Transkulturelle Figuren als Mittel der Entlarvung von Stereotypen. 'Ali G.' und 'The Kumars at No 42'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ethnische Minderheiten in Großbritannien seit 1945
Gründe für Einwanderung nach Großbritannien seit 1945
Britische Immigrationspolitik seit 1945
Nationalismus und Rassismus im heutigen Großbritannien

„The Kumars at No. 42“ und „Ali G“
Vertauschung der Rollen: Wenn der Kolonisierer zum Kolonisierten wird – TheKumarsatNo.42
Provokation und Bloßstellung – Ali G

Zusammenfassung

Bibliografie

Einleitung

Seit dem 19. Jahrhundert herrscht in Europa das Paradigma der Nationalstaaten vor. Aus einzelnen Fürstentümern, nicht nur in Deutschland, Spanien und Italien wurden homogene Staatsgebilde geformt. Ziel war es, Nationen zu vereinen, sie durch eine Nationalsprache zu verbinden, eine einheitliche Bildung herzustellen und ein Nationalgefühl zu entwickeln. Seitdem ist es in Europa allgemein anerkannt, dass ein Nationalstaat – diese Form ist auch heute noch dominierend – eine homogene Gesellschaft beherbergt. Abweichungen vom Idealtyp sind grundsätzlich nicht eingeplant. Im Gegensatz zu ehemaligen Siedlerkolonien, die erst durch Einwanderung verschiedenster Ethnien entstanden sind und die bewusst eine multikulturelle Gesellschaftsform unterstützen, sind die europäischen Staaten monokulturell ausgerichtet. Sowohl in ihrer Politik als auch in der Einstellung der Bürger ist diese Monokulturalität verankert. Statt Immigration haben die Länder Europas bis in das 20. Jahrhundert hinein vor allem Emigration in die Kolonien erlebt, weshalb sie sich relativ lange nicht mit fremden Kulturen im homogenen Nationalstaat auseinandersetzen mussten.

Doch die Situation hat sich in den vergangenen 60 Jahren geändert. Als der Prozess der Dekolonialisierung mit der rapiden Loslösung der Kolonien europäischer Mächte in den 1950er und 1960er Jahren seinen Höhepunkt erreichte, setzte eine Welle der Einwanderung nach Europa ein. Das Bild der spanischen, niederländischen, französischen und britischen Gesellschaft hat sich seitdem stark verändert. Aus in sich mehr oder weniger geschlossenen, homogenen Gesellschaften sind vielschichtigere Gesellschaften mit Bewohnern aus anderen Kontinenten und anderen Kulturen geworden. In anderen Ländern Europas haben andere Prozesse Ähnliches bewirkt, in Deutschland zum Beispiel das längerfristige Bleiben von Gastarbeitern. Die Ströme dieser neuen Zuwanderung nach Europa, werden auch in näherer Zukunft nicht abreißen (Müller-Schneider 2000).

Die Identitäten der europäischen Gesellschaften haben sich dieser Entwicklung noch nicht anpassen können. Noch sehr zögerlich, eher widerwillig und mit gleichzeitiger Angst vor Überfremdung, beginnen europäische Länder, sich für Migration zu öffnen und die Vollwertigkeit der Immigranten als neue, integrierte Bürger der Gesellschaft anzuerkennen. Die Zögerlichkeit, mit der in Deutschland ein erstes Immigrationsgesetz geschaffen wurde, ist ein Beispiel dieser Angst vor Öffnung (Herbert 2001: 286 ff.). Die Identität dieser alten Gesellschaften definiert sie für sich als homogen und in dieser Homogenität sicher. Dabei symbolisieren die außenstehenden Kulturen weniger fortgeschrittene Entwicklung und Fremdheit. Jedes Eindringen fremder Kulturen verstehen die europäischen Gesellschaften vor allem als Bedrohung für ihre Integrität und ihren Wohlstand.

In dieser Arbeit wird es darum gehen zu zeigen, wie diese Identitätsentwürfe aufgebrochen werden können. Identitäten sowie Stereotypen sind letztlich Konstruktionen von Unterschiedlichkeit, deren Absurdität entlarvt werden kann. Das Beispiel Großbritannien bietet eine gute Gelegenheit, Strategien aufzuspüren, mit denen die europäische Moderne re-vidiert werden kann. Großbritannien ist seit der Mitte des 20. Jahrhunderts vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland geworden. Mit dieser Einwanderung entwickelte sich, wie oben schon erwähnt, eine heterogenere Gesellschaft heraus, was eine Herausforderung an das britische Selbstbild darstellt. Der erste Teil dieser Arbeit wird Gründe und Folgen dieses Wandels der britischen Gesellschaft nachvollziehen, um die Grundlage für das Verständnis des zweiten Teils zu legen.

