Dramaturgie und Inszenierung im Figurentheater


Fachbuch, 2015

99 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Dramaturgie

Erzählstrukturen in Drama und Film – Von Helden und Konflikten

Das Wahre ist unausdrückbar – Sinnstiftung im postdramatischen Erzählen

Figurentheater im Wandel – Ein postdramatisches Genre

Figurentheater ist anders

Sampling und Fraktale – Suchen, verwerfen und montieren als dramaturgische Verfahren

Der spatial turn – Wo mehr als eins zusammenkommt, ist Raum

Animierte Objekte und Spielebenen

Ich will dir mal was flüstern – Wenn der Souffleur zur Rolle wird

Wo Lords bei Ratten schlafen – Die Gesellschaft der Figuren

Verwirrung, Intrige und gute Ratschläge – Über Funktionsfiguren

Von diebischen Liebenden und teuflischen Richtern – Figurenmotive

Choreographie

Stottern, Stammeln, Dialog und Poesie – Das Dirigat der Stimmen

Kollektives Handeln – Das Dirigat der Körper

Entfaltung in Zeit und Raum

Im Hexenkessel der Farben

Von Koffern und Besen – Die Requisiten

Das Kleine ganz groß – Zu Proportion und Kontrast

Leidenschaft und Schweigen – Vom Szenenwechsel

Prozess, Präsenz und Ereignis

Schmetterlinge leben nur einen Sommer

Der schöpferische Zuschauer

Happy pills und Moral – Das Drama im Dienst der Ästh/ethik

Literaturverzeichnis

Vorwort

Von einer Spielidee, von einem Bild, einem Gedanken über Assoziationen konstruierend zum Ereignis der Schönheit zu gelangen, mit Wortzauberei Bilder durch die Ohren zu infiltrieren, grandeur und misère des Lebens auf die Bühne zu bringen und frohes Erstaunen oder wildes Entsetzen hervorzurufen, Vergnügen, Genuss, Betroffen- oder Ergriffenheit macht aus dem Figurentheater eine rauschende Festlichkeit des Geistes.

Wo dialogischer Text nicht mehr Grundlage eines narrativen Theaterstücks ist, weicht der Inszenierungsprozess einem Prozess der Stückfindung, an dessen Anfang Ideen für den szenischen Umgang mit Objekten stehen: Aus visuellen Eindrücken, bildkünstlerischen Prozessen, psychologischen Beobachtungen, gesellschaftskritischen Impulsen, intellektuellen Spielen, aufgeschnappten Handlungsminiaturen oder sonst woher tauchen sie auf. Ein solcher erster Impuls, von dem der Dramaturg vermutet, dass er das Potential für eine Dramatisierung enthält, muss im Stückfindungsprozess durch Assoziationen erweitert, in bildkünstlerischen Ausdruck transformiert, in szenisches Handeln umgesetzt und ästhetisch verdichtet werden, um letztendlich in einen stimmigen Ablauf eingeschrieben werden zu können. Dabei ist die Verwendung von Sprache keine conditio sine qua non mehr. Wo Sprache aber verwendet wird, kann sie dialogischer Natur, Lyrik oder Prosa sein. Sie kann selbst ganz reduziert werden auf bedeutungslosen präverbalen Ausdruck, wie Stöhnen und Stammeln, oder sich im semantischen Irrgarten des Nonsens bewegen.

Ein derartiger Prozess der Stückfindung birgt durch den Verzicht auf logisch-lineare Handlung grundsätzlich die Gefahr, dass er ins Beliebige verläuft, belanglos wird und die Lust des Zuschauers nicht wach zu halten vermag. Was aber diesen Prozess ausmacht und welche Komponenten ihm zugehörig sind, ist ein zugleich theoretisches Problem wie ein praktisches und soll auch als ein solches doppelgesichtiges im folgenden erfasst werden. Damit aber erhebt der vorliegende Versuch den Anspruch, Handreichung zu sein auf dem Weg postdramatischer Stückentwicklungsprozesse.

Aus dem gesammelten Material, das für dieses Buch zusammengetragen wurde, aus allen Teilaspekten, hat sich nach langen Phasen raumartig vernetzter Gedankenbezüge am Ende eine lineare, argumentative Textform herauskristallisiert, obschon der Prozess der Erarbeitung dieses Buches ein assoziativer und fraktaler war, der sich erst zum Schluss hin in logische Linearität einschreiben ließ. In gewisser Weise ist diese Form angemessen, steht sie doch für Erfassbarkeit und Systematisierung. In ihr liegt die Chance, das Phänomen der neuen postdramatischen Dramaturgie identifizierbar zu machen. Der Fisch flutscht nicht mehr aus der Hand.

Der Text ist so angelegt, dass er, gelesen ohne die Fußnoten, einen praktischen Leitfaden abgibt und erst bei Hinzuziehung der Fußnoten literatur- und theatertheoretische Zusammenhänge erschließt. Damit wird eine doppelte Lektüre mit zweierlei Lesarten möglich.

In einem ersten Kapitel wird der Aufbau des klassischen Dramas und Drehbuchs dargestellt, wobei auf die Bedeutung von konfliktgeladener Handlung, Protagonisten und Dialogizität hingewiesen wird. Im Anschluss daran werden demgegenüber die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des Postdramatischen skizziert, die zu dem Bruch mit der klassischen Dramaturgie führten. Dabei ist das Augenmerk auf die Fraktalisierung der logisch-linearen Sinnstiftung gerichtet, die zur Aufhebung von Illusion und Identifikation des Zuschauers führte.

