Schülervorstellungen im Biologie-Unterricht. Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (MDR)


Hausarbeit, 2013

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Schülervorstellungen und wissenschaftliche Vorstellungen
2.1 Erläuterung der Termini Schülervorstellungen und wissenschaftliche Vorstellungen
2.2 Die Bedeutung von Schülervorstellungen und wissenschaftlichen Vorstellungen im Unterricht
2.2.1 Die Conceptual-Change-Theorie von Posner und Strike (1982) und die Kritik an diesem klassischen Ansatz
2.2.2 Die Aufgaben von Schülervorstellungen und des Biologieunterrichts
2.2.3 Das MDR

3 Die exemplarische Umsetzung des MDR beispielhaft am Unterrichtsthema „Ökosystem“
3.1 Design
3.2 Erfassung der Schülerperspektive
3.3 Fachliche Klärung
3.4 Beginn der didaktischen Strukturierung: Vergleich von Schüler- und wissenschaftlichen Vorstellungen

4 Diskussion der Relevanz des MDR im Biologieunterricht
4.1 Aufbrechen routinemäßiger Unterrichtsstrukturen der Lehrkräfte
4.2 Besseres Verständnis des Unterrichtsgegenstands
4.3 Meinungs-/Vorstellungserweiterung der Lernenden
4.4 Eventuelle Schwierigkeiten bei der Umsetzung

5 Fazit

6 Quellenverzeichnis

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit thematisiert die Bedeutung von Schülervorstellungen[1] im Unterricht und diskutiert mit Einbindung eines exemplarischen Themas, ob die Einbeziehung des Modells der Didaktischen Rekonstruktion (MDR)[2] im Biologieunterricht relevant sein könnte.

Um mit einem Zitat von Krüger (2007: 81) zu beginnen:

„Schüler betreten den Unterricht nicht als unbeschriebenes Blatt“ (ebd.).

Die Aussage verdeutlicht, dass Schülerinnen und Schüler, bereits bevor sie im schulischen Kontext mit einem Thema konfrontiert werden, hierzu eine eigene Ansicht entwickelt haben. Der Hamburger Bildungsplan der gymnasialen Sekundarstufe I für Biologie sieht vor, dass die vor dem Unterricht gesammelten Erfahrungen der Lernenden als Anknüpfungspunkte für die wissenschaftlichen Inhalte des Biologieunterrichts betrachtet werden (vgl. Hamburger Bildungsplan 2011). Aktuelle empirische Forschungen belegen, dass der Einbezug von Schülervorstellungen bedeutsam für den Unterricht ist, da nur so nachhaltige Lernerfolge entstehen können (vgl. Born 2007). In Anlehnung an diese Sichtweise wurde das MDR von Kattmann und seiner Arbeitsgruppe entwickelt, das eine Möglichkeit für die praktische Umsetzung der Forschungsergebnisse bieten soll (vgl. Kattmann et.al. 1997). Es wird in vielen empirischen Arbeiten thematisiert, ist jedoch nicht fester Bestandteil der gängigen Unterrichtsplanung. Da es Tipps für die Unterrichtsstrukturierung beinhaltet, ist es für mich als angehende Biologielehrerin überlegenswert, dieses Modell zu verwenden.

Folgende Fragestellungen bilden das Grundgerüst dieser Arbeit: Wie hat sich die Bedeutung von Schülervorstellungen seit den 80er Jahren verändert? Ist die Einbeziehung des MDR im Biologieunterricht relevant?

Mit den gewählten Leitfragen wird das Thema erschlossen und der inhaltliche Rahmen abgesteckt: Einleitend erörtere ich im zweiten Kapitel theoretische Grundlagen. Die Termini Schülervorstellungen und wissenschaftliche Vorstellungen werden definiert (vgl. Abschnitt 2.1). Die Conceptual-Change-Theorie von Posner und Strike (1982) sowie die Abwendung von diesem klassischen Ansatz ist Thema des Abschnittes 2.2.1. Anschließend erfolgt die Darstellung der wissenschaftlich ersichtlich gemachten Relevanz von Schülervorstellungen im Unterricht (vgl. Teilkapitel 2.2.2). Das MDR wird im Abschnitt 2.2.3 erläutert und ist im nachfolgenden Teil der Hausarbeit auf eine konkrete Unterrichtssituation am Beispiel des Stoffes „Ökosystem“ bezogen (vgl. Kapitel 3). Die praktische Anwendung des MDR liefert Anhaltspunkte für die Diskussion der möglichen Relevanz des MDR für den Biologieunterricht (vgl. Kapitel 4). Die Arbeit schließt mit einem Fazit ab (vgl. Kapitel 5).

