Selbstthematisierung im französischen Rap

Besondere Berücksichtigung des Metapherngebrauchs


Bachelorarbeit, 2013

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. HipHop als Kulturphänomen
2.1 Verbreitung in Frankreich

3. Annäherung an den Begriff Metapher
3.1 Funktion von Metaphern

4. Selbstthematisierung im französischem Rap
4.1 Stile des rapfrançais
4.2 Rapper als Randgruppe und als Teil einer Gemeinschaft
4.3 Rapper als Kritiker sozialer und politischerVerhältnisse

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

2006 erschien in Frankreich ein Film, der nicht nur eine nationale Debatte über den Beitrag der Kolonialsoldaten auslöste, sondern allgemein den ohnehin nie zur Ruhe kommenden Immigrationsdiskurs in Frankreich anregte. In dem Film Indigènes von Rachid Bouchareb geht es um vier Berber, die sich 1943 der französischen Armee anschlossen, um für ein Land zu kämpfen, welches sie noch nie betreten hatten: Ein Thema, welches auch von vielen sozialkritischen Franzosen unbeachtet bleibt, wenn es um die Legitimität der Präsenz afrikanischer und arabischen Migranten und ihrer Nachfolger in Frankreich geht. Der Regisseur, selber mit algerischer Herkunft, formuliert das Ziel seines Filmes wie folgt:

Mon premier besoin, c'était de comprendre ma propre histoire. Qu'avaient vécu nos ancêtres, à nous enfants d'immigrés, sous la colonisation ? Quel rôle ont joué nos grands-parents et nos parents dans la guerre et puis la reconstruction de la France ? [...] C'est un acte général d'affirmation de notre identité française, pour tous les fils de l'immigration![1]

Dies war sicherlich nicht der erste Anlauf die anscheinend „vergessene“ Geschichte neu aufzuarbeiten und so auf die aktuelle politische und soziale Situation einzuwirken. So gibt es mittlerweile eigenständige künstlerische Genres (littérature beur, cinéma beur), die alltägliche Probleme der späteren Einwandergenerationen wie Rassismus und Arbeitslosigkeit, aber auch die Schwierigkeiten der Identitäts­und Selbstfindung oder der Transkulturalität thematisieren. In diese literarische und filmische Aufarbeitung lässt sich auch ein musikalisches Pendant einreihen: der rap français. Meist unmittelbar von Jugendlichen mit Migrationshintergrund kommend, liefern die Lieder einen direkten Einblick in ihr Innen - und Außenleben. Der Großteil dieser Texte beinhaltet eine Message, eine Intention, denn für diese Künstler stellen sie eine (seltene) Gelegenheit da, ihr Anliegen vor einem breiten Publikum kundzutun und möglicherweise zu erreichen, dass sich die Gesellschaft mit den thematisierten Problemen, Stimmungen und Meinungen auseinandersetzt. Aus diesem Grund hat sich Rap heute als ein sehr starkes Ausdrucksmedium für die multikulturelle Jugend Frankreichs etabliert; er symbolisiert die Sprachkultur der sozial Ausgegrenzten und kann deshalb keinesfalls zu einer „zeitgenössischen Modeerscheinung“ degradiert werden, wie es in den Medien oft geschieht. Dass Rap aber nicht nur ein musikalisches, sondern vor allem auch ein kulturwissenschaftliches Phänomen ist, zeigt sich auch in der stetig steigenden Anzahl wissenschaftlicher Werke zu diesem Thema und vor allem auch an der aktiven Einwirkung und Beeinflussung vergangener, aktueller und kommender Jugendkultur über die Grenzen Frankreichs hinaus.[2]

