Die Motivik des Hausmädchens in der Literatur – Lucía Punezos „El Niño Pez“ und Sergio Bizzios „Rabia“


Seminararbeit, 2015

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die momentane Dienstmädchensituation und die Hausmädchenmotivik in der Literatur

III. Lucía Puenzos „El Niño Pez“

IV. Sergio Bizzios „Rabia“

V. Fazit

Bibliographie

I. Einleitung

Die hier vorliegende Arbeit widmet sich Lucía Puenzos Roman El Niño Pez und Sergio Bizzios Rabia. Hauptgegenstand der Untersuchung ist die Figur des Hausmädchens in beiden Romanen, v.a. vor dem Hintergrund von Das Dienstmädchen, die Familie und der Sex von Eva Eßlinger, wobei ein besonderes Augenmerk auf den dargestellten Beziehungen der beiden Hausmädchen zu ihren jeweiligen Arbeitgeber-Familien liegt. Des Weiteren soll auch die Verwendung der literarischen Hausmädchen-Motivik im Allgemeinen untersucht werden. Abschließend wird ebenfalls ein Vergleich zur deskribierten Situation der Hausmädchen mit der realen Lage der Selbigen – v.a. in Lateinamerika – hergestellt. Alles in Allem soll diese Arbeit eine fundierte Analyse der en masse debattieren – in der Literatur oftmals stark euphemistisch und erotisierend dargestellten – Dienstmädchen-Figur mit besonderem Augenmerk auf die Arbeiten zweier neuzeitlicher Autoren bieten.

Zu diesem Zweck ist im Folgenden zunächst eine konzise biographische Beschreibung der beiden Autoren gegeben; das sich daran anschließende zweite Kapitel bezieht sich in einem kurzen Exkurs auf die gegenwärtige reale Lage der Hausmädchen, so wie auf die Dienstmädchen-Motivik in der Literatur. Die nachfolgenden zwei Kapitel stellen den Kernpunkt der Untersuchung dar und sind den beiden Figuren der Guayi (in El Niño Pez) und Rosa (in Rabia) dediziert, wobei zunächst jeweils eine kurze Inhaltsangabe des jeweiligen Romans zu Beginn des entsprechenden Kapitels steht. Die kritische Auseinandersetzung mit den beiden Figuren bezieht sich dabei nicht nur auf die jeweilige Darstellung durch die beiden Autoren, sondern beinhaltet auch einen Vergleich mit der herkömmlichen Hausmädchenmotivik in der Literatur. Weiterhin wird die repräsentierte Situation der beiden Protagonistinnen auch in den Zusammenhang der aktuellen realen Gegebenheiten gestellt.

Lucía Puenzo wird am 28. November 1976 in der Ciudad Autónoma de Buenos Aires in Argentinien als Tochter des bekannten Filmregisseurs Luis Puenzo geboren. Nach einem Literatur-, sowie einem Film- und Theater-Studium widmet sie sich – wie ihr Vater und auch ihre Brüder – dem Film, versucht jedoch, sich zunächst von der Familientradition zu differenzieren und sich in der Literatur einen eigenen Namen zu machen. Ab 2001 wirkt sie in der argentinischen Dokumentar-Serie Historias Cotidianas mit, 2003 folgen diverse Programme wie bspw. Malandras, Disputas und Sol Negro[1]. Den Höhepunkt ihrer Karriere als Regisseurin stellen bisher die beiden Filme XXY und El Niño Pez von 2006 dar; letzterer ist die Verfilmung eines ihrer eigenen Romane, zu denen u.a. auch 9 minutos und La maldición de Jacinta Pichimahuida gehören[2]. Prägnant ist bei Puenzo v.a. die latente bis fast schon nach Aufmerksamkeit und Beachtung schreiende, gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit sozialen, sowie auch psychologischen und alltäglichen Problemsituationen, die ihre Arbeiten zu etwas Besonderem machen[3].