2 Schülervorstellungen und wissenschaftliche Vorstellungen

2.1 Erläuterung der Termini Schülervorstellungen und wissenschaftliche Vorstellungen

Von Geburt an setzen sich Menschen mit ihrer Umwelt auseinander. Sie sammeln individuelle Erfahrungen und entwickeln Vorstellungen sowie Erwartungen (vgl. Born 2007: 46ff.), die sich mehreren Bezugsrahmen verdanken:

Diese Vorstellungen stammen aus alltäglichen Sinneserfahrungen, aus alltäglichen Handlungen, aus der Alltagssprache, aus den Massenmedien, aus Büchern, aus Gesprächen mit Eltern, Geschwistern, Freunden (Duit 1992: 47).

Diese Alltagsvorstellungen werden auch als Schülervorstellungen, vorunterrichtliche Vorstellungen, Präkonzepte oder - hauptsächlich in den 80er Jahren - einseitig als Fehlvorstellungen bezeichnet (vgl. Barke 2006: 21f.). Combe/Gebhard (2007: 63ff.) hingegen verwenden nicht den Terminus Alltagsvorstellung, sondern sprechen von Alltagsphantasien. Sie vertreten die Auffassung, dass einige individuelle Sinnentwürfe nicht ausschließlich als Resultat des Nachdenkens anzusehen sind, sondern einen vorrationalen und vorreflexiven Charakter haben (vgl. Born 2007: 69ff.). Um diese Besonderheit hervorzuheben, bevorzugen Combe/Gebhard (2007: 63ff.) den Ausdruck Alltagsphantasie, der eine besondere Form der Alltagsvorstellung ist. Im Folgenden dient der Terminus Schülervorstellung für die Bezeichnung vorunterrichtlicher Schüleransichten zu einem Lerngegenstand.

Im Gegensatz zu Schülervorstellungen, die Schülerinnen und Schüler mit in den Unterricht bringen, entstammen wissenschaftliche Konzepte nicht alltäglichen Erfahrungen. Nach Born (2007: 56f.) werden sie „durch bestehende wissenschaftliche Beweisführungen“[3] kategorisiert. Diese sind Bestandteile der Rahmen- und Lehrpläne. Daher werden Lernende im Unterricht mit bestehenden wissenschaftlichen Vorstellungen konfrontiert. Des Weiteren bedürfen letztere bewusster Aufmerksamkeit, sind überkulturell gültig, situationsunabhängig und durch Objektivität[4] gekennzeichnet. Demgegenüber steht die bereits angesprochene personen- sowie situationsbezogene Gültigkeit und Subjektivität[5] der Schülervorstellungen (vgl. Born 2007: 56ff.). Borns (ebd.) Auffassung von wissenschaftlichem Wissen entspricht nur noch bedingt dem Stand heutiger Wissenschaftstheorien.[6] Der Terminus wird weitaus komplexer diskutiert, da sich die Einsicht durchsetzt, dass selbst in den Naturwissenschaften subjektive, kulturspezifische, soziale, historische, ökonomische und politische sowie zum Teil selbst religiöse Aspekte eine mehr als marginale Rolle beim Prozess der Erkenntnisgewinnung spielen (vgl. Kuhn et. al. 1996; Radecke/Teufel 2010). Da die Diskussion von wissenschaftlichem Wissen den Rahmen dieser Hausarbeit sprengt, werden unter dem Begriff der wissenschaftlichen Vorstellung die bestehenden wissenschaftlichen Auslegungen zu Unterrichtsthemen verstanden.

2.2 Die Bedeutung von Schülervorstellungen und wissenschaftlichen Vorstellungen im Unterricht

Welche Bedeutung beide Vorstellungsarten im Unterricht hatten bzw. haben, wird im nachfolgenden Kapitel aufgezeigt.

