Optimierung eines Schichtsystems in der chemischen Industrie


Akademische Arbeit, 2012

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Optimierung des Schichtsystems der H.C. Starck GmbH
2.1 Ausgangssituation
2.1.1 Das Unternehmen
2.1.2 Betriebsspezifische Regelungen
2.1.3 Beschreibung des jetzigen Schichtsystems
2.1.4 Wünsche der Interessengruppen
2.1.5 Die Pilotabteilung
2.2 Optimierte Schichtpläne
2.2.1 Vorgehensweise bei der Konstruktion von Schichtplänen
2.2.2 Erweitertes Vierschichtsystem mit rollierenden freien Tagen
2.2.3 Erweitertes Vierschichtsystem mit Zeitfenstern
2.2.4 Fünfschichtsystem
2.3 Empfehlung
2.4 Einführungsstrategie
2.4.1 Analyse und Planung
2.4.2 Bewertung und Auswahl
2.4.3 Information und Schulung
2.4.4 Pilotphase
2.4.5 Verbreitung im Unternehmen

3 Fazit und Ausblick

Anhang

Anhang I Erläuterungen und Berechnungen

Literaturverzeichnis inklusive weiterführender Literatur

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: 4:Abbildung 1: 4: 1 Schichtsystem der H.C. Starck GmbH in Goslar

Abbildung 2: 36:8 Schichtplan mit rollierenden Freischichten

Abbildung 3: 40:8 Schichtplan mit rollierenden Freischichten

Abbildung 4: 40:8 Zeitfenstersystem

Abbildung 5: Arithmetischer 5:1-Schichtplan

Abbildung 6: Kalendarischer 5:1-Schichtplan mit kompletter Vertretungswoche

Abbildung 7: Phasenkonzept zur Einführung flexibler Arbeits- und Betriebszeiten

1 Einleitung

Die heutige Zeit hält vielfältige Herausforderungen für Unternehmen bereit, die es zu bewältigen gilt, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Bestand des Unternehmens langfristig zu sichern. Dabei spielt neben dem verstärkten Konkurrenzdruck durch die Globalisierung, den steigenden Kundenanforderungen[1] und den ungewissen Auswirkungen der „Euro-Krise“ auch der demografische Wandel eine bedeutende Rolle. Die Folgen des demografischen Wandels sind aus betrieblicher Sicht sinkende Erwerbspersonenzahlen und der daraus resultierende Arbeits- und Fachkräftemangel sowie das steigende Durchschnittsalter der Belegschaften.[2]

Ein wichtiges Instrument zur Bewältigung der Probleme, die aus dem demografischen Wandel resultieren, ist die betriebliche Arbeitszeitgestaltung. Um den alternden Belegschaften Rechnung zu tragen und die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter[3] auch bis ins hohe Alter zu sichern, müssen Unternehmen ihre Arbeitszeitsysteme immer wieder optimieren und dabei auf eine alters- und alternsgerechte Gestaltung achten. Die Flexibilität spielt bei der Arbeitszeitgestaltung eine immer wichtigere Rolle, um zum einen eine bedarfsgerechte Produktion sicherstellen und auf Schwankungen in der Auftragslage reagieren zu können und zum anderen für die Beschäftigten eine Grundlage für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu schaffen, um damit als Arbeitgeber attraktiver zu werden.

In der Verwaltung sind flexible Arbeitszeiten zum Beispiel in Form von Gleitzeit und Teilzeitarbeit bereits weit verbreitet. Die Arbeitnehmer in der Produktion arbeiten dagegen oft noch in längst veralteten, starren Schichtsystemen, die weder für das Unternehmen noch für die Mitarbeiter die erforderliche Flexibilität bieten.[4] Dabei ist gerade die Schichtplangestaltung für das Unternehmen von besonderer Bedeutung, denn „insgesamt beeinflusst die Qualität der Schichtplanung sowohl die langfristige als auch die kurzfristige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erheblich“.[5]

Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die modernen Möglichkeiten der Flexibilisierung von Schichtsystemen bieten und die dahingehende Optimierung eines Schichtmodells anhand eines praktischen Beispiels aufzeigen. Ziel ist es dabei, Alternativen für ein neues Schichtmodell zu entwickeln, die die Probleme des alten Schichtsystems beheben und dabei durch moderne Instrumente zu einer höheren Flexibilität und Alter(n)sgerechtigkeit beitragen.

