Zivilisation vs. Kultur. Thomas Manns politische Positionierung während des ersten Weltkrieges in den "Betrachtungen eines Unpolitischen"


Seminararbeit, 2014

26 Seiten, Note: 2,0

Kristin L. (Autor:in)


Leseprobe


INHALT

1 Thomas Manns Gedankendienst mit der Waffe

2 Die Antithese Zivilisation vs. Kultur
2.1 Etymologische Betrachtung des Wortpaares Zivilisation und Kultur
2.2 Die Antithese Zivilisation und Kultur in den Betrachtungen

3 Der Terminus des Unpolitischen in den Betrachtungen
3.1 Kurzcharakterisierung des Wilhelminische Bürgertums (1888-1918)
3.2 Konservatismus als Ausprägungsform des zeitgenössischen politischen Denkens
3.3 Was bedeutet unpolitisch bei Thomas Mann?

4 Politische Positionierung T. Manns während des I. Weltkrieges

5 Abschließendes Resümee

Literaturverzeichnis

1 Thomas Manns Gedankendienst mit der Waffe

Thomas Mann gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts. Besonders verhalfen ihm seine Romane, wie Die Buddenbrooks, der Tod in Venedig oder Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, zu internationaler Berühmtheit. Weitgehend unbesprochen bleibt dagegen in seiner Bibliographie das fast 600 Seiten umfassende Werk Betrachtungen eines Unpolitischen, in dem er sich vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, für diesen ausspricht und zur allgemeinen (politischen) Lage Deutschlands äußert sowie eine Selbstreflexion seines künstlerischen Schaffens vorlegt.

Heute schickt es sich eher, in Bezug auf den ersten Weltkrieg, seinen Bruder Heinrich Mann zu zitieren, positionierte dieser sich doch für die Demokratie und gegen den ersten Weltkrieg. Thomas Mann dagegen ergreift in seinem Werk Partei für den Krieg, um die deutsche Kultur vor den Zersetzungsstoffen der Zivilisation zu schützen und an der Monarchie festhalten zu können.

Durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges geriet Thomas Mann in einen Zwiespalt. Er arbeitete gerade an seinem Roman Der Zauberberg, den er beiseitelegte, um seinem Bedürfnis, die politische Lage in Deutschland zu analysieren und zu beschreiben, folgen zu können. Jede Weiterarbeit am Zauberberg lehnte Thomas Mann vorläufig ab, da diese „intellektuell überlastet worden wäre“[1]. Er fühlte sich genötigt die kulturellen Umwälzungsprozesse, die zu Beginn des Ersten Weltkrieges Deutschland bedrohten, einerseits zu verstehen und auf der anderen Seite sich selber einer Reflexion bezüglich seines Künstlertums auszusetzen, um überhaupt weiter künstlerisch tätig sein zu können. Diese krisenhaften Tendenzen führten dazu, dass Thomas Mann im September 1918, kurz vor der Niederlage Deutschlands, seine gesammelten Aufsätze in den Betrachtungen eines Unpolitischen veröffentlichte.

Thomas Mann reihte sich mit dieser öffentlich bekundeten Kriegsbefürwortung in eine lange Schlange von Intellektuellen namenhaften Ranges ein, die ebenfalls einem „nationalen Identitätstaumel“[2] unterlagen. Die Liste der Kriegsgegner war zu diesem Zeitpunkt wesentlich kürzer. Auf ihr sind Namen wie A. Schnitzler, R. Schickele und K. Kraus zu lesen, obgleich diese Liste mit dem weiteren Kriegsverlauf und der damit einhergehenden aussichtslosen Lage Deutschlands beständig anwuchs.

