereinheitlichung von naturnah gestalteten Unternehmensarealen entgegenwirken, die sich durch die Anwendung baukastenartig organisierter Modul-Aufwertung in den letzten Jahren etabliert hat. Bei derartigen Baukasten-Aufwertungen werden bestimmte Strukturen3 geplant (z. B. Hecken, Teiche, „Insektenhotels“), von denen man annimmt, dass sie sich förderlich auf die Anzahl der Arten auf einem Areal auswirken (vgl. 2.1). Lokale Besonderheiten der umgebenden Landschaft und des vorhandenen Artenspektrums fließen bei diesen Ansätzen jedoch nicht mit ein, sodass die Förderung einer gefährdeten und regional auftretenden Art, höchstens durch Zufall möglich ist. So wird das große Potential von Unternehmensarealen, die durchaus ein flächenmäßig bedeutsamer Strukturtyp sind (vgl. 2.4), einen Beitrag zur lokalen Artenvielfalt zu leisten, nicht ausgeschöpft.

In dieser Arbeit habe ich ein Konzept entwickelt, durch das sichergestellt werden soll, dass die naturschutzfachliche Aufwertung von Unternehmensarealen gefährdete Arten, die in der Umgebung auftreten, tatsächlich fördern kann. Dieses Konzept habe ich anschließend auf zwei Unternehmensarealen in der Praxis angewendet. Dabei wählte ich zunächst nach einem speziellen Schema aus allen Schwerpunktarten, die im Arten- und Biotopschutzprogramm des jeweiligen Landkreises aufgelistet sind, Zielarten aus. Im Schema wird dabei besonderen Wert darauf gelegt, dass die Ansprüche der jeweiligen Art mit den unveränderbaren Bedingungen auf der Zielfläche4 vereinbar sind. So war beispielsweise zu klären, ob eine Art die zu erwartenden betriebsbedingten Störungen tolerieren kann. Begründet durch die Bedürfnisse und Ansprüche dieser Zielarten schlage ich anschließend grob skizzierte Konzepte für die Umgestaltung des jeweiligen Areals vor.

Die Arbeit beginnt mit einem einführenden Teil (Kapitel 2), in dem die Relevanz Themas und dessen wissenschaftlicher Hintergrund (2.2-2.4), aktuelle verwandte Projekte (2.1) sowie Grundlagen der Ökologie urban-industrieller Flächen erörtert werden (2.5-2.8). Zur besseren Verständlichkeit der Zusammenhänge und zur besseren Übersichtlichkeit der Themenfelder habe ich mich entschlossen, in den beiden anschließenden Kapiteln (3 und 4) die jeweiligen Methoden und die ihnen zugrundeliegende Theorie in jeweils ein Kapitel zusammenzufassen. Dabei stelle ich jeweils zuerst den theoretischen Hintergrund einer Methode dar (3.1/4.1) und erläutere in der Folge, wie ich diese anwende (3.2/4.2). Das Kapitel erste dieser Kapitel befasse ich mich mit der Theorie und Methodik der Zielfindung (3). Hier erläutere ich zunächst allgemeine Hintergründe und Ansätze der naturschutzfachlichen Zielfindung (3.1). In 3.2 beschreibe ich, wie ich diese im Rahmen dieser Arbeit adaptiert habe. Im anschließenden Kapitel (4) behandle ich zunächst die Grundlagen der relevanten Datenerhebungen (4.1). Dies sind Strukturkartierung (4.1.1), Vegetationsaufnahme (4.2.2), Lokale Besonderheiten und Schutzziele (4.3.3) sowie Die Methode der Zeigerarten nach Ellenberg und ihr ökologischer Hintergrund (4.3.4). Im darauf folgenden Abschnitt erläutere ich die praktische Umsetzung der Erhebungen (4.2). Im nächsten Kapitel (5) beschreibe ich die Maßnahmen, die auf dem Betriebsgelände von Roche Diagnostics in Penzberg getroffen wurden, um für den folgenden, eher praktischen, Teil der Arbeit zu veranschaulichen wie Aufwertungsmaßnahmen in der Praxis umgesetzt werden können. Das Areal kann als eine Art „Best Practice“-Beispiel für diese Arbeit angesehen werden. Dies jedoch nicht etwa, weil hier eine herausragende naturnahe Gestaltung umgesetzt wurde, sondern weil es sich in einem naturschutzfachlich wertvollen Gebiet befindet und das Unternehmen durch diverse Maßnahmen versucht hat, diesem Umstand gerecht zu werden. Im folgenden Kapitel (6) charakterisiere ich die Untersuchungsflächen5. Neben allgemeinen Angaben zu den Unternehmen und deren Umgebung (6.1.1/6.2.1) ist der Schwerpunkt dieses Kapitels vor allem die Beschreibung der verschiedenen Strukturtypen auf den Arealen und der Standortbedingungen6 durch die Auswertung der ökologischen Zeigerwerte der dort auftretenden Arten (6.1.2/6.2.2). Kapitel 7 behandelt anschließend die Entwicklungsziele für die einzelnen Untersuchungsflächen. Zunächst beschreibe ich hier die naturschutzfachlichen Eigenheiten der jeweiligen Umgebung der Areale und der Landkreise in denen sie liegen (7.1.1/7.2.1). Auf dieser Basis wähle ich anschließend Zielarten aus, begründe die jeweilige Entscheidung und gebe zu jeder Zielart die wichtigsten Informationen zu ihren Merkmalen und Eigenschaften in einem eigenen Unterkapitel an (7.1.2/7.2.2). Dies ist die Grundlage für die konkreten Maßnahmenvorschläge, die ich im darauf folgenden Kapitel 8 kompakt aufliste. Abschließend erörtere ich im Diskussionskapitel (9) die Probleme, Schwächen und Bedenken, die mir bezüglich meiner Vorgehensweise aufgefallen sind und fasse die Ergebnisse und Erkenntnisse im letzten Kapitel (10) zusammen.

2 Relevanz und wissenschaftlicher Hintergrund der Aufwertung urban-industrieller Flächen

Die Flächen auf die ich mich im Rahmen dieser Arbeit beziehe sind durchwegs einem bestimmten Ökosystemtyp zuzuordnen: Im Kontext der Stadtökologie wird hier häufig der Begriff „urban- industrielle Ökosysteme“ verwendet. Zwar findet sich zu diesem Terminus keine einheitliche Definition, jedoch ist allen Ansätzen der gemein, dass es sich dabei um Bereiche der Landschaft handelt, in denen ökologische Prozesse maßgeblich durch das Wirken des Menschen bestimmt werden (z. B. UMWELTBUNDESAMT: 2014, NIEDERSTADT: 1998; 42, REBELE: 2009; 389, FELLENBERG et al.: 1999, u.v.m.). WITTIG (et al.: 1993; 318) unterteilt derartige Landschaften in sechs Hauptnutzungstypen:

- bebaute Gebiete (exklusive Industriebebauung)
- Industriestandorte, Speicheranlagen, Großmärkte
- Verkehrsflächen
- Brachflächen
- Entsorgungsflächen
- Grünflächen

In diesem Kapitel befasse ich mich insbesondere mit den ersten drei Nutzungstypen, die in der Flächennutzungsplanung als Siedlungs- und Verkehrsflächen bezeichnet werden (vgl. 2.4). Ich ordne das Thema der Arbeit mit diesem Fokus in die Wissenschaft ein, erörtere die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründe des Themenfeldes und behandle die ökologischen Grundlagen urban-industrieller Ökosysteme.

2.1 Aktuelle Projekte und Ansätze zur naturschutzfachlichen Aufwertung von Unternehmensarealen

Der Ansatz, im Betrieb befindliche Unternehmensareale naturschutzfachlich aufzuwerten, wird derzeit im deutschsprachigen Raum von verschiedenen Projekten verfolgt. Diese unterscheiden sich in ihren Kriterien bzw. Schwerpunkten und ihrer Organisation, bzw. Struktur. Alle Ansätze umfassen jedoch unter anderem das Ziel, heimischen Arten neue Lebensräume zu schaffen, bzw. diese zu erweitern. Ich versuche in diesem Unterkapitel einen Überblick über die wichtigsten Programme und Projekte im deutschsprachigen Raum zu geben und dabei verschiedene Regionen und Ansätze abzudecken. Ziel dieses Kapitels ist es außerdem, die Relevanz dieser Arbeit aufzuzeigen, da sie mit dem Einbeziehen lokaler Naturschutzziele in die Planung von Aufwertungsmaßnahmen einen Aspekt behandelt, der in keinem der angeführten Ansätze, Programme und Projekte eingeschlossen wird.

Eines der älteren Projekte ist die 1995 in der Schweiz gegründete Stiftung Natur&Wirtschaft. Sie verfolgt das Ziel auf Unternehmensarealen die Lebensqualität für Tiere, Pflanzen und Menschen zu erhöhen. Der Erfolg ist beachtlich: bereits 318 Unternehmen wurden für die naturnahe Gestaltung ihrer Areale ausgezeichnet (STIFTUNG NATUR&WIRTSCHAFT: 2013). Die Gestaltungskriterien sind hier sehr klar definiert:

- mindestens 30% der Umgebungsfläche sind naturnah zu gestalten (incl. Flachdächer)
- auf naturnahen Flächen nur einheimische und standortgerechte Pflanzen verwenden
- auf Biozide, Düngemittel und Herbizide verzichten
- max. 2 Schnitte pro Jahr
- Verkehrsflächen mit möglichst durchlässigen Bodenbelägen von regionaler Herkunft
- Dach- und Regenwasser weitgehend oberflächlich versickern, wenn das Wasser nicht verschmutzt ist und Untergrund für eine Versickerung geeignet ist
- wo immer möglich, werden aktiv Lebensräume für Wildtiere geschaffen
- fachgerechte Planung, Realisation und Pflege des naturnahen Areals sind gewährleistet (LOCHER, R.: 2007).

Der Anreiz für die Unternehmen besteht darin, mit dem Zertifikat werben zu können. Die Stiftung bietet jedoch keine direkte Unterstützung bei der Umsetzung an, sondern tritt eher als Vermittlerin auf.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz befasst sich seit 2008 die Bodenseestiftung, eine projektorientierte Naturschutzorganisation der Bodensee Anrainerstaaten, mit der naturnahen Gestaltung von Firmengeländen. Die Kriterien für die Gestaltung sind in diesem Projekt (noch) etwas weiter gefasst:

- Maßnahmen auf Rest- und Brachflächen
- einheimische standortgerechte Pflanzen
- Sicherstellung vielfältiger Lebensräume
- Funktionalität des Geländes als Gewerbefläche hat Priorität (TRÖTSCHLER: 2013).

Soweit aus der Internetpräsenz des Projektes hervorgeht, wurde jedoch bisher noch kein Unternehmensareal nach diesen Kriterien (um-)gestaltet. Erste Ergebnisse werden 2016 erwartet (BODENSEESTIFTUNG: 2008).

