Emilia Galotti. Eine Kritik am bürgerlichen Werte- und Erziehungssystem?


Seminararbeit, 2014

12 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Vertreter der höfischen Gesellschaft
2.1 Die Figur des Prinzen Hettore Gonzaga
2.2 Die Figur des Kammerherrn Marinelli
2.3 Die Figur der Gräfin Orsina

3. Die Vertreter der aufgeklärten, bürgerlichen Gesellschaft
3.1 Die Figur des Grafen Appiani
3.2 Die Figur Odoardo Galotti
3.3 Emilia Galotti

4. Schluss

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das bürgerliche Trauerspiel Emilia Galotti von Gotthold Ephraim Lessing zählt bis heute zu den meist diskutierten Dramen unserer Literaturgeschichte. Seine Brisanz erhielt es überwiegend durch die in dem Stück verübte Kritik an der deutschen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Zwar wählte Lessing als Ort der Handlung einen italienischen Kleinstaat der Renaissance, dennoch war unverkennbar, dass Emilia Galotti auf die damaligen absolutistischen Lebensverhältnisse in Deutschland anspielte.[1] Das Drama ist nicht nur aus politischer Sicht interessant, indem es den „Antagonismus zwischen höfischer Lebenswelt und Familie“[2] thematisiert, vielmehr liegt „sein eigentlicher Konfliktstoff […] in der Unvereinbarkeit von leidenschaftlichen Affekten und vernünftigem Handeln“[3].

In der nachfolgenden Arbeit soll anhand der unterschiedlichen Figuren des Stückes ermittelt werden, inwiefern das Drama bezüglich des bürgerlichen Werte- und Erziehungssystems kritisches Potential entwickelt. Dabei werden zu Beginn die Repräsentanten der höfischen Gesellschaft genauer analysiert und im Anschluss daran die Figuren der bürgerlichen Welt, die in Lessings Emilia Galotti auftreten.

2. Die Vertreter der höfischen Gesellschaft

2.1 Die Figur des Prinzen Hettore Gonzaga

Anhand des Prinzen von Guastalla, der die höfische Gesellschaft repräsentiert und dessen Verführungskünsten Emilia ausgesetzt ist, lassen sich in diesem Trauerspiel mehrere Konflikte aufzeigen. Der absolutistisch regierende Prinz, dessen Aufgabe in erster Linie darin bestehen sollte, „stets […] sachlich und rational“[4] im Sinne des Gemeinwohls seiner Bürger zu handeln, unterliegt „als Mensch genauso seinen Affekten […] wie jeder andere“[5]. Während des gesamten Dramas wird immer wieder deutlich, dass sich der Prinz von seinen Emotionen und Leidenschaften leiten lässt, was in Anbetracht seiner hohen politischen und gesellschaftlichen Stellung und der damit einhergehenden Macht eine große Problematik darstellt. Die besondere gesellschaftliche Stellung des Prinzen wird im gesamten Drama wiederholt zum Ausdruck gebracht, indem die übrigen Figuren vom Prinzen stets als „er selbst“ (siehe EG, 27, 48) sprechen. Ein erstes Beispiel dafür, dass das Handeln des Prinzen von persönlichen Motiven bestimmt wird, ist eine Bittschrift, die der Prinz erhält und die zwar, wie er selbst sagt „[v]iel gefordert“[6] ist, die er aber einzig und allein aufgrund des Vornamens erfüllen will. Im Text heißt es: „Der Prinz: […] Viel gefordert; sehr viel. – Doch sie heißt Emilia. Gewährt!“ (EG, 6). Gleich zu Beginn des Dramas betont Lessing also „[d]en Konflikt, der sich unausweichlich aus der Verbindung von Herrscheramt und Menschsein ergibt“[7]. Der Prinz selbst bringt diese Problematik bereits im ersten Aufzug zum Ausdruck, indem er sagt: „Mein Herz wird das Opfer eines elenden Staatsinteresse.“ (EG, 13) Bei der Umsetzung seiner persönlichen Interessen profitiert der Prinz von seiner Machtposition und missbraucht seine Stellung dahingehend, seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu stillen. Eine Belegstelle für solch einen „despotische[n] Übergriff“[8] des Prinzen in den privaten Bereich seines Volkes liefert Lessings Werk, als der Prinz seinem Kammerherrn Marinelli vollkommene Handlungsfreiheit einräumt, um die noch am selben Tag stattfindende Heirat zwischen der vom Prinzen begehrten Emilia Galotti und dem Grafen Appiani zu verhindern. „Marinelli: Wollen Sie mir freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue? Der Prinz: Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann.“ (EG, 17) Die Nachricht, dass Emilia noch am gleichen Tag einen anderen Mann heiraten würde, versetzt den Prinzen in große Aufregung. Auch an dieser Stelle zeigt sich, welche weitreichenden Konsequenzen die Emotionalität des Prinzen mit sich bringt, denn als einer seiner Räte, Camillo Rota, den Prinzen mit einem zu unterschreibenden Todesurteil aufsucht, reagiert Hettore Gonzaga mit den Worten „Recht gern. – Nur her! geschwind.“ (EG, 19) Diese Entscheidung bezüglich des Todesurteils ist ein Beleg für die leidenschaftliche Emotionalität des Prinzen, „die ihn die rationalen Handlungsmaximen eines aufgeklärten Herrschers vergessen lässt.“[9] Peter Nusser schrieb in diesem Zusammenhang weiter:

„Des Prinzen Verfehlung liegt darin ‚Mensch‘ sein, seinem ‚Herzen‘ folgen zu wollen, sich gleichsam ‚bürgerliche‘ Gefühle zu erlauben, die er sich als Fürst nach der Lehre von der Staatsraison, die ihm seine feste Rolle zuweist, zu versagen hat.“[10]

Die Herrschaft des Prinzen, die von Willkür, Launenhaftigkeit und Leidenschaften geprägt ist, spiegelt die Lebenswelt des Hofes wider, welche „als Ort moralischer Verfehlungen erscheint“[11]. Mittels der Figur des Prinzen von Guastalla bringt Lessing also seine Kritik am absolutistischen Herrschaftssystem zum Ausdruck.

2.2 Die Figur des Kammerherrn Marinelli

Der Kammerherr Marinelli ist als des Prinzen engster „Vertrauter“ (EG, 13) anzusehen und erntet dadurch selbst kein geringes Maß an Macht. Er nimmt die Rolle als Adjuvant des Prinzen ein und ist bemüht, die Interessen des Prinzen umzusetzen. Um für den nötigen Erfolg der Pläne des Prinzen zu sorgen, bedient er sich allen Mitteln. „Als vollendeter Hofmann verletzt [Marinelli] nie die Form, immer erscheint er kühl, höflich, überlegen.“[12] Außerdem scheinen in Marinellis Weltanschauung keine Gefühle zu existieren[13], denn bezüglich der durch Emilias bevorstehende Hochzeit ausgelösten Verzweiflung des Prinzen, lautet Marinellis Reaktion lediglich: „Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben kann, kauft man aus der zweiten“ (EG, 17). Seine Pläne „sind wohldurchdacht, vernünftig geplant, durch keine Affekte und Leidenschaften gestört.“[14] Marinelli zeichnet sich also insbesondere durch sein skrupelloses, manipulatives Verhalten aus. Entscheidend ist auch seine Abneigung gegenüber dem Bürgertum. Dies spiegelt sich vor allem in seinem Verhältnis zu Graf Appiani wider. Seine Geringschätzung Appianis wird in einem Gespräch mit dem Prinzen deutlich, in dem er Appiani abwertend als „Empfindsamen“ (EG, 14) bezeichnet und in dem auch der Prinz das gespannte Verhältnis zwischen Marinelli und Appiani betont (Siehe EG, 14: „[…] – ich weiß wohl, dass Sie, Marinelli, ihn nicht leiden können; ebenso wenig als er Sie – […]“). Durch Marinellis gesponnene Intrige, um die Hochzeit zwischen seinem größten Widersacher und der vom Prinzen begehrten Emilia zu verhindern, kommt der bis zuletzt unschuldige Graf Appiani schließlich ums Leben.

