Schönheit als Freiheit in der Erscheinung? Eine kritische Analyse Schillers Deduktion eines objektiven Schönheitsbegriffs in den Kallias-Briefen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

18 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Entstehung, Einordung, These und Gegner
2.1 Entstehung und Einordnung
2.2 These und Gegner Brief vom 25. Januar

3 Die Argumentation
3.1 Die praktische Vernunft als Bedingung von Schönheit Brief vom 8. Februar
3.2 Kustmäßigkeit als Bedingung von Schönheit Briefe vom 18., 19. und 23. Februar
3.3 Die Natur schöner Gegenstände Brief vom 23. Februar

4 Das Scheitern der Argumentation
4.1 Einwand I
4.2 Einwand II
4.3 Einwand III

5 Schluss

Primärliteratur

Sekundärliteratur

1 Einleitung

In einem Schreiben vom 15. August 1795 wird Friedrich Schiller von Wilhelm von Humboldt folgendes über seine ästhetischen Briefe berichtet:

„Herz sagte mir, nach dem gewöhnlichen Tribut des Lobes, er verstehe sie [die ästhetischen Briefe, M.R.] nicht, und es sey eine schlimmere Undeut- lichkeit als z.B. im Kant. In diesem läse man mit großer Schwierigkeit und bleibe bei jedem Satz zweifelhaft stehen. Aber wenn man sich durchschlü- ge, nun so wisse man deutlich, was man gelesen habe. Bei Ihnen empfinge man sehr leicht jeden einzelnen Satz und glaube alles gleich zu fassen, aber frage man sich hernach, was man gelesen habe? so wissen man es nicht auszudrücken.“1

Wie Dieter Heinrich festhält, spricht aus diesem Urteil „eine Erfahrung [...], die ein jeder machen muß der es unternimmt, die philosophischen Schriften Schillers auf ih- re theoretische Grundlage und systematische Struktur hin zu interpretierten.“2 Dieser Schwierigkeit zu begegnen und Friedrich Schillers Kallias-Briefe (1793) auf „ihre theo- retische Grundlage und systematische Struktur hin zu interpretieren“ ist der Anspruch dieser Arbeit. Schillers im Kallias unternommener Versuch, einen objektiven Schön- heitsbegriff zu formulieren, soll dabei folgendermaßen dargestellt und kritisch analy- siert werden:

In Abschnitt 2.1 Entstehung und Einordnung wird zunächst ein Überblick über die Genese und den Status der Kallias-Briefe innerhalb des Werks Friedrich Schillers gegeben. Die in den Kallias-Briefen aufgestellte These soll in Abschnitt 2.2 These und Gegner in Abgrenzung zu den damit einhergehenden gegnerischen Positionen vorgestellt werden.

In Kapitel 3 Die Argumentation wird eine systematische Darstellung des Argumen- tationsverlaufs in den Kallias-Briefen gegeben. Dafür wird in Abschnitt 3.1 Die prak- tische Vernunft als Bedingung von Schönheit Schillers transzendentale Dedukti- on der regulativen praktischen Vernunft als Bedingung der Möglichkeit eines objektiven Schönheitsbegriffs nachvollzogen. In Abschnitt 3.2 Kunstmäßigkeit als Bedingung von Schönheit wird anschließend eine notwendige, von ästhetischen Gegenständen zu erfüllende, Bedingung für Schönheit vorgestellt. In Abschnitt 3.3 Die Heautonomie schöner Gegenstände werden die aus Punkt 3.1 und 3.2 gezogenen Schlüsse zusam- mengeführt und Schönheit wird als Natur in der Erscheinung definiert. In Kapitel 4 Das Scheitern der Argumentation soll, an den Nachvollzug der Schil- lerschen Argumentation anschließend, gezeigt werden, weshalb Schiller mit seiner For- mulierung eines objektiven Schönheitsbegriffs scheitert. Dafür wird für jeden der in Kapitel 3 Die Argumentation dargestellten drei Argumentationsschritte ein Ein- wand formuliert.