Die Optimierung des Schichtmodells erfolgt dementsprechend weniger unter Beachtung typischer betrieblicher Zielsetzungen wie Kostensenkung oder Anpassung an Auftragsschwankungen.[6] Im Vordergrund stehen stattdessen die Gesundheitsverträglichkeit, die Alter(n)sgerechtigkeit und die Attraktivität des neuen Modells für die Mitarbeiter. Zudem soll die Umgestaltung möglichst kostenneutral und unter Beibehaltung des derzeitigen Personalbestands umgesetzt werden.

Der praktische Teil der Arbeit beginnt mit der Darstellung der Ausgangssituation. Dazu gehören eine Beschreibung des Unternehmens, der Pilotabteilung und des derzeitigen Schichtmodells der H.C. Starck GmbH. Außerdem werden die Wünsche und Ziele der verschiedenen Interessengruppen zusammengefasst.

Auf Basis dieser betrieblichen Anforderungen werden alternative Schichtsysteme vorgestellt, die für eine Optimierung der Schichtpläne der H.C. Starck GmbH entwickelt wurden. Anschließend wird eine Empfehlung ausgesprochen sowie ein Einblick in eine mögliche Einführungsstrategie für das neue Schichtsystem gegeben. Den Abschluss der Arbeit bilden das Fazit und ein Ausblick auf weitere Fragestellungen und künftige Entwicklungen im Hinblick auf die Schichtplangestaltung.

2 Optimierung des Schichtsystems der H.C. Starck GmbH

2.1 Ausgangssituation

Im folgenden Abschnitt wird die Ausgangssituation für die Entwicklung neuer Schichtpläne der H.C. Starck GmbH dargestellt. Dafür werden zunächst das Unternehmen, die betriebsspezifischen Regelungen und das aktuell angewendete Schichtsystem beschrieben. Außerdem werden die Wünsche der verschiedenen Interessengruppen erläutert, die bei der Optimierung der Schichtpläne Berücksichtigung finden sollen. Abschließend wird die Pilotabteilung vorgestellt, deren Daten für die Konstruktion der Schichtsysteme in Kapitel 5.2 verwendet wurden.

2.1.1 Das Unternehmen

Der H.C. Starck Konzern ist weltweit führender Anbieter von Hochschmelzenden Metallen und Technischer Keramik. An den zwölf Produktionsstandorten in Europa, Nordamerika und Asien sind insgesamt rund 2.700 Mitarbeiter beschäftigt. Zum Produktportfolio des Unternehmens gehören Wolfram, Tantal, Niob, Molybdän und Rhenium sowie Oberflächentechnik und Keramik. Diese Produkte sind als Rohstoff in Pulverform oder als kundenspezifisches Bauteil erhältlich. Sie werden unter anderem in der Automobilbranche, der Luft- und Raumfahrtindustrie und in der Medizintechnik verwendet.

Die H.C. Starck GmbH wurde 1920 von Hermann C. Starck als Handelsunternehmen für Metalle und Erze in Berlin gegründet. 1935 erwarb H.C. Starck die Aktienmehrheit der Gebrüder Borchers AG in Goslar. Von 1986 bis 2006 gehörte H.C. Starck zur Bayer AG, bis das Unternehmen an die Finanzinvestoren Advent International und Carlyle Group verkauft wurde.

Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf den Produktionsstandort der H.C. Starck GmbH in Goslar. Mit rund 1.200 Mitarbeitern ist das Werk in Goslar der größte Standort der H.C. Starck Gruppe. Der Schwerpunkt liegt hier in der Gewinnung und Weiterverarbeitung von Metallpulvern und Vorstoffen für Hochleistungskeramiken. Zur Herstellung dieser Produkte werden zum Teil giftige und hochentzündliche Chemikalien eingesetzt, die einen sorgfältigen Umgang und spezielle Sicherheitsvorschriften erforderlich machen. Die besonderen Produktionsverfahren und -anlagen erfordern in vielen Bereichen der H.C. Starck GmbH Goslar einen vollkontinuierlichen Betrieb.

