Gutachterliche Expertise aus "Public Health"-Betrachtung mit Schwerpunkt Diabetes und Demenz in Österreich


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2015

39 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1. Grundlegende Begriffserklärungen
1.2. Fehlende Anerkennung

2. METHODIK DES FORSCHUNGSPROJEKTES
2.1. Literaturrrecherche
2.2. Grundprinzipien des Pflegebedarfs in Österreich
2.3. Empfehlungen des Rechnungshofes
2.4. Kurzfassung relevanter Studien
2.5. Beratungsbedarf von Angehörigen von Menschen mit Demenz und Diabetes

3. Stand der forschung
3.1. Unterstützung für Pflegegeldbezieher und ihre pflegenden Angehörigen
3.2. Angehörige von Menschen mit Demenz und Personen mit Diabetes Erkrankung
3.3. Beratungsangebote für Pflegegeldbezieher und pflegende Angehörige

4. Spannungsfelder und Herausforderungen
4.1. Professionelles Angebot von Gutachern
4.2. Ziele in der Gesundheitsberatung
4.3. Grenzen der Beratung
4.4. Die Konzeptualisierung einer Gesundheitsberatung

5. EMPFEHLUNGEN
5.1. Präventionsbedarf (Schaeffer et al., 2008, S. C-43f)
5.2. Krankheitsbezogene Risiken
5.3. Umgang mit krankheits-/therapiebedingten Anforderungen und Belastungen

6. Was hat der Gutachter zu berücksichtigen?
6.1. Vernetzung
6.2. Überzeugungsarbeit
6.3. Pflegetelefon

7. SCHLUSSFOLGERUNGEN

8. LITERATUR

Um eine leichtere Lesbarkeit zu garantieren, wurde eine geschlechtsneutrale Formulierung gewählt. Sämtliche personenbezogenen Bezeichnungen gelten daher für beide Geschlechter und sollen keinesfalls eine Diskriminierung darstellen. Bei wörtlichen Zitaten wurde die Schreibweise der Originalfassung übernommen

1. Einleitung

Die vorliegende Studie befasst sich mit der Frage, wie pflegende Angehörige von pflegebedürftigen Menschen im Rahmen der Pflegegeldeinstufung durch spezifische Beratung unterstützt werden können. In diesem Zusammenhang gehen wir aus der Sicht von Public Health auch der Frage nach, welche Beratungsangebote von Gesundheits-und Krankenpflegepersonen geleistet werden.

Zunächst beschreiben wir das Thema pflegende Angehörige und pflegebedürftigen Menschen basierend auf Erkenntnissen aus der Gesundheitswissenschaft: Wie lässt sich Gesundheitsberatung für pflegebedürftige Personen im Rahmen der Pflegegeldeinstufung beschreiben, welche Themenbereiche werden erfasst und wie können diese umgesetzt werden. Vor welchen Herausforderungen stehen pflegende Angehörige, aber auch welche Erfahrungen können bei der Pflegegeldeinstufung berücksichtigt werden.

1.1. Grundlegende Begriffserklärungen

Definition pflegende Angehörige:

Mehr als 80 % der älteren und pflegebedürftigen Menschen in Österreich werden im häuslichen Bereich von Angehörigen pflegerisch betreut. In einer Studie über die Situation pflegender Angehöriger des Österreichischen Bundesinstitutes für Gesundheitswesens (ÖBIG) wurde folgende Tatsache festgehalten:

„Pflegende Angehörige verfügen oftmals über kein Verständnis für ihre Selbstpflege. In der Pflege- und Betreuungszeit stellen pflegende Angehörige ihre eigenen Bedürfnisse und ihre persönliche Lebensqualität hinten an. Sie müssen für den zu Pflegenden bzw. die zu Pflegende da sein und erlauben sich aus Sorge um eine etwaige Nichtversorgung des bzw. der Angehörigen nicht, krank zu werden. Erst wenn die Pflege- und Betreuungssituation beendet ist, kann die bzw. der pflegende Angehörige wieder ihre bzw. seine Bedürfnisse, Wünsche und Probleme beachten. Dieses Loslassen bringt aber auch oft unterdrückte oder übergangene gesundheitliche Probleme an den Tag. Jetzt erst lässt es die bzw. der pflegende Angehörige zu, krank zu werden.

