Das Millet-System. Die Minderheitenpolitik im Osmanischen Reich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


0. Einleitung

Das Osmanische Reich fand seinen Ursprung im Osmanischen Fürstentum (Osmanli Beyligi), dass ca. 1299 gegründet wurde. Das an dem byzantinischen Reich angrenzende Beylik regierte von der Gründung an nach dem islamischen Rechtssystem.

Mit zunehmender Zeit nahm das Fürstentum immer mehr Gebiete ein und wuchs schnell zu einem großen Reich heran und erstreckte sich von Marokko bis Persien und von der Ukraine bis zum Sudan. Daher war das Reich während seines 623 jährigen Bestandes von Nationen- und Glaubensvielfalt geprägt.

Der Umgang der Osmanen mit der nichtmuslimischen Bevölkerung nimmt in der gesamten Weltgeschichte eine besondere Stellung ein.

Im Gegensatz zu der damals üblichen Vorgehensweise, der Bevölkerung der eingenommen Gebiete die Konfession aufzuzwingen, herrschte im Osmanischen Reich die Glaubensfreiheit.

So blieb den Nichtmuslimen die Entscheidung, entweder den islamischen Glauben anzunehmen oder unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. Zahlung bestimmter Steuern) unter islamischer Herrschaft mit zum Teil eingeschränkten Freiheiten weiterzuleben.

Die Minderheitenpolitik unterlag in der gesamten Regierungszeit der Osmanen vielen Veränderungen. Doch die längste Phase, die ohne bedeutende Veränderungen verlief, das heißt zwischen dem Ende des 13. Jahrhunderts und den Anfängen des 18. Jahrhunderts, in der die gegenseitige Toleranz und Akzeptanz der so verschiedenen Bevölkerungsgruppen zum Vorschein kam, fällt in der Literatur unzureichend aus. Das nahezu 450 Jahre lang erfolgreich durchgesetzte System wurde nach Einfluss der europäischen Mächte und dem

Modernisierungs- und Anpassungsversuch der Osmanen wiederum gegen das Reich verwendet und musste aufgelöst werden.

Im Folgenden werde ich zunächst versuchen die allgemeine Problematik darzulegen, indem ich näher auf die damals im Osmanischen Reich vorhandene Situation bezüglich der Minderheiten und den Umgang der Regierung mit dieser eingehen werde. Weiterhin werde ich beschreiben, wie es der Regierung möglich war, das friedliche Nebeneinander und zum Teil auch Miteinander im Reich zu gewährleisten.

Anschließend werde ich auf die zustande gekommenen Probleme, dessen Hintergründe und schließlich auf die getroffenen Maßnahmen der Regierung eingehen.

0. Die Minderheitenproblematik im Osmanischen Reich

Da das islamisch geprägte Reich die Grundsätze des islamischen Rechts befolgte, fand für alle Muslime die Scharia (religiöses Gesetz) Anwendung.

Die Regelungen für die Nichtmuslime dagegen wurden von dem sogenannten zimmet hukuku bestimmt, welche die rechtlichen Bestimmungen für Nichtmuslime im islamischen Recht vorschrieb.

So war in dem multinationalen Reich nicht die Ethnie ausschlaggebend, sondern die Konfession der Bürger.

Es wurden Glaubensgemeinschaften gebildet, an die sich die anerkannten Minderheiten entsprechend ihrer religiösen Zugehörigkeit anschlossen.

Die Gruppierung der einzelnen Individuen nach ihrer Konfession, wie es im Mittelalter unüblich war, brachte dem Osmanischen Reich viele Vorteile.

Der Hintergrund einer solchen Gruppierung bestand darin, dass der Staat nicht einzelne Individuen als Ansprechpartner hatte, sondern nur Gruppierungen. Trotz dessen wurde gleichzeitig die Abhängigkeit jedes einzelnen Bürgers gewährleistet.[1]

Dies galt einerseits dem Staat als Erleichterung, andererseits konnten alle Angehörigen der jeweiligen Glaubensgemeinschaften ihre kulturellen, sozialen sowie rechtlichen Gewohnheiten beibehalten. So sicherte der Staat gleichzeitig seine Souveränität, indem er die verschiedenen Gemeinschaften voneinander trennte. Daher galt es dem Staat in jeder Hinsicht als vorteilhafter, dass die Individuen nicht direkt an den Staat gebunden waren, sondern an ihre Gemeinschaft.