Sergio Bizzio ist ebenfalls ein argentinischer Autor und Regisseur, der am 03. Dezember 1956 in Villa Ramallo, einer Provinz von Buenos Aires, geboren wird[4]. Bizzio ist zudem Dichter, Dramaturg und Theater-Autor; 1982 publiziert er seine erste Gedichtsammlung Gran salón con piano, 1990 folgt Mínimo figurado und 1995 Paraguay. Zu seinen Romanen gehören u.a. El divino convertible (1990), Son del África (1993), Planet (1998), Rabia (2004) und Realidad (2009). Seine Theaterstücke La China und El amor erschienen beide 1997 in Zusammenarbeit mit Daniel Guebel. Der Großteil seiner Werke wurde nicht nur in mehr als acht Sprachen publiziert, sondern auch sowohl für das argentinische, als auch für das spanische und französische Fernsehen adaptiert, was ihn zu einem der bekanntesten lateinamerikanischen Literaten der (Post-)Moderne macht[5].

II. Die momentane Dienstmädchensituation und die Hausmädchenmotivik in der Literatur

Zwar ist es in der heutigen Zeit längst nicht mehr Gang und Gebe (oder sollte es zumindest nicht sein), dass zu einem gutbürgerlichen Haushalt wie selbstverständlich auch ein Hausmädchen gehört, jedoch finden sie sich in den letzten Jahren wieder immer häufiger; „im Zeitalter der Globalisierung“ kehrt das altbekannte Dienstmädchen peu à peu zurück[6]: Egal ob als Dienstmädchen, Kinderfrau oder Haushaltshilfe – wenn man meint, im modernen Zeitalter seien sie lediglich noch ein Ammenmärchen, so täuscht man sich gewaltig, denn sie „übernehmen heute in zunehmendem Maße [wieder] die Versorgungsarbeit in privaten Haushalten“ und das in unfassbaren Ausmaßen[7]. Alleine in Deutschland gehen Schätzungen darauf zurück, „dass jeder achte private Haushalt heute eine Haushaltshilfe beschäftigt“, weltweit steigen die Zahlen nahezu ins Unermessliche[8]. Interessant ist dabei die Tatsache, „dass die Beschäftigten zu mehr als 90% Frauen sind“[9], oftmals Migrantinnen „aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa“, die in ihrem Heimatland keine Arbeit finden[10]. Die meisten von ihnen haben eine eigene Familie zu Hause, um die sie sich kümmern müssen und sogar eine gute Ausbildung genossen, doch verbessert dies ihre Chancen auf dem heimatlichen Arbeitsmarkt nicht; es sind „also gestandene Frauen, die […] in die Zentren der reichen Welt auswandern“, da es in ihrem „Herkunftsland [meistens] keine oder [nur] schlechte Entwicklungsmöglichkeiten“ gibt und sie keinen anderen Ausweg sehen, um sich „mit ihrer Arbeit das (Über-)Leben ihrer Familie[...] und die Ausbildung der eigenen Kinder“ zu sichern[11]. Viele der Frauen aus Lateinamerika, Afrika oder Südostasien verdingen sich sogar im eigenen Land, obwohl die Arbeitsbedingungen für sie dort oftmals noch schlechter als in den westlichen Industrieländern sind; alleine in Lateinamerika arbeiten „über zwanzig Millionen Frauen als Hausangestellte“, oft, da sie „keinen Ausbildungsplatz bekommen […] oder einen Beruf erlernt [haben], mit dem sie nicht genug zum Leben verdienen“[12] ; für ihre „gehobenen“ Arbeitgeber sind die so genannten „muchachas“ dabei einfach „die herrlichste Nebensache der Welt“[13].