Im zweiten Teil des Buches geht es dann um spezifisch postdramatische Textfindungsprozesse, um neue Raumauffassung, das Vexierspiel mit Rollenidentitäten, Stimmen- Körper- und Farbchoreographie, Szenenwechsel und Kontrastbildung im Inszenierungsprozess. Sodann werden die Ereignishaftigkeit der Inszenierungen und die Bedeutung eines nicht mehr nur rezipierenden sondern schöpferisch gewordenen Zuschauers als Merkmale des Postdramatischen analysiert, um abschließend ästhetische und ethische Dimensionen einer postdramatischen Figurentheaterauffassung zu beleuchten. Dabei wird versucht, die Grenze zwischen Figuren- und Schauspieltheater neu zu verorten und da, wo die Rollenidentität des Schauspielers brüchig wird, den Übergang zum Figurentheater zu behaupten.

Das Buch ist als Ganzes Anleitung zum Bau eines surrenden technischen Konstrukts geworden, einer postdramatischen Höllenmaschine, die zwischen ihren Zahnrädern Bilder zermalmt, Stoffe zerfasert, über Kopf zusammennäht und Krümel zerreibt, bis sie dampfend und zitternd in einem Akt des letzten Ausspuckens etwas auswirft, das dann Stück ist. Es ist ein schnödes Anleitungsbuch, das aus den Rosinen der Assoziation Schrauben zu drehen und Verschraubungstechniken aufzuzeigen versucht. Jedes Stück verlangt selbstredend seine eigene Maschine. Manche Maschine explodiert alldieweil, die nächste näht nicht sauber. So ist der dramaturgische Prozess.

Es ist zu wünschen, dass das vorliegende Buch die Figurentheaterszene zu vergrößern hilft und neugierig macht auf eine Kunstform, die gerade dem postdramatischen Theater eine Fülle von Möglichkeiten bereithält, aus denen es noch ungeheuer viel zu schöpfen gibt.

Erster Teil

Dramaturgie

Erzählstrukturen in Drama und Film – Von Helden und Konflikten

Der dialogische Text ist die Inszenierungsgrundlage des klassischen Dramas und Drehbuchs[1]. In Replikenwechseln und Monologen entfaltet sich ein fiktives konfliktgeladenes Geschehen, das in Zeit und Ort verankert ist und dem Zuschauer als Illusion einer distanzierten anderen Wirklichkeit vorgeführt wird. Die Handlung besteht im wesentlichen aus dem Kampf von Figuren, der unausweichlich mit Sieg oder Niederlage, Glück oder Unglück endet. Ein Unentschieden gibt es nicht. Der Handlungsverlauf (Plot) des Stücks ist Resultat der Haltung des Protagonisten (der Hauptfigur) zur Welt. Sein Charakter ist die treibende Kraft des dramatischen Geschehens, denn aus seinem Begehren, das ihn zu folgenschwerem Tun veranlasst, erwächst sein Handeln. Dem Streben und den Zielen der Hauptfigur steht der Antagonist (Gegenspieler) gegenüber, wobei das antagonistische Prinzip unter Umständen auf mehrere Gegner verteilt ist. Nicht hinnehmbare soziale Umstände, hinter denen eine mehr oder weniger kollektivierte Willenskraft steht, oder widrige Wetterumstände und Naturkatastrophen werden in Charaktere eingeschrieben und personifiziert, um vor den Zielen der Hauptfigur Hindernisse zu Türmen aufzuhäufen, so dass das Drama zur Choreographie des Gefühlslebens verschiedenster Charaktere wird.

Zu Beginn hat der Protagonist, den Hindernissen gegenübergestellt, die Möglichkeit, sich ins Abenteuer zu stürzen, seine Welt zu verlassen, eine Kampfansage zu machen. Er kann alles aufs Spiel setzen, um seine bestehende Situation zu retten oder zum Besseren zu wenden. Oder aber er scheut diesen Kampf und beschließt zunächst, sich abwartend zu verhalten: zu erdulden. Im letzteren Fall verstärkt sich jedoch der Leidensdruck, und die Strategie des Erduldens lässt sich nicht dauerhaft aufrecht erhalten. Mit voranschreitender Zeit werden die Hindernisse größer, bis der Hauptfigur kein Spielraum mehr bleibt und sie alles einsetzen muss, was ihr lieb und teuer ist. Der Mann, der sich „als ein Leidender gegen das Unerträgliche empört“[2], wird durch das Schicksal bis zum Äußersten getrieben, und es ist nicht sicher, ob er Haut und Haar am Ende retten kann. So werden die „scheinbar Freien“, die über alle Schicksalsschläge erhaben und moralisch unanfechtbar scheinen, in Schillers Wallenstein „allmählich in die Netze des Verrats“[3] verstrickt. Im Laufe des Geschehens wird es für den Pro-tagonisten des klassischen Dramas immer gefährlicher, doch der Rückweg ist längst verstellt und die Spannung auf dem Hochpunkt. Durch den Einbau einer dramaturgischen Frist kann sie bis zum äußersten gesteigert werden. Szenographisch bedient sich der Dramaturg hier eines Tricks: Je gefährlicher es für den Protagonisten wird, desto kürzer die Szenen. Läuft die Frist ab, wird der Protagonist alles verloren haben oder Sieger sein. Der Spannungsbogen hat seinen Hochpunkt erreicht. Hier ist der Zeitpunkt für den Narren, für Entspannung durch Humor, denn nur Humor wird mit unerträglicher Spannung adäquat fertig.

