"The Turn of the Screw" von Henry James: Ein Vergleich der short fiction prose von Henry Jamesmit ihrer Verfilmung "The Innocents" von Jack Clayton


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

23 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. EINLEITUNG

2. HORROR UND DOPPELDEUTIGKEIT BEI HENRY JAMES: SCHAUERLICHE GEISTERGESCHICHTE ODER PSYCHOANALYTISCHE FALLSTUDIE?
2.1 DIE FIGUR DER GOVERNESS
2.2 DIE GEISTER PETER QUINT UND MISS JESSEL: REALITÄT ODER HALLUZINATION?
2.3 MILES UND FLORA: ENGELHAFTE UNSCHULD ODER DÄMONISCHE BESESSENHEIT?
2.4. DOPPELDEUTIGE ERZÄHLSTRUKTUR ALS STILMITTEL DER GEISTERGESCHICHTE

3. VERGLEICH MIT DER FILMISCHEN INTERPRETATION VON JACK CLAYTON
3.1 ADAPTIONEN UND UNTERSCHIEDE IM FILM
3.2 DIE FILMISCHE UMSETZUNG DER BEGEGNUNGEN MIT DEN GEISTERN QUINT UND JESSEL

3.3 DIE UMSETZUNG DER DOPPELDEUTIGKEIT DER GESCHICHTE IM FILM

4. FAZIT

BIBLIOGRAPHIE

1. Einleitung

Henry James Geschichte „The Turn of the Screw“ brachte nicht nur unzählige Interpretationen und Diskussionsstunden bei Literaten hervor, sondern sie diente schon mehrfach als Basis für eine Verfilmung. Die erste Verfilmung mit dem Titel „The Innocents“ ist 1961 unter der Regie von Jack Clayton entstanden und gilt bis heute als ein Meisterstück und Klassiker des „British Horror Cinema“. Sowohl das Original in Schriftform als auch die filmische Adaption erreichen auf ihre jeweils eigene Weise ein hohes Maß an Ambivalenz hinsichtlich der Natur und Realität der Gespenster und ihrer Opfer zu erzeugen. In diesem Essay versuche ich die Mittel, mit denen die Doppeldeutigkeit erzeugt wird, herauszustellen und anschließend miteinander zu vergleichen. Zunächst gehe ich auf die Geschichte von Henry James ein und versuche den Beweis für die Hypothese zu liefern, dass die Essenz der Geschichte darin besteht, sie nicht eindeutig interpretieren zu können. Im zweiten Teil der Arbeit wird der Film in Bezug auf seine Umsetzung der Doppeldeutigkeit analysiert und schließlich ein Fazit aus beiden Teilen gezogen.

2. Horror und Doppeldeutigkeit bei Henry James: schauerliche Geistergeschichte oder psychoanalytische Fallstudie?

Die Geschichte „The Turn of the Screw” ist eine der am häufigsten gelesenen und interpretierten fiktionalen Erzählungen von Henry James. Seit mehr als hundert Jahren diskutieren Literaturwissenschaftler über die grundlegende Frage dieser Geschichte: Ist es eine Furcht erregende „ghost story“ oder eine psychoanalytische Fallstudie über eine neurotische junge Frau? Beide Interpretationen wurden und werden weiterhin von zahlreichen Anhängern vertreten (vgl.; Edel 1969; Heilman 1948; Waldock 1947; Wilson 1976). Seit den 70er Jahren tendieren einige Kritiker auch zu der Position, dass diese Geschichte beides in sich vereinigt, da sie der Meinung sind: „James has told it with such skillful ambiguity that readers can hold both views simultaneously“1 (Beidler 1995:128). Trotz dieser Doppeldeutigkeit oder gerade weil sich diese Erzählung einer eindeutigen logischen Interpretation entzieht, sind sich die Kritiker einig darüber, dass es eine brillante Geschichte ist, egal welchen Interpretationsansatz man verfolgt (vgl. Beidler 1995:127-28).

In diesem Kapitel soll zunächst die Governess als Hauptfigur und gleichzeitig Ich-Erzählerin charakterisiert werden. Anschließend wird versucht zu zeigen, wie Henry James es schafft, den Leser im Unklaren zu lassen ob die Geister reale Erscheinungen oder bloß Hirngespinnste der Governess sind und ob die Governess die Kinder vor den bösen Geistern beschützt oder sie in ihrem eigenen Wahn terrorisiert. Schließlich wird auf die mehrdeutige Erzählstruktur und ihre Wirkung auf den Leser eingegangen.