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Selbstthematisierung der französischen Rapper, welche im HipHop untrennbar mit der Selbstdarstellung und - inszenierung verknüpft ist.[3] Es soll der Versuch unternommen werden den Forschungsgegenstand rap français mit der Forschungsmethode der Metapheranalyse zu verbinden. Da der Sprecher sich oft nicht darüber bewusst ist, dass er Metaphern benutzt, was aber nicht impliziert, dass Metaphern „willkürlich“ gewählt werden, eröffnet die Metaphernanalyse eine Möglichkeit, unbewusste Einstellungen oder verborgene Vorstellungshorizonte herauszuarbeiten. Sie kann zeigen, wie „verschiedene Assoziationen aufeinander bezogen werden und sich gegenseitig erklären, beeinflussen und verändern“[4]. „Welches Selbstbild wird in französischen Raptexten konstituiert und welche Rolle spielen Metaphern dabei?“ lautet die Fragestellung, die im Fokus dieser Arbeit steht. Um zu untersuchen, ob es universelle[5] Konzepte bezüglich der Selbstthematisierung im französischen Rap gibt, wurden im Vorfeld 15 Alben französischer Künstler ausgewählt und mit dem Voyant-Tool[6] analysiert. Dabei wurde darauf geachtet, dass im Textkorpus die Vielfalt der französischen Rapszene widergespiegelt wird: Vertreten sind Texte von männlichen und weiblichen Künstlern, die unterschiedlichen Stilarten des Rap zugeordnet werden können, verschiedene Migrationshintergründe haben, aber allesamt in der Öffentlichkeit stehen.[7]

Eine allgemein gültige Methode der Metaphernanalyse gibt es nicht, lediglich einige Versuche. Zwar setzt sich Schmitt dafür ein, „die Metaphernanalyse als überprüfbare Methode, nicht als interpretatorisches Kunsthandwerk zu etablieren“[8], doch es existieren immer noch keine „Werkzeuge“, mit denen empirische Daten zuverlässig zu wissenschaftlichen Ergebnissen verwendet werden können. Viele Metaphernanalysen weisen jedoch in der praktischen Durchführung eine zentrale, gemeinsame Vorgehensweise auf: Die Datenmenge wird strukturiert, in dem sämtliche Metaphern in Bilderfelder sortiert und anschließend interpretiert werden. Dieses Vorgehen wurde auch im Vorfeld dieser Arbeit angewandt. Möchte man die Metaphern im französischen Rap interpretieren, ist es unabdingbar sie in den sozialen, kulturellen und medialen Kontext der HipHop-Kultur zu integrieren. Aus diesem Grund wird im nächsten Kapitel dargestellt, welche Charakteristika die HipHop-Kultur kennzeichnen (2.) und wie und warum sie sich bis nach Frankreich verbreitet hat. Daraufhin erfolgt eine Einführung in die Theorie der Metaphern. Zunächst wird ein umfassender Forschungsüberblick geschaffen, in dem die gängigsten Ansätze vorgestellt werden (3.), anschließend werden die Funktionen von Metaphern thematisiert (3.1). Nach dem das Fundament des Forschungsgegenstands und der -methode gelegt wurde, werden im Hauptteil (4.) die zwei Selbstbilder vorgestellt, die sich durch die Metaphernanalyse als dominierend herausgestellt haben. Im Fazit wird zunächst abschließend allgemein beurteilt, welche Rolle Metaphern in unserer Kultur spielen und was die Selbstthematisierung der französischen Rapper über ihre die Situation, und repräsentativ für andere Jugendliche mit gleicher sozialer Situation, aussagen und möglicherweise bewirken.

2. HipHop als Kulturphänomen

Die HipHop-Kultur manifestiert sich in mehreren künstlerischen Stilrichtungen, die sich um drei Ausdruckspole gruppieren: den tänzerischen (u.a. Breakdance), den zeichnerischen (Graffiti und tagging) sowie den musikalisch-verbalen (DJing und Rap).[9] Zwar geht es in dieser Arbeit vordergründig um die musikalisch-verbale Komponente, d.h. um den Rap[10] (to rap (engl.) = schwatzen, quatschen), erfolgt dennoch ein umfassender Einblick in die HipHop-Kultur, damit der rap français in seinem Kontext verortet wird. Dazu sollen zunächst die für diese Arbeit relevanten Ergebnisse von Klein und Friedrich zusammengefasst werden, die sich in ihrem Werk „Is it real? Die Kultur des HipHop.“[11] mit der kulturellen Praxis des HipHop beschäftigen. Die dort zentralen Thesen lauten: 1.) HipHop ist eine hybride Kultur. Sie ist aus einer Bewegung ethnischer Minderheiten hervorgegangen und ist bis heute durch ein kulturelles Spannungsfeld zwischen afroamerikanischer „Ghetto-Kultur“ und lokaler Kulturtradition sowie zwischen US-amerikanischer Popkultur und der Herkunftskultur der Jugendlichen geprägt.

