Ratu Kidul, Meeresgöttin des Südens


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kurze Vorstellung der beiden Geisterfiguren
„Ratu Kidul“ und „Dewi Sri“
a) Ratu Kidul
b) Dewi Sri

2. Ursprungsmythen
a) Ratu Kidul
b) Dewi Sri

3. Machtbereich
a) Ratu Kidul
b) Dewi Sri

4. Reich und Erscheinungsform
a) Ratu Kidul
b) Dewi Sri

5. Formen der Verehrung
a) Ratu Kidul
a) Dewi Sri

6. Aktueller Einfluss
a) Ratu Kidul
b) Dewi Sri

7. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Vorstellungen von einem übernatürlichen Kosmos haben sich auf Java teils unabhängig teils parallel zu religiösen Einflüssen und Vorstellungen entwickelt. Unzählige Geistervorstellungen verschiedenen Ursprungs haben sich im Lauf der Jahrhunderte vermischt und koexistieren nun (vergl. Daszenies 1987: 17,18). Diese Geister haben unterschiedliche Charakterzüge und Fähigkeiten und werden verschieden wahrgenommen. Oft können sie auch ihre Gestalt wandeln. Das Bild von einem bestimmten Geisterwesen ist lokal, geschichtlich und individuell geprägt. Schon die Kategorien „gut“ und „böse“ können falsch sein, da fast alle Geister beide Aspekte in sich tragen und je nach Verehrung oder Mißachtung die Menschen entweder beschützen oder ihnen Unheil bringen. Mit Hilfe von Opfergaben, Ritualen und Zeremonien zu ihren Ehren hofft man die Geister zu besänftigen und dankt ihnen für gewährten Schutz, um so vor Unheil bewahrt zu bleiben (vergl. Daszenies 1987: 19).

Geisterglaube ist ein weltweit verbreitetes Phänomen. In der Regel dienen Geister dazu Unbegreifliches greifbar zu machen (vergl. Daszenies 1987: 105). So wird großer Reichtum auf Java oft durch die Gunst des Geistes Nyai Blorong erklärt. Geht man mit ihr einen Kontrakt ein, so bringt sie einem Reichtum, nimmt aber als Gegenleistung nach dem Tod der Person dessen Seele als Diener mit sich (vergl. Daszenies 1987: 62). Andere Geisterwesen spielen Streiche oder erschrecken die Leute (vergl. Daszenies 1987: 44). Verschwundene Habseligkeiten oder die Angst, die jemand nachts allein in der Dunkelheit verspürt, werden durch ihre Anwesenheit erklärt. Es gibt aber auch Geister durch deren Verehrung man indirekten Einfluss auf ein Geschehen nehmen kann, das unserer westlichen Auffassung nach nicht beeinflussbar ist, sondern dem Zufall unterliegt. Die „Bedrohung der Gesellschaft durch die unkontrollierten Mächte der Wildnis von Wäldern und Bergen und des Meeres“[1] wird so gemindert. Zu diesem Zweck wird unbelebten Dingen in der Natur eine Seele zugesprochen. Kyai Sapujagad zum Beispiel ist der Geist des Vulkans Merapi (vergl. Schlehe 1998: 149). Er schützte schon das Mataramreich vor Vulkanausbrüchen (Schlehe 1996: 395). Die Reisgöttin Dewi Sri ist auch als Göttin der Fruchtbarkeit bekannt. Auf Java, wie in anderen Regionen auch, ist sie zuständig für erfolgreiche Ernteerträge der Bauern (vergl. Appel 1991: 28). Neben diesen und unzähligen anderen Geistern gibt es eine spirituelle Königin, die über alle Geister Javas herrscht: Ratu Kidul, Königin des südlichen Meeres. Um eine Idee von der Komplexität einzelner Geister zu vermitteln, möchte ich in dieser Arbeit dem Leser einen Überblick über die Figur Ratu Kiduls verschaffen und sie mit der Reisgöttin Dewi Sri vergleichen. Als Hüterin der Lebensgrundlage Reis hat auch sie recht großen Einfluss und wird in vielen Quellen erwähnt.

1. Kurze Vorstellung der beiden Geisterfiguren „Ratu Kidul“ und „Dewi Sri“

a) Ratu Kidul

Ratu Kidul (= Königin Süden), die Königin des Südmeeres, ist wohl das mächtigste und bekannteste Geisterwesen Javas. Als oberste Machthaberin der Geisterwelt verheiratet sie sich seit Jahrhunderten mit den Herrschern Javas, legitimiert somit deren Macht und schützt deren Reich. Ist sie unzufrieden oder wird sie erzürnt, so zeigt sich das durch Naturkatastrophen oder Seuchen, die sie über das Volk bringt.

b) Dewi Sri

Im Gegensatz zu Ratu Kidul wird Dewi Sri nicht nur auf Java verehrt. Sie stammt aus der indischen Mythologie (vergl. Appel 1991: 28) und ist in ganz Indonesien bekannt. Ihr Zuständigkeitsbereich ist hauptsächlich der Schutz des Reisanbaus und der übrigen Landwirtschaft (vergl. Appel 1991: 31). Werden ihre Lehren bezüglich der Kultivierung befolgt, so ist eine ertragreiche Ernte absehbar. Wird Dewi Sri nicht ausreichend geehrt, so lässt ihr Schutz nach, der Reis ist Plagen und Schädlingen ausgesetzt, und der Ernteertrag reicht nicht mehr aus die Menschen zu sättigen.

