Ältere im Arbeitsleben. Eine Chancensuche

Von Perspektivenlosigkeit zu sinnvoller Zukunftsgestaltung


Fachbuch, 2015

214 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG UND UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

2. BEGRIFFSKLÄRUNGEN, BEZUGSRAHMEN UND ABGRENZUNGEN

3. DATEN UND FAKTEN: EMPIRISCH-WISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
3.1 DER RELEVANTE TEILARBEITSMARKT IN DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH
3.2 SONDEREFFEKTE
3.3 QUALITATIVE VERÄNDERUNGEN IM BERUFSLEBEN

4. ALTERSZUSCHREIBUNGEN
4.1 THEORIEN UND ERKLÄRUNGSMODELLE
4.2 IMAGEWANDEL DES ALTERS

5. DIE LEISTUNGSFÄHIGKEIT IM SPÄTERWERBSALTER
5.1 INDIKATOREN ZUR LEISTUNGSFÄHIGKEIT ÄLTERER
5.2 KÖRPERLICHE UND PSYCHISCHE BERUFLICHE ANFORDERUNGEN UND BELASTUNGEN
5.3 PROBLEME DER DIAGNOSTIK
5.4 MEDIZINISCHE EINSCHRÄNKUNGEN IN DER BERUFLICHEN SPÄTPHASE

6. MOTIVATION IM SPÄTERWERBSALTER

7. DIE LERNFÄHIGKEIT IM MITTLEREN ERWACHSENENALTER
7.1 BERUFSRELEVANTES LERNEN
7.2 ZUR DEQUALIFIKATIONSPROBEMATIK
7.3 LERNEN DURCH „COPING“

8. CHANCEN UND GRENZEN DER REHABILITATION
8.1 MEDIZINISCHE REHABILITATION
8.2 BERUFLICHE REHABILITATION
8.3 REHABILITATION IM SPÄTERWERBSALTER

9. DER PSYCHOLOGISCHE VERTRAG IM SPÄTERWERBSALTER
9.1 GRUNDSÄTZLICHES ZUM PSYCHOLOGISCHEN VERTRAG
9.2 PARADIGMENWECHSEL BEIM PSYCHOLOGISCHEN VERTRAG
9.3 DER PSYCHOLOGISCHE VERTRAG VON UND MIT ÄLTEREN ARBEITNEHMERN

10. ARBEITSLOSIGKEIT ALS ALTERNATIVE?
10.1 DIE ARBEITSLOSIGKEITSFALLE
10.2 PSYCHO-SOZIALE AUSWIRKUNGEN VON ARBEITSLOSIGKEIT

11. BERUFLICHE (WIEDEREINSTIEGS)CHANCEN FÜR DIE GENERATION „50+“
11.1 ALLGEMEINES ZUR WIEDEREINGLIEDERUNGSPROBLEMATIK
11.2 DIE PROBLEMATIK FÜR QUALIFIZIERTE ÄLTERE: UNTERSUCHUNG EINES KONKRETEN PRAXISFALLS AUS DER IT-BRANCHE
11.3 WELCHE BERUFE KOMMEN IN FRAGE?
11.4 BERUFLICHE EINSATZFELDER FÜR ÄLTERE: NEUE ODER „TRADITIONELLE“ BERUFE?
11.5 „WORKING POOR-JOBS“
11.6 PERSONALLEASING UND HEIMARBEIT
11.7 „ZWEITER ARBEITSMARKT“
11.8 SELBSTÄNDIGKEIT

12. WAS GETAN WERDEN KANN
12.1 EXKURS: EINIGE VORSCHLÄGE FÜR POLITIK UND UNTERNEHMEN
12.1 PERSÖNLICHES „EMPLOYABILITY MANAGEMENT“
12.2 EMPFOHLENE EINZELMASSNAHMEN UND „BEST PRACTICE“-FÄLLE

13. SCHLUSSWORT

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

GLOSSAR

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

BENUTZTE INTERNETQUELLEN

WEITERFÜHRENDE LITERATUR UND LINKS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABSTRACT

This study analyses the situation of elder people (aged over 50) on the labour market mainly from an individual focus. It is primarily based on specific literature and expert interviews in Austria but also including seven best practice examples and one research case of a dismissed well educated 58 years old person in the field of IT.

Main conclusions are that the physical and psychical abilities are in general sufficient for job performance (except extremely hard jobs) but the older working generation is suffering from a big image problem although there is no scientific evidence for a significant lack in performance. This picture is the result of traditional theoretical concepts, e.g. the so called “deficit theory” but also of former politics when elder employees were systematically kicked out of the labour market; early retirements should create job opportunities for younger people but in fact the replacement rate was rather low (7 dismissed persons were replaced by just 1 person instead of 2 : 1 as expected).

As retirement age will be further increased “workability” – the ability to stay in a certain job – and “employability” – a sufficient attractiveness of a person on the first labour market – will become even more important in future.

To avoid problems on the labour market older empoyees should undertake all efforts to keep their jobs as long as possible. One good option is to renew and strengthen the psychological working contract as mutual expectations are more and more breaking asunder: For companies flexibility and mobility is of high importance whereas higher aged people strive for more stability and job security.

Unemployed persons are in a difficult but not in a hopeless situation: The reintegration rate of the “50plus”-generation in Germany amounted to about 60% of the total average and is thus not negligible. In Austria the situation was so far rather similar. A strong (working) motivation is essential and has to be maintained. Also skills are very important; in case of dequalification lacking knowledge should be supplemented as best as possible. To keep employability for academic persons postgraduate studies could be reommended, for blue collar workers specific courses, finishing an apprenticeship or other job-related education.

Longer and/or numerous periods of unemployment reduce employability dramatically and should be avoided best possibly; unemployment has a lot of negative effects for society but also – often underestimated from them – for individuals.

Public initiatives and programs – so far primarliy adressed to companies – should be much more directed to individuals as they and the public sector which has to bear the costs for unemployment are the main problem owners. A successful strategy to find a job could be to contrast from the general negative image of the labour generation individually. 7 best practice cases show different strategies in different situations but all of them lead to success. One element is common: a high portion of energy, a strong will and motivation. At the end the reader can find also some other pratical recommandations for improving workability and employability.

1. EINLEITUNG UND UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

Durch einen starken Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums und das drückende Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist in Europa die Situation älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt – so scheint es – zumindest bisher ein wenig ins Hintertreffen geraten; von Vielen wird sie undifferenziert als chancenlos abgetan. Die Medien greifen dieses alarmierende Thema zwar vermehrt auf, die Politik hat bisher aber keine nachhaltigen Konzepte zur Verbesserung deren Erwerbssituation entwickelt. Aber dürfen berufstätige ältere Menschen nur Kündigungsangst und solche, die ihres Jobs bereits verlustig sind, tatsächlich keine Hoffnung auf Wiederbeschäftigung haben?

Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind berufliche Möglichkeiten für Menschen jenseits des Haupterwerbsalters als Querschnittsmaterie aus psychologischen, medizinischen und (personal)wirtschaftlichen, aber auch arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Parametern mit primär individuellem Fokus. Basierend auf einem umfassenden Literaturstudium, Interviewauswertungen mit österreichischen Experten und ausgewählten „Best Practice“-Beispielen sollen die Situation älterer Menschen in ausreichendem Gesundheitszustand (dh. ohne besonders schwere Behinderungen) umfassend beleuchtet und Wege aufgezeigt werden, am Berufsleben weiter teilhaben können. Dazu werden insbesondere die Fragestellungen

- Wie stellt sich die aktuelle Arbeitsmarktsituation für ältere Menschen generell dar?
- Wo und wann bieten sich günstigere Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Menschen?
- Wie bzw. wodurch können diese für den Einzelnen verbessert werden?

behandelt und sach- und praxisgerechte Handlungsoptionen für den Einzelnen, die sich relativ leicht realisieren lassen, aufgezeigt. Auf stark zukunftsorientierte Ansätze, wie etwa eine „Patchwork-Biographie“ mit individuellen Kombinationsmöglichkeiten von Erwerbsarbeit mit Aus- und Weiterbildungszeiten, Familienphasen, Sabbaticals, speziell auf ältere Arbeitnehmer zugeschnittene Arbeitszeitmodelle und gleitendem Pensionsantritt (vgl. KUCERA, S., 2005, S.33 unter Verweis auf FAUTH – HERKNER & Partner, 2004 und ZIMMERMANN, 2003 in: BADURA, B., Fehlzeitenreport) wird daher nicht näher eingegangen wird, so wünschenswert solche Modelle auch wären.

Aus den Untersuchungsergebnissen werden abschließend wichtige individuelle Erfolgs-, aber auch häufige Risikofaktoren dargestellt und Wege aufgezeigt, wie „Ältere“ länger in Beschäftigung bleiben oder leichter wieder eine neue Stelle finden können. Die Zielgruppe umfasst nur Personen jenseits des Haupterwerbsalters, das gegenwärtig mit 25 – 50 Jahren angesetzt werden kann (vgl. BERNFELD, A., 1997, S. 20).

Dieses Buch basiert auf einer Masterarbeit für die DONAU UNIVERSITÄT/Krems aus 2014 (die übrigens mit „sehr gut“ bewertet wurde), geht aber weit über diese hinaus und ist dermaßen als führend zu betrachten, soweit nicht ausdrücklich ein anderweitiger Verweis erfolgt. Die persönlichen Erhebungen dazu erfolgten zwar in Österreich, das umfangreiche Literaturstudium beleuchtet wegen der starken wirtschaftlichen Verflechtungen aber intensiv auch die Situation in Deutschland, zumal die unzureichende Erwerbsbeteiligung Älterer kein spezifisch österreichisches Problem darstellt. Statistisches Material zur Situation der älteren Erwerbsgeneration in Österreich im Beobachtungszeitraum 2010 – 2012 ist in meiner erwähnten Masterthesis „Employability im Späterwerbsalter aus individualpsychologischer Sicht“ enthalten, auf die bei Bedarf hiermit verwiesen wird. Die Situation Älterer am Arbeitsmarkt stellte sich dort zwar als allgemein schwierig, aber keinesfalls als generell chancenlos dar. Ob sich die Situation seither – folgt man div. Medienberichten – wirklich extrem dramatisch verschlechtert hat, müsste erneut untersucht werden, ist aber für die hier behandelte Thematik, nämlich das Chancenmanagement des Einzelnen, nicht von entscheidender Bedeutung.

Zur besseren Lesbarkeit wird auf geschlechtsspezifische sprachliche Differenzierungen verzichtet; sämtliche Formulierungen sind aber geschlechtsneutral zu verstehen.

2. BEGRIFFSKLÄRUNGEN, BEZUGSRAHMEN UND ABGRENZUNGEN

Zur Ausübung jeglicher Berufstätigkeit muss zumindest ein gewisses verwertbares Minimum an (Rest)Arbeitsfähigkeit vorhanden sein; die Erhaltung oder ehebaldige Wiederherstellung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit ist daher von essentieller Bedeutung. Sie soll sowohl proaktiv (als „Workability“ während aufrechter Beschäftigung) als auch reaktiv (als „Employability“ nach Arbeitsplatzverlust) gefördert werden, wobei sich die frühere Literatur primär auf die letztere Phase bezieht und entsprechende Maßnahmen zur Entwicklung von „Arbeitsmarktfitness“ behandelt (vgl. RUMP, J., 2006, S. 20).

„Employability“ kann kurz mit Beschäftigungsfähigkeit, also Einsetzbarkeit auf dem freien Arbeitsmarkt, übersetzt werden; genauer betrachtet handelt es sich um die Fähigkeit, fachliche, soziale und methodische Kompetenzen unter sich wandelnden Rahmenbedingungen zielgerichtet und eigenverantwortlich einzusetzen und situativ zu modifizieren, um eine Beschäftigung zu erlangen.

