Und Glauben heißt doch Wissen! Notwendigkeit und Kausalität in Humes Treatise


Zwischenprüfungsarbeit, 2004

22 Seiten, Note: 1-2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Die idea of necessity
I.1. Begriffliche und theoretische Vorentscheidungen
I.2. Das Wesen der Notwendigkeit
I.2.1. Gewöhnliche Annahmen
I.2.2. Gangbare Worte
I.2.3. Humes negative Antwort
I.2.4. Humes positive Antwort
I.3. Zusammenfassung
I.3.1. Die gewöhnliche Meinung (M1)
I.3.2. Die falsche philosophische Meinung (M2)
I.3.3. Die richtige philosophische Meinung (M3)

II. Zur Überzeugungskraft der humeschen Argumentation
II.1. Zur Kohärenz der Argumentationsstränge
II.1.1. M1
II.1.2. M2
II.1.3. M3
II.2. Klärungen und Korrekturen
II.2.1. Radikaler Reduktionismus
II.2.2. Naive Auffassungen
II.2.3. Unstimmigkeiten
II.3. Kants und Husserls Einwände gegen Hume
II.3.1. Kant
II.3.2. Husserl
II.4. Urteil

III. Zur Interpretation des humeschen Kausalitätskonzepts
III.1. Kausalität abschaffen
III.2. Was bleibt?

IV. Literaturverzeichnis
IV.1. Werkausgaben
IV.2. Aufsätze

Einleitung

„Eine Darstellung der Grundgedanken der Humeschen Philosophie mit dem Problem der Kausalität zu beginnen, hat eine lange und mittlerweile geradezu ehrwürdige Tradition, welche sich (mindestens) bis auf Kant zurückführen läßt.“ (Bong 1998, S. 283)

Tatsächlich gibt Kant in den Prolegomena nicht nur über Humes Hilfe bei der Erwe- ckung aus seinem „dogmatischen Schlummer“ (Kant 1968b, A12) Auskunft. Des- weiteren ist dort auch zu erfahren, dass Humes Metaphysik Kants Meinung nach vorrangig der Frage nachging, wie „etwas so beschaffen sein könne, daß, wenn es gesetzt ist, dadurch auch etwas anderes notwendig gesetzt werden müsse“ (Kant 1968b, A7). Im Vertrauen auf Kants Urteil sollte mit der Frage nach der Notwendig- keit ein Aspekt der Philosophie Humes angesprochen sein, der allein aufgrund seiner historischen Präsenz eine Beschäftigung mit dem Thema rechtfertigt.

Das Problem der idea of necessary connexion findet sich originär im 14. Abschnitt des dritten Teils von Buch I des Treatise of Human Nature ausführlich behandelt. Dort schlussfolgert Hume bezüglich der Natur der Notwendigkeit:

„There is, then, nothing new either discovered or produc'd in any objects by their constant conjunction [...]. These ideas, therefore, represent not any thing, that does or can belong to the objects, which are constantly conjoin'd.“ (S. 164)1

Stattdessen verortet Hume das Kausalitätsprinzip im menschlichen Geist: „the efficacy of causes lie in the determination of the mind!“ (S. 167)

„Humes Paukenschlag“ (Pätzold 1998, S. 10) ist nicht unmittelbar einsichtig und bedarf der Ausführung. Deshalb soll hier zunächst die Argumentationsstruktur nachgezeichnet werden, mit der Hume seine „Kausalitätsskepsis“ (Bonk 1998, S. 283) begründet (I). Daran anschließend soll geprüft werden, ob Humes Argumentation überzeugen kann und überzeugt hat (II) und welches Interpretationsspektrum von Humes Lösung aufgeworfen wird (III).

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass ich aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit das generische Maskulinum als Kollektivbezeichnung verwende.