2 Entstehung, Einordung, These und Gegner

Am 21. Dezember 1792 schreibt Schiller in einem Brief an seinen Freund, den Ministerialbeamten Christian Gottfried Körner, folgende Worte:

„Ueber die Natur des Schönen ist mir viel Licht aufgegangen, so daß ich Dich für meine Theorie zu erobern glaube. Den objectiven Begriff des Schönen, der sich eo ipso auch zu einem Objektiven Grundsatz des Geschmacks qua- lificirt und an welchem Kant verzweifelt, glaube ich gefunden zu haben. Ich werde meine Gedanken darüber ordnen und in einem Gespräch: Kallias oder über die Schönheit, auf die kommenden Ostern herausgeben.“3

Im Folgenden soll kurz dargestellt werden, wie sich das von Schiller in dem Brief an Körner angekündigte Kallias-Projekt entwickelt und welche Gegner der philosophischen Ästhetik er sich damit gewählt hat.

2.1 Entstehung und Einordnung

Das in diesem Zusammenhang Erarbeitete ist im Umfang als „ein ordentliches Buch von der Größe des Geistersehers“4 geplant. Schiller unterstreicht, wie wichtig er es mit der Arbeit am Kallias hält, damit, dass er kundgibt zu hoffen, nur lange genug gesund zu bleiben, um die Arbeit daran beenden zu können.5 Mit einem Brief am 25. Januar 1793 beginnt Schiller anschließend, Körner seine angekündigte Theorie des Schönen darzustellen und lässt ihm diese betreffend noch fünf weitere Briefe zukommen. Zu der im Brief vom 21. Dezember angekündigten Veröffentlichung kommt es jedoch nie — erst 1847, mehr als 40 Jahre nach Schillers Tod, wird der Kallias, im Rahmen der Erstausgabe des Briefwechsels zwischen Schiller und Körner, bekannt.6 Für das Ausbleiben der Publikation und der, nach dem Brief vom 28. Februar 1793 ab- gebrochenen, Ausbreitung Schillers Theorie über das Schöne, lassen sich zwei Gründe anführen:

1. Schillers gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich im März 1793 drastisch, so dass er sich, von Schwächeanfällen geplagt, nur mit Mühe seiner Arbeit widmen kann.7
2. Schiller wendet sich bereits zeitnah nach dem letzten dokumentierten Brief zum Kallias an Körner anderen Schriften zu: Der Beginn der Arbeit an den Augustenburger Briefen ist auf Februar 1793 anzusetzen, die Abhandlungen Über Anmut und Würde und Vom Erhabenen für Schillers Zeitschrift Thalia sind auf Frühjahr 1793 zu datieren.8 Dies lässt die Vermutung zu, dass die Arbeit am Kallias zugunsten anderer Arbeiten zurückgestellt9 und anschließend nicht mehr aufgenommen wurde, weil andere Werke im Vordergrund standen.

Dass es auch theoretische Probleme in der Argumentation des Kallias gegeben hat, derer sich Schiller erst während der schriftlichen Ausbreitung seiner Gedanken im Rah- men der Briefe an Körner bewusst geworden ist, stellt einen dritten möglichen Grund dar, weshalb eine Fortsetzung und eine Publikation der Briefe ausgeblieben ist.10 Dem entgegen steht jedoch, dass Schiller noch im März 1793 den befreundeten Maler Johann Heinrich Ramberg um eine Zeichnung für die Publikation der Kallias-Briefe gebeten hat.11

Größere Erwähnung findet der Kallias ein letztes Mal in einem Brief an Körner Ende 1793, in dem Schiller seinen Freund im Zuge der Arbeit an den Augustenburger Briefen 1791 beim Besuch einer Sitzung der „Akademie der nützlichen Wissenschaften“ einen gesundheit- lichen Zusammenbruch von dem er sich Zeit seines Lebens nicht erholen konnte. Gefolgt von der Beschädigung mehrerer unterer Organe und des Rippenfells markierte die vom Arzt als Lungen- entzündung diagnostizierte Krankheit den Anfang chronisch werdenden Fiebers und Katarrhs. Vgl. Oellers (2006)[7], S. 73 f.

um „das Original oder die Copie“12 seiner damaligen Gedanken bittet. Dies wiederum bezeugt, dass der Kallias, auch wenn Fragment und unveröffentlicht geblieben, nicht zu wenig Bedeutung innerhalb der philosophisch-ästhetischen Schriften Schillers beigemes- sen werden sollte: Die aus einer Überarbeitung der Augustenburger Briefe entstandene Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Brie- fen, kann mit Hans Feger zu Recht als „die wohl wichtigste kunsttheoretische Schrift Schillers“13 gesehen werden.