Sie kann sowohl

- aus individueller Sicht (Steigerung der beruflichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt v.a. durch Erhöhung des Selbstwertgefühls, Verbesserung der eigenen beruflichen Zukunfts(mit)gestaltung),
- auf betrieblicher Ebene (Steigerung der Attraktivität für AN, Qualifikationsmaßnahmen, arbeitsmedizinische, arbeitspsychologische Betreuung und spezielle Services, wie etwa Employee Assistance Programs) und
- im gesellschaftlichen Kontext (arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, Beschäftigungsprogramme, Sonderprojekte udgl.)

betrachtet werden (vgl. RUMP, J., 2006, S. 26ff). Im Unterschied zu dem im deutschen Sprachraum lange etablierten Begriff „Beruf“, ist „Employability“ im angelsächsischen Raum entwickelt worden und bei uns gerade erst dabei, festere Konturen zu bekommen (vgl. KRAUS, K., 2006, S. 10).

„Workability“, auch als „Arbeitsplatzfähigkeit“ bezeichnet, ist als Begriff seltener anzutreffen und unschärfer konfiguriert, wenngleich nicht weniger bedeutend; sie betrifft nicht die generelle Beschäftigungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern die Einsetzbarkeit an einer konkreten Stelle, somit bei aufrechter Beschäftigung.

Diese Begriffe sind also nicht deckungsgleich und sollten daher klar abgegrenzt werden. So können die aktuellen Anforderungen in einer bestimmten Firma bei aufrechtem Dienstverhältnis sowohl höher sein als üblicherweise in anderen Unternehmen (z.B. wenn von einem Maurer auch Verwaltungsarbeit am PC verlangt wird), aber auch niedriger als auf dem externen Arbeitsmarkt, wenn die konkrete Leistungsfähigkeit zwar für spezifische Arbeitsverrichtungen an einer bestimmten Stelle ausreicht, bei anderen Arbeitgebern jedoch höhere Ansprüche gestellt würden (z.B. das Unternehmen nur in einem bestimmten Teilbereich tätig ist – indem ein Bauunternehmen etwa nur in der thermischen Sanierung tätig ist und Maurer daher nur als Fassader eingesetzt werden – oder man auf bekannte Leistungsgrenzen der eigenen MA so weit als möglich Rücksicht nimmt, was in der betrieblichen Realität auch üblich ist).

Der zweitgenannte Begriff wurde in der Forschung bisher eher indirekt behandelt: In Finnland wurde 1981 ein Work Ability Index (auf deutsch: ABI – Arbeitsbewältigungsindex) für den kommunalen Bereich als Fragebogen zur Beurteilung der individuellen Arbeitsplatzfähigkeit einer bestimmten Person in Bezug auf konkrete Tätigkeiten entwickelt, der mittlerweile international (in Europa, Australien, Nord- und Südamerika) mit dem Ziel der Förderung und/oder Erhaltung einer Beschäftigung eingesetzt wird. Dabei wird die Arbeitsbewältigungsfähigkeit in Bezug zur jemals höchsterreichten und zu den aktuellen Arbeitsanforderungen ebenso abgefragt wie die Anzahl der diagnostizierten Krankheiten, die eingeschätzte Behinderung als Erkrankungsfolge, die Krankenstände des letzten Jahres, die eigene Prognose der Arbeits-Fitness für die nächsten zwei Jahre sowie die mentalen Ressourcen. Er unterteilt in „poor“ (schlecht) mit 2 – 27 Punkten, „moderate“ (mäßig) mit 28 – 36 Punkten, „good“ (gut) mit 37 – 43 Punkten und „excellent“ (sehr gut) mit 44 – 49 Punkten. Die Altersgruppe der 55 – 61-Jährigen lag bei einer Untersuchung mit unter 36 Punkten (vgl. ILMARINEN, 2002, S. 170) nur ganz knapp unterdurchschnittlich und somit durchaus nicht alarmierend.

Hier wird zwischen beiden Begriffen klar unterschieden, zumal daraus auch durchaus unterschiedliche individuelle Anforderungen resultieren können. „Workability“ wird als „den beruflichen Anforderungen Gewachsensein“ in einem bestehenden Dienstverhältnis verstanden (also als unternehmensinterne Verwendbarkeit), während unter „Employability“ die externe Verwertbarkeit der Arbeitskraft auf dem freien Arbeitsmarkt bedeutet. ILMARINEN nimmt eine etwas andere Abgrenzung vor; er sieht die Arbeitsfähigkeit im Spannungsfeld zwischen den menschlichen Ressourcen und den Arbeitsbedingungen, bezieht in die Beschäftigungsfähigkeit (Workability) aber auch sozialpolitische Dimensionen, wie Beschäftigungspolitik, Ruhestandsregelungen, die Sozial- und Gesundheitsversorgung, Erwachsenenbildungspolitik und Verhinderung von Altersdiskriminierung ein, was sich aus dessen volkswirtschaftlichem Fokus erklärt. Da hier aber primär die Situation, Problemlösungsmöglichkeiten und beruflich sinnvolle Strategien für die Betroffenen behandelt werden sollen, haben Umstände, die nicht der individuellen Gestion unterliegen, hier grds. außer Betracht zu bleiben; sie werden nur kurz nebenbei in manchen Aspekten gestreift. Die Arbeits(bewältigungs)fähigkeit ergibt sich in Bezug auf die Anforderungen an einer bestimmten Stelle (als kleinste organisatorische Einheit) aus physischen (Erholungsfähigkeit nach der Arbeit, Schutz vor körperlicher Überlastung, Verletzungen, Unfällen etc.) und mentalen Reserven (realistische Einschätzung des Arbeitspensums, Schutz vor Erschöpfung) sowie sozialem Rückhalt (Integration und Vernetzung), die in ständiger Wechselwirkung stehen: Körperliche Überforderung hat Rückwirkungen auf die mentale Befindlichkeit und kann zu sozialem Rückzug führen, aber auch umgekehrt (vgl. ILMARINEN, J., 2002, S. 95 und 169).

Im Regelfall ist es für den Einzelnen deutlich leichter, die eigene Workability aufrechtzuerhalten als die Employability, da man die spezifischen Anforderungen am Arbeitsplatz ja meist genau kennt; hier kommt es im wesentlichen darauf an, seine Leistungsgrenzen richtig einzuschätzen bzw. zu beachten, nicht zu überfordern und auf Veränderungen des Leistungsvermögens rasch und richtig zu reagieren (was nicht immer leicht fällt). Darüber hinausgehende Faktoren, die bei der Suche nach einer freien Stelle sehr wohl relevant sein können, wie etwa ein nicht durchgängiger früherer Berufsverlauf, ein Status als begünstigter Behinderter, Vorstrafen etc fallen hingegen kaum ins Gewicht. All das, was der Aufnahmeentscheidung für eine bestimmte Person im Wege stehen kann, aber auch eine Einengung des Wissens durch spezialisierte Berufsausübung ist bei aufrechtem Dienstverhältnis weitgehend unbeachtlich, kann aber bei der Arbeitssuche im Rahmen einer erforderlichen beruflichen Neuorientierung entscheidend sein. Die Aufrechterhaltung der Employability erfordert daher meist wesentlich mehr als das „Fitbleiben“ bei aufrechter Beschäftigung.

Obwohl Arbeit vieldimensional ist (reichend von ökonomischer Notwendigkeit bis zu einem davon losgelösten künstlichen Konstrukt; vgl. HEINTEL, P., 1996, S. 16 ff, darauf wird später näher eingegangen), wird sie hier nur als Erwerbsarbeit, also entgeltliche Tätigkeit verstanden. Ohne sie in irgendeiner Weise abwerten zu wollen, können daher Arbeiten, die bloß für sich selbst bzw. ohne wirtschaftliche Fremdvermarktungsabsicht (z.B. künstlerische Betätigung, Anbau von Obst und Gemüse für den Eigenbedarf) oder aufgrund sonstiger Notwendigkeiten (z.B. Haushalt, Kindererziehung) verrichtet werden hier nicht berücksichtigt werden.

Unter Arbeitsmarkt wird der primäre (jeweils nationale) Arbeitsmarkt verstanden. Andere Bereiche (Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit schwerer Behinderung und der geförderte sekundäre Arbeitsmarkt) oder Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland können daher nicht detailliert untersucht werden. Dieser Arbeitsmarkt, als Ausgleich des Angebots menschlicher Arbeitskräfte und der Nachfrage danach definiert (vgl. RAMM, Th., 1980, S. 13 ff), kann weiter unterschieden werden:

- Arbeitsmarkt im engeren Sinn (= Arbeitskräftemarkt, der sich aus Beschäftigten, also unselbständig Erwerbstätigen und Beschäftigungslosen zusammensetzt), während der
- Arbeitsmarkt im weiteren Sinn auch selbständig Beschäftigte, Freiberufler, Kleinhandwerker, Kleinsthändler, freie MA, mittätige Ehegatten, Schwarzarbeiter, Freizeitarbeiter und Gefängnisinsassen mit unfreier Arbeit umfasst. Dieser Bereich ist nicht Untersuchungsgegenstand.

Hier wird wie erwähnt nur der Arbeitsmarkt im engeren Sinn betrachtet.

Arbeitslosigkeit: Nach den Kriterien der ILO (International Labour Organization) ist eine Person „arbeitslos“, wenn sie 1. ohne Arbeit, 2. für Arbeit verfügbar und 3. aktiv arbeitssuchend ist. Dabei können volkswirtschaftlich bzw. arbeitsmarktpolitisch verschiedene Arten von Arbeitslosigkeit unterschieden werden:

- friktionelle Arbeitslosigkeit: ist bedingt durch Fluktuation und Arbeitsplatzwechsel, daher meist nur kurzzeitig (idR. unter 3 Monaten);
- strukturelle Arbeitslosigkeit: entsteht durch das Auseinanderklaffen von Arbeitskräfteangebot und – nachfrage (regional und qualitativ);
- keynesianische Arbeitslosigkeit: entsteht durch Rückgang der Gesamtnachfrage;
- klassische Arbeitslosigkeit: entsteht, wenn trotz ausreichender Produktnachfrage Arbeitssuchende wegen zu hoher Reallöhne nicht aufgenommen werden.

(vgl. FLASCHBERGER, L., S. 43). Für die Betroffenen sind nur kurze und saisonale Arbeitslosigkeiten mit Wiedereinstellungszusagen weitgehend unproblematisch. Ältere Menschen sind aber v.a. von struktureller Arbeitslosigkeit betroffen, die – wie gezeigt werden wird – neben finanziellen Gründen (höheres Entlohnungsniveau etwa durch Senioritätsprinzip in den Gehaltssystemen, div. gehaltliche Anrechungsbestimmungen für Vordienstzeiten, vermeintlich höhere Ausfallsriken) auch auf ein schlechtes Altersimage zurückzuführen ist.

„Ältere Arbeitnehmer“ sind durchaus unterschiedlich definiert. Die WHO bezeichnet 45 – 59-Jährige als „alternde“ und 60 – 75-Jährige als „ältere Menschen“, die OECD zieht die Grenze etwa beim 45. Lebensjahr, der Amerikanische „Age Discrimination in Employment – Act of 1967“ lässt den Schutz älterer Arbeitnehmer schon mit 40 Jahren eintreten (vgl. RUMP, J., 2003, S. 155 und ZIEGLER, B., 2005, S. 8f unter Verweis auf NAEGELE, 1992).

Unternehmensintern ist das Alter selbst weit weniger bedeutsam als das individuelle Preis-Leistungsverhältnis. Auch werden MA bei langer Dienstzeit hingegen häufig zu den „alten“ und bei kurzer Zugehörigkeit zu den „jungen“ gezählt – und zwar vollkommen unabhängig vom Lebensalter (vgl. RECK ROULET, M., 2004, S. 133).

Die Relativität des Alters wird an folgendem Beispiel deutlich: Ein 55-jähriger Verkäufer, der erst vor einem Jahr ins Unternehmen eingetreten ist, gilt dort häufig als „junger Mitarbeiter“, während ein 41-jähriger IT-Techniker mit 25 Dienstjahren, der schon als Lehrling eingetreten ist, dort eher zu den „älteren Mitarbeitern“ zählt (vgl. RECK ROULET, M., 2004, S. 133).

Als „ältere Arbeitnehmer“ werden hier über 50-jährige Menschen verstanden und als „Späterwerbsalter“ demnach die Zeit ab Erreichung des 50. Lebensjahrs; das Alter, seine speziellen Auswirkungen und Zuschreibungen werden später detailliert betrachtet. Es wird aber darauf hingewiesen, dass diese Altersgrenze artizifiell ist und in der Praxis nicht zu allzu starr gesehen werden darf, da sie nichts über die tatsächliche individuelle Leistungsfähigkeit aussagt.

