Christa Wolfs „Kein Ort. Nirgends“. Die Beziehung von Karoline von Günderrode zu Carl Friedrich von Savigny


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2015

18 Seiten

Eliane Rittlicher (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Die historische Beziehung der Karoline von Günderrode zu Savigny

3. Die Beziehung von Günderrode zu Savigny in Kein Ort. Nirgends

4. Literaturverzeichnis

1. Einführung

In ihrer 1979 erschienenen Erzählung Kein Ort. Nirgends inszeniert die Autorin Christa Wolf ein fiktives Treffen der beiden deutschen Dichter Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist. Ort, Zeit und Anlass des Zusammentreffens legt sie fest: Sie begegnen sich bei einer Teegesellschaft des Kaufmanns Merten im Juni 1804 in Winkel am Rhein, wo sich Karoline zwei Jahre später das Leben nimmt.[1] Um diese „erwünschte Legende“ zu schaffen, verarbeitet Christa Wolf authentisches literarisches Material sowie biographische und historische Details.[2]

Auf dem Landgut des Kaufmanns Merten treffen Günderrode und Kleist auf bekannte Persönlichkeiten der Frühromantik, unter ihnen zum Beispiel Clemens und Bettina Brentano und der Jurist Carl Friedrich von Savigny.

In dieser Ausarbeitung soll nun auf die Beziehung Karoline von Günderrodes zu Carl Friedrich von Savigny eingegangen werden, wie sie sich in der Erzählung Kein Ort. Nirgends darstellt. Dazu werden Textstellen, in denen beide gemeinsam auftreten oder aufeinander Bezug nehmen, angeführt und erläutert.

Barbara Becker-Cantarino bezeichnet die historische Günderrode, Kleist und die anderen in Kein Ort. Nirgends auftretenden Personen sowie den Ort und die Art der Begegnung lediglich als „andere, fremde Hülle“, die Christa Wolf mit ihrer eigenen, modernen Interpretation fülle.[3] Um jedoch deutlich zu machen, dass Christa Wolf der Erzählung durchaus wahre Begebenheiten zu Grunde gelegt hat, wird der Interpretation des Textes eine kurze Darstellung des historischen Verhältnisses der Günderrode zu Savigny vorangestellt, wie es von Christa Wolf[4] bzw. von .Nadja Gaumer[5] beurteilt wird.

2. Die historische Beziehung der Karoline von Günderrode zu Savigny

Karolines Sehnsucht nach Liebe wird von fast allen ihrer Rezipienten zum Motto ihres Lebens erklärt. Christa Wolf führt drei Männer an, die im Leben der Günderrode eine Rolle gespielt haben: Savigny, Clemens Brentano und Friedrich Creuzer.[6] Clemens Brentano bewundert sie für seine schriftstellerischen Leistungen, ist jedoch nicht an einer Liebesbeziehung zu ihm interessiert.[7] Die schicksalbestimmte Freundschaft zu Friedrich Creuzer nimmt im August 1804 in Heidelberg ihren Anfang. Nach zwei Jahren des Schwankens, heimlichen Treffen und einem „glühenden Briefwechsel“ erhält Karoline schließlich den Trennungsbrief und nimmt sich daraufhin am Rheinufer in Winkel mit einem Dolch das Leben.[8] Näher kann auf Brentano und Creuzer in diesem Rahmen leider nicht eingegangen werden.

Günderrode lernt Savigny auf einem Landsitz bei Freunden im Frühsommer des Jahres 1799 kennen. Sie verliebt sich in den später berühmten Professor der Rechtswissenschaft und preußischen Minister, was anhand eines Briefes an eine Freundin deutlich wird:

Schon beim ersten Anblick machte Savigne einen tiefen Eindruck auf mich, ich suchte es mir zu verbergen und überredete mich es sei blos Theilnahme an dem sanften Schmerz den sein ganzes Wesen ausdruckt, aber bald, sehr bald belehrte mich die zunehmende Stärke meines Gefühls, daß es Leidenschaft sei was ich fühlte...[9]