Marinellis Leben ist abhängig von den Launen des Prinzen, und das bedeutet manchmal „wie ein Freund gehoben, dann wieder wie ein Hund getreten zu werden.“[15] Er selbst weist auf diesen Missstand im ersten Aufzug hin, indem er sein Wort an den Prinzen richtet und sagt: „Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre geheimsten Wünsche mit, schließen uns ihre ganze Seele auf: und morgen sind wir ihnen wieder so fremd, als hätten sie nie ein Wort mit uns gewechselt.“ (EG, 16) Die Figur Marinelli verkörpert alle negativen Aspekte des Absolutismus. Auch sie dient für Lessing zum Ausdruck der Missbilligung des absolutistischen Herrschaftssystems.

2.3 Die Figur der Gräfin Orsina

Gräfin Orsina ist die Mätresse des Prinzen und ist somit auch Teil der höfischen Welt. Dennoch weist diese Figur einige aufklärerischen Merkmale auf. Als Orsina im vierten Aufzug des Dramas erfährt, dass Emilia Galotti und ihre Mutter nach dem Anschlag auf den Grafen Appiani im Lustschloss des Prinzen untergebracht worden sind, durchschaut sie die Situation sofort. Lessing präsentiert die Figur Orsina als eine selbstbestimmte, intelligente Frau. Zum einen wird Orsina unverzüglich klar, dass der Prinz sie durch Emilia Galotti – eine Bürgerliche – ersetzt hat. Außerdem begreift sie auf Anhieb, dass es sich bei dem Überfall auf die Hochzeitsgesellschaft um eine vom Prinzen geplante Intrige handelt. Für das Selbstbewusstsein der Gräfin spricht auch, dass sie den Kammerherrn Marinelli unmittelbar mit ihrem Verdacht konfrontiert (siehe EG, 60: „Haben Sie keinen Anteil daran? […] der Prinz ist ein Mörder! des Grafen Appiani Mörder!“) Ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass Gräfin Orsina Züge der Aufklärung aufweist, ist, dass sie dem Kammerherrn Marinelli im selben Gespräch droht, mit ihrem Verdacht an die Öffentlichkeit zu treten. „Wenn ich das mehrern sagte? – Desto besser, desto besser! – Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen. – […]“ (EG, 61) In dieser Aussage zeigt sich, dass Orsina bereit ist, sich aus ihrer Unmündigkeit zu befreien und dadurch, dass sie die Pläne des Prinzen auf Anhieb durchschaut, beweist sie, dass sie im Stande ist, ihren Verstand einzusetzen. Im folgenden Auftritt unterrichtet Orsina Emilias Vater Odoardo über die jüngsten Machenschaften des Prinzen und klärt ihn außerdem darüber auf, welches Schicksal seine Tochter Emilia auf dem Lustschloss des Prinzen erwarten wird. „Der Bräutigam ist tot: und die Braut – ihre Tochter – schlimmer als tot.“ (EG, 64) Emilias Zukunft sei „[e]in Leben voll Wonne! Das schönste, lustigste Schlaraffenleben, […]“ (EG, 64). Mit dieser Aussage bestätigt sie Odoardos schlimmste Erwartungen, indem sie ihm erklärt, dass auf seine tugendhafte Tochter Emilia ein unsittliches Leben der Leidenschaften warte. Außerdem überreicht Orsina Odoardo einen Dolch mit den Worten „[…] Gift ist nur für uns Weiber; nicht für Männer. – Nehmen sie ihn! (Ihm den Dolch aufdringend.) Nehmen Sie!“ (EG, 65). Indem sie an Odoardos Männlichkeit appelliert will sie ihn dazu bringen, den Prinzen zu ermorden. Sie sagt: „Ihnen wird sie nicht fehlen, diese Gelegenheit: und Sie werden sie ergreifen, die erste, die beste, – wenn Sie ein Mann sind. – Ich, ich bin nur ein Weib […]“ (EG, 65). Durch ihr Verhalten verkörpert Gräfin Orsina mindestens einen Grundgedanken der Aufklärung.