Ebenfalls erschreckend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass viele der Frauen „ohne arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Schutz“ – sprich illegal – im neuen Land leben und arbeiten und es so für „sie kaum Möglichkeiten [gibt], gegen Lohnprellungen oder sexuelle Ausbeutung vorzugehen“[14]. Die Probleme nicht-bezahlter Überstunden, eines niedrigen Einkommens, welches oftmals sogar noch unter der Minimumslohngrenze liegt, so wie auch psychische und/oder physische Gewalt bis hin zur Vergewaltigung sind i.d.R. fast allen Betroffenen gemein[15] ; sie sind einfach „der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert“[16]. V.a. in Mittel- und Südamerika ist die inhumane Behandlung der Hausangestellten scheinbar an der Tagesordnung, so „ist das Mädchenzimmer [oftmals] die Rumpelkammer des Hauses, kleiner und schlechter belüftet als eine Pferdebox“[17]. Besonders auffällig: Bspw. in „Brasilien gibt es genaue Vorschriften über das Mindestmaß von Zimmern, aber die Bauherren zeichnen absichtlich einen Raum als Vorratskammer ein, der später als Mädchenzimmer vorgesehen ist“[18]. Einzig in Bezug auf das Fernsehen sind die Señores „fast immer großzügig“, denn „die Traumwelt des Films hat heute einen fast so guten Einfluss auf ihr Personal wie früher die Kirche: Sie stabilisiert die Verhältnisse“, da sie mit dem Versprechen auf die Utopie eines besseren Lebens „wie eine Droge“ wirkt; solche in den Telenovelas postulierten „Happy Ends hat die […] Wirklichkeit [jedoch] nicht zu bieten“[19]: Wie bereits konstatiert ist das Hausmädchen der Familie zwar oftmals das Objekt der Begierde für Hausherr (und auch Sohn), da es – ebenso wie die Möbel – einfach als selbstverständlicher Besitz angesehen wird –, jedoch ist sie auch stets gezwungen die eventuellen Folgen allein zu tragen, wird sie bspw. schwanger, so wird sie „zur Belastung“ und „fortgejagt“, bestenfalls „zahlt ihr der Hausherr die Abtreibung“[20]. Und dennoch bietet die „Arbeit im Privatbereich“ vielen den Vorteil des „Schutz[es] vor Entdeckung“, auch wenn „die Kehrseite dieser 'Schutzzone'“ mit der minimalisierten Möglichkeit der selbstbestimmten „Bewegungsfreiheit“ und der „Ausbeutung“ im neuen „zu Hause“ einhergehen[21]. Das „Dienstmädchengeschäft“ ist ein „Phänomen der Schattenwirtschaft“, in dem sich „die Betroffenen […] in einer twilight-zone, einer geheimen, unsichtbaren Gesellschaft, an deren Sichtbarmachung oder Veröffentlichung kaum jemand Interesse hat“, bewegen[22]. Zudem ist auf Grund jener Schutzzone auch der direkte Kontakt zu den Mädchen für Außenstehende „nahezu unmöglich“, da sie „von ihren Arbeitgebern [zusätzlich] abgeschirmt“ werden und „Angst vor dem Zorn der“ Selbigen haben, sollten sie sich ihnen widersetzen oder ihren Wünschen nicht zur Genüge nachkommen[23].

