Biografiearbeit. Begriffsklärungen und Gegenstand der Biografiearbeit


Akademische Arbeit, 2010

18 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1 Begriffsklärungen
1.1 Biografie
1.2 Dimensionen von Biografie
1.2.1 Biografie als subjektive Wirklichkeit
1.2.2 Biografie als Prozess
1.2.3 Biografie und Lebenswelt
1.3 Biografiearbeit - Annäherung an den Begriff
1.3.1 Biografieforschung als relevante Bezugswissenschaft
1.3.2 Biografiearbeit - Definition
1.3.3 Zum Methodenbegriff in Bezug auf Biografiearbeit
1.3.3.1 Methodenbegriff allgemein
1.3.3.2 Methodenbegriff in der stationären Kinder- und Jugendhilfe
1.4 Abgrenzung zur Therapie

2 Gegenstand der Biografiearbeit
2.1 Biografische Selbstreflexion
2.2 Autobiografisches Gedächtnis

3 Literaturverzeichnis

Um den Begriff „Biografiearbeit“ zu verstehen, bedarf es zunächst einiger Begriffsklärungen, begonnen mit dem Begriff Biografie (Kapitel 1.1) und dessen Dimensionen (Kapitel 1.2). Anschließend soll eine ausführliche Annäherung an den Begriff der Biografiearbeit stattfinden (Kapitel 1.3), um Biografiearbeit von der Therapie abzugrenzen (Kapitel 1.4). Abschließend wird auf den Gegenstand der Biografiearbeit (Kapitel 2) eingegangen.

1 Begriffsklärungen

1.1 Biografie

„Biografie bedeutet Lebensbeschreibung (das griechische Wort bios = leben, gráphein = schreiben, zeichnen, abbilden darstellen).“ (Hölzle, 2009a, 31).

„… Biografie beschreibt einen Prozess, der mit der Geburt eines Menschen beginnt und mit dessen Tod endet.“ (Raabe, 2004, 9).

Biografien sind immer nur Einzelteile eines Lebens, auch wenn sie den Anspruch haben, ein ganzes Leben wiederzugeben. Jede Beschreibung, auch wenn sie noch so gut ist, bleibt eine Re-Konstruktion einer Realität, die vergangen ist (Ruhe, 1998, 134).

Bei Glinka (2005, 209ff) ist Biografie als eine Gesamtschau, die sich sowohl auf die Abfolge von Ereignissen als auch auf die eingelagerten Erfahrungen richtet, zu verstehen. Es sind keine unveränderbaren, starren Gebilde, sondern dynamische Vorgänge, die sich mit jeder Entscheidung neu formen.

„Biographie ist als Konzept strukturell auf die Schnittstelle von Subjektivität und gesellschaftlicher Objektivität, von Mikro- und Makroebene angesiedelt und eröffnet somit die Möglichkeit, Lern- und Bildungsprozesse im Spannungsfeld subjektiver und objektiver Analysen zu erfassen.“ (Krüger/ Marotzki, 1999, 8)

1.2 Dimensionen von Biografie

Will man den Begriff Biografie in seinen vielfältigen Schichten verstehen, was wiederum die Voraussetzung für das richtige und umseitige Verständnis von Biografiearbeit ist, muss man sich die verschiedenen Dimensionen von Biografie ansehen, zunächst Biografie als subjektive Wirklichkeit (Kapitel 1.2.1), dann als Prozess (Kapitel 1.2.2) und Biografie in Bezug zu Gesellschaft und Lebenswelt (Kapitel 1.2.3).

1.2.1 Biografie als subjektive Wirklichkeit

„Erinnerung ist nie objektiv.“ (Gudjons/ Wagener-Gudjons/ Pieper, 2008, 25). Raabe (2004, 8) spricht bei Biografie von einer inneren Wirklichkeit und einer äußeren Realität. Das was von außen betrachtet werden kann, ist der Lebenslauf, die innere Wirklichkeit erfahren Außenstehende nur, indem es der Biografieträger1 ihnen mitteilt. In der Biografiearbeit ist es wichtig, die Einflüsse von innen nach außen2, aber auch von außen nach innen zu bearbeiten (ebd). Es ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass Menschen ihre Wirklichkeit konstruieren und die Erinnerung „… ein komplexes und kompliziertes Konglomerat der Reproduktion von vergangener Wirklichkeit, dem Erleben dieser Wirklichkeit, dem Speichern dieses Erlebens, des Zugriffs auf das Gedächtnis und der Intentionen des Zugriffs.“(Ruhe, 1998, 11) ist. Das bedeutet, dass Biografie bzw. die innere Wirklichkeit immer subjektiv ist.