Einzelne weitere Kurzdefinitionen erfolgen jeweils im Textzusammenhang sowie in einem angeschlossenen Glossar.

KEY STATEMENTS:

Der Begriff „ältere Arbeitnehmer“ stellt eine willkürliche, verallgemeinernde und keineswegs einheitliche Abgrenzung dar; hier wird er als Menschen, die das 50. Lebensjahr überschritten haben verstanden.

Zwischen „Employability“ (konkrete Joberhaltung) und „Workability“ (Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) ist strikt zu trennen.

Die Erhaltung der „Workability“ – d.h. den betrieblich gestellten Anforderungen laufend zu entsprechen – muss primäres individuelles Ziel älterer AN sein, aber auch die „Employability“ – d.h. die Attraktivität für potenzielle andere Arbeitgeber – darf nicht gänzlich außer Acht gelassen werden.

3. DATEN UND FAKTEN: EMPIRISCH-WISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN

Zum nachfolgenden (kurzen) statistisch-empirischen Teil ist vorauszuschicken, dass dieser nur als allgemeiner Orientierungsrahmen dienen soll, aber mathematisch-präzise Schlussfolgerungen daraus nicht abgeleitet werden sollen und können, da die gängigen Methoden teilweise recht unterschiedlich sind (z.B. andere Erhebungs- und Zählsystematik der EU und der Statistik Austria einerseits gegenüber der des österreichischen AMS). Trotz derartiger Differenzen lassen sich gewisse Tendenzen dennoch zweifelsfrei erkennen und ausreichende Grundlagen für sachgerechte Schlussfolgerungen auf individueller Ebene feststellen, zumal quantitative Effekte dafür nur mittelbar von Bedeutung sind.

3.1 DER RELEVANTE TEILARBEITSMARKT IN DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH

Ab dem 50. Lebensjahr nimmt die Beschäftigungsquote bei Männern signifikant ab, bei Frauen sogar schon früher ab 45, wenngleich in geringerem Ausmaß (vgl. B. ZIEGLER, 2005, S. 6).

Die Entwicklung bei den älteren Arbeitssuchenden ist besorgniserregend: Waren 1996 noch 8 % der 55 – 59-Jährigen arbeitslos, war bis 1999 schon ein Anstieg auf 12% zu verzeichnen (vgl. AMANN, 2004, S. 29).

Die Arbeitslosenquote der älteren Population liegt damit deutlich über dem Gesamtdurchschnitt der Erwerbsbevölkerung und steigt in der letzten Zeit besonders stark an, womit sich hier die Situation grundlegend geändert hat: Während in der Zeit der Vollbeschäftigung in Österreich und anderen Ländern in den 50er- und 60er-Jahren für ältere AN sogar Anreize geboten wurden, damit sie länger berufstätig bleiben, wurde später Frühverrentung zu einer gebräuchlichen politische Maßnahme, um den Arbeitsmarkt zu entlasten (vgl. LEHR, U., 2003, S. 208), wodurch die Beschäftigungsmöglichkeiten für jüngere Menschen verbessert werden sollten; sie brachte weitgehend nur personalpolitischen Nutzen für die Unternehmen, indem teurere, ältere MA durch billigere (jüngere) ersetzt werden konnten, was sich in einem drastischen Rückgang der Beschäftigungsquote älterer Personen widerspiegelte. Während etwa in Schweden 1994 noch 58 % der über 60-Jährigen berufstätig waren und in Deutschland immerhin noch 35 %, waren es in Österreich nur noch 13 % (gegenüber noch 60 % in 1960); siehe dazu nachstehende Abbildung.

Zahl der Erwerbstätigen unter je 100 Männern im Alter zwischen 60 und 64

in den Jahren 1960/1961 und 1994 (Quelle: ILO):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung aus Lehr, U., 2003, S. 208

Daraus ist eindeutig ersichtlich, dass früher die Erwerbsbeteiligung der älteren Bevölkerung weitaus weniger unterschiedlich war und seither länderweise stark auseinander entwickelt. Vor allem in Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Finnland ist sie seither jedoch massiv zurückgegangen. Auch Deutschland hat hier stark verloren, wenngleich nicht so gravierend und liegt zumindest noch im unteren Mittelfeld; eindeutiger bisheriger Spitzenreiter in Europa war Schweden.

Weiters lässt sich erkennen, dass Alter und Berufstätigkeit keineswegs in einem stabilen Verhältnis stehen und früher überall deutlich länger gearbeitet wurde (1960 waren in Deutschland damals noch 73% und in Österreich immerhin noch 66% der Männer über 60 erwerbstätig, in 1994 hingegen nur noch 35% in Deutschland und 13% in Österreich!!!). Wenn auch die Alterserwerbstätigenquote überall zurückgegangen ist, dann nirgendwo so dramatisch wie in Österreich.

Abgesehen von der zuvor im Detail dargestellten höchsten Alterskohorte war auch die sonstige Entwicklung in den westlichen Industriestaaten rückläufig: waren 1960 noch 94% aller 55 – 64-jährigen Männer erwerbstätig, waren es 1990 nur noch 81% (vgl. LEHR, U., 2003, S. 207). Die Gruppe der erwerbstätigen 50 – 64-Jährigen ist v.a. von Besserverdienern und Menschen mit höherer Schulbildung dominiert (vgl. AMANN, A., 2004, S. 156).

In Deutschland erreicht in etlichen Berufssparten nur noch ein Bruchteil aller Beschäftigten das Regelpensionsalter: weniger als 1/3 der Deutschen beendet das Berufsleben noch regulär (29,6% der Frauen und 12% der Männer). Lediglich hoch qualifizierte Akademiker scheiden – wie erwähnt – meist später aus dem Erwerbsleben aus. Berufsunfähigkeit und vorgelagerte lange Übergangsperioden erhöhter Fehlzeiten nehmen beständig zu. Während etwa 1998 noch über 90% der Männer und 70% der Frauen zwischen 50 und 55 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen (vgl. ZIMMER, A, 1999, S. 7), fand der berufliche Ausstieg seither immer früher statt. Der Rückgang der Erwerbsquote Älterer ist auch in Deutschland einerseits Resultat einschneidender Veränderungen am Arbeitsmarkt, zum anderen eine Spätfolge einer gezielten exzessiver Politik von Frühverrentungen und wurde zudem durch relativ hohe Rentenansprüche sowie soziale Auffanglösungen begünstigt. (vgl. KADE, S., 2007, S.24 f unter Verweis auf SCHÖLKOPF, 2000). Im internationalen Vergleich hat Deutschland (Österreich umso mehr) daher massiven Handlungsbedarf bei der Beschäftigung Älterer. 2005 gingen immerhin noch 76% der 50 – 55-jährigen Deutschen einer Erwerbstätigkeit nach, bei den 55 – 59-Jährigen noch 67% und bei den 60- 64-Jährigen auch noch 33%, wobei die Erwerbstätigkeitsquote der Frauen durchwegs um deutlich mehr als 10% unter der der Männer lag (vgl. BÄCKER, G., 2009, S. 160 f). Jenseits des Späterwerbsalters waren 1994 sogar 8% der über 65-Jährigen noch beruflich tätig und dazu 21,6% geringfügig beschäftigt und 19% wären an einer Beschäftigung interessiert; Motive waren nicht nur finanzieller Art, sondern auch Kontaktwünsche und das Bedürfnis, „etwas Sinnvolles zu tun“ (vgl. LEHR, U., 2003, S. 44). Eine Steigerung der Beschäftigungsquote in den höheren Alterskohorten erscheint somit grundsätzlich durchaus (wieder) möglich: Gem. einer Befragung des (deutschen) Bundesverbands junger Unternehmer in 2006 hatten sogar 70% junger Chefs angegeben, dass sie nichts dagegen hätten, ältere AN einzustellen und waren zumindest 45% der Auffassung, dass über 50-jährige AN genauso viel leisten würden wie jüngere (vgl. BÄCKER, a.a.O., S. 28).

International betrachtet wird die schlechte Beschäftigungsintensität älterer Menschen umso deutlicher:

ACTIVE PEOPLE AGED BETWEEN 55 AND 64

Percentage of the total active population by country

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung aus DROIT, S., 1992, S. 87

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam KOHLI in einer Studie 1996, auf die später (unter Höchstarbeitsalter) detaillierter eingegangen wird.

Es ist evident, dass die deutsche und österreichische Älteren-Erwerbstätigenrate nicht zufrieden stellend sein kann (vgl. STEINER, K., et al., 2005, S. 55).

Das Thema Altersarbeitslosigkeit ist nicht nur auf nationaler, sondern auch auf Europäischer Ebene keineswegs neu. Schon am EU-Gipfel in Stockholm 2001 wurde das Ziel formuliert, die durchschnittliche Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer (zwischen 55 und 64 Jahren) von 38% auf 50% (bis 2010!) zu steigern (vgl. ZIEGLER, B., 2005, S. 6).

Laut den Empfehlungen des Europäischen Rates zur Durchführung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten vom 14.10.2004 hat Österreich eine im europäischen Vergleich auffallend niedrige Beschäftigungsquote älterer AN und keinen holistischen politischen Ansatz zu deren Aktivierung iVm. einem präventiven arbeitsmarktpolitischen Lebenszyklusansatz.

Die EU plant sogar generell, das gesetzliche Pensionsalter bis 2060 auf 72 Jahre anzuheben (vgl. WIELAND, M., 2013, S. 1).

Auch die Verteilung der Arbeitslosigkeit unter der Erwerbsbevölkerung ist sehr ungleichmäßig und altersmäßig stark unterschiedlich. In einem 5-Jahresschnitt wären in Deutschland 20% der Arbeitskräfte einmal oder mehrmals arbeitslos, drei Viertel der Population hingegen noch nie. Während Frauen früher weit weniger arbeitslos waren als Männer, hat sich dieses Verhältnis seit den 70er-Jahren umgedreht. Das Arbeitslosigkeitsrisiko ungelernter Kräfte ist mehr als doppelt so hoch wie bei Vorliegen einer Berufsausbildung. Migranten sind von Arbeitslosigkeit ganz besonders betroffen (vgl. SENGENBERGER, W., 1980, S. 40). Wie bereits erwähnt, ist die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit im Späterwerbsalter am größten.

Die „Flucht in die Pension“ wurde durch spezielle Frühpensionsarten begünstigt und durch eine starke Zunahme der Invaliditätspensionen (es erscheint höchst fragwürdig, ob es sich dabei um das Abbild eines massiv verschlechterten Gesundheitszustands der arbeitenden Bevölkerung oder nicht eher um das Resultat einer exzessiven Zuerkennung handelt): Sie wurde in Österreich sogar zu der am meisten beantragten Pensionsart (73.312 von 178.305 Pensionsanträgen in 2008), gefolgt von Alters- (70.179 Fälle) und Hinterbliebenenpension (34.814 Fälle), wobei (wenigstens) die invaliditätsbedingte Zuerkennungsquote (Pensionen aufgrund geminderter Erwerbsfähigkeit) unter 50% lag. Die Pensionsleistungen stiegen von 2.153.173 in 2008 auf 2.189.159 in 2009 und 2.216.362 in 2010, was einen jährlichen Anstieg um 35.986 und 27.203 Fälle bedeutete, davon 9.062 wegen geminderter Erwerbsfähigkeit. Der „Run“ auf diese Pensionsart liegt einerseits in der relativ schlechten Einschätzbarkeit des Erfolgs von Anträgen, andererseits auch darin, dass durch einen (auch aussichtslosen) Antrag auf Invaliditätspension länger Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beansprucht werden können (vgl. NEUMANN, Th., 2013, S. 21ff), was zu „Ping-Pong-Effekten“ zwischen der Arbeitsmarktverwaltung und der Pensionsversicherungsanstalt führt; überdies ersparen sich die Antragsteller die oft als lästig empfundenen Vorstellungstermine. Auch in 2013 stiegen die Neupensionierungen weiter an, allerdings auch leicht das Pensionsantrittsalter. Dabei handelt es sich um einen Saldoeffekt, wo v.a. die Langzeitversichertenpension („Haklerpension“), deren Zugangsmöglichkeiten für die Zukunft deutlich verschärft wurden, um 13,4% stark angestiegen ist, gleichzeitig sind die Invaliditätspensionen zuletzt um 12,1% gesunken. Ob man hier schon von einer Trendumkehr bei der Flucht aus dem Arbeitsleben sprechen kann, muss freilich noch dahingestellt bleiben.