2.1.2 Betriebsspezifische Regelungen

Bei der Gestaltung eines neuen Schichtsystems für die H.C. Starck GmbH sind neben den bereits vorgestellten gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen auch die Regelungen aus Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen zu beachten. Diese Regelungen dienen zumeist der Konkretisierung und betriebsspezifischen Ausgestaltung von Regelungsbereichen aus den Tarifverträgen. Insgesamt kommt diesen Regelungen eine eher untergeordnete Bedeutung zu, da sie kurz- oder mittelfristig an die Bedürfnisse der Arbeitszeitgestaltung angepasst werden können.[7]

Die Betriebsvereinbarung (BV) „Urlaubsregelung“ bestimmt, dass alle in die Urlaubsperiode fallenden Tage, an denen laut Schichtplan gearbeitet worden wäre, als Urlaubstage angerechnet werden. Nicht angerechnet werden die in die Urlaubsperiode fallenden Ruhetage, arbeitsfreien Sonntage und gesetzlichen Feiertage.

Schichtarbeitnehmer erhalten auf Grundlage der Betriebsvereinbarung „Pausenvergütung im Schichtdienst“ pro Tag eine vergütete Pause in Höhe von 30 Minuten, die nicht als Arbeitszeit gilt.

Laut der Betriebsvereinbarung „Übergabezeiten“ wird einem bestimmten Kreis von Schichtarbeitnehmern eine Übergabezeit von einer Viertelstunde pro Tag gewährt. Diese Übergabezeit wird im Rahmen der Pausenvergütung bezahlt, aber nicht als Arbeitszeit angerechnet. Zusätzlich erhalten bestimmte gewerbliche Arbeitnehmer gemäß der Betriebsvereinbarung „Waschzeit“ täglich eine bezahlte Waschzeit in Höhe von 15 Minuten, die ebenfalls nicht zur Arbeitszeit gerechnet wird.

Arbeitgeber und Betriebsrat haben in der Betriebsvereinbarung „Jahresarbeitszeit“ festgelegt, dass die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden in einem Verteilzeitraum von bis zu 12 Monaten realisiert werden muss. Die zu diesem Zweck geführten Jahresarbeitszeitkonten können ein maximales positives Saldo in Höhe von 225 Stunden und ein maximales negatives Saldo in Höhe von 75 Stunden aufweisen. Bei Schichtarbeitern bauen sich die positiven Zeitsalden durch vom Vorgesetzten angeordnete Mehrarbeit und durch die Überschreitung der wöchentlichen Arbeitszeit auf. Mehrarbeit ist für Arbeitnehmer in vollkontinuierlicher Wechselschicht die über die jeweils schichtplanmäßige Wochenarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit. Abgebaut wird das Zeitkonto entweder auf Initiative des Mitarbeiters oder - unter Berücksichtigung der Auftragslage - auf Initiative des Unternehmens.

Mit der Betriebsvereinbarung zur Umsetzung der 37,5 Stunden-Woche wurde die Zeiterfassung mittels Stempeluhren für Schichtarbeitnehmer abgeschafft. Um trotz der höheren WAZ im Schichtsystem die 37,5 Stunden-Woche zu erreichen, erhalten die Schichtarbeiter im Verteilzeitraum von zwölf Monaten 13 Ausgleichsfreischichten.

Zur Konkretisierung der in § 2a MTV vorgesehenen Altersfreizeiten wurde ebenfalls eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Dort ist geregelt, dass die zustehenden Altersfreizeiten zu ganzen Tagen zusammengefasst werden. Für Arbeitnehmer mit einem Anspruch auf zweieinhalb Stunden Altersfreizeit pro Woche ergibt sich daraus ein Anspruch auf 17 Freischichten pro Kalenderjahr, für diejenigen mit einem Anspruch auf dreieinhalb Stunden sind es 24 Freischichten. Die Freischichten müssen quartalsweise in Abstimmung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern genommen werden. Mitarbeiter in vollkontinuierlicher Wechselschicht können ihre Freischichten am Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag oder Freitag nehmen.