2.2.1 Die Conceptual-Change-Theorie von Posner und Strike (1982) und die Kritik an diesem klassischen Ansatz

Conceptual Change bedeutet Veränderung von Konzepten, das heißt, die Veränderung von gedanklichen Vorstellungen beziehungsweise des begrifflichen Verständnisses (vgl. Möller 2007: 259). 1982 entstand die Conceptual-Change-Theorie von Posner und Strike, die für die Lehr- und Lernforschung bedeutsam war. Sie ist psychologisch fundiert und fokussiert die Frage, „unter welchen Bedingungen damit zu rechnen ist, dass ein Wechsel von Alltagsvorstellungen zu fachwissenschaftlich begründeten Vorstellungen vollzogen wird“ (Krüger 2007: 81). Posner und Strike (ebd.) greifen in Anlehnung an Piagets Auffassungen zur kognitiven Entwicklung eines Kindes die Begriffe Akkomodation und Assimilation auf. Unter Assimilation wird eine Wissenserweiterung oder -veränderung verstanden, die auf Grundlage bereits bestehender Konzepte die intensive Auseinandersetzung wissenschaftlicher Aussagen umschließt. Akkomodation beinhaltet das Ersetzen beziehungsweise die Umorganisation bestehender Vorstellungen. Sind bereits vorhandene Ansichten nicht mit den wissenschaftlichen Inhalten in Einklang zu bringen, muss eine grundlegende Veränderung erfolgen, die auf einem kognitiven Konflikt zwischen beiden basiert. Posner und Strike (ebd.) weisen darauf hin, dass hierbei ein Konzeptwechsel nur stattfindet, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden: Unzufriedenheit mit alten Vorstellungen, Verständlichkeit des neuen Konzepts, vermehrte Plausibilität der neuen Vorstellung gegenüber der bisherigen und Fruchtbarkeit, das heißt, dass die fachwissenschaftliche Idee ausbaufähiger und in weiteren Bereichen anwendbar ist als die vorherige (vgl. Krüger 2007: 81-88).

Die Conceptual-Change-Theorie von Posner und Strike (ebd.) bezieht das Verschwinden alter Vorstellungen mit ein (vgl. ebd.: 81ff.).[7] Aktuelle Forschungsergebnisse dagegen belegen, dass Schülervorstellungen nicht eliminiert werden können, sondern als Alternativstrukturen neben den neuen bestehen bleiben (vgl. Kattmann et.al. 1997: 6). Sie haben beispielsweise im Alltag eine relevante und der jeweiligen Situation angemessene Funktion und sind in diesem Zusammenhang durchaus richtig beziehungsweise sinnvoll (vgl. Gebhard 1999b: 90-94). Da sie sich in lebensweltlichen Kontexten bewähren, sind sie bei den Lernenden tief verwurzelt; Schülerinnen und Schüler lassen sich diesbezüglich nur schwierig von anderen Vorstellungen überzeugen. Bestenfalls kann es zu einer leichten Veränderung von Schülervorstellungen kommen. Daher wurde die Conceptual-Change-Theorie von Posner und Strike (ebd.) angezweifelt, kritisiert und weiterentwickelt (vgl. Krüger 2007: 86-90). Es wird zum Beispiel von Anhängern des Konstruktivismus bemängelt, dass affektive, motivationspsychologische und soziale Komponenten nicht berücksichtigt werden. Hinsichtlich dieser Aspekte und der Konsistenz von Schülervorstellungen entstanden weitere Ansätze des Conceptual Change, die zwar von der prinzipiellen Möglichkeit einer Vorstellungsveränderung ausgehen, die Annahme einer Eliminierung von Schüleransichten jedoch fallen gelassen haben (vgl. Kattmann et.al.1997: 6ff.).

Letztendlich stellt sich die Frage nach einer der aktuellen Forschung gemäßen Präsentation beziehungsweise Vermittlung von Unterrichtsgegenständen im Biologieunterricht. Das beschreibt das MDR (vgl. Abschnitt 2.2.3), das den führenden Ansätzen des Conceptual Change in den meisten Bereichen entspricht.[8]

Bevor das MDR näher betrachtet wird, ist eine weitere Erklärung, weshalb Schülervorstellungen im Unterricht bedeutsam sind, notwendig. Der Fokus liegt hierbei auf dem Biologieunterricht.