Bereits seit Längerem wird eine Zunahme der älteren Erwerbsbevölkerung durch demografische Entwicklungen erwartet: Sind ggwt. immer noch die 25 – 44-Jährigen die größte Gruppe der Erwerbstätigen, sollten es schon ab 2035 die 45 – 65-Jährigen sein (vgl. ZIEGLER, B., 2005, S. 4 unter Verweis auf HANIKA, 2004). Bis zum Jahr 2015 würde in Österreich ein stetes Sinken der jungen erwerbstätigen Menschen (um ca. 47.000 Personen zwischen 18 und 29 Jahren) erwartet, wogegen die Kohorte der 55 – 64-Jährigen um 147.000 steigen sollte. Während altersbedingte Abgänge früher noch relativ leicht durch junge Nachwuchskräfte abgefangen werden konnten, soll dies künftig dadurch deutlich schwieriger werden (vgl. WKÖ, 2002, S. 5), woraus sich eine längere berufliche Verweildauer und bessere Beschäftigungschancen für ältere Arbeitssuchende ergeben sollten. Gegenwärtig bildet sich diese Hoffnung jedoch noch nicht am Arbeitsmarkt ab.

Ältere Menschen nehmen also am aktiven Berufsleben immer weniger teil, indem sie weit früher daraus aussteigen (seit einiger Zeit kommt noch ein oft späterer beruflicher Einstieg durch Eintrittsprobleme und/oder längere Ausbildungen); sie sind schon dadurch eine größere Belastung für die Pensionssysteme geworden: Durch eine vorgezogene Beendigung leisten sie weniger Beiträge, beziehen aber gleichzeitig durch steigende Lebenserwartung jedoch längere Zeit Beiträge; niedrigere Geburtenraten („Überalterung der Gesellschaft“) und spätere berufliche Einstiege durch längere Ausbildung potenzieren die Problematik. Hier liegt zweifelsfrei eine tickende Zeitbombe für die traditionellen Pensionssysteme, die durch kleinere „Reförmchen“ aller Voraussicht nach nicht entschärft werden kann.

Strukturell hat für Großbetriebe (mit über 2000 MAn) die Beschäftigung älterer AN geringere und teilweise sogar weiter abnehmende Bedeutung; glücklicherweise arbeiten ca. 67 % dieser Altersgruppe in Kleinbetrieben (mit bis 20 MAn in Deutschland; vgl. BÄCKER, G., 2009, S. 169 f). Kleinbetriebliche regionale Strukturen würden sich für ältere Menschen am Arbeitsmarkt somit begünstigend auswirken. Hingegen muss die Wahrscheinlichkeit Ältere einzustellen nicht mit dem Anteil vorhandener älterer Beschäftigter korrelieren. Die Personalstrategie kann nämlich auch auf eine möglichst lange Verweildauer im Unternehmen – sozusagen „von der Jugend bis zur Pension“ – ausgerichtet sein. Ältere, die ihren Arbeitsplatz nach langer Betriebszugehörigkeit verlieren, könnten jedoch primär zu Betrieben mit ähnlicher Personalstrategie tendieren (vgl. BÄCKER, G., 2009, S. 38); es muss daher immer auf möglichst breiter Basis gesucht werden und dürfen Kleinbetriebe dabei keinesfalls außer Acht gelassen werden.

Zum Höchstarbeitsalter wurden in einer Studie von KOHLI (1996) die produktiven Tätigkeiten über 65-jähriger Menschen international untersucht und festgestellt, dass der höchste (und damit längste) Erwerbstätigkeitsfaktor in Japan gegeben ist (20,1 %), gefolgt von den USA (7,1 %) und Ehrenämter idR. die höchste Quote haben (16,3 % in den USA), dh. weitaus länger ausgeübt werden als bezahlte Jobs (vgl. STEINER, B., a.a.O.). Ein starres Höchstlimit für eine Berufstätigkeit gibt es somit nicht; spätestens ab dem 70. Lebensjahr spielt eine Erwerbstätigkeit welcher Art auch immer praktisch jedoch keine Rolle mehr: Nach der breit angelegten Berliner Altersstudie unter der Leitung von P. B. BALTES 1994 waren nur 3 % der Population in diesem Alter noch erwerbsaktiv (vgl. WAGNER, G., 1996, S. 294). Die im Berufsleben verbleibenden 50- bis 64-Jährigen sind meist Besserverdiener mit höherer Schulbildung (vgl. AMANN, a.a.O., S. 156).

Nach anderen Untersuchungen sind die am längsten arbeitenden Menschen zum größten Teil beim Klerus anzutreffen, wo noch 70% weit über das 60. Lebensjahr hinaus berufstätig sind, gefolgt von Kleinbauern mit 60%, Großbauern mit 40 – 50% und selbständig Handeltreibenden mit 30 – 40% aktiven Älteren, danach erst kommen unselbständig tätige mittlere Manager, Lehrer, Ingenieure udgl. (20 – 30%) und div. andere Professionen mit 10 – 20% (vgl. DROIT, S., 1992, S. 20). In Deutschland waren bei den über 65-jährigen Arbeitenden vorwiegend Selbständige (54% der selbständigen Männer und 28% der selbständigen Frauen), mithelfende Familienangehörige (20% Frauen und 10% Männer) und abhängige Beschäftigte (52 % Frauen und 36% Männer) zu finden (vgl. KADE, S., S. 25 mit Verweis auf BACKES/CLEMENS, 2000).

Die neuere Entwicklung bei den älteren Arbeitssuchenden ist allerdings besorgniserregend: Waren 1996 nur 8 % der 55 – 59-Jährigen arbeitslos, war bis 1999 schon ein Anstieg auf 12 % zu verzeichnen (vgl. AMANN, A., 2004, S. 29). Die Pensionsreformen verschärfen die Problematik, da die Antrittsvoraussetzungen zunehmend erschwert werden (müssen). Neben makroökonomischen Entwicklungen (andauernde Arbeitsmarktkrise) spielen v.a. auch div. (z.B. qualitative, örtliche und zeitliche) Mis-Fits zwischen Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot eine Rolle (vgl. BÄCKER, G., 2009, S. 17).

Auf Europäischer Ebene ist daher die Intensivierung der Beschäftigung Älterer seit Jahren Thema. Die unbefriedigende Entwicklung ist aus nachstehender Darstellung ersichtlich:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung: Employment rates by age group, 1985 and 1997

aus AUER, P., 2000, S. 113

Im März 2000 wurde bei einer Sondertagung des Europäischen Rats die „Strategie von Lissabon“ erarbeitet, wo das Streben nach Vollbeschäftigung als zentrales Anliegen formuliert wurde. Wenn auch die Kernziele (v.a. Beschäftigungsquote von 70 %) eindeutig nicht erreicht wurden (die Beschäftigungsquote lag 2008 bei 66 %, ist aber gegenüber 2000 mit 62 % immerhin um 4 % gestiegen), hat sie sich doch positiv ausgewirkt und dazu beigetragen, einen breiten Konsens über die notwendigen Reformen der EU herzustellen und die Beschäftigungsthematik deutlich zu positionieren. Die Aktivierung Älterer und der längere Verbleib im Erwerbsleben waren auch Anliegen der Leitlinie für Wachstum und Beschäftigung der Europäischen Kommission vom 12. April 2005, wonach in ganz Europa eine Beschäftigungsquote von 50% in der Alterskohorte „55 – 64“ bis spätestens 2010 erreicht werden sollte (vgl. GÖTZ, R., 2006, S.5). Auch diese Zielsetzung, die einen Anstieg um nahezu 20 % bedeutet hätte, konnte freilich nicht erreicht werden; dennoch hat die Beschäftigung älterer Menschen damit zweifellos sehr an Bedeutung gewonnen (vgl. STEINER, B., 2006, S. 26 f).

Insgesamt ist Situation älterer Menschen am Arbeitsmarkt sicher problematisch, aber andererseits auch nicht generell aussichtslos: Nach diesbezüglichen speziellen Forschungen in Deutschland erreichten die Einstellungsraten älterer AN immerhin 60% des allgemeinen Niveaus und sind damit durchaus nicht unerheblich (vgl. BÄCKER, G., 2009). Eine statistische Untersuchung in Österreich in 2013 zeigte ein weitgehend vergleichbares Bild (vgl. KOLLENZ, W., 2014, S. 12 f) Die Chancen Älterer sind allerdings sehr differenziert zu betrachten und hängen von zahlreichen Einflussfaktoren ab. Der bestmöglichen Erhaltung von Workability und Employability kommt aber zweifellos zunehmende Bedeutung zu.

Für die künftige Beschäftigungsentwicklung sind auch demografische Veränderungen von Bedeutung. Für die Zukunft wird erwartet, dass zunehmend stärker besetzte Jahrgänge in ein höheres Arbeitsalter kommen, der Austausch „alt gegen jung“ zunehmend schwieriger werden und der Altersschnitt sowohl in der Bevölkerung als auch in den Belegschaften der Betriebe steigen soll (vgl. BÄCKER, a.a.O, S. 15).

In der öffentlichen Meinung sind allerdings gewisse Wahrnehmungsverzerrungen festzustellen: Die mittlere Dauer der Arbeitslosigkeit bei jüngeren Menschen wird in der landläufigen Meinung leicht unterschätzt, bei älteren hingegen eher überschätzt (vgl. EBMER, R., 1987, S. 69). Die Situation älterer Menschen am Arbeitsmarkt erscheint daher oft noch schlechter als sie tatsächlich ist.

KEY STATEMENTS

Ältere Menschen standen früher deutlich länger im Berufsleben. Deren Erwerbsbeteiligung ist generell zurückgegangen, in Österreich aber ganz besonders.

Prognostizierte demografische Entwicklungen (Verknappung von Arbeitskräften) sollten die Situation für ältere Menschen am Arbeitsmarkt verbessern; eine derartige Entlastung zeichnet sich aber bisher nicht ab.

Dennoch war die Wiedereingliederungsrate „50+“ bisher keineswegs unbeachtlich und lag bei ca. 60% des allgemeinen Durchschnitts.

3.2 SONDEREFFEKTE

Starke Abhängigkeiten bestehen zwischen Altersarbeitslosigkeit und politischen Maßnahmen, insbes. Pensionsreformen; ein erschwerter Pensionsantritt schlägt sich idR. in einem Anstieg der Altersarbeitslosigkeit nieder: „… government policy to reverse the trend to early retirement might alleviate the pressure on the system of social security, but lead to higher unemployment rates among the old“ (SCHMIDT, Ch., 1993, S. 250).