Mit der Betriebsvereinbarung „Verwendung des Demografiebetrags“ haben die Betriebsparteien festgelegt, dass der Demografiebetrag aus § 7 TVLD für die tarifliche Altersvorsorge genutzt werden soll.[8] Der Verwendungszweck wird jährlich überprüft, dabei soll besonders der Durchführungsweg „Langzeitkonten“ berücksichtigt werden. Sollen im Unternehmen also im Rahmen der Schichtplanoptimierung auch Langzeitkonten eingeführt werden, kann diese Betriebsvereinbarung einvernehmlich aufgehoben werden[9], um die Guthaben der Langzeitkonten durch den Demografiebetrag in Höhe von 300 Euro jährlich aufzustocken.

In den Standardarbeitsverträgen für Tarifmitarbeiter der H.C. Starck GmbH wird die derzeitige tarifliche Wochenarbeitszeit in Höhe von 37,5 Stunden vereinbart. Die gültigen Tarifverträge der chemischen Industrie sowie die Arbeitsordnung und die (Gesamt-) Betriebsvereinbarungen finden laut Arbeitsvertrag für alle Beschäftigungsverhältnisse Anwendung.

2.1.3 Beschreibung des jetzigen Schichtsystems

Bei der H.C. Starck GmbH arbeiten am Standort Goslar aktuell 488 Mitarbeiter in vollkontinuierlicher Wechselschicht.[10] Um die erforderliche Betriebszeit von 168 Stunden pro Woche abzudecken, wird das abgebildete 4:1 Schichtsystem eingesetzt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: 4:Abbildung 1: 4: 1 Schichtsystem der H.C. Starck GmbH in Goslar[11]

Der Schichtplan hat eine Zyklusdauer von vier Wochen. Es besteht aus vorwärts rotierenden Schichten und wurde 2003 durch Betriebsvereinbarung auf kurze Wechsel zwischen den Schichtarten umgestellt, um die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen.

Die Schichtlänge beträgt acht Stunden, von denen 7,5 Stunden Arbeitszeit sind. Die übrigen 30 Minuten sind bezahlte Pause, die nicht zur Arbeitszeit gezählt wird. Daraus ergibt sich eine wöchentliche Besetzungszeit von 157,5 Stunden.

Die WAZ der Mitarbeiter beträgt in diesem Schichtsystem [157,5 : 4 =] 39,375 Stunden. Um die Differenz zur Soll-WAZ in Höhe von 37,5 Stunden auszugleichen, erhalten die Mitarbeiter 13 Ausgleichsfreischichten pro Jahr. Über die Inanspruchnahme dieser Freischichten entscheiden die Mitarbeiter in Abstimmung mit ihrem Vorgesetzten weitgehend selbst. Eine frühere Regelung, die festlegte, dass die Freischichten zugeteilt und noch im Monat ihrer Entstehung genommen werden sollten, wurde auf Bestreben der Mitarbeiter hin abgeschafft. Dies hat dazu geführt, dass die Mitarbeiter ihre Freischichten „hamstern“ und häufig dazu nutzen, ihren Urlaub zu verlängern. Dabei wird kaum auf die betrieblichen Belange Rücksicht genommen.

Das Schichtmodell der H.C. Starck GmbH erfüllt weitgehend die arbeitswissenschaftlichen Empfehlungen. Es enthält maximal drei Nachtschichten in Folge, gefolgt von mindestens zwei arbeitsfreien Tagen und besteht aus kurzen, vorwärts rotierenden Schichten. Durch den kurzen Schichtzyklus von vier Wochen ist es außerdem überschaubar und vorhersehbar. Die negativen Aspekte dieses Schichtsystems sind die langen siebentägigen Arbeitsblöcke, die relativ kurzen Freizeitblöcke, die noch durch die vorherige Nachtschicht beeinträchtigt sind, und die wenigen Wochenendfreizeiten (ein freies Wochenende in vier Wochen).[12]

2.1.4 Wünsche der Interessengruppen

Bei der Gestaltung moderner Arbeitszeitsysteme müssen sowohl die Interessen des Unternehmens als auch die der Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Außerdem sind die Forderungen von Betriebsrat und Gewerkschaft als Vertretung der Arbeitnehmer zu beachten. Im Folgenden werden nun die betrieblichen Ziele, die Wünsche der betroffenen Mitarbeiter sowie die Ansprüche der Arbeitnehmervertretungen dargestellt.