In manchen Stücken verfügt der Zuschauer über Wissen, das der Protagonist nicht hat. Er ist Zeuge der Offenbarung eines Geheimnisses geworden oder hat voyeuristischen Einblick in Situationen gewonnen, die der Hauptfigur vorenthalten werden. Der Zuschauer erkennt eine Bedrohung, wo der Protagonist noch nichtsahnend Campari trinkt. Das traditionelle Figurentheater spielt gerne mit dieser sogenannten „dramatischen Ironie“, bei der der Zuschauer ein kleines Quantum mehr weiß. Wenn hinter dem Kasper das gefräßige Krokodil auftaucht, der Kasper aber noch pfeifend Blümchen pflückt, schreien zuschauende Kinder: „Kasper. Hinter dir! Pass auf!“ – Die Hauptfigur müsste also dringend wissen, was der Zuschauer weiß, um nicht in die Falle zu geraten. Befreit der Kasper sich Dank der Hilfe der Kinder, bedankt er sich selbstredend überschwänglich und wird seine Mütze falsch herum aufsetzen. Und zwar auf so sonderbare Weise, dass es sehr lustig aussieht. Denn nach so viel Angst um den Kasper muss gelacht werden. Ähnlich funktioniert der Umgang mit höchster Spannung in vielen klassischen Dramen, wenn auch die Intervention eines kindlichen Publikums Spezialität des klassischen Puppentheaters bleibt.

Der Charakter der Hauptfigur und das auslösende Ereignis des Stücks sind aufs genaueste dramaturgisch gegeneinander gesetzt. Grundsätzlich ist es erst dann richtig dramatisch, wenn der Figur das zustößt, was sie am gründlichsten erschüttert und sie sie am meisten herausfordert. Das Drama muss in diesem Sinn eine hohe Fallhöhe suchen, was meint, dass sein Handeln für den Protagonisten im Falle des Scheiterns den tiefstmöglichen Sturz bedeutet. Ein Mann, der als Richter andere verurteilt, fällt tiefer, wenn er sich durch Meineid aus der Schlinge zieht, als einer, dessen Moral ohnehin in Frage gestellt ist. Und auch der diebische Pastor spannt eine großartige Fallhöhe auf, ist er doch durch sein Berufsethos zu moralischer Integrität verpflichtet. Figuren im Kontext solcher Fallhöhen sind gute Konstellationen. Zudem ist die Hauptfigur eine Figur des Extremes: Ist sie arm, ist sie es richtig. Ist sie reich, dann im Palast. Ist sie krank, dann (scheinbar) aussichtslos. Alles so sehr, dass es zum Seufzen ist. Im Laufe des Geschehens aber kehrt sich situationsbedingt kurzerhand bisweilen alles um: Der Bettler sitzt unversehens auf dem Chefsessel, der Naturschützer fällt zur Verteidigung in der Not den Baum. Der Kranke gesundet, ein anderer ertrinkt.

Dabei ist das eigentliche Drama ein Konflikt zwischen Gut und Gut, nicht etwa zwischen Gut und Böse, was die Sache zu vereinfachen in der Lage wäre. Es ist der Gute, der zum Morden gezwungen ist:

„Wer aus Gewinnsucht raubt, stiehlt, mordet, fälscht, wer aus Feigheit ehrlos handelt, wer aus Dummheit und Kurzsichtigkeit, aus Leichtsinn und Gedankenlosigkeit kleiner und schwächer wird, als die Verhältnisse ihn fordern, der ist als Held eines ernsten Dramas völlig unbrauchbar“[4].

Dramatisch überzeugend gewählt ist demgegenüber der, der bei höchst ehrenwertem Charakter in eine Situation gerät, in der seine Ehrenhaftigkeit auf dem Spiel steht, will er sein Glück retten oder das Leben dessen, den er am meisten liebt.