Auch wenn Thomas Mann selber nie an der Front des ersten Weltkrieges kämpfte und sogar vom Kriegsausbruch überrascht wurde, hielt dies ihn nicht davon ab, seinen Gedankendienst mit der Waffe, wie er sein künstlerisches Schaffen während der Abfassung der Betrachtungen nannte, abzuleisten und sich damit „der nationalen Sache bedingungslos zur Verfügung zu stellen.“[3] Er erhob sich, wie die anderen Kriegsbefürworter auch, mit dieser Schrift gegen die verbrauchten Schlagworte der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Diesen setzten sie nun die Ideen von 1914 entgegen, die sich mit den Schlagworten Pflicht, Ordnung sowie Gerechtigkeit kurz umreisen lassen.[4] Die Mobilisierung des deutschen Geistes, die diesen Schlagworten zugrunde liegt, wird damit zur Antithese von 1789 erhoben. Die namenhaftesten Sozialwissenschaftler, Künstler sowie Philosophen schlossen sich dieser Bewegung an, die aufgepeitscht durch das Kriegsgeschehen alles Maß verlor und sich schließlich in einer extremen Kriegsphilosophie wiederfand.[5] Die politische Schrift Betrachtungen eines Unpolitischen kann daher als zeitgenössisches Bild des politischen Denkens aus Sicht des konservativen Bildungsbürgertums gelesen werden. In diesem setzt Thomas Mann seine bereits zuvor in dem Aufsatz Gedanken im Kriege entwickelte Antithese von Zivilisation vs. Kultur fort, sodass diese als unüberwindbares Gegenteil stilisiert wird. Der Zivilisationsliterat wird als Feindbild entworfen, der für die verbrauchten Ideen von 1789 eintritt und wenn auch nie namentlich erwähnt, seinen Bruder Heinrich Mann widerspiegelte, der ihn mit seinem Zola-Essay tief gekränkt hatte. Die Betrachtungen sind daher auch vor dem Hintergrund des Bruderzwistes zu lesen.

Von Kritikern werden die Betrachtungen häufig geschmäht und erfahren wenig Würdigung. Zu schwer wiegen die aufgezeigten antidemokratischen Tendenzen, die ein versöhnliches Ende mit Manns späterer Wendung zur Demokratie erschweren, beispielsweise durch seine spätere Rede zur Nation, in welcher er sich für die Demokratie ausspricht. Fraglich erscheint aber, ob Thomas Mann jemals eine Abwendung von seinen Betrachtungen vollzog und ob sich dieses auf den ersten Blick kriegstreiberische Essay dennoch mit den späteren Demokratiebemühungen Thomas Manns in Einklang bringen lassen.

Zur Beantwortung dieser Fragestellung wird zu Beginn dieser Seminararbeit die Antithese von Zivilisation und Kultur einer näheren Betrachtung unterzogen. Dabei wird zu Beginn des ersten Kapitels ein kurzer Rückblick auf die Entstehung und die Entstehungsgründe dieser Antithese gegeben, bevor das antithetische Begriffspaar in den Betrachtungen genauer untersucht wird. Anschließend widmet sich diese Seminararbeit dem Thema des Unpolitischen in den Betrachtungen. Zu diesem Zweck wird zuerst eine Kurzcharakteristik des Wilhelminischen Bürgertums vorangestellt, welcher dann eine kurze Betrachtung des Konservatismus folgt und schließlich mit der Analyse des Wortes unpolitisch in den Betrachtungen schließt. Im nachfolgenden Kapitel wird schließlich anhand der vorangegangen Kapitel versucht, eine politische Standortbestimmung für Thomas Mann zu entwerfen und mit der Frage zu verbinden, inwieweit sich die späteren gezeigten demokratischen Tendenzen mit der politischen Haltung in den Betrachtungen vereinen lassen, beziehungsweise ob überhaupt von einer Diskontinuität im politischen Denken Thomas Manns gesprochen werden kann.

2 Die Antithese Zivilisation vs. Kultur

Das Wortpaar Zivilisation und Kultur zieht sich durch die gesamten Betrachtungen hindurch. Die Bedeutung dieser Begriffe differiert stark vom heutigen Gebrauch, sodass ein Blick auf die etymologische Herkunft angebracht erscheint. Aus diesem Grund erfolgt eine kurze Betrachtung der Soziogenese von Norbert Elias‘ Werk Über den Prozess der Zivilisation, erstmals erschienen im Jahr 1939.

2.1 Etymologische Betrachtung des Wortpaares Zivilisation und Kultur

In seinem umfangreichen Werk fertigte Elias eine Soziogenese bezüglich der Begrifflichkeiten Zivilisation und Kultur an, die auch für die heutige soziologische Fachwissenschaft maßgeblich ist. Ausgangspunkt dieser angestellten Betrachtung ist die bis heute stark differierende Bedeutung dieser Termini. Dies betrifft nicht nur den zeitlichen Bedeutungswandel, sondern vielmehr auch die Bedeutungsunterschiede in den einzelnen Fremdsprachen, hier vor allem der französischen und englischen Sprache. So ist die deutsche Fassung aus dem Jahr 1976 mit der Vorbemerkung des Übersetzers Fliessbach versehen, dass der englische Ausdruck civilization mit Kultur, Kulturkreis sowie Hochkultur, der Begriff der culture dagegen mit Zivilisation übersetzt wurde. Der Wunsch des Autors die Begriffe civilization und culture jeweils mit den deutschen Entsprechungen Zivilisation und Kultur zu übersetzen, wurde in einer früheren Fassung bereits versucht, konnte aber aus praktischen und Verständnisgründen nicht stattgegeben werden.[6] Dadurch wird deutlich, dass der deutsche Sprachgebrauch gerade nicht mit dem Englischen und Französischen korrespondiert, sodass dies bei der Bearbeitung fremdsprachlicher Quellen unbedingt Berücksichtigung finden muss.