2.1.4.1 Betriebliche Zielsetzungen

Mit dem Auftrag der Entwicklung von Möglichkeiten zur Optimierung der Schichtpläne der H.C. Starck GmbH sind unterschiedliche betriebliche Zielsetzungen verbunden.

Ausgangspunkt für Überlegungen hinsichtlich der Änderung des aktuellen Schichtmodells waren Anregungen aus dem Betrieb - und zwar sowohl von Seiten der Beschäftigten als auch von den Vorgesetzten der Schichtarbeitnehmer. Bei den Vorgesetzten resultiert der Änderungswunsch hauptsächlich aus Probleme bei der produktiven Verplanung der vielen Freischichten: Pro Mitarbeiter sind durch Urlaub und Ausgleichschichten mindestens 46 Freischichten zu berücksichtigen, bei Mitarbeitern ab dem 55. Lebensjahr sind es sogar bis zu 70 Freischichten. Die Mitarbeiter wünschen sich ein Schichtsystem, das weniger belastend ist und mehr Wochenendfreizeit enthält. Die Entwicklung neuer Schichtpläne muss also unter der Zielsetzung erfolgen, die Probleme des aktuellen Systems zu beheben.

Auch die Bestimmungen aus § 4 TVLD, die eine Berücksichtigung alternsgerechter Aspekte bei der Schichtplangestaltung fordern, sollen in die Entwicklung des neuen Schichtsystems einfließen. Die neuen Schichtpläne sind Bestandteil einer Strategie zur Bekämpfung der Folgen des demografischen Wandels, indem sie dazu beitragen, die Beschäftigungsfähigkeit der H.C. Starck Mitarbeiter möglichst lange zu erhalten.

Das neue Schichtsystem soll attraktiv für die Mitarbeiter sein. Dadurch soll eine Erhöhung der Motivation, der Zufriedenheit sowie der Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen erreicht werden. Zusätzlich kann bei entsprechender Kommunikation die Arbeitgeberattraktivität gesteigert werden, was dem Unternehmen möglicherweise Vorteile bei der Rekrutierung der knappen Fachkräfte verschafft.

Für die Entwicklung der neuen Schichtpläne gab es von betrieblicher Seite zusätzlich zu den genannten Zielen folgende konkrete Vorgaben:

(1) Das neue Schichtsystem soll keine personelle Durchmischung der Gruppen enthalten.
(2) Es ist von konstanten Besetzungsstärken auszugehen.
(3) 12-Stunden-Schichten werden aufgrund der hohen Belastung nicht in Betracht gezogen – auch nicht wie tarifvertraglich eröffnet nur an Sonntagen.
(4) Die entwickelten Schichtpläne sollen möglichst kostenneutral und ohne Veränderungen im Personalbestand zu realisieren sein.

2.1.4.2 Mitarbeiterorientierte Zielsetzungen

Um die Interessen der Mitarbeiter zu ergründen, ist das Mittel der Wahl üblicherweise eine Befragung zum jeweiligen Thema. Die Gefahr bei Mitarbeiterbefragungen ist allerdings, dass dadurch bei den Mitarbeitern eine gewisse Erwartungshaltung geweckt wird. Kann das Unternehmen diese Erwartungen nicht erfüllen, löst dies oft großen Unmut bei den Beschäftigten aus, weshalb in der Literatur teilweise dringend von der Durchführung von Befragungen zu persönlichen Arbeitszeitwünschen der Mitarbeiter abgeraten wird.[13] Im Rahmen dieser Arbeit wird demnach auf eine Befragung der Mitarbeiter verzichtet. Stattdessen wird auf eine in der Vergangenheit durchgeführte Befragung zum Thema Arbeitszeit zurückgegriffen, bei der allerdings nicht einzelne Mitarbeiter, sondern die direkten Vorgesetzten befragt wurden. Außerdem konnten die Bedürfnisse der Mitarbeiter aus Gesprächen mit dem Betriebsrat und dem Leiter der Pilotabteilung abgeleitet werden. Ergänzend wurden publizierte Untersuchungen zu Mitarbeiterwünschen hinsichtlich der Arbeitszeit herangezogen.