V.a. „in den westlichen Industrieländern“ ist die Nachfrage nach „domestic helpers“ im „Haushaltsleben des [modernen] Techno-Zeitalters“ enorm, denn so wie Hausangestellte einst „zum Prestige einer Bürgerfamilie“ gehörten, so sind sie heute eine (nahezu selbstverständliche) Entlastung für die moderne berufstätige Frau – globale „Feminisierung der [Zwangs-]Migration“ als Preis des doch so erfolgreichen modernen und fortschrittlichen Feminismus, der Emanzipation und der Frauenbewegung[24] ; mit der – fast schon sklavenartigen – Verrichtung von Arbeiten, die schon „seit Jahrhunderten als Frauenarbeit gelten“[25], hat sich „die Dienstmädchenfrage […] von einer Klassenfrage zu einem ethnisch und national [, so wie v.a. auch feministischen,] Phänomen entwickelt“[26]. Friese beschreibt dieses Phänomen im Grunde rückläufiger Emanzipation als „erneuten Entwertungsprozess[...] weiblicher Bildung“ und erläutert, dass sich der „brain-drain“, d.h. der „'Bildungsleerlauf' der Herkunftsländer, […] in den Aufnahmeländern in brain-waist, [d.h.] 'Bildungsverschwendung' verwandelt“ und so „zur sozialen Falle“ wird[27]. Nebeneffekt ist dabei ebenfalls die Entstehung eines „Arbeitsmarkt[es], der scheinbar einen Ausweg bietet […], begrenzte finanzielle Ressourcen zu übersteigen“, so wie die Begleiterscheinung einer so genannten „transnationalen Mutterschaft“, die darauf basiert, dass „viele der 'neuen Dienstmädchen'“ gezwungen sind, ihre eigenen Kinder ebenfalls in der „Obhut von 'Ersatzmüttern'“ zu hinterlassen, während sie sich ihrerseits um die Erziehung fremder Kinder kümmern müssen[28] ; es ist im Grunde eine „weltweite Fürsorgekette“[29].

Alles in Allem ist das Hausmädchen an sich folglich lediglich Handelware:

„Man kauft sie, und dann haben sie zu funktionieren. Bleiben sie stehen, haut man mit der Faust dagegen. Und wenn das nicht hilft, kauft man neue. Wie die Maschinen haben sie [für ihre „Besitzer“] keine Geschichte, keine Gefühle, keine Gesundheit“; sie sind die „mucamas – schattenhafte Wesen, die schnell ins Esszimmer huschen, servieren und wieder verschwinden“[30].

Sie arbeiten nahezu rund um die Uhr, sind gezwungen, Schikanen zu ertragen, nur weil sie aus der Not heraus „auf ein eigenes Leben [verzichten], um denen, die mehr Geld haben, das Leben [noch weiter] zu erleichtern“[31]. Besonders in Lateinamerika unterliegen sie „nicht dem allgemeinen Arbeitsrecht“, spezielle „Gesetze zur Haushaltsarbeit degradieren sie zu Arbeitnehmerinnen zweiter Klasse“ und sie „rangieren [somit] am untersten Ende der Lohnskala“, sie leben eine „Form der modernen Sklaverei“[32]. Es zeigt sich, dass dieses als Schattenwelt postulierte Phänomen (s.o.) auf den Grundpfeilern seit jeher existierender genderspezifischer Arbeitsteilung fußt „und auf dem Rücken“ der „natürliche[n] Ressource Frau“ ausgetragen wird[33]. Kurzum: Das Dienstmädchen der Moderne ist „das vielleicht wertvollste Exportprodukt“ als Teil einer globalen Trenderscheinung[34]. Welche neue Mode wird es morgen sein?

