Der Gesellschaftliche Umbauprozess in Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers

Wie Menschen zu Unmenschen werden


Seminararbeit, 2012

14 Seiten, Note: 5.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1.Einleitung

2 Der Wertewandel nach 1871
2.1 Der Hierarchisierungsprozess
2.2 Der Gestaltwandel
2.3 Destruktive Energien

3 Der Umbruchprozess
3.1 Die kategoriale Ungleichheit
3.2 Der Faktor „Zugehörigkeit“
3.3 Die Entstehung der Tötungsbereitschaft

Abstract

Die vorliegende Arbeit versucht mit Hilfe der Forschungsergebnissen von Harald Welzer zu erklären, wie der radikale gesellschaftliche Umbauprozess in Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers 1933 erfolgen konnte. Es wird nach Überprüfung und Vergleichen der Theorie Welzers mit anderen Autoren ersichtlich, unter welchen schockierend einfachen Bedingungen ein solcher radikaler Umwandlungsprozess stattfinden kann und das Verständnis von Moral verändert wird.

1.Einleitung

Hitler mag nach Ansichten vieler Autoren ein „Wahnsinniger“ gewesen sein, doch erklärt das nicht, wie eine ganze Nation hinter den Zielen und Plänen eines einzelnen „Irren“ stehen konnte. Tatsache ist, dass die Diktatur von Hitler ohne die breitwillige Zustimmung der Deutschen weder Zustande gekommen wäre noch funktioniert hätte. Die Frage, die sich stellt, ist, wie es möglich war, dass eine ganze Gesellschaft bestehend aus geistig „gesunden“ und „gewöhnlichen“ Bürgern, die wie Max Frisch gesagt hat „eine gleiche Erziehung genossen haben wie ich, die gleichen Worte sprechen wie ich und gleiche Bücher, gleiche Musik, gleiche Gemälde lieben wie ich“ und überall auf der Welt anzutreffen wären, sich schrittweise von ihrer Menschlichkeit abwandten und zunehmend das „Unmenschliche“ als moralisch richtig und notwendig empfanden. Wie war es möglich, dass in einer Gesellschaft Diskriminierung, Ausgrenzung, Enteignung und Beraubung von Minderheiten vom Gesetz legalisiert und als Norm angesehen wurden und Tötungsbereitschaft am Schluss als Pflicht angesehen wurde? Wie ist es möglich, dass aus Menschen Unmenschen werden?

2 Der Wertewandel nach 1871

2.1 Der Hierarchisierungsprozess

Die Anfänge des Hierarchisierungsprozesses liegen in den Jahren der Entstehung des deutschen Reichs 1871 durch den zum ersten Reichskanzler auserkorenen Otto von Bismarck. Das bis dahin in mächtige Territorialstaaten zersplitterte Deutschland wurde im Zuge des deutsch-französischen Kriegs unter Otto von Bismarck geeint.1 Dieser Erfolg ging nicht auf die Leistung des deutschen mittelständischen Bürgertums zurück, dem viele Künstler und Literaten angehörten und in dem Wertvorstellungen wie Humanismus, die Gleichheit der Menschen und die Werte der Aufklärung eine Rolle spielten. Die Leistung des Kriegs und diejenige der deutschen Nationsbildung gingen auf die traditionellen aristokratischen Eliten zurück, bei denen Ehrenfragen, naturbedingte hierarchische Ordnungsstrukturen, Fragen des Befehls und der Gehorsam viel höher rangierten als diejenigen der Aufklärung. So kam es zu einer allgemeinen Abschwächung aufklärerischer und humanistischer Werte und zu einer Verstärkung von aristokratisch-hierarchischen Vorstellungen, in denen das unausgereifte Potenzial des radikalen Zugehörigkeits- und Ausgrenzungsdenken vorhanden war, von dem später der Nationalsozialismus Gebrauch gemacht hat. Dieses hierarchische Denken durchdrang im Verlauf der Jahre immer mehr die deutschen Gesellschaftsschichten und Handlungsebenen.2 Nach Welzer lassen sich Spuren jener hierarchischen Strukturdenkweisen wie diejenigen der Disziplin und Prinzipientreue noch bis heute in der deutschen Gesellschaft entdecken.