Auch in Ostösterreich gibt es seit kurzem ein Projekt, dass naturnahe Unternehmensareale fördern soll: Natur im Betrieb ist ein Projekt der Energie- und Umweltagentur Niederösterreich. Für interessierte Unternehmen besteht ein umfassendes Angebot in Form von Beratung, Erarbeitung eines Konzeptes und Unterstützung bei dessen Umsetzung. Zudem wird mit Kostenersparnis durch naturnahe Gestaltung geworben. Bisher wurde ein Areal nach den folgenden Kriterien gestaltet:

- Versiegelung minimieren
- Regenwasser zurückhalten
- nährstoffarme Standorte schaffen
- heimische und standortgerechte Pflanzen verwenden
- auf Dünger und Pestizide verzichten
- auf Vielfalt achten
- Spielraum für „ungepflegte“ Ecken lassen
- Natur- und umweltbewusstes Handeln kommunizieren und präsentieren (NATURLAND NIEDERÖSTERREICH: 2013)

In Norddeutschland richtete die Stiftung Die Gr ü ne Stadt seit 2002 mehrmals den Wettbewerb FirmenG ä rten aus. Die ökologischen Aspekte stehen hier nicht so sehr im Vordergrund, wie bei den vorherigen Projekten. Ziel ist es nicht unbedingt ökologisch wertvolle Flächen zu schaffen, sondern eher Gärten, die bestimmten Kriterien gerecht werden. Bewertet werden die Gärten dann in folgenden Kategorien:

- Gestaltung und Nutzung: anhand der Verwendung von Materialien, Pflanzen, Elemente, Anordnung und Dimension mit vielfältigen Aufenthalts- und Nutzungsfunktionen
- Soziale Bedeutung: Treffpunkte, Rückzugsgebiete
- Ökologische Wirkung: Außenanlagen als Lebensräume, Futterquellen und Nistgelegenheiten, Ausgleichsfunktionen

(DIE GRÜNE STADT: 2011)

Eine internationale Kampagne, die in verschiedenen europäischen Ländern tätig ist, ist die „Buisness & Biodiversity Campaign“. Ziel der Kampagne ist es aufzuzeigen, wie „Unternehmen nachhaltiges Biodiversitätsmanagement in ihre Strategien integrieren und damit dem Artensterben und dem Raubbau an der Natur entgegen wirken können“ (B&B CAMPAIGN: 2014). Unter anderem soll dieses Ziel auch durch die naturnahe Gestaltung von Unternehmensarealen verfolgt werden. Im Rahmen dieser Kampagne wurde 2013 durch verschiedene Organisationen (u.a. die oben erwähnte Bodenseestiftung) das Projekt „naturnahe Firmengelände“ ins Leben gerufen. Durch dieses Projekt sollen mindestens 20 Unternehmen bezüglich ihrer Potentiale der naturnahen Gestaltung beraten werden und 8 bis 10 Unternehmen bei der konkreten Planung der naturnahen Gestaltung ihrer Flächen unterstützt werden (NATURNAHE FIRMENGELÄNDE: 2014). Spezielle Kriterien oder näher konkretisierte Ziele werden auf der Internetseite des Projektes nicht erwähnt.

Bei der genauen Betrachtung der Kriterien fällt auf, dass keiner der Ansätze die lokalen Schwerpunkte des Naturschutzes einschließt. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass bei den konkreter formulierten Aufwertungskriterien der Bedarf an bestimmten Strukturen auf höherer administrativer Ebene ausschlaggebend war. Als Beispiele sind hier etwa die Förderung nährstoffarmer Standorte sowie der Verzicht auf Dünger oder die Extensivierung der Rasenflächen durch Reduktion der Schnitte zu nennen. Zudem finden sich in allen Konzepten sinnvolle, jedoch ungenau formulierte Kriterien, wie „Auf Vielfalt achten“, „Sicherung vielfältiger Lebensräume“,

„Außenanlagen als Lebensräume Futterquellen und Nistgelegenheiten“ oder „wo immer möglich, werden aktiv Lebensräume für Wildtiere geschaffen“. Natürlich sollen derartig formulierte Kriterien eine möglichst breite Anwendbarkeit gewährleisten. Ich bin jedoch der Meinung, dass es essentiell ist, konkrete Vorschläge anzugeben und zugleich die Listen um eine lokale Komponente zu erweitern. Insbesondere der zweite Punkt ist wichtig, denn die konkreteren Ausformulierungen der einzelnen Kriterien umfassen in vielen Fällen detaillierte Maßnahmenvorschläge, deren Sinnhaftigkeit keinesfalls an jedem Standort gegeben ist. So finden sich etwa in den Maßnahmenvorschlägen der Stiftung Natur und Wirtschaft oder des niederösterreichischen Projektes Natur im Betrieb verschiedene Gestaltungshinweise, die sich auf konkrete Artengruppen oder Lebensraumtypen beziehen, wie etwa Maßnahmen für Fledermäuse, Reptilien oder Amphibien. Diese Angaben sind zwar konkret, jedoch haben sie keinen lokalen Bezug weshalb sie unter Umständen nicht zielführend sind. Soll eine Artengruppe jedoch tatsächlich gefördert werden, ist es sinnvoll zunächst abzuklären, ob diese am fraglichen Standort überhaupt zu erwarten ist. Wenn das der Fall ist, muss geklärt werden, um welche Art oder Arten es sich handelt und was deren spezifische Ansprüche sind. Durch das Einbeziehen lokaler Naturschutzziele könnte somit verhindert werden, dass eine womöglich kostspielige Umgestaltung eines Areals das angestrebte Aufwertungsziel verfehlt. Das Ziel dieser Arbeit ist, es diese Lücke zu schließen und damit eine zielorientierte und im lokalen Kontext sinnvolle naturschutzfachliche Aufwertung zu ermöglichen.

Ein Ansatz, der das Thema der Standortgerechtigkeit aufgreift, ist der 2006 erschienene Leitfaden „Wege zur Natur im Betrieb“ des Landes Oberösterreich. Darin werden „zwölf Bausteine für eine naturnahe Gestaltung“ von Gewerbeflächen beschrieben: Einheimische Gehölze, naturnaher Eingangsbereich, Nisthilfen, Hecken mit einheimischen Sträuchern, Aufenthaltsbereiche, Dachbegrünung, Steinmauern und Böschungen, Restflächen für die Natur, Fassadenbegrünungen, lebendige Verkehrsflächen, Versickerungsmulden und insektenfreundliche Beleuchtung werden hier genannt. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass kein Areal dem anderen gleicht und eine individuelle Planung von Aufwertungsmaßnahmen nötig ist. Zusätzlich werden im Anhang umfassende Empfehlungen für die standortsgerechte Bepflanzung in den jeweiligen naturräumlichen Untereinheiten Oberösterreichs gegeben. In einem Gestaltungsbeispiel im Anhang wird sogar erwähnt, dass in der betreffenden Region der Neuntöter als Zielart in Frage kommt (LAND OBERÖSTERREICH: 2006). Von allen gesichteten Ansätzen greift dieser Leitfaden den Aspekt der standortsgemäßen Aufwertung am besten auf. Jedoch wird auch hier keine Empfehlung ausgesprochen, sich in der Planung an den lokalen Zielen des Naturschutzes zu orientieren.

Den Ansatz, lokal auftretende geschützte Arten grundsätzlich als Zielarten für die Aufwertung eines Areals einzusetzen, verfolgt derzeit kein Projekt. Im Rahmen dieser Arbeit bin ich jedoch auf einzelne Beispiele für Areale gestoßen, auf denen bereits geschützte Arten auftraten, die anschließend als Zielarten bewusst gefördert wurden. Dieser Umstand verdeutlicht, dass die Förderung geschützter Arten auf Unternehmensarealen möglich ist und auch in der Praxis zur Anwendung kommt.

Das einzige dieser Projekte, über das im Internet Informationen verfügbar sind, wird derzeit im schleswig-holsteinischen Landkreis Rendsburg umgesetzt. Auf dem Gelände eines Abfallrecyclingunternehmens treten einige gefährdete Pflanzen- und Tierarten auf. Neben ruderalen und segetalen7 Arten sind dies auch Arten des feuchten und des mageren Grünlands. Auf Vermittlung des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume hat die Artenagentur, eine Organisation, die mit der Umsetzung und Koordination des Artenhilfsprogramms betraut ist, eine Projekt- und Pflegeskizze erstellt. Darin werden zwei Zielarten genannt, die in Schleswig Holstein Rote-Liste Arten sind (Neuntöter, Deutsches Filzkraut). Es ist nun geplant, eine mittelfristig ungenutzte Teilfläche des Betriebsgeländes für Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Diese Maßnahmen zielen in erster Linie auf die Erhaltung und die Entwicklung von artenreichen Mager- und Feuchtgrünlandflächen als Lebensraum für die Zielarten ab. Weiter sollen die Flächen mit Segetal- und Ruderalflora, Flächen für die Vermehrung gefährdeter Arten sowie eine Bienenweide erhalten bzw. entwickelt werden. Zusätzlich ist geplant, eine nicht mehr genutzte Mülldeponie in der Umgebung nach diesen Maßstäben zu rekultivieren. (ARTENAGENTUR-SH: 2014)

Zusätzlich ist anzumerken, dass im Bereich der Renaturierung von Berg- und Tagebaufolgeflächen meist Zielarten eingesetzt werden (ZERBE et al.: 2009; 368 f.). Hierbei handelt es sich zwar unter Umständen auch um in Betrieb befindliche Areale, jedoch sind die Bereiche, in denen Maßnahmen umgesetzt werden, zwangsläufig ungenutzt.

2.2 Das Thema der Arbeit im Kontext der Renaturierungsökologie

Die Arbeit ist im weiteren Sinne dem Themenfeld der Renaturierungsökologie zuzuordnen. Diese erforscht die umweltwissenschaftlichen- und ökologischen Methoden, die nötig sind, um ein vom Menschen gestörtes Ökosystem oder dessen Funktionen wieder in einen ähnlichen Zustand zu versetzen, wie er vor der Störung bestand (SMITH & SMITH: 2009; 847 f.). Im Themenfeld der Renaturierungsökologie bestehen derzeit zahlreiche Konzepte und Ansätze, die mein Vorhaben mehr oder weniger gut beschreiben. Nach ZERBE et al. (2009; 3) ist eine Rehabilitation die Wiederherstellung bestimmter Ökosystemfunktionen bzw. -dienstleistungen gemäß einem historischen Referenzzustand. Unter Revitalisierung wird die „Wiederherstellung von erwünschten abiotischen Umweltbedingungen als Voraussetzung für die Ansiedlung von standorttypischen Lebensgemeinschaften“ verstanden (ZERBE et al.: 2009; 3). Etwas weiter gefasst ist der Begriff der Sanierung (ZERBE et al.: 2009; 4). Dieser bezeichnet die „aktive Wiederherstellung eines erwünschten Zustandes“ (ZERBE et al.: 2009; 4). Keiner dieser Begriffe beschreibt jedoch mein Ziel genau. Mein Vorhaben bezieht sich nicht vorrangig auf einen historischen Zustand, es wäre jedoch denkbar, diesen in Einzelfällen miteinzubeziehen, sofern die Wiederherstellung eines solchen Zustandes ein lokales Entwicklungsziel des Naturschutzes darstellt (z. B. Areale in ehemaligen Auwaldgebieten). Zudem würde der Ansatz der Revitalisierung zu weit greifen; das jeweilige Areal soll schließlich nicht unbedingt in ein hochwertiges Schutzgebiet verwandelt werden, sondern lediglich aufgewertet werden. Somit könnten aufgewertete Areale vorhandene Schutzgebiete ggf. durch bestimmte ähnliche Habitatmerkmale8 ergänzen (z. B. moortypische Vegetation auf einem Areal in dessen Nähe ein geschütztes Moorgebiet liegt). Auch geht es mir nicht zwangsläufig um die Wieder herstellung eines bestimmten Zustandes, sondern um die allgemeine Verbesserung des Zustandes im Hinblick auf lokale Schutzziele. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werde ich darum vorläufig eine eigene Definition meines Zieles treffen. Dieses ist es die Habitatfunktionen für bestimmte, in der Umgebung auftretende und gefährdete Arten zu verbessern. Die dazu notwendigen Maßnahmen werden in Form von räumlich grob skizzierten Vorschlägen als Ergebnis der Arbeit hervorgehen. So kann das jeweilige Areal entsprechend der Ausgangssituation, der zur Verfügung stehenden Mittel und der Ansprüche der EigentümerInnen in einen, im Hinblick auf lokale Schutzziele, verbesserten Zustand versetzt werden. Durch die eher grobe und mittelbare Zieldefinition wird das Unterfangen nicht schon durch die Begriffswahl an einen vordefinierten Zielzustand gekoppelt, der sich im Einzelfall als nicht erreichbar erweisen könnte.

