Die Institution Schule im Dilemma der Bildungsarmut. Notwendigkeit des Bildungsziels Mehrsprachigkeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Armut
2.1 Einleitung und Relevanz des Themenschwerpunktes
2.2 Konzeptionelle Grundlage
2.3 Bildung als schützender Indikator gegen Armut?
2.4 Bildungsarmut durch Schule
2.5 Schule als Schutzindikator vor Armut

3 Mehrsprachigkeit
3.1 Einleitung und Relevanz des Themenschwerpunktes
3.2 Konzeptionelle Grundlage
3.3 Bildungsziel Mehrsprachigkeit

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Das Portfolio ist im Rahmen des Moduls Pädagogische und psychologische Fragestellungen in Einrichtungen des Elementar- und Primarbereiches entstanden. Wie bereits an dem Modultitel zu erkennen ist, werden grundlegende Aufgaben des Unterrichtens und entwicklungsbezogene Besonderheiten der Kinder thematisiert. In diesem Portfolio werden zwei Thematiken behandelt, die sich nicht direkt aufeinander beziehen, aber essentiell für die Bekämpfung von Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft sind. In Anlehnung an die Vorlesung Soziokulturelle Bedingungen des Aufwachsens III wird zunächst der Frage nachgegangen, inwiefern Bildung vor Armut schützt respektive wie die Institution Schule verhindern kann, dass Bildungsarmut vererbt wird. Dabei wird aufgezeigt, warum die Schule Schuld am Dilemma der Vererbung von Bildungsarmut hat und wie die Institution Schule dort gegen intervenieren kann. Die zweite Thematik soll aufzeigen, weshalb die Schule das Bildungsziel Mehrsprachigkeit vor Augen haben muss und weshalb es so wichtig ist, dass Lehrkräfte die mitgebrachte Sprache der Schüler und Schülerinnen anerkennen und fördern.

2 Armut

2.1 Einleitung und Relevanz des Themenschwerpunktes

„Die Armutsgefährdung in Deutschland hat zugenommen.“ „Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr.“ „Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer mehr.“ Diese und ähnliche Aussagen lassen sich immer wieder in den Medien festhalten. Auch Politiker und Soziologen konstatieren dies, und alle sind sich einig, die Ungleichheit muss minimiert werden. Die Maßnahmen sind seit Jahren die gleichen, dennoch sind diese alles andere als produktiv. Gute Bildung wird immer wieder als Prävention genannt, wenn es um die Bekämpfung der Armut geht, aber die Bildungsdefizite als alleinige Ursache von Armut zu betonen, entspricht nicht der Wahrheit und durch die Ungleich innerhalb des Schulsystems wäre es nahezu heuchlerisch gute Bildung als ‚Wundermittel’ zu nennen. Im Folgenden wird zuallererst ein Überblick über den Armutsbegriff bezüglich der Thematik gegeben (1.2). Es folgt im Anschluss ein Exkurs, der aufzeigt, dass Bildung nicht das Wundermittel gegen Armut ist (1.3), ehe es dann um die Produktion und Reproduktion der Bildungsarmut durch die Institution Schule (1.4) geht. Letztlich wird auf die Prävention eingegangen, die Schule sein kann im Kampf gegen die Vererbung von sozialer Ungleichheit und Armut (1.5).

2.2 Konzeptionelle Grundlage

Zunächst erscheint es sinnvoll, sich über die Begrifflichkeiten der Armut Gedanken zu machen. In dieser Arbeit wird der Armutsbegriff insoweit reduziert, dass nur von der relativen Armut1 gesprochen wird, welche besonders in den westlichen Gesellschaften auftritt. Besonders hervorzuheben sind hier nicht nur die ökonomischen Defizite eines Menschen, sondern die Defizite, die sich bezüglich de kulturellen, sozialen als auch gesundheitlichen Lage eines Menschen bestimmen lassen. Problematisch wird die relative Armut dann, wenn sie sich negativ auf die Lebens- und Lernentwicklung von Kindern auswirkt, was dem Faktum entspricht. Edelstein (2006, S. 123) geht hier sogar von einer Vererbung der Armut aus, weshalb er die „institutionellen, sozialen, psychologischen und pädagogischen Mechanismen“ anspricht, die dafür sorgen, dass Armut vererbt wird. Er betont jedoch auch, die Schule respektive das Schulsystem könne auch als Prävention von Armut und somit zur „Überwindung der Armutsfolgen“ dienen.