Alle arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten haben Wechselwirkungen zwischen dem Arbeitsmarkt im engeren und weiteren Sinne. Eine Arbeitszeitverkürzung etwa kann die do-it-yourself-Szene und Schwarzarbeit beleben, erfolglose Kleinbauern können die Gruppe Arbeitssuchender verstärken. Insgesamt lässt sich eine Tendenz zur Ausdehnung des Arbeitskräftemarkts feststellen, weil die Zahl der selbständig Erwerbstätigen rückläufig ist: Während in Deutschland 1907 noch 19,6% selbständig tätig waren, waren es 1977 nur noch 9,7% (vgl. RAMM, Th., 1980, Seite 14); in Österreich verlief die Entwicklung tendenziell vergleichbar. Darüber hinaus gibt es Wirkungszusammenhänge zwischen Arbeitsmarkt und Gesellschaft, z.B. Schul-, Bildungs- und Sozialpolitik; Eingriffe in diese wirken auf jenen. Der Arbeitskräftemarkt wird im wesentlichen national betrachtet, obwohl dies heute teilweise überholt erscheint, denke man nur an grenznahe Regionen, international vernetzte Arbeitsteams oder das gehobene Management, wo „Cross Border“-Funktionen stark im Zunehmen sind. Dennoch erfolgen arbeitsmarktrelevante Interventionen nach wie vor v.a. national (vgl. RAMM, Th., 1980, S. 15 ff). Glaubt man Umfragen – etwa der Studie von BARNES und KAASE (1979) sind die Erwartungen an politische Interventionen paradoxerweise bei Individuen, die steigende Zukunftserwartungen haben (sie haben „Appetit auf mehr“ und bilden das größte Protestpotenzial) höher als bei pessimistisch eingestellten Menschen; James E. ALT spricht von einer „revolution of declining expectations“. Ein wesentlicher Grund mag dabei in einer Neubewertung der Situation liegen. Diese Personen haben ihre Erwartungen an politische Lösungen drastisch reduziert und ihre Vorstellungen mit den realen Verhältnissen in Einklang gebracht. Eher im Zuge einer günstigen Wirtschaftsentwicklung kommt es zu steigenden Erwartungen (Phase I). Bei einer Stagnation kommt es zwar zuerst zu einem „Überschießen“ der Anspruchsniveaus, wodurch Anforderungen und reale Möglichkeiten zunächst auseinanderklaffen (Phase II), danach aber tritt eine Desillusionierung ein, die zu einer Erwartungsrevision und -absenkung führt (Phase III; vgl. PRISCHING, M., 1987, S. 203). Bei den späteren Ausführungen zur Motivation im Späterwerbsalter wird sich dieses Einstellungsmuster als „appraisal“ und „reappraisal“ wieder finden.

Permanent finden auch sektorale Veränderungen statt; der landwirtschaftliche Sektor ist über Jahrzehnte kontinuierlich rückläufig, die Industrie auf eher stabilem bzw. nur leicht sinkendem Niveau und der Dienstleistungssektor stark zunehmend (vgl. LANGTHALER, R., 1994, S. 11). Der Anteil Erwerbstätiger im Dienstleistungssektor ist kontinuierlich gestiegen (in Österreich von 65,6% in 1991 auf 73,4% in 2001), wobei sich die Beschäftigungsverschiebungen aus dem sekundären in den tertiären Sektor zuletzt abnehmend zeigten. Die Tertiärisierung war v.a. durch wissensintensive Wirtschaftsdienste, das Gesundheits-, Sozial- und Unterrichtswesen getrieben (vgl. MESCH, M., 1990, S. 186 ff). Auch kann über viele Jahre ein kontinuierlicher Rückgang der selbständig Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigtenanzahl festgestellt werden (etwa in Österreich von 29,1% in 1960 auf 13,9% in 1985); in Verbindung mit einem gleichzeitig kontinuierlichen Anstieg des Dienstleistungssektors (von 42,3% in 1960 auf 58,4% in 1985) ergeben sich dort tendenziell begünstigende Beschäftigungsaussichten v.a. für Frauen (vgl. ZWEIMÜLLER, J., 1987, E., S. 168), dies aber v.a. im niedrigen Entlohnungsbereich.

Hinzu kommen starke wirtschaftsgeografische Unterschiede: In regionalen Problemgebieten ist die Situation besonders schwierig, was noch dadurch verschärft wird, dass das Qualifikationsniveau der unselbständig Beschäftigten – mit einem hohen Frauenanteil – dort idR. besonders niedrig ist; es handelt sich dabei oft um Auspendelregionen (vgl. KOLLENZ, W., 2014, S. 17).

Im ländlichen Raum hat sich die Situation durch die Industrialisierung der Landwirtschaft deutlich verschärft: sie hat einen gewaltigen Schrumpfungsprozess der Beschäftigtenzahl bewirkt (von 1963 bis 1993 ist in Deutschland der Anteil der Erwerbstätigen von 15 % auf nur 3 % zurückgegangen; vgl. KADE, S., 2007, S. 34), sodass die Betroffenen auf andere Betätigungsfelder umsteigen mussten, die im Nahbereich oft nicht vorhanden waren. In wirtschaftlichen Randlagen ist die Beschäftigungssituation äußerst angespannt und die Arbeitsfindung besonders schwierig. Für arbeitswillige Menschen wird dort oft nur Wochenpendeln oder Übersiedeln in Betracht zu ziehen sein.

Neben territorialen spielen auch zeitliche Aspekte und saisonale Effekte eine gewisse Rolle. Der Zeitpunkt, zu dem eine Person (mit spezifischen Charakteristika) arbeitslos wird, mit der jeweiligen konjunkturellen Situation hat v.a. Einfluss auf die Dauer der Arbeitslosigkeit. Unqualifizierte Arbeitskräfte – mittlerweile auch Leiharbeiter – sind von Konjunkturschwankungen besonders stark betroffen (vgl. KUBIN, I., 1987, S. 65). Darüber hinaus gibt es laufende unterjährige Schwankungen; der Anteil Arbeitssuchender in Saisonberufen ist zum Jahresende meist etwa doppelt so hoch als zur Jahresmitte (vgl. ERATH, M., 1987, S. 154f). Ein typisches Beispiel wäre die Winterarbeitslosigkeit im Bau(neben)gewerbe; die Berufsträger sind im Winter arbeitslos gemeldet oder arbeiten im Wintertourismus, z.B. als Lift- oder Pistenwart.

Auch die Situation der Migranten ist sehr speziell und kann hier nur kurz beleuchtet werden, zumal es sich zwar um eine sehr große (ohne Nettozuwanderung wäre die Erwerbsbevölkerung massiv rückläufig), aber recht heterogene Gruppe handelt; sie setzt sich nicht nur aus Menschen zusammen, die zum Arbeiten gekommen sind, wie die „Gastarbeiter“ der 50er bis 70er-Jahre, sondern heutzutage auch aus etlichen nachgezogenen Familienmitgliedern, durch Binnenwanderung und politisch-wirtschaftliche Entwicklungen auch aus EU-Bürgern, Drittstaatlern und Flüchtlingen (vgl. BÄCKER, G., 2009, S. 24 und 304). Die Employability von Migranten bestimmt sich v.a. durch Arbeitsmarktintegration Qualifikation und Erwerbsbeteiligung; sie unterscheidet sich erheblich von der der Gesamtbevölkerung, v.a. bei Älteren mit geringem Bildungsniveau, deren Anteil sich in Deutschland innerhalb von 10 Jahren verdoppelt hat und sich bis 2030 neuerlich verdoppeln soll. Gegenwärtig sind in Deutschland etwa 2/3 der Migranten unter 45 Jahre, bei Menschen ohne Migrationshintergrund sind es knapp 50% (vgl. BURKERT, C., 2012, S. 77). Dort wurde aufgezeigt, dass sich deren Arbeitslosigkeitsverlaufs- und Jobwechselkurve typischerweise deutlich anders darstellt als von Einheimischen:

Migranten zeigen hier eine geringere Betroffenheit von Arbeitslosigkeit in jungen Jahren, die aber schon ab ca. 35 zunimmt, mit zunehmendem Alter immer stärker wird und massiv ansteigt, wogegen junge Inländer deutlich mehr von Arbeitslosigkeit betroffen sind, bereits ab ca. 30 Jahren jedoch die Arbeitslosigkeit der Migranten unterschreiten, mit ca. 40 – 42 Jahren den Tiefststand an Beschäftigungslosigkeit erreichen, die dann bis zum 50. Lebensjahr auch nur flacher ansteigt (vgl. WINKELMANN, R., 2003, S. 273). Über die Ursachen kann nur gemutmaßt werden; sie könnten u.a. darin liegen, dass sich Migranten in jungen Jahren nicht zu schade sind, auch schlechtere Arbeiten anzunehmen, während Inländer hier vielleicht zu wählerisch sind. Die Frequenz von direkten Jobwechseln zeigt ein gänzlich unterschiedliches Bild: Sie nimmt bei Migranten zwischen 25 und 50 Jahren nur gering ab und bleibt insgesamt auf einem recht hohen Niveau; bei Einheimischen ist sie kontinuierlich rückläufig und erreicht bei 50 Jahren einen extrem niedrigen Wert (vgl. WINKELMANN, R., 2003, S. 273). Dies könnte den Schluss nahe legen, dass sich Einheimische – aus welchen Gründen auch immer – besser und länger im Job „halten“ können, sodass Jobwechsel in einem geringeren Maße erforderlich sind als für Migranten. Für letztere gehören sozusagen (zwischenzeitliche) Arbeitslosigkeitszeiten zum typischen Berufsverlauf, sie finden aber in jüngeren Jahren auch leichter wieder Beschäftigung. Bei Einheimischen sinkt die Kurve der Arbeitslosigkeit und der Job-Wechsel bis zum ca. 40. – 42. Lebensjahr ziemlich parallel (ein Indiz dafür, dass es sich bis zu diesem Alter auch hier nur um vorübergehende Arbeitslosigkeit handelt), danach steigt die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit zwar an, bleibt aber noch immer auf recht niedrigem Niveau. Ohne die genauen Unterschiede und die Ursachen im Detail zu analysieren kann zumindest gesagt werden, dass für Migranten die „Entberuflichung“ deutlich früher einsetzt (vgl. KADE, S., 2007, S. 37). Es gibt dazu wohl auch etwas andere Beurteilungen. Faktum bleibt jedoch, dass sich hinsichtlich Qualifikation und Erwerbsbeteiligung Menschen mit Migrationshintergrund erheblich von der (deutschen) Gesamtbevölkerung unterscheiden; im Schnitt ist deren Arbeitslosenquote doppelt so hoch als die der Deutschen. V.a. ältere Migranten, deren Anteil sich massiv gesteigert hat und weiterhin stark anwachsen soll, weisen häufig ein niedriges Qualifikationsniveau auf, was die Situation weiter verschärft. Dennoch hat Deutschland trotz starkem Migrationsanteils bei der Beschäftigung älterer Arbeitsloser immerhin gewisse Fortschritte gemacht, wenngleich bei weitem nicht ausreichend (vgl. BURKERT, C., 2012, S. 78 und 91).

Bekanntlich wird in dieser Arbeit nur auf den primären Arbeitskräftemarkt abgestellt. Somit bleibt die Gruppe Schwerbehinderter mit einem Anteil von ca. 8% an der Gesamtbevölkerung (in Deutschland), die einen hohen Anteil gering Qualifizierter aufweist und in einer höchst schwierigen Situation ist, außer Betracht. Trotz verschiedener legistischer Initiativen steigt deren Anteil an den Beschäftigungslosen an, was weniger auf demografische Entwicklungen als vielmehr „auf eine Verdrängung schwer behinderter Menschen aus dem Arbeitsmarkt“ zurückgeführt wird (vgl. BÄCKER, G., 2009, S. 26). Obwohl etwa Blinde so gut als möglich ausgebildet werden (z.B. zu Telefonisten, Office Managern oder für IT-Berufe), sind sie faktisch auf ein besonderes Entgegenkommen bei der Einstellung angewiesen. Trotz aller löblichen Anstrengungen, blinde Menschen zu unterstützen und ihnen das Gefühl zu geben, „nicht im Stich gelassen zu werden“, gelingt – gem. einem Erhebungsgespräch mit dem Präsidenten des österreichischen Blindenverbands in 2013 – eine Beschäftigung außerhalb des geschützten Bereichs trotz guter Ausbildung nur selten und wenn überhaupt v.a. im öffentlichen Sektor, z.B. bei Ämtern und Behörden.

Somit sind diese Menschen vorwiegend auf Beschäftigungsmöglichkeiten im geschützten Bereich („zweiter Arbeitsmarkt“) angewiesen. Dort bieten sich noch bessere Einsatzmöglichkeiten für ältere Menschen mit schweren Beeinträchtigungen (z.B. Eingliederungsprogramme durch die sog. Arbeitsassistenz beim Bundessozialamt) oder auch bei schwieriger beruflicher Situation (z.B. Beschäftigungsinitiativen für Langzeitarbeitslose oder Vor-Ruheständler), die jedoch nicht der eigenen Disposition unterliegen und daher hier nicht weiter behandelt werden.