In der bei H.C. Starck durchgeführten Befragung zur Zufriedenheit mit den Arbeitszeitregelungen haben die Vorgesetzten mehrfach geäußert, dass sich ihre Mitarbeiter ein Fünfschichtsystem wünschen. Das größte Bedürfnis der Mitarbeiter ist nach dem Ergebnis dieser Befragung, dass im Schichtplan mehr freie Wochenenden vorgesehen sind. Außerdem besteht der Wunsch nach mehr Flexibilität. Die Einführung von Langzeit- oder Lebensarbeitszeitkonten wurde ebenfalls als Handlungsfeld benannt.

Untersuchungen zum Thema Arbeitszeit ergeben ein wachsendes Bedürfnis nach Selbstständigkeit und Eigenverantwortung durch eine höhere Zeitsouveränität bei den Mitarbeitern. Neue Arbeitszeitstrukturen sollen den Mitarbeitern eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (d.h. sowohl Familie als auch Freunde und Hobbies) ermöglichen.[14]

Um den Wünschen der Mitarbeiter gerecht zu werden, müssen moderne Arbeitszeitsysteme hauptsächlich zwei Anforderungen erfüllen: Sie müssen einen gewissen Entscheidungsspielraum für die Mitarbeiter ermöglichen, um die Arbeitszeit mit privaten Interessen und Verpflichtungen in Einklang bringen zu können sowie Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu erhöhen und sie müssen gesundheitliche Beeinträchtigungen und besondere Interessen älterer Arbeitnehmer berücksichtigen.[15]

2.1.4.3 Zielsetzungen der Arbeitnehmervertretungen

Die Vorstellungen des Betriebsrats in Bezug auf das neue Schichtmodell decken sich in weiten Teilen mit den Wünschen der Mitarbeiter. So soll im neuen System mehr Freizeit und insbesondere mehr Wochenendfreizeit eingeplant sein. Das neue System soll auch möglichst viel Planungssicherheit für die Beschäftigten bieten und ihnen gleichzeitig mehr Flexibilität und Entscheidungsspielraum ermöglichen. Ein weiterer Wunsch des Betriebsrats ist die alternsgerechte Gestaltung des neuen Schichtmodells sowie die Schaffung besonderer Regelungen zur Entlastung älterer Arbeitnehmer. Als Beispiel wurde die Möglichkeit zur Teilzeit-Schichtarbeit mit entsprechender Entgeltreduzierung genannt.

Auch die Gewerkschaft IG BCE hat die Notwendigkeit einer flexiblen und lebensphasenorientierten Arbeitszeitgestaltung erkannt. Eine der aktuell wichtigsten Forderungen der IG BCE ist die nach „Humanisierung der Schichtarbeit sowie die Gewährleistung alterns- und altersgerechter Arbeitsplätze“.[16]

2.1.5 Die Pilotabteilung

Vor der unternehmensübergreifenden Einführung eines neuen Schichtplans sollte erst eine Pilotphase durchgeführt werden, in der das neue Modell für einen vorher festgelegten Zeitraum in einem bestimmten Unternehmensbereich bzw. einer Abteilung „getestet“ wird. Auf die Durchführung der Pilotphase wird in Kapitel 2.4 näher eingegangen. Die im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Schichtpläne beziehen sich aus Gründen der Komplexitätsreduzierung nur auf die Daten aus dieser Pilotabteilung.

Für die Pilotphase der H.C. Starck GmbH steht die Abteilung Tungsten Recycling & Chemicals II (TRC II) zur Verfügung. Diese Abteilung besteht aus einem Betriebsassistenten, zwei Produktionsmeistern, vier Teamleitern und 32 Produktionsmitarbeitern. Außerdem befinden sich meistens ein oder zwei Auszubildende, gelegentlich auch eine Aushilfskraft, in der Abteilung. Insgesamt arbeiten in der Abteilung zurzeit 36 Mitarbeiter in vollkontinuierlicher Wechselschicht.[17]

Die Produktionsmitarbeiter sind ausgebildete Chemiefacharbeiter oder Chemikanten. Die Hauptaufgaben sind die Handhabung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie von Zwischen- und Endprodukten, das Bedienen verschiedener Produktionsanlagen (zum Beispiel Mischer, Drehrohröfen, Granulatoren) und die Durchführung von einfachen Wartungs- und Inspektionsaufgaben.