2.3 Bildung als schützender Indikator gegen Armut?

Die Medien als auch der letzte Armut- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2009-2013) betonen, Bildung respektive gute Schulbildung schützt vor Armut. Es wird quasi so getan, als ob gute Schulbildung Menschen davor bewahrt in die Armutsfalle zu fallen. Redakteure, wie Müllenweber behaupten sogar, die Unterschicht erleide keine Not, weil es ihnen an ökonomischen Ressourcen fehle, sondern die Ressourcen im Geiste seien nicht vorhanden: „Das Elend ist keine Armut im Portemonnaie, sondern die Armut im Geiste. Der Unterschicht fehlt es nicht an Geld, sondern an Bildung.“ (Wüllenweber 2004)

Er sei der Meinung, die Armut sei Folge der Verhaltensweise, welche in der Unterschicht entstehe, weshalb er zur absurden Meinung gelangt, dass in Deutschland nicht die Armen immer die Dummen seien, sondern die Dummen seien immer arm. (vgl. ebd.) Die Wahrheit sieht jedoch anders aus, wie Butterwegge (2011, S. 44) konstatiert: „[…] nach wie vor bestimmt die materielle Lage bzw. das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein, den Bildungsdrang und die kulturelle Prägung der Menschen, nicht umgekehrt.“ Das Faktum, Menschen mit Bildungsdefiziten haben es schwerer auf dem Arbeitsmarkt als Menschen die über ausreichender Bildung verfügen, trifft zwar zu, aber zu meinen, dies würde auch Auswirkungen auf den Wohlstand einer Person haben, würde nicht der Wahrheit entsprechen. Um dies zu konkretisieren ein Beispiel: Eine Person hat Bildungsdefizite, jedoch ist diese vermögend (inwiefern diese Person zum „Wohlstand“ gelangt ist, spielt hierbei keine nennenswerte Rolle). Fakt ist, sie, die Person (X) wird es schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben respektive ihre Erwerbschancen liegen geringer als bei denen, die keine Bildungsdefizite haben. Aber auf den Wohlstand der Person (X) wird ihr Bildungsdefizit keinen Einfluss haben, um Butterwegge (2011, S. 42) zutreffend zu zitieren: „Armut macht zwar auf die Dauer dumm, Dummheit jedoch noch lange nicht arm.“

2.4 Bildungsarmut durch Schule

Ein Indikator für die Bildungsarmut ist die Zertifikationsarmut, die in erster Linie irreguläre beendete Schullaufbahnen. Damit ist zum einen die Beendigung der Hauptschule ohne Schulabschuss als auch der Abbruch der Schule nach der Pflichtschulzeit gemeint (vgl. Edelstein, 2006, S. 126). Selbst der erfolgreiche Besuch der Hauptschule bringt im Wettbewerb einen Nachteil, da im Allgemeinen bekannt ist, Qualifizierte, die in ihrem Sektor in Übermaßen vorhanden sind, den gering Qualifizierten in den deutschen Niedriglohnsektor verdrängen (vgl. Bosch/Kalina, 2007, S. 97). Dies zeigt, die Zertifikationsarmut trägt wiederum zur „Perpetuierung und intergenerationellen Weitergabe der Armut bei.“ (Edelstein, 2006, S. 123f.) Ein weiterer Bestandteil der Bildungsarmut ist die Kompetenzarmut, die seit geraumer Zeit in der Armutsdiskussion eine essentielle Rolle spielt. So wurde mithilfe von PISA-Tests eindrucksvoll und zugleich schockierend bewiesen, inwiefern bei dem Großteil der deutschen Schüler und Schülerinnen2 ein Kompetenzdefizit vorliegt. Besonders im Bereich „Lesefertigkeit“ wurde folgendes aufgezeigt: Rund ein 25% aller 15-jährigen SuS besitzen nur eine „sehr beschränkte Lesekompetenz“ und nur rund 10% aller 15jährigen SuS erreichen die höchste Kompetenzstufe (vgl. ebd., S. 126f.). Noch erschreckender sind die Zahlen, wenn es um die mathematischen Komepetenzen geht, so erreichte nur etwa 1% die höchste Kompetenzstufe im gemessenen PISA-Test. Ein ähnliches erschütterndes Bild findet sich bei den fächerubergreifenden natürlichen Kompetenzen (vgl. Edelstein, 2006, S. 127). Interessant und zugleich erwartbar ist die Tatsache, dass die sogenannten „Risikogruppe“ überpropoitonal an Haupt- und Sonderschulen vertreten ist, die zugleich auch „Unterschicht- und Migrantenkinder“ besteht. Es zeigt auf, inwiefern das Schulsytem versagt, „in Bezug auf die Akkulturation und die Integration der Benachteiligten.“ (ebd.) Edelstein (ebd.) vergleicht das mehrgliedrige deutsche Schulsystem mit anderen Schulsystemen, vor allem sticht hier das skandinavische Schulsystem heraus. Er konstatiert:

Dass es sich um einen hausgemachten Systemeffekt handelt, wird dadurch ersichtlich, dass es eine vergleichbare Gruppe kompetenzarmer Schüler in vergelichbaren Ländern mit anderen Schulsystemen kaum gibt. […] Die deutschen Extremgruppen sind nach unten im internationalen Vergleich stark ausgeprägt, nach oben bleiben sie indess deutlich unterhalb der Spitze. (ebd.)

Er betont zudem, die Verbesserungen bezüglich der Kompetenzwerte in Deutschland ginge nur auf die Gymnasien zurück, in den Haupt- und Sonderschulen würde jedoch keine Verbesserung sichtbar (vgl. ebd.).

So kommt die Frage auf, inwiefern Kompetenzarmut ein Produkt der deutschen Schulen respektive des deutschen Schulsystems ist. Unzweideutig ist, Zertifikations- und Kompetenzarmut kommen besonders in Haupt- und Sonderschulen vor, doch wie Edelstein (ebd., S. 128) richtig erkennt, geht dies nicht auf die Pädagogik der Schulform(en) hervor, sondern sie werden „als Folge des selektiven Schulsystems“ produziert. Es ist allgemein bekannt, das dreigliedrige „selektive Schulsystem“ in Deutschland trägt dazu bei, dass Armut weitergegeben wird, denn wie Edelstein (ebd.) folglich konstatiert: „Armut gebiert Armut, und Schulen in Deutschland tradieren sie, wenn sie sie nicht gar selbst erzeugen.“ So finden sich SuS aus armutsgefährdeten Bevölkerungsgruppen, sei es aus der Unterschicht und oder die Gruppe der Migranten, besonders auf den Haupt- und Sonderschulen wieder. Das Problem ist, den SuS fehlt es an kulturellem Kapital (unerheblich, ob ökonomisches Kapital zur Verfügung steht, welches dennoch einen Vorteil verschafft), eine Ressource, die für die schulische Laufbahn entscheidend ist, um überhaupt erfolgreich in dieser zu sein und um überhaupt im späteren Leben konkurrieren zu können (vgl. Edelstein, 2006, S. 128). Edelstein zeigt den Teufelskreis der Armut auf:

Armen Eltern armer Schüler fehlt das Wissen, der Wille, die Kraft und die Entschiedenheit, sich den geltenden Standards und ihren scheinbar sachlich gerechtfertigten Empfehlungen zu widersetzen. Sie fügen sich, weil sie es nicht anders wissen und können; weil sie selbst den Armutshabitus angenommen haben, den sie ihren Kindern weitergeben. (ebd., S. 121)

