Stigmatisierung schizophrener Menschen


Diplomarbeit, 2004

111 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

1. Schizophrenie
1.1 Allgemeines
1.2 Symptomatik
1.2.1 Störungen des Denkens
1.2.2 Störungen des Gefühls
1.2.3 Ich-Störungen
1.2.4 Akzessorische Symptome
1.3 Subtypen
1.4 Epidemiologie
1.5 Ätiologie
1.6 Behandlung

2. Stigmatisierung
2.1 Definition
2.2 Entstehung und Prozess der Stigmatisierung
2.3 Funktionen von Stigmata
2.4 Folgen der Stigmatisierung
2.5 Reaktionen der Betroffenen auf Stigmatisierung

3 Schizophrenie und Gesellschaft
3.1 Rückblick in die Psychiatriegeschichte
3.2 Normalität
3.3 Vorurteile und Mythen
3.4 Schizophrenie in den Medien
3.4.1 Visuelle Medien
3.4.2 Printmedien
3.5 Einstellung der Bevölkerung gegenüber schizophrenen Menschen erläutert an Untersuchungsergebnissen
3.6 Zusammenfassung

4 Auswirkungen der Stigmatisierung auf das Leben schizophrener Menschen
4.1 Krankheitsverlauf
4.2 Isolation
4.3 Arbeit
4.4 Lebensqualität

5 Auswirkungen der Stigmatisierung auf das Leben der Angehörigen
5.1 Stigma und Schuldzuweisung
5.2 Umgang mit Krankheit und Stigma

6 Entstigmatisierung am Beispiel der Anti-Stigma-Kampagne
6.1 Entstehung
6.2 Ziele
6.3 Überblick über weltweite Aktivitäten
6.4 „Open the doors“: Das Anti-Stigma-Programm in Deutschland
6.4.1 Struktur
6.4.2 Programm und MethodikS
6.4.3 Effekte
6.4.5 Beispiel München als Projektzentrum
6.5 Bewertung

7 Stigmabewältigung durch Empowerment
7.1 Konzept und professionelle Haltung
7.1.1 Definition
7.1.2 Bausteine von Empowerment
7.1.3 Aufgabe des professionellen Helfers
7.1.4 zentrale Handlungsprinzipien
7.2 Methoden
7.3 Grenzen des Empowerment-Konzeptes

8 Resümee

Erklärung gemäß § 31 Abs.5 der Rahmenprüfungsordnung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Schizophrenie - ein Wort das in vielen Menschen Angst und Unsicherheit auslöst. Noch heute gibt es zahlreiche Mythen über diese Krankheit. Erwähne ich dieses Wort gegenüber Bekannten, so fällt häufig: „das sind doch die mit einem «Verfolger»“ oder „die haben doch eine gespaltene Persönlichkeit“. Viele Menschen können nicht wirklich etwas mit diesem Begriff anfangen, sich nicht wirklich etwas darunter vorstellen. Somit können sich Mythen über diese Krankheit leicht verbreiten und zur Stigmatisierung der Betroffenen beitragen. Die heutige Medienwelt beteiligt sich in besonderem Maße daran. Was dies für Folgen für die Betroffenen haben kann, habe ich manchmal in meinem Praktikum in einer Tagesstätte für psychisch kranke Menschen erlebt. Viele der Besucher konnten selbst in diesem geschützten Rahmen nicht offen über ihre Krankheit sprechen. Sie verschwiegen vielmehr ihre Krankheit oder gaben an, dass sie zum Beispiel wegen eines Nervenleidens oder ähnlichem hierher kamen. In einem Gespräch in der Gruppe wurde besonders deutlich, welches Bild die Besucher selbst von ihrer Krankheit hatten. So bezeichneten sie sich etwa als die „Irren“ oder auch die „Verrückten“. Dies zeigt deutlich ihre bisherigen Erfahrungen. In der Öffentlichkeit werden auch heute noch eher die Begriffe „Irre“, „Verrückte“, „Geisteskranke“ oder „Psychopathen“ verwendet, als der Begriff Schizophrenie. Stigmatisierung scheint also in einem beträchtlichen Maße zum Leben schizophrener Menschen zu gehören. Aus diesem Grund scheint es mir wichtig, mich einmal genauer mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Da der Begriff Schizophrenie in der Bevölkerung so undifferenziert gebraucht wird und es so viele verschiedene Blickwinkel gibt, wie man sich mit diesem Thema auseinandersetzen kann, werde ich in meiner Diplomarbeit als erstes genauer auf eine sehr häufig gebrauchte Sichtweise eingehen, nämlich den medizinischen Blick auf die Schizophrenie.