2.) HipHop ist eine „glokale “ Kulturpraxis, d.h. sie ist zwar global verbreitet, findet aber in zahlreichen lokalen Neukontextualisierungen ihren Ausdruck und aktualisiert sich so immer wieder neu. Ausgehend von der Annahme, dass HipHop eine globalisierte Kultur sei, die bereits seit ihrer Entstehung als eine Fusion afrikanischer und amerikanischer Kulturtechniken hybrid gewesen war, findet sich das politische Potential des HipHop gerade in seiner Vielfalt. Dabei sehen Klein und Friedrich im Gegensatz zu kritischen Kulturtheorien der Moderne lokale Popkulturen nicht als bloße Repräsentationen einer globalisierten Kultur, sondern vertreten den Standpunkt, dass erst in der performativen lokalen Aushandlung „die global zirkulierenden popkulturellen Symbole wirklich werden, indem sie dort lebensweltlich verankert werden.“[12] Für diese lokale Rezeption spielen sowohl die politischen als auch kulturellen, gesellschaftlichen und medialen Kontexte eine große Rolle. Wie diese unterschiedlichen Kontexte zur stilistischen und thematischen Ausdifferenzierung der Rapmusik führen, wird im nächsten Kapitel ausführlicher dargestellt.

3.) HipHop ist wertekonservativ und leistungsorientiert. Soziale Stabilität, Zusammenhalt und geteilte Ideale spielen eine große Rolle. Die zahlreichen szenespezifischen Veranstaltungen erzeugen „ein kollektives Gefühl von Jugendlichkeit“ und „eine generationsspezifische distinktive Welt, die das soziale Konstrukt Jugend performativ bestätigt.“[13]

Nimmt man die von HipHop eingeforderten kulturellen Praktiken und die spezifische Lebensweise zusammen, dann lässt sich HipHop durchaus im Sinne der Cultural Studies als Kultur definieren, denn er bietet seinen Anhängern spezifische Werte, eine Sprache, Haltungen, Kleidung, kurz: eine ganze Lebensweise, wie auch die spezifischen kulturellen Ausdrucksformen.[14] Das Ziel des HipHop beschreibt der Rapper Doc K von La Brigade, einer multikulturellen Pariser Rapgruppe, als „la revendication positive [...], il visait à canaliser la violence et l’énergie des ghettos américains. On aborde les thèmes qui nous touchent le plus et qui préoccupent la jeunesse.“[15] Wie so oft bei einem Definitionsversuch von HipHop wird hier Bezug auf dessen Entstehungsgeschichte genommen, die in den 1970er Jahren in den Vororten von New York in den USA beginnt. Die zu diesem Zeitpunkt einsetzende Globalisierung provozierte nicht nur die oft damit in Zusammenhang gebrachten Folgen wie internationalen ökonomischen Wettbewerb, technische Innovation, verstärkte Bedeutung der Telekommunikation und damit einhergehende globale Vernetzung, sondern u.a. auch eine umfassende Krise städtischer Agglomerationsräume:

Große industrielle Ballungszentren erleben einen rasanten wirtschaftlichen Niedergang, Kürzungen der Budgets im Bildungs- und Ausbildungssektor beschleunigen die Jugendarbeitslosigkeit. Auf Bandenwesen und Kriminalität folgt eine Militarisierung der Großstädte nach dem Prinzip des Law und Order.[16]