Im französischen sowie englischen Gebrauch weist Zivilisation auf den Stolz und die Bedeutung der eigenen Nation bezüglich des „Fortschrittes des Abendlandes und der Menschheit“[7] im Allgemeinen hin. Im deutschen Sprachgebrauch suggeriert Zivilisation „wohl etwas ganz Nützliches, aber doch nur einen Wert zweiten Ranges, nämlich etwas, das nur die Außenseite des Menschen, nur die Oberfläche des menschlichen Daseins umfasst.“[8]

Der Terminus der Zivilisation beschreibt im Französischen sowie Englischen politische, wirtschaftliche, religiöse, technische, moralische und gesellschaftliche Fakten. Ferner bezieht sich dieser Begriff auf die Haltung und das Verhalten eines Menschen, gleichgültig seiner erbrachten Leistungen. Zivilisation beschreibt demnach einen Prozess beziehungsweise das Resultat dieses Prozesses.

Der deutsche Kulturbegriff bezieht sich auf geistige, körperliche und religiöse Fakten und distanziert sich damit von den vorher aufgeführten, der Zivilisation zugeschriebenen Schlagworten, wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Er lässt sich am ehesten mit dem Begriff kulturell zusammenführen, der die Eigenschaft menschlicher Produkte bezeichnet und im Französischen sowie Englischem keine entsprechende Übersetzung erfährt. Der Kulturbegriff fasst damit die Produkte des Menschen, d. h. die Kunstwerke, Bücher sowie religiöse und philosophische Systeme zusammen und beschreibt damit die Eigenart eines Volkes. Die Ursache dieses Bedeutungsunterschiedes, insbesondere des Zivilisationsbegriffes betreffend in Deutschland, sieht Elias bereits Ende des 17. Jahrhunderts/Anfang des 18. Jahrhunderts. Als Akteure standen sich demnach ein vorwiegend französisch sprechender ‚zivilisierter‘ Adel und eine deutsch sprechende, mittelständische Intelligenzschicht, die vorrangig aus bürgerlichen Fürstendienern bestand, gegenüber.[9]

Der Zivilisationsbegriff vereinte die Polemik des deutschen Bürgertums gegenüber der am französischen orientierten deutschen Aristokratie, mit den zugeschriebenen Eigenschaften wie Oberflächlichkeit, äußerliche Höflichkeit, Unaufrichtigkeit und Falschheit.[10] Der Kulturbegriff hingegen würdigte das eigene Selbstbewusstsein des Deutschen, der die wahre Tugend, aufrichtige Gefühle, feste Bildung und das Vollbringen kultureller Leistungen für sich beanspruchte.

Den Ausführungen von Fisch folgend, sind Zivilisation und Kultur geschichtsphilosophische Bewegungsbegriffe, die noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts stellvertretend für die gleichen Beweggründe und Bedürfnisse standen: „Staat, und Gesellschaft, Wirtschaft und Technik, Wissenschaft und Kunst, Recht, Religion und Moral, jeweils sowohl auf das Individuum als auch auf die Gemeinschaft bezogen.“[11] Fisch distanziert sich damit von den Ausführungen Elias‘ und terminiert den Bedeutungsunterschied erst mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, in welchem der Fortschrittsoptimismus zunehmend in Frage gestellt wurde. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges verschärfte sich der Bedeutungsunterschied soweit, dass sich in dem Begriffsgebrauch die Opposition zwischen Zivilisation, als das Materielle, Äußerliche, Nützliche und Kultur, als das Geistige, Innere und Moralische manifestierte. Den Höhepunkt fand diese Differenzierung schließlich zu Beginn des Kriegsausbruches 1914, in dem die Opposition zum vollkommenen Gegensatz verschärft wurde, der keine Ausnahmen mehr zuließ.[12]

Einen ähnlichen Bedeutungswandel oder –unterschied lässt sich im französischen Sprachraum nicht betrachten, sodass es sich hierbei um ein deutsches Phänomen handelt. Der Grund hierfür lag in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen, die Deutschland und Frankreich voneinander abgrenzten. Während der deutsche Adel durch die Verwendung der französischen Sprache ein künstliches Abgrenzungsmerkmal schuf, existierte in der französischen Aristokratie kein vergleichbares Merkmal. Sowohl die kleinbürgerliche Intelligenz als auch das Bürgertum wurden laut Elias frühzeitig in den Kreis der höfischen Gesellschaft einbezogen. Das Bürgertum und der Adel sprachen beiden französisch, sodass die Sprache die Standesgrenze nicht noch zusätzlich unterstrich. Aus diesem Grund bildete sich kein so starker Gegensatz wie in Deutschland heraus. Es kam vielmehr zu einer Nachahmung des Sozialcharakters des Adels durch das Bürgertum, welches sich schließlich in einem französischen Nationalcharakter manifestierte.[13]