Als nächstes werde ich mich mit Stigmatisierung auseinandersetzen. Hierbei ist mir wichtig, kurz zu klären, was denn Stigmatisierung bedeutet. Es interessiert mich besonders, wie Stigmatisierung entsteht, wie sie verläuft, welche Funktionen Stigmata haben, welche Folgen sich daraus ergeben und wie die Betroffenen darauf reagieren.

Es ist mir wichtig herauszufinden, wie Schizophrenie in der Gesellschaft tatsächlich gesehen wird. Um die heutige Sicht beurteilen zu können, werde ich zuerst einen Rückblick in die Psychiatriegeschichte wagen. Da in Bezug auf Schizophrenie auch häufig von abweichendem Verhalten gesprochen wird, werde ich mich in einem kurzen Abschnitt mit dem Thema Normalität auseinandersetzen. Um das Thema Schizophrenie und Gesellschaft noch besser beleuchten zu können, werde ich als nächstes die zahlreichen Vorurteile und Mythen über die Schizophrenie darstellen. Da die Medien sehr viel zum Bild der Schizophrenie in der Öffentlichkeit beitragen, werde ich darauf eingehen, wie diese Krankheit in den visuellen und in den Printmedien dargestellt wird. Um dieses Thema abzuschließen ist es mir wichtig, die Einstellung der Bevölkerung gegenüber schizophrenen Menschen an Untersuchungsergebnissen zu erläutern.

Anschließend werde ich mich damit beschäftigen, welche Auswirkungen die Stigmatisierung nun tatsächlich auf das Leben schizophrener Menschen hat. Besonders interessieren mich dabei die Bereiche Krankheitsverlauf, Isolation, Arbeit und Lebensqualität, da sie dem Leser in etwa ein Bild vermitteln, was Stigmatisierung für den Betroffenen bedeutet.

Doch nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Angehörige kann die Stigmatisierung Auswirkungen haben. Deshalb werde ich in einem extra Punkt darauf eingehen. Häufig kommt es zu einer Schuldzuweisung, was es für die Angehörigen besonders schwierig macht, mit dieser Krankheit umzugehen. Aus diesem Grunde ist es mir auch wichtig, Wege aufzuzeigen, wie Angehörige mit der Krankheit und dem Stigma besser zurechtkommen können.

Um aufzuzeigen, was zur Entstigmatisierung beigetragen werden kann, werde ich eine aktuelle Bewegung vorstellen, die weltweit auf dem Vormarsch ist, nämlich die AntiStigma-Kampagne. Dabei werde ich erläutern, wie diese entstanden ist, welche Ziele sie verfolgt und welche weltweiten Aktivitäten es gibt. Um sich ein genaueres Bild machen zu können, werde ich besonders auf das Anti-Stigma-Programm in Deutschland eingehen und hierbei München als ein Projektzentrum vorstellen.

Als letzten Punkt werde ich mich mit Stigmabewältigung durch Empowerment auseinandersetzen. Grundsätzlich werde ich zunächst einmal klären, was unter dem Begriff Empowerment zu verstehen ist und dabei auf Konzepte und die professionelle Haltung eingehen. Außerdem werde ich einige Methoden erläutern. Um Empowerment bewerten zu können, werde ich auch die Grenzen dieses Konzeptes aufzeigen.

Um den Lesefluss des Textes nicht zu behindern, wurde nur die männliche Schreibweise verwendet. Damit sollen trotzdem auch immer beide Formen gemeint sein.