Auch in der Literatur ist die Motivik des Dienstmädchens weit verbreitet, sei es als relevante Antagonistin, oder als Protagonistin selbst – sieht man genauer hin, so findet man die Figur des Hausmädchens in Hülle und Fülle, im Vordergrund steht dabei primär immer die Beziehung des Hausmädchens zur Familie, zentraler Angelpunkt des Geschehens ist fast immer in irgendeiner Weise der Sex: Wie bereits konstatiert war und ist der Missbrauch der mittellosen Hausangestellten durch den höher gestellten Hausherren auch heute oftmals noch Gang und Gebe, wie auch die Strauss-Kahn-Affäre von 2011 zeigt, da überrascht die vielfache literarische Verwendung dieser Thematik nicht (Vgl.: Eßlinger, S.10)[35]. Das missbrauchte Dienstmädchen, die verruchte Magd, die den Hausherren verführt, gibt als literarisches Motiv viel her und scheint nahezu für die „Vermarktung“ geschaffen, ist doch alles vorhanden, was man braucht: Einen „Skandal, der auch die erotische Neugier des Publikums anstachelt, einen Mächtigen, der seine Position ausnutzt, und eine Frau, die sich [manchmal sogar] mutig und selbstbewusst zur Wehr setzt“ (Eßlinger, S.11). Sexuelle „Gewalt gegen Frauen, verbunden mit extremer sozialer Ungleichheit“ und Machtmissbrauch, sowie das oftmals prädominante Vorurteil (welches v.a. im 18. Jahrhundert weit verbreitet Anklang fand), das Dienstmädchen an sich sei „von zweifelhafter sexueller Reputation und [somit] letztendlich kaum etwas anderes[,] als [eine] Prostituierte“ (Eßlinger, S.11f), dies alles reizvoll und praktisch verpackt in nur einer Figur ist bereits Bestandteil vieler Romane und gleich wie „ein Geist spukt das verführte Dienstmädchen durch die […] Literatur“[36].

Einer der ersten und wohl bekanntesten dieser Romane ist der bereits 1740 publizierte Erfolgsroman Pamela, or Virtue Rewarded von Samuel Richardson, der quasi als „Referenztext einer […] Erzähltradition, die sich um das Motiv des 'verführten' Dienstmädchens rankt und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein fortbesteht“, dient (Eßlinger, S.18). Ebenso ist die fast schon „notorisch missbrauchte[...]“ Justine in Marquis de Sades Les Infortunes de la Vertu von 1787 nahezu Vorbildfigur für alle nachfolgenden (Eßlinger, S.17): Mit „grausamer Lust“ beschreibt de Sade detailliert, was bei Richardson noch „in nuce angelegt“ war und radikalisiert nahezu die „Fantasien von Unterwerfung und […] Frauenfolter“; es wird weitestgehend zu einer Art grausamer Literaturtradition, die im 1935 von Elias Canetti veröffentlichten Roman Die Blendung noch weiter kulminiert und auch wenn Gustave Flaubert mit Un coeur simple noch versucht, das „groteske[...] Desaster“ der „Dienstmädchengeschichte in eine [Art] moderne Heiligenlegende zu transformieren“, so bleibt das ursprüngliche Faszinosum des missbrauchten Hausmädchens bis heute in der Literatur erhalten[37], hat es sich doch „als außerordentlich literaturträchtig erwiesen“ (Eßlinger, S.18). So gesehen wurde auf diese Weise so zu sagen die „Karriere“ der Romanfigur „des verführten Dienstmädchens“ geschrieben und auch vorangetrieben, wobei der Begriff „Verführung“ hier im eigentlichen Sinne als stark überspitzter Euphemismus für bloße sexuelle Gewalt zu verstehen ist[38]. An der „weitgehend als Tragödie“ erscheinenden Geschichte „des Dienstmädchens, das sich zugleich innerhalb wie außerhalb der Familienordnung bewegt, werden die Paradoxien, Abgrenzungsstrategien und damit das 'Unbewusste des Familiendiskurses'“ mit dem Hausmädchen als „Grenzfigur“ des Selbigen deutlich[39].

Alles in Allem verläuft die „literarische Geschichte des Dienstmädchens“ bis dato zwar „diskontinuierlich, mit Perioden der Verdichtung und Phasen der Latenz“, doch war sie stets in irgendeiner Weise literaturgeschichtlich präsent; „heterogen ist auch die soziale Wirklichkeit des Dienstbotenstandes“, denn als „Mädchen-für-alles“ sind sie auch heute noch sowohl in der Realität, als auch in unzähligen literarischen Werken (egal ob als Protagonisten oder Antagonisten, wie beispielsweise bei Kafka oder Musil) zu finden und haben es so in gewisser Weise sogar zu einem eigenen literarischen Genre gebracht, das in Form von beispielsweise Romanverfilmungen selbst für Film und Fernsehen adaptiert wurde (Eßlinger, S.20)[40].

