Das Pflegetagebuch für pflegende Angehörige. Ressourcenerhebung von zu Hause lebenden pflegebedürftigen Personen


Studienarbeit, 2015

83 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Zusammenfassung

1. Ausgangssituation
1.1. Problemstellungen
1.2. Fehlende Anerkennung
1.3. Ziele der Studie
1.4. Forschungsfragen

2. Stand der Forschung
2.1. Datenerhebung von Pflegegeldbeziehern - Grenzen der Studie
2.2. Literaturrecherche
2.2.1. Dokumentation pflegender Angehöriger
2.2.2. Gruppe pflegender Angehöriger
2.2.3. Belastungen pflegender Angehöriger
2.3. Übersicht von Studien zur Erfassung von Pflegebedürftigkeit im informellen Netzwerk
2.3.1. Messbarkeit von informeller Pflege: eine empirische Studie betreffend die valide Messbarkeit des Zeitaufwandes für informelle Pflegetätigkeiten (Kurzfassung des englischen, übersetzten Inhaltes)
2.3.2. Tagebücher als Datengrundlage in einer Studie über pflegende Angehörige von Menschen mit Alzheimer-Krankheit: methodologische Fakten (Kurzfassung des englischen, übersetzten Inhaltes)
2.3.3. Messung von Zeitaufwand für informelle Pflege in einer Studie mit Demenzpatienten (Kurzfassung des englischen, übersetzten Inhaltes)
2.4. Grundlegende Begriffserklärungen
2.4.1. Definition pflegende Angehörige
2.4.2. Begriff der Pflegeperson SGB XI § 19
2.4.3. Exkurs: Zur Problematik der Bezeichnung „pflegender Angehöriger“
2.4.4. Definition Pflegeprotokoll/Pflegetagebuch
2.4.5. Definition Pflegebedürftigkeit
2.4.6. Pflegebedürftigkeit
2.4.7. Definition Pflegebedürftigkeit aus Sicht der Medizin/Geriatrie
2.4.8. Definition Pflegebedürftigkeit aus pflegewissenschaftlicher Sicht
2.4.9. Definition Pflegebedürftigkeit nach SGB XI § 15
2.4.10. Definition Pflegeassessment

3. Methode
3.1. Planung
3.1.1. Zugang zum Feld – Stichprobe
3.1.2. Zielgruppe - Auswahl der Probanden
3.2. Erhebungsinstrument (Fragebogen)
3.2.1. Einteilungsstufen des Selbständigkeitsgrades
3.2.2. Grade der Pflegebedürftigkeit und deren Punktwerte
3.3. Das neue Begutachtungsassessment als Instrument zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit
3.3.1. Einschätzungsinstrument zur Ressourcenerhebung
3.3.2. Beurteilung der Pflegebedürftigkeit: Berücksichtigte Aspekte der Pflege- und Hilfebedürftigkeit
3.3.3. Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit
3.4. Instrumente zur Einschätzung der Pflegebedürftigkeit
3.4.1. Bedingung der Pflegebedürftigkeit in Deutschland
3.4.2. Bedingungen der Pflegebedürftigkeit in Österreich
3.5. Ergebnisse

4. Das Pflegetagebuch - ein Konzept als Grundlage für die Pflegebegutachtung
4.1. Zusammenfassung von Gesprächsnotizen mit Pflegegeld-beziehern im häuslichen Bereich und deren Angehörigen
4.2. Empfehlungen des Rechnungshofes
4.3. Pflegetagebuch und Pflegegeldbegutachtung

Literatur

Anhang

Abstract

This study deals with the question of how to use a nursing care diary as research data in a study on family caregivers.

Diaries can be used as a primary method of data collection in public health research, as they produce subjective knowledge of the experiences, emotions and meanings associated with caregiving. Their use can result in a high level of motions, and ability to reflect on life promotes successful writing. The incorporation of health resources and diaries by people in need of care in Austria are tends to be neglected.