1. Schizophrenie

1.1 Allgemeines

Um die Schizophrenie zu erklären, gibt es verschiedene Modelle, die man heranziehen kann. So gibt es zum Beispiel das tiefenpsychologische Modell, das lern- und sozialwissenschaftliche Modell oder das systemische Modell. Das wohl zur Zeit am häufigsten gebrauchte Modell, dürfte das medizinische sein. Aus diesem Grund werde ich mich zu Beginn meiner Arbeit mit dem medizinischen Krankheitsbild der Schizophrenie auseinandersetzen. Um einen ersten Eindruck von der Krankheit zu bekommen möchte ich Asmus Finzen zitieren, der sagt:

„Die Schizophrenie ist die schillerndste aller psychischen Störungen. Sie kann leicht sein oder schwer. Sie kann akut und dramatisch verlaufen oder schleichend und für Außenstehende kaum wahrnehmbar. Sie kann kurze Zeit andauern oder ein ganzes Leben. Sie kann einmalig auftreten. Sie kann in längeren oder kürzeren Abständen wiederkehren. Sie kann ausheilen oder zu Invalidität führen. Sie trifft Jugendliche im Prozess des Erwachsenwerdens und in der beruflichen Entwicklung. Sie trifft Frauen und Männer, die mitten im Leben stehen und solche an der Schwelle zum Alter“ (Finzen, 2003, S.20).

Trotz dieses vielfältigen Erscheinungsbildes spricht man dennoch von einem Krankheitsbild. Man kann zwar nicht wirklich von einem einheitlichen Erscheinungsbild reden, aber es lassen sich typische Gemeinsamkeiten herausfinden. Die Ausprägung der Erkrankung hängt eng mit der Persönlichkeit und der Lebensgeschichte des Patienten zusammen.

1.2 Symptomatik

Im Laufe der Psychiatriegeschichte wurden zahlreiche Versuche unternommen, die verschiedenen Symptome zu gruppieren. Wie bei Tölle beschrieben, teilte sie Bleuler zum Beispiel in Grundsymptome und akzessorische Symptome auf. Zu den Grundsymptomen zählen bei ihm Störungen des Denkens, der Affektivität und des Antriebs, während Wahn, Halluzinationen und katatone Störungen zu den akzessorischen Symptomen gehören. Die akzessorischen Symptome sind zwar beeindruckend, allein aber nicht ausschlaggebend für eine Schizophrenie. Eine weitere Unterscheidung ist die Einteilung in primäre und sekundäre Symptome, die aber im Wesentlichen der obigen Aufteilung entspricht. In der heutigen Psychiatrie wird oft zwischen Plus- und Minussymptomatik unterschieden, da dies besonders wichtig für die medikamentöse Behandlung ist (Tölle, 1999, S.192). Um den Leser nicht zu sehr zu verwirren, werde ich in diesem Rahmen nicht näher darauf eingehen. Im Folgenden werde ich viel mehr einen Überblick über die möglichen Symptome geben und beziehe mich

dabei auf verschiedene Autoren (Bäuml, 1994, S.14-17; Finzen, S.43-58; Möller, Laux & Deister, 1996, S.135-138; Tölle, S.193-201). Aus Gründen der Übersichtlichkeit werde ich die Symptome in Anlehnung an Asmus Finzen wie folgt gruppieren:

- Störungen des Denkens
- Störungen des Gefühls
- Ich-Störungen
- Akzessorische Symptome

Hierbei ist aber zu beachten, dass nie sämtliche Symptome auf einmal auftreten und ihre Ausprägung sehr unterschiedlich sein kann.

1.2.1 Störungen des Denkens

Die Störungen des Denkens sind die wichtigsten Symptome der Schizophrenien. Hierzu zählen verschiedene Einzelsymptome.

- Lockerung des Denkzusammenhangs, Ideenflucht, Zerfahrenheit

Das Denken von Schizophrenen erscheint oft zusammenhanglos und alogisch. Häufig wird der Gedankenablauf durch Assoziationen oder gleiche Wortendungen bestimmt. Ihre Äußerungen sind oft sehr absurd oder bizarr, da sie sich nicht selten in Widersprüche verstricken. Bei der so genannten Ideenflucht schießt dem Patienten ein Gedanke nach dem anderen in den Kopf und er spricht dabei wie ein Wasserfall. Charakteristisch für Schizophrenie ist, dass geordnetes und zerfahrenes Denken oft in raschem Wechsel auftreten. Bei zerfahrenem Denken gibt es häufig keinen Zusammenhang mehr zwischen einzelnen Worten oder Sätzen. Alle Gedanken erscheinen gleich wichtig, so dass kein bestimmtes Ziel verfolgt wird. Die Betroffenen können somit sehr leicht von allem möglichem abgelenkt werden. Ist die Zerfahrenheit sehr stark, spricht man auch von „Verworrenheit“ (Finzen, 2003, S.43).