Während bei den Arbeitslosen anfangs nur die „sichtbaren“ gezählt wurden (also jene, die bei den Arbeitsämtern aufscheinen), erfasste man später auch die „unsichtbaren“, die sog. „stille Reserve“, d.s. jene arbeitswilligen Menschen, die entweder nur geringfügig beschäftigt sind bzw. „nicht-sozialversicherter“ Gelegenheitsarbeit oder überhaupt keiner Arbeit nachgehen, weil sie etwa von Angehörigen unterhalten werden (vgl. HOLST, E., 1999, S. 24). Diese Menschen konkurrieren damit zusätzlich um freie Stellen. Folgt man andererseits einer früheren Mikrozensusbefragung in Österreich, würde eine durchaus beachtliche Anzahl arbeitsloser Personen (über 20%) überhaupt keine Arbeit suchen und gaben 30% an, nicht zu wissen, ob sie beim Arbeitsamt (jetzt: AMS) vorgemerkt seien oder nicht. Auch wenn diese Zahlen nicht mehr ganz aktuell sind und auch auf mögliche Unklarheiten bei der Befragung zurückgehen könnten, wird doch eine recht unterschiedliche Intensität bei der Arbeitssuche eindeutig sichtbar (vgl. FLASCHBERGER, 1987, S. 45f). Zweifellos gibt es etliche arbeitssuchend Gemeldete, die faktisch keine Beschäftigung mehr aufzunehmen bereit sind, sodass ein sachgerechter Saldoeffekt schwer festzumachen ist und sich hier nur ein – nicht näher spezifizierbarer – Differenzwert zwischen arbeitslos gemeldeten, aber faktisch nicht arbeitswilligen Menschen und Arbeitssuchenden, die nicht arbeitslos gemeldet sind, auswirken kann.

An dieser Stelle sei auch das Problem der Konkurrenzierung jüngerer Arbeitssuchender („halbierte Legitimität“) kurz angesprochen, wonach gewisse Randgruppen auch andere Möglichkeiten hätten, etwa dass Gastarbeiter in ihre Heimat zurückkehren, Behinderte in „geschützte Bereiche“ wechseln könnten und ein 58-jähriger Arbeitnehmer einem jüngeren den Arbeitsplatz wegnehmen könnte (vgl. PRISCHING, 1987, S. 220). Es tritt also um das Arbeitsplatzangebot eine Art „Kanibalisierungseffekt“ auf, indem sich mehrere Arbeitssuchende Arbeitsplätze um eine Stelle buhlen, wobei es arbeitsmarktpolitisch sinnvoller erscheine, einen jüngeren Bewerber zum Zug kommen zu lassen. Die politischen Anstrengungen zur Verbesserung der Beschäftigungssituation junger Menschen sind absolut richtig und vorbehaltlos zu unterstützen; sie sollen ihre Erwartungen an das (Berufs)Leben möglichst wunschgemäß realisieren und sich eine gesicherte Existenz schaffen können. Die Frage, ob das Gesamtarbeitsangebot ausreichend ist, um deutlich mehr Ältere zu beschäftigen, und wie dieses „gerechter“ verteilt und ggfs. vergrößert werden könnte, kann hier nicht behandelt werden. Es wird aber nicht übersehen, dass sich – insbesondere in Anbetracht der aktuell schlechteren Arbeitsmarktentwicklung hier eine neue Problematik auftut. Sicherlich kann ein höherer Beschäftigungsanteil Älterer das Stellenangebot für jüngere Menschen in gewisser Weise verknappen. Im Zentrum dieser Betrachtung stehen aber Wege zur Durchsetzung eigener Interessen in einer Situation der Gruppenkonkurrenz (vgl. PRISCHING M., 1987, S.201). Da es hier der Thematik entsprechend um das „Chancenmanagement“ für ältere Menschen am Arbeitsmarkt und individuelle Möglichkeiten für Betroffene geht, die arbeiten wollen, aber sich dabei – aus welchen Gründen auch immer - schwer tun oder die Hoffnung sogar schon verloren haben, wird auf etwaige Konkurrenzierungseffekte nicht näher eingegangen. Aber selbstverständlich ist dieser Einwand grundsätzlich berechtigt und müsste aus arbeitsmarktpolitischer Sicht in seinen konkreten Auswirkungen näher untersucht werden (wobei aber auch qualitative, regionale und Einkommensaspekte zu beachten wären).

Resümierend und vereinfachend kann die Situation so beschrieben werden, dass zunehmend stärker besetzte Jahrgänge in ein höheres Arbeitsalter kommen, durch demografische Veränderungen der Austausch „alt gegen jung“ zunehmend schwieriger werden sollte (was aber bis jetzt faktisch nicht feststellbar ist) und der Altersschnitt sowohl in der Bevölkerung als auch in den Belegschaften der Betriebe weiter steigen wird (vgl. BÄCKER, G., 2009, S. 15). Daraus ergeben sich jedoch bestenfalls makroökonomische Effekte, für den Einzelnen sind jedoch qualitative Aspekte weitaus mehr von Bedeutung: Arbeitentwöhnte, unzureichend ausgebildete oder schlecht motivierte Menschen würden es auch bei einer deutlichen Verbesserung der Arbeitskräftenachfrage nicht leicht haben.

In der ersten Hälfte des 6. Lebensjahrzehnts stehen die Chancen auf (Wieder)Beschäftigung noch deutlich besser, sie sinken aber immer mehr mit der Annäherung an das 60. Lebensjahr und erst recht dessen Überschreitung.

Sondereffekte, wovon nur einige wichtige exemplarisch angeführt wurden, können im Einzelfall sehr bedeutsam sein und erfordern eine spezifische Strategie, die nur nach genauer Analyse aller Einflussfaktoren erarbeitet werden kann. Sie machen die Darstellung eines „Gesamttrends“ nur schwer möglich und gezielte arbeitsmarktpolitische Interventionen schwierig, stehen aber der Ableitung generell sinnvoller individueller Maßnahmen nicht entgegen.

KEY STATEMENTS:

Längeres Arbeiten war früher eine Selbstverständlichkeit und wurde mit politischen Anreizen bis in die 50er-/60er-Jahre gefördert, danach aber von einer „Frühverrentungspolitik“ abgelöst.

Das Erreichen der regulären Alterspension ist zum Ausnahmefall geworden.

Bei Selbständigen, im Management und bei gehobener Schulbildung und höherem Einkommen wird auch heute noch am längsten gearbeitet. Frauen scheiden deutlich früher aus als Männer.

Die Erwerbsquote der „50+“-Generation ist aber nach wie vor durchaus erheblich und auch die Arbeitsaufnahmen im Späterwerbsalter sind beachtlich (Beobachtungszeitraum 2013).

Durch ein doppelt verkürztes Berufsleben (durch längeres Lernen und früheres Beenden), niedrige Geburtenraten und steigende Lebenserwartung werden die traditionellen Pensionssysteme schwer belastet, sodass längeres Arbeiten zu einem politischen Muss-Ziel geworden ist.

Sondereffekte (wirtschaftliche Randlagen, starke saisonale Schwankungen, schwere Behinderung, etc.) sind für den Einzelnen weitaus relevanter als die generelle ökonomische Situation.

Der Dienstleistungssektor ist kontinuierlich zunehmend („Tertiärisierung“) und bietet quantitativ weiterhin gute Beschäftigungsmöglichkeiten, besonders im Handel.

3.3 QUALITATIVE VERÄNDERUNGEN IM BERUFSLEBEN

Die Arbeitswelt hat sich auch qualitativ in mehrfacher Hinsicht verändert, wobei hier nur auf Grundtendenzen eingegangen werden kann. Dennoch ist dies von großer Wichtigkeit, um die Konsequenzen für den Einzelnen stimmig abzuleiten.

Arbeit kann als „dialektisch-semantischer Prozessbegriff“ und gewissermaßen als Beschwörung verstanden werden: „So soll´s sein, dort soll´s hingehen“. Er kann mit verschiedenen Bedeutungen hinterlegt werden: sie reichen von absolut negativer Besetzung in Form von Mühe, Plage, Zwang, Abhängigkeit und Schicksal (der Mensch muss sich sein Leben durch mehr oder weniger harte Arbeit „abtrotzen“) bis hin zu Selbstverwirklichung, Freiheit und Erfüllung.

Obwohl somit durchaus mehrere interpretative Zugänge des Arbeitsverständnisses möglich wären, ist die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer ausreichend positiven Einstellung zu Arbeit und Leistung unverzichtbare Grundlage für eine nachhaltige Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit. Je unmittelbarer dieses Erleben ist (z.B. in der Landwirtschaft), desto positiver wird es empfunden; die damit verbundene Anstrengung wird sozusagen als naturgegeben betrachtet. Arbeit ist zwar nicht einziger Lebensinhalt, muss aber doch als essentieller Bestandteil der Lebensgrundlage verstanden werden. Fehlt es an einer solchen Grundeinstellung, kann ein ausreichendes Engagement nur schwer entwickelt werden.

Das andere Extrem wäre, die Arbeit von der Natur zu lösen, sie sozusagen als künstliches Konstrukt fernab von ökonomischer Logik zu verstehen. Die Arbeit mutiert dabei von einer Notwendigkeit zu einem dispositiven Gut: Arbeit oder eben andere Alternativen und anderweitige Lebenskonzepte („Aussteigertum“) – mit und ohne öffentlichen Unterstützungsleistungen (vgl. HEINTEL, P., 1996, S. 16 ff). Auch ein solches Verständnis ist für die Erwerbsrealität problematisch oder zumindest hochgradig riskant, bedeutet dies nämlich, dass eine Arbeitsleistung erfolgt (z.B. als „arbeitsintensives“ Hobby) oder angeboten wird, die aktuell nicht nachgefragt ist. Employability erfordert hingegen ein ökonomisch ausgerichtetes, einigermaßen lustbetontes Arbeitsverständnis.

Sowohl der Begriff „Arbeit“ als auch die mit ihr verbundenen Rahmenumstände sind vielschichtig und unterliegen einem sich über die Zeit ändernden Verständnis. Für die Moderne wurde der Begriff „Arbeitsgesellschaft“ entwickelt mit dem Bestreben, „der Arbeit als Anstrengung positive Seiten abzugewinnen“ (ARENDTH, H., 1998, S. 12 unter Verweis auf SCHUBERT, 1986, S. 11). Erwerbsarbeit hat nämlich nicht nur einen finanziellen Nutzen, sondern viele zusätzliche Aspekte. Sie dient der Organisation des menschlichen Zusammenlebens in der „Arbeitsgesellschaft“: Menschen in unserem Wirtschaftssystem sind durch Arbeit (Produktion), ihre Produkte (Konsum) und die sie steuernde Ökonomie (Organisation) verbunden. Wenn diese Art von Arbeit, Arbeitsteilung und -organisation gefährdet wird oder gar zerfallen sollte, kann das weitreichende gesellschaftliche Folgen haben, da frühere Bindungen, wie Religion oder Ideologie bei uns schon lange an Bedeutung verloren haben. (vgl. HEINTEL, P., 1996, S. 18). Aber auch Allokationsfunktion (Neuverteilung von Mitteln der Gemeinschaft), Solidarfunktion (Arbeit als Grundlage für sozialen Zusammenhalt), Sinnfunktion (Arbeit als Entfaltungsmöglichkeit) und Produktionsfunktion (Schaffung notwendiger Produkte) werden ihr zugeschrieben (vgl. ILMARINEN, J., 2002, S. 29).

Und selbst dieser generelle Bezugsrahmen ist nicht starr. Gravierende Veränderungen im Arbeitsumfeld sind durchaus keine Seltenheit, denkt man etwa an die industrielle Revolution im 19., das Aufkommen der EDV im vorigen Jahrhundert oder die stark zunehmende Internationalisierung (im ökonomischen Umfeld), Technisierung (im technologischen Umfeld), in den rechtlichen Rahmenbedingungen (politisches Umfeld) oder an Demografie und Wertewandel (im soziokulturellen Umfeld). Aktuell sind etwa ein starker Bedeutungsanstieg des Dienstleistungssektors (mit einem signifikanten Anstieg der dortigen Beschäftigtenanzahl und auch steigenden Qualifikationsanforderungen, während die Sachgüterproduktion und deren Beschäftigungsanzahl tendenziell rückläufig sind; vgl. CHALOUPEK G. et al., o.J., S. 186), bereichsübergreifender Kompetenzen und Kenntnisse (z.B. Fremdsprachen), der Erweiterung von Berufskenntnissen (z.B. durch EDV-Kenntnisse) und Veränderungen in der (multikulturellen) Zusammenarbeit durch einen höheren Migrantenanteil aufgrund staatenübergreifender Arbeitsmärkte festzustellen (vgl. BERTELSMANN Stiftung, 2009, S. 153 f).