3. Die Vertreter der aufgeklärten, bürgerlichen Gesellschaft

3.1 Die Figur des Grafen Appiani

Prinzipiell zählt Graf Appiani aufgrund seines Standes als Adliger zur höfischen Lebenswelt. Sein Entschluss, die bürgerliche Emilia Galotti zu seiner Frau zu nehmen, stellt aus höfischer Sicht ein „Missbündnis“ (EG, 14) dar und verwehrt ihm zukünftig den Zutritt in die adligen Kreise. Außerdem strebt er ein vom Hof unabhängiges Leben auf dem Land an, genauer gesagt in den „Tälern von Piemont“ (EG, 14). Er hat sich also eindeutig gegen ein höfisches Leben entschieden. Im Drama wird Appiani als „ein sehr würdiger junger Mann, ein schöner Mann, ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre“ (EG, 14) beschrieben und genauer betrachtet stellt er die „einzige, unschuldige, nur gute Figur dieses Stücks“[16] dar. Graf Appiani bringt Emilias Vater Odoardo große Bewunderung gegenüber, denn in seinen Augen ist er „[d]as Muster aller männlichen Tugend“ (EG, 30). Dass Graf Appiani besonderen Wert auf die bürgerlichen Vorstellungen von Moral und Tugend legt, bringt er auch in folgendem Zitat zum Ausdruck: „Ich werde eine fromme Frau an Ihnen haben; und die nicht stolz auf ihre Frömmigkeit ist.“ (EG, 30) Als Appiani über den Marquesen Marinelli einen Auftrag des Prinzen erhält, der in Wahrheit nur dazu dienen soll, seine Hochzeit zu verhindern, lehnt der Graf, „der Marinelli verachtet, […] höhnisch ab“[17]. „Appiani hätte sich nie für einen schmeichlerischen und kriecherischen Hofdienst hergegeben.“[18] Dieser vom Prinzen angewiesene Auftrag, der Graf Appiani kurz vor seiner Hochzeit erreicht, könnte zudem als eine Anspielung gedeutet werden, dass sich auch Appiani in einem Rollenkonflikt zwischen Verpflichtungen aus der höfischen und der bürgerlichen Welt befindet.[19] Als tragischer Held des Dramas wird Graf Appiani letztendlich zum „Opfer intriganter Machenschaften zur Befriedigung einer fürstlichen Laune“[20]. Die Figur Appiani verkörpert den leidtragenden Menschen zur Zeit des Absolutismus, der letztlich mit seinem Leben bezahlt.

[...]


[1] Vgl. Nusser, Peter: Deutsche Literatur. Eine Sozial- und Kulturgeschichte. Vom Barock bis zur Gegenwart. Darmstadt: WBG 2012., S. 189.

[2] Ebd., S.189.

[3] Ebd., S.190.

[4] Von Borries, Erika und Ernst: Deutsche Literaturgeschichte. Band 2. Aufklärung und Empfindsamkeit, Sturm und Drang. München: dtv 1991., S. 103.

[5] Ebd., S. 103.

[6] Die primäre Textgrundlage bildet: Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Köln: Anaconda 2006 [im Folgenden zitiert als EG, Seitenzahl], hier: EG,6.

[7] Borries (1991), S.103.

[8] Nusser (2012), S. 189.

[9] Ebd., S. 190.

[10] Nusser (2012), S. 190.

[11] Ebd., S. 189.

[12] Ebd., S. 46.

[13] Vgl. ebd., S. 46.

[14] Peter, Klaus: Stadien der Aufklärung. Moral und Politik bei Lessing, Novalis und Friedrich Schlegel. Wiesbaden: Akademische Verlagsgesellschaft 1980., S. 46.

[15] Borries (1991), S. 107.

[16] Borries (1991), S. 107.

[17] Ebd., S. 107.

[18] Ebd., S. 107.

[19] Vgl. Nusser (2012), S. 190.

[20] Borries (1991), S. 107.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Emilia Galotti. Eine Kritik am bürgerlichen Werte- und Erziehungssystem?
Hochschule
Universität Regensburg  (Germanistik)
Veranstaltung
Neuere deutsche Literatur - Textanalyse
Autor
Jahr
2014
Seiten
12
Katalognummer
V293007
ISBN (eBook)
9783656901952
ISBN (Buch)
9783656901969
Dateigröße
469 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
emilia, galotti, eine, kritik, werte-, erziehungssystem
Arbeit zitieren
Lena Frauenknecht (Autor:in), 2014, Emilia Galotti. Eine Kritik am bürgerlichen Werte- und Erziehungssystem?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293007

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