Diese nach der deutschen Kaiserreichsgründung 1871 etablierten Gesellschaftsvorstellungen erfuhren eine Verstärkung nach dem desaströsen Ende des Ersten Weltkriegs. Haffner beschreibt ausführlich, wie die meisten Deutschen dem Kaisergedanken nachhingen. Die Bürger opferten viel für den Staat und im Gegenzug musste der Kaiser oder Staat dafür sorgen, dass die Bevölkerung einen Grund hatte, Stolz auf Deutschland zu sein. Diese Symbiose zwischen Staat und Gesellschaft wurde nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs erschüttert. Das Bedürfnis nach Stolz wurde nicht erfüllt und die Enttäuschung durch das Unvermögen der Weimarer Republik, Probleme wie die Revision des Versaillervertrags, die Hungersnöte, die Hyperinflation, die Massenarbeitslosigkeit und Armut, die riesigen Reparationszahlungen und die hohe Säuglingssterberate zu lösen, verstärkt.3 Diese „Brutalisierungs- und Kränkungserfahrungen“ prägten sich nicht nur in das Gedächtnis der enttäuschten Kaisertreuen ein, sondern vor allem auch in das Gedächtnis der Nachkriegsgeneration, die dann Hitler als Elite diente.4 Das Bedürfnis nach Stolz und die Brutalisierungs- und Kränkungserfahrungen verursachten eine Beschleunigung der Hierarchisierungsprozesse. Zwar erlebte die Welt und Deutschland ein Aufatmen, als im Zuge des weltweiten wirtschaftlichen Aufschwungs die „Goldenen Zwanziger“ von 1924-1929 einsetzten und den Menschen Wohlstand bescherte, doch kamen der alte kollektive Schmerz und die Erinnerung an die Schmach des Ersten Weltkriegs nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 an jenem berüchtigten Black Friday wieder mit voller Wucht zurück. Abermals dominierten die kollektive Wut auf die Regierung, Unruhen, Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut und der Wunsch nach der Revision des Versailler Vertrags das öffentliche Leben in Deutschland. Die zuvor durch die „Goldenen Zwanziger“ abgeschwächten Hierarchisierungsprozesse erhielten wieder Aufschub.

2.2 Der Gestaltwandel

Nach dem Historiker Elias Norbert hatte ein deutscher „Gestaltwandel“ im deutschen Bürgertum stattgefunden,5 der bereits 1871 angefangen hatte und auf dessen Grundlage die Nazi-Diktatur 1933 aufbaute. Haffner führt aus, dass letztendlich 40 Prozent der deutschen Bevölkerung der Nazi-Regierung treu dienten und jene wichtig für die Etablierung des Nationalsozialismus waren.6 Nicht nur in Deutschland hatte dieses Phänomen des „Gestaltwandels“ stattgefunden. In vielen mit Deutschland ehemalig verbündeten Ländern wie Ungarn, Österreich etc. aber auch in Ländern der Triple-Entente wie Italien hatte sich ein gesellschaftlicher „Gestaltwandel“ bemerkbar gemacht. So stellte der Historiker Paul Lendvai fest, dass auch in Ungarn nach dem ebenfalls katastrophalen Ende des Ersten Weltkriegs sich strenge hierarchisch-militärische Vorstellungen von der Gesellschaft etablierten und auf breite Zustimmung stiessen. Eine Demokratie wie in Deutschland bewährte sich in Ungarn nur für zwei Jahre. Nach der Abschaffung der Regierung übernahm eine aristokratisch-autoritäre Führung unter dem Reichsverweser Miklos Horthy die Macht. Die hierarchischen Vorstellungen in Ungarn dienten schliesslich auch als Grundlage für den Aufbau des faschistischen Pfeilkreuzlerstaates, die nach dem deutschen Einmarsch 1944 in Ungarn die Macht übernahmen. In Italien übernahmen die Faschisten unter Benito Mussolini die Macht nach dem Marsch auf Rom. Überall etablierten sich aristokratisch-autoritäre Regierungen als attraktive Alternative zu den kränkelnden Demokratien.7