Der Protagonist ist in Drama und Drehbuch nicht alleine, denn um seinen Charakter herum werden Nebenfiguren gruppiert, deren Rollengestaltung dem Prinzip der Polarisierung folgt, wobei alles im Hinblick auf die Figuren facettenreich mit allem kontrastiert: das äußerliche Erscheinungsbild, die Vehemenz der Gefühle, die Lebensumstände und das Glück in der Liebe. Der thematische Zusammenhalt des Stücks wird unter anderem dadurch gewährleistet, dass die Nebenfiguren Eigenschaften der Hauptfigur in Variationen wieder aufnehmen: Ist die Hauptfigur sparsam aus Not, ist eine Nebenfigur vielleicht geizig. Ist sie engagiert, wo es um eine wichtige Sache geht, spielt eine Nebenfigur mit, die machtbesessen bis zur Rücksichtslosigkeit auftritt. Die Ausrichtung der Nebenfiguren an der Hauptfigur wird dem Zuschauer nicht ins Auge fallen sondern sich subtil hinter schillernder Szenographie tarnen. Die kompositorische Bedeutung der Nebenfiguren erschöpft sich jedoch nicht in der Perspektivierung der charakterlichen Eigenschaften der Hauptfigur und damit des Themas; vielmehr wird jede Nebenfigur handlungsrelevanten Funktionen eingeschrieben. Da gibt es die Funktion des Freundes der Hauptfigur, der das schlechte Gewissen wachhält, oder den Mentor, der berät, den Trickser, der Chaos verbreitet, oder die Katalysatorfigur, die den Protagonisten antreibt. Die Komplexität der Rollengestaltung umfasst zudem ein immanentes eigenes Leben der Nebenfiguren. Dem Hauptgeschehen (main plot) um den Protagonisten und Antagonisten zu Füßen läuft nämlich ein junger Hund mit, der voraus rennt, zurück bleibt und das Hauptgeschehen bisweilen zum Stolpern bringt: Er ist die „private line“ der Nebenfiguren, in den meisten Fällen das Liebesabenteuer, das flankierend das Hauptgeschehen (Wie rette ich das Gute der Welt?) umgarnt. Was dem Protagonisten die richtige Entscheidung auf dem Schlachtfeld des „main plots“ scheint und gut funktioniert, kollidiert sehr gerne mit der private line. Und vice versa: Das tiefste Lieben scheint dem Hauptanliegen des Protagonisten wenig zuträglich. Ob beides unter einen Hut passt, bestimmt der Ausgang des Stücks. Bisweilen ist der Held verblendet von falschen Vorstellungen und um seine Situation zu retten, muss er seine Haltung überdenken. Der wahre Weg des Protagonisten geht mit einer veränderten Ausrichtung neu erkannter Ziele einher. Die Hauptfigur wandelt sich durch Erkenntniszuwachs und die Schritte der Wandlung werden peu à peu geschildert. Wenn es am Ende zu spät ist oder trotz der Wandlung ohne Aussicht, wie bei Ödipus, ist das Drama Tragödie.

Der Dialog ist die sprachliche Grundlage des klassischen Dramas und als Textvorlage fixiert. Aus ihr ergibt sich der Handlungsverlauf, so dass alle Illusion inszeniertes Realisat der Textvorlage ist. Peinlich genau wird aber vermieden, das Geschehen durch Dialog zu verdoppeln. Wo auch immer möglich, soll das szenische Geschehen also für sich sprechen. Wenn in der Hexenküche gekocht wird, wird gekocht und nicht darüber gesprochen, dass gekocht wird. Dialog kommt nur dann zum Einsatz, wenn alle anderen Ausdrucksmöglichkeiten ausgeschöpft sind. In jedem Drama gibt es demnach auch Szenen, die ganz ohne Dialogtext auskommen. Die großen rednerischen Glanzlichter, die Bonmots und Philosopheme, werden ohnehin nur den Nebenfiguren in den Mund gelegt, wohingegen die Hauptfiguren selbst sprachlich karg erscheinen.[5] Sie handeln. Blumiger, poetischer, gedankenreicher und ausführlicher reden die Nebenfiguren.

Die Identifikation des Schauspielers mit seiner Rolle ist im klassischen Theater zu jeder Zeit ungebrochen. Allein der Chor verlässt die dialogische Ebene, um aus anderer Perspektive kollektiviert und entsubjektiviert einen Blick auf das Geschehen zu werfen. Dieses antike Dramenelement ist tatsächlich aus der Ebene der Figurenrede und dem Illusionsraum hinausgehoben. Es schafft Distanz, bleibt jedoch lediglich intermittierend, so dass der Handlungsfluss nach den Choreinlagen ungehindert fortgesetzt wird.

Das Wahre ist unausdrückbar – Sinnstiftung im postdramatischen Erzählen

Während die narrativen Konventionen des Dramas Ausrichtung auf ein Fortschrittsziel des Erzählten beinhalteten, wird postmodernes Denken als pluralistisch, zufällig und chaotisch charakterisiert[6] und eben gerade nicht als linear-logische Zuspitzung. Ursache scheint eine Krise des Vertrauens in den Fortschritt menschlicher Vernunft. Die Vielheit wuchernder Gedankenausrichtungen[7] wird keiner Einheit mehr untergeordnet, Assoziationen werden frei verkettet und hierarchischer Organisation entzogen. Damit ist die postmoderne Dramaturgie ein Modell veränderter Wissens- und Denkorganisation mit weitreichenden Auswirkungen auf die Praxis der Stückentwicklung. Was aber in der Postmoderne letzten Endes definitiv über die ohnehin schon zersplitternde Schreibweise der Moderne hinausweist, ist das Empfinden einer Unmöglichkeit, Wahrheit auszusagen, die man vor dem Sagen schon kennt und die in welcher Weise auch immer abbildbar wäre. Abbildbar im postdramatischen Sinn ist nur noch die Gedankenbewegung des Schreibenden selbst. In diesem Sinne ist aber sogar die abstrakteste Form von Darstellung Mimesis der künstlerischen Gedankenbewegung.[8]

Der logische Diskurs sowie die Illusionsbildung werden damit durch eine dynamisch vorlogische Sinnstiftung ersetzt: „Was irgend am Artefakt die Einheit eines Sinns heißen mag, ist nicht statisch, sondern prozessual“[9]. Damit aber stehen zugleich beinahe alle Merkmale textbasierten Theaters zur Disposition.[10] Einschrei-bung der Denkprozesse in eine erfundene Wirklichkeit, wie sie das klassische Theater praktizierte, scheint den Machern des postdramatischen Theaters Verfälschung, Verschleierung und Einengung.