In einem weiteren Brief bittet Günderrode die Freundin, ihr zu schreiben, wenn sie etwas von Savigny höre, denn das sei ja das Einzige, was sie von Savigny haben könne, „der Schatten eines Traumes“.[10]

Bevor Savigny Mitte August eine Studienreise antritt, überlegt er, ob er Karoline von Günderrode heiraten möchte; er erkundigt sich in einem Brief vom 1. Juli 1799 nach den finanziellen Verhältnissen der Familie. Savingy macht ihr jedoch keinen Antrag, möglicherweise enttäuscht von den zerrütteten Familienverhältnissen der Günderrode.[11] Aber auch nach seiner Reise Anfang 1800 scheint er noch interessiert an einer Beziehung zu ihr, wenn er in einem weiteren Brief fragt, ob er „dem Gerücht glauben schenken soll, nach dem sie kokett oder prüd oder ein starker männlicher Geist sein müsse, oder ihren blauen Augen, in denen viel sanfte Weiblichkeit wohnt“.[12]

Im Oktober 1800 bemüht sich Clemens Brentano, Savigny für seine Schwester Bettina zu gewinnen, dies ohne Erfolg. Jedoch lernt Savigny bei einem extra arrangierten Treffen zufällig deren Schwester Kunigunde, genannt Gunda, kennen und verlobt sich mit ihr im Mai 1803.[13]

Daraufhin und bis zur Hochzeit von Savigny und Gunda Brentano im Mai 1804 folgt ein „launige[r], ironische[r], ungefährliche[r] Briefwechsel [zwischen Savigny und Günderrode] ... in unverbindlicher Manier“, „die nur der weh tut, die liebt“, so Christa Wolf.[14] Die Autorin ergreift hier wie an anderer Stelle deutlich Partei für Günderrode, wobei sich einwänden lässt, dass Karoline sich dem „Geplänkel“, dem „Spiel mit dem Feuer“ nicht entzieht, sondern mitspielt. [15]

Schließlich schlägt Savigny ein Dreiecksverhältnis vor: Er liebt zwei Frauen, entscheidet sich jedoch für die Liebe zu der einen und möchte zu der anderen in einem freundschaftlichen Verhältnis stehen.[16] Karoline geht in einem Brief auf diesen Vorschlag ein. Sie ist sehr angetan und bedankt sich überschwänglich dafür, dass Savigny und Gunda noch an das „Günderrödchen“ denken und sie nicht fortschicken. Ich zitiere aus ihrem Brief:

Wie traurig mußte da das Günderrödchen werden, wie mußte es sich behelfen in der schlechten Welt, es würde wohl hinaus gehen und suchen, und auch hier und da einkehren bei den Menschen, aber es würde ihm doch nicht gefallen in ihren Häusern es würde ihm eng und beklommen werden, denn ich glaube immer es wird bei Euch nur recht gern zu Hause sein.[17]

Von der selbstbewussten Frau, als die Christa Wolf die Günderrode in Kein Ort. Nirgends darstellt, ist hier wenig zu sehen. Schließlich – weil sie sich überflüssig fühlt – möchte sich Karoline von Savigny und seiner Verlobten trennen und ist bemüht, ihre „Seelen- und Verstandeskräfte“ auf ihre „zweite Leidenschaft“, die Arbeit, zu konzentrieren.[18] Nach der Hochzeit der beiden im Mai 1804 zieht sie sich in ihr Studierzimmer im Stift zurück. Trotzdem: Immer noch knistert es manchmal in den Briefen zwischen Karoline und dem nun verheirateten Mann.[19] Sie ist schließlich bemüht, sich an die von ihm aufgestellten Regeln bezüglich ihres „Dreierbundes“ zu halten.

