Die Angst vor dem eindringenden Wasser - Körperpflege in den Oberschichten des ausgehenden 16. bis frühen 18. Jahrhunderts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

26 Seiten, Note: 1-2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung und Forschungsstand

2.1 Das Baden des Körpers als unübliche Praxis
2.1.1 Aus Anstand und Sitte: die Sonderrolle des Händewaschens
2.2 Die trockene Toilette
2.2.1 Sauberkeit des Sichtbaren: Leibwäsche, Puder und Parfüm

3. Reinlichkeit in Erziehungsinstruktionen

4. Auswirkungen der Hygienemaßstäbe am Beispiel der Krätze

5. Ausblick auf die Entwicklung zur Jahrhundertwende

6. Schluss
I. Literaturverzeichnis
II. Quellenverzeichnis

1. Einleitung und Forschungsstand

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Dame à sa toilette“ (Dame bei der Toilette) – so ist das Bild betitelt, dass die Mätresse Heinrichs II. beim morgendlichen Ankleiden zeigt. Alle Attribute einer Reinigung aber fehlen auf den ersten Blick. Obwohl das Bild die morgendliche Toilette zeigen soll, ist fast kein Mittel der Körperpflege zu sehen. Zunächst stellt sich die Frage, was zu sehen sein müsste. Ein Wasserhahn, ein Handtuch und eine Zahnbürste kann der Betrachter nicht erwarten – sie sind Projektionen der Moderne. Doch wäre ein Schälchen Wasser nicht unersetzlich für die Körperpflege? Stattdessen liegt eine Perlenkette vor der Dame, die auffallend blass in einem zarten Nachthemd neben einem Spiegel sitzt. Mars und Venus als Sockel des Spiegels sind nicht mit Hygiene in Einklang zu bringen, wohl eher mit der Rolle der abgebildeten Diane de Poitiers im Leben des Königs. Ein unauffälliger, heller Kamm ist der einzige Bestandteil auf dem Gemälde, den man nach heutigem Verständnis mit der Körperpflege in Verbindung bringt – ein Zeichen für mangelnde Hygiene? Dieses Bild scheint das Klischee des weiß gepuderten Adeligen zu belegen: der Dreck wird übergepudert, das Haar nicht gewaschen, in den Achseln lenken Parfümkissen vom Schweißgeruch ab und Mitesser werden mit Schönheitspflästerchen überklebt. Man macht es sich zu einfach, würde man die Oberschichten an den adeligen Höfen des 16. bis 18. Jahrhunderts zu reichen Schmutzfinken degradieren. Aus sozialer Sicht wäre zu argumentieren, dass Hygiene begrifflich so flexibel sein müsse, dass sie eben das ausmacht, was der jeweilige Mensch seiner Zeit in sie interpretiert oder schlichtweg wie er sie definiert. Aus medizinischer Sicht wäre zu untersuchen, was die jeweiligen Praktiken bewirkten, was aus medizinischer Sicht hygienischer wäre – Körperpflege heute oder Körperpflege damals? Letzteres würde zu weit führen an dieser Stelle und reicht m. E. zu weit in den Bereich der Dermatologie u. a. hinein. Doch die Frage bleibt, was eine Toilette eben ausmacht. Der Stuhlgang ist heute wie damals Bestandteil, davon kann man ausgehen, doch die morgendliche Dusche, das Putzen der Zähne, das Kämmen der Haare – was sind ihre Vorläufer, bedenke man, dass Technik, Kosmetikindustrie und Medizin von den Neuerungen unserer Zeit noch entfernt waren? Wie Körperpflege beim angeblich so schmutzigen Adel aussah, wie diese durchgeführt, wahrgenommen und definiert wurde, wird im Folgenden zu klären sein.

Um zum Kern dieser Arbeit, also der Körperhygiene, vorzudringen, bietet sich oftmals nur der Weg an über Sekundär- aber auch Primärliteratur zu Erziehung und Körperverständnis, zu Medizin und Anstand, zu Mode und Repräsentation. Bei den Recherchen für diese Arbeit ist deutlich geworden, dass Hygiene und Reinlichkeit in Deutschland zu den vernachlässigten kulturwissenschaftlichen Themenbereichen zählen, um an dieser Stelle die Kritik von Löneke und Spieker[1] zu zitieren und zu unterstreichen.