Die Zahlen belegen diesen Trend, denn die Wahrscheinlichkeit für ein Kind, das aus einer akademischen Familie kommt, auf das Gymnasium zu gehen, ist zehnmal so groß wie für ein Kind, das aus der Arbeiterklasse kommt. Bei gleicher Intelligenz ist die Wahrscheinlichkeit immer noch sechsmal so hoch (vgl. Veith, 2005, z. n. Edelstein, 2006, S. 129). Besonders die Lehrkräfte scheinen mit ihrer Rolle, den Unterricht zu organisieren und zu leiten, die Leistungen zu evaluieren und „die lebensverlaufsbestimmende Selektionsentscheidung“ zu treffen, überfordert zu sein, weshalb das Versagen der SuS auf das Schulsystem zurückzuführen ist (vgl. Edelstein, 2006, S. 129). Edelstein (ebd.) verweist wieder auf das finnische Schulsystem, das im Gegensatz zum Deutschen - welches durch „Fehlklassifikationen“ gekennzeichnet ist; welches die SuS auf Dauer in ihren eigenen Anstalten festhält; welches die SuS auf die Verliererstraße, die von „Abwertung, Demütigung, Segregation und Exklusion“, charakterisiert ist, führt - die „Lernschwierigkeiten als temporäreren Förderbedarf im Rahmen einer normalen Gruppenkomposition bestimmt.“ Edelstein zeigt die Reproduktion der Armut durch das Schulsystem auf:

In Verbindung mit der Entwicklung der Hauptschule zur Realschule und dem Werteverlust des Hauptschullabschlusses auf dem Lehrstelle- und Arbeitsmarkt wird daraus ein besonders folgenreicher Mechanismus der intergenerationellen Reproduktion von Armutsverhältnissen. (ebd.)

Das deutsche Schulsystem hat es bisher versäumt, den Bildungserfolg vom Sozialstatus zu entkoppeln, stattdessen ist es so, „viele Kinder aus bildungsfernen und kulturell benachteiligten Milieus“ haben, aufgrund einer sehr kurzen Grundschulzeit, nicht die Chance auf den „lernkulturellen Habitus der Mittelschichtkinder“ zu gelangen, weswegen ihnen die „Basiskompetenzen“, welche von der Schule als selbstverständlich vorausgesetzt werden, fehlen (vgl. Edelstein, 2006, S. 130). SuS aus der Mittelschicht weisen kulturelles Kapital auf, welches SuS aus ökonomisch armen als auch sozial restriktiven Verhältnissen nicht besitzen, weshalb der sprachliche Ausdruck weniger ausgereift und das Vokabular deutlich beschränkter ist; weshalb die kognitive Bereitschaft, um komplexe Sachverhalte zu verstehen nicht selbstverständlich für SuS aus Armutsverhältnissen ist (vgl. ebd.). Die Entwicklung der Fähigkeiten erfordert Ressourcen, welche je nach Lebenslage der SuS unterschiedlich gegeben sind. Um die Entwicklung des kulturellen Habitus zu gewährleisten, braucht es eine individuelle Förderung, Zeit und Geduld. Diese Begriffe sind obligatorisch, um die Ungleichheit reduzieren zu können, doch es fehlt an personelle Ressourcen. Auch das restriktive Zeitbudget und die begrenzten finanziellen Ressourcen sind kontraproduktiv für die Bekämpfung der Ungleichheit und der Reduzierung der Armut. Folglich reproduziert Schule die soziokulturellen Klassenverhältnisse (vgl. ebd., 130f.). Gomolla und Radtke (2007, S. 16) gehen noch weiter und sprechen von „institutioneller Diskriminierung“.

[...]


1 Relative Armut liegt per OECD-Definition vor, wenn 50%, bzw. 60% des durchschnittlichen Nettoäquivalenz-Einkommens unterschritten wird (vgl. Edelstein 2006, 124).

2 Im Folgenden mit SuS abgekürzt.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Institution Schule im Dilemma der Bildungsarmut. Notwendigkeit des Bildungsziels Mehrsprachigkeit
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Veranstaltung
Umgang mit sprachlicher und kultureller Diversität im schulischen Kontext
Note
2,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
17
Katalognummer
V298581
ISBN (eBook)
9783656951698
ISBN (Buch)
9783656951704
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
institution, schule, dilemma, bildungsarmut, notwendigkeit, bildungsziels, mehrsprachigkeit
Arbeit zitieren
Marc-André Seemann (Autor:in), 2015, Die Institution Schule im Dilemma der Bildungsarmut. Notwendigkeit des Bildungsziels Mehrsprachigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298581

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