The study shows that there is a need for transparency, both in the assessment of nursing care and in the allocation of funds.

Key words: nursing care diary, health resources, family caregivers,

Zusammenfassung

Das Pflegetagebuch für pflegende Angehörige:

Ein Einschätzungsinstrument zur Ressourcenerhebung von zu Hause lebenden pflegebedürftigen Personen.

Hintergrund:

Mehr als 80 Prozent der pflegebedürftigen Personen werden in Österreich zu Hause gepflegt. Die Einschätzung der Pflegebedürftigkeit erfolgt durch eine ärztliche Begutachtung. Bei dieser Einschätzung werden die vorhandenen Ressourcen sowie der geleistete Pflegeaufwand durch pflegende Angehörige nicht ausreichend berücksichtigt. Derzeit existiert in Österreich kein valides und reliables Instrument zur Einschätzung der Pflegebedürftigkeit.

Ziel:

Für die korrekte Pflegegeldeinstufung wäre es sinnvoll, dass pflegende Angehörige ein Pflegetagebuch führen und somit den gesamten Pflege- und Betreuungsaufwand nachweisen können.

Methode:

Die Untersuchung ist in zwei Befragungszeitpunkte gegliedert. Der Studienablauf und das Erhebungsinstrument sind bei beiden Untersuchungszeitpunkten identisch. Beim ersten Befragungszeitpunkt erfolgt die Erhebung des IST-Zustandes der Pflegebedürftigkeit von Personen in der Pflegestufe 3 – 5.

Erwartetes Ergebnis:

Pflegetagebücher können als primäre Methode der Datensammlung in der Pflegeforschung verwendet werden. Die Verwendung eines Pflegetagebuches soll bei der ärztlichen Begutachtung zur Pflegegeldeinstufung berücksichtigt werden. Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit wird durch die Aufzeichnung über Pflege- und Betreuungsleistungen transparenter und dient somit als Nachweis über den tatsächlich geleisteten individuellen Pflegeaufwand.

1. Ausgangssituation

Unsere Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie Menschen, Menschen mit Pflegebedarf und/oder Behinderung begegnet und insbesondere deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht.

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff greift diese Aufgabenstellung auf, um die Situation der Betroffenen zu verbessern und einen ethisch relevanten Perspektivwechsel zu initiieren: Die Abkehr von einem an den Defiziten und am Unvermögen orientierten Bild der pflegebedürftigen Menschen hin zu einer Sichtweise, die das Ausmaß seiner Selbständigkeit erkennbar macht.

Die Anknüpfung an das Ausmaß der Selbständigkeit ermöglicht eine ganzheitliche, auch kontextbezogene Wahrnehmung der Lebenslage von pflegebedürftigen Menschen und so eine weitaus höhere Gerechtigkeit in der Berücksichtigung der Beeinträchtigung von Menschen und hilft zudem, Ungleichbehandlungen zwischen Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen oder ganzer Gruppen von Menschen zu vermeiden.

Die Berücksichtigung des Wunsches nach Selbständigkeit ist Ausdruck von Wertschätzung, sie bezeugt den Respekt vor den Lebenslagen der Menschen, die Achtung ihrer Würde, sie fördert Selbstverantwortung ebenso wie sie das verlässliche, solidarische Eintreten für Menschen in Risikolagen unterstützt, die ihre Kräfte und Möglichkeiten übersteigen.

Begrenzte Ressourcen in der Umsetzung erfordern dabei transparente, personenzentrierte Hilfen; finanzielle Prioritätensetzungen müssen den Rahmenbedingungen einer Gesellschaft des längeren Lebens und damit der zunehmenden Zahl pflegebedürftiger Menschen gerecht werden (Deutsches Bundesministerium für Gesundheit: Bericht des Beirates zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes 2009, S. 70).