2.2.2 Die Aufgaben von Schülervorstellungen und des Biologieunterrichts

Combe/Gebhard (2007: 62) formulieren die Aufgabe von Schülervorstellungen im Unterricht wie folgt:

Die pädagogische bzw. didaktische Annahme ist, dass Lernprozesse dann erfolgreicher, effizienter und sinnvoller sind, wenn der alltägliche, subjektivierende, intuitive, symbolische Zugang zu den Phänomenen im Unterricht nicht nur geduldet, sondern zum Gegenstand expliziter Reflexion gemacht wird (ebd.: 62).

Folglich sollen die Schülerinnen und Schüler eigenständiges Denken lernen. Dazu gehört auch, ihr Vorwissen zum Gegenstand ihres Nachdenkens zu machen. Wünschenswert ist es, eine Stärkung der subjektiven Dimension des Wissens und der Wissensaneignung, nicht eine funktionale Ersetzung privater Meinungen durch objektive Vorstellungen zu erreichen. Dementsprechend sollten in der Unterrichtsumsetzung Schülervorstellungen und fachwissenschaftliche Inhalte gleichrangig beachtet und somit Stoffauswahl sowie inhaltliche Schwerpunktsetzungen nicht nur an den Rahmenbedingen (Lehrplan), sondern auch an der aktuellen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet werden (vgl. Born 2007: 33f.). Der Hamburger Rahmenplan der gymnasialen Sekundarstufe I für Biologie (2011) versteht Schülervorstellungen hierbei als Anknüpfungspunkte zum Weiterlernen:

[...]


[1] Unter Schülervorstellungen verstehe ich die unterschiedlichen Ansichten und Erfahrungen von SuS³ zu einem bestimmten Lerngegenstand - und zwar noch bevor dieser Gegenstand als Lernstoff im Unterricht behandelt worden ist.

[2] Die Abkürzung wird im Folgenden für das Modell der Didaktischen Rekonstruktion verwendet.

[3] Wissenschaftliche Beweisführungen sind nach Born (2007: 56f.) z.B. „wissenschaftliche Regeln, Gesetze oder Definitionen“.

[4] Wissenschaftliche Vorstellungen werden nach Born (2007: 56f.) als systematisch, transparent und konsistent bezeichnet.

[5] Subjektivität bedeutet hier, dass Schülervorstellungen als unsystematisch und teilweise inkonsistent gelten (vgl. ebd.).

[6] Meines Erachtens stellt Born (2007: 56ff.) einen insgesamt eher unkritischen Begriff von wissenschaftlichem Wissen dar. Diese einfache Gegenüberstellung von subjektiv im Sinne von vorreflexiv und irrational bzw. objektiv im Sinne von systematisch, logisch, argumentativ richtig, allgemeingültig etc. lässt sich heute aus wissenschaftstheoretischer Perspektive schlichtweg nicht mehr halten (vgl. Kuhn et. al. 1996; Radecke/Teufel 2010).

[7] Das wird insbesondere beim Prozess der Akkomodation deutlich. Passen die Präkonzepte nicht zu den wissenschaftlichen Inhalten, soll zwar kein abrupter Wechsel erfolgen, letztendlich aber ein radikaler Vorstellungswandel (vgl. ebd.).

[8] Welche konkreten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem MDR und den führenden Ansätzen des Conceptual Change bestehen, ist nicht Bestandteil dieser Arbeit. Daher verweise ich auf Kattmann et.al. 1997.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Schülervorstellungen im Biologie-Unterricht. Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (MDR)
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
19
Katalognummer
V295509
ISBN (eBook)
9783656937425
ISBN (Buch)
9783656937432
Dateigröße
800 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
schülervorstellungen, biologie-unterricht, modell, didaktischen, rekonstruktion
Arbeit zitieren
M.Ed. Nora Schrader (Autor:in), 2013, Schülervorstellungen im Biologie-Unterricht. Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (MDR), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295509

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