2.1 Die Figur der Governess

Der Hauptcharakter und Ich-Erzähler der Geschichte, die namenlose Governess, wird im Prolog aus der Sicht von Douglas nur vage und subjektiv charakterisiert, da er sich offenbar selbst zu ihr hingezogen gefühlt hat. Die Governess, so sagt er, „struck me as awfully clever and nice“, und betont weiterhin: „I liked her extremely and am glad to this day to think that she liked me too.” (S. 2). Wir erfahren von ihm, dass sie als Pfarrerstochter aus ärmlichen Verhältnissen eine Stelle von einem attraktiven Gentleman in der Londoner Harley Street als Betreuerin der beiden Weisenkinder Flora und Miles auf dem ländlichen Anwesen Bly annimmt. Der Onkel der Kinder, von dem sie offenbar sehr angetan ist, übergibt ihr zwar die alleinige Verantwortung, gleichzeitig stellt er aber die ungewöhnliche Bedingung auf, dass sie ihn unter keinen Umständen mit Problemen behelligen soll. Die Aufgabe bringt also für eine junge unerfahrene Frau „a vision of serious duties and little company, of really great loneliness“ (S.6) mit sich. Sie ist zwar verunsichert, nimmt aber den Job an und fühlt sich bereits „rewarded“ (S.6), als ihr Auftraggeber für einen Moment ihre Hand als Dankesgeste hält. Bezeichnenderweise für die vielen Interpretationsfreiräume der Geschichte sagt Douglas nur, dass die Governess verliebt war, fügt aber hinzu, dass „[the] story won’t tell, […] not in any literal vulgar way“ (S.3) in wen sie sich verliebt hatte. Auch in der Erzählung selbst macht die Governess nur Andeutungen, dass sie von ihrem Auftraggeber, dem jungen, attraktiven und reichen Onkel der beiden Kinder ‚beflügelt’ ist: „I’m rather easily carried away. I was carried away in London!“ (S.9). Diese Andeutungen ihres Schwärmens für ihren Auftraggeber sind Indizien für den psychoanalytischen Ansatz zu der Geschichte. Weil sie auf Bly ihre Sehnsucht nach Liebe unterdrücken muss, projiziert sie ihre eigenen sexuellen Vorstellungen auf die verstorbenen Quint und Jessel und macht diese damit zu Schattenbildern ihrer frustrierten Psyche. Gleichzeitig kann sie aber auch als tapfere Heldin angesehen werden, die die von Quint und Jessel in der Vergangenheit „verdorbenen“ Kinder von allem Bösen befreien will.

James führt die Governess als unerfahrene, aber äußerst pflichtbewusste und gutmütige junge Frau ein, um die Glaubwürdigkeit ihrer Erlebnisse auf Bly zu stützen und den Horroreffekt der Geistererscheinungen zu erhöhen. Edmund Wilson weist uns jedoch darauf hin, dass „it is not an infrequent trick of James’s to introduce sinister characters with descriptions that at first sound flattering…“ (Wilson 1976:88). Ihr Pflichtbewusstsein und der religiöse Glaube an das Gute vermischt mit dem Drang ihren Auftraggeber zu beeindrucken sind entscheidend dafür, dass sie trotz des von ihr erlebten Horrors auf Bly bis zum dramatischen Ende der Geschichte durchhält.

2.2 Die Geister Peter Quint und Miss Jessel: Realität oder Halluzination?

Die wohl am häufigsten diskutierte Frage zu der Geschichte ist, ob die Geister tatsächlich existieren oder Hirngespinste der Governess sind. Sie ist die einzige, die behauptet die beiden Geister Peter Quint und Mrs Jessel in einer Reihe von ambivalenten Situationen gesehen zu haben. Die erste Erscheinung tritt in einer zunächst friedvollen Szene während eines Spaziergangs auf. Die Governess gibt sich ihren Phantasien hin und wünscht sich eine Begegnung mit einem attraktiven Mann herbei:

„Some one would appear there at the turn of the path and would stand before me and smile and approve. I didn’t ask more than that-I only asked that he should know; and the only way to be sure he knew would be to see it, and the kind light of it, in his handsome face. That was exactly present to me-by which I mean the face was-when, on the first of these occasions, at the end of a long June day, I stopped short on emerging from one of the plantations and coming into view of the house“ (S15).