Besonders betroffenen von diesen negativen „Nebenerscheinungen“ der Globalisierung waren ethnische Minderheiten, in den USA vor allem die junge, schwarze und hispanische Bevölkerung. Als Alternative zu Drogenmissbrauch, Kriminalität und Aggressionen entstanden subkulturelle Bewegungen und Szenen (z.B. HipHop in der Bronx, House in Chicago, Techno in Detroit), die auf vielfältige Weise „soziale Erfahrungen in einen ästhetischen Ausdruck“[17] transformierten und sich zu „ethnischen Mikrokosmen“[18] postindustrieller Städte entwickelten. Diese Bewegungen fanden ihren Platz in unmittelbarer Umgebung und im Alltag der Jugendlichen, d.h. in verlassenen Lagerräumen, heruntergekommenen Häuser und Bahnhöfen, in Parks, Sportplätzen und anderen mehr oder weniger öffentlichen Orten. Ein entscheidender Unterschied zu den zu der Zeit entstandenen Popkulturen, ist wohl der Battle-Gedanke, der offene und öffentliche Wettstreit, der alle Elemente der HipHip-Kultur markiert. Die Aggression und physische Gewalt werden so in kreative und ästhetische Energie umgewandelt. Afrika Bambataa (Kevin Donovan, DJ, geb. 1960 in New York) war einer der Ersten, der die sozialen Aspekte dieser Wettkämpfe erkannte. Er setzte sich für ein Ende der zunehmenden Gewalt zwischen den Jugendgangs ein, die in den 1970er Jahren ihren Höhepunkt erlebte. Die von ihm gegründete Zulu-Nation mit ihrer aus 20 Regeln bestehenden Charta ist eine Organisation, die auf positiven moralischen Werten (u.a. Gerechtigkeit, Freiheit, Verständnis) basiert. Das Ziel dieser Gründung war zum einen das Aufheben der ethnischen Trennung der Jugendlichen in den Ghettos und zum anderen das Aufrechterhalten der Zusammengehörigkeit, die für die Gangs entscheidend war.[19] Zwischen 1977 und 1979 wuchsen die gewaltfreien Wettbewerbe des Tanzens, Zeichnens, DJing und Rappens endgültig zu einer HipHop-Bewegung zusammen, die sich aus der Bronx in der gesamten Welt verbreitete.

2.1 Verbreitung in Frankreich

Nach Frankreich kam der HipHop am Anfang der 1980er Jahre, als sich vor allem mit der Gründung freier Radiosender ein verstärktes Interesse an den neuen Musikrichtungen aus den Vororten der USA entwickelte.[20] Es entstanden eigene Radiosendungen der ersten Künstler, wie z.B. Dee Nasty bei Radio Nova, welches auch heute noch zu einem der wichtigsten Radiosender für französischen Rap zählt. Die sogenannte erste HipHop-Generation mit bekannten Künstlern wie MC Solaar, Assassin, Ministère A.M.E.R, IAM sowie Suprême NTM begann sich zu etablieren und erreichte über die Jahre hinweg Kultstatus. Mit der Verbreitung und Durchsetzung kamen aber auch die ersten politischen und juristischen Auseinandersetzungen, die mit Zensurversuchen und Auftrittsverboten einhergingen, aber wiederum den Bekanntheitsgrad der Gruppen steigerten.[21] 1994 wurde nochmals, wenn auch unbeabsichtigt, die Popularisation des französischen HipHop unterstützt. Mit dem Loi Carignon trat eine Regelung in Kraft, die sowohl den privaten als auch den öffentlichen Radiosendern vorschrieb mindestens 40% französischsprachige Musik zu senden. „Ironischerweise profitierten besonders die Rapper von dieser Maßnahme, zumal die Produktion französischer Chansons zu dieser Zeit in einer Krise steckte.“[22] Nach einer anfänglichen Phase der Faszination für afroamerikanische Musik Ende der 1980er Jahre fingen die französischen Jugendlichen an ihren eigenen Stil zu kreieren und lösten sich somit immer mehr von ihren amerikanischen Vorbildern. Ohne Zweifel greift der französische Rap auf vergleichbare Techniken zurück wie der „ursprüngliche“ afroamerikanische, doch seit den 1990er Jahren ist auch eine deutliche eigenständige Entwicklung des französischen Rap zu verzeichnen. Es flossen stark lokale Einflüsse ein, die sich am besten in den sprachlichen Besonderheiten festmachen lassen. In den Texten französischer Rapper findet sich oft eine Kombination verschiedener Sprachen (u.a. Französisch, Arabisch, Englisch, Kreol), Sprachen regionaler Minderheiten (u.a. Bretonisch, Okzitanisch, Provenzalisch) und vor allem „Geheimsprachen“ wie der Verlan, bei dem die Silben eines Wortes umgekehrt werden.[23] Auch inhaltlich passten die Künstler ihre Texte an ihre Lebenssituation an. Dabei knüpft Rap, das gleichwohl „kommerzialisierteste und öffentlichkeitswirksamste Standbein“ des französischen HipHop, „an eine lange Tradition zugleich poetischer, populärer und politischer Lieder“[24] an, die laut Hüser bestehende Verhältnisse nicht nur bloß beklagen, sondern auch verändern wollen:

Während in den Vereinigten Staaten andere Spielarten den aufklärerischen-kämpferischen Rap reichlich Wasser abgegraben haben [...], stellt sich Frankreichs Rap-Szene vergleichsweise engagiert und politisiert dar. [...] Kaum ein Künstler verzichtet darauf, als Sprachrohr, Lehrer und Botschafter der Zukurzgekommenen zu fungieren, Leiden und Anliegen gesellschaftlich Benachteiligter und Ausgegrenzter zu artikulieren. [25]

Hüser sieht somit die französischen Rapper als autorisierte Sprecher der sozial Marginalisierten und reiht sie so in die Tradition der afroamerikanischer Vorreiter ein. Auch Kimminich betont in ihren Werken die Bedeutung des HipHop als „eine Kultur der sozial, ökonomisch und kulturell Ausgegrenzten“[26]. Dies erklärt auch die Tatsache, dass Rap vor allem dort Hochkonjunktur in Frankreich hat(te), wo sich die Bevölkerung an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlt(e) - abgespalten vom kulturellen, sozialen und politischen Leben. Der französische Rap hat sich demnach im Wesentlichen in sozialen Brennpunkten und urbanen Randzonen entwickelt, den sogenannten „quartiers sensibles“, in der Banlieue. Die Texte reflektieren die alltäglichen Probleme der dort lebenden Jugendlichen, berichten über ihre persönlichen Erfahrungen, die u.a. von Drogen, Aids, Kriminalität und sozialer Ungerechtigkeit handeln. Darüber hinaus werden vermehrt tagespolitische und zeithistorische Konflikte und Diskurse (z.B. Rassismus und Kolonialismus) reflektiert.

Nachdem der rap français in seinem Kontext verortet wurde, soll das nächste Kapitel klären, was eine Metapher ist und welche Funktionen sie erfüllt.

3. Annäherung an den Begriff Metapher

Wie der Titel des Kapitels vermuten lässt, gestaltet sich eine universelle Definition des Begriffs Metapher als problematisch. Die ersten Abhandlungen über die Metapher wurden bereits vor über zweitausend Jahren verfasst, doch noch heute beschäftigen sich Philosophen, Kultur-, Literatur-, und Sprachwissenschaftler mit der Frage, wie es sich mit dieser sprachlichen Figur verhält. Bezugnehmend auf die verschiedenen resultierenden Forschungsblickwinkel und -absichten stellt Anselm Haverkamps, Literaturwissenschaftler und Philosoph, bereits 1983 zu Recht fest, dass es eben keine einheitliche Metaphernforschung gibt, sondern dass „eine Theorie der Metapher nur als Sammelnamen konkurrierender Ansätze“ existiert, die sich nicht zur einer übergreifenden Theorie zusammenfassen lassen, sondern als „Teile alternativer Ansätze“ oft unvereinbar bleiben.[27] Genau aus diesem Grunde spricht sich der Germanist Eckard Rolf dafür aus, nicht mehr von einer Metapherntheorie zu sprechen, sondern eben von Metapherntheorien.[28] Um die Bandbreite der Theoriegeschichte und die Vielfalt des Phänomens annähernd zu erfassen, unterscheidet Rolf insgesamt 25 verschiedene Metaphertheorien, die er in strukturelle, funktionale, semantische und pragmatische Ansätze klassifiziert.[29] Es wird deutlich, dass es sich dabei um ein vielseitiges Forschungsgebiet handelt.

In der Regel unterscheidet man den antiken, rhetorischen Ansatz sowie den modernen, kognitiven Ansatz. Im Folgenden wird zuerst die Auffassung zur Metapher in der Antike skizziert, danach über die Interaktionstheorie von Ivor Armstrong Richards und Black ein Bogen zur kognitiven Metapherntheorie von George Lakoff und Mark Johnson geschlagen, dem sich ein kleiner Exkurs zu den Gedanken des Philosophen Hans Blumenberg anschließen wird.

