Das Betreuungsgeld. Hemmt es die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund?


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2015

16 Seiten

Ludger Henwars (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Betreuungsgeld

3. Die Lebenssituation von Familien mit Migrationshintergrund

4. Auswirkungen des Betreuungsgeldes auf die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund
4.1 Mögliche Folgen für die Integration von Frauen
4.2 Mögliche Folgen für die Integration von Kindern

5. Ein Blick nach Norwegen
5.1 Die Ausgestaltung des Betreuungsgeldes
5.2 Auswirkungen auf die Gesellschaft

6. ZusammenfassungundFazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Das Betreuungsgeld wirkt der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund entgegen - so lautet zumindest das vernichtende Urteil der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer am 10. Juni 2012 veröffentlichten Studie, die sich dabei vor allem auf Untersuchungen zur Situation in Norwegen stützt, wo bereits seit einigen Jahren ein Betreuungsgeld gezahlt wird (OECD, 2012: 196). Klare Kritik an dieser familienpolitischen Geldleistung also, deren Einführung seit diesem Sommer auch in Deutschland wieder vermehrt Gegenstand der Diskussion ist. Mit dieser Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, inwieweit die Bewertung der OECD überhaupt auf die Situation in Deutschland übertragen werden kann und somit herausfinden, ob das Betreuungsgeld in seiner geplanten Form auch in unserer Gesellschaft als Hemmnis bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund wirken könnte.

Die grundlegende Annahme hinter dieser Hypothese ist zum einen, dass vor allem finanziell schlechter gestellte Familien ihre Kleinkinder nicht in Kindertageseinrichtungen schicken, sondern lieber zu Hause betreuen würden, um das monatliche Betreuungsgeld zu erhalten - die Gefahr also, dass ein finanzieller Anreiz zur rein häuslichen Kinderbetreuung geschaffen werden könnte. Eine weitere Annahme ist, dass sich unter finanziell schlechter gestellten Familien überdurchschnittlich viele mit Migrationshintergrund befinden und diese somit vermehrt auf diesen Anreiz reagieren. Auf die Integration dieser Gruppe könnten sich dann zwei Aspekte negativ auswirken: Erstens könnten vor allem Frauen mit Migrationshintergrund zunehmend erwerbslos bleiben, da sie vorrangig diejenigen sind, die die häusliche Erziehungsarbeit übernehmen. Das Knüpfen sozialer Kontakte, das Erlernen der deutschen Sprache und somit letztendlich auch die Integration in unsere Gesellschaft wären gehemmt. Zweitens gilt ganz Ähnliches für die Kinder, da ihnen der frühe Umgang mit Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund und das Legen wichtiger sprachlicher Grundsteine erschwert werden könnte.

Um diesen Annahmen nachzugehen, werde ich zunächst das für Deutschland angestrebte Modell des Betreuungsgeldes erläutern und die Lebenssituation von Familien mit Migrationshintergrund beschreiben. Anschließend werde ich auf mögliche Auswirken eingehen, die die Einführung eines Betreuungsgeldes auf die Integration von Frauen und Kindern mit Migrationshintergrund haben könnte. Schließlich möchte ich einen detaillierteren Blick auf die Situation in Norwegen werfen, das Land also, das Gegenstand der Studie der OECD war. Abschließend werde ich in einem Fazit den Bogen zwischen Deutschland und Norwegen spannen, die Vergleichbarkeit der beiden Länder bewerten und schließlich beurteilen, ob das angedachte Betreuungsgeld in Deutschland ein Hemmnis bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund sein könnte.

2. Das Betreuungsgeld

Ob Erziehungsgehalt, Erziehungsprämie, Betreuungsgeld oder aber von Kritikern abfällig „Herdprämie“ genannt - unter verschiedenen Begriffen wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder die selbe Sache diskutiert: die mögliche Einführung einer staatlichen Geldleistung, die Eltern für die häusliche Erziehungs- und Familienarbeit erhalten sollen, wenn sie ihre Kleinkinder nicht in einer staatlich geförderten Einrichtung betreuen lassen, sondern diese Betreuung stattdessen selbst übernehmen. Es geht dabei also primär um das Honorieren einer Tätigkeit, die mit der Erwerbsarbeit eines Arbeitnehmers verglichen und dementsprechend honoriert werden soll (Leipert/Opielka, 1998: 13). Zunächst einmal mussjedoch geklärt werden, was überhaupt gemeint ist, wenn in der aktuellen Diskussion von einem Betreuungsgeld die Rede ist.

