Erlebnisbericht über das Ende des Zweiten Weltkrieges


Projektarbeit, 2015

48 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis.

Einleitung.

Kamenz in der Zeit ab 1933.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges.

Erlebnisse aus dieser Zeit in Kamenz, auf der Flucht nach dem Protektorat Böhmen – Sudetenland – und auf der Rückkehr nach Kamenz.

Rückkehr des Kamenzer Postbus-Trecks aus dem damaligen Protektorat Böhmen nach der Bekanntgabe über die Einstellung der Kampfhandlungen am Dienstag, den 8. Mai 1945.

Wie sich das Leben für mich (Vati) in Kamenz nach meiner Rückkehr gestaltete.

Die Tage der Zurückholung der in Mittelndorf (Sächsische Schweiz) festliegenden Familienangehörigen und Verwandten – die Stäglich Eltern, Tante Irene Kirbach, geb. Stäglich, mit Tochter Christine und Lotte (meine Frau) mit unserem Sohn Wolfgang.

Anlagen.

Anlage 1: Appell des Amtswalters der NSDAP zur Flucht an die Einwohner von Kamenz.

Anlage 2, Teil 2: Heeresberichte. Kamenzer Tageblatt vom 1. März 1945.

Anlage 3: Heeresberichte Kamenzer Tageblatt. 4. Sonderausgabe vom 25. April 1945.

Anlage 4: Der Freiheitskampf. Nachrichtenblatt der NSDAP – Kreisleitung Kamenz – Nr. 3 - Dienstag, den 1. Mai 1945. Aufklärung über die Evakuierung.

Anlage 5: Kamenzer Tageblatt. 17. Sonderausgabe – Mittwoch, 2. Mai 1945.

Anlage 6: Reise-Bescheinigung – Passierschein – des Bürgermeisters zu Kamenz / Stadtpolizei - für Erich Piersig.

Anlage 7: Reise-Bescheinigung – Passierschein – des Bürgermeisters zu Kamenz / Stadtpolizei - für Charlotte Piersig.

Anlage 8: Tage ab Beginn der Flucht aus Kamenz bis Teplitz, dann Trennung durch Fliegerangriff in Teplitz und alleinige Heimkehr von Vati mittels Fußmarsch von Teplitz über das Erzgebirge bei Olbernhau.

Anlage 9: Tage der Zurückholung, der in dem Ort Mittelndorf an der Staatsstraße Sebnitz – Schandau, festliegenden Familienangehörigen (Eltern Stäglich, Tante Irene, Christine, Lotte und Wolfgang).

Anlage 10: Das Ende des 2. Weltkrieges. Bericht nach russischen Aufzeichnungen vom 16. April bis 8. Mai 1945. Titel: Der Kampfweg des Sieges (Abschrift aus der „SZ“, 16. April 1975. S. 2).

Teil 1: 16. April 1945 - Berliner Operation beginnt.

Teil 2: 17. April 1945 - Kämpfe um Seelower Höhen.

Teil 3: 18. April 1945 – Seelower Höhen eingenommen.

Teil 4: 19. April 1945 – Einkreisung Berlins beginnt.

Teil 5: 21. April 1945 – Kampf in den Vororten Berlins.

Teil 6: 22. April 1945 – 8. Gardearmee steht in Wendenschloß.

Teil 7: 23. April 1945 – Straßenkämpfe in Berlin.

Teil 8: 25. April 1945 – Ring um Berlin schließt sich.

Teil 9: 26. April 1945 – Sowjetsoldaten kämpfen am Strausberger Platz.

Teil 10: 28. April 1945 – Operation Prag wird vorbereitet.

Teil 11: 29. April 1945 – Der Sturm auf den Reichstag beginnt.

Teil 12: 30. April 1945 – Nahkampf im Reichstagsgebäude.

Teil 13: 01. Mai 1945 - Die rote Fahne weht auf dem Reichstag.

Teil 14: 02. Mai 1945 - Berliner Garnison aufgespalten.

Teil 15: 03. Mai 1945 - Von Berlin – Richtung Prag.

Teil 16: 05. Mai 1945 - Prager Operation wird eingeleitet.

Teil 17: 06. Mai 1945 - Prager Operation beginnt.

Teil 18: 07. Mai 1945 - 2. Ukrainische Front beginnt Offensive.

Teil 19: 08. Mai 1945 - Rote Armee beendet siegreich den Krieg.

Anlage 11: Im Blickpunkt 30. Jahrestag. Sowjetarmee befreite die Stadt Kamenz [1].

Anlage 12: Zeittafeln der 1. und 2. Weißrussischen Front.

Abstract

Einleitung.

Zweiter Weltkrieg und das Erinnern an das mit ihm verbundene Leid und die von ihm ausgehende Gewalt für unschuldige Nationen und Menschen, das ist bis heute ein aktuell gebliebenes Thema. Aus der gegenwärtigen sehr brisanten Weltsituation schlussfolgend, ist es nicht nur für die Gegenwart eine hohe gemeinsame Verpflichtung, die Historie anzunehmen wie auch Geschehenes nicht zu vergessen, sondern es ist auch eine große verknüpfende Aufgabe, die Erinnerung an die Opfer und Geschehnisse (wie die im Zweiten WK in der Kamenzer Tuchfabrik Wilhelm Noßke (Herrental) im eingerichteten Häftlingslager für ca. 1.000 Personen, eine Außenstelle des KZ Groß-Rosen) wachzuhalten und die richtigen Lehren aus diesem schrecklichen, grauenvollen Ereignis für alle Zukunft daraus zu ziehen. Dies ist man sowohl den Opfern von Krieg, Folter, Gewalt, von Terror, Faschismus, Rassismus, den Hinterbliebenen, aber vor allem den Kindern und Kindeskindern schuldig.

Diesen Standpunkt vertretend, verfasste der Autors Kurt Erich Piersig bereits vor vierzig Jahren, anlässlich des 30. Jahrestages vom Ende des Zweiten Weltkrieges sowie von der Befreiung des Hitlerfaschismus, also 1975, seinen „Erlebnisbericht über das Ende des Zweiten Weltkrieges“.