Studien für den deutschsprachigen Raum sind bislang Mangelware, für die Frühe Neuzeit meines Wissens kaum vorhanden, so dass auf Untersuchungen für Frankreich zurückzugreifen ist. Vigarello[2] referiert unter Berücksichtung zahlreicher Quellen über die Körperhygiene seit dem Mittelalter und bezieht sich ausführlich auf die hier zu behandelnde Kernzeit des 17. Jahrhunderts. Größtenteils auf seine Ergebnisse stützt sich Stolz mit ihrer Studie über „Die Handwerke des Körpers“, die speziell die Berufe rund um die Körperpflege fokussiert und auch auf modische Trends näher eingeht.

Weitere, auf den ersten Blick relevante Werke, beispielsweise das populäre Buch Corbins über den Geruch[3] als auch die Dissertation von Mönkemeyer[4], beschäftigen sich vorwiegend mit der Entwicklung nach 1800 bzw. lassen die Zeit vom ausgehenden 16. Jahrhundert an außer acht.

In Anbetracht von Seitenumfang und verwendeten Materialien kann diese Arbeit die Lücke sicher nicht schließen, aber den Blick erweitern auf Wahrnehmung, Durchführung und Verständnis der Körperpflege in der Frühen Neuzeit.

2. Die Praktiken physischer Hygiene

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.1 Das Baden des Körpers als unübliche Praxis

Um die eigentliche Bedeutung der sich im 16. Jahrhundert allmählich verlierenden Praktiken zu verstehen, sei kurz auf die Funktion bzw. das Bild vom Baden im Spätmittelalter hingewiesen[5]. Als die körperliche Reinigung nicht der eigentliche Zweck war, stellten die Badehäuser „Stätten der Vergnügung [...] Kristallisationspunkte des turbulenten Stadtlebens“[6] dar. Ihre allmählich voranschreitende Schließung gründet sich auf mehrere Faktoren, nicht zuletzt auf die Festigung der sozialen Normen der städtischen Gesellschaft, die solche Einrichtungen mitsamt ihrer beklagten mangelnden Moral, ihres Lärms und ihrer Gewalttätigkeiten nicht mehr dulden wollte. Das Verschwinden des privaten Badens lässt sich dagegen auf die Vorstellungen des Zusammenwirkens von Wasser und Körper zurückführen, welches später noch erläutert wird. Für die Unterschichten hatte zwar auch das neue Scham- und Peinlichkeitsgefühl Einfluss auf die Körperhygiene, die Körperkultur erfuhr aber vor allem eine soziale Differenzierung. Das Bedürfnis nach Bädern bestand in der Landbevölkerung auch nach 1700 fort. Weil der Besuch der wenigen noch verbliebenen Badestuben immer teurer wurde, setzte sich das Baden unter freiem Himmel in Flüssen und Seen durch. Erst als sich nach 1750 das bürgerliche Reinlichkeits- und Intimitätsverständnis durchsetzte, fand das ausgelassene freie Baden ein Ende.[7]

Einen großen Einfluss auf die Hygiene-Gewohnheiten der Menschen besaß die grassierende Verbreitung der Pest[8]. So bestanden nicht nur Anweisungen, Pestkranke nicht in die Stadt einzulassen bzw. ihre Häuser nicht zu betreten, sondern es gab daneben auch Verhaltensmaßregeln für die persönliche Sauberkeit des Einzelnen. Schließlich galt schon im Spätmittelalter die These, dass menschliche Kontakte den Nährboden für Epidemien darstellten. Darum hatte jeder Sorge um sich selbst zu tragen, um damit seinen Nächsten zu schützen. Um weitere Ansteckungen zu vermeiden, sollten die Menschen auf das verzichten, was ihre Körper für die Epidemie anfällig werden ließ; dazu zählen schwere Arbeit, die Schweißausscheidung und erhöhte Körpertemperatur bewirkt, zu viel Wärme, die die Haut erschlaffen lasse, und auch das Baden. „Man geht nämlich davon aus, dass Flüssigkeiten durch Druck- und Hitzeeinwirkung die Poren öffnen und dadurch eine erhöhte Anfälligkeit bewirken.“[9] Nach damaliger Auffassung könne das Wasser ja durch die „eigenständige, ablösbare Hülle“[10] direkt in den Körper eindringen und dort das Gleichgewicht stören – eine Idee, die in der hier behandelten Zeit maßgeblich das Verständnis von Körperpflege lenkt und einer von mehreren Faktoren sein könnte, der das Ende der mittelalterlichen Badekultur einläutete.[11]