2.2 These und Gegner Brief vom 25. Januar

In dem ersten Brief zur Kallias-Thematik vom 25. Januar 1793 stellt Schiller gleich zu Anfangs das Ziel seiner Untersuchung vor: Seine Bestrebungen sollen dem Projekt gewidmet sein, „einen Begriff der Schönheit objectiv aufzustellen und ihn aus der Natur der Vernunft völlig a priori zu legitimiren, so daß die Erfahrung ihn zwar durchaus bestätigt, aber daß er diesen Ausspruch der Erfahrung zu seiner Gültigkeit gar nicht nöthig hat“14.

Vor philosophiehistorischen Hintergrund ist dies im Besonderen aufgrund der kritischen Philosophie Immanuel Kants (1724 - 1804) kein bescheidenes Unterfangen. Schiller hat dessen Kritik der Urteilskraft ab 1791 begeistert gelesen15 und seine Lektüre von Kants letzter Kritik markiert den Beginn einer äußerst intensiven kunsttheoretischen Phase.16 Dennoch stellt sich Schiller mit seinem Anliegen gegen die Möglichkeiten, die Kant einem objektiven Schönheitsbegriff a priori einräumt:

„§ 34. Es ist kein objectives Princip des Geschmacks möglich: Un- ter einem Princip des Geschmacks würde man einen Grundsatz verstehen, unter dessen Bedingung man den Begriff eines Gegenstandes subsumiren, und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er schön sei. Das ist aber schlechterdings unmöglich. Denn ich muß unmittelbar an der Vorstellung desselben die Lust empfinden, und sie kann mir durch keine Beweisgründe angeschwatzt werden.“17

Kant vertritt in seiner Kritik der Urteilskraft die Auffassung, dass das Schöne ohne Begriff gefällt, „[d]enn von Begriffen giebt es keinen Übergang zum Gefühle der Lust oder Unlust.“18 Schiller nennt die kantische Position deshalb subjektiv. Schiller klassifi- ziert den kantischen Standpunkt außerdem als rational, da er „die Unmittelbarkeit des Schönen“ nicht ausschließlich auf die „bloße Affectibilität der Sinne“19 bezieht. Die Reduzierung von Schönheit auf die „bloße Affectibilität der Sinne“ schreibt Schil- ler Edmund Burke (1729 - 1797) und dessen Philosophischen Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Schönen und Erhabenen zu. Er spricht damit eine empirisch-sensualistische Ästhetik an, nach welcher das Schöne direkt auf die Empfin- dung des Menschen wirkt. Dabei wird von einem auf Gefühlen gründenden subjektiven Geschmacksurteil ausgegangen.20 Schiller ordnet Burke deshalb als sinnlich und sub- jektiv ein.

Eine andere, der sensualistischen entgegengesetzte, Position beschreibt Schiller als ra- tional und objektiv : Die des Urhebers der philosophischen Ästhetik Alexander Gottlieb Baumgartens (1714 - 1762), des Aufklärungsphilosophen Moses Mendelssohns (1729 - 1786) und die der „ganze[n] Schaar der Vollkommenheitsmänner“21, womit Schiller Chr- sitian Wolff (1679 - 1754) und dessen Anhänger und Schüler bezeichnet.22 Von Sigbert Latzel als „rationalistische Position“ zusammengefasst23, zeichnet sich dieser Stand- punkt dadurch aus, dass der Begriff „schön“ unter den Begriff „vollkommen“ subsu- mierbar ist. Demnach ist ein Gegenstand schön, wenn er sinnlich vollkommen genannt werden kann. Das Gefühl der Lust an schönen Gegenständen ist dann die Erkenntnis der Vollkommenheit dieser Gegenstände. Diese kann dabei durch das Aufweisen be- stimmter Merkmale eines Gegenstandes objektiv festgestellt werden.24

[...]