Im Folgenden sollen nun El Niño Pez und Rabia das Hauptaugenmerk der Untersuchung im Hinblick auf die Dienstmädchen-Motivik darstellen, wobei immer wieder Vergleiche mit der allgemein literarischen Untersuchung Eva Eßlingers zur Hausmädchen-Frage als Referenztext gezogen werden.

III. Lucía Puenzos „El Niño Pez“

Im 2004 erschienen Roman El Niño Pez wird aus der Perspektiven des Hundes Srafín die Liebesgeschichte von Lala und Guayi erzählt. Lala ist die Tochter des selbstmordgefährdeten Schriftstellers Brontë und lebt mit ihm, ihrer Mutter und ihrem drogensüchtigen Bruder in Buenos Aires, wo sie die aus Paraguay stammende Guayi als Hausmädchen bei sich aufnehmen. Schnell verlieben sich Lala und Guayi in einander, doch zeitgleich beginnt auch Brontë Interesse an Guayi zu zeigen, zumal seine Frau die Familie verlässt und nach Indien durchbrennt. Als Lala ihn dabei attrappiert, wie er sich an Guayi vergeht, vergiftet sie ihn mit einem Glas Milch. Kurz darauf flieht sie nach Paraguay in Guayis Herkunftsort, wo sie und Guayi schon lange planen ein gemeinsames Haus an dem See zu bauen, wo Guayi zuvor lebte. Zu diesem Zweck haben die beiden Mädchen im Laufe der Zeit verschiedene Haushaltsgegenstände mit Hilfe eines befreundeten Drogendealers verkauft, um genügend Geld für den Bau des Hauses sparen zu können. In Paraguay angekommen trifft Lala auf Guayis Großvater und bleibt zunächst bei diesem. Dort erfährt sie, dass Guayi schwanger war, bevor sie nach Buenos Aires kam, das Kind jedoch nicht überlebt hat und seither als das berühmte Fischkind, als Mytay Pyra, im See lebt und dort Ertrunkene auf den Grund des Selbigen führt. Während Lala in Paraguay auf Guayi wartet erfährt sie, dass diese für den Mord an Brontë verhaftet wurde. Sie reist zurück nach Buenos Aires um ihr zu helfen, doch Guayi weigert sich beharrlich und hat sich in ihr Schicksal ergeben; zudem wird sie im Gefängnis bevorzugt behandelt, da sie sich regelmäßig von korrupten Polizisten auf Privatpartys zusammen mit anderen Insassinnen als Prostituierte verkaufen lässt. Mit Hilfe des befreundeten Drogendealers gelingt es Lala Guayi auf einer der Partys zu befreien, wobei jedoch Lala und der treue Begleiter der Mädchen Serafín angeschossen werden. Nach einer notdürftigen Behandlung beim Bruder des Drogendealers (ein Tierarzt) gelingt es den beiden in einem Bus zusammen mit Serafín wieder nach Paraguay zu fliehen. Während der Fahrt erzählt Guayi Lala zum ersten Mal die Geschichte des Mytay Pyra.