Die antithetische Gegenüberstellung von Deutschland und Frankreich, durch das Begriffspaar Zivilisation und Kultur, unterstreicht sowohl bei Elias als auch bei Fisch das maximale Maß an Fremdheit. Die beiden Völker unterscheiden sich demnach nicht in Details, sondern in den Grundzügen ihrer nationalen Identität.

2.2 Die Antithese Zivilisation und Kultur in den Betrachtungen

Das antithetische Begriffspaar wurde vor und während des Ersten Weltkrieges von vielen deutschen Autoren zur Beschreibung der nationalen Unterschiede sowie als Kampfformel benutzt. Der Krieg wurde als potenter Dämon, der als Urgewalt über die zersetzende Zivilisation siegt, stilisiert. Doch wie definiert Thomas Mann in seinem Werk Betrachtungen eines Unpolitischen das Widerspruchspaar Zivilisation und Kultur?

Zuerst muss festgehalten werden, dass trotz massenhafter Verwendung dieses antithetischen Begriffspaares, keine exakte Erklärung von Thomas Mann gegeben wird, was er genau unter diesen Termini versteht. Möchte man dennoch die Ideen Manns hinter Zivilisation und Kultur nachvollziehen, so erscheint dazu die 1914 erschienene essayistische Schrift Gedanken im Kriege am ehesten geeignet. In dieser Schrift bekennt er sich, ähnlich vieler schreibender Zeitgenossen, begeistert zum Kriegsausbruch. In diesem Zusammenhang äußert er sich über die französische Zivilisation folgendermaßen:

Wir kannten sie ja, diese Welt des Friedens und der cancanierenden Gesittung […]. Gräßliche Welt, die nun nicht mehr ist, oder doch nicht mehr sein wird, wenn das große Wetter vorüberzog! Wimmelte sie vom Ungeziefer des Geistes wie von Maden? Gor und stank sie nicht von den Zersetzungsstoffen der Zivilisation?.[14]

Die Zivilisation wird damit grundlegend pejorativ betrachtet. Sie wird als Gegensatz zur Kultur stilisiert, die diese zu zersetzen versucht. Als Repräsentant dieser zersetzenden Zivilisation tritt der Zivilisationsliterat auf das Tableau, der vor allem, wenn auch nie namentlich erwähnt, seinen Bruder Heinrich Mann widerspiegelt. Dieser Zivilisationsliterat, der als Feindbild in den Betrachtungen heraufbeschworen wird, beschreibt den undeutschen, frankophilen Schriftsteller mit dem durch ihn überhöhten Ideal der Demokratie. Diese Zeit des allgemeinen Umbruchs, das Zusammentreffen unterschiedlichster Strömungen ist laut Ullmann „das Signum der deutschsprachigen Kultur“[15]. Diese Kultur wurde nun von Thomas Mann und vielen Zeitgenossen als krisenhaft und bedroht wahrgenommen. Eine Bewahrung dieser galt als oberstes Ziel der Literaten, sodass sie in den Augusttagen 1914 den ersten Weltkrieg gar zu einem Kulturkrieg stilisierten. Die deutsche Kultur galt als etwas höchst schützenswertes, die ohne den deutschen Militarismus bereits zerstört worden wäre. Eine genaue Definition, was unter Kultur, zu verstehen sei, blieben die Literaten zwar schuldig, doch wurde sie als Wert durchweg hoch geschätzt.[16]

Der erste Weltkrieg fungierte nun als Schlüsselerlebnis, indem der Kampf der Zivilisation über die Kultur ausgetragen werden sollte. Die durch den Fortschritt definierte Zivilisation wurde gerade von den Kunstschaffenden sowie Gelehrten als Grund für die Verflachung der Kultur angesehen, sodass sich eine zunehmende Fortschrittskritik etablieren konnte. Die deutsche Kunst und Kultur wurde mit Werten wie Beständigkeit definiert, sie galt als reaktionär, rückwärtsgewandt und konservativ. Manns Deutschtum, welches er als heilige schützenswerte Formel stets in den Betrachtungen heraufbeschwört, ist für ihn „Kultur, Seele, Freiheit, Kunst“[17] und steht damit im krassen Gegensatz zur „Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur.“[18] Politik, Demokratie, Zivilisation avancieren zu Reizworten, gegen welche Thomas Mann in emotionalen Hasstiraden anzukämpfen versucht.