Dessen Oberhaupt war verantwortlich gegenüber dem Staat, sodass eine indirekte Kontrolle aller Gemeinschaften ermöglicht wurde.

Als einzige Ausnahme galt die Zahlung der cizye, die als Kopfsteuer der Nichtmuslime zu verstehen war, wofür ihnen als Gegenzug vom Staat Schutz zugesprochen wurde. Dies galt als einziger Aspekt, bei dem jeder einzelne Bürger als Individuum in den Vordergrund trat.[2]

Die Glaubensgemeinschaften, die das Millet-System umfasste, wurden zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert als millet bezeichnet. Der Begriff „mille“ stammt aus dem Arabischen und wird ins Türkische als „bir söz“ (ein Wort) oder „vahiy“ (Offenbarung) übersetzt. Er bezieht sich daher auf Religionen, die eine heilige Schrift besitzen, die sogenannten ehl-i kitap (Buchreligionen).

So ist in diesem Sinne der Begriff „millet“ nicht nach heutiger Konnotation als „Nation“ zu verstehen.[3][4]

Während der Begriff anfangs auf die verschiedenen Religionsgemeinschaften Anwendung fand, wurde er erst ab dem 20. Jahrhundert auf die Nationalität bezogen.

1. Das Millet-System

In der Herrschaftszeit des Sultan Mehmed II. (reg. 1444-1446 und 1451­1481) fand das Millet-System seinen Ursprung.

Dieses System ist auf die Prinzipien der Staatsordnungen nach islamischen Grundsätzen zurückzuführen, wobei zu erwähnen ist, dass das Osmanische Reich seit der Entstehung des Islams Letzteres weiter entwickelt und als erfolgreichster umgesetzt hat.[5]

Während das System bereits zuvor in türkisch-islamischen Staaten bestand, wurde es von den Osmanen weiter ausgearbeitet und auf eingenommene Gebiete angewandt.

Es ermöglichte mehrere Jahrhunderte lang das friedliche Zusammenleben von Menschen mit religiösen und sozialen Unterschieden, denn das Prinzip des Millet-Systems bestand darin, die Unterschiede bezüglich Kultur, Religion und Sprache zu bewahren. So wurde im Osmanischen Reich nie eine Integrations- oder Assimilationspolitik betrieben.[6]

Generell gab es im Osmanischen Reich vier anerkannte Millets (millet-i arbia). Die muslimische Millet, welche auch als millet-i hakime (die herrschende Millet) bezeichnet wird, umfasste unter anderem die Türken und Kurden in Anatolien und Thrakien, die Araber in Nordafrika, die Albaner und Bosnier in Südosteuropa sowie die Tscherkessen und Tschetschenen.

[...]


[1]Der Sultan wickelte jeglichen Kontakt mit Nichtmuslimen über deren religiös-kirchliche Führung ab.

[2]Ugur Kurtaran, OSMANLI IMPARATORLUGU'NDA MILLET SISTEMI, Sosyal Bilimler Enstitüsü Dergisi 8 (2011), 60-62.

[3]Muharrem Gürkaynak, OSMANLI DEVLETI'NDE MILLET SISTEMI VE YAHUDI MILLETI (2003), 276.

[4]In den Reformedikten von 1839 und 1856 wurden die Nichtmuslime offiziell als „tabaa-i gayrimüslime", „cemaat-i muhtelife", „milel-i saire" und „millet" bezeichnet. (Gürkaynak 2003)

[5]Kurtaran, OSMANLI IMPARATORLUGU'NDA MILLET SISTEMI, 60.

[6]Kurtaran, OSMANLI IMPARATORLUGU'NDA MILLET SISTEMI, 61.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das Millet-System. Die Minderheitenpolitik im Osmanischen Reich
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V298370
ISBN (eBook)
9783656959908
ISBN (Buch)
9783656959915
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Osmanisches Reich, Milletsystem, Minderheitenpolitik, Minderheiten, Tanzimat, Millet, Nichtmuslime
Arbeit zitieren
Gülsüm Coskun (Autor:in), 2014, Das Millet-System. Die Minderheitenpolitik im Osmanischen Reich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298370

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