In Österreich fehlt derzeit ein valides, reliables und praktikables Einschätzungsinstrument zur Ressourcenerhebung von zu Hause lebenden pflegebedürftigen Personen.

Da zurzeit nur wenige zuverlässige Daten bezüglich der Pflegebedürftigkeit von zu Hause lebenden Personen vorliegen, ist auf den Bedarf an Pflegeforschung in diesem Bereich zu verweisen (Deufert et al., 2008, S. 4).

Zur besseren Lesbarkeit wird im vorliegenden Studiendesign bei der Benennung von Personen und Personengruppen darauf verzichtet, eine beide Geschlechter ausweisende Formulierung zu verwenden. Das jeweils andere Geschlecht ist stets mitgemeint.

1.1. Problemstellungen

Für diese Arbeit ergibt sich, wie in der Ausgangssituation festgehalten, folgendes Problem:

Mehr als 80 % der älteren und pflegebedürftigen Menschen in Österreich werden im häuslichen Bereich von Angehörigen pflegerisch betreut. In einer Studie über die Situation pflegender Angehöriger des Österreichischen Bundesinstitutes für Gesundheitswesens (ÖBIG) wurde folgende Tatsache festgehalten:

„Pflegende Angehörige verfügen oftmals über kein Verständnis für ihre Selbstpflege. In der Pflege- und Betreuungszeit stellen pflegende Angehörige ihre eigenen Bedürfnisse und ihre persönliche Lebensqualität hinten an. Sie müssen für den zu Pflegenden bzw. die zu Pflegende da sein und erlauben sich aus Sorge um eine etwaige Nichtversorgung des bzw. der Angehörigen nicht, krank zu werden. Erst wenn die Pflege- und Betreuungssituation beendet ist, kann die bzw. der pflegende Angehörige wieder ihre bzw. seine Bedürfnisse, Wünsche und Probleme beachten. Dieses Loslassen bringt aber auch oft unterdrückte oder übergangene gesundheitliche Probleme an den Tag. Jetzt erst lässt es die bzw. der pflegende Angehörige zu, krank zu werden.

Durch die Schaffung eines Bewusstseins für Selbstpflege schon während der Pflege- und Betreuungsleistung kann diesen Sekundärerkrankungen vorgebeugt werden. Pflegende Angehörige erhalten dadurch auch ein mehr an Lebensqualität während und nach ihrer Pflege- und Betreuungsleistung. Es können dadurch aber auch sekundär anfallende Gesundheitsausgaben gesellschaftlich angespart werden (ÖBIG, 2005, S. 60 - 61).“

1.2. Fehlende Anerkennung

Leider erfahren die meisten pflegenden Angehörigen tagtäglich, dass sie für ihre Arbeit wenig oder gar keine Anerkennung von Seiten der Familie, Nachbarn und der Gesellschaft erhalten. Die Pflege wird als eine Selbstverständlichkeit hingenommen.

Belastend für die pflegenden Angehörigen ist es, wenn Lob und Anerkennung ausbleiben. Eine Enttäuschung erleben manche Angehörige, wenn ihre Geschwister zu Besuch kommen und die ganze Aufmerksamkeit des pflegebedürftigen Elternteils auf sich ziehen, während die von ihnen erbrachte Pflege als Selbstverständlichkeit angesehen wird (Wild, M., 2002: In: Zur Situation pflegender Angehöriger, S. 263).

1.3. Ziele der Studie

Unumstritten ist, dass die Darstellung bzw. der Verlauf von Ressourcen und Defiziten von Pflegebedürftigen im häuslichen Bereich notwendig ist. Die Entwicklung, Erprobung und wissenschaftliche Auswertung des Assessments mittels Pflegetagebuch für den häuslichen Bereich ist daher das primäre Ziel dieser Studie.