Durch die Schaffung eines Bewusstseins für Selbstpflege schon während der Pflege- und Betreuungsleistung kann diesen Sekundärerkrankungen vorgebeugt werden. Pflegende Angehörige erhalten dadurch auch ein mehr an Lebensqualität während und nach ihrer Pflege- und Betreuungsleistung. Es können dadurch aber auch sekundär anfallende Gesundheitsausgaben gesellschaftlich angespart werden (ÖBIG, 2005, S. 60 - 61).“

Definition Gesundheitsberatung:

Jeder Patient braucht Informationen, fachlichen Rat und Unterstützung, um seine gesundheitliche Situation richtig einzuschätzen und zu verstehen. Nur dann kann er selbstständig und aktiv seine eigene Gesundheit fördern und erhalten. Um dieses Bestreben zu erreichen, bedarf es Patientenschulungen (Klug-Redmann 1996, S.11) definiert den Begriff Patientenberatung folgendermaßen: Patientenberatung ist der Schulungsvorgang, durch den eine Veränderung im Verhalten oder im Wissen von Patienten zu erreichen sind.

Die Gesundheitsberatung ist gesetzlich nicht verankert. Es sollen daher die angestrebten Ziele der Gesundheitsberatung u.a. eine Verbesserung des Wissens über das Krankheits- und Behandlungsbildes, Ansporn zu Eigenaktivierung, Steigerung der Behandlungsmotivation, Überwachung der Krankheitsaktivität und eine verbesserte Lebensqualität erreicht werden (Hasche 1996, S. 280; Lamparter-Lang 1997, S. 12).

1.2. Fehlende Anerkennung

Leider erfahren die meisten pflegenden Angehörigen tagtäglich, dass sie für ihre Arbeit wenig oder gar keine Anerkennung von Seiten der Familie, Nachbarn und der Gesellschaft erhalten. Die Pflege wird als eine Selbstverständlichkeit hingenommen.

Belastend für die pflegenden Angehörigen ist es, wenn Lob und Anerkennung ausbleiben. Eine Enttäuschung erleben manche Angehörige, wenn ihre Geschwister zu Besuch kommen und die ganze Aufmerksamkeit des pflegebedürftigen Elternteils auf sich ziehen, während die von ihnen erbrachte Pflege als Selbstverständlichkeit angesehen wird (ÖBIG 2005: In: Zur Situation pflegender Angehöriger, S. 263).

In den nächsten Abschnitten werden zentrale Fragen zur Beratung beschrieben und die Beratungsangebote vorgestellt. In die Beschreibung der in Österreich vorhandenen Beratungsangebote fließen die Ergebnisse von empirischen Studien ein.

Basierend auf den Ergebnissen dieser wissenschaftlichen Arbeit formulieren die Autoren Empfehlungen zur Gestaltung von Beratungsangeboten für pflegende Angehörige. Über die einzelnen Beratungsangebote hinausblickend werden abschließend Empfehlungen diskutiert, die sich auf systemischer Ebene mit der Vernetzung einzelner Angebote und mit dem Weg hin zu einer qualitativ hochwertigen Pflegegeldeinstufung auseinandersetzten als Antwort auf die Herausforderungen, die Pflegebedürftigkeit nicht nur als medizinische, sondern auch als präventive Maßnahme zu sehen.

2. METHODIK DES FORSCHUNGSPROJEKTES

Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit geht der Frage nach, wie pflegende Angehörige durch Pflegegutachter beraten werden können. Zunächst geben wir einen Überblick über die Methodik des wissenschaftlichen Projekts. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit Fragen der Pflegegeldeinstufung und Gesundheitsberatung. Daran anschließend gehen wir auf die Situation von pflegenden Angehörigen ein. Die vorhandenen Beratungsangebote werden beschrieben. Den Abschluss bilden Empfehlungen zur Beratungskunst und Überlegungen zur Beratung als Intervention in der Pflegegeldeinstufung.