II. Die idea of necessity

Humes Arbeit an „one of the most sublime questions in philosophy“ (S. 156) ist kein in sich abgeschlossener Theorieteil. Das vorgestellte Konzept bezieht sich auf diverse vorgängig bereit gestellte Untersuchungsergebnisse. Deshalb soll zunächst auf Hu- mes begriffliche Vorentscheidungen eingegangen und auf die verwendeten Ergeb- nisse hingewiesen werden (I.1.). In einem zweiten Schritt soll dann Humes Argu- mentation zum Problem der idea of necessity rekonstruiert werden (I.2.).

II.1. Begriffliche und theoretische Vorentscheidungen

Humes Treatise fußt auf und beginnt mit einer einfachen Unterscheidung: „ALL the perceptions of the human mind resolve themselves into two distinct kinds, which I shall call IMPRESSIONS and IDEAS“ (S. 1). Dass perceptions dabei „die Geistes- und Be- wusstseinsinhalte überhaupt“ (Hume 1973, S. 8 Anmerkung 8) bezeichnen, wird deutlich, wenn Hume unter impressions „all our sensations, passions and emotions, as they make their first appearance in the soul“ (S. 1) subsumiert und unter ideas „the faint images of these [impressions] in thinking and reasoning“ (ebd.) verstanden wissen will. Wichtig für unseren Zusammenhang ist, dass Hume seiner „empirischen These“ (Hesse 1997, S. 39) prinzipielle Gültigkeit zuspricht: Jeder idea geht immer eine entsprechende impression voraus; ideas ohne impressions gibt es nicht (bzw. lässt sich von einer spezifischen idea ohne korrespondierender impression nur sinnverzer- rend und in die Irre leitend reden). Es wird darauf zurück zu kommen sein.

Impressions sind dem menschlichen Geist („human mind“ (ebd.)) in zweifacher Hin- sicht gegeben. Unmittelbare Erfahrungen - impressions of sensation - entstehen „in the soul originally, from unknown2 causes“ (ebd.). Selbstwahrnehmungen - impressions of reflexion - werden von den aus den unmittelbaren Erfahrungen erzeugten ideas her- vorgerufen („produce[d]“ (S. 8)). Jede idea entsteht (unter Anwendung der empi- rischen These) also entweder aus einer Sinnes- oder aus einer Selbstwahrnehmung. Hume versucht im Folgenden zu zeigen, welche unangenehmen Konsequenzen eine Nicht-Beachtung dieser Unterscheidung im Rahmen der idea of necessity nach sich ge- zogen hat.

Ideas können laut Hume so aufeinander bezogen werden, dass „simple ideas [...] may be united again in what form it pleases“ (S. 10). Diese geistige connexion of ideas (vgl. ebd.) geschieht entweder aufgrund von Ähnlichkeit, raumzeitlicher Kontinuität oder eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs (vgl. S. 11) und sollte als ein durch „gentle force“ (S. 10) wirkendes Prinzip angesehen werden. Ursächlichkeit sei dabei nicht nur „the most extensive“ (S. 12) Relation, sie sei auch die einzige, „which produces such a connexion, as to give us assurance from the existence or action of one object, that 'twas follow'd or preceded by any other existence or action“ (S. 73 f.). Ent- scheidend dafür, dass „we reason beyond our immediate impressions, and conclude that such particular causes must have such particular effects“ (S. 155), sei, dass zwei Gegenstände notwendig verknüpft werden („ necessarily connected “ (ebd.)).

Worin aber „our idea of necessity“ (ebd.) besteht, ist die Frage, zu deren Beant- wortung sich Hume in dem zur Diskussion stehenden Abschnitt des Treatise auf den Weg macht.