Es kommt zunehmend zu einer Verschiebung von Pflicht- zu Selbstentfaltungswerten: alte „Tugenden“, wie Disziplin, Gehorsam, Bemühung, Ordnung, Pflichterfüllung, Treue und Loyalität, Unterordnung, Fleiß – Werte, die von der älteren Generation besonders gut bedient werden – reichen allein nicht mehr aus. Demgegenüber gewinnen neue Erwartungen, wie Eigenständigkeit, Flexibilität, fach- und abteilungsübergreifendes Denken, Erfolgs- und Kundenorientierung sowie Problemlösungskompetenz, Gleichbehandlung u.a.m. an Bedeutung (vgl. SCHÜTZ, R., 1995, S. 32). Der zunehmende Druck, dem Unternehmen von den Märkten ausgesetzt sind, wirkt auf die MA weiter. Am Beispiel der Autoindustrie ist etwa zu sehen, dass die Produktivität schneller steigt als die Nachfrage (die Absatzkrise bei Kraftfahrzeugen hat ja schon voll eingesetzt). Wenn aber Autos in immer kürzerer Zeit gebaut werden und gleichzeitig die Nachfrage zurückbleibt, muss dies Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben: flexiblere Arbeitszeiten, mehr Teilzeitstellen bei insgesamt verknapptem Arbeitsangebot bzw. struktureller Arbeitslosigkeit, um nur einige zu nennen. Wie daraus ersichtlich, ist eine Vollbeschäftigungsstrategie nach traditionellem Muster zwar ein wünschenswertes Konstrukt, wird aber längerfristig nur schwer durchzuhalten sein – und schon gar nicht auf nur nationaler Ebene. AN müssen sich daher auf einen Verdrängungswettbewerb einstellen und dabei bestmöglich mithalten.

Die Berufsphase ist – wie schon erwähnt – zweifach verkürzt worden, und zwar einerseits durch eine länger dauernde Ausbildungsphase (durch höhere Schulbildung und Studium bzw. längere Wartezeiten auf eine Lehrstelle oder erste Beschäftigung) und andererseits durch ein deutlich vorverlegtes Berufsende. Man spricht auch vom „Age-Employment-Paradoxon“: Das Arbeitsleben ist ein immer kürzerer und die Pension ein immer längerer Lebensabschnitt geworden (vgl. WIELAND, M., 2013, S. 13). Die Dauer der Erwerbsarbeit bleibt dabei im Schnitt beträchtlich hinter einer 45-jährigen Zielarbeitszeit zurück. Pointiert ausgedrückt für Deutschland: Es hat weltweit die ältesten Studierenden und die jüngsten Rentner (vgl. KADE, S., 2007, S. 167). In Zukunft soll noch dazu der Berufsverlauf weit löchriger werden: Mehr arbeits- und damit aber auch einkommenslose Zeiträume werden sich künftig häufen, verbunden mit der schmerzlichen Erfahrung, dass mehr Zeit bei weniger Einkommen wenig erstrebenswert ist, wodurch sich der Trend zu Zweit- und Nebenbeschäftigungen und zum anderweitigen Geldverdienen verstärken könnte. Neben dem finanziellen entsteht aber auch ein mentales Vakuum (soziale Vereinsamung), woraus ein Drang zum Jobben („Job Nomadentum“) resultieren könnte.

Zu Veränderungen in den Arbeitsbedingungen kommt zunehmende Verunsicherung: Lt. dem Delphi Report „Österreich 2013“ sind die klassischen „nine-to-five“-Jobs und Vollzeitarbeitsplätze jetzt schon rückläufig. Die Zukunft – und teilweise schon die Gegenwart – wird von mehr befristeten Dienstverhältnissen, projektorientierten Arbeitsstrukturen, umfassender moderner Mediennutzung, lebenslangem Lernen statt Weiterbildungsverweigerung, sozialer Kompetenz, Service- und Teamorientierung, (fremd)sprachlicher Kompetenz, Präsentationsvermögen, steigender Integrationsbereitschaft, Flexibilität und Mobilität geprägt bei insgesamt verknapptem Arbeitsangebot (vgl. STEINER B., 2006, S. 17).

Auch die berufliche Arbeit an Wochenenden entwickelt sich immer mehr zu einem neuen Standard: Samstagarbeit ist für Viele schon Realität; der Angriff auf den Sonntag wurde vereinzelt schon gestartet. Verlierer in der Rangskala der Arbeitstugenden sind traditionelle Einstellungen wie Fleiß, Pflichterfüllung und Fachwissen; sie bleiben zwar wichtig, reichen künftig alleine aber nicht aus. Umso wichtiger werden statt dessen Sozialkompetenz, „Ehrgeiz“, um im immer härter werdenden Verdrängungswettbewerb bestehen zu können, Selbständigkeit bei der Arbeitsverrichtung und hohe Flexibilität (vgl. OPASCHOWSKI, H., 1996, S. 7 f). Die Leistung ist mehr denn je auf vorher genau festgelegte Ziele auszurichten mit Klarheit des zu Erreichenden, aber weitreichender Freiheit bei der Durchführung, da unblockierte Freiheit zur Leistungserbringung die Zufriedenheit steigern solle (vgl. MALIK, F., 2000, S. 367).

Andererseits haben sich die Arbeitsbedingungen in der industrialisierten Welt trotz steigender Ansprüche über viele Jahrzehnte zweifellos deutlich gebessert: Mindestlöhne sind für die meisten Branchen geregelt, die Arbeitszeiten wurden konsequent verkürzt, arbeitsmedizinische Betreuungen eingerichtet, die Arbeitssicherheit hat sich markant verbessert, betriebliche Gesundheitsvorsorge ist fast schon Standard geworden etc. Mit 01.01.2013 ist auch eine Novellierung des österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) in Kraft getreten, wonach im Rahmen von Arbeitsplatzevaluierungen nun auch Gefahren ermittelt und beurteilt werden, die Stress auslösen und zu psychischen Belastungen führen können (z.B. störender Lärm, ständige Unterbrechungen, fehlende Informationen). Dennoch wird all das vielfach nicht wahrgenommen und werden die Arbeitserfahrungen in manchen Berufen oder Organisationen qualitativ kaum besser empfunden (vgl. JAHODA, M., 1986, S. 71). Auch das Tempo von beruflichen und wirtschaftlichen Veränderungen, das stark zugenommen hat, wie etwa am Beispiel wirtschaftlicher Krisen deutlich wird (dotcom-Krise 2000, Immobilienkrise 2007, globale Finanzkrise 2008, Griechenland- und Eurokrise 2009; ) wird als belastend empfunden (vgl. KORUNKA, Ch., 2013, S. 12).

Die Verschiebungen in den beruflichen Kompetenzen haben bisher noch nicht voll durchgeschlagen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle: Antworten zu den Kompetenzbereichen der Berufsausbildung, vgl. EULER, D., 2009, S. 85

Wenngleich sich diese Darstellung auf die Berufsausbildung für junge Menschen bezieht, sind Ältere natürlich genauso davon betroffen, da entsprechende Nachqualifikationsmaßnahmen nur unzureichend oder überhaupt nicht vorhanden sind.

Auch das Tempo beruflicher und wirtschaftlicher Veränderungen hat stark zugenommen und wird als belastend empfunden (vgl. KORUNKA, Ch., 2013, S. 12).

Nachdem in der Gerontologie das Modell des „Active Ageing“, das eine länger selbstbestimmte Rolle in der Gesellschaft gewährleisten sollte, entwickelt wurde, erfolgte infolge demografischer Entwicklungen und starken finanziellen Drucks auf die Pensionssysteme durch „Pensionsflucht“ eine Weiterentwicklung dieses Konzepts mit primärer Ausrichtung auf die Produktivitätsdimension (vgl. GÖTZ, G., 2006, S. 9f). Inhaltlich gibt es dazu leicht unterschiedliche Zugänge. Die WHO interpretiert diese Zielsetzung am weitesten: „the process of optimising opportunities for health, participation and security in order to enhance quality of life“, die OECD am restriktivsten: “Active Ageing refers to the capacity of people, as they grow older, to lead productive lives in society and the economy”. Die EU definiert diesen Ansatz mit “… a coherent strategy to make ageing well possible in ageing societies. Active Ageing is about adjusting our life practices to the fact that we live longer and more resourceful and in better health than ever before, and about seizing the opportunities offered by these improvements. In practice it means adopting healthy life styles, working longer, retiring later and being active after retirement. Promoting Active Ageing is about promoting opportunities for better lives, not about reducing rights. Adequate income provision and care is part of the agenda”. Der EU-Ansatz betont ebenfalls den lebenszyklischen Fokus und ist näher am WHO- als beim OECD-Ansatz orientiert (vgl. GÖTZ, G., 2006, S. 10f).

Auch wenn es sich dabei teilweise um Zukunftsszenarien handelt, die schon seit längerem prophezeit werden und bisher nicht im erwarteten Umfang eingetreten sind, und diese Entwicklungen nicht immer Gefallen auslösen mögen, sollte sich auch die ältere Erwerbsgeneration zumindest in Teilbereichen darauf ausrichten, um nicht davon überrollt zu werden und ungewollt unter die Räder zu geraten.

KEY STATEMENTS:

Ein positives Arbeitsverständnis ist für die „Employability“ essentiell.

Arbeit hat nicht nur ökonomischen Nutzen, sondern viele weitere positive Aspekte: Soziale Koordinations- und Verteilungsfunktion, Selbstverwirklichungsmöglichkeit etc.

Während bei (beruflicher) Arbeit früher die Pflichterfüllung im Mittelpunkt stand, wird diese zunehmend von Selbstentfaltungswerten, Eigenverantwortlichkeit und Ergebnisorientierung abgelöst.

4. ALTERSZUSCHREIBUNGEN

Nachstehend soll untersucht werden, ob und wie sich das Bild des Alters entwickelt bzw. geändert hat sowie welche Attribute dem Altern ganz allgemein und speziell im beruflichen Kontext zugeschrieben werden.

Dass das Image älterer Menschen belastet ist, wurde auch im Zuge aktueller Recherchen mehrfach deutlich: So meinte etwa der Inhaber eines Seminarhotels mit 40 MAn auf Befragung, dass er keine über 50-Jährigen aufnehmen würde, „weil man diese nicht mehr anbringe und er mit einer solchen Person nur Probleme gehabt hätte“: Derjenige sei ständig im Krankenstand gewesen und hätte das Betriebsklima negativ beeinflusst. Der Hotelier hätte allerdings auch nicht versucht, ihn zu kündigen, „da dies rechtlich nicht möglich sei“ (was objektiv unrichtig ist). Nachstehend soll die Frage untersucht werden, was Alter im beruflichen Kontext konkret bedeutet und welche Attribute ihm allgemein zugeschrieben werden.