Der folgende Abschnitt beschreibt die methodische Vorgangsweise. Zur Erschließung des Themas wurde zunächst eine Literaturrecherche zum Thema Beratung von Angehörigen von pflegebedürftigen Personen und eine Suche nach spezifischen Beratungsangeboten durchgeführt. Diese Recherchen wurden im Verlauf der Studie themenspezifisch vertieft. Aufbauend auf den Ergebnissen der Literaturrecherche wurden erste Ziele formuliert, die in einem Gespräch mit Expertinnen validiert wurden. Darüber hinaus dienten diese Kontakte mit Expertinnen auch dazu, Zugang zum Feld Interviewpartnern aus den Reihen der Pflegegutachter zu finden. Mit diesen Gutachtern wurden insgesamt fünf Expertengespräche geführt. Diese Interviews wurden einerseits thematisch ausgewertet, andererseits wurden Informationen aus den Gesprächen dazu genützt, eine Darstellung diverser Beratungsangebots zu dokumentieren. Die Auswahl der Beratungsangebote, die im Zuge dieser Studie näher beschrieben werden, folgt einer von Gröning (2006) entwickelten Typologie, die basierend auf den Ergebnissen dieser Studie erweitert wurde. Ein weiterer Expertenworkshop diente der Validierung der Ergebnisse aus der Literaturrecherche und den Interviews mit den Gutachtern.

2.1. Literaturrrecherche

Die Literaturrecherche zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde in den Datenbanken CINAHL, Lisk (Carelit), Gerolit, Medline-Pubmed, Subido und DissOnline durchgeführt. Ergänzend erfolgte eine Internetabfrage in Google scholar und beim Kuratorium Deutsche Altershilfe. Bei der Literatursuche wurden die Suchbegriffe „Altenpflege, Pflegeeinstufung, Pflegebedarf, Pflegebedürftigkeit, Pflegegeld, Selbständigkeit, Angehörige und Begutachtungsverfahren“ in verschiedenen Kombinationen verwendet. In die Suche eingeschlossen wurden Bücher und Artikel im Veröffentlichungszeitraum von 2005 bis 2015.

Experteninterviews mit Pflegegutachtern

Die im Zuge der Literaturrecherche erhobenen Beratungsangebote wurden - zunächst innerhalb der Systematik nach Katharina Gröning (2010), vier Kategorien von Beratung zugeordnet. Als nächsten Schritt wählten die Forscherinnen beispielhafte Angebote aus und führten mit Gutachtern Experteninterviews durch (Flick 2010). Die interviewten fünf Pflegegutachter sind alle als Pflegegeldgutachter tätig. Drei Personen davon sind in einer Leitungsfunktion tätig. Zwei weitere Personen sind als Dozenten in einer Fachhochschule tätig. Die Fragen waren auf die Beschreibung der jeweiligen Beratungsmöglichkeit im Rahmen der Pflegegeldeinstufung für pflegenden Angehörigen ausgerichtet.

Die Gutachter wurden schriftlich bzw. telefonisch kontaktiert und um Zustimmung zu einem Interview gebeten. Alle angefragten Experten reagierten positiv auf dieses Ansuchen. Die Expertengespräche dauerten etwa eine Stunde und wurden dokumentiert.

Auswertung der theoretischen Ergebnisse

Das Gutachterinterview und der Validierungsworkshop dienten der Diskussion der ersten Erkenntnisse auf Basis der Auswertung der bis zu diesem Zeitpunkt gesichteten Literatur. Beide lieferten wichtige Hinweise zur weiteren Vertiefung der Literaturrecherche. Darüber hinaus wurden diese Kontakte mit den Gutachtern dazu genutzt, die Erfahrungen in Österreich zu vertiefen.

In einem Workshop wurden die Ergebnisse der Gespräche und Erhebungen bei die Möglichkeiten der Gesundheitsberatung diskutiert.

2.2. Grundprinzipien des Pflegebedarfs in Österreich

„Das Pflegegeld wurde im Rahmen der Pflegevorsorgeneuregelung als ungebundene Geldleistung zur pauschalisierten Abdeckung der pflegebedingten Mehraufwendungen der betroffenen Personen eingeführt. Um den individuellen Pflegebedürfnissen gerecht zu werden, gibt es 7 Pflegegeldstufen. Voraussetzung für die Gewährung ist ein ständiger Pflegebedarf von mindestens 50 Stunden monatlich für voraussichtlich mehr als 6 Monate und ein ständiger Aufenthalt in Österreich“ (Zweimüller, 2007, S. 40).

