Rituale und ihre Bedeutung für eine Philosophie der Kultur


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Vorgehensweise

2. Das Ritual
2.1. Definition
2.2. Historische Verwendung des Ritualbegriffs
2.3. Merkmale ritueller Handlungen
2.4. Rituale als Konstante

3. Die Funktion des Rituals
3.1. Die performative Kraft des Rituals
3.2. Rituale bei Austin
3.3. Rituale bei Bourdieu
3.4. Émile Durkheim: Rituale schaffen Gemeinschaft
3.5. Victor Turner: Rituale als Prozess

4. Fazit: Die Bedeutung von Ritualen für eine Philosophie der Kultur

1. Einleitung

1.1. Problemstellung

Rituale nehmen seit jeher eine zentrale Position im gesellschaftlichen Zusammenleben ein. Zunächst finden sie ihre Anwendung in außerphilosophischen Ansätzen, wie den sprachorientierten und auch den soziologischen. Die Philosophie nimmt Rituale erst weitaus später mit der performativen Wende wahr. Sie sind einen wichtiger Bestandteil der Kulturphilosophie und vor allem ein zentraler Teilbereich der performativen Kulturbetrachtung geworden. Angesichts der Tatsache, dass Rituale eine so wichtige Rolle in der Kulturphilosophie spielen stellt sich die Frage nach den Ursachen und Zusammenhängen. Der vorliegenden Arbeit liegen die Fragen nach der Bedeutung von Ritualen für die Kulturphilosophie sowie nach dem Beitrag von Ritualen zu einer performativen Kulturbetrachtung zugrunde. Zur Beantwortung dieser Fragestellungen beschäftigt sich die Hausarbeit mit der Rolle und Funktion von Ritualen in den beiden philosophischen Grundansätzen von Emile Durkheim und Victor Turner sowie mit der performativen Kraft von Ritualen in den Ansätzen von John L. Austin und Pierre Bourdieu.

1.2. Vorgehensweise

Um die Fragen nach der Bedeutung von Ritualen und ihrem Beitrag zur performativen Kulturbetrachtung zu beantworten, wird zunächst der Begriff „Ritual“ definiert. In dem Zuge wird auf die Problematik des Ritualbegriffs hingewiesen, da sich die Auffassung, was unter einem Ritual zu verstehen ist, im Zeitverlauf stark gewandelt hat. Daneben werden Merkmale definiert, die ein Ritual in den Grundzügen ausmachen. Es folgt eine Analyse der performativen Kraft des Rituals sowie der Funktion von Ritualen anhand ausgewählter philosophischer Ansätze. Zur Bestimmung der performativen Kraft von Ritualen und ihren Funktionen werden die Ausführungen von Austin und Bourdieu sowie die funktionalistischen Grundansätze von Durkheim und Turner herangezogen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden in einem Fazit abschließend zusammengefasst und als prägnante Antwort auf die Eingangsfragen formuliert. Den Abschluss der Arbeit bildet ein kurzer Ausblick auf Rituale in der heutigen Gesellschaft mit einer Analyse zur Aktualität der vorgestellten Ansätze.

2. Das Ritual

2.1. Definition

Die genaue Definition des Begriffs „Ritual“ gestaltet sich schwer, da sich die Auffassung, was unter einem Ritual zu verstehen ist, im Laufe der Zeit stets verändert und weiterentwickelt hat. Der Begriff „Ritual“ wird oft in engem Zusammenhang zu Begriffen wie bspw. „Zeremonie“, „Spiel“, „Sport“, „Fest“, „Brauch“, „Sitte“ und „Routine“ gesehen. Einige werden synonym verwendet, andere voneinander abgegrenzt. Eine einheitliche Regelung wurde jedoch nicht getroffen. Daneben existieren Begriffe wie „Kult“ und „Ritus“, die sowohl als Ober- als auch als Unterbegriff von „Ritual“ verwendet werden können. Selbst der Begriff „Ritualisierung“ kann mindestens in einem doppelten Sinn, ein Verhalten aber auch ein ritualisiertes Handeln, angewandt werden.1

Diese Vieldeutigkeiten zeigen sich auch in der Ritualtypologie. So existieren Übergangsrituale, Opferrituale, Heilrituale, Alltagsrituale, politische Rituale, Tanzrituale und vieles mehr. Daneben, und das mag ein viel grundlegenderes Definitionsproblem darstellen, existieren unzählige, oft kulturspezifische Erscheinungsformen von Ritualen.2