II.2. Das Wesen der Notwendigkeit

Unter Voraussetzung der empirischen These macht sich Hume auf die Suche nach der impression, die die idea of necessity ausgelöst hat: „we must find some impression, that gives rise to this idea of necessity“ (S. 155). Dazu widmet sich Hume zunächst gewöhnlicher Annahmen („what is [...] commonly suppos'd“ (ebd.)) zum Notwendig- keitsproblem und gelangt zu einem Urteil, das „at first sight be receiv'd without diffi- culty“ (S. 156).3

II.2.1. Gewöhnliche Annahmen

Demnach werde Notwendigkeit immer einer kausalen Verknüpfung zweier Gegen- stände („objects“ (ebd.)) zugeschrieben, an der unmittelbar wahrgenommen („imme- diately preceive[d]“ (ebd.)) werden könne, dass die Ursache der Wirkung vorausgeht und dass beide Gegenstände zueinander in raumzeitlicher Kontiguität stehen. Damit aber sei schon alles gesagt, was zur Betrachtung zweier kausal verknüpfter Gegen- stände gesagt werden könne: „In no instance can I go any farther, nor is it possible for me to discover any third relation betwixt these objects“ (ebd.). 4Allein aus der Be- trachtung zweier anscheinend kausal verknüpfter Gegenstände lässt sich das Wesen oder die Natur der Notwendigkeit nicht ableiten. Was 'Notwendigkeit' ist, bleibt zu- nächst unklar.

Erst ein Vergleich von wiederholt wahrgenommenen kausal verknüpften impressions lässt die idea of necessity entstehen. Zwar könne das Nachdenken („the reflection“ (ebd.)) über die immer wieder gleichen (kausal verknüpften) Gegenstände „never give rise to a new idea“ (ebd.). Trotzdem werde der Geist („mind“ (S. 156)) durch die Gewohnheit dazu gebracht5 („determin'd“ (ebd.)) einen Gegenstand kausal mit einem anderen zu verknüpfen. Dieses Dazu-Bringen („determination“ (ebd.)) sei die gesuchte impression, die die idea of necessity entstehen lässt.

Hiermit hat Hume seinen Argumentationsgang im Grunde schon zu Ende gebracht. Da die Konklusion aus „evident deductions from principles, which we have already establish'd“ (ebd.) erfolgte, steht das Ergebnis unverrückbar fest: Die idea of necessity ist eine Selbstwahrnehmung des Geistes. Da damit allerdings die sich daraus ergebenden Konsequenzen noch nicht „extraordinary“ (ebd.) genug klargemacht sind, expliziert Hume seine Argumentation noch einmal aus drei spezifischen Per- spektiven: Was ist zu anderen Kausalitätstheorien im Licht der humeschen zu sagen (I.2.2)? In welcher Hinsicht lässt sich auf jeden Fall nicht von 'Notwendigkeit' reden (I.2.3)? Was aber heißt es dann im humeschen Sinn von 'Notwendigkeit' zu reden und welche Konsequenzen ergeben sich unmittelbar aus dem humeschen Ansatz (I.2.4)?

II.2.2. Gangbare Worte

Hume verwirft Versuche, Notwendigkeit aus anderen Begriffen zu definieren: Solche „vulgar definitions“ (S. 157) würden sämtlich auf Begriffen beruhen, die „nearly synonimous“ (ebd.) zu 'Notwendigkeit' wären. Damit das Rätsel der Notwendigkeit zu lösen hält Hume für absurd, da - wie Hume zu ergänzen wäre - das Problem da- mit nur verschoben würde: Was die idea of efficacy, agency, force oder energy (vgl. ebd.) ist, bleibt ebenso unbeantwortet wie die synonyme Frage nach der idea of necessity. Gesucht werde (nach wie vor) „the impression, from which it [die idea of necessity ] is origi- nally deriv'd“ (ebd.). Mit Blick auf Locke ließe sich eventuell behaupten, dass durch vernünftiges Nachdenken ein Rückschluss auf die Natur der Notwendigkeit möglich sein könnte. Doch dem allein aus Vernunfterwägungen begründeten Schluss von be- wegten Körpern auf „a power capable of producing them“ (ebd.), könne aus zwei Gründen nicht zugestimmt werden. Zum einen könne die Vernunft keine „original idea“ (ebd.) erzeugen, zum anderen vermöge die Vernunft allein „never make us conclude, that a cause or productive quality is absolutely requisite to every beginning of existence“ (ebd.). Folglich müsse die idea of necessity aus der Erfahrung stammen und ihr Weg in den Geist müsste „by the common channels of sensation or reflecti- on“ (ebd.) nachvollzogen werden können.6