„Die Auszahlung des Pflegegeldes ist unabhängig von Einkommen, Vermögen und Ursache der Pflegebedürftigkeit und erfolgt an die pflegebedürftige Person selbst. Lediglich im Falle eines Aufenthaltes in einem Alten- oder Pflegeheim geht das Pflegegeld bis zur Höhe der Verpflegungskosten, aber maximal bis 80 % des gewährten Pflegegeldes direkt an den Kostenträger über. Bei einem Aufenthalt in einer Krankenanstalt ruht für diesen Zeitraum das Pflegegeld zur Gänze, sofern ein Sozialversicherungsträger die dadurch entstehenden Kosten trägt“ (Zweimüller, 2007, S. 41).

„Seit 1995 existiert in Deutschland eine eigene Pflegeversicherung zur Finanzierung der Langzeitpflegeausgaben. Analog zur deutschen Krankenversicherung gibt es gesetzliche (soziale) und private Pflegeversicherungsträger, wobei gesetzlich Krankenversicherte auch den gesetzlichen Pflegeversicherungsanstalten angehören. Wer jedoch privat krankenversichert ist, ist zum Abschluss einer privaten Pflegeversicherung verpflichtet. Es besteht eine allgemeine Versicherungspflicht, wodurch beinahe die gesamte Bevölkerung pflegeversichert ist“ (Zweimüller, 2007, S.51).

„Zur Entlastung der Arbeitgeber wurde mit der Einführung der Pflegeversicherung ein gesetzlicher Feiertag als Kompensation der Mehraufwendungen abgeschafft.

Leistungsansprüche aus der Pflegeversicherung sind unabhängig vom Alter der/des Anspruchsberechtigten, Anspruchsvoraussetzung für Leistungen aus der Pflegeversicherung ist ein durch ein Gutachten vom medizinischen Dienst der Krankenkassen festgestellter Pflegebedarf von mindestens 6 Monaten und eine Vorversicherungszeit von 5 Jahren binnen der letzten 10 Jahre vor der Pflegebedürftigkeit. Die Leistungen sind im Allgemeinen gesetzlich festgeschrieben und folglich unabhängig von der Versicherungsanstalt. Des Weiteren werden sowohl Geld- als auch Sachleistungen erbracht, wobei die pflegebedürftigen Personen zwischen diesen Leistungsarten frei wählen können und Kombinationen von Geld- und Sachleistungen ebenfalls möglich sind“ (Zweimüller, 2007, S.51).

Langfristig müssen professionelle und differenzierte Angebote in der ambulanten und stationären pflegerischen Versorgung entwickelt und umgesetzt werden, die an den spezifischen Bedarfslagen ansetzen und in der Lage sind, prekäre Netzwerklagen zu kompensieren. Es wird empfohlen, Programme und Maßnahmen zu initiieren und zu fördern, die in der ambulanten Versorgung überwiegend als Bringdienst organisiert und gestaltet sind, um die Erreichbarkeit und Inanspruchnahme zu erleichtern“ (Hasseler M., Görres S., S. 136):

- systematische Anleitung und Beratung – fokussiert auf Bedarfe und Bedürfnisse definierter Gruppen von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen
- differenzierte und flexible Angebote in der ambulanten Versorgung, z.B. Nacht- und Wochenendpflege, Urlaubspflege als Bringdienst
- differenzierte präventive Angebote zur Verhinderung und Verzögerung von Pflegebedürftigkeit bzw. zur Erhaltung der Mobilität und selbständigen Lebensführung, z.B. in Form von präventiven Hausbesuchen
- Aufbau und Förderung der ambulanten Primärversorgung bspw. durch Family-Health-Nurses oder Public Health Nurses
- spezielle Gesundheitsförderungsprogramme für pflegende Angehörige
- Leistungsangebote, die formelle und informelle Leistungsangebote miteinander verbinden.

2.3. Empfehlungen des Rechnungshofes

Zusammenfassend hob der RH die nachfolgenden Empfehlungen hervor (Berichte Bund 2009/9).