Nadja Gaumer ist der Meinung, dass sich das Bild, welches Christa Wolf von Karoline von Günderrode zeichnet, von der „erwachsenen, selbstbewußten Frau“ die ohne Fehl und Tadel erscheint und dem Mann Savigny gegenübertritt, nicht halten lässt. Zu wichtig ist ihr eine Ehe als Alternative zum Stift und als Anerkennung sowohl ihrer Person als auch ihrer literarischen Tätigkeit. In ihren Briefen nämlich überwiege der Ton der Unterwürfigkeit.[20] Auch Ute Brandes bezeichnet Günderrodes Verhältnis zu Savigny als „unglücklich“.[21] Sie charakterisiert es folgendermaßen:

Das schon jahrelang währende gefährliche Spiel mit ihren Gefühlen als Dritte in einem Liebesbunde besteht aus Geplänkel und Schmeichelei vonseiten des Mannes, der inzwischen mit Gunda Brentano verheiratet ist, und heftiger Zuneigung ihrerseits, die sie nur unter Qualen verstecken kann.[22]

Weiterhin bestätigt Brandes die Ansichten Gaumers wenn sie erklärt, dass die historische Günderrode nicht zu einem ähnlich entschlossenen Bekenntnis zu ihrer Kunst finde wie in Kein Ort. Nirgends und dass im Orginalwortlaut der Briefe die Rücksicht der liebenden Frau dem Mann gegenüber überwiege.[23]

3. Die Beziehung von Günderrode zu Savigny in Kein Ort. Nirgends

Zum ersten Mal wird Savigny in der Erzählung erwähnt, als Karoline sich an einen Traum erinnert. In diesem Traum verwundet Savigny sie mit einer Waffe am Hals und heilt sie dann wieder durch eine „ekelhafte[ ], dampfende[ ] Brühe“.[24] Bereits hier wird die „unerwiderte Liebe“[25] der Günderrode in einem inneren Monolog angedeutet: „ Das ist es, was ich von ihm haben kann: den Schatten eines Traumes. Sie verbot sich zu weinen und vergaß den Traum und den Grund für ihre Trauer.“[26] Auch ihr späterer Selbstmord wird hier angedeutet, indem sie den Dolch, den sie bei sich trägt, erwähnt und die Tatsache, dass sie wisse, wie man ihn ansetzen müsse.

Als Savigny mit seiner Frau tatsächlich auf der Teegesellschaft erscheint, errötet die Protagonistin der Erzählung.[27] Wir erfahren, dass sein Eintritt ihr „eine Minute freudiger Selbstvergessenheit verschafft, schnelleren Herzschlag, unwillkürliche Bewegungen, die sie nicht regieren kann“, während sie sonst „jeden Impuls, jede Aufwallung zu beherrschen und zu unterdrücken versteht“.[28] Dieses ungewollte Verhalten macht deutlich, wie stark Günderrode auf den frisch verheirateten Mann reagiert.

Karoline von Günderrode ist sich jedoch der Macht, die Savigny über sie hat, bewusst, was durch folgenden inneren Monolog verdeutlicht werden soll: „Er ist gekommen. Weiß, daß ich warte, und verläßt sich darauf, daß ich es verbergen kann. Er begreift, daß ich treu bin, wenn ich liebe, und selbstlos, und er nutzt es aus, und ich muß ihn dafür um so mehr lieben. Auch das hat er eingerechnet.“[29] Das Zitat ist außerdem ein Beleg für die Liebe Günderrodes zu Savigny. Obwohl sie weiß, dass er ihre Treue und Selbstlosigkeit ausnutzt, liebt sie ihn, und zwar „um so mehr“. Günderrode fügt hinzu: „Das geht immer so weiter.“[30]

[...]


[1] Vgl. Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 7. Auflage, 2001. (Im Folgenden zitiert als „KON“ mit Angabe der Seitenzahl.) S. 6.

[2] Vgl. Ute Brandes: Das Zitat als Beleg. Christa Wolf „Kein Ort. Nirgends“. In: Dies.: Zitat und Montage in der neueren DDR-Prosa. Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang, 1984. S. 61 – 100. (Im Folgenden zitiert als „Brandes“ mit Angabe der Seitenzahl.) S. 61.

[3] Vgl. Barbara Becker-Cantarino: Schriftstellerinnen der Romantik. Epoche – Werk – Wirkung. München: Beck Verlag, 2000. S. 199 – 278. (Im Folgenden zitiert als „Becker-Cantarino“ mit Angabe der Seitenzahl.) S. 273.