2.3 Urban-industrielle Landschaften in der Renaturierungsökologie

Die Renaturierungsökologie ist eine relativ junge wissenschaftliche Disziplin, die sich in Mitteleuropa etwa ab den 1980er Jahren entwickelte. Anfangs waren vor allem Fließgewässer- und Moorrenaturierungen Schwerpunkt des Arbeitsfeldes. Etwa Anfang der 1990er Jahre rückte auch die Renaturierung land- und forstwirtschaftlicher Nutzflächen in den Fokus der Disziplin. Die wissenschaftliche Arbeit zur Renaturierung stark gestörter Gebiete, zu denen neben urbanindustriellen Ökosystemen auch Bergbaufolgelandschaften oder Truppenübungsplätze zählen, wird etwa seit der Jahrtausendwende verstärkt betrieben (ZERBE et al.: 2009; 2).

Gegenwärtig lassen sich für urban-industriell geprägte Gebiete in Mitteleuropa in erster Linie zwei gegenläufige Trends ausmachen, denen mit renaturierungsökologischen Ansätzen begegnet werden kann. Dies sind auf der einen Seite die Schrumpfung altindustrieller Regionen, die mit Abwanderung der Bevölkerung und Brachfallen von vormals genutzten Flächen verbunden ist (z. B. Rhein-Ruhr). Auf der anderen Seite findet in den wirtschaftlich florierenden Regionen, hier sind insbesondere die Zentren der Großstädte zu nennen, nach wie vor eine zunehmende Verdichtung und Versiegelung statt (REBELE: 2009; 393).

Zur Minimierung der negativen Effekte des anhaltend hohen Flächenverbrauches (vgl. 2.4) an den Schwerpunkten wirtschaftlicher Wertschöpfung ist es notwendig, Maßnahmen zum Flächenrecycling und zur Renaturierung zu ergreifen. Jedoch sind bei Maßnahmen an urban-industriellen Standorten einige Besonderheiten zu beachten (REBELE: 2009; 393).

Ein wesentlicher Unterschied zu Maßnahmen in der „freien Landschaft“ ist, dass in urban- industriellen Ballungsräumen die ursprünglichen Ökosysteme häufig nicht wieder hergestellt werden können, da sie zu stark verändert wurden oder die anhaltende Störung eine erneute Etablierung dieser Ökosysteme ausschließt. In manchen Fällen sind auch die vom Menschen geschaffenen Habitate in ihrer vorliegenden Form zur Erhaltung der Biodiversität von Bedeutung. Darum besteht das Entwicklungsziel bei renaturierungsökologischen Maßnahmen in urban- industriellen Landschaften, anders als in der „freien Landschaft“, meist nicht in der Wiederherstellung oder Regeneration von Ökosystemen. In der Regel zielen derartige Maßnahmen in diesen Gebieten darauf ab, stark gestörte Ökosysteme in einen naturnäheren Zustand zu bringen oder Habitate mit natürlicher oder naturnaher Entwicklung zu schaffen. Grundsätzlich ist es möglich, sämtliche Typen urban-industrieller Ökosysteme (vgl. 2) zu renaturieren. Einfache Beispiele, die immer häufiger zur Anwendung kommen, sind etwa Entsiegelung, Hofbegrünung, Fassaden- und Dachbegrünung, naturnahes Gärtnern, Tolerierung von Wildnis in Parkanalagen oder Umwandlung von Zierrasen in Wiesen (REBELE: 2009; 393).

Im Wesentlichen lassen sich die Renaturierungsziele bei urban-industriellen Ökosystemen drei Schwerpunktklassen zuordnen:

- Boden-, Grundwasser-, Gewässer- und Klimaschutz
- Entwicklung abwechslungsreicher Erholungslandschaften
- Erhaltung und Förderung von Biodiversität

Entsprechend der örtlichen Gegebenheiten lassen sich diese Zielschwerpunkte jedoch auch zu einem gewissen Ausmaß vereinen (REBELE: 2009; 393 f.).

Die Erhaltung und Förderung der Biodiversität, die auch bei meiner Arbeit das Entwicklungsziel darstellt, geschieht durch die Erhaltung oder Schaffung von spezifischen Habitaten für Tiere, Pflanzen oder Pflanzengesellschaften9 (REBELE: 2009; 396).

2.4 Flächenanteil urban-industrieller Gebiete in Bayern

Südbayern und hier insbesondere der Großraum München stellen eines der wenigen Gebiete Deutschlands dar, in denen nach wie vor ein Bevölkerungswachstum zu verzeichnen ist und auch für die Zukunft prognostiziert wird (BAYERISCHES LANDESAMT FÜR STATISTIK UND DATENVERARBEITUNG: 2011). Damit einhergehend steigen auch Flächenverbrauch und Versiegelung weiter an (AUBRECHT & PETZ: 2001; 24). 2012 wurden in Bayern täglich 17 ha in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt (STMUG: 2012). Siedlungs- und Verkehrsflächen machten zum 31.12.2012 11,5% der bayerischen Landesfläche aus, von denen 47,2 % tatsächlich versiegelt sind (LFU: 2013). Die restliche Landesfläche ist in 35,1% Waldfläche, 49,2% Landwirtschaftsfläche, 0,2% Abbauland und 4% Sonstige unterteilt (BAYERISCHES LANDESAMT FÜR STATISTIK UND DATENVERARBEITUNG: 2013). Siedlungs- und Verkehrsflächen wiederum unterteilen sich in Gebäude und Freiflächen zum Wohnen (24%), Gebäude und Freiflächen für Gewerbe und Industrie (5,3%) Verkehrsflächen (41,9%), Erholungsflächen (4,8%) und Betriebsflächen (1,5%). Die restlichen 20,5 % entfallen auf Gebäude- und Freifläche für öffentliche Zwecke, Gebäude- und Freifläche für Handel und Dienstleistungen, Gebäude- und Freifläche für Mischnutzung mit Wohnen, Gebäude- und Freifläche zu Verkehrsanlagen, Gebäude- und Freifläche zu Versorgungsanlagen, Gebäude- und Freifläche zu Entsorgungsanlagen, Gebäude- und Freifläche für Land- und Forstwirtschaft, Gebäude- und Freifläche für Erholung, ungenutzte Gebäude- und Freiflächen sowie sonstige Gebäude- und Freifläche (Der prozentuale Anteil dieser Flächen ist im Bericht nicht erwähnt) (BAYERISCHES LANDESAMT FÜR STATISTIK UND DATENVERARBEITUNG: 2013). Sämtliche der erwähnten Flächentypen, mit Ausnahme der Landwirtschaftsflächen, nahmen im Jahr 2012 bezogen auf den Wert von 2011 zu. Am stärksten war die Zunahme mit knapp 1,3% bei den Betriebsflächen und 1,9% bei den Gebäuden und Freiflächen für Gewerbe und Industrie (BAYERISCHES LANDESAMT FÜR STATISTIK UND DATENVERARBEITUNG: 2013). Die im Rahmen dieser Arbeit relevanten und durch Prozentangaben belegten Flächentypen (Betriebsflächen und Gebäude und Freiflächen für Gewerbe und Industrie) machen Insgesamt knapp 0,8 % der bayerischen Landesfläche aus. Schließt man die relevanten Flächentypen ein, für die keine konkreten Prozentangaben verfügbar sind, wie beispielsweise Gebäude und Freiflächen für Handel und Dienstleistungen, ist ein Anteil von etwa 3% der bayerischen Landesfläche als realistisch anzusehen.

In Relation zu den gut 5,1 % der Landesfläche die derzeit (Stand 31.12.2011) als strenge Schutzgebiete (Naturschutzgebiete, Nationalparke, UNESCO Biosphärenreservate) ausgewiesen sind (LFU: 2012) wird die Bedeutung und das Potential dieser Flächen deutlich. Die Tatsache, dass sie obendrein die am stärksten zunehmenden Flächentypen sind, unterstreicht den Bedarf, sie in einer Form zu gestalten, die ihren Anteil an der Lebensraumvernichtung zumindest ansatzweise kompensiert.

2.5 Abiotische Eigenschaften urban-industrieller Ökosysteme

Urban-industrielle Landschaften zeichnen sich häufig durch den kleinsträumigen Wechsel verschiedener Standortbedingungen aus. Nicht zuletzt die verschiedenen Nutzungsgeschichten der einzelnen Standorte bedingen, dass Städte oft ein Mosaik aus verschiedenen, klar abgrenzbaren Biotopen10 sind. Das besondere an diesen Standorten ist, sie vielfach nicht nur anthropogen überformt, sondern anthropogen entstanden sind (REBELE: 2009; 389). In diesem Abschnitt werden die besonderen Standortbedingungen urban-industrieller Flächen, unterteilt in Klima, Böden und Wasserhaushalt dargestellt.

2.5.1 Klima

An urban-industriellen Standorten bestehen besondere meso- und mikroklimatische Bedingungen. Die Temperaturen sind hier im Durchschnitt höher, als im Umland. Im Hinblick auf Industriestandorte ist insbesondere die Bedeutung kleinräumiger Temperaturunterschiede zu beachten. Offene, besonnte Flächen, insbesondere mit dunkler Oberfläche (z. B. Parkplätze) können sich stark aufheizen und Wärme in die Umgebung abstrahlen, wohingegen Baumgruppen oder Waldflächen eine kühlende Wirkung haben (REBELE: 2009; 392).