Auch in El Niño Pez ist die Figur des Hausmädchens sehr prägnant: Wie bereits konstatiert stammt die Mehrheit der Hausmädchen (sowohl in der Realität, als auch die fiktiven literarischen Hausmädchenfiguren) i.d.R. aus ärmlichen Verhältnissen und erhofft sich im neuen Zuhause ein besseres Leben. So wuchs auch die aus dem paraguayanischen Dorf Ypacaraí stammende Guayi in ärmlichen Verhältnissen bei ihrem Großvater auf; in ihrem Heimatort „había hambre y falta de trabajo“ (NP, S.35), mit gerade einmal 15 Jahren wanderte sie nach Buenos Aires aus, um dort zu arbeiten (Vgl.: NP, 28f), nachdem sie von Socrates, ihrem ersten Freund, schwanger geworden war (Vgl.: NP, S.40f, 53f). In Buenos Aires findet das Indio-Mädchen schließlich eine Arbeitsstelle als Hausmädchen bei einer reichen Familie, wo sie die typischen Aufgaben eines Dienstmädchens – sprich Kochen, Waschen, Putzen, Einkaufen für die Familie, etc. – verrichtet. Wie die Mehrheit der Dienstmädchen wohnt auch Guayi mit im Haus der Familie. Durch das so entstehende „begrenzte Nahumfeld“ außerhalb der Familie und die dadurch bedingte „Abhängigkeit“ von der Selbigen wird eine „Intimität zwischen [eigentlich] Fremden“ erzwungen und es entstehen oftmals prekäre Verhältnisse (Eßlinger, S.16); das Hausmädchen ist dann nicht mehr nur für die physische Versorgung des Haushalts, d.h., ihre regulären Aufgaben (s.o.), zuständig, sondern oftmals zusätzlich auch „für die emotionale [...] Versorgung der Familienmitglieder“, indem sie sich bspw. um die Erziehung der Kinder kümmert und auf diese Weise eine enge Beziehung zu ihnen aufbaut (Ebd.). Selten wird sie auch zur „Vertrauten der Mutter“, wobei jedoch stets die Distanz zwischen den Ständen gewahrt wird[41]. Bei der Figur der Guayi finden sich allerdings bereits hier einige Divergenzen zur herkömmlichen Hausmädchenfigur: Zum einen nimmt sie – wahrscheinlich schon auf Grund des Altersunterschiedes zwischen den beiden – zu keiner Zeit die Rolle einer Ansprechpartnerin für Sasha (die Mutter) ein. Zudem beginnt Letztere mit sich vertiefender Freundschaft zwischen Guayi und Lala eine immer größere Abneigung gegen Guayi zu hegen, da sie Beziehungen jeglicher Art zum standesniederen Hauspersonal für unangemessen hält:

„Hacia tiempo que Sasha no soportaba más a la paraguaya, pero Brontë le tenía prohibido cambiarla por otra. […] - No es normal... Hay que hacer algo... - le dijo Sasha a Brontë mirándolas jugar con una manguera en el jardín […]. - Una vez que tiene una amiga... Dejala tranquila... - dijo Brontë […]. - No la dejo nada... no puede ser amiga de la mucama...“ (NP, S.18f).

Zum anderen ist Guayi auch nicht für die Kindererziehung zuständig, zumal diese bereits erwachsen sind und auch lediglich ein sehr geringer Altersunterschied zwischen ihnen und Guayi besteht, weshalb sich sogar eher interpretieren ließe, dass sie in gewissem Maße ein Stück weit zusammen aufwachsen. Allerdings entsteht dennoch eine tiefere Intimität zwischen Hausmädchen und Familie, v.a. hinsichtlich der Tochter Lala, mit der Guayi sich nicht nur rasch anfreundet, sondern deren Beziehung im Verlauf des Romans immer inniger wird, bereits schon nach kurzer Zeit sind sie nahezu unzertrennlich und werden schließlich ein Liebespaar:

[...]


[1] Vgl.: S.n.: Biografía de Lucía Puenzo. Pontevedra: Biografías.es.

[2] Vgl.: S.n.: Lucía Puenzo. Paris: PyramideFilms.com.

[3] Vgl.: S.n.: Biografía de Lucía Puenzo. Pontevedra: Biografías.es.

[4] Vgl.: S.n.: Sergio Bizzio. Viaje Literario. (S.l.) Ahoracriticón. Cine, Música, Literatura... Información y Opinión Independiente.