Zusammenfassend kann Hume keinen Versuch anerkennen, bei dem eine notwendige Verknüpfung („necessary connexion“ (S. 162)) abhängig von „an efficacy or energy“ (ebd.) angenommen wird. Argumentativ geht Hume dabei unter Anwendung der bekannten empirischen These vor:

„All ideas are deriv'd from, and represent impressions. We never have any impression, that contains any power or efficacy. We never therefore have any idea of power.“ (S. 161)

Wenn es eine Wirkkraft oder Energie gäbe, müsste sich auch irgendwo eine ihnen entsprechende impression finden lassen. Das aber scheint nicht der Fall zu sein, „since neither in body nor spirit, neither in superior nor inferior natures, are they able to discover one single instance of it“ (S. 160). Vielmehr gäben diese „common words“ (ebd.) dem Begriff der Notwendigkeit „no distinct meaning“ (ebd.). Und durch den sinnverfälschenden und falschen Gebrauch sei die „true meaning“ (ebd.) von 'Not- wendigkeit' verloren gegangen.

[...]


1 Angaben ohne weiteren Hinweis auf Autor und Erscheinungsjahr verweisen auf: Hume 1978.

2 Womit für Hume genug zum Ursprung der impressions of sensation gesagt ist: „Nothing ist more requisite for a true philosopher, than to restrain the intemperate desire of searching into causes, and having establish'd any doctrine upon a sufficient number of experiments [...], when he sees a farther examination would lead him into obscure and uncertain speculations“ (S. 13).

3 Vgl. Hume 1973, S. 224.

4 Vgl. a.a.O., S. 211.

5 Lipps Übersetzung von determine/determination mit „nötigen/Nötigung“ (vgl. a.a.O, S. 211 f.) erscheint aufgrund der ethymologischen Nähe von 'Notwendigkeit' und 'Nötigung' unglücklich. Eine direkte Übersetzung mit 'determinieren' verbietet sich auch, da dessen Gebrauch im Deutschen nicht dem von Hume gemeinten Sinn entsprechen kann. Vermutlich zeigt sich hier ein Über- setzungsproblem, zu dessen Lösung auf „dunkle Spekulationen“ zurückgegriffen werden müsste (vgl. oben Fußnote 1).

6 Vgl. a.a.O., S. 220.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Und Glauben heißt doch Wissen! Notwendigkeit und Kausalität in Humes Treatise
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Hume: Treatise
Note
1-2
Autor
Jahr
2004
Seiten
22
Katalognummer
V29736
ISBN (eBook)
9783638311762
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Humes "Paukenschlag" hat selbst Kant aus seinem "dogmatischen Schlummer" geweckt. Diese Arbeit beschäftigt sich mit Humes Analyse und Kritik der Kausalitätsproblematik: Wie ist angemesssen mit dem Phänomen der notwendig gedachten Kausalverknüpfung umzugehen, wie lässt sich eine solche denken und wie von ihr angemessen reden? Umd was haben eigentlich Kant, Husserl, Quine und Russell zur Thematik beizutragen ...?
Schlagworte
Glauben, Wissen, Notwendigkeit, Kausalität, Humes, Treatise, Hume, Treatise
Arbeit zitieren
Magister Artium Markus Szczesny (Autor:in), 2004, Und Glauben heißt doch Wissen! Notwendigkeit und Kausalität in Humes Treatise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29736

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