Die Selbstreferentialität von Bewusstseinszuständen wird zum dezidierten Merkmal des Postdramatischen und seine mimetische Projektionsfläche. Als Zuschauer erkennt man die Nähte der Konstruktion, die Gedankenbrüche, so dass Introspektion in Denkvorgänge geradezu das Leitmotiv postdramatischer Inszenierung scheint. Die Konfrontation mit Sinn geschieht unmittelbar, distanzlos, voyeuristisch.

So scheint dem postdramatischen Theater die fragmentarisch zerstückelnde Schreibweise die einzig angemessene[11]. Dialoge als Handlungsträger werden durch poetologische Experimente ersetzt, die selbstreferentiell nach den Bedingungen ihrer Sinnstiftung fragen.

Die Prozesshaftigkeit des Erkennens[12] ist zunächst eine produktionsästhetische: Entstehungsprozess des Stücks und Anlage der Aussage des Dramas sind ihr geschuldet. Das neue Dramenkonzept wirkt jedoch zugleich rezeptionsästhetisch, denn auch der Zuschauer wird in den suchenden, fragenden Stil verwickelt.

Konsequenterweise folgt auf die Fragmentierung des Textes die Zerstörung des linearen Handlungsverlaufs. Die mit der Handlung entstehenden Illusionsräume werden dekonstruiert. An ihrer Stelle entstehen Denkräume und experimentelle Spielfelder. Illusion ist reduziert auf pseudoillusionistische Bebilderung, wobei in narrativen Irrgärten[13] die Imagination der Zuschauer bewusst fehlgeleitet wird. Julia Eckel spricht in diesem Zusammenhang von einer „Konjunktur desorientierender Narrationsstrukturen“[14]. Es entsteht hier eine Bühnenwelt mit implizierten kausalen Zusammenhängen, die den Zuschauer zu Hypothesen über diese Welt veranlassen. Sodann aber wird offensichtlich, dass sie in die Irre geleitet worden sind, denn die Hypothesen erweisen sich als trügerisch. Eine im folgenden präsentierte Re-Orientierung offeriert eine alternative Lesart der Welt. Der Zuschauer erlebt einen Verlust an Vertrauen in seine Orientierungsfähigkeit. Ganz offensichtlich ist der Dichter und Theaterschaffende hier Erfinder, nicht etwa Entdecker, einer Welt und deren Wahrheit, die er selbst dekonstruiert. Kennzeichnend für ein solches Verfahren ist die Abschaffung sinnvoller Dialoge in ohnehin nur rudimentär verknüpften fiktionalen Handlungen[15].

Wo textfixierte Repräsentation einer illusionistischen fiktionalen Handlung war, ist nun physisch überwältigende Sinnlichkeit von Worten, deren Bildkraft schillernd ist und von fluktuierendem Trug.

Alle verfahrenstechnischen Mittel, die dem Figurentheater anheim stehen, werden im folgenden auf ihre Beteiligung am Prozess einer solchen Sinnstiftung hin zu befragen sein.

Zweiter Teil

Figurentheater im Wandel – Ein postdramatisches Genre

Figurentheater ist anders

Die Veränderung vom klassischen zum postdramatischen Theater hin ist vor allem am Schauspieltheater beobachtet worden. Doch auch im Figurentheater hat sich der Wandel vom illusionistischen Fabeltheater zur postmodernen Mimesis von Denkprozessen vollzogen. Verglichen mit dem Schauspieltheater bieten sich dem Figurentheater sogar mehr experimentelle Spielfelder, auf denen es sich bewegen kann. Sie aufzudecken und ihre postdramatischen Möglichkeiten zu beleuchten, soll in diesem zweiten Teil des Buches versucht werden.

Postdramatisch zu inszenieren bedeutet nicht in jedem Fall den Verzicht auf klassische Texte. Shakespeare eignet sich hervorragend als Grundlage postdramatischer Inszenierungen. Es ist der Umgang mit der Textvorlage, der ein anderer geworden ist, so dass die postdramatische Herangehensweise ebenso eine inszenatorische wie eine dramaturgische ist. Wenn auch zugegeben werden muss, dass die postdramatische Inszenierung Eingriffe dramaturgischer Art in die Textgestalt in großem Umfang erfordert. Über diesen Prozess der textuellen Transformation einer literarischen Vorlage in fragmentierte assoziative Bausteine gibt es kaum Literatur. Es gibt vor allem keine Art Anleitungshilfe: Wie soll man es angehen? Wie Shakespeare fragmentieren, um neues Licht auf die darin gefundenen menschlichen archetypischen Verhaltensmuster zu werfen? Und dabei wäre das erst der erste Schritt. Um wie viel allein gelassener steht der Dramaturg da, wenn ein postdramatisches Stück ohne Shakespeare als Unterlage entstehen soll, wenn die Inszenierung zugleich Stückentwicklung ist. Dabei ist für das postdramatische Theaterschaffen ja gerade charakteristisch, dass der Text nicht vor der Inszenierung entsteht, sondern mit ihr.