[5] Vgl.: S.n. (2013): Sergio Bizzio. Me gusta leer. Penguin Random House Grupo Editorial. Ciudad Autónoma de Buenos Aires.

[6] Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias (Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie. Essen. S. 01.

[7] S.n. (2005): Das Dienstmädchen kehrt zurück. Frankfurt: Attac AG "Feminist Attac".

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias (Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie. Essen. S.03.

[11] S.n. (2005): Das Dienstmädchen kehrt zurück. Frankfurt: Attac AG "Feminist Attac".

[12] Segueda, Eric (2012): Rechtlose Dienstmädchen. Bonn: Deutsche Welle.

[13] S.n. (1984): Dritte Welt: Nur traurig. Hamburg: Der Spiegel Online.

[14] S.n. (2005): Das Dienstmädchen kehrt zurück. Frankfurt: Attac AG "Feminist Attac".

[15] Vgl.: Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias (Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie. Essen. S.06f.

[16] Segueda, Eric (2012): Rechtlose Dienstmädchen. Bonn: Deutsche Welle.

[17] S.n. (1984): Dritte Welt: Nur traurig. Hamburg: Der Spiegel Online.

[18] Ebd.

[19] Ebd.

[20] Ebd.

[21] Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias (Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie. Essen. S.13.

[22] Ebd.

[23] Segueda, Eric (2012): Rechtlose Dienstmädchen. Bonn: Deutsche Welle.

[24] Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias (Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie. Essen. S.02f.

[25] Uchatius, Wolfgang (2004): Das globalisierte Dienstmädchen. Hamburg: Die Zeit Online.

[26] Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias (Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie. Essen. S.03.

[27] Ebd., S.14.

[28] Ebd., S:25f.

[29] Uchatius, Wolfgang (2004): Das globalisierte Dienstmädchen. Hamburg: Die Zeit Online.

[30] Zeiler, Stephanie (2005): Arbeiten in Lateinamerika: Schuften bis zum Umfallen. Berlin: Lateinamerika Nachrichten.

[31] Ebd.

[32] Ebd.

[33] S.n. (2005): Das Dienstmädchen kehrt zurück. Frankfurt: Attac AG "Feminist Attac".

[34] Uchatius, Wolfgang (2004): Das globalisierte Dienstmädchen. Hamburg: Die Zeit Online.

[35] Auf Grund der Häufigkeit der Zitation der drei Primärtexte sind die Quellenangaben aus Platz Gründen bei diesen nicht in Form von Fußnoten, sondern als knappe Angabe in Klammern dahinter gesetzt, wobei der Text von Eva Eßlinger mit Eßlinger, El Niño Pez mit NP und Rabia mit R abgekürzt sind.

[36] Werneburg, Brigitte (2013): Faszinosum Dienstmädchen: Die Treue zur Dienstbotenromanze. Berlin: taz.de.

[37] Ebd.

[38] Ebd.

[39] Ebd.

[40] Bsp.: Verfilmung El Niño Pez, Rabia; aktuell – wenn auch in abstrakter Weise – in Form von TV-Serien/Telenovelas, wie bspw. Devious Maids.

[41] Vgl.: S.n. (2009): “Wie der Gesang von Vögeln”. Berlin: taz.de.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Motivik des Hausmädchens in der Literatur – Lucía Punezos „El Niño Pez“ und Sergio Bizzios „Rabia“
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Romanisches Seminar)
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
23
Katalognummer
V292919
ISBN (eBook)
9783656901273
ISBN (Buch)
9783656901280
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fischkind, Rabia, El Niño Pez, Lucía Puenzo, Sergio Bizzio, Hausmädchen, Dienstmädchen, Lateinamerikanische Literatur, Literaturverfilmung
Arbeit zitieren
Stefanie Weber (Autor:in), 2015, Die Motivik des Hausmädchens in der Literatur – Lucía Punezos „El Niño Pez“ und Sergio Bizzios „Rabia“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/292919

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