- Begriffsverschiebungen, -verbindungen, -verdichtungen, -zerfall

Darunter versteht man, dass Begriffe auf verschiedenste Weise verändert werden. So sind etwa Wortneubildungen wie „trauram“ aus den Wörtern „traurig“ und „grausam“ keine Seltenheit. Hier werden zwei Begriffe zu einem verbunden. Wenn unterschiedliche, nicht zusammenpassende Bedeutungen miteinander verbunden werden, nennt man dies Kontamination. Manchmal können Begriffe auch nur noch wörtlich und nicht mehr im übertragenen Sinne verstanden werden. Dies fällt vor allem auf, wenn man den Patienten mit Sprichwörtern konfrontiert. Es gibt jedoch auch das genaue Gegenteil, nämlich den Symbolismus. Dieser liegt dann vor, wenn Begriffe nur noch metaphorisch begriffen werden.

Man sollte nicht vergessen, dass die erläuterten Denkformen manchmal ansatzweise auch bei Gesunden zu finden sind, nämlich bei Stress, nach langer Schlaflosigkeit oder bei Unaufmerksamkeit.

- Sprache und Schrift

Die Sprachfähigkeit ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Sie reicht von starkem Rededrang über Redehemmung bis hin zu Mutismus. Unter Mutismus versteht man, dass der Patient nicht mehr spricht. Des Öfteren findet man auch eine verspielt wirkende, ornamentale Ausdrucksweise, sowohl in der Wortwahl, der Aussprache als auch im Schriftbild. Wenn der Patient kaum sinnvolle Äußerungen und beziehungslose Antworten auf Fragen gibt, so spricht man von der so genannten Schizophasie, einer Sprachverwirrtheit. Manchmal kommt es vor, dass die Patienten einzelne Worte wiederholen. Dies nennt man Echolalie. Allgemein kann man jedoch sagen, dass die Symptome der Sprache und Schrift eher selten sind und durch die heutige Behandlung kaum noch auftreten.

1.2.2 Störungen des Gefühls

Neben den Störungen des Denkens, stehen vor allem auch Störungen des Gefühls im Vordergrund. In diesem Bereich können die Störungen unterschiedlichste Gestalt annehmen. Sowohl gehobene als auch gedrückte Stimmungslagen sind möglich. Derartige Stimmungsveränderungen können wir sicherlich gut nachempfinden. Doch was genau das Spezielle dieser Erkrankung ist, möchte ich an den folgenden Einzelsymptomen darstellen.

- Affektive Schwingungsfähigkeit, affektive Verstimmung

Bei vielen ist die affektive Schwingungsfähigkeit eingeschränkt. Sie wirken daher auf Außenstehende häufig gleichgültig. Allgemein fällt auf, dass vielfach der Bezug zur Situation fehlt. Viele schizophrene Menschen können nicht spüren, was andere Menschen empfinden. Durch ihre unangemessenen Reaktionen lösen sie in ihrem Gegenüber Unbehagen aus und dies kann dazu führen, dass sie zurückgewiesen werden. Einerseits können die Stimmungslagen gehoben andererseits aber auch depressiv sein. Gehobene Stimmungslagen können manisch geprägt sein, dass heißt die Patienten wirken dann enthemmt, unangemessen fröhlich, oberflächlich heiter und rücksichtslos. Demgegenüber stehen depressive Verstimmungen, die sehr uneinheitlich sein können. Zum Teil ähneln sie melancholischen Depressionen, wobei die Patienten ratlos, hilflos und anlehnungsbedürftig wirken. Diese Verstimmungen sind häufig situationsabhängig. Wenn die Verstimmungen zu stark werden, kann es zu Suizidalität kommen. Allgemein sind solch veränderte Stimmungslagen sehr unbeständig. Sie könne in kurzer Zeit umschlagen. Dies kann von vielen Außenstehenden nicht nachvollzogen werden, so dass es häufig dazu kommt, dass sich beide Seiten nicht verstehen. Verständlicherweise fördert das wiederum die Gereiztheit, so dass sich Patient und Angehöriger in einen immer größeren Konflikt begeben. Letztendlich wächst dadurch das Unverständnis für den Kranken nur noch mehr.