Kamenz war Geburts-, Wohn- und Arbeitsort des Autors wie auch Ausgangs- und Endpunkt seiner Niederschrift vom Ende des Zweiten Weltkrieges, ebenso auch Zentrum seiner Anlagensammlung über das Ende des Zweiten Weltkrieges, ein Bericht nach russischen Aufzeichnungen vom 16. April bis 8. Mai 1945 mit dem Titel: „Der Kampfweg des Sieges“, der Ort, der den Leser vorgestellt werden soll.

Der Flecken „Camenz“ – wahrscheinlich eine slawische Gründung – hat schon vor dem Jahre 1000 n. Chr. bestanden, u.a. gab es um diese Zeit schon drei Kretschamen zum Absteigequartier. Kamenz, die „Lessingstadt“, obersorbisch Kamjenc (wörtlich „Kleiner Ort am Stein“), wurde als Stadt 1225 erstmals urkundlich erwähnt, war seit 1319 freie Stadt und ab 1346 Mitgliedsstadt im „Oberlausitzer Sechsstädtebund“ (Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban, Löbau, Zittau). Jetzt ist sie eine Große Kreisstadt (mit 16.819 Einwohnern am 30.11.2011) im Landkreis Bautzen in Sachsen. Sie liegt etwa 40 Kilometer nordöstlich von Dresden und etwa 30 Kilometer nordwestlich von Bautzen. Ihr Zentrum liegt am Osthange des 297 Meter hohen „Hutberges“ mit seinem im Jahre 1868 erbauten 18 Meter hohen „Lessingturm“, und zieht sich teils bis zur Talsohle des „Langen Wassers“ und der „Schwarzen Elster“, teils bis zur „Bernbrucher“ und „Jesauer Flur“ hin und darüber hinaus; es liegt zwischen „Hutberghaus“ und „Endenmühle“ (West-Ost), zwischen „Eselsburg“ und „Viehweide“, ca. 200 Meter über der Ostsee. Ein Stadtüberblick ist am Günstigsten vom Kirchturm der in den Jahren 1275 bis 1479 erbauten spätgotischen Hallenkirche aus, der evangelischen Hauptkirche „St. Marien“, der einzige Granit-Hallenkirche nördlich der Alpen. Weitere bedeutende Aussichtspunkte, die mehr oder weniger nur Detailansichten geben, sind der „Hut-, Schloss-, Reinhards-, Herren-, Eulen- und Bautzener Berg.“Kamenzʼ berühmtester Sohn, Gotthold Ephraim Lessing, wurde hier am 22. Januar 1729 geboren.

Schon frühere Kriege brachten der Stadt mancherlei Nöte, wie die Kriege Friedrich des Großen (1740-1792), z.B. 1745 die geforderte Brandschatzung von 10.000 fl. des Preußenkönigs und die in den Jahren 1746 und 1747 aufzubringenden über 20.000 Taler Kontributionen, nebst häufiger Einquartierungen, ebenso der „Siebenjähre Krieg“ (1756-1763). Auch die Napoleonischen Kriege lieferten Miseren, wie die schlimmsten Militärlasten von 1812, wo vom 25. März bis 9. April 15.000 Bayern, 12.000 Franzosen, 20.000 Italiener die Stadt passierten, denen Napoleons Bruder Joachim, König von Neapel, folgte wie auch Kosaken und das 80.000 Mann starke Blücherʼsche Corps u.a. Militärs.

Temporäre Garnisonierung bestand in den Jahren 1866 bis 1877 mit dem 2. Bataillon des 103. Infanterie-Regiments. Eine ständige folgte ab 1896 und im Jahre 1907 mit dem 1. Bataillon mit Regimentsstab des 13. Infanterieregiments Nr. 178, folgend mit dem 2. Bataillon des gleichen Regiments. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges (1914) wurde hier mit das Königlich Sächsische Reserve-Infanterie-Regiment 242 aufgestellt. Bis 1990 befand sich in dem Kasernenkomplex die Offiziershochschule der Luftstreitkräfte/ Luftverteidigung Franz Mehring der NVA mit zeitweise 1.500 Studierenden.

Um die traurige Berühmtheit im Kamenzer Herrental aus der NS-Zeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, mahnen dort ein stehengebliebener Industrieschornstein und eine Gedenktafel an die Gräuel.

[1] Werner, E.; Martin, E., Hrsg. (1905): Führer durch Kamenz und Umgebung. DD: Kunstanstalt W. Hoffmann;

[2] Uhlig, U. (1910): Kamenz und Umgebung in Wort und Bild. C: Arthur Geil. Graphische Kunst-Anstalt;

[3] Wikipedia: Kamenz.

Kamenz in der Zeit ab 1933.

Nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 durch die Nazipartei und die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler etablierte sich auch in Kamenz die braune NS-Herrschaft und begann mit der Umsetzung ihres Programms, dass staatliche Organe, Polizei, Justiz, Behörden gleichgeschaltet, SA und andere Schlägertrupps formiert wurden. Gegen die organisierten Proteste Kamenzer Bürger, wegen der aufkommenden Gefahr des deutschen Faschismus und den Krieg, wurde von den braunen Machthabern in brutaler und krimineller Weise vorgegangen. Sowohl die NSDAP wie auch die Polizei und braune SA machten auch in Kamenz unter dem Deckmantel „zum Schutz von Volk und Staat“ eine totale Jagd auf die „inneren Feinde“. Da für Oppositionelle, Antifaschisten, Hitlergegner die Gefängniszellen nicht mehr ausreichten, wurden im Stadt- und Kreisgebiet, u.a. im Kamenzer Kasernenkomplex, im Stadttheaterkeller, in der Spittelmühle, in Stenz bei Königbrück, „Schutzhaftlager“, die Vorläufer von Konzentrationslagern, eingerichtet. Sie waren für Antonyme Ausgangsort für den Weg ins größere Schutzhaftlager auf der Burg Hohenstein (im gleichnamigen Ort Hohenstein in der Sächsischen Schweiz gelegen). Etwa dreißig Frauen und Männer aus Kamenz wurden in diesem „Frühen Konzentrationslager“, wie schon auf dem Transport dahin, von Polizisten bzw. SA-Leuten gedemütigt und misshandelt. Von da aus setzte sich ihr Leidensweg in die Gestapo-Zellen, Zuchthäuser von Dresden und Zwickau und die Konzentrationslager fort.