Die im Mittelalter noch weit verbreiteten Badehäuser dienten den Menschen als Treffpunkt, Gesundheitszentrum und Sauna. Letzteres habe dem Wannenbad bei weitem bis in die Neuzeit den Rang als beliebteste Badeform abgelaufen, wie Tuchen anmerkt.[12] Nach dem Saunagang war es Usus, Schweiß und Schmutz mit warmem Wasser und Seifenlauge abzuwaschen. Neben dem reinigenden Effekt bot der Barbier auch seine Dienste bei Haarschnitt und Rasur und der Behandlung von Krankheiten an. Schröpfen und zuweilen Aderlassen[13] fanden hier statt, letzteres aber vorwiegend beim Bader. Bis zum 18. Jahrhundert verschwanden diese Badestuben „nahezu vollständig aus dem Leben der Bevölkerung“[14]. Mehrere Faktoren müssen diese Entwicklung, die schon im 16. Jahrhundert ihren Anfang nahm, beeinflusst haben: beispielsweise die Verbreitung der Syphilis, das sich verändernde Schamgefühl der Menschen, die Vorliebe der Oberschichten, eigene Bademöglichkeiten zu schaffen, sowie der chronische Holzmangel können unter anderem in der Summe für die Schließung verantwortlich sein. Hinzu kam, dass Saunagänge nicht mehr den medizinischen Vorstellungen als heilend entsprachen, so dass von den Gelehrten vermehrt Sitzbäder empfohlen wurden.[15]

Hitze und Wasser sind es, die in Zeiten der Pestepidemien für die Ansteckung verantwortlich gemacht werden. Sie sollen Risse in der Haut verursachen, durch die die Krankheit quasi eindringt. Vor allem nach dem Baden sei der Organismus geschwächt und leiste kaum Widerstand gegen Eindringlinge. Die Haut wird ab dem 16. Jahrhundert verstanden als poröse Schicht, die gegen Wasser und Luft keinerlei Schutz bietet und als Konsequenz somit auch gegen die Pest, deren Ursache und Herkunft für die Betroffenen weder sichtbar noch greifbar erschien, nicht widerstehen kann.

Abgesehen von der Pestgefahr ist die Idee des eindringenden Wassers, das den Körper wehrlos macht gegen ungesunde Luft, Kälte und andere Übel bzw. Schäden an und in ihm anrichtet und das Gleichgewicht seiner Säfte stört, typisch für die hygienischen Praktiken dieser Zeit.[16] Andersherum gedacht, könnten Lebenskraft bzw. –Säfte durch die Poren entweichen, der Körper wäre also in zweierlei Richtungen offen durch die Haut. Dementsprechend warnt Renaudot in einer Schrift 1655: „[...] Das Baden hat eine zerstörerische Wirkung auf den Körper und macht ihn durch das eindringende Wasser für die Einwirkung der schlechten Eigenschaften der Luft empfänglich[...]“[17] Zugleich deutet der Autor an, ein Bad schade Nerven und Sehnen im Körper und könne bei Frauen zu einer ungewollten Abtreibung führen.

Nicht zu vergessen sei aber an dieser Stelle, dass seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert die Badekuren, erschwinglich nur für die Oberschichten, in ausgewählten Heilbädern einen Boom erlebten. Ebenso beliebt war die Einnahme von Mineralwasser. Allerdings ging es hier um bestimmte Heilquellen zu medizinischen Zwecken – weniger um das Wasser als solches, sondern vielmehr um seine mineralischen Inhaltsstoffe, die vom Körper so aufgenommen werden konnten.[18]

[...]


[1] Vrgl. Löneke, Regina, Spieker, Ira (Hrsg.), Reinliche Leiber, schmutzige Geschäfte. Körperhygiene und Reinlichkeitsvorstellungen in zwei Jahrhunderten, Göttingen 1996, S. 9.