- Angst

Angst ist ein sehr zentrales Symptom, das wohl bei jedem schizophren erkrankten Menschen im Laufe seiner Krankheitsgeschichte irgendwann einmal auftritt. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, welche Veränderungen ein Patient durchmacht. Alles was vorher vertraut war, wird plötzlich unbekannt, wenn nicht sogar unheimlich. Durch die Veränderungen, die der Patient durchmacht, verändern sich auch seine Beziehungen zu seinen Mitmenschen. Oft verliert er die Orientierung. Diese Angst kann soweit führen, dass der Patient seinen einzigen Ausweg im Suizid sieht. Schizophreniekranke Menschen sind in der Regel emotional wenig belastbar, sehr sensibel und verletzlich.

- Anhedonie

Diesen Begriff gibt es erst seit wenigen Jahren. Damit ist gemeint, dass sich diese Menschen leer und hoffnungslos fühlen. Sie sehen keine Perspektive und kennen weder Glück noch Zufriedenheit. Wie man sich vorstellen kann wird dieses Symptom als sehr quälend erlebt und kann daher auch zum Suizid führen.

- Inadäquate Gefühlsreaktionen

Darunter versteht man, dass derjenige der davon betroffen ist, seine Erfahrungen und Empfindungen nicht in angemessener Weise mitteilen kann. Man nennt dies auch Parathymie. Man kann sich das so vorstellen, dass ein schizophrener Mensch, der zwar traurige Gefühle hat, nach außen hin heiter erscheint und lacht.

1.2.3 Ich-Störungen

Neben den beiden Hauptsymptomgruppen treten bei Schizophrenien häufig auch noch Störungen des Handelns, des Wollens und des Ich-Erlebens auf. Diese verursachen meist Störungen des Alltags und der Beziehungen zu anderen Menschen. Deshalb ist es von Vorteil zu wissen, welche Einzelsymptome darunter zu verstehen sind.

- Ambivalenz, Nicht-Wollen-Können

Unter Ambivalenz versteht man das Erleben von gegensätzlichen Gefühlsregungen wie etwa Lachen und Weinen, Liebe und Hass. Gegensätze können nicht bewusst erlebt werden, sondern treten gleichzeitig und gleichwertig in Erscheinung und blockieren sich manchmal, so dass die Erkrankten wie gelähmt erscheinen. Soziale Verpflichtungen werden nicht erkannt oder als unwichtig erachtet, wodurch nach außen hin oft der Eindruck entsteht, dass sie bestimmte Dinge einfach nicht tun wollen, zu faul dazu sind. Es wird verkannt, dass dies ein Symptom der Krankheit sein kann und stattdessen wird der Kranke mit guten Ratschlägen konfrontiert, wie er möge sich doch zusammenreißen. Indem er aber bestimmten sozialen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann, droht er nach und nach aus dem sozialen Netz zu fallen. Nicht selten vernachlässigen schizophrene Menschen ihre Körperpflege oder ihren Haushalt bis sie schließlich im schlimmsten Fall ihre Wohnung verlieren und keine Kontakte mehr zu anderen Menschen haben.

- Störungen des Ich-Erlebens

Hierbei geht es darum, wie ein Mensch sich selbst erlebt. Bei einer Schizophrenie kann es sein, dass Gedanken, Gefühle oder Teile des Körpers als fremd empfunden werden. Man spricht dann auch von Depersonalisation. Die Grenzen zwischen Ich und Umwelt werden durchlässig und man kann nicht mehr unterscheiden, was zu einem selbst gehört und was zur Außenwelt. Häufig glauben diese Menschen, dass andere ihre Gedanken lesen können oder sie sogar von anderen Menschen gesteuert werden. Ab und zu verwechseln sie auch Menschen miteinander, die oberflächlich gesehen Gemeinsamkeiten aufweisen. Im Extremfall halten sie sich selbst für eine andere Person.

- Gedankendrängen, Gedankeneingebung, Gedankenentzug

Beim Gedankendrängen können die Betroffenen die Gedanken nicht mehr kontrollieren, sie drängen sich ihm förmlich auf. Das löst im Erkrankten ein Gefühl der Überwachung aus. Oft glauben sie auch, dass ihnen die Gedanken von außen eingeflößt werden. Dies wird als sehr bedrohlich erlebt. Es kann jedoch auch das Gegenteil eintreten, nämlich dass ihre Gedanken mittendrin abbrechen und sie das Gefühl haben, dass sie ihnen von außen entzogen werden. Nicht selten ist Angst die Folge.