2. Ursprungsmythen

Aussehen, Eigenschaften und Namengebung einzelner Geister wandeln sich vielfach während ihrer jahrhundertelangen Existenz und verschiedene Überlieferungen variieren ihre Herkunft. Durch den Einfluß der Religionen auf den Geisterglauben ändern sich oft Gestalt und Charakter der Geister oder es kommt zu Vermischungen.

a) Ratu Kidul

Ratu Kidul wird beispielsweise mit Durga, dem dunklen, bösen Aspekt von Parvati, der Gemahlin Shivas, und mit der Reisgöttin, Dewi Sri identifiziert.[2] „In Gesprächen war festzustellen, daß die meisten Javaner und Javanerinnen nur vage Vorstellungen über Ratu Kiduls Ursprung haben. Einige hielten sie für die vormalige Nawangwulan, jemand meinte auch, sie könne evtl. aus dem untergegangenen Atlantis stammen (Interview Bpk. Hassan 23.11.1990). Pak Bambang, der sie für die ehemalige Kensono Wungu hält, leitet ihre Herkunft aus dem Reich Majapahit her“ (Schlehe 1998:107). Traumartig-assoziative Beschreibungen Ratu Kiduls in verschiedenen, wenig logisch wirkenden, widersprüchlichen Geschichten ihrer Herkunft, in denen sich Figuren transformieren und andere Identitäten annehmen, erschweren es den Überblick zu behalten[3]. „Die älteste indigene Quelle, in der Ratu Kidul vorkommt, ist das Babad Tanah Jawi aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, (...) (welches) die offizielle Chronik des mitteljavanischen Reiches Mataram und seiner Herrscherdynastie darstellt“ (Schlehe 1998:43). Hier werden der Meereskönigin historische Kontexte zugeschrieben, die sich mit mythischen Überlieferungen vermischen. Im allgemeinen Volksglauben der Javaner sind noch viele Aspekte der Geschichten des Babad Tanah Jawi gegenwärtig. So zum Beispiel die folgende Überlieferung des Zusammentreffens zwischen Ratu Kidul und Raden Susuruh. Im Pilgerort Parangkusumo kann man noch heute die beiden Steinfelsen bewundern, auf denen sie damals saßen.

„Nach der Darstellung des Babad Tanah Jawi wurde das ostjavanische Reich Majapahit von dem vertriebenen Kronprinzen des westjavanischen Reiches Pajajaran gegründet. Sein Name ist Raden Susuruh. In Verbindung mit ihm erscheint bereits eine erste Manifestation von Ratu Kidul und zwar in Gestalt einer Pajajaran Prinzessin (Babad Tanah Jawi, Ausgabe Subidjo 1980:22; Übers. Oltjofs, Hg. Ras 1987:16). Diese weigerte sich zu heiraten, wies dutzende königlicher Bewerber zurück und floh schließlich aus Pajajaran (meloloskan diri), um auf dem Berg Kombang zu meditieren. Dort wird sie unter dem Namen Cemaratunggal bekannt, als (männlicher) Asket mit übernatürlichen und prophetischen Fähigkeiten, Herrscher über alle Geister Javas. Raden Susuruh trifft Cemaratunggal zunächst in männlicher Gestalt, die sich dann bald in eine schöne Frau verwandelt. Sofort verliebt er sich in diese Frau, worauf sie aber spurlos verschwindet und schließlich wieder als der Asket erscheint. Bei dem bittet Raden Susuruh um Verzeihung. Nun erhält er von Cemaratunggal die Prophezeiung, daß er, Raden Susuruh, Herrscher der ganzen Insel Java sein werde und nach ihm ebenso seine Nachkommen. Jeder dieser rajas würde mit Cemaratunggal verheiratet sein. Sie werde sich ans Meer begeben, (und) das dortige Geisterreich beherrschen (...). Wenn einer von ihnen Hilfe benötige, so brauche er sie nur zu rufen, und sie werde mit ihrem Geisterheer Beistand leisten.“ (Schlehe 1998: 45,46)

Nach dieser Geschichte hat Ratu Kidul einen menschlichen Ursprung. Da sie als Prinzessin nicht heiraten will, wird sie zur Außenseiterin und muss fliehen. Erst durch Meditation erlangt sie übernatürliche Fähigkeiten. Sie kann nun ihre Gestalt wandeln und sowohl als Mann als auch als Frau auftreten, was nach Anderson ein eindeutiges Zeichen von Macht ist.[4] Außerdem erhält sie prophetische Fähigkeiten und wird schließlich zur Herrscherin über alle Geister Javas und somit zu Ratu Kidul. Ihre Schutzfunktion gegenüber der javanischen Obrigkeit wird begründet und die Verbindung von weltlicher mit spiritueller Macht leitet die Legitimation der Herrscherdynastien ein.