Im zweiten Teil werden zwei Fernsehformate analysiert, die Stereotypen zwischen „indigenen“ Briten und Immigranten in Frage stellen. Sie brechen die Identität der britischen Gesellschaft auf und demonstrieren dem Publikum die Absurdität einiger Punkte des britischen Nationalgeistes. Zweitens verfremden sie auf geschickte Weise das Bild der Immigranten in der britischen Perzeption. Beide Sendeformate legen eine fremde Kultur als Kontrastfolie über die britische Sichtweise und schaffen es somit, die britischen Zuschauer dazu zu zwingen, aus ausländischer Sicht auf ihre eigene Gesellschaft zu blicken. Diese Sendungen leisten einen – wenn auch geringen – Beitrag zur Re-vision der europäischen Identität; ein unbedingt notwendiger Prozess im Hinblick auf zu erwartende Immigration nach Europa.

Ethnische Minderheiten in Großbritannien seit 1945

Es wird zunächst notwendig sein, einen geschichtlichen Überblick über die Einwanderung nach Großbritannien und den Umgang damit zu geben. Dieses Kapitel wird zuerst die Entwicklung der Einwanderungsgesetze und kolonialen Einwanderer in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg illustrieren. Der zweite Teil geht dann von einer geschichtlichen Perspektive zu einer Beschreibung des weiß-britischen Nationalgefühls und Rassismus über.

Gründe für Einwanderung nach Großbritannien seit 1945

In den vergangenen fünfzig Jahren hat es eine große Veränderung in der britischen Bevölkerungszusammensetzung gegeben. Obwohl das Land Einwanderungswellen verschiedener ethnischer Gruppen erlebte, bildete sich in den vergangenen Jahrhunderten eine Nation, die sich als vorwiegend homogen verstand. Die britische Nation war eine „weiße Nation“. Seit der Hungersnot in Irland im 19. Jahrhundert hatte es einen bemerkbaren Einfluss irischer Immigranten nach Großbritannien gegeben, aber Iren waren immer noch Weiße und wurden nicht als besonders fremd empfunden. Abgesehen von den Iren waren andere Immigrantengruppen verschwindend klein. Im Jahr 1953 wurde die Gruppe der Nichtweißen[1] auf ungefähr 40.000 geschätzt (Layton-Henry 1992: 10).

In der Folge des Zweiten Weltkrieges änderte sich diese Situation allerdings dramatisch. Mehrere Faktoren bewirkten, dass eine bis dahin nicht dagewesene Welle von Bürgern aus britischen Kolonien einwanderte. Einer der Hauptgründe für die relativ plötzlich einsetzende Einwanderung aus den Kolonien war der Wandel des Verhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie des britischen Imperiums. Das Imperium löste sich in autonome Territorien auf, deren eigenständige Migrationspolitik nicht länger aus London kontrolliert werden konnte. Sofort mit dem Einsetzen ihrer Unabhängigkeit begannen ehemalige Kolonien in ihrem Interesse zu handeln; Indien und Pakistan stellten ihren Bürgern z.B. Reisepässe freizügiger aus, als dies unter dem Regiment der Londoner Behörden möglich gewesen war, so dass Inder und Pakistanis nun einfacher ins Ausland reisen konnten (Spencer 1997: 22).

Gleichzeitig gab es im Zentrum des Imperiums Bedarf nach Arbeitskräften. Die britische Regierung war bestrebt, Arbeiter für den Wiederaufbau des Landes anzuwerben. Immigration aus Übersee sollte den großen Mangel an Arbeitskräften füllen, der durch die Verluste des Zweiten Weltkrieges verursacht worden war. Zunächst bemühte man sich, europäische Immigranten nach Großbritannien anzuwerben, doch 1947 regte die Colonial Office an, dass die Regierung die Möglichkeit in Betracht ziehen sollte, ihre Bemühungen auf Bürger des Commonwealth zu konzentrieren. Hinzu kam, dass die Gouverneure von mehreren karibischen Kolonien die bisherige auf Europa beschränkte Anwerbestrategie kritisierten und verlangten, dass ihre Bürger stattdessen für den Wiederaufbau des Vereinigten Königreichs eingesetzt werden sollten (Spencer 1997: 39).