1 NA 35, S. 282, 35 ff. Anm.: Die Werke und Briefe Schillers, sowie die an Schiller gerichteten Brie- fe werden zitiert nach der Schiller Nationalsausgabe (Band, Seitenzahl, Zeilenzahl). Die Werke Immanuel Kants werden zitiert nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wis- senschaften (Band, Seitenzahl, Zeilenzahl).

2 Heinrich (1957)[5], S. 527.

3 NA 26, S. 170 f., 27 ff.

4 NA 26, S. 171, 6 f. Die nie vollendete und zwischen 1787 und 1789 in Schillers Zeitschrift Thalia erschienene Erzählung Der Geisterseher beträgt in der Nationalausgabe ca. 130 Seiten. Vgl. NA 16, S. 45 ff.

5 Vgl. Brief vom 11. Januar 1793: „Oft wünsche ich mir, daß mir meine Gesundheit auch nur so lang bleiben möchte, bis dieser Callias geendigt ist.“ NA 26, S. 174, 6 ff. Schiller erlitt am 3. Januar

6 Dommes (2005)[2], S. 383. Die Kallias-Briefe werden deshalb unterschiedlich editiert: Als Teil des Briefwechsels, wie in der in der zitierten Nationalausgabe, oder als eigenständiges Werk, so etwa in der Frankfurter Ausgabe.Vgl. Dommes (2005)[2], S. 383.

7 Vgl. Wais (2005)[9], S. 163 f., Dommes (2005)[2], S. 383.

8 Vgl. Wais (2005)[9], S. 162 ff.

9 Vgl. Brief vom 5. Mai an Körner: „Gerne hätte ich unseren ästhetischen Briefwechsel wieder fortge- setzt, aber einige dringendere Arbeiten müssen noch vorher expedirt seyn.“ NA 26, S. 239 f., 24 ff.

10 Dass es diese theoretische Probleme gibt, wird sich im Laufe der Arbeit zeigen.

11 Vgl. Wais (2005)[9], S. 163.

12 NA 26, S. 336, 8 f.

13 Feger (2005)[4], S. 444.

14 NA 26, S. 175, 18 ff.

15 Wais (2005)[9], S. 144. Vgl. Schillers Brief vom 3. März 1791 an Körner: „Seine Critik der Urtheils- kraft [...] reißt mich hin durch ihren neuen lichtvollen geistreichen Inhalt und hat mir das große Verlangen beygebracht, mich nach und nach in seine Philosophie hinein zu arbeiten.“ NA 26, S. 77, 44 ff.

16 Vgl. Feger (2005)[4], S. 440. So entstehen neben den Kallias-Briefen u.a. die Abhandlungen Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1791), Über tragische Kunst (1791/1792), Über Anmut und Würde (1793), Über das Pathetische (1793) und die Augustenburger Briefe (1793).

17 AA 5, S. 285, 26 ff. Ebenso ausdrücklich in § 32 „Denn darin besteht eben das Geschmacksurtheil, daß es eine Sache nur nach derjenigen Beschaffenheit schön nennt, in welcher sie sich nach unserer Art sie aufzunehmen richtet.“ AA 5, S. 282, 8 ff.

18 AA 5, S. 211, 30 f.

19 NA 26, S. 176, 10 ff.

20 Vgl. Latzel (1975)[6], S. 244.

21 NA 26, S. 176, 2 f.

22 Schiller spricht etwas später auch von den “Wolffianern“. Vgl. NA 26, S. 176, 10.

23 Vgl. Latzel (1975)[6], S. 243.

24 Vgl. Latzel (1975)[6], S. 243.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Schönheit als Freiheit in der Erscheinung? Eine kritische Analyse Schillers Deduktion eines objektiven Schönheitsbegriffs in den Kallias-Briefen
Hochschule
Universität Mannheim
Autor
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V294691
ISBN (eBook)
9783656924722
ISBN (Buch)
9783656924739
Dateigröße
883 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schönheit, Ästhetik, Objektive Schönheit, Schiller, Kallias-Briefe
Arbeit zitieren
Maximilian Reisch (Autor:in), 2014, Schönheit als Freiheit in der Erscheinung? Eine kritische Analyse Schillers Deduktion eines objektiven Schönheitsbegriffs in den Kallias-Briefen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/294691

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