„Eine andere Variante verlagert Ratu Kiduls Abstammung in die östlichen Reiche Javas. Demnach war sie Dewi Kilisuci, nach welcher Kediri benannt wurde. Dewi Kilisuci hat, so steht es im Serat Darmogandhul (1990:213) niemals menstruiert, und sie gelobte, nicht zu heiraten. (...) Als Tochter von Raja Airlangga soll sie nach der Teilung des Reiches zwischen ihren beiden Brüdern von ihrem Vater nach einem Wunsch gefragt worden sein. Ihre Anwort war, daß sie ein größeres Reich als das ihres Vaters wolle. Dieser wies sie an zu meditieren. Als sie dem Folge leistete, (...) (bekam sie) das ungemein große Reich des Kerajaan Kidul (...) (und wurde zu) Ratu Kidul“. (Schlehe 1998:54)

Diesem Mythos nach geht Ratu Kidul aus Dewi Kilisuci hervor und hat somit einen göttlichen Ursprung (Dewi = Göttin). Ihr Wunsch nicht zu heiraten wird durch die ausbleibende Menstruation noch betont. Da wir uns aber in einer übernatürlichen Welt befinden, wird sie nicht verstoßen. Ihr Streben nach Macht wird offensichtlich, als sie sich ein noch größeres Reich als das ihres Vaters wünscht. Da sie als Tochter des Königs dargestellt wird, trägt dieser die Verbindung von weltlicher- und spiritueller Macht bereits in sich. Weil sein weltliches Reich schon an seine Söhne verteilt ist, verweist er Dewi Kilisuci auf die spirituelle Welt und lässt sie meditieren. Sie erhält die Autorität über das ungemein große Reich der Geister und wird zu Ratu Kidul.

Ein „vermutlich zwischen 1808 und 1812 in Yogyakarta verfaßte(s) Manuskript handelt von einer Genealogie der Niederländisch-Ostindischen Kompanie (VOC). Die Handelsgesellschaft wird auf einen Raden Baron Kasender zurückgeführt. Er und sein Zwillingsbruder Baron Sukmul sind demnach Söhne eines niederländischen Herrschers, wurden jedoch nicht direkt von ihrer (islamischen) Mutter, sondern aus einer Meeresmuschel geboren. (...) Zuvor war eine Prinzessin aus dem von islamischen Mächten eroberten westjavanischen Reich Pajajaran (s.o.) geflohen und hatte in den Bergen eine Tochter geboren. Aus deren Genitalien kamen Flammen, so daß kein Mann mit ihr verkehren konnte. Deshalb wurde sie verkauft und zwar an einen Niederländer, nämlich an Kasenders Bruder, Baron Sukmul. Von dem bekam sie einen Sohn, Mur Kjangkung, der in Spanien aufwuchs, dann als junger Mann nach Batavia (Jakarta) kam und dort die niederländische Herrschaft etablierte“[5]. (Schlehe 1998:61)

[...]


[1] Lind, Elisabet (1974): The ideal equilibrium. Balanced oppositions in the Javanese symbolic structure. Stockholm: Univ. of Stockholm. S. 3, nach Schlehe 1998: 83

[2] Vergl. Schrieke, B. (1925); De Zee in Ethnografie en Volkskunde. In: Rinkes, D. A. et. al. (Hg.), Het Indische Boek der Zee. 2e druk, Leiden: Weltevreden, S. 287-290 von Schlehe jedoch weitgehend widerlegt (Schlehe 1998: 64)

[3] Um die Ursprungsgeschichten nicht zu verfälschen, werde ich eine Auswahl treffen und diese im Wortlaut nach den mir vorliegenden Sekundärquellen zitieren.

[4] Vergl. Anderson, Benedict (1972): The idea of power in Javanese culture. In: Holt, Claire (Hg.), Culture and politics in Indonesia, Ithaca, London: Cornell Univ. Pr., S. 14

[5] Serat Sakondar nach der englischen Übersetzung und Zusammenfassung von Ricklefs, M. C. 1974: Jogjakarta under Sultan Mangkubami 1749-1792. A history of the division of Java. London Oriental Series, Bd. 30, London: Oxford Univ. Pr. S.380-407

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ratu Kidul, Meeresgöttin des Südens
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Proseminar: Java
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V29398
ISBN (eBook)
9783638309103
ISBN (Buch)
9783640271726
Dateigröße
448 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
überarbeitet im Februar 2009
Schlagworte
Meeresgöttin, Java, Ratu Kidul, Indonesien, Geisterglaube, Dewi Sri, Reisgöttin, Geistervergleich, Ethnologie
Arbeit zitieren
Lotte von Lignau (Autor:in), 2003, Ratu Kidul, Meeresgöttin des Südens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29398

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