Seinen Ursprung findet der Begriff Metapher im griechischen Verb p втафврагу, was soviel wie „übertragen“ bedeutet. Traditionellerweise versteht man unter Metapher ein rhetorisches Stilmittel, welches dazu dient einen abstrakten Sachverhalt bildlich wiederzugeben, d.h. die Merkmale einer direkt erfahrbaren Idee auf eine abstrakte Idee zu übertragen. Einer der ersten, der sich mit dem Metaphembegriff beschäftigte, war Aristoteles. In seinem Werk „Poetik“ thematisiert er den sprachlichen Mechanismus der Metapher, während er in „Rhetorik“ Empfehlungen gibt, wie die Metapher als Stilfigur gezielt in der Rede eingesetzt werden könne. Dies impliziert, dass in der Antike dem Sprecher ein hoher Grad an Intentionalität im Bezug auf den Metapherngebrauch zugesprochen wurde. Aristoteles' Auffassung nach sei die Metapher „die Übertragung eines Wortes (das somit in uneigentlicher Bedeutung verwendet wird), und zwar entweder von der Gattung auf die Art, oder von der Art auf die Gattung, oder von einer Art auf eine andere oder nach den Regeln der Analogie“[30], sodass eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit zwischen dem „eigentlichen“ und dem „uneigentlichen“ Ausdruck bestehen muss. Im Rahmen der antiken Stillehre wird die Metapher den Tropen zugeordnet, deren Bildungsprinzip die Substitution, d.h. das Ersetzen ist, weshalb das Metaphernverständnis der Antike vielfach als „Substitutionstheorie“ bezeichnet wird.[31]

Zwar hat die grundlegende Erkenntnis der Antike bis heute kaum etwas von ihrer Gültigkeit verloren, doch arbeiten die modernen Geisteswissenschaften nun mit einem viel breiteren Metaphernverständnis: Während Metaphern bei der Substitutionstheorie lediglich einen Ausdruck ersetzen, wird ihnen in der modernen Auffassung die Fähigkeit zugeschrieben, den eigentlichen Ausdruck in seiner Bedeutung zu erweitern.[32] So gehen z.B. die berühmtesten Vertreter der Interaktionstheorie, I.A. Richards und Max Black, davon aus, dass bei einer metaphorischen Äußerung „zwei Vorstellungen zusammen aktiv sind“[33], die miteinander interagieren. Black führt zwei Termini ein, um diese beiden gleichzeitig aktiven Vorstellungen zu unterscheiden: "focus" (metaphorische Prädikation) und "frame" (Rahmen: Satzkontext). Metaphorisierung wird von Black als primär kognitiver Prozess aufgefasst, durch den Ähnlichkeiten erzeugt und die Bedeutung der beiden interagierenden Komponenten verändert werden.

[...]


[1] Bouzet, Ange-Dominique (2006): L’affirmation de notre identité française. Online unter: http://www.liberation.fr/evenement/2006/09/25/l-affirmation-de-notre-identite-francaise_52399, zuletzt aufgerufen am 15.03.2014.

[2] Zu den nennenswerten Arbeiten mit verschiedenen Schwerpunkten zum französischen Rap gehören u.a. die Untersuchungen von Hüser (RAPublikanische Synthese: Eine Zeitgeschichte populärer Musik und politischer Kultur. Köln: Böhlau, 2004.), Boucher (Rap: Expression de Lascar. Paris: L’Hammattan, 1998.), Hammou (Une histoire du rap en France, Paris: La Découverte, 2012.), sowie du zahlreichen Aufsätze und Sammelbände von Kimminich (u.a. Rap: More Than Words. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2004).

[3] Vgl. Menrath, Stefanie (2001): represent what...Performativität von Identitäten im HipHop. Frankfurt am Main: Argument Verlag.

[4] Schmieder, Christian: Die Spermien und das Meer: Metaphernanalyse als qualitative Methode. Online unter: http://www.metaphorik.de/sites/www.metaphorik.de/files/article/schmieder- spermienundmeer.pdf, zuletzt aufgerufen am 01.12.2013, S.2.

[5] Es geht demnach nicht darum, jede einzelne Metapher zu analysieren, sondern zu untersuchen, ob es ein bestimmtes Repertoire an Metaphern gibt, auf die in den Texten zurückgegriffen wird.