2.3 Destruktive Energien

In der deutschen Gesellschaft schlummerte nun ein riesiges Potenzial an destruktiven Energien, das mühelos missbraucht werden konnte. Hitler nutzte dieses Potenzial nach seiner Machtergreifung 1933 für die Enteignung, Diskriminierung und für die Deportation der Juden. Der Nationalsozialismus radikalisierte jene aristokratisch-hierarchischen Gedankenwelt indem es jene mit Vorstellungen der „absoluten Nobilitierung“ der deutschen Herrenrasse und einer „absoluten Deklassierung“ bestimmter Minderheiten wie die der Juden, Sinti und Roma und Behinderten mit der Notwendigkeit und Verpflichtung zu töten und zu verfolgen, der wissenschaftlich begründeten Ungleichheit der Menschen und der vollständigen Gestaltbarkeit des Menschen und der Welt paarte.8 Anhand von Welzers Beschreibung, wie schnell und kreativ die Deutschen beim Ausgrenzungsprozess der Juden und anderer Minderheiten passiv und aktiv mitwirkten, werden die Dimensionen der destruktiven Energien ersichtlich. Er immer wieder betont Welzer wie „ungeheuer beschleunigt“ dieser Ausgrenzungsprozess der Juden und der anderen Betroffenen verlief und wie erstaunlich passiv sich die Nichtbetroffenen verhielten oder sich sogar aktiv und freiwillig am Ausgrenzungsprozess beteiligten, obwohl die Nationalsozialisten erst im gleichen Jahr an die Macht gekommen waren.

Es waren einfache Gründe, die die Nichtbetroffenen dazu animierten, am Ausgrenzungsprozess teilzuhaben und davon zu profitieren. Anhand der „ungeheuren beschleunigten“ Ausgrenzungs-und Diskriminierungspraxis kann gezeigt werden, wie der Umbruchsprozess in der deutschen Gesellschaft erfolgte und wie aus heutiger Sicht „Unmenschlichkeit“ zum Inbegriff von „Recht und Moral“ wurde.

[...]


1 Otto von Bismarck war in Preussen geboren worden. Er hatte schon früh ein Geschick für die Diplomatie und Politik entwickelt. Von Wilhelm dem I wurde er in der Aussenpolitik eingesetzt. Es war Bismarcks Ziel, ein geeintes deutsches Reich zu bilden. Ihm stellten sich jedoch die mächtigen Territorialfürsten in den Weg. Um den entscheidenden Vorteil beim deutsch-französischen Krieg (1870-1871) zu haben, liess Bismarck die damalige Nachladezeit der Musketen soweit verkürzen, dass die deutschen Soldaten schneller abfeuern konnten als die französischen Soldaten. So konnte Bismarck die Atmosphäre dieses siegreichen Kriegs nutzen, um an die geeinte deutsche Nation zu appellieren und die Macht der Territorialfürsten zu brechen. Bismarck wurde schliesslich als „der starke Mann“ von den Rechtshegelianern hochgelobt. In einer darauffolgenden Bündnispolitik, die er geschickt zu Gunsten des deutschen Reichs führte, bemühte sich Bismarck um Stabilität und Frieden in Europa. Mit dieser Einstellung aber überwarf er sich mit dem neuen, jungen energischen Kaiser Wilhelm dem II, der eine aggressive Expansionspolitik verfolgte. Bismarck wurde daraufhin von Wilhelm dem II entlassen. Viele Historiker glauben, dass wenn Otto von Bismarck geblieben wäre, es nicht zum Ersten Weltkrieg gekommen wäre.

2 Welzer S.70.

3 Haffner Jekyll and Hyde

4 Welzer S.71.

5 vgl. Norbert.

6 Haffner S.98-110.

7 vgl. Lendvai.

8 Welzer S.73.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Der Gesellschaftliche Umbauprozess in Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers
Untertitel
Wie Menschen zu Unmenschen werden
Hochschule
Universität St. Gallen  (Philosophisch-soziologisches Institut)
Note
5.5
Autor
Jahr
2012
Seiten
14
Katalognummer
V295929
ISBN (eBook)
9783656939214
ISBN (Buch)
9783656939221
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gesellschaftliche, umbauprozess, deutschland, machtergreifung, hitlers, menschen, unmenschen
Arbeit zitieren
Robert Gregorio Lukacs (Autor:in), 2012, Der Gesellschaftliche Umbauprozess in Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295929

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