Sekundäres Ziel der Studie ist es, einen quantitativen pflegewissenschaftlichen Beitrag zur Leistungs- und Ressourcentransparenz in der häuslichen Pflege zu leisten. Dazu ist es von vorrangiger Bedeutung, ein aktuelles Bild von vorhandenen Ressourcen der Hilfe- und Pflegebedürftigen sowie der privaten Pflegeperson zu erhalten. Die im Jahr 2005 vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) publizierte Studie „Situation pflegender Angehöriger“ liefert bereits wichtige Grundlagen zu dieser Thematik.

Weiters soll das neue Begutachtungsassessment hinsichtlich der Praktikabilität beim Einsatz des Pflegetagebuches überprüft werden.

Diese Untersuchung soll ferner auszugsweise die Leistungen der pflegenden Angehörigen in Österreich darstellen und die spezielle Situation bei der Pflegegeldeinstufung von pflegenden Angehörigen erfassen.

Ein untergeordnetes Ziel der Pflegetagebuches kann mit dem Begriff „Empowerment“ auf den Punkt gebracht werden: Es geht also auch darum, pflegende Angehörige zu unterstützen, ihre eigenen „Selbstverständlichkeiten“ – aber auch Grenzen – wahrzunehmen, damit sie in selbstbestimmter Verantwortlichkeit ein Mitspracherecht bei der Pflegegeldeinstufung erhalten.

1.4. Forschungsfragen

Die fünf zielführenden Fragen zur Verwendung eines Pflegetagebuches sind demnach:

Welche alltäglichen Aktivitäten sollen im Pflegetagebuch dokumentiert werden?

Welcher Hilfe- und Pflegebedarf soll im Pflegetagebuch beschrieben werden?

Ist das Pflegetagebuch eine geeignete empirische Methode zur Ressourcen- und Leistungserfassung von pflegenden Angehörigen?

Kann die Verwendung eines Pflegetagebuches subjektive Erkenntnisse-/Emotionen und Erfahrungen widerspiegeln?

Können Pflegetagebücher als primäre Methode der Datensammlung in der Pflegeforschung verwendet werden?

2. Stand der Forschung

In Österreich gibt es zurzeit noch keine Studien zum Thema: Das Pflegetagebuch für pflegende Angehörige als Ressourcenerhebung von zu Hause lebenden pflegebedürftigen Personen.

2.1. Datenerhebung von Pflegegeldbeziehern - Grenzen der Studie

Während das Bundes- und Landespflegegeld durch die jährlichen Berichte des Arbeitskreises für Pflegevorsorge gut dokumentiert sind, gestattet sich die Erfassung der Sachausgaben der Länder als problematisch. Grund dafür ist die uneinheitliche und teilweise lückenhafte Berichterstattung der Länder über ihre Finanzaufwände für stationäre, teilstationäre und mobile Dienste. Dadurch ergibt sich in den jährlichen Berichten des Arbeitskreises für Pflegevorsorge eine unvollständige Zusammenstellung der Sachleistungen der Länder. Für diese Studie wurde versucht, fehlende Daten zu ergänzen – im Speziellen für das Jahr 2006 -, das relevante Jahr für die Prognosen über den künftigen Finanzaufwand der Pflegevorsorge in Österreich.

Die wesentlichen Probleme, die die Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern laut den Angaben der jährlichen Berichte des Arbeitskreises für Pflegevorsorge erschweren, sind folgende: (1) keine einheitliche Aufteilung zwischen den Leistungen für alte und behinderte Menschen, (2) keine einheitliche Aufteilung zwischen stationären, teilstationären und ambulanten Leistungen (so werden in einigen Bundesländern die teilstationären Dienste nicht explizit erfasst), (3) unterschiedliche Kostenerfassung nach Bezieherkreis – manche Bundesländer weisen nur die Kosten für Pflegegeldbezieher aus, manche die für Pflege- und Nicht-Pflegegeldbezieher, (4) auch innerhalb der Bundesländer gibt es Datenbrüche zwischen den Jahren (Beispiele aus einzelnen Bundesländern: ab 2006 Datenübermittlung nur für Pflegegeldbezieher, davor auch für andere; ab 2005 im stationären Bereich auch die teilstationären Leistungen enthalten, davor getrennt) (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, März 2008, S. 2).