Weiter zeichnen sich urban-Industrielle Standorte durch eine veränderte Strahlungs-und Energiebilanz aus. Ausschlaggebend sind hier die Veränderung der an den Boden gelangenden Globalstrahlung durch die „städtische Dunstglocke, die Albedo der Gebäude und Flächen sowie verschiedene Verbrennungsprozesse und Wärmeströmungen (SUKOPP & WITTIG: 1993; 131). Auch bezüglich der Luftfeuchtigkeit und der Niederschlagssumme besteht ein Unterschied zwischen Stadt und Umland. Der Unterschied der Luftfeuchtigkeit ist vor allem durch eine veränderte Effektivität und räumliche Verteilung von Wasserdampfquellen und -senken begründet. Atmosphärisch wirksame Wasserdampfquellen sind in Städten beispielsweise die Freisetzung von Wasserdampf bei Verbrennungsprozessen, künstliche Wasserzufuhr (Trink und Brauchwasser), die geringere Taubildung durch erhöhte Temperaturwerte oder die möglicherweise erhöhte Niederschlagssumme. Eine Senkung des atmosphärischen Wasserdampfes bewirken die eingeschränkte Versickerung, der schnellere Abfluss von Niederschlagswasser und die Reduktion der Evapotranspirationsfläche (SUKOPP & WITTIG: 1993; 144 f.). Über die veränderte Niederschlagssumme in Stadtgebieten liegen verschiedene, teils widersprüchliche Ergebnisse vor. Als wahrscheinlich gilt jedoch, dass insbesondere im Lee von Städten eine um 11 bis 13% erhöhte Niederschlagssumme aufkommt, eine erhöhte Anzahl von Gewittern in der warmen Jahreszeit auftritt und die maximal mögliche tägliche Niederschlagssumme erhöht ist. Eine positive Veränderung der Niederschläge wird insbesondere bei sommerlichen Strahlungswetterlagen beobachtet. Dies lässt sich vor allem durch die überwärmungsbedingten Konvektionsprozesse, die eine erhöhte Wolkenbildung bewirken, begründen. Bei windstarken Wetterlagen bewirkt die größere Oberflächenrauhigkeit eine stärkere thermische und mechanische Turbulenz, die ihrerseits die Entstehung von Konfluenzzonen und damit eine verstärkte Wolkenbildung auslösen. Weiter können Staueffekte am Übergang zwischen Stadt und Umland zu einem Aufsteigen anströmender Luft und damit zu Wolkenbildung führen. Zuletzt können die durch verstärkte Luftverunreinigung in Stadtgebieten konzentrierteren Aerosole als Kondensationskerne wirken (SUKOPP & WITTIG: 1993; 146 f.).

2.5.2 Böden

Grundsätzlich sind die Stadtböden so heterogen wie die Städte selber. Angefangen bei den jeweiligen Böden, auf denen Stadtgründungen erfolgten (z. B. Sumpf-, Auen- oder Moorböden) (SUKOPP & WITTIG: 1993; 169), prägten verschiedene Nutzungsgeschichten den Aufbau der Substrate. Es lassen sich jedoch einige Gemeinsamkeiten dieser Böden identifizieren: So sind die Böden von urbanindustriellen Standorten oft dichter, trockener, wärmer, weniger sauer, nährstoffreicher, aber auch schadstoffreicher als natürliche Böden an Referenzstandorten (REBELE: 2009; 389 f.).

Industrieflächen zeichnen sich meist durch Auftragsböden aus zahlreichen Schichten verschiedener Substrate aus. Im Falle von Abbauflächen sind freigelegte Gesteine das bezeichnende Merkmal. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Böden aus umgelagerten natürlichen Bodensubstraten (z. B. Kies, Schotter, Lehm), Böden aus technogenen Substraten (z. B. Klärschlamm, Müll, Bauschutt) oder aus Gemengen natürlicher und technogener Substrate (z. B. Lehm-Bauschutt Gemenge) (REBELE: 2009; 389 f.).

Städtische Böden und hier insbesondere die Böden von Industriearealen zeichnen sich durch einen im Vergleich zum Umland erhöhten Anteil potentiell giftiger Bestandteile, wie Kupfer, Blei, Zink oder Bor, aus. Während diese Schadstoffe auf gärtnerisch oder landwirtschaftlich genutzten Flächen etwa durch Düngung mit Asche oder Klärschlamm mehr oder weniger bewusst eingetragen wurden, sind sie an den übrigen urban-industriellen Standorten auf äolische Einträge zurückzuführen (GILBERT & KRÜGER: 1994; 39). Zusätzlich stammt ein bedeutender Anteil der Schadstoffe in heutigen urbanen Böden aus Zeiten der ungeregelten Abfallentsorgung. Beispiele sind Verbrennungsrückstände aus Heizungen, Fäkalien und müllartige Abfälle, die in oder auf den umliegenden Böden entsorgt wurden. Auf Industrie und Gewerbeflächen sind zusätzlich produktionsspezifische Abfallstoffe bzw. Verunreinigungen durch Leckagen und Unfälle zu beachten. Nährstoffeinträge aus den genannten Quellen sowie aus Urin, Hundekot oder Abfällen können zeitverzögert über Fugen oder Freiflächen in die Böden gelangen. Auch die Intensität des Nährstoffeintrages zeichnet sich durch eine große Heterogenität aus. Die Belastung ist meist punktuell im großen Ausmaß auftretend (WESSOLEK ET AL.: 2009; 4).

Eine weitere Besonderheit urban-industrieller Böden ist der im Vergleich zum Umland häufig erhöhte pH-Wert. Dieser ist einerseits auf Bewässerung mit kalkhaltigem Wasser und andererseits auf Streuung von Natrium- und Kalziumchlorid im Winter zurückzuführen. Zusätzlich sind Baumaterialien häufig kalkhaltig. Punktuell können jedoch auch bodensaure Standorte bestehen. Diese sind zumeist auf Brände oder Ablagerung von Industrieasche zurückzuführen (GILBERT & KRÜGER: 1994; 38).

2.5.3 Wasserhaushalt

Der städtische Wasserhaushalt zeichnet sich vor allem durch einen schnellen Abfluss von Oberflächenwasser aus. Dies wird auf der einen Seite durch hohe Versiegelung und auf der anderen Seite durch drainierung bedingt. Durch das schnellere Abfließen des Wassers neigt der Boden dazu, bei Niederschlagsarmut schneller auszutrocknen als im Umland. Darüber hinaus fördert ein erhöhter Oberflächenabfluss Hochwasserspitzen und führt zu einer stärkeren Nähr- und Schadstoffbelastung der Gewässer, da das Wasser vielfach ungefiltert in die Vorfluter gelangt. Darüber hinaus besteht eine verringerte Evapotranspiration (SUKOPP & WITTIG: 1993; 187). Lange wurde angenommen, dass in Städten eine geringere Versickerung und damit eine verringerte Grundwasserneubildung bestehen. Neuere Erkenntnisse stehen jedoch im Widerspruch zu diesen Annahmen. Demzufolge entspricht die Versickerungsleistung städtischer Böden annähernd der von „natürlichen“ Böden. Demzufolge werde die verringerte Durchlässigkeit der Böden durch die Herabsetzung der Evapotranspiration im bebauten Gebiet kompensiert (WESSOLEK ET AL.: 2009; 3). Dies bedeutet, dass Wasser langsamer verdunstet wird und damit über einen längeren Zeitraum versickern kann.

2.6 Besonderheiten der Flora urban-industrieller Ökosysteme

Die speziellen abiotischen Standortbedingungen an urban-industriellen Standorten bedingen auch einige Besonderheiten in der Ausprägung der Flora11. Insbesondere die große ökologische Nischenvielfalt in Städten bedingt häufig eine im Vergleich zum Umland erhöhte Artenvielfalt. Natürlich muss dabei bedacht werden, dass die Grenzen zwischen Stadt- und Umlandökosystemen fließend sind. Dadurch werden auch Bereiche, die land- und forstwirtschaftlich geprägt sind, sich jedoch innerhalb administrativer Stadtgrenzen befinden, häufig in stadtökologische Untersuchungen mit einbezogen (KOWARIK: 1992; 33).

MÜLLER (1990; 32 ff.) unterscheidet bei der Flora urban-industrieller Standorte grundsätzlich zwischen naturnaher, angepflanzter und siedlungsspezifischer Vegetation. Von naturnaher Vegetation sind in Städten meist nur noch Reste vorhanden. Diese finden sich häufig entlang von Flüssen, in alten Parks oder in Bereichen, die aufgrund bestimmter Eigenschaften (z. B. ungünstiges Relief) einem geringem anthropogenem Einfluss ausgesetzt sind (MÜLLER: 1990; 32). Als „angepflanzte Vegetation“ wird die Flora bezeichnet, die ihre Standorte im urbanen Raum nur durch menschliche Unterstützung erreichen konnte und halten kann. Schon immer wurde in Städten verstärkt auch standortsfremde Vegetation angepflanzt, die jedoch zumeist ohne menschliche Pflege nicht konkurrenzfähig12 wäre. Einige Arten wurden jedoch als Archäo- und Neophyten13 Teil der heimischen Pflanzengesellschaften (MÜLLER: 1990; 36). Als „siedlungsspezifisch“ wird spontane Vegetation bezeichnet, die im Umland fehlt oder seltener ist (MÜLLER: 1990; 33). Grundsätzlich lassen sich einige Eigenschaften von Pflanzen identifizieren, die deren Auftreten an urban-industriellen Standorten begünstigen:

- Anpassung an nährstoffreiche Standorte
- Anpassung an regelmäßige Störungen (z. B. Tritt, Schadstoffe)
- Anpassung an nicht festgelegte Substrate (Geröll, Sand, etc.)
- teilweise Anpassung an Fels- und Trockenstandorte
- Anpassung an wärmere Standorte (WITTIG: 1998; 225).

Folglich treten in Städten vor allem Arten auf, die auch im Umland an Standorten mit den genannten Eigenschaften vorkommen. Dies sind etwa Flussläufe, Windwürfe, Brandflächen, Tierbauten, Wildwechsel oder Felsen (WITTIG: 1998; 225). Zusätzlich begünstigt der Effekt der städtischen Wärmeinsel, dass in Städten wärmeliebende Arten (in der Regel Neophyten) auftreten, die im Umland nicht überlebensfähig wären (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 289).

Aus der Gesamtheit der genannten Faktoren und vorteilhaften Eigenschaften ergibt es sich, dass bestimmte spontane Vegetationsgesellschaften in mitteleuropäischen Städten besonders häufig auftreten. Einige wichtige sind: Trittgesellschaften, Parkrasen, Parkwiesen, Saumgesellschaften, Ruderalvegetation, ruderale Gebüsche und Wälder sowie Mauerritzenvegetation (MÜLLER: 1990; 33).