Ein weiterer bedeutender Faktor für die steigenden Zahlen von Immigranten aus den Kolonien waren Initiativen, die von der britischen Wirtschaft, unabhängig von der Regierung, eingeleitet worden waren. Mehrere Firmen aus dem Textilsektor hatten Werbekampagnen in indischen Zeitungen betrieben. Die Londoner Verkehrsgesellschaft, die britische Hotel- und Restaurantvereinigung und das Gesundheitsministerium rekrutierten Arbeiter in der Karibik (Layton-Henry 1992: 13). Diese Versuche waren daraufhin angelegt, hohe Zahlen von ungelernten Arbeitskräften für den Niedriglohnsektor in das Land zu bringen (Ballard und Ballard 1977: 21).

Es ist nicht möglich, den Beginn der Einwanderung aus den Kolonien genau zu datieren. Erste Immigranten kamen Ende der 1940er Jahre an, doch der große Zustrom begann nicht vor der Mitte der 1950er Jahre. Nach offiziellen Schätzungen stieg die Nettoimmigration im Jahre 1955 rapide an: Während 1953 lediglich 2.000 und 1954 nur 11.000 neue Immigranten gezählt wurden, brachte das Jahr 1955 42.000 neue Immigranten nach Großbritannien. Die Nettoimmigrationszahlen waren seitdem großen jährlichen Schwankungen unterlegen, fielen aber nie unter 21.000 und stiegen 1964 auf ihren Höhepunkt von 136.000 an (Layton-Henry 1992: 13 Tabelle 1.1; Spencer 1997: 119 Tabelle 1). Diese Zahlen lassen zwar glauben, dass Immigranten erwünscht waren und die Politik alle Türen für Immigranten offen hielt; im folgenden Abschnitt werden wir aber sehen, dass die Wahrheit anders aussah.

Britische Immigrationspolitik seit 1945

Bürger ehemaliger britischer Kolonien waren nach dem alten Recht gleichzeitig Bürger Großbritanniens. Theoretisch genossen sie das gleiche Recht – unabhängig von Ethnie oder Religion – sich im Vereinigten Königreich niederzulassen. Dahingegen unterlagen Fremde entsprechend dem „Alien Act“ von 1905 Beschränkungen. Diese „verehrte Illusion der Verteidiger des Empires“[2] (Spencer 1997: 22) muss allerdings korrigiert werden. Die britische Regierung hatte, genauso wie große Teile der Bevölkerung, eine starke Antipathie gegen Immigration aus den Kolonien, was sich auch auf ihre Handlungen auswirkte. Von Beginn an wurde das Thema in Regierungskreisen und Kommissionen wiederholt debattiert. 1948 wurde eine ministerienübergreifende Arbeitsgruppe gebildet, die untersuchen sollte, ob karibische Einwanderer tatsächlich für den Wiederaufbau eingesetzt werden sollten. Das Ergebnis der Arbeitsgruppe lautete, dass es überhaupt keinen Arbeitskräftemangel gebe und dass Arbeiter aus den Kolonien lediglich den Bedarf im Gesundheitssektor ausgleichen könnten. Spencer berichtet, dass die Aufzeichnungen der Sitzungen stark negative Haltungen gegenüber Arbeitern aus den Kolonien wiederspiegeln. Mit weiteren Beispielen zeigt Spencer auf, dass sich sowohl in den Ministerien als auch den Gewerkschaften erheblicher Widerstand gegen Einwanderer in den Kolonien regte (Spencer 1997: 40 f.).