2.2. Literaturrecherche

Der Suchbegriff „Das Pflegetagebuch für pflegende Angehörige“ ergab nur einen empirischen Treffer in deutschsprachigen Datenbanken.

Mair und Mayer-Kleiner (2007, S. 141) empfehlen jedoch, dass pflegende Angehörige über die Pflege- und Betreuungsleistungen Aufzeichnungen führen sollen. Diese sind im Sinne einer Qualitätssicherung der Pflegegeldeinstufung für Österreich notwendig.

2.2.1. Dokumentation pflegender Angehöriger

Zur Dokumentation der pflegenden Angehörigen über Pflege- und Betreuungsleistung berichten Mair und Mayr-Kleiner, 2007:

Nur sieben pflegende Angehörige (11,3 %) dokumentieren ihre Pflege- und Betreuungsleistungen (S. 118).

Seit 1993 ist die Dokumentation im Rahmen institutioneller Pflege laut Gesundheits- und Krankenpflegegesetz für professionell Pflegende verpflichtend. Diese Regelung gilt nicht für pflegende Angehörige im extramuralen Bereich. Für eine korrekte Pflegegeldeinstufung wäre es jedoch sinnvoll, dass auch pflegende Angehörige eine Dokumentation über ihre Pflege- und Betreuungsleistungen führen und somit ihren Pflegeaufwand nachweisen könnten.

Schlussfolgerung: Tagebücher können als primäre Methode der Datensammlung in der Pflegeforschung verwendet werden, weil sie subjektive Kenntnis der Erfahrungen, Emotionen und Meinungen vermitteln, die mit Pflege einhergehen. Ihre Verwendung kann zu einem hohen Maß an Motivation führen, und die Fähigkeit zu reflektieren fördert erfolgreiches Schreiben (Välimäki T. et al, 2007, S. 1).

Der Medizinische Dienst der Kassen in Deutschland (MDK) empfiehlt pflegenden Angehörigen, ein „Pflegetagebuch“ zu führen. Laut König (2004) nimmt in Deutschland das Pflegetagebuch einen wichtigen Stellenwert bei der Einstufung der Pflegebedürftigkeit durch den MDK ein. Mit Hilfe dieser Aufzeichnungen kann der tatsächliche Pflegeumfang glaubhaft nachgewiesen werden. Die Aufzeichnungen sind für den Gutachten, der seine Expertise in der Regel auf Grund eines einzigen Hausbesuches erstellt und dabei nur eine “Momentaufnahme“ aus dem Alltag des Pflegebedürftigen erlebt, eine wertvolle Entscheidungshilfe (Mair, Mayer-Kleiner, 2007, S. 141).

2.2.2. Gruppe pflegender Angehöriger

„Pflegende Angehörige sind der größte „Pflege- und Betreuungsdienst“, und stellen aus ökonomischer Sicht für den Staat und somit für die Volkswirtschaft ein immenses personelles wie auch finanzielles Potential dar“ (ÖBIG, 2005, S. III).

Derzeit sieht die Situation folgend aus:

Mehr als 80 % aller älteren und pflegebedürftigen Menschen werden im häuslichen Bereich von Angehörigen pflegerisch betreut.

Fast 80 % der Hauptbetreuungspersonen von Pflegegeldbeziehern sind weiblich.

40 % aller Betreuungsleistungen werden von Ehe- bzw. Lebenspartner erbracht, mehr als ein Viertel von Kindern für ihre Eltern.

30 % aller Hauptpflegepersonen gehen derzeit einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach.

Rund ein fünftel der Betreuungspersonen verfügt über kein eigenes Einkommen. 91 % davon sind Frauen.