Im Schauspieltheater ist die Trennung von Dramaturg und Regisseur nach wie vor die Regel, auch wenn sie der Entwicklung eines postdramatischen Stücks im Grunde im Wege steht und engste Kooperation zuträglich wäre. Das Figurentheater kennt nur selten eine arbeitsteilige Herangehensweise, so dass eine Neuentwicklung postdramatischer Stücke hier daher eher gedeihen kann. Und tatsächlich gibt es innovative Neuentwicklungen, die das bezeugen. Die Personalunion von Dramaturg und Regisseur ist dabei jedoch nur einer der begünstigenden Faktoren im Figurentheater. Die anderen sind in der immer schon per se komplexen Beziehung zwischen Spieler und Figur und der Verbindung aus bildender und darstellender Kunst dieses Theatergenres zu sehen. Welche Rolle die daraus resultierenden bildkünstlerischen und darstellerischen Möglichkeiten des Figurentheaters spielen, soll im folgenden erfasst werden. Dabei geht es weniger um wissenschaftliche Erarbeitung als vielmehr um Umsetzbarkeit der Erkenntnisse in einen produktiv schöpferischen Prozess.

Bei einer offensichtlichen Prädisposition des Figurentheaters für das Postmoderne ist es verwunderlich, warum der große Durchbruch dieser Theatersparte nach wie vor auf sich warten lässt.

Sampling und Fraktale – Suchen, verwerfen und montieren als dramaturgische Verfahren

Die lineare Handlung konstituiert nicht mehr das Drama. So viel ist klar. Dennoch arbeitet das postdramatische Theater mit den gleichen Elementen: mit Handlung und Text. Fehlte die Handlung, wäre es kein Theater, denn auch fraktal, elliptisch verkürzt, bleibt Handlung doch Handlung. Angegriffen wird demnach lediglich die lineare Ausrichtung der Handlungslogik, so dass Text und Handlungen in anderer Weise in der Zeit organisiert werden als in der der Fortschreibung ‒ eben nichtlinear. Wesentlich bestimmt wird die Art der Organisation durch den zentralen Aufhängepunkt des Stücks, das Thema, den Stoff, das, worum es geht.

Im Figurentheater gibt es traditionellerweise verschiedene Impulse am Beginn einer Stückentwicklung: Es kann ein bildnerischer Eindruck sein, ein eindrückliches U-Bahn-Erlebnis, eine Zeitungsüberschrift, ein Ärgernis, eine Figur, ein Gesicht, die eine szenische Idee entzünden. Und die Liste ist nicht vollständig. Ausgehend von einem solchen ersten Impuls, der nicht einmal umgehend seine Umsetzung einklagen muss, sondern manchmal Jahre gärt, geht ein assoziatives Suchen nach andockbarem Material aus. Dieses Material ist wieder bildlicher, textueller, psychologischer oder sonstiger Art. Ein Figurenspieler ist ja immer ein Sammler von Dingen, die aussehen, als könnten sie Bedeutung gewinnen. Besen zum Beispiel. Oder Worte. Das Anlegen des Fundus als chaotischem Möglichkeitsraum erfolgt in spielerischer, unangestrengt assoziativer Weise. Dieser Fundus ist Jagdgebiet des Figurenspielers, das er auf der Suche nach Elementen seines neuen Stücks durchforstet. Es folgt, wenn die zündende Idee Fortschreibung einfordert, ein lang dauernder – aber jetzt gerichteter – Prozess des „Samplens“[16] aus dem eigenen Gehege.[17] Zu diesem Zeitpunkt finden Anregungen von außen nur noch dann Berücksichtigung, wenn sie unmittelbar passend scheinen, geradezu notwendig. Die postdramatische Herangehensweise lässt das Samplen als Vorgang des assoziativen Denkens während des Stückfindungsprozesses in der späteren Inszenierung deutlich durchscheinen und bildet es unter Umständen als mimetische Wiederherstellung des Denkvorgangs mit ab. Darübergelegt wird dann die Ebene künstlerischen Gestaltungswillens, so dass eine Überlagerung verschiedener Denkstrukturen stattfindet: ein Palimpsest[18] wie bei beschriebenen Papieren, durch die ein zuvor auf demselben Papier fixierter Text noch durchscheint.

Theater ist dabei immer Umsetzung von inneren Bildern in szenisches Handeln, in, wenn auch noch so minimalistische, Illusionen. Sie gehen im postdramatischen Stück eine ungleich komplexere Verbindung mit den sprachlichen Texten ein als im symbiotischen Handlung/Dialog-Gefüge des tradierten Theaters. Deckungsgleichheit von sprachlichem Text und Animation des Objekts ist lediglich eine Möglichkeit der Kopplung von Figur und Sprache. Im postdramatischen Stück handeln Figuren, während zeitgleich epische Texte rezitiert werden, die nicht einmal direkt auf das Handeln der Figur Bezug nehmen. Ein ausgeklügelt subtiles Verschränken von Sinnebenen liegt hier vor. Es entstehen fraktale Handlungsstränge, Gedankeneinheiten und Textstücke, die auf mehreren Sub-, Meta- oder Parallel-Ebenen miteinander in Beziehung treten. Ein besonderer Fall dieser nicht deckungsgleichen Konstruktion ist die parallele Inszenierung zweier Stücke, die sich in ihrer Sinnstiftung ergänzen und sich letztendlich einer übergeordneten Aussageabsicht unterordnen. Das entstehende Stückensemble ist nicht amorph. Es ist Form[19].