Nach der Bundestagswahl 2009 wurde vor allem auf Initiative der CSU die Einführung eines Betreuungsgeldes ab dem Jahr 2013 im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP verankert. Die detaillierte Ausgestaltung dieser Geldleistung wurde schließlich am 12. Juni 2012 deutlich, als die Regierungskoalition einen entsprechenden Gesetzesentwurf zur Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) in den Bundestag einbrachte. Diesem Gesetzesentwurf zufolge soll für jeweils einen Elternteil ab Januar 2013 ein Anspruch auf Betreuungsgeld bestehen, wenn ein Kind, das nach dem 31. Dezember 2011 geboren wurde, nicht in einer staatlich geförderten Kindertageseinrichtung betreut wird. Dabei ist für das Jahr 2013 zunächst vorgesehen, dass für Kinder ab dem 13. bis einschließlich dem 24. Lebensmonat monatlich 100 Euro gezahlt werden. Ab dem Jahr 2014 soll die Zahlung schließlich dahingehend ausgeweitet werden, dass für alle Kinder ab Beginn des 13. bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats ein monatlicher Betrag von dann 150 Euro gezahlt wird (Deutscher Bundestag, 2012: 3 ff.).

Der Anspruch auf Betreuungsgeld soll zwar nicht an den Erwerbsstatus oder das Einkommen der Eltern gekoppelt sein, würde jedoch in voller Höhe auf Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe angerechnet werden. Die Regierungsfraktionen begründen dies damit, dass das Betreuungsgeld als zusätzliches Einkommen zur Stärkung der ökonomischen Grundlage der Eltern anzusehen sei und ein erhöhtes Einkommen somit logischerweise eine Senkung von einkommensabhängigen Sozialleistungen wie beispielsweise Arbeitslosengeld II zur Folge haben müsse (Ebd.: 8).

Mit der Einführung des Betreuungsgeldes möchten die Regierungsfraktionen die Wahlfreiheit der Eltern bei der Betreuung ihrer Kinder erhöhen sowie die Erziehungsarbeit der Eltern anerkennen und unterstützen. Darüber hinaus soll die Förderlücke geschlossen werden, die für Eltern von Kindern zwischen einem und drei Jahren bestehe. Das Betreuungsgeld soll daher direkt an das Elterngeld anschließen, das während des ersten Lebensjahres des Kindes gezahlt wird, und diejenigen Eltern unterstützen, die nach dieser Zeit keine staatlich geförderte Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen möchten (Ebd.: 7). Nach neuerer wohlfahrtsstaatlicher Typologie läge dieser Geldleistung somit ähnlich wie dem Grundeinkommen ein garantistisches Verständnis von Sozialpolitik zugrunde. Die Regierungsfraktionen folgen dabei aber auch klassisch konservativen Werten wie dem Schutz der Institution Familie (Opielka, 2004: 110, 116).

3. Die Lebenssituation von Familien mit Migrationshintergrund

Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen alle Menschen, die seit 1950 entweder selbst nach Deutschland eingewandert sind oder hier mit fremder Staatsangehörigkeit geboren wurden, aber auch die hier geborenen Deutschen, bei denen mindestens ein Elternteil nach Deutschland eingewandert ist oder hier mit fremder Staatsangehörigkeit geboren wurde. Demnach hatten im Jahr 2009 etwa 16 Millionen und damit fast 20% der insgesamt knapp 82 Millionen in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt, 2011: 188). Familien mit Migrationshintergrund sind dabei „alle in einem Haushalt zusammen lebenden Eltern-Kind-Gemeinschaften, bei denen mindestens ein Elternteil eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt oder die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung oder - wie im Fall der Spätaussiedler - durch einbürgerungsgleiche Maßnahmen erhalten hat“ (Ebd.: 32). Im Jahr 2009 waren dies 2,3 Millionen Familien, was einem Anteil von 28,4% an den Familien insgesamt entspricht (Prognos AG, 2010: 16).

Die Familien mit Migrationshintergrund stellen keine homogene Gruppe dar. Stattdessen lassen sich beim Blick auf diejeweilige Herkunft große Unterschiede in der sozialen Stellung ausmachen, sodass hier ausdrücklich von Durchschnittswerten die Rede ist. Betrachtet man einige Statistiken, die für die zu überprüfende Hypothese von Relevanz sein könnten, so zeigen sich schnell Unterschiede in der Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund und ihren Familien auf der einen und denen ohne Migrationshintergrund auf der anderen Seite.