[6] „Voyant“ ist ein webbasiertes, englischsprachiges Tool zur computergestützten Analyse digitaler Texte. Es bietet in seiner Analyselandschaft eine relativ große Bandbreite an kleineren Tools zur Untersuchung literarischer Texte sowie zur Visualisierung der Ergebnisse. Im Moment ist das Tool unter drei URLs zu erreichen:http://www.voyant-tools.org,http://voyeur.hermeneuti.ca und http://voyeurtools.org. Detaillierte Beschreibung des Tools unter: http://litre.uni- goettingen.de/index.php/Voyant., zuletzt aufgerufen am 03.03.2014.

[7] s. Discographie im Anhang. Die Zusammenstellung erfolgte auf Empfehlung von Mike Ritter alias Mad Mic, Gründer von „Banlieue Connexion“, dem führenden deutschen Magazin des rap français: http://banlieueconnexion.com.

[8] Schmitt, Rudolf (1995): Metaphern des Helfens. Weinheim: Beltz, S.117.

[9] Hüser, Dietmar (2004): RAPublikanische Synthese. Eine französische Zeitgeschichte populärer Musik und politischer Kultur. Köln: Böhlau Verlag, S.3.

[10] Rap ist ein populärer Musikstil, der rhythmische Musik mit gereimten Texten verbindet. Typisch sind skandierte Sprechgesänge und Wortslaven.

[11] Vgl. Klein, Gabriele ; Friedrich, Malte (2003): Is this real?: Die Kultur des HipHop. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

[12] Ebd., S.84.

[13] Ebd., S.10.

[14] Vgl. Tödt, Daniel: „Gewalt und Unruhen in den französischen Banlieues: Was hat der Rap damit zu tun?“. In: Ethnoscripts. Analysen und Informationen aus dem Institut für Ethnologie der Universität Hamburg, Jg. 9, Nr.2 (10), S. 106-129.

[15] Kimminich, Eva (2002): Légal ou illégal? Anthologie du rap français. Stuttgart: Reclam, S. 95.

[16] Klein; Friedrich, S.56.

[17] Ebd.

[18] Ebd.

[19] Heyens, Wiebke (2006): “Vive le pera! Stimmen des französischen HipHop.“. In: Lucke, Doris (Hrsg.): Jugend in Szenen. Lebenszeichen aus flüchtigen Welten. Münster: Westfälisches Dampfboot, S.203-221. S.204.

[20] In diesem Kapitel wird nur auf die Verbreitung des Rap eingegangen. Ausführlichere Darstellung u.a. in: Bazin, Hugues (1995): La culture hip-hop. Paris: Desclée de Brouwer.

[21] Verlan, Sascha (2003): French Connection. HipHop-Dialoge zwischen Frankreich und Deutschland. Höfen: Hannibal, S.34.

[22] Heyens, S.206.

[23] Kimminich (2002), S.114.

[24] Hüser, S.4.

[25] Ebd.

[26] Kimminich (2002), S. 95.

[27] Haverkamp, Anselm (1983): „Einleitung in die Theorie der Metapher“. In: Drs., S.1-27, S.2.

[28] Rolf, Eckard (2005): Metapherntheorien. Typologie. Darstellung. Bibliographie. Berlin: Walter de Gruyter., S.2.

[29] Ebd.

[30] Fuhrmann, Mafred (1994): Aristoteles Poetik. Griechisch/Deutsch. Stuttgart: Reclam, S.27.

[31] Hülsse, Rainer (2003): Metaphern der EU-Erweiterung als Konstruktion europäischer Identität. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S.23.

[32] Ebd., S.24.

[33] Eckard, S.35.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Selbstthematisierung im französischen Rap
Untertitel
Besondere Berücksichtigung des Metapherngebrauchs
Hochschule
Universität Potsdam  (Romanstik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
41
Katalognummer
V294509
ISBN (eBook)
9783656922100
ISBN (Buch)
9783656922117
Dateigröße
752 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
HipHop, Frankreich, Rap, Banlieu, Metapher, Metaphernanalyse, Subkultur, Migration, Migranten, Jugendliche, französisch
Arbeit zitieren
Tatjana Schleiser (Autor:in), 2013, Selbstthematisierung im französischen Rap, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/294509

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