Die Nettobesetzungszahl der Pilotabteilung liegt bei einem rechnerischen Arbeitszeitbedarf von 157,5 Stunden (21 Schichten à 7,5 Stunden) bei 4,2.

Das entspricht bei einem Besetzungsbedarf von acht Mitarbeitern einem Nettopersonalbedarf von 33,6 Mitarbeitern. In der Pilotabteilung sind zurzeit 36 Mitarbeiter beschäftigt, vier weitere Stellen sind momentan nicht besetzt. Aktuell ergibt sich daraus ein Besetzungsverhältnis von 4,5 (36:8), bei 40 Mitarbeitern ein Besetzungsverhältnis von 5,0 (40:8). Die Schichtgruppen der Abteilung TRC II sind also überbesetzt, um den Vertretungsbedarf systemintern abdecken zu können. Zusätzliche Vertretungen durch Springer, Urlaubsaushilfen oder ähnliches gibt es in dieser Abteilung nicht. Die Abwesenheitsvertretung durch Vorhaltung zusätzlichen Personals in den Schichtgruppen funktioniert in der Praxis schlecht, da Urlaub und Freischichten nicht systematisch verteilt werden. So kann es in der Urlaubsphase oder in Phasen mit hohem Krankenstand vorkommen, dass statt der benötigten acht Mitarbeiter nur zwei oder drei Mitarbeiter einer Schichtgruppe anwesend sind oder dass die Schichtgruppen in anderen Zeiten mit bis zu elf Mitarbeitern überbesetzt sind. Bei der Entwicklung neuer Schichtsysteme muss also eine bessere Lösung für die Abdeckung des Reservebedarfs gefunden werden.

[...]


[1] Allweyer, Geschäftsprozessmanagement, S. 4 ff.

[2] Prezewowsky, Demografischer Wandel und Personalmanagement, S. 191.

[3] Anmerkung: In der vorliegenden Arbeit werden zur besseren Lesbarkeit nur männliche Begriffsbezeichnungen verwendet; selbstverständlich gelten die Bezeichnungen für beide Geschlechter.

[4] Vgl. Hoff/Weidinger, Auf dem Weg zum flexiblen Arbeitszeitsystem, S. 1; Hoff, Praktische Hinweise zur flexiblen Gestaltung von Schichtsystemen, S. 1.

[5] Lennings, tempora 2012, 5 (5).

[6] Vgl. Wildemann, Flexible Arbeits- und Betriebszeiten, S. 39.

[7] Sager, Entwicklung einer Methodik zur Gestaltung von flexiblen Arbeitszeitsystemen, S. 12.

[8] Vgl. Kapitel 4.1.2.

[9] Neuhaus/Heidemann, Betriebsvereinbarungen, S. 9 f.

[10] Datenerhebung am 07.08.2012.

[11] Quelle: eigene Darstellung. Eine Erläuterung der dargestellten Schichtpläne ist Anlage I.1 des Anhangs zu entnehmen.

[12] Entspricht der maximal möglichen Anzahl freier Wochenenden in 4:1- Schichtsystemen.

[13] Gohde/Ernst/Müller, in: Kutscher, Praxishandbuch Flexible Arbeitszeit, S.70.

[14] Wildemann, Flexible Arbeits- und Betriebszeiten, S. 26 f.

[15] Ebenda, S. 27 f.

[16] Miloslavic, Badische Zeitung 2012.

[17] Anmerkung: Ergibt sich aus 32 Produktionsmitarbeitern und vier Teamleitern. Die Teamleiter haben zwar übergeordnete Aufgaben (z.B. ausführliche Schichtübernahme bzw. -übergabe) arbeiten aber auch in der Produktion. Die Auszubildenden bzw. Aushilfen werden überwiegend in Frühschichten eingesetzt.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Optimierung eines Schichtsystems in der chemischen Industrie
Hochschule
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel  (Brunswick European Law School)
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
38
Katalognummer
V299051
ISBN (eBook)
9783656952145
ISBN (Buch)
9783656955580
Dateigröße
622 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
optimierung, schichtsystems, industrie
Arbeit zitieren
Alessa Voigt (Autor:in), 2012, Optimierung eines Schichtsystems in der chemischen Industrie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/299051

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