Postdramatisches Theater ist ein perspektiviertes Bezugsgeflecht geistiger und physischer Prozesse in einer zwangsweise linear sich entwickelnden Darbietung. Linearität in diesem Sinn ist durch die Irreversibilität zeitlicher Abläufe im Theater conditio sine qua non. Sie kann durch keinen Trick in ihrer Substanz getroffen werden, denn immer gilt: Eins folgt aufs andere. Das ist die Grundbedingung des Daseins. Diese Linearität des fortschreitenden Stückes, die der Dimension Zeit geschuldet ist, bestimmt den Wahrnehmungsakt des Zuschauers. Er kann nicht anders als nach und nach erleben. Die Zerstörung linearer Handlungsabläufe, wie sie das klassische Theater präsentierte, ist keine Befreiung von der an Linearität gefesselten Wahrnehmungsbedingung im Theater schlechthin. Anders als in Collage und Montage der bildenden Kunst ist das Nacheinander der performativen Akte unausweichlich. Wo Collage und Montage der bildenden Kunst den Betrachter der Freiheit aussetzen, die Richtungsfolge seiner Wahrnehmung selbst zu bestimmen, gilt für das Theater: Erst, wenn auf mehreren Bühnen zeitgleich verschiedene Darbietungen erfolgen, bestimmt der Zuschauer, was ihm rezeptiv geschehen soll, mithin, wohin er seine Aufmerksamkeit lenken will. Wo dem nicht so ist, bleibt die Wahrnehmungsbedingung des postdramatischen Theaters der des klassischen Theaters vergleichbar. Aufbrechung von Linearität kann sich nur auf der Ebene des Sinns, nicht auf der der Wahrnehmungsbedingung, vollziehen.

Die Sinnebene ist aufs engste verschränkt mit der Erwartungshaltung des Rezipienten, der sich nicht wie im klassischen Theater auf die Fortführung des Begonnenen einstellen kann, wo Handlungsstränge zerfasert werden. Der große logisch lineare Entwurf wird zertrümmert, fraktal und neu zusammengesetzt:

„in dauernder Vernichtung immer neu auf seine kleinsten Bauteile zurückgeführt, sich immer neu zusammensetzend aus seinen Trümmern in dauerndem Wiederaufbau, manchmal setzte er sich falsch zusammen, linke Hand an rechten Arm, Hüftknochen an Oberknochen […] lernte er den immer anderen Bauplan der Maschine lesen, die er war aufhörte zu sein anders wieder war mit jedem Blick Griff Schritt und daß er ihn dachte änderte schrieb mit der Handschrift seiner Arbeiten und Tode“[20].

Vernichtung und Wiederaufbau entsprechen der assoziativen Denkart. Hier wird minutiös die multiperspektivische Denkbewegung des Dramaturgen abgebildet. Zweifelsfrei erfordert diese Mimesis von kognitiven Verfahren noch stärker als die handlungsabbildende Mimesis einer fiktiven Fabel Vertrauen in die Wege der eigenen Intuition. Es kann ja der Orientierung bietende Handlungsverlauf nicht anhand logischer Überprüfung gefestigt werden. Eine dramaturgische Vorgehensweise dieser Art erfordert, sich einem Thema oder Stoff zu nähern und sich ihm hinzugeben: zunächst alles an Gedanken und Visionen zuzulassen und dann darauf zu vertrauen, dass es sich ordnet, vernetzt und verrätselt. Da kann ein Thema ganz übergreifend gewählt sein: Industrialisierung und Arbeitswelt zum Beispiel. Das kulturelle Gedächtnis hält viele Texte dazu bereit: „Die Weber“, Günter Wallraff, Brecht. Aus allem aber eine Auswahl zu treffen, alles im Kosmos des eigenen Denkens abzulegen und dort arbeiten zu lassen, ist die Arbeitsweise des Postdramaturgen. Sammeln und Baupläne entwickeln, sie verwerfen und abbilden, konstruieren und rekonstruieren in einem nie endenden Spiel, aus dem das letztlich inszenierte Stück nur einen Auszug zeigen kann. Pflücken, was gefällt, respektlos zerschneiden, hybridisieren. Krieg und Trümmerliteratur: Heinrich Böll, Uwe Johnson, Walter Koeppen... Postdramatische Verfahren greifen immer wieder auf bereits vorhandene Texte zurück. Ihre Stärke liegt im Arrangieren und neu Deuten. Nur interimistisch schreibt der Postdramaturg Szenen ganz selbst. Ein Stück zur Farbe „Blau“ – Romantik, Picassos blaue Periode der Armut, Koloritgeschichte, der blaue Mantel der Heiligen Maria. Auch aus einer solchen Vorgabe lässt sich im Figurentheater ein Stück machen. Oder Schiller revisted, Schiller, konfrontiert mit sich selbst. Postdramatik scheint im wesentlichen ein Theater kultureller Inventur. Die Lagerbestände kultureller Versatzstücke sind unüberschaubar. Zugang zu allen Stücken der Weltliteratur ist nahezu unbeschränkt möglich und die Produktion eines neuen Textes, eines Tropfens, der im Meer untergeht, scheint diese Unüberschaubarkeit nur zu verstärken und mutet sinnlos an. Recyclen wir lieber das schon Gedachte und gießen es in neue Formen.

[...]


[1] Zur Technik des Drehbuchschreibens vgl. u.a. Syd Field, Das Handbuch zum Drehbuch, Frankfurt 1997; Robert McKee, Story, Berlin 2000; Peter Rabenalt, Filmdramaturgie, Berlin/Köln 2011; Linda Seger, Das Geheimnis guter Drehbücher, Berlin 1997; Christopher Vogler, Die Odyssee des Drehbuchschreibers, Frankfurt/Main 1997.

[2] Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, Stuttgart 1983 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1863), S. 241.