Sie hat vermutlich das Gesicht ihres Auftraggebers vor sich, als diese imaginäre Begegnung sich in einen „shock much greater than any vision had allowed for“ (S.16) verwandelt. Sie erblickt plötzlich tatsächlich jemanden auf einem der beiden Türme des Hauses [“… my imagination had, in a flash, turned real. He did stand there!” (S.16)], jedoch ist es nicht ihr Auftraggeber, sondern wie sie glaubt zu erkennen ein ihr unbekannter Mann. Sie ist zwar verwirrt, behält jedoch dieses Erlebnis für sich. Die Szene ist nicht nur doppeldeutig, weil die Governess kurz vor der Erscheinung einen Tagtraum hat, sondern auch weil sie sich selbst so unsicher über die Realität der Erscheinung ist, dass sie es vorzieht dieses Erlebnis für sich zu behalten. Nachdem der Unbekannte ihr ein weiteres Mal erscheint (diesmal schaut er von außen durch ein Fenster ins Haus) wird er anhand ihrer Beschreibung von Mrs. Grose als der tote Diener Peter Quint identifiziert, der in Abwesenheit des Masters die Verantwortung auf Bly trug. Hier beginnt das Grauen in der Geschichte und Henry James lässt bewusst Raum für Interpretationen, ob die Governess nur halluziniert hat oder wirklich das Gespenst des Toten Peter Quint gesehen hat. Edmund Wilson (1976:88) betrachtet die Geschichte aus der Freudschen Perspektive und er ist davon überzeugt, dass “… the governess who is made to tell the story is a neurotic case of sex repression, and that the ghosts are not real ghosts but hallucinations of the governess.” Als Reaktion auf Wilsons These stellt J.A. Waldock (1947: 333-34) jedoch die Frage:

How did the governess succeed in projecting on vacancy, out of her own subconscious mind, a perfectly precise, point-by-point image of a man, then dead, whom she had never seen in her life and never heard of? What psychology, normal or abnormal, will explain that? And what is the right word for such a vision but ‚ghost’?

Trotz zahlreicher Interpretationsversuche dieser Szene (u.a. ist John Silver der Meinung, dass die Governess von Quint zuvor im Dorf erfahren hat), gibt der Text keinerlei Aufschluss darüber, wie die Governess den toten Peter Quint so detailliert beschreiben kann, dass Mrs Grose sofort seinen Namen nennt. Shoshana Felman behauptet jedoch in ihrem Artikel “Turning the Screw of Interpretation”, dass die Frage nicht darin besteht „simply to decide whether in effect the ‚Freudian’ reading is true or false, correct or incorrect. It can be both at the same time”. (Felman 1977:117) Die Leser sollten nicht versuchen die Rätsel der Geschichte zu lösen, sondern “follow, rather, the significant path of its flight” (Felman 1977:119). Auch Huntley behauptet die Absicht von Henry James lay in that deliberately ambiguous point of view, the use of a narrator who may or may not be mad, that delicately maintained balance between genuine wraiths and a neurotic narrator, which between them could evoke and sustain both credibility and terror without exhausting either (Huntley 19??:228 zit. in Parkinson 1991).

Obwohl wir es mit einer unzuverlässlichen Erzählerin zu tun haben, so ist doch grade genug Glaubwürdigkeit in ihrer Geschichte, um eine endgültige Erklärung unmöglich zu machen (vgl. Parkinson 1991).

2.3 Miles und Flora: Engelhafte Unschuld oder dämonische Besessenheit?

Ein offensichtlicher Gegensatz in der Geschichte besteht in der durchgehenden Darstellung von Miles und Flora als engelhafte, süße Kinder und der immer stärker werdenden Besessenheit der Governess davon, dass die Kinder „corrupted“ und „contaminated“ sind. Zunächst ist sie von den beiden Kindern so angetan, dass selbst der Schulverweis von Miles und die erste Erscheinung der mysteriösen Gestalt auf dem Turm ihre Freude an ihrer Aufgabe und ihren Glauben an das Gute in den Kindern nicht trüben. „But with this joy of my children what things in the world mattered? That was the question I used to put to my scrappy retirements. I was dazzled by their loveliness.” (S.20). Doch die Anspielungen von Mrs Grose über Quints schlechten Einfluss auf Miles [„It was Quint’s own fancy. To play with him, I mean - to spoil him“ (S.26)] lassen die Governess darauf schließen, dass der Geist wegen Miles auftaucht:

Grose: “He was looking for some one else, you say - some one who was not you?

Governess: „He was looking for little Miles.“ A portentous clearness now possessed me. “That’s whom he was looking for.”

Mrs Grose: “But how do you know?”

Governess: “I know, I know, I know!” My exaltation grew. “And you know, my dear!” (S.25-6).

[...]


1 Hervorhebungen im Original, falls nicht anders angegeben

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
"The Turn of the Screw" von Henry James: Ein Vergleich der short fiction prose von Henry Jamesmit ihrer Verfilmung "The Innocents" von Jack Clayton
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Hauptseminar Henry James
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V29647
ISBN (eBook)
9783638311120
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Turn, Screw, Henry, James, Vergleich, Henry, Jamesmit, Verfilmung, Innocents, Jack, Clayton, Hauptseminar, Henry, James
Arbeit zitieren
Martin Liboska (Autor:in), 2004, "The Turn of the Screw" von Henry James: Ein Vergleich der short fiction prose von Henry Jamesmit ihrer Verfilmung "The Innocents" von Jack Clayton, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29647

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