2.7 Besonderheiten der Fauna urban-industrieller Ökosysteme

Mit dem Beginn der Sesshaftigkeit des Menschen begannen bestimmte Tierarten, verstärkt dessen Nähe zu suchen, da sie von seiner Lebensweise profitieren konnten. Mit dem Entstehen der ersten Städte bildete sich zunehmend eine „Anthropozönose“. Parasiten konnten sich hier, aufgrund der höheren menschlichen Populationsdichte, leichter behaupten. Durch das Anlegen von Vorräten wurden Nahrungsressourcen konzentriert, worauf sich zunehmend Arten spezialisierten und so zu Vorratsschädlingen wurden (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 267, 268). Beispiele für frühe Kulturfolger sind etwa der Menschenfloh (Pulex irritans) oder der Kornkäfer (Sitophilus granarius) (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 269). Die hohe Nischenvielfalt in Städten zieht auch bei der Fauna eine im Vergleich zum Umland höhere Artenvielfalt nach sich. Jedoch sind für Etablierung von Tieren in Städten folgende Eigenschaften, je nach den individuellen Bedingungen vor Ort mehr oder weniger, wichtig:

- geringe Fluchtdistanz
- keine Bindung an offene Flächen
- Verhalten an strukturiertes Gelände angepasst (z. B. Felsen-/Höhlenbewohner)
- Nahrungsansprüchen ähnlich des Menschen oder Spezialisierung auf bestimmte Nahrungsmittel
- frühe Geschlechtsreife, hohe Reproduktionsrate
- möglichst geringe Körpergröße
- keine oder unbedeutende Konkurrenz/Belästigung des Menschen
- nicht auf hohe Luft-/Bodenfeuchtigkeit angewiesen
- nicht auf (saubere) Gewässer angewiesen
- unempfindlich gegen Immissionen (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 283)

Darüber hinaus lassen sich für Vögel und Säugetiere typische Anpassungen an das Leben in der Stadt beobachten, die bei Populationen derselben Art in der freien Landschaft nicht typisch sind (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 280): Die Vertrautheit und Zahmheit nimmt zu. Die Flucht- bzw. Toleranzdistanzen nehmen ab, bis hin zur Toleranz von direktem Körperkontakt. Beispiele sind etwa Vögel, die sich auf Menschen niederlassen, um Futter zu erbetteln. In diesem Kontext lässt sich auch eine teilweise Umstellung der Nahrungsökologie beobachten. Ein Beispiel hierfür ist etwa der Höckerschwan (Cygnus olor) oder andere Wasservögel, die sich natürlicherweise von Wasserpflanzen und Kleinstlebewesen im Wasser ernähren, jedoch auch von Menschen ausgebrachtes Brot zu sich nehmen (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 280). Bei Vögeln und teilweise auch Säugetieren ist häufig eine Umstellung der Nistweise festzustellen: Bauwerke und andere technische Einrichtungen werden als Brut oder Nistplatz verwendet. Außerdem neigen Manche Vogelarten dazu, Nester in höherer Lage, als außerhalb der Stadt anzubringen (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 280/282). Vögel in Städten haben grundsätzlich einen verlängerten tageszeitlichen Rhythmus. Die Tiere beginnen früher mit ihrer Aktivität (Gesang, Futtersuche, etc.) und enden später damit. An entsprechend beleuchteten Orten werden die Aktivitäten unter Umständen auch bis in die Nacht hinein fortgesetzt. Eine Reihe von Anpassungen geht auf die günstigeren Lebensumstände für Tiere in Städten zurück (z. B. Nahrungsangebot, Temperatur, etc. ; vgl. 5., 6.1): Vögel und Säugetiere haben in Städten eine höhere Populationsdichte, eine längere Fortpflanzungsperiode, eine verlängerte mittlere Lebensdauer und Vögel teilweise ein reduziertes Zugverhalten (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 282).

ERZ und KLAUSNITZER (1998; 278/279) unterteilen die Fauna in Anlehnung an WITTIG (1985) entsprechend der Vereinbarkeit ihrer Bedürfnisse mit dem städtischen Lebensraum in fünf Klassen:

- extrem urbanophobe Fauna, die den Stadtbereich in der Regel meidet, wie den Dachs (Meles meles) oder den Goldregenpfeifer (Pluvialis apricaria) (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 278).
- mäßig urbanophobe Fauna, die ihren Verbreitungsschwerpunkt außerhalb der Stadt hat und lediglich in naturnahen Habitaten auftritt, wie das Reh (Capreolus capreolus). Einige mäßig urbanophobe Arten kommen zusätzlich in stärker anthropogen beeinflussten Habitaten wie Parks oder Ruderalflächen vor. Beispiele sind hier der Rotfuchs (Vulpes vulpes) oder der Fasane (Phasanius spec.) (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 278).
- urbanoneutrale Arten, die sowohl innerhalb, als auch außerhalb von Städten auftreten, ohne dabei einen besonderen Verbreitungsschwerpunkt aufzuweisen. Ein typisches Beispiel für solche ubiquitäre Arten ist die Amsel (Turdus merula) (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 279) .
- mäßig urbanophile Arten haben ihren Verbreitungsschwerpunkt innerhalb der bebauten Gebiete, fehlen jedoch nicht in der freien Landschaft. Beispielsweise Türkentauben (Streptopelia decaocto) oder die Hausspitzmaus (Crocidura russula) haben eine solche Auftretenscharakteristik (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 279) .
- extrem urbanophile Arten, wie die Hausratte (Rattus rattus), die Hausmaus (Mus musculus) oder der Mauersegler (Apus apus) kommen heute nahezu ausschließlich innerhalb des Stadtgebietes vor (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 279) .

In diesem Kontext sei auch das von POVOLNY (1962/63) entwickelte Synantropie-Modell erwähnt (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 276) . Synanthropie bezeichnet die Anpassung von Kulturfolgern (synanthrope Arten) an die Anthropozönose (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 276). Synanthropie wird grob in Eusynanthropie und Hemisynanthropie unterschieden. Eusynanthropie oder obligatorische Synanthropie bezeichnet Arten, die zumindest innerhalb eines bestimmten Klimabereiches, ausschließlich im Siedlungsbereich auftreten und sich dort reproduzieren. Dies sind durchweg stark an den Menschen angepasste und somit von der direkten Nähe abhängige Arten (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 277). Dies trifft, nicht zuletzt aufgrund der eingeschränkten Mobilität, eher auf kleinere Lebewesen, wie die Bettwanze (Cimex lectularius), die Kopflaus (Pediculus humanus capitis) oder Brotkäfer (Stegobium paniceum) zu. Hemisynanthropie oder fakultative Synanthropie bezeichnet Arten, die die optimalen Lebensbedingungen in Städten finden, jedoch auch außerhalb der Anthropozönose auftreten. Dabei besteht auch die Möglichkeit eines Austausches. Als Beispiele können die Arten herangezogen werden, die unter „extrem urbanophil“ erwähnt wurden (ERZ & KLAUSNITZER: 1998; 277 f.).

2.8 Die ökologischen Eigenschaften und Besonderheiten urbanindustrieller Landschaften im Kontext der Arbeit

Die abiotischen Eigenschaften urban-industrieller Ökosysteme sind im Kontext dieser Arbeit vor allem für die Auswahl der Zielarten wichtig. Es ist davon auszugehen, dass die unter 2.5 erwähnten Besonderheiten teilweise auf die Untersuchungsflächen zutreffen; abweichungen bestimmter Merkmale sind jedoch möglich Nicht zuletzt, weil sich beide Untersuchungsflächen in eher ländlich geprägten Gebieten befinden ist davon auszugehen, dass die typischen Eigenschaften urbanindustrieller Standorte nicht im vollen Umfang zutreffen. Die Erhebung der genauen Standortbedingungen durch Bioindikation (vgl. 4.1.4) soll darum die Ausprägung der einzelnen abiotischen Standortfaktoren im Detail feststellen.

An den in 2.6 und 2.7 erwähnten Besonderheiten der Flora und Fauna urban industrieller Ökosysteme lässt sich ein zentrales Problem bei der Auswahl geeigneter Zielarten ablesen: Da es sich um einen in erster Linie anthropogen geprägten Lebensraum handelt, an den die Menschen bestimmte Ansprüche haben, lassen sich potentiell nachteilige anthropogene Einflüsse bestenfalls verringern, jedoch nie ganz vermeiden. Um diese Einflüsse dauerhaft tolerieren zu können, sollten die Zielarten im Idealfall möglichst viele der erwähnten vorteilhaften Eigenschaften erfüllen.

Auf der anderen Seite ergeben sich aus den ökologischen Besonderheiten urban-industrieller Ökosysteme auch Potentiale für eine naturnahe Gestaltung von Betriebsgeländen: Vor allem die Tatsache, dass auf urban-industriellen Flächen zumeist keine Land- und Forstwirtschaft stattfindet, erleichtert eine naturnähere Neugestaltung urban-industrieller Flächen, da keine Ertragsansprüche an sie gestellt werden. So finden sich beispielsweise in Stadtgebieten verschiedene Lebensraumtypen, die durch Nutzungsintensivierung in den letzten Jahrzehnten in der freien Landschaft selten geworden sind (WITTIG: 1998; 252 ff.). Zudem schließen die für urban-industrielle Ökosysteme typischen Standortfaktoren nicht unbedingt aus, gefährdete Arten zu fördern. Im Gegenteil könnten gerade diese, vom Umland abweichenden, Besonderheiten Potentiale für bestimmte Arten bedeuten. Jedoch ist es im Sinne meines Zieles, nur in der Umgebung auftretende Arten zu fördern, notwendig, dass die lokalen Besonderheiten der Standortbedingungen in einzelnen Merkmalen denen bestimmter Habitattypen im Umland entsprechen. Ein Beispiel wäre etwa Arten der Trockenrasen auf einem eher trockenen Unternehmensareal, in dessen Umgebung ebenfalls solche Arten auftreten.

3 Theorie und Methodik der Zielfindung

In diesem Kapitel stelle ich die Grundlagen dar, auf deren Basis ich geeignete Aufwertungsziele für die jeweiligen Untersuchungsflächen festlege. Im ersten Abschnitt (3.1) erörtere ich die relevanten theoretischen Hintergründe der Zielfindung. In diesem Textteil beschreibe ich zunächst allgemein wie Zielsysteme aufgebaut sind und welchen Zweck sie haben. Anschließend erläutere ich die einzelnen Ebenen der von mir angewendeten Hierarchie eines Zielsystems. Im zweiten Abschnitt (3.2) führe ich aus, wie ich die Zielhierarchie für meine Zwecke adaptiert habe. Dabei gehe ich insbesondere darauf ein, welche Besonderheiten bei diesem Vorhaben zu beachten sind.

3.1 Zielsysteme

„Zielsystem“ ist der zusammenfassende Begriff für einzelne Entscheidungsebenen, die von einer grobe Vorgabe zu einem konkreten Ziel führen sollen. Insbesondere im Naturschutz sind diese Zielsysteme ein wichtiges Werkzeug um grob formulierte politische Vorgaben, die „Leitlinien“, auf konkret durchführbare Maßnahmen zu reduzieren. Die zentralen Begriffe, die innerhalb eines Zielsystems in einer „Zielhierarchie“ geordnet werden, sind „Leitbild“, „Umweltqualitätsziele“ und „Umweltqualitätsstandard“ (vgl. Tabelle 1) (JESSEL & TOBIAS: 2002; 340). Ausgehend von Leitlinien, die ein allgemeines Ziel vorgeben, wird die jeweils nächste Hierarchieebene abgeleitet. So ergibt sich eine absteigende Rangfolge, die mit jeder Ebene konkreter wird.

Tabelle 1: Mögliche Hierarchie eines Zielsystems im Natur- und Umweltschutz (nach JESSEL & TOBIAS: 2002; 342)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auf den folgenden Seiten (3.1.1-3.1.3) beschreibe ich die einzelnen Hierarchieebenen und erläutere, was bei den jeweiligen Schritten zu beachten ist. Zusätzlich betrachte ich jede Ebene im Kontext dieser Arbeit. Da es für mein Vorhaben gegeben ist, Zielarten zu identifizieren (vgl. 3.1.2), erläutere ich abschließend in 3.1.4 das Zielartenkonzept.

3.1.1 Leitbilder

Leitbilder können als die integrative Summe von - auf verschiedene Schutzgüter bezogenen - Umweltqualitätszielen verstanden werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Leitbilder aus Umweltqualitätszielen abgeleitet werden. Umweltqualitätsziele sind vielmehr Facetten des Leitbildes, in die dieses aufgespalten wird. Leitbilder werden aus den Leitlinien abgeleitet und sind in der Regel bereits räumlich und thematisch konkretisiert. Der anzustrebende Zustand wird in Leitbildern sehr allgemein formuliert und ist immer in Relation zur Bezugsebene zu sehen. Der Sinn von Leitbildern wird vor allem deutlich, wenn man bedenkt, dass in den verschiedenen Bezugsebenen unter Umständen gegensätzliche Ziele verfolgt werden (JESSEL & TOBIAS: 2002; 341). Nimmt man das Beispiel „Unternehmen Natur“ stehen unter Umständen die Qualitäten eines Unternehmensareales im Hinblick auf Erholungswert im Gegensatz zu den Qualitäten im Hinblick auf Lebensraum für bedrohte Arten. In derartigen Situationen kann eine Rückbesinnung auf das Leitbild helfen, Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen.