[4] Vgl. Christa Wolf: Der Schatten eines Traumes. Karoline von Günderrode – ein Entwurf. In: Dies.: Kein Ort. Nirgends. Der Schatten eines Traumes. Karoline von Günderrode – Ein Entwurf. Nun ja. Das Leben geht aber heute an. Ein Brief über die Bettine. München: Luchterhand, 2000. Werk in 12 Bänden, Bd. 6. S. 107 – 175. (Im Folgenden zitiert als „Schatten eines Traumes“ mit Angabe der Seitenzahl.)

[5] Nadja Gaumer: Christa Wolfs Essay „Der Schatten eines Traumes. Karoline von Günderrode – ein Entwurf“. Eine Untersuchung zu Christa Wolfs Rezeption von Karoline von Günderrode und deren Zeitgenossen, den Romantikern um 1800. (Magisterarbeit) Marburg: 1990. (Im Folgenden zitiert als „Gaumer“ mit Angabe der Seitenzahl.)

[6] Vgl. Schatten eines Traumes. S. 129.

[7] Vgl. Becker-Cantarino. S. 203.

[8] Vgl. ebd. S.203 und 204.

[9] Vgl. Gaumer. S.79. Der Brief ist an Karonline von Barkhaus gerichtet vom 4. Juli 1799.

[10] Vgl. ebd. S. 80. Das Zitat „der Schatten eines Traumes“ lieferte 1979 den Titel der von Christa Wolf herausgegebenen und kommentierten Zusammenstellung von Gedichten, Prosa, Briefen und Zeugnissen von Zeitgenossen von Karoline von Günderrode.

[11] Vgl. ebd.

[12] Vgl. Schatten eines Traumes. S. 130. Der Brief ist gerichtet an Leonard Creuzer.

[13] Vgl. Gaumer. S. 81.

[14] Vgl. Schatten eines Traumes. S. 130.

[15] Vgl. Gaumer. S. 81 und 82. Nadja Gaumer kritisiert auch an anderen Stellen die „fragwürdige Verarbeitung der Quellen“ (S. 83) und die „wertenden Kommentare“ Christa Wolfs, durch die sie Günderrodes Verhalten psychologisch zu erklären versucht, für Savigny jedoch wenig Verständnis aufbringt. (S. 84)

[16] Vgl. ebd. S. 82. Savigny überträgt dieses Verhaltensmuster aus einem französischen Feenmärchen „Daphnis und Pandrose“.

[17] Vgl. Schatten eines Traumes. S. 161. Karoline von Günderrode schreibt den Brief an Savigny am 25.12. 1803.

[18] Vgl. ebd. S. 136.

[19] Vgl. ebd. S. 139. Sie bezeichnet z.B. seine Gegenwart als „zauberisch“ und lässt ihn wissen, dass er „allzu gefährlich für zarte Gemüter“ sei.

[20] Vgl. Gaumer. S. 84 und S. 92.

[21] Vgl. Brandes. S.74.

[22] ebd.

[23] Vgl. ebd. S. 75.

[24] KON. S. 9 und 10.

[25] Schatten eines Traumes. S. 127.

[26] Vgl. KON. S. 10.

[27] Vgl. ebd. S. 18.

[28] Ebd. S. 20.

[29] Ebd. S. 19 und 20.

[30] Ebd. S. 20.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Christa Wolfs „Kein Ort. Nirgends“. Die Beziehung von Karoline von Günderrode zu Carl Friedrich von Savigny
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V293811
ISBN (eBook)
9783656913542
ISBN (Buch)
9783656913559
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
christa, wolfs, kein, nirgends, beziehung, karoline, günderrode zu, carl, friedrich, savigny, fiktives Treffen, Winkel, Erzählung, Karoline von Günderrode, Carl Friedrich von Savigny, Romantik
Arbeit zitieren
Eliane Rittlicher (Autor:in), 2015, Christa Wolfs „Kein Ort. Nirgends“. Die Beziehung von Karoline von Günderrode zu Carl Friedrich von Savigny, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293811

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