[2] Vigarello, Georges, Wasser und Seife, Puder und Parfüm. Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter, Frankfurt/Main 1988. (folgend: Vigarello 1988)

[3] Vrgl. Corbin, Alain, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs, Berlin 1984.

[4] Vrgl. Mönkemeyer, Klaus, Sauberkeit, Schmutz und Körper. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Sauberkeit zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg (Diss.), Marburg 1988. / Vrgl. auch: Spies, Britta (Hrsg.), "Wo geht's denn hier aufs Klo?". Sauberkeit und Hygiene auf dem Land im 19. und 20. Jahrhundert, Schriften des Museums des Landkreises Osnabrück, Osnabrück 2002.

[5] Vrgl. Tuchen, Birgit, Öffentliche Badhäuser in Deutschland und der Schweiz im Mittelalter und der frühen Neuzeit, Petersberg 2003. / Varron, A.G., Hygiene im Mittelalter, in: Ciba-Zeitschrift. Abhandlungen über die Geschichte der Medizin und Grenzgebiete 06/1937 (auch: http://www.amuseum.de/medizin/CibaZeitung/jun37.htm).

[6] Vigarello 1988, S. 44.

[7] Frey, Manuel, Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760-1860, Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 119, Göttingen 1997, S.61.

[8] Vrgl. Ulbricht, Otto (Hrsg.), Die leidige Seuche. Pest-Fälle in der frühen Neuzeit, Köln u.a. 2004 / Riegel, Thomas, Lepra, Pest und andere Seuchen. Krankheit und Krankenpflege in Kitzingen am Main zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, Hamburg 2002 / Höhl, Monika, Die Pest in Hildesheim. Krankheit als Krisenfaktor im städtischen Leben des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (1350 - 1750), Hildesheim 2002. / Vasold, Manfred, Die Pest. Ende eines Mythos, Stuttgart 2002.

[9] Vigarello 1988, S.16.

[10] Stolberg, Michael, Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln u.a. 2003, S. 145. (folgend: Stolberg 2003)

[11] Vrgl. Zeuch, Ulrike, Benthien, Claudia u.a. (Hrsg.), Haut. Zwischen 1500 und 1800. Verborgen im Buch, verborgen im Körper. Ausstellung in der Herzog-August- Bibliothek, Wiesbaden 2003.

[12] Tuchen, Birgit, Grundzüge des mittelalterlichen Badewesens, in: Hoffmann, Albrecht (Hrsg.), Wasser zum Waschen und Baden. Die sanitäre Bedeutung des Wassers im Wandel der Zeit, Kasseler Wasserbau-Forschungsberichte und –Materialien, Band 15, Kassel 2002, S. 23-35, hier S.24. (folgend: Tuchen 2002)

[13] Vrgl. Jütte, Robert, Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit, München u.a. 1991, S. 54ff.

[14] Tuchen 2002, S.33.

[15] Tuchen 2002, S.34.

[16] Vigarello 1988, S.18f.

[17] zit. in Vigarello 1988, S. 22f.

[18] Stolberg 2003, S. 85f.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Angst vor dem eindringenden Wasser - Körperpflege in den Oberschichten des ausgehenden 16. bis frühen 18. Jahrhunderts
Hochschule
Universität Osnabrück
Veranstaltung
Projektseminar zur Rekonstruktion adliger Lebenswelten in Nordwestdeutschland
Note
1-2
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V29653
ISBN (eBook)
9783638311168
ISBN (Buch)
9783638901819
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Verständnis, Defintion und Durchführung von Körperpflege im Adel der Frühen Neuzeit. Darstellung vom Baden sowie der trockenen Toilette als auch von der Rolle von Hygiene in zeitgenössischen Erziehungsschriften und die Auswirkungen am Beispiel der Krätze.
Schlagworte
Angst, Wasser, Körperpflege, Oberschichten, Jahrhunderts, Projektseminar, Rekonstruktion, Lebenswelten, Nordwestdeutschland
Arbeit zitieren
Kristine Greßhöner (Autor:in), 2004, Die Angst vor dem eindringenden Wasser - Körperpflege in den Oberschichten des ausgehenden 16. bis frühen 18. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29653

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