In fast 60% aller Familien ohne Migrationshintergrund sind beide Elternteile erwerbstätig, während es in Familien mit Migrationshintergrund nicht einmal 40% sind. Der traditionellen Rollenverteilung folgend ist dort in den meisten Fällen der Vater der alleinige Ernährer (Statistisches Bundesamt, 2012: 37). Auch das individuelle Nettoerwerbseinkommen lag im Jahr 2009 bei Menschen mit Migrationshintergrund im Schnitt 18% unter dem der restlichen Bevölkerung (Ebd.: 197). Dies verwundertjedoch kaum, schließlich verfügen sie im Vergleich zur restlichen Bevölkerung nicht nur über ein niedrigeres Bildungsniveau (Ebd.: 195), sondern sind daran anschließend auch in der Berufshierarchie weiter unten angesiedelt (Seebaß, 2011: 42). Darüber hinaus stellt für 15% der Familien mit Migrationshintergrund das Arbeitslosengeld II die Haupteinkommensquelle dar. Damit wird diese Transferleistung von ihnen doppelt so häufig bezogen, wie von Familien ohne Migrationshintergrund (Prognos AG, 2010: 39). Außerdem sind Familien mit Migrationshintergrund etwa doppelt so häufig durch Armut gefährdet wie andere Familien (Ebd.: 37).

Somit kann gesagt werden, dass Familien mit Migrationshintergrund im Durchschnitt entsprechend der Annahme tatsächlich finanziell schlechter gestellt sind als Familien ohne Migrationshintergrund. Auf dieser Grundlage könnte das Betreuungsgeld für sie in besonderem Maße einen finanziellen Anreiz schaffen, die eigenen Kinder zu Hause zu betreuen.

4. Auswirkungen des Betreuungsgeldes auf die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund

4.1 Mögliche Folgen für die Integration von Frauen mit Migrationshintergrund

Trotz abnehmender Tendenz sind es, traditionellen Rollenmustem folgend, in Familien allgemein nach wie vor hauptsächlich die Mütter, die den Großteil der häuslichen Erziehungsarbeit übernehmen. So waren im Jahr 2009 beispielsweise über 80% aller Väter von unter dreijährigen Kindern erwerbstätig, jedoch nur 30% der Mütter (Statistisches Bundesamt, 2011: 36). Die Einführung eines Betreuungsgeldes könnte dies noch verstärken und für Mütter von Kleinkindern einen finanziellen Anreiz schaffen, dem Arbeitsmarkt fernzubleiben um die Kinder zu Hause zu betreuen. Doch was könnte es insbesondere für Frauen mit Migrationshintergrund bedeuten, wenn sie das Angebot annehmen, nicht nur die Gebühren für die Kindertagesbetreuung zu sparen, sondern zusätzlich dazu eine monatliche Geldleistung zu erhalten? Die Erwerbsquote von Müttern unter achtzehnjähriger Kinder liegt bei jenen mit Migrationshintergrund auch heute schon deutlich unter der von jenen ohne Migrationshintergrund. Im Jahr 2009 standen hier 50% ganzen 72% gegenüber (Prognos AG, 2010: 50). Die Einführung eines Betreuungsgeldes könnte nicht nur einen negativen Effekt auf die Erwerbsquote beider Gruppen haben, sondern vor allem die Differenz zwischen beiden weiter vergrößern, da das Betreuungsgeld für die im Durchschnitt finanziell schlechter gestellten Mütter mit Migrationshintergrund ein größerer finanzieller Anreiz sein könnte, als für diejenigen ohne Migrationshintergrund.

Die Partizipation am Arbeitsmarkt ist Teil des gesellschaftlichen Lebens. Gerade für Menschen mit Migrationshintergrund kann der Arbeitsplatz viel mehr sein als lediglich der Ort, an dem man regelmäßig einer abhängigen Beschäftigung nachgeht, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Hier kommen sie mit anderen Menschen in Kontakt, vor allem auch mit solchen ohne Migrationshintergrund, und knüpfen womöglich soziale Kontakte, die auch über die Arbeit hinaus Bestand haben. Sie lernen die kulturellen Gepflogenheiten ihrer neuen Heimat kennen, üben sich im Umgang damit, verbessern durch den regelmäßigen Sprachgebrauch die eigenen Deutschkenntnisse und steigern somit nach und nach ihren Grad sozialer Teilhabe (Prognos AG, 2010: 99), denn Sprache ist und bleibt „eine Kompetenz, die man braucht, um dazuzugehören“ (Özoguz, 2010: 7).

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Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das Betreuungsgeld. Hemmt es die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund?
Autor
Jahr
2015
Seiten
16
Katalognummer
V293799
ISBN (eBook)
9783656913160
ISBN (Buch)
9783656913177
Dateigröße
428 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
betreuungsgeld, hemmt, integration, menschen, migrationshintergrund
Arbeit zitieren
Ludger Henwars (Autor:in), 2015, Das Betreuungsgeld. Hemmt es die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293799

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