Die deutsche Kultur wird in den Betrachtungen mit den inneren Werten und Zivilisation mit dem Nützlichen und dem Äußerlichen assoziiert, was den pejorativen Geschmack des Zivilisationsbegriffes weiter unterstreicht. Der erste Weltkrieg entspinnt sich laut Thomas Mann aus der Motivation des Kampfes der Kultur, für die Deutschland stellvertretend steht, gegen die Zivilisation, die in Form der Entente auftritt. Thomas Mann beschwört den Kampf als letzten Ausweg vor dem Verfall der deutschen Kultur herauf, wodurch der Krieg, oder der Protest, wie Mann euphemistisch in den Betrachtungen schreibt, seine Legitimation erhält, wie an zahlreichen Stellen in den Betrachtungen deutlich wird:

Die Welt, sagen wir, lag im argen vor dem Kriege und Deutschland mit ihr.[19]

Der Imperialismus der Zivilisation ist die letzte Form des römischen Vereinigungsgedankens, gegen den Deutschland „protestiert“ […]. Das Einverständnis und die Vereinigung all jener Gemeinschaften, die dem Imperium des bürgerlichen Geistes angehören, heißt heute „die Entente“ – mit einem französischen Namen, wie billig […].[20]

Der Zivilisationsliterat wird als Projektionsfläche für alles Undeutsche stilisiert, der an diesem Kampf, an diesem Protest, wie Mann es bezeichnet, nicht partizipieren möchte, sondern sich vielmehr auf die Seite der Entente und damit auf die des Feindes schlägt.

[...]


[1] Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen. Herausgegeben und textkritisch durgesehen von Hermann Kurzke. Frankfurt/Main: S. Fischer 2009, S. 14.

[2] Stammen, Theo: Thomas Mann und die politische Welt. In: Koopmann, Helmut [Hrsg.]: Thomas Mann Handbuch. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2005, S. 21.

[3] Stammen 2005, S. 22.

[4] Vgl. Stammen 2005, S. 21.

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchung. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den westlichen Oberschichten des Abendlandes. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1976. Einleitung zum ersten Band.

[7] Ebd., S. 2.

[8] Ebd.

[9] Vgl. Elias 1978, S. 10.

[10] Vgl. ebd., S. 36.

[11] Fisch, Jörg: Zivilisation, Kultur. In: Zivilisation, Kultur. In: Otto Brunner u. a. [Hrsg.]: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 7, Stuttgart: Klett-Cotta 1992, S. 740.

[12] Lörke, Tim: „Niederschlag eines organischen und immer gegenwärtigen Grundgedankens“: Thomas Manns Arbeit am rechten Begriff. Begriffsgeschichte, S. 176. In: Lörke, Tim; Müller, Christian [Hrsg.]: Vom Nutzen und Nachteil der Theorie für die Lektüre. Das Werk Thomas Manns im Lichte neuer Literaturtheorien. Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 169-180.

[13] Vgl. Elias 1976, S. 38.

[14] Mann, Thomas: Gedanken im Kriege. In: Kurzke, Hermann, Stachorski, Stephan [Hrsg.]: Frühlingssturm! Essays 1893-1918. Band 1. Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 1993, S. 192.

[15] Ullmann, Bettina: Krieg als Befreiung der Kultur – Zur Dialektik des dt. Geistes bei Nietzsche, Simmel und Thomas Mann. In: Sprecher, Thomas; Wimmer, Ruprecht [Hrsg.]: Thomas Mann Jahrbuch. Band 16. Frankfurt/Main: Klostermann 2003, S. 74.

[16] Vgl. ebd., S. 75.

[17] Mann 2009, S. 35.

[18] Ebd.

[19] Ebd., S. 359.

[20] Ebd., S. 57.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Zivilisation vs. Kultur. Thomas Manns politische Positionierung während des ersten Weltkrieges in den "Betrachtungen eines Unpolitischen"
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
26
Katalognummer
V292765
ISBN (eBook)
9783656898429
ISBN (Buch)
9783656898436
Dateigröße
450 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zivilisation, kultur, thomas, manns, positionierung, weltkrieges, betrachtungen, unpolitischen
Arbeit zitieren
Kristin L. (Autor:in), 2014, Zivilisation vs. Kultur. Thomas Manns politische Positionierung während des ersten Weltkrieges in den "Betrachtungen eines Unpolitischen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/292765

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