Verschiedene Bezüge bringen unterschiedliche Leitbilder hervor. In Tabelle 2 ist dies dargestellt.

Tabelle 2: Sektorale Leitbilder verschiedener Bezugsebenen (Adaption nach JESSEL & TOBIAS: 2002; 344 in Roweck, 1995)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der naturschutzfachlichen Praxis sind diese Leitvorstellungen selten in Reinform anzutreffen, sondern meist als Konglomerat mit Bezug zu den Gegebenheiten des jeweiligen Planungsraumes. Eine Reduktion auf die einzelnen Ebenen ermöglicht, jedoch in der Planung einer Maßnahme verschiedene Entwicklungsszenarien auszuarbeiten (JESSEL & TOBIAS: 2002; 343).

3.1.2 Umweltqualitätsziele

Umweltqualitätsziele stellen die sachliche, räumliche und zeitliche Konkretisierung von Leitbildern dar. Sie beziehen sich auf die Qualitäten von Gegebenheiten, die in bestimmten Situationen geschützt, gepflegt oder entwickelt werden sollen. Ziele werden hier konkret formuliert und in der Regel auf landschaftsökologische Raumeinheiten bezogen, die sich durch möglichst gleichartige Ausprägung von abiotischen Landschaftsfaktoren definieren (JESSEL & TOBIAS: 2002; 343).

Im Falle eines biotischen Leitbildes wird das Umweltqualitätsziel zumeist Eigenschaften eines Areals, bezogen auf die Habitatansprüche einer oder mehrerer bestimmter Zielarten oder -gattungen (vgl. 3.1.4), definieren.

3.1.3 Umweltqualitätsstandards

Umweltqualitätsstandards sind die konkreteste Ebene eines Zielsystems. Sie sind die handlungsorientierte Auslegung der Umweltqualitätsziele. Die Angaben zur gewünschten Umweltqualität werden hier in messbare und in ihrem Erfolg überprüfbare Umweltstandards übertragen. Es ist jedoch nicht immer sinnvoll, Umweltqualitäten in Standards zu übertragen, da nicht quantifizierbare Qualitäten dabei ausgeklammert werden (JESSEL & TOBIAS: 2002; 343/344).

3.1.4 Das Zielartenkonzept

Da das Leitbild in dieser Arbeit ein „biotisches“ ist (vgl. 3.1.1 & 3.2.2), ist es notwendig Zielarten zu identifizieren. Allein in Bayern liegt die Artenzahl im 5-stelligen Bereich. Darum muss diese große Vielfalt für die Planung auf eine handhabbare Größe reduziert werden (JESSEL & TOBIAS: 2002; 364). In mehreren Schritten wird so anhand verschiedener Kriterien die Zahl der als Zielart in Frage kommenden Arten reduziert. Durch Zielarten sollen die Ziele des Naturschutzes konkretisiert werden. Sie sind als Umweltqualitätsziele zu sehen, durch die die abstrakt und visionär gehaltenen Formulierungen von Leitbildern eine methodisch nachvollziehbare Form erhalten. Durch sie können sinnvolle Schutz-, Kompensations-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen abgeleitet werden, Handlungsprioritäten für Maßnahmen festgelegt werden und Ziele für die Erfolgskontrolle definiert werden. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass Maßnahmen zur Förderung einer einzelnen Zielart zwangsläufig weitere Arten fördern. Zwar ist durch eine Art mit möglichst komplexen

Lebensraumansprüchen ein gewisser „Mitnahmeeffekt“ gewährleistet, jedoch ist es, insbesondere bei größeren Gebieten, sinnvoll ein Zielartenkollektiv auszuwählen. Durch die Übergänge zwischen den Lebensraumansprüchen der einzelnen Arten, so die Annahme, entsteht zwangsläufig ein großes Spektrum verschiedenartiger Habitate (JESSEL & TOBIAS: 2002; 367).

In der Regel beginnt die Auswahl mit der Aufnahme sämtlicher in der Zielfläche auftretenden Arten. Ausgehend von diesem Spektrum wird in der Folge durch ein standardisiertes Ausschlussverfahren eine Zielartenfolge erstellt (vgl. Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Methodischer Rahmen zur Auswahl von Zielarten (Altmoos: 1997 nach JESSEL & TOBIAS: 2002; 370)

Im vorliegenden Beispiel zur standardisierten Auswahl von Zielarten finden sich sämtliche wichtigen Kriterien, die auch in der Praxis bei derartigen Fragestellungen herangezogen werden. Häufig sind solche Auswahlschemata jedoch weniger komplex und schließen vor allem den Gefährdungsgrad einer Art sowie den Mitnahmeeffekt ein.

Hier werden zunächst, ausgehend vom Gesamtspektrum aller Arten in einer Region, für jede Art bestimmte Parameter abgefragt, die darüber entscheiden, ob die Art grundsätzlich geeignet wäre (heimisch? methodische Nachweisbarkeit? realistische Überlebenschance? Mitnahmeeffekt durch komplexe Lebensraumansprüche? Attraktivität?). Anschließend werden Einzelkriterien abgefragt, die für Eigenschaften stehen, die für eine Zielart positiv sind:

- hat die Art einen überregionalen Ausbreitungsschwerpunkt in oder am Rand der Region
- handelt es sich um Reliktvorkommen oder ist die Art endemisch?
- ist die Art störungsempfindlich?
- ist die Art überregional gefährdet?
- hat die Art eine wichtige Zeiger- oder Indikatorfunktion?
- hat die Art eine geringe Ausbreitungs- oder Etablierungsfähigkeit?
- weist die Art wesentliche Schlüsselfunktionen eines Ökosystems auch für andere Arten aus?

Erfüllt eine Art mindestens eines dieser Kriterien ist sie als Zielart geeignet. In der Folge findet eine Reihung der Zielarten in Rangfolge statt. Erstes Kriterium ist die Anzahl der erfüllten Einzelkriterien. Bei Gleichheit wird die Gefährdung laut Roter Liste herangezogen. Liegt auch hier Gleichheit vor, ist die Höhe der „Lebensraumkomplexität“ innerhalb gleicher Raumebenen das dritte Kriterium für die Rangfolge.

3.2 Zielfindung zur naturschutzfachlichen Aufwertung von Unternehmensarealen

In diesem Abschnitt befasse ich mich mit der Zielhierarchie für mein Vorhaben, also mit der Frage, wie grobe Vorgaben im Einzelfall systematisch konkretisiert werden können.

Um die Vielzahl von Möglichkeiten zur naturschutzfachlichen Aufwertung von Unternehmensarealen einzuschränken, ist es unerlässlich, zunächst ein Ziel zu formulieren, das eine grobe Richtung vorgibt. Folglich muss zuerst ein Leitbild entwickelt werden, das allgemeingültig auf alle Beispielflächen bezogen werden kann. Es ist als visionärer Idealzustand der jeweiligen Areale anzusehen. Anschließend können aus dem Leitbild individuelle Zielkonzepte bzw. Umweltqualitätsziele abgeleitet werden. (JESSEL & TOBIAS: 2002; 338/339)

Als Basis für die Entwicklung eines Leitbildes für mein Vorhaben dienen Leitlinien aus der Umweltpolitik. Die Bezugsebene im Rahmen dieser Arbeit sind Arten und Biotope (vgl. 3.1.1). Folglich ist das sektorale Leitbild ein biotisches und sollte im Bezug zu den entsprechenden Leitlinien der Umweltpolitik stehen. Dieses Leitbild soll übergeordnet für sämtliche Beispielflächen anwendbar sein, um dem Anspruch der universellen (Weiter-)Verwendbarkeit zu genügen. Es ist darum naheliegend, auf die Leitlinien derjenigen politischen Ebene zurückzugreifen, die diese Flächen räumlich einschließt. In diesem Fall sind das die Leitlinien der bayerischen Umweltpolitik im Hinblick auf Arten- und Biotopschutz.

Dementsprechend stelle ich im Folgenden zunächst meine Leitlinie, die bayerische Biodiversitätsstrategie, vor. Im Sinne der Zielhierarchie leite ich daraus anschließend ein eigenes Leitbild für diese Arbeit ab. Da es sich dabei um ein Leitbild handelt, das sowohl einen biotischen, als auch einen Nutzungsfokus hat ist es erforderlich, dies bei der Zielartenauswahl zu beachten. Die Bezugsebenen sind folglich Arten und Biotope sowie physische Ansprüche des Menschen. Darum behandle ich neben dem biotischen Fokus des Leitbildes, auf den ich in 3.2.4 eingehe, indem ich mein Auswahlschema für Zielarten erläutere, auch die physischen Nutzungsansprüche des Menschen (3.2.3). Dies sind im Falle von aktuell genutzten Unternehmensarealen einige Besonderheiten im Hinblick auf nutzungsbedingte, unvermeidliche Störungen, welche in das Auswahlschema für Zielarten mit eingeflossen sind. Abschließend gehe ich kurz auf die Umweltqualitätsziele ein, die im Falle dieser Arbeit Konkrete Maßnahmen, bzw. Standortentwicklungsziele, für einzelne Arten sind.

3.2.1 Die bayerische Biodiversitätsstrategie als umweltpolitische Leitlinie

2008 wurde vom bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz die bayerische Biodiversitätsstrategie verabschiedet. Diese beinhaltet den Plan, das bayerische Netzwerk von Schutzgebieten und weiteren Vernetzungselementen bis 2020 so zu vervollständigen, dass genügend Flächen zur dauerhaften Erhaltung der biologischen Vielfalt zur Verfügung stehen (LFU: 2013). Im Hinblick auf die Rote Liste Arten soll sich die Gefährdungssituation bis 2020 so für mindestens 50% um eine Stufe gebessert haben (STMUG: 2009; 13). Die Strategie, die breit gefächert verschiedenste Bereiche des Schutzes der Biodiversität umfasst, eignet sich als Leitlinie, die für die weitere Zielfindung eine umweltpolitische Grundlage darstellt. Als aktuelles Paradigma im bayerischen Umwelt- und Naturschutz ermöglicht sie, im Rahmen dieser Arbeit die „naturschutzfachliche Aufwertung von Unternehmensarealen“ vorrangig im Kontext der Erhaltung der Biodiversität zu sehen. Im Leitbild der bayerischen Biodiversitätsstrategie findet sich unter anderem der Satz: „Des Weiteren werden sich die Zielaussagen zum Erhalt der biologischen Vielfalt […] als Bestandteil der Unternehmenspolitik der Industrie wieder finden.“ (STMUG: 2009; 13). Weiter wird als Ziel definiert, Lebensräume von Arten, für die Bayern eine besondere Erhaltungsverantwortlichkeit hat, zu erhalten, wiederherzustellen und zu verbessern (STMUG: 2009; 15). Vor diesem Hintergrund liegt es nahe Unternehmensareale so zu verändern, dass in Form „weiterer Vernetzungselemente“ als sinnvolle Erweiterungen oder Ergänzungen von Lebensräumen seltener oder bedrohter Arten dienen können.