- Es wäre in regelmäßigen Abständen zu prüfen, welche Daten aus der Vollziehung für eine Evaluierung der tatsächlichen Auswirkungen des Pflegegelds bzw. der Lebensumstände der Pflegegeldbezieher genutzt werden können.
- Im Sinne eines einheitlichen Vollzugs wären die Einstufungskriterien genauer zu definieren sowie besonderer Wert auf eine einheitliche und gründliche Schulung der Gutachter sowie auf ihre rechtliche Kontrolle zu legen.
- Eine gute Beratung im Vorfeld für Multiplikatoren, wie z.B. Landessozialreferenten, Berater in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, könnte dazu beitragen, aussichtslose Anträge und die dadurch verursachten Kosten zu reduzieren.
- Es wären regelmäßig Auswertungen über die Einstufungen durchzuführen und zu diesem Zweck Diagnosen sowie Betreuungs– und Hilfestellungskategorien zu erfassen.
- Die Unterschiede in den Ergebnissen der Gerichtsverfahren und ihre Ursachen wären im Hinblick auf eine einheitliche Pflegegeldgewährung genau zu analysieren.
- Aus Rücksicht auf die Pflegebedürftigen wäre die Sonn– und Feiertagsruhe grundsätzlich einzuhalten. An diesen Tagen sollte eine Begutachtung nur ausnahmsweise und auf deren ausdrücklichen Wunsch — der auch entsprechend zu dokumentieren ist — durchgeführt werden.
- Die Einschulung der Gutachter wäre zu standardisieren.
- Die Diagnose von Demenz wäre bei der Begutachtung nachvollziehbar zu dokumentieren.
- Die Erfassung der Personalressourcen für Pflegegeld wäre zu aktualisieren, um eine zuverlässige Grundlage für die Beurteilung des Ressourceneinsatzes im Bereich Pflegegeld zu erhalten.

Bei Bezug von Pflegegeld ist der Pflegebedürftige verpflichtet, sich in regelmäßigen Abständen von einer zugelassenen Pflegeeinrichtung beraten zu lassen. In den Pflegestufen I und II ist die Beratung halbjährlich, in der Pflegestufe III vierteljährlich in Anspruch zu nehmen. Die Pflegekasse vergütet diese Beratung, die einen Teil der Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege darstellt“ (MDS, 2009, S. 163).

2.4. Kurzfassung relevanter Studien

Laut einer Evaluierungsstudie nach Schober et al. (2007, S. 18) werden in der Schweiz maximal 60 % der Pflegebedürftigen von Angehörigen zu Hause gepflegt.

Im Vergleich zu Angaben aus Deutschland und Österreich liegt dieser Wert deutlich darunter. Professionelle Pflege und Betreuung im häuslichen Bereich wird vorwiegend von der Spitex übernommen, die ein Netz an Stützpunkten für Pflege und Betreuung in der gesamten Schweiz hat. Die Kerndienstleistung nach Aussage der Spitex (2007, S. 18) ist Beratung. „Ein Reformvorschlag des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums bezieht sich auf Beratung von pflegenden Angehörigen und empfiehlt ein qualitativ gutes Beratungs- und Entlastungsangebot für pflegende Angehörige, da gerade im Bereich der Hilfs- und Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige große Lücken bestehen. Diese Lücken wurden durch eine 2004 durchgeführte Erhebung bei kantonalen Fachleuten festgestellt“ (Schober et al., 2007, S. 18).

„In Summe zeigt sich, dass im deutschsprachigen Raum Beratungsbedarf besteht, der nur teilweise institutionalisiert abgedeckt wird. Gleichzeitig ist es schwierig, die betroffenen Pflegebedürftigen und deren Angehörigen zu erreichen“ (Behrens, Langer, 2006, S. 81).

Pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen müssen sich mit vielfältigen krankheitsbezogenen Anforderungen und Maßnahmen auseinandersetzen, die an ihre Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen und den Alltag zu gestalten, hohe Ansprüche stellen. Sie müssen lernen, sich alltäglich mit den krankheits- und therapiebedingten Anforderungen auseinanderzusetzen und sie in ihr Leben zu integrieren. Neben physischen können in diesem Prozess auch emotionale Belastungen entstehen, die die Krankheitsbewältigung und den Therapieverlauf negativ beeinflussen. Ziel der pflegerischen Versorgung ist es, die betroffenen Personen zu befähigen bzw. zu begleiten, mit diesen Anforderungen umzugehen. Pflegemaßnahmen umfassen dabei die Anleitung, Beratung, Schulung und Begleitung der Personen und die teilweise bzw. vollständige Übernahme der Aktivitäten“ (Schaeffer et al., 2008, S. F8 – F19).