Fast ein fünftel der Betreuungspersonen verfügt über keinerlei Pensionsversicherung.

45 % aller Hauptpflegepersonen sind 60 Jahre und älter.

Pflegende Männer sind meist über 60 und nicht mehr erwerbstätig.

Dreiviertel aller Betreuungspersonen versorgen Pflegegeldbezieher der Pflegestufen eins bis drei, ein fünftel kümmert sich um Pflegegeldbezieher der Stufen vier und fünf und sieben Prozent um Pflegegeldbezieher der beiden höchsten Pflegestufen.

In 25 % der Fälle werden mobile Dienste in Anspruch genommen (vor allem Hauskrankenpflege, Heimhilfe, Essen auf Räder).

(Fenzl R., 2008, S. 20)

2.2.3. Belastungen pflegender Angehöriger

Die größten Probleme, mit denen pflegende Angehörige zu kämpfen haben, sind die Belastungen auf mehreren Ebenen. Die psychischen, körperlichen, sozialen und wirtschaftlichen Belastungen sind nicht zu unterschätzende Faktoren, die einen hohen Druck für Pflegende darstellen.

„Das Thema „Pflegebedarf“ muss deshalb öffentlich gemacht werden“, fordert auch Amann. „Vereine stellen eine starke Lobby dar und sollten unterstützt werden. Lobbying für pflegebedürftige Menschen sollte durch Opinionleaders, Vereine und Selbsthilfegruppen erfolgen. Vor uns steht, wie eine für alle sichtbare Zielflagge, die Notwendigkeit radikalen gesellschaftlichen Umdenkens. Wesentlich ist auch in diesem Zusammenhang eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Mit bewusstseinsbildenden Aktionen sollte die Pflegebedürftigkeit und der Pflegebedarf enttabuisiert werden“ (Amann A., 2004, S. 209).

2.3. Übersicht von Studien zur Erfassung von Pflegebedürftigkeit im informellen Netzwerk

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: ausgewählte Studien

2.3.1. Messbarkeit von informeller Pflege: eine empirische Studie betreffend die valide Messbarkeit des Zeitaufwandes für informelle Pflegetätigkeiten (Kurzfassung des englischen, übersetzten Inhaltes)

Van den Berg B., Spauwen P. (2006)

Centre of Health Economics Research and Evaluation, Faculty of Business, University of Technology, Sydney, Australia. Bernard.vandenBerg@chere.uts.edu.au

Die Einbeziehung informeller Pflege in betriebswissenschaftliche Evaluationen von Krankenpflege ist schwierig. Es geht dabei hauptsächlich um die Einschätzung von Zeit, die für informelle Pflegetätigkeiten aufgewendet wird, während die Zeitmessung, ein damit zusammenhängender und vielleicht wichtigerer Faktor, eher vernachlässigt wird.

Valide Zeitmessung ist eine notwendige Voraussetzung für die richtige Einschätzung von informeller Pflege. In diesem Papier werden zwei Methoden der Zeitmessung verglichen und bewertet: das Tagebuch, das als höchster Standard angesehen wird, und die nachträgliche Erfassung aus dem Gedächtnis, die öfter angewendet wird. Das Hauptziel dieses Vergleiches ist, die Validität der Zeitmessung für informelle Pflegetätigkeiten zu erkennen. Außerdem liefert dieses Papier den empirischen Beweis bezüglich der Messung von ineinander übergehender Leistungen und der Trennung zwischen „normaler“ und zusätzlich aufgewendeter Haushaltsarbeit, die durch den Pflegebedarf einer zu pflegenden oder zu betreuenden Person nötig ist. Schließlich wird die Test-Retest-Stabilität für die Erinnerungsmethode bewertet.