3.2.2 Leitbild der naturschutzfachlichen Aufwertung von Unternehmensarealen

Ausgehend von dieser Interpretation der politischen Leitlinie habe ich ein Leitbild formuliert, das allgemeingültig auf sämtliche Beispielflächen bezogen werden kann. Ferner beinhaltet es Elemente, die im Falle verschiedener Optionen eine Entscheidung ermöglichen sollen. Die verwendeten Termini sollen außerdem die Auswahlmatrix für die jeweiligen Zielarten integrierbar sein. Das Leitbild steckt zugleich die Grenzen der Bezugsebene ab. Es ist kein biotisches Leitbild in Reinform, da auch die physischen Interessen des Menschen in Form unvermeidbarer Störungen und Aufwand der Umsetzung bzw. der Erhaltung mit einfließen (vgl. 3.2.3). Darum ist es teilweise ein Nutzungsleitbild. Bei der Ausarbeitung der Aufwertungsszenarien werden nur diese beiden Bezugsebenen, Arten und Biotope sowie physische Ansprüche des Menschen, einfließen. Sollte auch für andere Bezugsebenen (z. B. Boden, Wasser, Luft) ein positiver Effekt zu erwarten sein, werde ich dies freilich trotzdem erwähnen.

Leitbild:

Die Unternehmensareale werden heimischen seltenen oder gef ä hrdeten Arten ein Habitat bieten, die vorhandenen Lebensr ä ume solcher Arten in der Umgebung erg ä nzen oder in Form von Trittsteinbiotopen vernetzen. Die Areale werden der jeweiligen Zielart wichtige Funktionen bereitstellen, wie Nist- oder Jagdgelegenheiten. Es wird sich dabei um Arten handeln, die den, durch die betriebliche Nutzung unvermeidbaren, St ö rungen auf dem jeweiligen Unternehmensareal gegen ü ber tolerant sind. Der Zielzustand ist standortgerecht und darum mit m ö glichst einfachen Mitteln zu verwirklichen und zu erhalten.

3.2.3 Erläuterungen zum Nutzungsfokus des Leidbildes

Da das Leitbild durch den Bezug auf unvermeidbare Störungen neben dem biotischen Fokus auch einen Nutzungsfokus hat, muss die Planung auch der entsprechenden Bezugsebene, den „physischen Ansprüchen des Menschen“, gerecht werden. In diesem Unterkapitel beschreibe ich, welche Form diese Ansprüche im konkreten Fall annehmen.

Da es sich bei den Untersuchungsflächen um Unternehmensareale handelt, die in Betrieb sind, werden auch nach einer naturschutzfachlichen Aufwertung die Nutzungsansprüche an die jeweilige Fläche im Vordergrund stehen. Darum ist es für den Erfolg der Aufwertungsmaßnahmen entscheidend, bereits im Vorfeld unvermeidbare anthropogene Einflüsse auszumachen und dementsprechend Zielarten auszuwählen, die die zu erwartenden Einflüsse hinreichend tolerieren können. Natürlich kann, im Gegensatz zum Naturschutz auf öffentlichen Flächen, auf Flächen, die in Privatbesitz sind, nicht immer das Optimum im Hinblick auf die lokalen Schutzziele angestrebt werden. Da Umgestaltungs- und Pflegemaßnahmen hier durch das jeweilige Unternehmen finanziert werden, ist die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung der Aufwertung höher, je niedriger die damit verbundenen Kosten sind. Diese Aspekte, im weiteren Sinne ebenfalls Umweltqualitätsziele, finden sich als Bezugsebene im Leitbild wieder.

3.2.3.1 Nutzungsansprüche an Unternehmensareale

Die Ansprüche, die seitens des Unternehmens an das Areal gestellt werden, hängen in erster Linie von der Art der Industrie ab. Demensprechend verschiedenartig sind auch die durch die Nutzung bedingten Einflüsse, Störungen oder Veränderungen der abiotischen Standorteigenschaften. Im Kontext dieser Arbeit relevante Beispiele für Einflüsse wären etwa Erholungsnutzung durch MitarbeiterInnen, (Liefer-)Verkehr, produktionsbedingte Emissionen (Nähr- und Schadstoffeintrag, Lärm), geländemorphologische Veränderungen (z. B. bei Abbauflächen), sicherheitstechnisch relevante Pflegemaßnahmen (z. B. Baumpflege) oder verstärkte Erwärmung eines Areals im Sommer z. B. durch große Parkplatzflächen.

Welche für den weiteren Betrieb einer Anlage unvermeidlichen Störungen auf den Untersuchungsflächen tatsächlich auftreten, muss im Einzelfall erhoben werden. In der Folge kann die Störungsanfälligkeit in Frage kommender Zielarten als Ausschlusskriterium in der Zielartenauswahl zur Anwendung kommen (vgl. 3.2.4).

3.2.3.2 Aufwand zur Umsetzung und Erhaltung eines Lebensraumes

Mit dem entsprechenden technischen und finanziellen Aufwand ist es prinzipiell möglich ist, so gut wie jedes Ökosystem in ein beliebiges anderes Ökosystem umzuwandeln und damit als Lebensraum für fast jede Art zu gestalten. Darum ist es wichtiges Ausschlusskriterium bei der Auswahl der Zielarten, dass der bevorzugte Lebensraum einer Art mit den gegebenen Standortbedingungen auf einer Zielfläche vereinbar ist. Auf der einen Seite sollen auf diese Weise nur Lebensräume gefördert werden, die im regionalen Landschaftskontext als schützenswert bzw. förderungswert erachtet werden. Auf der anderen Seite stellt insbesondere der finanzielle Aufwand einen entscheidenden Faktor dafür da, ob eine Maßnahme tatsächlich umgesetzt wird. Dieser Aspekt wiegt insbesondere im Rahmen dieser Arbeit schwer, da man davon ausgehen kann, dass Maßnahmen durch die Unternehmen selbst finanziert werden. Um die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung einer naturschutzfachlichen Aufwertung zu erhöhen, ist es folglich ratsam, möglichst wenig aufwändige und kostspielige Maßnahmen zu planen. Im Einzelfall kann es sein, dass dabei ökologische Aspekte hinter ökonomische gestellt werden. Im Auswahlschema für die Zielarten stellen diese Aspekte darum das wichtigste Entscheidungskriterium im Falle mehrerer potentieller Zielarten dar (vgl. 3.2.4). Um jedoch die Anwendbarkeit dieses Kriteriums zu gewährleisten, muss ein Maßstab für den Aufwand zur Umsetzung und Pflege herangezogen werden.

Als Grundlage kann hier die „Kostendatei“ des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) dienen (http://www.lfu.bayern.de/natur/landschaftspflege_kostendatei/doc/kostendatei_voll.pdf Zugriff: 24. März 2014). In diesem Dokument sind die Kosten zahlreicher gängiger pflegerischer und gestalterischer Maßnahmen in Relation zum Umfang (z. B. Kosten pro m²) aufgelistet. Zu beachten ist jedoch, dass die direkten Kosten für das jeweilige Unternehmen eventuell durch Inanspruchnahme von Fördermitteln gesenkt werden könnten (z. B. das Projekt „Naturnahe Gestaltung von Firmengeländen", siehe 2.1).

3.2.4 Adaption des Zielartenkonzeptes

Im Gegensatz zur herkömmlichen Vorgehensweise bei der Auswahl von Zielarten sind im Rahmen dieser Arbeit einige Unterschiede zu beachten. Der wesentliche Unterschied zwischen dem in 2.3 beschriebenen Konzept und meiner Vorgehensweise ist, dass die potentiellen Zielarten vermutlich noch nicht auf der Zielfläche auftreten. Dennoch werde ich nach Kartierung und Artenaufnahme der Untersuchungsflächen deren Zustand mit dem Leitbild abgleichen, um auszuschließen, dass eventuelle Artenvorkommen und Standortpotentiale unter den Tisch fallen. In einem solchen Fall hätte eine weitere Förderung dieser geschützten oder gefährdeten Art(en) als Zielart Priorität. Da es sich bei der Artenaufnahme um eine vorrangig floristische Untersuchung handelt, können auf diesem Weg lediglich Pflanzenarten zu Zielarten werden.

Falls, wie erwartet, keine potentielle Zielart auf der jeweiligen Fläche auftritt, werde ich auf Arten, die in der Umgebung auftreten, zurückgreifen. In diesem Fall wird es sich ausschließlich um Tierarten handeln, da es oft erheblich einfacher ist, konkrete Maßnahmen zur Förderung von bestimmten Tieren zu ergreifen, als dies für Pflanzen möglich ist. Die Quellen, die ich hier heranziehe sind die Ausarbeitungen des Arten- und Biotopschutzprogrammes auf Landkreisebene (vgl. 4.1.3.1). Auf die Grundgesamtheit von Tierarten, die durch das Auswahlschema überprüft werden sollen, gehe ich in Unterkapitel 3.2.5 ein. Die Filterfragen sind in einer Reihenfolge gestellt, die in der Komplexität der für die Antwort notwendigen Recherche zunimmt. Dies bietet die Möglichkeit, einen Großteil des Artenspektrums ohne umfassende Recherche „auszusieben“. So ist der erste Filter, den die Arten durchlaufen, die Frage nach der Attraktivität. Würde diese Frage an späterer Stelle im Schema gestellt, müsste man zuvor zur Beantwortung eher komplexer Fragen zahlreiche Informationen zu den Ansprüchen einer Art recherchieren, die später unter Umständen bei der relativ einfach zu beantwortenden Frage nach der Attraktivität ohnehin herausfällt. Darüber hinaus ist es für Unternehmen ohnehin vorteilhaft, ihr Engagement im Hinblick auf Biodiversität, anhand bestimmter attraktiver Arten präsentieren zu können. Natürlich ist „Attraktivität“ eine höchst subjektive Eigenschaft. Es finden sich zwar Untersuchungen wie von MÖRBE (1999), welche Tierarten von Schulkindern als attraktiv empfunden werden, objektive Kriterien finden sich jedoch nicht. Zudem sind diese Auswertungen sehr grob und enthalten sowohl exotische Tiere als auch Haustiere und heimische Wildtiere. Verwertbar ist höchstens die Erkenntnis, dass Schulkinder am häufigsten Schlangen und Spinnen gegenüber eine Abneigung hatten (MÖRBE: 1999; 163). GRAF (2010; 9) verwendet in seinem Auswahlschema für Leitarten im Landwirtschaftsgebiet eine Tabelle mit der sich die Attraktivität von Tierarten näherungsweise abschätzen lässt (Tabelle 3). Ich werde mich darum in meinem Auswahlschema auf diese Tabelle beziehen, indem ich versuche die Art einzuordnen und Arten ausschließe, die einen Wert von 0 oder 1 erreichen.