[3] Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, Stuttgart 1983 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1863), S. 233.

[4] Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, Stuttgart 1983 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1863), S. 64.

[5] „Fast immer ist die Rede der Helden einfach, arm, eintönig, mit denselben wiederkehrenden Klängen“ Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, Stuttgart 1983 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1863), S. 241.

[6] Der Begriff der Postmoderne kommt aus der neuen französischen Philosophie. Vgl. dazu insbesondere Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Wien 1986; Jean-François Lyotard, Postmoderne für Kinder. Briefe aus den Jahren 1982-1985, Wien 1987.

[7] Als Bild dieses vegetativen Wucherns zieht die postmoderne Textwissenschaft das „Rhizom“ heran. Rhizome sind im Pflanzenbereich Wurzeln, die an jeder Stelle in jedwede Richtung wuchern können. Die Ingwerwurzel ist ein solches Rhizom. Zum rhizomatischen Denken vgl. Alfonso de Toro, Das Jahrhundert von Borges, in: Akzente 4 (1999), S. 323-339.

[8] Für Grohotolsky ist „jede Kunst mimetisch als Mimesis von Bewusstseins- oder Unterbewusstseinsprozessen“ zu verstehen. Ernst Grohotolsky, Ästhetik der Negation – Tendenzen des deutschen Gegenwartsdramas, Königstein 1984, S. 22.

[9] Sander, Sabine, Der Topos der Undarstellbarkeit. Ästhetische Positionen nach Adorno und Lyotard, Erlangen 2008, S. 262.

[10] Der Begriff „Postdramatik“, der entwickelt wurde, um diese sich offensichtlich verändernde Theaterpraxis zu beschreiben, geht auf Hans-Thies Lehmann zurück, der ihn in seinem Buch „Postdramatisches Theater“ aus dem Jahr 1999 erstmalig benutzte. Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater, Frankfurt /Main 1999.

[11] Als frühes Beispiel für Fragmentarität in Vollendung wird von der Literaturwissenschaft neuerdings Kleists „Guiskard“ gehandelt: „So verfestigt sich der Eindruck, das Scheitern des Guiskard-Projekts sei notwendig gewesen. Die Konzeption einer notwendigen Fragmentarität legt nahe, dass der Text in der vorliegenden Form […] als fragmentarischer bereits abgeschlossen war.“ Carlos Spoerhase, Nachwort. Versuch, ein uneingelöstes Versprechen zu verstehen: Über die Fragmentarität des Robert Guiskard, in: Carlos Spoerhase, Heinrich von Kleist: Robert Guiskard, Herzog der Normänner, Stuttgart 2011, S. 81.

[12] „Durch diesen Aufschub ei­nes endgültig aufzuhebenden Sinns ist das Erkennen durch die ästheti­sche Rationalität im Kunstwerk als ein nie zum Stillstand kommender Prozess organisiert“ Sabine Sander, Der Topos der Undarstellbarkeit. Ästhetische Positionen nach Adorno und Lyotard, Erlangen 2008, S. 199.

[13] Julia Eckel, Vom Orient über den Nordpol zum Ich. (Des)orientierende Medien und narrative Irrgärten, in: Double 1 (2012), S. 6-9.

[14] Julia Eckel, Vom Orient über den Nordpol zum Ich, a.a.O., S. 9.

[15] „Handlung“ meint die Konstruk­tion „des narrativen Zusammenhangs und der des körperlichen Tuns im Verlauf einer Aufführung“ Barbara Gronau, Theaterinstallationen. Performative Räume bei Beuys, Boltanski und Kabakov.,München 2010, S. 91. Beispiel für diese extreme Entwicklung ist Christoph Marthaler. Vgl. dazu Guido Hiß, Synthetische Visionen. Theater als Gesamtkunstwerk von 1800-2000. München 2005, S. 298.

[16] „Samplen“ meint no­madisierendes Sammeln von Text und Bildern, Ideen und Assoziationen.

[17] Das war im tra­ditionellen Theater im Grunde nicht anders. Nur wurde das ge­sammelte Material der Ausrichtung auf die lineare Handlung gewidmet.

[18] Zum Palimpsest als Überlagerung zweier Texte, so dass der untere ältere durch den oberen neueren durchscheint, vgl. Gérard Genette, Palimpsestes. La littérature au second degré, Paris 1982; dt. Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, aus d. Franz. v. Wolfram Beyer u. Dieter Hornig, Frankfurt / Main 1993.

[19] Form im künstlerischen Sinn ist minimalistisch definiert Struktur, die den Geist des Produzenten mimetisch abbildet und den Geist des Rezipienten zu befriedigen strebt.

[20] Heiner Müller, Herakles 2 oder Die Hydra, in: Frank Hörnigk (Hg.), Heiner Müller Material, Leipzig 1989, S. 76f.

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Details

Titel
Dramaturgie und Inszenierung im Figurentheater
Autor
Jahr
2015
Seiten
99
Katalognummer
V293970
ISBN (eBook)
9783656916857
ISBN (Buch)
9783656916864
Dateigröße
777 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Figurentheater, Objekttheater, Dramaturgie, Inszenierung, postdramatisch, Figurentheaterdramaturgie, Stückfindungsprozess, Puppentheater, Choreographie, commedia dell`arte, Stimmenskulpturen
Arbeit zitieren
Natalie Zweiböhmer (Autor:in), 2015, Dramaturgie und Inszenierung im Figurentheater, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293970

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