4.1 THEORIEN UND ERKLÄRUNGSMODELLE

Gesellschaftlich hat sich das traditionelle 3-phasige Lebensverlaufsmodell in mancher Hinsicht überholt: Es bestand im wesentlichen aus der Jugend, gekennzeichnet durch Lernen, dem Erwachsensein, charakterisiert durch Berufsarbeit und dem Ruhestand im Alter. Wiedereintritt von Frauen ins Berufsleben in späteren Jahren (z.B. nach einer Scheidung), häufigere Berufswechsel von Männern, höhere Arbeitslosigkeit im späten Erwerbsalter, Wiederholung der Familiengründung durch Neuverehelichung sorgen für zunehmende Inhomogenität (vgl. AMANN, A., 2004, S. 122). Das menschliche Erwachsenenalter kann wie folgt charakterisiert werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Altersphasen (in Anlehnung an CRANACH, 2004, S. 51 mit Verweis auf FALTERMEIER et al., 2002)

Relativierend sei dazu angemerkt, dass sich die Lebensphasen heutzutage teilweise geändert bzw. nach hinten geschoben haben: Eheschließungen erfolgen später, Kinder werden erst später eingeplant, häufiger Zweitehen geschlossen etc., woraus sich geänderte wirtschaftliche Planungen und Notwendigkeiten ergeben können; das mittlere Erwerbsalter mutiert dabei oft von einer Abwicklungs- und Stabilisierungs- zu einer Neuorientierungs- bzw. zweiten Aufbauphase. Hinzu kommt, dass 60-Jährige heutzutage eine Lebenserwartung von fast schon 30 Jahren haben, die auch immer uneinheitlicher verlaufen, sodass in der gerontologischen Forschung mittlerweile schon zwischen jungen Alten (60 – 70 Jahre), mittleren Alten (70 – 85 Jahre) und alten Alten (über 85 Jahre) differenziert wird (vgl. VOELCKER – REHAGE, C., 2011, S. 13), wobei die beiden letztgenannten Kohorten für eine Erwerbstätigkeit (abgesehen von seltenen Ausnahmefällen) idR. kaum noch in Frage kommen. Darüber hinaus werden Einschränkungen des Alters heute anders gesehen:

Im Laufe der Zeit haben sich zum Alter sehr unterschiedliche Ansichten entwickelt, was anhand einiger Erklärungsmodelle in diesem Abschnitt demonstriert werden soll. Mittlerweile sind schon derart viele Alternstheorien entwickelt worden (z.B. die Disengagement-Theorie von HAVIGHURST, MUNNICHS, NEUGARTEN et. al., 1969, die Kontinuitätstheorie von ATCHLEY, 1989, die Identitätstheorie von ERIKSON, 1950, 1981, die Theorie der selektiven Optimierung und Kompensation etc.), dass diese in mechanistische, biologische, psychologische und humanistische aufgegliedert werden können (vgl. LEHR, U., 2003, S. 46). Nachstehend wird eine Auswahl getroffen.

Früher wurde bei der Entwicklung von Intelligenz im Alter von einem stetigen Sinken ab etwa dem 20. Lebensjahr ausgegangen; diese Kurven sind sehr populär geworden und haben negative Zuschreibungen und Verallgemeinerungen, v.a. aber das später dargestellte „Defizit-Modell“ zweifellos mitverursacht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Durchschnittsleistungen bei 3 amerikanischen Intelligenztests in Beziehung zum Lebensalter; aus: LEHR, U., 2003, S. 51

Nach einer differenzierteren Betrachtung nimmt mit zunehmendem Alter nur die fluide Intelligenz (d.i. die neurophysiologische Informationsverarbeitung, visuelles und motorisches Gedächtnis, fundamentale kognitive Wahrnehmung) ab, während die kristalline Intelligenz (angeeignetes Wissen, Sprache, berufsbezogene Expertise) stabil bleibt.

Neuere Forschungen bezüglich der Langzeitwirkung von Intelligenz, insbesondere die Seattle-Längsschnittstudien und die Längsschnittstudie von Göteborg von DJURFELDT, konnten die früheren Ansichten über eine Abnahme der Intelligenz (und von Gedächtnisfunktionen) nicht bestätigen. Selbst zwischen 70 und 90 Jahren waren gefundene Veränderungen gering, primär krankheitsbedingt und betrafen v.a. die Verarbeitung neuer Informationen. In der Bonner Gerontologischen Längsschnittstudie „BOLSA“ wurden erst ab dem 78. Lebensjahr gewisse Veränderungen (im Leistungsteil des WECHSLER-Intelligenz-Tests) festgestellt. Auch geschlechtsspezifische Intelligenzunterschiede im Alter konnten in Studien nicht eindeutig nachgewiesen werden. Ein Vergleich der Intelligenzwerte von 62- 64-jährigen Frauen und Männern im Rahmen der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters („ILSE“) zeigte nur leichte Unterschiede innerhalb zweier Frauengruppen (Leipziger und Heidelberger Gruppe) auf: Frauen, die bis zur Rente berufstätig waren, hatten bessere Werte als die anderen (vgl. LEHR, U., 2003, S. 77).

Die Gedächtnisleistung werde zwar mit zunehmendem Alter schlechter, allerdings erst lange nach der Pensionierung (und daher nicht berufsrelevant), v.a. fehle es oft an geeigneter Lerntechnik und seien Lernprozesse störanfälliger (vgl. LEHR, a.a.O., S. 92 f). In strukturierten Interviews von WILLIAMS, DENNEY und SCHADLER (1983) mit Probanden im Alter zwischen 56 und 75 (!!!) Jahren hatten 79 % angegeben, sich schlechter als früher erinnern zu können (vgl. FILIPP, S., 1999, S. 45 f). Dazu ist aber anzumerken, dass es sich hier um eine sehr weite Untersuchungsspanne von fast 20 Jahren handelt und naturgemäß auch die Erlebniszeiträume entsprechend länger geworden sind, sodass ein berufsrelevantes Defizit nicht erkannt werden kann.

Eine Untersuchung von BERG und STERNBERG (1992), die in „Interesse und Fähigkeiten im Umgang mit Neuem“, „Alltagskompetenzen“ und „verbale Intelligenz“ differenzierte, zeigte sogar niedrigere Werte für den zweit- und drittgenannten Faktor bei 30-jährigen als bei älteren Probanden. 3/4 gaben sogar an, dass mit zunehmendem Alter Fähigkeiten wie Problemlösen, Schlussfolgern oder Nutzung früherer Erfahrungen zunähmen (Modell der Intelligenzentwicklung), während 2/3 meinten, dass v.a. das Gedächtnis abnähme (vgl. FILIPP, a.a.O., S. 46).

Nach dem Defizitmodell gelten ältere Arbeitnehmer aufgrund des Leistungsverlustes infolge Abnahme physischer und psychischer Fähigkeiten als weniger belastbar, weniger lernfreudig, weniger innovativ und weniger kreativ. Es geht in seinen Wurzeln bis auf das 13. Jahrhundert zurück und erreichte den Höhepunkt im 19. Jahrhundert, wo in Europa lebenszeitliche Auf- und Abwärtsbewegungen als „Lebenstreppe“ dargestellt wurden. Obwohl dieses Modell in den frühen 90er-Jahren empirisch widerlegt wurde, sind derartige Vorbehalte nach wie vor anzutreffen (vgl. KUCERA, S., 2005, S.9). Im Rahmen eines speziellen Projekts in Deutschland (KRONOS 2006) wurde die Arbeitsfähigkeit von 3.000 Schichtarbeitern in Deutschland mittels einer vereinfachten Kurzversion des Work Ability Index untersucht. Das „Defizitmodell“, wonach zunehmendes Alter regelmäßig zu einer Abnahme der Leistungsfähigkeit führe, konnte dabei empirisch nicht bestätigt werden, ist aber nach wie vor in gewissen Köpfen verankert (vgl. STÖSSEL, U., 2008, S. 6). Würde die Defizittheorie in der Realität zutreffen, hätte das gravierende Folgen – und zwar nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Unternehmen: Ein 45-jähriger Flugkapitän wäre ein latentes (intellektuelles) Sicherheitsrisiko, die Entscheidungen eines 55-jährigen Konzernchefs müssten ernsthaft angezweifelt werden, noch ältere Aufsichtsräte müssten sofort abberufen werden, weil man ihnen nicht zutrauen dürfte, die Komplexität von Entscheidungen ausreichend erfassen zu können.

Die Defizittheorie ist ein Musterbeispiel für eine Fehleinschätzung, die fortwirkenden Schaden für die ältere Erwerbsgeneration angerichtet hat.

Das Kompetenzmodell gesteht gewisse altersspezifische Beeinträchtigungen, wie physische Aufbrauchserscheinungen, Kapazitätsabnahme des Arbeitsgedächtnisses, der Aufmerksamkeitsfähigkeit und der Verarbeitungsgeschwindigkeit zu, geht aber bei den geistigen Fähigkeiten nicht von einem generell-kontinuierlichen Abbau aus, sondern stellt stark auf die berufliche Vergangenheit ab: Je anspruchsvoller und erfüllter diese war, umso mehr wurden dabei wichtige Kompetenzen, wie Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein, Loyalität und Führungsfähigkeit aufgebaut, die nunmehr zur Verfügung stehen (vgl. KUCERA, a.a.O. unter Verweis auf RICHENHAGEN, 2003, S. 5 sowie AVIOLIO/WALDMANN/McDANIEL und McEVOY/CASCIO).

Deutlich jünger sind die Theorien erfolgreichen Alterns. Als „successful ageing“ (die in der letzten Zeit immer häufiger anzutreffende Bezeichnung als „Best Agers“ ist möglicherweise darauf zurückzuführen, aber überzogen und realitätsfern) bezeichnete HAVIGHURST 1963 einen Alterungsprozess, der auf die Lebenszufriedenheit trotz sich ändernder Verhältnisse, wie Verlust von Angehörigen oder Weggang von Kindern abstellt. Diesem Ansatz folgend haben sich mehrere neuere Theorien entwickelt, die nachstehend kurz dargestellt werden sollen.

Gem. der Aktivitätstheorie (nach TARTLER, 1961) setzt glückliches und zufriedenes Altern ausreichende Aktivitäten und „Gebrauchtwerden“ für bestimmte Aufgaben voraus (vgl. LEHR, U., 2003, S. 59), was sowohl im familiären, gesellschaftlichen aber auch im wirtschaftlich-beruflichen Umfeld möglich ist.

Nach der Disengagement Theorie wünschen sich ältere Menschen hingegen mehr „soziale Isolierung“. Sie wurde bereits mehrfach modifiziert, indem qualitative, individuelle und situative Aspekte einbezogen wurden. Ersteren entspricht etwa eine abnehmende Anzahl von Sozialkontakten bei gleichzeitiger Vertiefung der verbleibenden. Individualisierung erfolgt durch persönlichkeitsspezifisches Filtern und „Priming“, vorübergehendes Disengagement kann beispielsweise in Belastungssituationen auftreten (vgl. LEHR, a.a.O., S. 59).

Geradezu als Antithese zu den defizitären Ansätzen stellen sich die Wachstumstheorien (mit C.G. JUNG als prominentem Vertreter) dar, wonach im Alter mit zunehmender Reife und Weisheit Lebenskrisen leichter bewältigt werden könnten. Sie haben auch wichtige Kriterien für Wohlbefinden und persönliches Wachstum herausgearbeitet, nämlich

- die Akzeptanz der eigenen Person,
- positive Beziehungen zu anderen Menschen,
- Autonomie und Beherrschung der Lebensumstände und
- ein Ziel im Leben

(vgl. LEHR, a.a.O., S. 66 f).

Moderne Theorien (z.B. nach HAVIGHURST) betrachten das Altern als interaktiven Prozess, der nicht nur von Veränderungen des Organismus bestimmt wird, sondern auch persönlichen Wertvorstellungen und vom situativen Kontext (vgl. LEHR, U., 2003, S. 54): etwa die Situation eines älteren, verwitweten Vaters im Vergleich mit der eines gleichaltrigen, wiederverheirateten Menschen, der erst vor kurzem Vater geworden ist. Oder ein Beispiel aus dem Berufsleben: Wenn jemand im fortgeschrittenen Alter erst kürzlich befördert wurde, wird er sich jünger fühlen als jemand, der „zum alten Eisen“ zu zählen und nichts mehr zu erwarten glaubt

[...]

Ende der Leseprobe aus 214 Seiten

Details

Titel
Ältere im Arbeitsleben. Eine Chancensuche
Untertitel
Von Perspektivenlosigkeit zu sinnvoller Zukunftsgestaltung
Autor
Jahr
2015
Seiten
214
Katalognummer
V295408
ISBN (eBook)
9783656935513
ISBN (Buch)
9783656935520
Dateigröße
1541 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ältere, arbeitsleben, eine, chancensuche, perspektivenlosigkeit, zukunftsgestaltung
Arbeit zitieren
Wolfgang Kollenz (Autor:in), 2015, Ältere im Arbeitsleben. Eine Chancensuche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295408

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