In den Jahren 1943 bis 1945 hatten die KZ auch in der Oberlausitz, u.a. in Bautzen, Görlitz, Kamenz, Niesky, Radeberg, Schwarzheide, Zittau, Außen- und Nebenlager. Da hatten die SS-Kommandeure als Hauptziel "Vernichtung durch Arbeit", was ebenso für das durch die SS im November 1944 in einer stillgelegten Kamenzer Textilfabrik (ehem. Tuchfabrik Gebr. Noßke & Co. Kamenz, Herrental 9, Herrenmühle) eingerichtete Häftlings-Außenlager des KZ „Groß-Rosen“ (Niederschlesien) zutraf. Verrichtet wurde die barbarische Zwangsarbeit in Schichten von zwölf Stunden von Häftlingen aus 21 europäischen Nationen für die Produktion von Flugzeugmotoren, der z.T. nach Kamenz verlagerten Daimler Benz GmbH, Colmar (Elsaß), in den Produktionsstätten unter dem Decknamen Elster GmbH in Gebäuden der ehem. Tuchfabrik Minkwitz in der Uferstraße wie auch in der ehemaligen Glashütte (Grenzstraße).

Erste Häftlinge (etwa 700 im erbärmlichen Zustand, krank, unterernährt, völlig unzureichend gekleidet, teilweise bei Frost barfuß) erreichen das KZ-Lager Kamenz am 1. November 1944 für die Rüstungsproduktion. Sie brachten auf einem Karren ihre auf dem Weg nach Kamenz verstorbenen Mithäftlinge mit. Wenige Tage danach finden in der speziell errichteten Kesselanlage erste Leichenverbrennungen statt. Weitere 112 französische Häftlinge trafen im Dezember 1944 im KZ-Lager Herrental aus dem KZ Groß-Rosen ein. Ihr Weg nach Kamenz führte z.T. über mehrere KZ, wie Auschwitz bei Krakau (pol. Kraków), Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar, Flossenbürg bei Weiden im Oberpfälzer Wald und Hinzert (nahe Hinzert-Pölert bei Trier), Majdanek (ein Vorort von Lublin im besetzten Polen) und Theresienstadt, Protektorat Böhmen und Mähren (tsch. Terezín, Protektorát Čechy a Morava). Der größte Transport mit 750 ausgesuchten, fachlich spezialisierten Häftlingen (Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene) traf am 26. Januar 1945 aus dem KZ Flossenbürg ein, die nun der SS bedingungslos zur Vernichtung durch Arbeit ausgeliefert waren.

In der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges in Europa (Winter/Frühjahr 1945), als der von Nazi-Deutschland begonnene Krieg auch die Oberlausitz erreichte, erfolgte genau am 10. März 1945 mit dem Abtransport von 690 noch lebenden Häftlingen vom Bahnhof Wiesa auch die Auflösung dieses KZ-Außenlagers. Zu je 150 Personen in Güterwagen der DR ging der Transport über das KZ Mauthausen (20 Kilometer östlich von Linz) in das KZ Dachau (20 Kilometer nördlich von München). Von den zirka 2.200 in den KZ-Außenlagern der Oberlausitz in den Jahren 1944/45 durch Mord, Terror, Folter, Unterernährung und Epidemien ums Leben gekommenen Häftlingen entfallen 125 auf das Außenlager Kamenz und auf den Todesmärschen zu den Lagern kamen durch Erschießen oder Erschöpfung ca. 1.650 Häftlinge um.

Quellen: Förderverein Gedenkstätte KZ-Außenlager Kamenz-Herrental e.V.; Initiativen. Zur Bewahrung des Gedenkens an die Opfer faschistischer Gewaltherrschaft in Kamenz; Wikipedia.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges.

Erlebnisse aus dieser Zeit in Kamenz, auf der Flucht nach dem Protektorat Böhmen – Sudetenland – und auf der Rückkehr nach Kamenz.

Durch das unaufhaltsame Vordringen der alliierten Streitkräfte seit Mitte 1944 – im Westen die Armeen der Amerikaner, Engländer und Franzosen, im Osten die Divisionen der Sowjets, Polen sowie die Partisanengruppierungen der von uns vorher überfallenen Oststaaten, wurde die Situation für Hitler-Deutschland immer bedrohlicher, zumal die genannten verbündeten Armeen Anfang des Jahres 1945 die ehemaligen deutschen Ost- und Westgrenzen überschritten hatten bzw. sich diesen näherten.

In der Nacht zum 19. April 1945 waren polnische Truppen aus Richtung Bautzen kommend bis kurz vor Kamenz vorgedrungen, hatten sich dann aber mehr südlicher gehalten und zogen von Thonberg-Prietitz kommend in Richtung Hennersdorf – Gersdorf – Steina – Pulsnitz – Bretnig Großröhrsdorf – Radeberg weiter, wo sie von deutschen Truppen aufgehalten und zurückgeschlagen wurden.

In der vorerwähnten Nacht zum 19. April 1945 gegen 2 Uhr, wo bereits östliche Truppen schon vor Kamenz operierten, wurden die Einwohner von Kamenz durch die Amtswalter der NSDAP mit der Aufforderung geweckt, sofort auf die Flucht in Richtung Pulsnitz zu gehen. Dieser Appell hatte folgenden Wortlaut (s.a. Original in Anlage 1, S. 23):

„An die Bevölkerung von Stadt und Kreis Kamenz!

Aus militärischen Gründen muss der Kreis Kamenz von der Zivilbevölkerung, Frauen, Kindern und Männern, die nicht zum Volkssturm eingezogen sind, geräumt werde. Die Räumung hat sofort zu beginnen. Fahrzeuge stehen nicht zur Verfügung, daher Fußtreck mit Handwagen und Fahrrädern. Marschstraße, die unbedingt eingehalten werden muss:

über Bischheim – Pulsnitz – Großröhrsdorf – Seeligstadt – Schmiedefeld – Lauterbach – Langenwolmsdorf – Heeselicht – Hohenstein – Schandau – Welka – Reschen- Bodenbach.

Verpflegungsstellen und Unterkunft:

So unvorbereitet auf die Flucht zu gehen kamen nur wenige nach.