Insgesamt 199 Personen, die informelle Pflegetätigkeiten an einem heterogenen Teil der Bevölkerung ausüben, führten Tagebuch und füllten den Erinnerungs-Fragebogen aus. Ergänzt um die ineinander übergehenden Leistungen, wendeten informelle Pflegekräfte fast 5,8 Stunden pro Tag für informelle Pflegeleistungen auf. Wenn man davon ausgeht, dass die Testpersonen die sich überschneidenden Leistungen beim Ausfüllen des Erinnerungs-Fragebogens berücksichtigen, ist die Erinnerungsmethode, verglichen mit dem Tagebuch, ein valides Instrument der Zeitmessung für informelle Pflegetätigkeiten. Andererseits werden bei der Erinnerungsmethode die Zeitwerte für informelle Pflege zu hoch eingeschätzt. Darüber hinaus erweist sich die Erinnerungsmethode auf die Dauer als uneinheitlich. Dies könnte am Lerneffekt, der im Zuge der Führung eines Tagebuches stattfindet, liegen.

2.3.2. Tagebücher als Datengrundlage in einer Studie über pflegende Angehörige von Menschen mit Alzheimer-Krankheit: methodologische Fakten (Kurzfassung des englischen, übersetzten Inhaltes)

Välimäki T., Vehviläinen-Julkunen K., Pietilä A.M. (2007)

Department of Nursing Science, University of Kuopio, Finland. tarjavalimaki@uku.fi

Ziel: Dieses Papier beinhaltet eine Diskussion der Verwendung von unstrukturierten Tagebüchern und ihre Vor- und Nachteile als primäre Forschungsdaten in einer Studie über pflegende Angehörige von Menschen mit Alzheimer-Krankheit.

Hintergrund: Die Tagebücher von Pflegepersonen wurden selten benutzt für Studien über das subjektive Erleben pflegender Angehöriger, die ein Familienmitglied mit Alzheimer haben.

Methode: pflegende Angehörige schrieben zwischen 2002 und 2004 2 Wochen lang unstrukturierte Tagebücher. Sie begannen damit innerhalb von 6 Monaten nach der Diagnose der Alzheimer-Krankheit bei einem Familienmitglied. Die pflegenden Angehörigen (n = 83) nahmen freiwillig an einer laufenden Interventionsstudie teil (Patienten n = 241, Pflegende n = 241). Die Tagebücher wurden mittels inhaltlicher Analyse ausgewertet.

Ergebnisse: Die Tagebuchdaten wurden in die folgenden vier verschiedenen Kategorien eingeteilt: spärlich, berichtend, beschreibend und reflexiv. Sie beschrieben die Erfahrungswelt der pflegenden Angehörigen und die Änderungen, die sich darin ergaben. Die pflegenden Angehörigen erlebten das Tagebuchschreiben als therapeutisch sinnvolle und angenehme Erfahrung. Die Verwendung von geschriebenen Tagebüchern birgt den Nachteil hoher Abhängigkeit von den Verfassern und der Verfügbarkeit von Daten nur in schriftlicher Form. Es sollte versucht werden, Daten im persönlichen Gespräch zu bestätigen.

2.3.3. Messung von Zeitaufwand für informelle Pflege in einer Studie mit Demenzpatienten (Kurzfassung des englischen, übersetzten Inhaltes)

Neubauer S., Holle R., Menn P., Grossfeld-Schmitz M., Graesel E. (2008)

Heimholtz-Zentrum München, Institute of Health Economics and Health Care Management, Neuherberg, Deutschland. Simone.neubauer@helmholtz-muenchen.de

Hintergrund: frühere Bewertungen von Zeitaufwand für informelle Pflegetätigkeiten neigten dazu, nur den Zeitaufwand zu berücksichtigen, der von der primären Pflegeperson erbracht wurde. Aber in vielen Fällen üben mehr als eine Person Pflegetätigkeiten für einen Patienten aus. Wir bewerten die gesamte informelle Pflegezeit für Personen, die Demenzpatienten pflegen und schätzen den Bias ein, der entstehen kann, wenn nicht der Zeitaufwand aller beteiligten Pflegepersonen berücksichtigt wird.