1.2.2 Biografie als Prozess

Biografie lässt sich als ein Prozess beschreiben, der von zwei wichtigen Aspekten gekennzeichnet ist: der Aufgabe und der Gefühlshaltung.

Mit jeder Veränderung entstehen für den Menschen neue Aufgaben (Schulze, 2002, 35). Fend (2000, 421ff) nennt z.B. die Entwicklungsaufgaben in der Pubertät. Es geht darum, diese Aufgaben erfolgreich zu bewältigen und daraus Kräfte für weiteres Handeln zu schöpfen (ebd). Denn in jeder „… Handlungsabfolge bedingt das vorausgehende Ereignis die Folgehandlung: Die Bedingungen des menschlichen Handelns liegen in der Vergangenheit.“ (Raabe, 2004, 7).

Der zweite Aspekt, die Gefühlshaltung, meint, „…dass Gefühle und gefühlsmäßige Einstellungen – Abneigungen, Zuneigungen und Interessen, Ängste, Wünsche und Hoffnungen - an der Gestaltung der Biografie einen wesentlichen Anteil haben.“ (Schulze, 2002, 35). Dabei geht es darum, unterschiedliche Gefühlshaltungen zu verbinden und die Frage, welchen Grad der Ausprägung und wie sie inhaltlich gefüllt sind, zu erarbeiten (ebd).

Biografische Prozesse haben den Charakter von Wandlungsprozessen und verschaffen dem Individuum bei erfolgreicher Bewältigung „… einen Zuwachs an Bewegungsfreiheit, Verarbeitungskapazität und Selbstbewusstsein.“ (ebd, 37).

1.2.3 Biografie und Lebenswelt

Biografie unterliegt sowohl der narrativen als auch der sozialen Konstruktion (Hanses, 2008, 11). Biografie ist „… immer auch Spiegel gesellschaftlicher, kultureller und sozialer Verhältnisse…“ (Gudjons/ Wagener-Gudjons/ Pieper, 2008, 16). In dieser Hinsicht ist Ulrich Beck zu beachten, der von einer zunehmenden Pluralisierung der Lebensformen spricht. Die Normalbiografie wird zur „Bastel“- Biografie. Zunehmende Möglichkeiten und die zunehmende Destabilisierung sozialer Ordnungen bieten neben der Entscheidungsfreiheit und Selbststrukturierung des Lebens auch ein hohes Risiko des Scheiterns (Ruhe, 1998, 135). Riskant deshalb, weil die Sinnhorizonte der modernen Biografie diffus geworden sind (Alheit, 2002, 190). Zunehmende Wahlmöglichkeiten fordern immer höhere Ansprüche an die biografische Kompetenz, Leben zu gestalten (Schulze, 2002, 25).

Wichtigen Einfluss auf die Biografie haben zudem die konkrete Lebenswelt und der soziale Raum des Individuums (ebd 37). Biografie ist geprägt von den Strukturen sozialer Differenzen, wie dem Geschlecht des Individuums, den sozialen Lagen und Milieus und der kulturellen Zugehörigkeit (Hanses, 2008, 13). „Alle… Differenzierung der Lebenswelt eines Menschen erhalten in biographischer Sicht eine zusätzliche Bedeutung, durch die Erfahrungen, die dieser Mensch mit ihnen macht, durch die Art und Weise, wie er diese differenzierenden Momenten wahrnimmt, erlebt, aneignet, deutet und für die Gestaltung seines weiteren Lebens nutzt.“ (Schulze, 2002, 39). In diesem Zusammenhang spricht Peter Alheit (2002, 205) von der Schlüsselqualifikation Biographizität. Damit meint er die Fähigkeit, das Leben in den vorgegebenen Kontexten immer wieder neu auslegen zu können mit der Verbindung diese Kontexte als bildbar und gestaltbar zu erfahren.

Zusammenfassend bietet Biografie als Prozess „… somit Einsicht in die soziale Strukturiertheit biografischen Eigensinns und zeigt, dass individuelle Rekonstruktionen von ˏProblemlagen` gleichzeitig Ausdruck eines sozialen Allgemeinen sind.“ (Hanses, 2008, 13). Biografie hat somit immer zwei Perspektiven: Der Einzelne/ das Subjekt, und die Umwelt/ die Gesellschaft (Raabe, 2004, 11). Insgesamt ist „Biografie … ein Schlüsselkonzept zum Verständnis der Entwicklung des Menschen.“ (ebd).