Die in Richtung Hennersdorf geflüchteten Kamenzer Bürger waren den polnischen Truppen direkt in die Hände gelaufen, denn soweit waren diese Kampfverbände über Nacht bereits vorgedrungen. Die durch deutsche Truppen an einem weiteren Vordringen im Raume Radeberg – Großerkmannsdorf gestellten Verbände zogen sich darauf in das nordöstliche von Kamenz liegende Gebiet zurück. Die südlichen und westlichen Räume von Kamenz waren nun wieder frei von östlichen Kampftruppen.

Da deutscherseits unsere Gegend zum Kampfgebiet wurde, leitete man Maßnahmen zur Evakuierung der Bevölkerung des Kreises Kamenz aus den nichtbesetzten Orten ein. Vor allem in den Tagen vom 4. bis zum 6. Mai 1945 setzte sich der Flüchtlingsstrom zu Fuß mit vollgepackten Handwagen in Richtung oberes Elbtal, Erzgebirge, Sudetenland in Bewegung.

Bereits Mitte Februar 1945 war ich zum Volkssturmdienst in Kamenz eingezogen worden. Die nordöstlich von Kamenz liegenden sowjetisch/polnischen Kampfverbände belegten die Stadt Kamenz nach dem 20. April 1945 mit leichterem Granatfeuer. Durch die tags und nachts immer zu anderen Zeiten einsetzende Beschießung war die Kamenzer Bevölkerung in ständiger Lebensgefahr.

Die Volkssturmstützpunkte „Tankstelle Dunkel“, „Nordstraße“, „Berufsschule“ - neben der Katholischen Kirche, und „Winkelkrug“, Wiesaer Kirchweg, wo ich auch Dienst getan habe, lagen unter zeitweiligen Granatbeschuss. Den allerschlimmsten Granatfeuerbeschuss erlebte ich beim Wachdienst in dem Hohlweg oberhalb des „Winkelkruges“. In Lebensgefahr war man in- und außerhalb des Dienstes ständig und dass man zumindest von Granatsplittern verschont geblieben ist, bedeutet schon mehr als ein großes Glück.

Nach vorausgegangenen Gefechten bei Großgrabe, Schwepnitz, Schmorkau und in der Wendei, zwischen Crostwitz – Lehndorf – Siebitz, hatte sich nach dem 20. April 1945 eine vordere Frontlinie der polnisch/sowjetischen Truppen vor Kamenz in nordöstlicher Richtung verlaufend, wie bei Cunnersdorf – Biehla – Zschornau – Deutschbaselitz – Nebelschütz aufgetan. Hinter dieser Linie befanden sich die leichteren Geschütze, die Kamenz vom 20. April bis 4. Mai 1945 mit Feuerüberfällen belegten. In den vorher genannten vier ersteren Orten wurden nach dem Kriege Ehrenmale für die bei diesen Gefechten gefallenen polnischen und sowjetischen Soldaten errichtet.

Die für den Beschuss von Kamenz ausgewählten Ziele waren große, herausstehende Häusergiebel und Türme. Die hinter Deutschbaselitz stehenden Geschütze der östlichen Armeen hatten in ihrem Blickfeld die hohen, hellen Giebel der Häuser Bautzener Straße 7 von Fleischermeister Willy Kunaht und dem gegenüberliegenden Haus mit der Hausnummer 8 von Conditormeister Georg Wolf. Diese beiden Häuser erhielten je einen Giebelvolltreffer in Höhe der Böden. Das Haus Bautzener Straße 8 bekam außerdem von einem aus Richtung Biehla-Zschornau kommenden Geschoss einen Volltreffer in Höhe des 2. Stockwerkes, unterhalb des rechten Fensters der Vorderfront. Durch die Detonation und den Rückschlag der Geschoßsplitter und des Geschosszündungsteiles waren auch in unserer Wohnung alle Fenster zerschlagen. Zum Glück hatten wir Anfang April die Doppelfenster herausgenommen, die wir nach Ende des Krieges als Notbehelf gegen äußere Witterungseinflüsse wieder einsetzten.

Wegen der in der Beschießungszeit dauernd zu erwartenden Feuerüberfälle verbrachten wir – Mutti, Vati und Wolfgang – ferner sämtliche anderen Mitbewohner des Hauses sowie die Eltern Stäglich, Tante Irene und ihre Tochter Christine, die ab 20. April bis zur Flucht aus Kamenz mit bei uns waren, vor allem nachts im Keller dieses Hauses. Größtenteils auf Stühlen sitzend versuchte man in dieser nasskalten Luft etwas zu nicken, denn zum Schlafen kam niemand.

Weitere Geschosse schlugen ein in der Bautzener Straße vor dem Hause Nr. 2 – Eckart – und Bautzener Straße Nr. 10 – Foto Schulz. Durch die explodierenden Geschosse waren in der oberen Bautzener Straße alle Fenster und Schaufensterscheiben in Trümmer gegangen.

Geschoßeinschläge gab es auch auf dem Kamenzer Markt vor dem Hause von Dr. med. Lorenz, Ecke Markt / Bautzener Straße, ferner in die obere granitene Eingangsumrandung der Rathaustür. Ebenso waren mitten auf dem Platz vor der Klosterkirche sowie vor dem Papierwarengeschäft von Besser am Schulplatz Geschoßeinschläge zu sehen. Die Hauptkirche „St. Marien“ hat einen Geschütztreffer an der Altarstirnseite an dem rechten unteren Pfeiler, gegenüber der Katechismuskirche. Durch die Explosion dieses Geschosses waren die drei mit Blei eingeglasten farbigen Altarfenster, kirchliche Motive darstellend, total zerstört worden. Dies sind nur die mir bekannten Geschoßeinschläge im oberen Stadtteil von Kamenz.

Ein anderer Teil davon ging in Höfen und Gärten des oberen Stadtteiles nieder. Die in den letzten zwei Wochen vor Kriegsende bei der Beschießung von Kamenz oder durch sonstige Feindeinwirkung gefallenen deutschen Soldaten wurden auf dem Hutberg in dem an die „Mark“ angrenzenden Wäldchen von ehemals Weißes Garten- und Baumschulengrundstück beerdigt, was später zu einem Ehrenhain ausgestaltet werden sollte. Nach dem Krieg sind die dort Beerdigten anderweitig beigesetzt worden.