Die allgemeine Definition im Lexikon definiert Rituale als „ein Regeln folgender, eingeübter oder unbewusst eingespielter Verhaltensablauf bei Tieren und Menschen. Während bei Tieren Rituale zum instinktgesteuerten Verhalten (Ritualisation) gehören, unterliegen die menschlichen Rituale kulturellen Prägungen, deren Verbindlichkeit nur im Bereich der jeweiligen Kultur liegt.“3

Da diese Definition jedoch nur eine unter vielen ist, wird im Folgenden die historische Entwicklung und Verwendung des Begriffs Ritual näher beleuchtet, einheitliche Merkmale ritueller Handlungen definiert, sowie eine Abgrenzung zu wesentlichen, oft synonym verwendeten Begriffen vorgenommen.

In der vorliegenden Arbeit werden Begriffe wie „Ritual“, „Ritualhandlungen“, „Ritus“, „rituelle Handlungen“ etc. synonym verwendet. Daher werden die verwendeten Begrifflichkeit nicht einzeln definiert.

2.2. Historische Verwendung des Ritualbegriffs

Der Begriff Ritual kommt ursprünglich von dem lateinischen Begriff ritualis, der so viel bedeutet wie „zum religiösen Brauch gehörig“, der sich weiterentwickelt hat zu dem lateinischen Begriff ritus, der „religiöser Brauch“ bedeutet. Demnach ist unter dem Begriff Ritual die Gesamtheit der Riten eines Kultes zu verstehen.4

Der Begriff war in der Antike vor allem auf feierliche, religiöse Bräuche beschränkt. Erst Ende des 19. Jahrhunderts etabliert sich eine zunehmend erweiterte Verwendung im Zusammenhang mit der Entstehung von Soziologie, Ethnologie und Religionswissenschaften. Berühmte Vertreter und gleichzeitig die ersten Ritualtheoretiker sind bspw. W.R. Smith (1889), J. Frazer (1890), A. van Gennep (1908) oder É. Durkheim (1912). Bis dahin wurden Rituale vor allem als primitiv oder rückständig bezeichneten Kulturen zugeordnet.5 Im Rahmen dieser Erweiterung entwickelte sich die Vorstellung, Rituale seien stets geleitet von etwas Nicht-Rituellem, als Ausführungen sozialer und psychologischer „Texte“. Für Durkheim steht hinter den Ritualen das Bedürfnis, soziale Solidarität zu schaffen, Freud schreibt Ritualen den Zweck zur Verdrängung traumatischer Ereignisse zu. Das Ritual selbst wird nicht mehr als Vollzug oder Ausdruck eines religiösen Glaubens betrachtet. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht nun die Bedeutung oder Funktion des Rituals, die außerhalb des Rituals stehen.6

Dieser neutrale Ritualbegriff wandelte sich etwa 1965 mit dem Ritualexotismus, der Rituale als kreative und erlebnisreiche Erfahrungen verstand. Im Rahmen dieser Entwicklung begann auch die ethnologische Theoriebildung Rituale zunehmend als performative und kommunikative Ereignisse anzusehen. Zu den prominentesten Vertretern zählen V. Turner, M. Douglas oder C. Geertz. Mit der positiveren Sichtweise gewannen Rituale zunehmend auch Einzug in Handlungskomplexe der westlichen Kulturen.7

In diesem sogenannten „performative turn“ der Kulturwissenschaften interes- sierte man sich für Interaktionsrituale (Goffman) oder die zum Teil versteckte Macht der Rituale (Bourdieu). Rituale wurden zu kulturellen (Sub-)Systemen. Übergreifende Ritualmonographien, die nicht von einzelnen Ritualen ausgehen, sondern die bisherigen Ritualtheorien gegenüberstellen, entstanden jedoch erst im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends.8

Die historische Entwicklung des Ritualbegriffs ist somit gekennzeichnet durch eine Ausweitung des Bedeutungsspektrums gekennzeichnet. Trotz der weitreichenden kulturellen, historischen und regionalen Unterschiede ist es sinnvoll Rituale als gesonderte Form menschlichen Verhaltens zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist jedoch die Verwendung eines polythetischen Ritualbegriffs, d.h. er ist von einer Vielzahl von Merkmalen bestimmt, die sich weder überschneiden noch gesamthaft gegeben sein müssen.9

2.3. Merkmale ritueller Handlungen

Im Folgenden werden die am wenigsten umstrittenen, grundlegenden Merkmale ritueller Handlungen aufgeführt:

Verkörperung: Rituale bestehen aus Handlungen, die handelnde Personen voraussetzen. Diese Handlungen geschehen durch eine Verkörperung in Zeit und Raum.