Methode: Wer verwendeten eine erweiterte Version der Fragen zu informeller Pflegezeit aus dem Instrument des Resource Utilization in Dementia (RUD). Pflegepersonen wurden gebeten, die Anzahl der Tage und die Stunden an einem typischen Tag anzugeben, an dem sie dem Patienten bei Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL), instrumentalen ADL (IADL) während der letzten vier Wochen unterstützt und beaufsichtigt hatten. Multivariate regession analyses wurden durchgeführt, um Faktoren zu identifizieren, die zur Berechnung von informeller Pflegezeit herangezogen werden können.

Ergebnisse: 357 informelle Pflegende nahmen teil. Von nur 4,5 % aller Interviews fehlten die Werte. Im Durchschnitt wandte die primäre informelle Pflegeperson 1,5, 2,1 und 1,9 Stunden pro Tag für ADL, IADL bzw. Beaufsichtigung auf. 57 % aller Patienten hatten mehr als eine informelle Pflegeperson. Die Gesamtzeit für informelle Pflege wurde um ca. 14 % zu niedrig eingeschätzt, wenn der Zeitaufwand anderer Pflegender als der primären Pflegeperson nicht mitberechnet wurde. Die Zeit für informelle Pflegetätigkeiten war erheblich höher, wenn die Pflegeperson gleichzeitig Lebenspartner des Patienten war und der Gesundheitszustand des Patienten schlechter war.

Schlussfolgerung: Unser Ergebnis zeigt, dass die meisten vorherigen Studien wahrscheinlich die Kosten für informelle Pflegetätigkeiten zu niedrig einschätzten, weil der Zeitaufwand anderer Pflegender als der primären Pflegeperson nicht berücksichtigt wurde.

2.4. Grundlegende Begriffserklärungen

Da diese Arbeit speziell auf den Pflegebereich ausgerichtet ist, ist es erforderlich, manche Begriffe einer Klärung zuzuführen. Darunter fallen Termini wie:

pflegende Angehörige, Pflegetagebuch, Pflegebedürftigkeit, Pflegeassessment, Definition: Einteilungsstufen des Selbständigkeitsgrades

2.4.1. Definition pflegende Angehörige

Die häusliche Pflege von kranken gebrechlichen Familienangehörigen gehört in den meisten Familien nach wie vor zum Aufgabenbereich der Frau: Drei Viertel aller privaten Hauptpflegepersonen sind Frauen. Doch zeichnet sich hier eine gesellschaftliche Entwicklung zur stärkeren Einbeziehung der Männer ab: Waren 1991 nur 17 % der Hauptpflegepersonen Männer, wuchs ihr Anteil auf 27 % im Jahr 2002 (Schneekloth, 2006). Diese Veränderung zeigt sich insbesondere bei den Söhnen: 1991 übernahmen in 3 % Söhne die Versorgung eines pflegebedürftigen Familienangehörigen hauptverantwortlich, 2002 in 10 % der Fälle.

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Details

Titel
Das Pflegetagebuch für pflegende Angehörige. Ressourcenerhebung von zu Hause lebenden pflegebedürftigen Personen
Autoren
Jahr
2015
Seiten
83
Katalognummer
V295009
ISBN (eBook)
9783656932918
ISBN (Buch)
9783656932925
Dateigröße
601 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pflegetagebuch, Pflegende Angehörige, Pflege zuhause, Ressourcenerhebung, Pflegebedürftige, Pflegeassesment
Arbeit zitieren
Christine Pöschl (Autor:in)Attila Czirfusz (Autor:in), 2015, Das Pflegetagebuch für pflegende Angehörige. Ressourcenerhebung von zu Hause lebenden pflegebedürftigen Personen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295009

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