1.3 Biografiearbeit - Annäherung an den Begriff

Um sich nun dem Begriff der Biografiearbeit anzunähern, bedarf es zunächst der dazugehörigen Bezugswissenschaft (Kapitel 1.3.1) mit einer anschließenden Abgrenzung zwischen Biografieforschung und –arbeit. Aufbauend darauf kann die Definition von Biografiearbeit (Kapitel 1.3.2) formuliert werden, um im Anschluss Biografiearbeit in den Methodenbegriff einordnen zu können (Kapitel 1.3.3).

1.3.1 Biografieforschung als relevante Bezugswissenschaft

„Biografie als sozialwissenschaftliches Konzept hat seine wissenschaftliche Standortbestimmung durch die Entwicklung der Biografieforschung erhalten.“ (Hanses, 2008, 11). Noch genauer gesagt, hat Biografiearbeit ihre relevante Bezugswissenschaft in der Biografieforschung (Dausien, 2005, 8).

Biografieforschung ist noch gar nicht so alt, ihr Beginn liegt in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, als Znaniecki die Lebenslaufstudien über polnische Bauern, die in die USA wanderten, publizierte. Ebenso bedeutsam waren die Lebenslaufanalysen von C.R. Shaw über straffällige Jugendliche in den 30er Jahren (Gudjons/ Wagener-Gudjons/ Pieper, 2008, 14). In Deutschland beschäftigt sich die Biografieforschung seit Ende der 70er Jahre mit den „…Strukturen eines institutionalisierten Lebenslaufs als Ablaufmuster, in denen sich gesellschaftliche und soziale Ordnungsmuster moderner Gesellschaften… als ˏNormalbiografie` abbilden.“ (Jansen, 2009a, 17). In den 90er Jahren wendet sich die Erziehungswissenschaft der Alltags- und Lebenswelt des Menschen zu (Gudjons/ Wagener-Gudjons/ Pieper, 2008, 14). Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind die Pluralisierung der Lebensformen und die Auflösung der „Normalbiografie“. In der Pädagogik findet durch die Ausdifferenzierung verschiedener selbstständiger Tätigkeitsfelder, wie die Heilpädagogik und die Fort- und Erwachsenenbildung, eine vermehrte Beschäftigung mit Biografien statt. 1994 wurde die Kommission „Erziehungswissenschaftliche Biografieforschung“ gegründet. (Schulze, 2002, 24f).

Die Biografieforschung kommt zu ihrer Erkenntnis auf zwei Wegen, entweder durch das Vorfinden von persönlichen Dokumenten wie Tagebüchern und Autobiografien oder durch das Produzieren von Daten, indem sie Forschungsinstrumente wie das narrative Interview, die Gruppendiskussion oder die teilnehmende Beobachtung anwendet. Biografieforschung hat somit mit der Erhebung und der Auswertung von Daten zu tun (Krüger/ Marotzki, 1999, 8).

Dennoch ist es wichtig, Biografieforschung von Biografiearbeit abzugrenzen: In der Biografieforschung werden subjektive Sinnstrukturen in Zusammenhang mit relevanten Kontexten systematisch auf Verdichtungen und Relevanzstrukturen ausgewertet (Jansen, 2009a, 20). In der Biografieforschung werden also Daten von fremden Personen zur wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung interpretiert. Während es in der Biografiearbeit darum geht, anhand der biografischen Selbstreflexion sich die eigene Biografie wieder anzueignen. „Lebensgeschichten werden … für das Verstehen und für die Gestaltung des Lebens der Betroffenen fruchtbar gemacht.“ (Gudjons/ Wagener-Gudjons/ Pieper, 2008, 16). In der Biografiearbeit geht es also ebenso um subjektive Sinnstrukturen, die aber eingebunden sind in eine institutionelle Unterstützung und Begleitung von Menschen (Jansen, 2009a, 20f).

[...]


1 Bei jeder Bezeichnung von Personen sind sowohl die weibliche als auch die männliche Person gemeint, auch wenn immer die männliche Variante verwendet wird.

2 Wobei das außen sowohl der Lebenslauf, als auch die Umwelt sein kann.

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Details

Titel
Biografiearbeit. Begriffsklärungen und Gegenstand der Biografiearbeit
Autor
Jahr
2010
Seiten
18
Katalognummer
V293601
ISBN (eBook)
9783656910008
ISBN (Buch)
9783656910015
Dateigröße
548 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
biographiearbeit, begriffsklärungen, gegenstand
Arbeit zitieren
Karin Baumgärtner (Autor:in), 2010, Biografiearbeit. Begriffsklärungen und Gegenstand der Biografiearbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293601

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