Förmlichkeit: Rituale bestehen aus wiederholten, nachahmbaren Handlungen. Diese Förmlichkeit stellt für die Ritualdynamik ein unverzichtbares Kriterium dar.

Rahmung: Rituale werden oft durch Zeichen wie bspw. Glocken, Gesten, Kleidungswechsel als ritualisierte Eröffnungen eingeleitet, um eine Abgrenzung zwischen Alltagswelt und Ritualwelt zu schaffen. Dazu gehört in der Regel auch ein förmlicher Beschluss. Ritualhandlungen liegt oft ein ausdrücklicher Entschluss zugrunde, die Handlungen zu einem festgelegten Zweck durchzuführen.

Transformation und Wirksamkeit: Ritualen wird eine Wirkung zugesprochen. Sie können bspw. einen Wechsel des Status oder der Kompetenz bewir- ken. Nach Durchführung des Rituals ist man jemand anderes: Ehemann bzw. - frau (Heirat), ein Promovierter (Promotion), etc.10

Überhöhung (das umstrittenste Kriterium): Bei Ritualhandlungen haben vielfach die Ritualteilnehmer überhöhende Zwecke. Sie stabilisieren, solidarisieren oder hierarchisieren soziale Beziehungen. So definiert bspw. V. Turner Rituale wie folgt: „Prescribed formal behaviour for occasions not given over to technological routine“11 mit dem entscheidenden Zusatz: „having references to beliefs in mysticals beings or powers.“12 Andere Bezeichnungen der Überhöhung sind bspw. Autorität, Repräsentation und Symbol. Gemeint sind also nicht nur religiöse Bezüge von Handlungen. In Ritualen muss man oftmals nicht verstehen, was man tut, weil man sich darauf verlassen kann, dass es richtig ist, was man tut. Diese Verlässlichkeit ergibt sich gerade daraus, das Rituale in der Regel die Anfänge oder das Gottesgeschehen etc. repräsentieren und wieder-holen. Daher sind auch die Elemente wie Ritualzitate oder Imitation so entscheidend.13

Anhand dieser Merkmale lassen sich Rituale sinnvoll von Alltags- und Routinehandlungen wie bspw. dem alltäglichen Zähneputzen abgrenzen. Zwar sind auch hier förmliche, performative Handlungsmuster gegeben, bestimmte kulturelle Ordnungszeichen, welche die Überhöhung der Handlungen ausmachen, fehlen jedoch. Rituelle Handlungen sind durch ein größeres individuelles oder kollektives Verpflichtungs- und Anerkennungspotenzial geprägt als routinisierte Alltagshandlungen.14

In der vorliegenden Arbeit ist die Rede von dem Begriff „Ritual“ im engeren Sinne. Dabei handelt es sich um bewusst gestaltete, möglicherweise form- und regelgebundene, jedenfalls relativ stabile Handlungs- und Ordnungskonfigurationen, die eine Gesellschaftsgruppe teilt. Sie geben allgemein akzeptierte Handlungsformen vor, welche die Unsicherheit menschlicher Handlungsmöglichkeiten reduzieren.15

[...]


1 vgl. Michaels (2003), S. 1 f.

2 vgl. ebd. S. 2 ff.

3 www.wissen.de (2015).

4 www.wissen.de (2015a).

5 vgl. Michaels (2003), S. 2.

6 vgl. Krieger u.a (2013), S. 7.

7 vgl. Michaels (2003), S. 2.

8 vgl. ebd. S. 3.

9 vgl. ebd. S. 3.

10 vgl. ebd. S. 4.

11 Turner (1967), S. 19.

12 ebd. S. 19.

13 vgl. Michaels (2003), S. 5.

14 vgl. ebd. S. 5.

15 vgl. ebd. S. 5 f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Rituale und ihre Bedeutung für eine Philosophie der Kultur
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
24
Katalognummer
V300117
ISBN (eBook)
9783656965329
ISBN (Buch)
9783656965336
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rituale, bedeutung, philosophie, kultur
Arbeit zitieren
Lisa Marie Schmidt (Autor:in), 2015, Rituale und ihre Bedeutung für eine Philosophie der Kultur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300117

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