2.5. Beratungsbedarf von Angehörigen von Menschen mit Demenz und Diabetes

Als eine besondere Form des Bedarfes von Angehörigen kann der Beratungsbedarf gesehen werden. Zu den Themen Beratungsbedarf bzw. Informationsbeschaffung zeigen in Österreich durchgeführte Studien (vgl. Pochobradsky et al 2005), dass ein hoher Bedarf aufseiten der pflegenden Angehörigen besteht: Je nach Studie fühlen sich 35% bis 75% der pflegenden Angehörigen in zumindest einer Frage nicht infor-miert, wobei der größte Beratungsbedarf zu zentralen Fragen wie mobile Dienste, Pflegegeld, Hilfsmittel und Kurzzeitpflege angeführt wurde. Die Ergebnisse der Studie von Pochobradsky et al (2005) zeigen weiters, dass sich 55% der befragten Angehörigen in Rechtsfragen nicht oder schlecht beraten fühlen, 47% in finanziellen Fragen, 45% zu Schulungsangeboten, und 38% zu Angeboten der Kurzzeitpflege. Der Großteil der Informationen (59%), die betreuende Angehörige erhalten, stammt von Hausärztinnen und -ärzten, 45% stammen von privaten Personen und je ca. 25% von Behörden bzw. Sozialversicherungen sowie ca. 19% von den Anbieterinnen und Anbietern selbst, nämlich von mobilen Diensten. Die Autoren schlussfolgern aufgrund dieser Ergebnisse, dass dringender Handlungsbedarf hinsichtlich Informationsvermittlung und Beratung besteht, um diese Defizite zu beseitigen und eine sozial ungleiche Nutzung von Angeboten aufgrund ungleich verteilten Wissens zu diesen Angeboten zu vermeiden.

Zahlen zur quantitativen Nutzung von Beratungsangeboten liegen für Österreich nicht vor. Im Fünften Bericht zur Lage der älteren Generation (BMFSFJ 2005) werden für die BRD folgende Zahlen genannt: Nur 7% der pflegenden Angehörigen tauschen sich regelmäßig mit professionellen Pflegepersonen aus, 4% nutzen telefonische Beratung, 6% Angehörigen-Cafés und Sprechstunden, 3% professionell begleitete Angehörigengruppen, und 2% privat organisierte Selbsthilfegruppen.

Als Gründe für die Nichtnutzung von vorhandenen Entlastungs- und Unterstützungsangeboten durch pflegende Angehörige führen Pochobradsky et al (2005) an:

- Die Einschätzung der Angehörigen, die Betreuung ohne professionelle Unterstützung meistern zu können, gepaart mit der Unterschätzung des tatsächlichen Aufwands der Betreuung.
- Die Finanzierung der Angebote durch die Angehörigen ist nicht möglich.
- Gesellschaftliche Rollenbilder, die Frauen nach wie vor unhinterfragt die Betreuungsrolle überantworten – dadurch haben die betroffenen Frauen keine Möglichkeit der Entscheidungsfindung, fühlen sich zur Betreuungsübernahme verpflichtet und folgen gleichzeitig dem wahrgenommenen gesellschaftlichen Anspruch, die Betreuung alleine und ohne (professionelle) Unterstützung meistern zu müssen.

[...]

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Details

Titel
Gutachterliche Expertise aus "Public Health"-Betrachtung mit Schwerpunkt Diabetes und Demenz in Österreich
Autoren
Jahr
2015
Seiten
39
Katalognummer
V298431
ISBN (eBook)
9783656946151
ISBN (Buch)
9783656946168
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gutachterliche, expertise, public, health, schwerpunkt, diabetes, demenz, österreich
Arbeit zitieren
Christine Pöschl (Autor:in)Ronald Schatka (Autor:in)Attila Czirfusz (Autor:in), 2015, Gutachterliche Expertise aus "Public Health"-Betrachtung mit Schwerpunkt Diabetes und Demenz in Österreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298431

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