Die Geschäfte waren geschlossen, zumal es auch keine Warenzulieferungen mehr gab. In einigen wenigen Geschäften wurden sogar die Warenrestbestände ohne Bezahlung verteilt, so z.B. in dem Süßwarengeschäft Sperber, Ecke Marktplatz / Kurze Straße und in dem gegenüberliegenden Laden Schnürschuhe von zurückgeführten Beständen aus den geräumten Gebieten. Blumengürtler am Kamenzer Markt hatte in seinem Keller ein Brandweinlager und dieses flaschenweise auch ohne Geld verteilt. Das geschah alles in der aufgeregten Stimmung des 20. Aprils 1945.

Mit jedem neubeginnenden Tag zeigte sich der Zusammenbruch des Hitlerreiches in aller Kürze immer deutlicher. Verlogenere Berichte von den deutschen Fronten als die damals von der deutschen Heeresleitung herausgegebenen, hat es noch nie gegeben. Sie sprachen von Erfolgen der feindlichen Armeen gegenüber, wobei es für unsere Truppen nur eine Niederlage nach der anderen gab (wie dies die folgenden Abschriften bzw. im Original beigefügten Heeresberichte des „Kamenzer Tageblattes“ vom 1. März & 25. April 1945, Anlagen 2, S. 24; 3, S. 26 zeigen).

Kamenzer Tageblatt

Zugleich Anzeiger für Großröhrsdorf, Bretnig u. Hauswalde sowie Zeitung für Elstra u. Umgebung / Nachrichten für Bernsdorf u. Wiednitz Nummer 51 – 124. Jahrgang Donnerstag, den 1. März 1945 Gegründet am 22. Mai 1822 Seite 1 Sowjetische Durchbruchsversuche in Schlesien vereitelt Ausweitung einer Einbruchslücke in Ostpommern verhindert – 63 englische Panzer im niederrheinischen Kampfraum und 100 USA Panzer in der Roer-Schlacht vernichtet Aus dem Führerhauptquartier, 28. Februar. Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt (S. _, __):

Während der gestrige Tag zwischen Drau und Donau ruhig verlief, versuchte der Feind in der Slowakei mit stärkeren Kräften in das Tal von Altsohl (sk. Zvolenský zámok, d.r.A.) einzudringen. Diese Absicht scheiterte unter schweren Verlusten für den Gegner. Südlich Schwarzwasser (sk. Čierna voda, d.r.A.) beseitigten unsere Grenadiere in schwungvollen Angriffen einen vorspringenden Frontbogen der Bolschewisten und zerschlugen feindliche Gegenangriffe.

Beiderseits Zobten (pol. Sobótka, d.r.A.) sowie im Raum von Goldberg (pol. Złotoryja, d.r.A.) und Lauban (pol.: Lubań, d.r.A.) wurden die wiederholten Durchbruchversuche sowjetischer Infanterie- und Panzerverbände in zäher Abwehr vereitelt. Gegen unsere Neiße-Brückenköpfe von Forst und Guben setzten die Bolschewisten ihre erfolglosen Angriffe fort. An der Oderfront gelang es dem Feind, mit starker Artillerieunterstützung seine kleinen Brückenköpfe südl. Küstrin (pol. Kostrzyn, d.r.A.) geringfügig zu erweitern. Südl. Stargard (pol. Szczeciński, d.r.A.) brachen Fessellungsangriffe der Sowjets vor unseren Stellungen zusammen. In Ostpommern stießen feindliche Panzerkräfte mit starker Schlachtfliegerunterstützung westlich Rummelsburg (pol. Miastko, d.r.A.) weit nach Norden vor. Rasch herangeführte Abteilungen fingen einen Teil der den Panzern folgenden sowjetischen Infanterie auf und verhinderten eine bedrohliche Ausweitung der Einbruchslücke. In der Tucheler Heide (pol. Bory Tucholskie, d.r.A.) und westlich der unteren Weichsel brachen zahlreiche, zum Teil von Panzern unterstützte Angriffe der Bolschewisten im Abwehrfeuer zusammen. Unsere Divisionen in Ostpreußen errangen westlich Kreuzburg (pol. Kluczbork, d.r.A.) gegen starke feindliche Angriffe erneut einen vollen Abwehrerfolg. An der Kurlandfront (lett. Kurzeme Front [auch Kurzeme Priekšējā], d.r.A.) hat der sowjetische Großangriff südöstlich Libau (lett. Liepāja, d.r.A.) an Wucht und Geschlossenheit verloren. Die trotzdem noch mit überlegenen) Kräften geführten Angriffe des Feindes wurden auch gestern ohne größeren Geländeverlust zerschlagen. Vor Polangen (pol. Połąga, d.r.A.) versenkten deutsche Schlachtflieger ein sowjetisches Schnellboot. Im niederrheinischen Kampfraum blieben die südöstlich Kalkar und östlich Goch angreifenden Verbände der 1. kanadischen Armee unter hohen blutigen Verlusten bei geringem Geländegewinn in unserem Hauptkampffeld liegen. 63 englische Panzer wurden dabei vernichtet. In die Schlacht an der Noer hat der Feind weitere Reserven geworfen. Die mit allen ihren Kräften angreifende 9. amerikanische Armee konnte unsere Verbände, die sich überall erbittert zur Wehr setzen, zurückdrängen. Trotz des gewaltigen feindlichen Einsatzes auf der Erde wie in der Luft wurden jedoch die Durchbruchversuche des Gegners, zum Teil auch in schweren Panzerkämpfen, verhindert und dabei über 100 amerikanische Panzer abgeschossen. Eigene Panzergruppen stießen in die Flanke der feindlichen Angriffskeile und zerschlugen Bereitstellungen und Kolonnen. Südlich von Schleiden und an der Prüm kam es zu örtlichen Kämpfen gegen den an mehreren Stellen angreifenden Gegner, ohne daß sich die Lage wesentlich verändert hat. Im zusammengefaßten Abwehrfeuer blieben erneute feindliche Angriffe auf Bilburg liegen. Im Brückenkopfe an der unteren Saar gelang es den Amerikanern, in schweren Kämpfen nach Norden weiter Raum zu gewinnen. In Italien scheiterten zahlreiche britische Aufklärungsvorstöße gegen unsere Stellungen am Senia (Toskana, d.r.A.). Auf der Südspitze der dalmatinischen Insel Pag (HR, d.r.A.) vor einigen Tagen gelandete feindliche Kräfte wurden durch unsere Gegenangriffe wieder ins Meer geworfen. Anglo-amerikanische Terrorflieger warfen am Tage Bomben auf Wohnviertel von Leipzig, Halle, Augsburg, Mainz und im rheinisch-westfälischen Gebiet. Britische Flugzeuge griffen in der vergangenen Nacht die Reichshauptstadt an. Durch Kampfmittel der Kriegsmarine wurden aus dem englischen Themse-Schelde-Verkehr ein Dampfer von 5000 BRT. und in der Adria zwei Frachtensegler mit zusammen 1400 BRT. versenkt. Ergänzend zum Wehrmachtsbericht wird gemeldet: Während der fünften Schlacht in Kurland hat sich das Heeres-Pionier-Bataillon 44 unter Führung von Hauptmann Linke in schwerem Kampf gegen überlegenen Feind hervorragend geschlagen und durch zähes Halten den Aufbau einer neuen Abwehrfront ermöglicht.