Öffentlich brüstete sich die Regierung mit der Tatsache, dass Großbritannien immer noch allen Commonwealthbürgern freie Immigration garantierte, während alle Siedlerkolonien wie Neuseeland, Australien oder Kanada unmittelbar nach ihrer Unabhängigkeit Immigrationsbeschränkungen eingeführt hatten. Der Grund, warum die britische Regierung keine Schranken einführte, war aber nicht reine Menschenfreundlichkeit. Ganz im Gegenteil, der einzige Grund, der Großbritannien davon abhielt, waren Befürchtungen, dass ein offen diskriminierendes Immigrationsgesetz im Inland und vor allem international politische Schwierigkeiten verursachen würde. Des weiteren sah man substantielle Unstimmigkeiten mit den Commonwealthstaaten voraus (Spencer 1997: 82). Trotzdem wurden Wege gefunden, manchen Gruppen die Einreise zu erschweren. London nutzte seine wirtschaftliche Macht, um einige ehemalige Kolonien zu zwingen, weniger Pässe auszustellen; weitere Maßnahmen waren das Entsenden von Vertretern der britischen Regierung und die Verteilung von Broschüren in den ehemaligen Kolonien, in denen von einer Emigration nach Großbritannien dringend abgeraten wurde.

Trotz der Entscheidung der Regierung gegen den Zustrom von Einwanderern aus dem Commonwealth und den inoffiziellen Versuchen, diesen zu regulieren, stieg die Zahl nichtweißer Immigranten stetig an. Der „Commonwealth Immigrants Act“ von 1963 sah erstmals eine Beschränkung des Immigrationsstroms vor, ließ aber immer noch große Zahlen zu. Der letztendliche Schritt, karibische, indische und afrikanische Immigration zu stoppen, war der „Immigration Act“ von 1971. Durch ihn wurde mittels der Einführung neuer Kategorien das Recht von nichtweißen Commonwealthbürgern zur Immigration nach Großbritannien abgeschafft, während die Tür für die weiße Commonwealthbevölkerung offen gehalten wurde.

Wie diese Ausführungen zeigen, gab es in Großbritannien von Beginn an eine Stimmung gegen Immigration aus den Kolonien. Die Position der Regierung war, dass diese Immigranten ferngehalten werden sollten, um Spannungen zwischen weißen Briten und nichtweißen Immigranten zu vermeiden. Die Einstellung der britischen Bevölkerung sah ähnlich aus. In den ersten drei Jahrzehnten waren Maßnahmen gegen nichtweiße Immigranten inoffizieller Natur, da politische Spannungen befürchtet wurden, falls die Diskriminierung öffentlich würde. Darüber hinaus musste der Bedarf der Niedriglohnsektorindustrie mit Billigarbeitskräften gedeckt werden, was am einfachsten durch Immigranten aus den Kolonien machbar war. Diese Konstellation hat zu Problemen geführt, wie an den Beziehungen der britischen „indigenen“ Bevölkerung und den nichtweißen Immigrantengruppen heute gesehen werden kann.

[...]


[1] Dieser Begriff, der häufig in der britischen postkolonialen Literatur verwendet wird, betont die Binarität der Beziehung zwischen Weißen und ihrem empfundenen Gegenpart. Er macht sich die Perzeption innerhalb der britischen Gesellschaft zunutze, in der das Haupterkennungsmerkmal dieser Gruppe die Hautfarbe ist, die gleichzeitig Nichtzugehörigkeit bedeutet; wie später noch gezeigt wird, ist die „Rasse“ von entscheidender Bedeutung für die britische Identität.

[2] Den Großteil der Zitate habe ich – wo sinnvoll - aus dem Englischen übersetzt, um für eine besseren Lesbarkeit zu sorgen.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Transkulturelle Figuren als Mittel der Entlarvung von Stereotypen. 'Ali G.' und 'The Kumars at No 42'
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Theaterwissenschaft)
Veranstaltung
Figuren der Transkulturation
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V29858
ISBN (eBook)
9783638312714
Dateigröße
560 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit zeigt auf, wie Identitätsentwürfe westlicher Nationalstaaten durch Fernsehformate durchbrochen werden können. Der erste Teil resümiert den Wandel der britischen Gesellschaft in der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts, in dem es durch große Einwanderungen zur Konfrontation von Identitäten kam. Der zweite Teil analysiert die Strategien der Fernsehserien "Ali G." und "The Kumars at No. 42", diese stereotypen Identitätsentwürfe zu durchbrechen. Lit. v. Said, Rushdie, Hobsbawm, Assmann
Schlagworte
Transkulturelle, Figuren, Mittel, Entlarvung, Stereotypen, Kumars, Figuren, Transkulturation
Arbeit zitieren
David Glowsky (Autor:in), 2004, Transkulturelle Figuren als Mittel der Entlarvung von Stereotypen. 'Ali G.' und 'The Kumars at No 42', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29858

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