Tabelle 3: Bewertungskriterien für die Beurteilung der Attraktivität einer potenziellen Leitart (GRAF: 2010; 9)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Als nächstes Ausschlusskriterium ist es entscheidend, ob eine Art eine realistische Chance hat, die jeweilige Zielfläche in einem angemessenen Zeitraum zu erreichen. Auch diese Frage ist noch relativ einfach zu beantworten. Da durch diese beiden Fragen ohnehin ein Großteil des Gesamtspektrums förderungswürdiger Arten einer Region aussortiert werden kann, muss die folgende, eher rechercheaufwändige Frage, ob die Zielfläche eine Funktion für die jeweilige Art erfüllen könnte, nur mehr für eine Hand voll Arten beantwortet werden. Die Frage bezieht sich darauf, ob die Art, in Anbetracht der durch den Betrieb unvermeidbaren Störungen, eine oder mehrere ihrer Existenzgrundlagen (Nahrung, Unterschlupf, Reproduktion) auf der Zielfläche erfüllen könnte, sofern Fördermaßnahmen für sie umgesetzt werden. Der Konjunktiv „könnte“ ist hier notwendig, da sich die Frage anderenfalls auf den aktuellen Zustand der Fläche und nicht auf den Zustand nach der Umsetzung von angemessenen Fördermaßnahmen beziehen würde. Ich bin an dieser Stelle von der Formulierung „realistischen Überlebenschance einer Art auf der Zielfläche“ abgewichen, da, dem Leitbild entsprechend, die Förderung einer Zielart nicht unbedingt bedeuten muss, dass diese Art die Zielfläche/n als Habitat für sämtliche Existenzgrundlagen erschließen kann. Das Ziel wäre auch erreicht, wenn eine Zielart die Zielfläche/n beispielsweise nur als Trittstein-, oder Jagdhabitat nutzt.

Die Frage, ob die Art heimisch ist, entfällt, da in besagten Ausarbeitungen lediglich heimische Arten behandelt werden. Außerdem ist die Frage nach der Komplexität der Lebensraumansprüche, aus der sich ggf. ein Mitnahmeeffekt für andere Arten ergibt, bei der geringen Größe der Zielflächen nicht sehr relevant, weshalb sie vom Ausschlusskriterium zum Einzelkriterium herabgestuft wird. Ebenfalls von untergeordneter Wichtigkeit ist die einfache methodische Nachweisbarkeit der Art, da nicht zwingend davon auszugehen ist, das auf den Zielflächen ein „Monitoring“ über den Erfolg stattfinden wird. Zudem ist durch das begrenzte Raumangebot auf den Beispielflächen die Reduktion auf eine einzelne Zielart oder mehrere Zielarten mit ähnlichen Habitatansprüchen angemessen.

Um sicher zu gehen, dass Arten mit einem guten Etablierungspotential auf der jeweiligen Fläche bevorzugt werden, habe ich das Schema zur Rangfolge der Zielarten an erster Stelle durch das Kriterium „Anzahl der Quellen“ ergänzt. Dies bezieht sich auf die drei Quellen, die ich für die Grundmenge an Arten, die das Schema durchlaufen, heranziehe und wird in 3.2.5 näher erläutert. Diese Vorgehensweise zielt darauf ab, Arten zu identifizieren, die aufgrund von Nachweisen und Schwerpunkten des Naturschutzes für die Region und den jeweiligen Lebensraumtyp besonders geeignet sind, Zielart für ein Areal zu werden.

Laut Leitbild ist es ein wichtiges Kriterium, dass der angestrebte Habitatzustand mit möglichst einfachen Mitteln zu verwirklichen und zu pflegen ist. Das Schema zur Rangfolge der Zielarten wird darum an zweiter Stelle durch den Aufwand zur Umsetzung und Erhaltung des Lebensraumes einer Art ergänzt.

Um den Aufwand in einem angemessenen Maß zu halten und Übersichtlichkeit zu gewährleisten, werde ich mich darauf beschränken, eine primäre und gegebenenfalls eine sekundäre Zielart zu benennen. Die Reihung ergibt sich aus dem Auswahlschema. Grundvoraussetzung für eine Art als sekundäre Zielart benannt zu werden, ist es, dass ihre Lebensraumansprüche gut mit denen der primären Zielart vereinbar sind. Sollten mehrere Arten als sekundäre Zielart in Frage kommen, entscheidet die durch das Auswahlschema vorgegebene Reihung der Arten.

Das im Hinblick auf diese Kriterien veränderte Schema zur Auswahl einer Zielart ist in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Methodischer Rahmen zur Auswahl von Zielarten ( Verändert nach Vorlage von Altmoos, 1997 nach JESSEL & TOBIAS: 2002; 370)

3.2.5 Gesamtspektrum förderungswürdiger Arten in der Region

Ziel des Auswahlschema für Zielarten ist es, die große Menge geschützter, gefährdeter oder anderweitig förderungswürdiger Arten in einer „Region“ auftritt, auf eine handhabbare Menge zu reduzieren (vgl. 3.2.4). Grundsätzlich ist dabei zunächst zu klären, wie „Region“ definiert werden soll. Im Falle dieser Arbeit soll die Quelle für förderungswürdige Arten das Arten- und Biotopschutzprogramm des jeweiligen Landkreises sein. Darum macht es der Einfachheit halber Sinn, die „Region“ ebenfalls als den Landkreis zu definieren, in dem das jeweilige Unternehmensareal liegt (vgl. 9).

Da die Recherche für die einzelnen Kriterien des Auswahlschemas jedoch sehr aufwendig ist, muss bereits im Vorfeld eine sinnvolle Auswahl von Arten getroffen werden, die das Schema durchlaufen sollen.

So macht es beispielsweise Sinn, lediglich Arten zu überprüfen, deren Lebensraumansprüche grundsätzlich mit den Bedingungen auf dem jeweiligen Areal vereinbar sind. Dies bedeutet beispielsweise, dass Arten alpiner Lebensräume bei einem Areal, das im Alpenvorland liegt nicht in das Auswahlschema mit einbezogen werden müssen, auch wenn diese Arten im jeweiligen Landkreis als förderungswürdig gelten.

Ich habe mich zur Reduktion der genauer zu betrachtenden Artenmenge entschlossen folgende Quellen heranzuziehen:

Schwerpunktarten für den jeweiligen Landkreis:

In Kapitel 2 des ABSP, das sich jeweils mit den auftretenden Tier- und Pflanzenarten befasst sind für die verschiedenen Klassen im Landkreis auftretender Flora und Fauna jeweils Schwerpunktarten aufgelistet. Diejenigen dieser Arten, deren Lebensraumansprüche grundsätzlich mit den Bedingungen auf dem Unternehmensareal vereinbar sind, durchlaufen das Auswahlschema für Zielarten

Schwerpunktarten für den jeweiligen Lebensraumtyp:

In Kapitel 3 des ABSP werden für ausgewählte Lebensraumtypen Ziele und Maßnahmen vorgestellt. In der Regel ist der Lebensraumtyp „Siedlungen“. Darunter finden sich immer auch Tierarten, die gezielt gefördert werden sollen. Diese fließen in die Grundmenge des Auswahlschemas ein.

Artnachweise im direkten Umfeld zur Untersuchungsfläche:

Im ABSP sind jeweils auch einzelne Artnachweise festgehalten. Treten förderungswürdige Arten in der Umgebung des jeweiligen Areals, z. B. im Umkreis von 2-3km auf, fließen sie, sofern ihre Lebensraumansprüche grundsätzlich mit den Bedingungen auf dem Unternehmensareal vereinbar sind, in das Auswahlschema ein.

Diese Vorauswahl ermöglicht es zusätzlich eine Reihung vorzunehmen, falls mehrere Arten für das jeweilige Areal als Zielart in Anbetracht kommen: Je mehr dieser Kriterien eine Art erfüllt, bzw. in je mehr dieser Quellen eine Art genannt wird, desto sinnvoller ist es, sie als Zielart für das jeweilige Unternehmensareal einzusetzen (vgl. 3.2.4).

[...]


1 Als Störung bezeichnet man ein Ereignis, das einen Lebensraum in solcher Weise beeinträchtigt, dass die Struktur und/oder Funktion einer Lebensgemeinschaft reversibel oder irreversibel beeinflusst (Smith & Smith: 2009).

2 „Planungsregion“ oder teils auch kurz „Region“ bezeichnet im Rahmen dieser Arbeit den Landkreis in dem eine Planungsfläche liegt.

3 Als Struktur bezeichne ich im Rahmen dieser Arbeit bauliche- und Vegetationselemente mit kategorisierbaren Beschaffenheiten.

4 Unter „Zielfläche“ verstehe ich einen Teilbereich des Betriebsgeländes, auf den Maßnahmen angewendet werden können. 6

5 Als Untersuchungsflächen bezeichne ich im Rahmen dieser Arbeit die gesamten Unternehmensareale/Betriebsgelände.

6 „Standort“, „Standortbedingungen“ oder „Standortfaktoren“ bezeichnet die Gesamtheit aller abiotischen und biotischen Umweltbedingungen, die in einem Geländeausschnitt wirksam werden (DENFER ET AL.: 1978; 856)

7 Ruderalvegetation bezeichnet die an anthropogen überformten Standorten spontan auftretenden Pflanzen. Segetalvegetation sind analog dazu auf bewirtschafteten Äckern spontan auftretende Pflanzen („Ackerunkräuter). (MEYER ET AL.: 2013; 10)

8 „Habitat“ ist der Ort, an dem ein Organismus lebt (TOWNSEND, ET AL.: 2003; 134).

9 Eine Pflanzengesellschaft ist ein Vegetationskomplex mit bestimmter Artenzusammensetzung. Diese wird durch Standortfaktoren und die Konkurrenzfähigkeit der Arten bestimmt (ULRICH & KLUGE: 2012, 464).

10 Ein Biotop ist derLebensraum einer bestimmten Biozönose. Im Zusammenhang mit Pflanzen wird hier oft der Begriff „Standort“ verwendet. Ein Biotop/Standort ist durch eine bestimmte Konstellation äußerer Faktoren gekennzeichnet (LÜTTGE & KLUGE: 2012; 464). 14

11 Als „Flora“ bezeichnet man den Gesamtbestand an Pflanzensippen eines bestimmten Gebietes, (DENFER ET AL. : 1978; 856).

12 „Konkurrenz“ ist der Wettbewerb zweier oder mehrerer Individuen oder Populationen um begrenzt verfügbare Ressourcen, der zur einoder wechselseitigen negativen Beeinflussung der beteiligten Organismen führt (MARTIN & ALLGAIER: 2011; 6)

13 Als „Neophyten“ bezeichnet man Pflanzenarten, die sich nach 1492 in einem neuen Gebiet etabliert haben, als „Archeophyten“ werden Pflanzenarten bezeichnet, bei denen dies vor 1492 geschah (DENFER ET AL. : 1978; 964).

Ende der Leseprobe aus 134 Seiten

Details

Titel
Naturschutzfachliche Aufwertung von Unternehmensarealen. Konzept zur Integration lokaler Naturschutzziele
Hochschule
Universität Salzburg  (Geographie und Geologie)
Veranstaltung
Stadtökologie
Note
1
Autor
Jahr
2014
Seiten
134
Katalognummer
V300318
ISBN (eBook)
9783656966074
ISBN (Buch)
9783656966081
Dateigröße
8072 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Naturnahe Gestaltung, naturschutzfachliche Aufwertung, Betriebsgelände, Unternehmensareal, Firmengelände, Arten und Biotopschutzprogramm, Zielart, repräsentative Art, Renaturierungsökologie, Stadtökologie, Naturschutz, Stadtnatur., Bayern, repräsentative Gestaltung, Firma, Unternehmen, Betrieb, Natur, Umwelt
Arbeit zitieren
Henrik Klar (Autor:in), 2014, Naturschutzfachliche Aufwertung von Unternehmensarealen. Konzept zur Integration lokaler Naturschutzziele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300318

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