Kamenzer Tageblatt. 4. Sonderausgabe – Mittwoch, 25. April 1945.

Der Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht vom 24. 4. 1945 meldet u. a. (s. A. 3, S. 26):

Im Frontbogen südlich des Semmering warfen unsere Truppen die Sowjets noch weiter zurück und wiesen Angriffe bei Altmark und Dreißen ab. Zwischen Lahr an der Taja und Niclosburg sowie südlich Brünn konnte der Feind keine nennenswerten Erfolge erzielen. In diesem Kampfraum wurden 52 Panzer abgeschossen. Im Südabschitt der großen Schlacht zwischen den Sudeten und der Pommerschen Bucht drangen unsere Truppen in schwungvollen Gegenangriffen bis in den Raum hart östlich Bautzen vor. In der Stadt verteidigt sich die Besatzung weiter gegen starke Angriffe. Durch die Unterbrechung seiner rückwärtigen Verbindungen nordwestlich Görlitz, wurde der Gegner gezwungen, seine auf Dresden vorgeschobenen Angriffsspitzen zurückzunehmen. Pulsnitz und Kamenz sind noch in unserer Hand. Im Raum um südlich Spremberg binden eigene Kampfgruppen in harten Kämpfen starke Kräfte der Bolschewisten. Von Jüterbog stößt der Fein auf Wittenberg vor In der Linie Lübben, Guben-Frankfurt-Fürstenwalde wurden heftige Angriffe abgewehrt oder aufgefangen. In der Schlacht um die Reichshauptstadt stießen die Bolschewisten trotz erbitterten Widerstandes unsere Truppen und Volksturmeinheiten bis in die Räume südöstlich Brandenburg, südlich Potsdam, nördlich Königswusterhausen und in die Randgebiete der östlichen und westlichen Stadtteile vor. Beiderseits der unteren Ems wurden wiederholte Angriffe abgewiesen. Dabei eine größere Anzahl Panzer abgeschossen und Gefangene eingebracht. Der Schwerpunkt der Kampfhandlungen in Nordwestdeutschland lag gestern zwischen der Aller nordwestlich Göben und der Elbe bei Stade. In schweren wechselvollen Kämpfen gelang es dem Gegner trotz vielfacher Überlegenheit nicht, unsere Front zu durchbrechen. Während im sächsischen Raum und im Vogtland weiterhin Kampfruhr herrschte, hielten die feindlichen Angriffe gegen den Raum Eger-Weiden an. In Süddeutschland richtete sich der Hauptdruck der Amerikaner nach Südosten gegen den Nordteil des Bayrischen Waldes und den Großraum Regensburg. Aus dem Raum Sigmaringen drang der Fein weiter nach Südosten vor. Mit den westlich davon durchgestoßenen Panzerspitzen sind heftige Kämpfe im Abschnitt Tuttlingen, Donaueschingen und weiter südlich im Gange. Weitere Meldungen. Das in der Verteidigung der Reichshauptstadt eingesetzte Flakregiment unter der Führung des Generalmajors Sydow1) hatte hervorragenden Anteil an der Panzervernichtung. Er schoß in drei Tagen 43 Sowjet-Panzer sowie zahlreiche Lastkraftwagen in direktem Beschuß ab. Im Kampfraum Stettin (pol. Szczecin, d.r.A.) hatten die Sowjets Minenfelder ausgelegt, wodurch unter anderem ein sowjetischer Panzerzug der Vernichtung ausgesetzt war. Beim Herannahen desselben sprang der Uffz. Barts hinzu und grub mit den Händen die Minen aus. Hierdurch wurde der Panzerzug vor der Vernichtung bewahrt und als Beute von ihm eingebracht. Die französische Regierung hat den Staatspräsidenten Petain, der sich zur Zeit in der Schweiz befindet, aufgefordert, sich den französischen Gerichten zu stellen. Der Marschall will dieser Aufforderung Folge leisten und wartet auf seine Abholung. Druck u. Verlag: C. S. Krausche, Kamenz 1) Otto Sydow (* 1. Februar 1896 – †24. Juni 1970) war ein hochdekorierter General in der Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges. Er war Teilnehmer an den Schlachte/Kriegen: Schlacht um Frankreich, Ostfront, Schlacht um Berlin [http://en.wikipedia.org/wiki/Otto_Sydow]. 2) Henri Philippe Benoni Omer Joseph Pétain (* 24. April 1856 - † 23. Juli 1951) war französischer Militärbefehlshaber (1. WK: „Held von Verdun“, Zwischenkriegszeit: Marschall von Frankreich, 1940/44 autoritärer „Chef de l’État (Staatschef) des Vichy-Regimes): 1945 Verurteilung zu lebenslanger Haft, kurze Unterbringung im Fort du Portalet, November 1945 Internierung bis zum Tod auf der Atlantikinsel Île dʼYeu in der Titadelle von Port-Joinville [http://de.wikipedia.org/wiki/Philippe_Pétain].

Wie es um die Evakuierung am 20. April 1945 ausgesehen hat, ist aus dem nachfolgend zitierten wie auch gescannten Original (Anlage 4, S. 27) „Freiheitskampf“ – Nachrichtenblatt der NSDAP - Kreisleitung Kamenz – Nr. 3 vom Dienstag, den 1. Mai 1945 - zu ersehen.

Der Freiheitskampf.

Nachrichtenblatt der NSDAP – Kreisleitung Kamenz – Nr. 3- Dienstag, den 1. Mai 1945.

Aufklärung über die Evakuierung.

Für die Evakuierung der Bevölkerung des Kreises Kamenz waren seit langer Zeit alle Vorbereitungen bis ins kleinste getroffen worden. Jede Stadt und jedes Dorf hatte im Kreis Döbeln ihr bestimmtes Aufnahmegebiet. Die Straßen, die die Trecks ziehen sollten, und die Abmarschweg für die übrige Bevölkerung standen fest. Die Ereignisse westlich der Elbe, verursacht durch die drohende Feindgefahr, haben diese planvolle Evakuierung der Bevölkerung unmöglich gemacht. Die Meldungen von der Neißefront lauteten bis zum 19. April so beruhigend, daß eine Räumung der Stadt Kamenz und des übrigen Kreisgebietes nicht notwendig erschien. Als am Abend des 19. April die Meldungen alarmierend wurden, wurde vom Kreisleiter der Räumungsbefehl für Mütter mit Kindern noch in der Nacht gegeben. Daß dieser Befehl nicht in jedem Haus bekannt wurde, lag an den unzulänglichen Benachrichtungsmöglichkeiten. Am Freitag, dem 20. April, ab früh 6 Uhr setzte die Räumung ein, nachdem noch in der Nacht alle verfügbaren Lastkraftwagen ihren Stellungsbefehl erhalten hatten. Da standen für die erste Verladung von Müttern mit Kindern 56 Lastkraftwagen, zum Teil mit Anhängern, zur Verfügung. Schätzungsweise konnten mittels dieser Beförderungsmittel etwa 1500 Mütter mit Kindern abbefördert werden und zwar in Richtung Elstra, Bischofswerda, Stolpen, Sebnitz und Pirna, da dies noch die einzige Lücke war. Auch über Pulsnitz, Radeberg, Stolpen konnten die Fahrzeuge geleitet werden. Es war die Absicht, nach Rückkehr der Lastkraftwagen die Evakuierung der Bevölkerung weiter fortzusetzen. Leider gingen die kriegerischen Ereignisse schneller. Keiner der Lastkraftwagen konnte nach dem beschwerlichen Wege durch die überfüllten Straßen wieder zurückkommen. Zur Beruhigung der Angehörigen der Evakuierten steht durch einwandfreie Meldungen fest, daß alle am Freitag, dem 20. April, Evakuierten glücklich durchgekommen sind. Die Volksgenossen, die an diesem und an folgenden Tagen mit Handwagen usw. in die Wälder und umliegenden Dörfer flohen, haben zum Teil Schlimmeres erlebt und unsägliche Leiden und sadistische Behandlung durchmachen müssen. Viele sind wieder in die Mauern der Stadt Kamenz zurückgekehrt. In einer verteidigten Stadt ist die Sicherheit gegen Uebergriffe des bolschewistischen Untermenschentums viel größer. Alles reihe sich deshalb mit in die Verteidigung ein, Männer, Frauen und Jugendliche. Tue jeder seine Pflicht, dann wird unsere schöne Stadt Kamenz vor dem Schlimmsten bewahrt bleiben. Keiner von euch wird später die Ereignisse dieser großen Zeit missen wollen. Standhaft und tapfer wird dieser Kampf weitergeführt bis zum endgültigen Siege. Werner, Kreisamtsleiter der NSU.

Ende April 1945 lag schon der größte Teil der Hauptstadt Berlin in Trümmern. Eine Sonderausgabe des Kamenzer Tageblattes vom 2. Mai 1945 meldete den Tod Adolf Hitlers vom 1. Mai 1945 (Anlage 5, Seite 28).

Das unaufhaltsame und schnelle Vordringen der verbündeten östlichen Armeen führte dazu, dass auch der Kreis Kamenz zum Operationsfeld für Kriegshandlungen erklärt werden musste. Durch eine Sonderbekanntgabe (Anlage 1l Seite 23) wurde die Bevölkerung der Stadt und des Kreises Kamenz (ab Freitag den 4. Mai 1945) durch den Kreisleiter sowie Beauftragte der NSDAP für den Kreis Kamenz, Ernst Zitzmann (* 17. Juli 1891, † unbekannt), angeordnet.

Vom Freitagabend bis Sonnabendfrüh - 4. zum 5. Mai 1945 – hatte ich Wachdienst beim Stützpunkt „Berufsschule Jesauer Straße“ im Gelände Kuhweg / Katholischer Friedhof zwischen den Gärten und Häusergruppen Forststraße – Kuhweg, pendelnd. Vor Antritt des Nachtdienstes war ich noch einmal nach Hause gegangen und hatte alle Familienangehörigen bereits im Keller sitzend angetroffen. Es wurde bereits davon gesprochen, dass man sich von Kamenz absetzen wollte.

In meiner Dienststelle hatte ich mich zum Schlafen hingelegt, da mein Dienst mit dem Kameraden Schuster (von der Bäckerei Schuster der Sohn) erst ab morgens drei bis fünf Uhr angesetzt war. Nach Beendigung unseres Dienstes kam keine Ablösung und wir gingen zur Dienststelle zurück. Dort erfuhren wir, dass sich unsere Abteilung des Volkssturmes in der 4. Stunde des 5. Mai 1945 aufgelöst hat, ohne uns davon in Kenntnis zu setzen. Das war so was ähnliches, wie „Rette sich wer kann“. Mein Kamerad und ich gingen dann auch nach Hause und ich nahm den Rückweg über die Talstraße – Beethovenstraße, die damals Fürstenweg hieß, Albertplatz, dem heutigen Lessingplatz, in Richtung Volksschule.

Vor dem Postgebäude sah ich viele Angehörige von der Post, die mit bereitstehenden Postomnibussen Kamenz verlassen wollten. Bei meinem Gang über den Schulplatz traf ich Tante Irene (die Schwester meiner Frau Charlotte), die den mit Koffern vollbeladenen Handwagen zog und mit diesem zur Post wollte. Zuhause traf ich dann Lotte (meine Frau), die im Begriff war ebenfalls zum Autobus an die Post zu gehen. Wie es ein großer Teil der Bevölkerung getan hatte, entschloss ich mich dann auch mit auf die Flucht zu gehen.

Am Sonnabend, den 5. Mai 1945, nach 10 Uhr vormittags, begann die Fahrt mit den Bussen und sonstigen Fahrzeugen des Kamenzer Postamtes. Zuerst über Thonberg-Prietitz, wo Tante Irene erst nochmals in ihrer Wohnung nach dem Rechten sah, dann über Elstra nach Bischofswerda, wo erst einmal am Ortsanfang bei dem Schulgebäude Halt gemacht wurde. Die meisten Mitfahrenden sollten vorübergehend im Schulgebäude bleiben und Lotte, ich und unser Sohn Wolfgang (geb. am 12. Mai 1944) fanden in einem Nebenhaus Unterkunft in einer Wohnung, deren Bewohner sich abgesetzt hatten. Aber schon nach zwei Stunden ging die Fahrt über Neustadt / Sa. Nach Sebnitz weiter, wo auf dem großen freien Gelände vor der Gasanstalt gehalten wurde. Die Fahrzeuge blieben von Sonnabend, den 5. Mai 1945, bis Montag, den 7. Mai 1945, in Sebnitz stehen. Lotte, ich und Wolfgang übernachteten in der ersten Nacht in unserem Hause an der Promenade Nr. 16 bei der Mieterin Frau Günzel im 1. Stock. In der zweiten Nacht schliefen wir bei unserem damaligen Hausverwalter Budäus, Weberstraße 52 in Sebnitz. Die Eltern Stäglich (von meiner Frau Charlotte und meiner Schwägerin Irene Kirbach), Tante Irene und ihre Tochter Christine verbrachten die beiden Nächte im Autobus.

Vom Sonntagmittag bis zum Abend hörte man in Sebnitz Geschützdonner der an der Front bei Großenhain stehenden „Stalinorgeln“. Am Montagmorgen gegen 9 Uhr wurde die Fahrt mit den Bussen über Hofhainersdorf – Lichtenhain – Mittelndorf – Schandau weiter fortgesetzt und von dort über die Elbbrücke, vorbei am Bahnhof Schandau nach Königstein, von da ins Bielatal, dann abzweigend nach Markersbach, Hellendorf, wo vor dem Gasthof ein kurzer Halt gemacht wurde. Dann ging es auf Bad Gottleuba zu und weiter durch das obere Gottleubatal. Seit dem Bau der Gottleuba-Talsperre (Inbetriebnahme 1974) ist das obere Gottleubatal nicht mehr passierbar. Ziemlich am Ende des Gottleubatales ging die Straße am rechten Berghang steil ansteigend nach Breitenau und von dort nach Liebenau im Osterzgebirge. Unsere Ankunft fiel zeitlich zusammen mit einem Abgriff sowjetischer Flugzeuge, die das dortige Gebiet unter Beschuss nahmen. Im Eiltempo flüchteten wir aus den Autobussen in den Dorfgasthof.

Am Montagabend, den 7. Mai 1945, verließen wir kurz vor Eintritt der Dunkelheit den Gasthof, um anschließend mit den Bussen über die Landesgrenze nach dem Protektorat Böhmen (heute Tschechien), zu fahren. In der Nähe des als Ausichtsberg bekannten, 806 Meter hoch gelegenen „Mückentürmchen“ (tsch.: Komáří hůrka), ging es über den Osterzgebirgskamm, dortige Höhe ca. 750 Meter, nachher steil abfallend in großen Kurven an den Hängen des Gebirges durch den im Tale liegenden Ort Graupen (tsch.: Krupka), weiter nach Teplitz (tsch.: Teplice), wo wir am Dienstag, den 8. Mai 1945, vormittags gegen 9 Uhr eintrafen. Unsere Fahrzeuge mussten vor einer Hauptstraße Halt machen, da die Straßen der Innenstadt von den zurückflutenden

Divisionen der deutschen Wehrmacht voll in Anspruch genommen waren, so dass unsere Postfahrzeuge bis gegen 13 Uhr blockiert waren. Kurz nachdem wir dann ein Stück weiter ins Stadtinnere von Teplitz gefahren waren, erfolgte plötzlich auf die Stadt ein sowjetischer Fliegerangriff, die leichtere Bomben abwarfen, wodurch es Tote und Verletzte auch unter der Bevölkerung und den Flüchtlingen gegeben hat. Wir hatten in einem zu ebener Erde liegenden Lagerraum Schutz vor herumfliegenden Bombensplittern gefunden. Bald nach dem Verlassen des Raumes erfolgte ein 2. Fliegerangriff. Wieder mussten wir die Fahrzeuge schnellstens verlassen und fanden notdürftigen Schutz in den Partnerräumen und der Hausflur einer Gaststätte. Ab hier verfehlte ich mich mit meinen Angehörigen. Da ich unseren Bus nicht mehr sah und von einem Lkw unseres Trecks irritiert wurde, der weiterfuhr, nahm ich an, dass auch die anderen Fahrzeuge weitergefahren seien. Den auf dem Lkw sitzenden Männern von der Kamenzer Post hatte ich zugerufen, mich mitzunehmen, aber bei dem Drunter und Drüber der aus der Stadt strömenden Flüchtlinge ging dieses fehl.

[...]

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Erlebnisbericht über das Ende des Zweiten Weltkrieges
Autor
Jahr
2015
Seiten
48
Katalognummer
V293107
ISBN (eBook)
9783656904229
ISBN (Buch)
9783656904236
Dateigröße
3110 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erlebnisbericht, ende, zweiten, weltkrieges
Arbeit zitieren
Dipl.-Ing., Dr.-Ing. Wolfgang Piersig (Autor:in), 2015, Erlebnisbericht über das Ende des Zweiten Weltkrieges, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293107

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