- Autismus

Der Autismus eines Schizophreniekranken ist nicht mit dem frühkindlichen Autismus zu verwechseln. Man versteht darunter viel mehr eine Art sozialen Rückzugs. Sie haben kaum Kontakt zu anderen Personen und leben somit in einer eigenen Welt. Kennzeichnend sind die emotionale Distanz zu anderen Menschen und die Versunkenheit in sich selbst. Diese Menschen verhalten sich meist passiv und nehmen demzufolge auch nicht am kulturellen Leben teil. Die autistische Welt des Schizophrenen ist meist geprägt durch Wünsche und Befürchtungen.

1.2.4 Akzessorische Symptome

Zu den akzessorischen Symptomen zählen Wahn, Halluzinationen und Störungen der Psychomotorik. Nach außen hin scheinen diese Symptome als die auffälligsten und sind für viele sicherlich die bekanntesten. Sie allein aber können nicht ausschlaggebend für eine schizophrene Erkrankung sein. Sie sind vielmehr zusätzliche Symptome, die bei vielen Kranken noch hinzukommen. Treten diese Symptome auf, werden die meisten von ihrer Umgebung erst als krank eingestuft. Sie können allerdings auch bei anderen Erkrankungen, wie etwa dem Alkoholdelir auftreten.

- Wahn

Der Patient hat die Gewissheit, dass etwas Unheimliches geschieht. Für Außenstehende ist dies oft nicht nachvollziehbar. Zufällige Ereignisse oder Verhaltensweisen können sich dabei zu einer Beweiskette verdichten. Der Betroffene hat jedoch nicht das Bedürfnis den Wahrheitsgehalt zu überprüfen und zeigt somit auch keine Einsicht in das Krankhafte seines Erlebens. Oft leiden die Patienten unter ihren Wahnerlebnissen, da sie in ständiger Angst und voller Misstrauen leben. Die einzige Ausnahme ist hier der Größenwahn. Der Wahn kann in verschiedenen Varianten auftreten, wie etwa als Beeinträchtigungswahn, Verfolgungswahn, Vergiftungswahn, Eifersuchtswahn oder als hypochondrischer Wahn. Es ist zu beobachten, dass schizophrene Wahngedanken oft von magisch mystischem Charakter sind. Diejenigen, die einen Wahn entwickeln sind meist zutiefst verunsichert. Sie reagieren verletzlich und überempfindlich. Sie beginnen darüber nachzugrübeln, was die anderen wohl über sie denken und glauben bald, dass die anderen immer nur schlecht über sie reden. Sie beziehen alles auf sich. Das kann soweit gehen, dass sie sogar das auf sich beziehen, was im Radio oder Fernsehen gesagt wird. All das hat natürlich auch Einfluss auf ihr Verhalten. Eine Wahnidee könnte zum Beispiel sein, dass in eine Person ein Apparat eingepflanzt wurde, über den er gesteuert wird. Da der Wahn für den Betroffenen Wirklichkeit ist, kann er auch nicht davon überzeugt werden, dass er sich das ganze nur einbildet.

- Halluzinationen

Halluzinationen werden auch als Trugwahrnehmungen bezeichnet. Es sind also Sinneseindrücke, die ohne den zugehörigen Außenreiz entstanden sind. Akustische Halluzinationen sind am häufigsten. Die Patienten hören zum Beispiel Pfeifen, Schritte oder am bekanntesten Stimmen. Die Stimmen können von überall her kommen. Urheber der Stimmen sind meist Personen aus der Umgebung der Patienten, oft auch Verfolger im Rahmen des Wahns. Freundliche Stimmen sind eher selten. Teilweise kommt es sogar zu einer Unterhaltung mit den Stimmen. Es gibt aber auch Stimmen, die Befehle erteilen oder Handlungen kommentieren. Optische Halluzinationen sind häufig mit Verfolgungswahn verbunden. Geruchs- und Geschmackshalluzinationen stehen oft in Zusammenhang mit Vergiftungsängsten. Außerdem gibt es noch haptische Halluzinationen, also Trugwahrnehmungen des Tastsinns. Diese Halluzinationen können sehr vielfältig sein und reichen von Brennen, Stechen und Schlagen bis hin zu Anfressen und Schneiden von inneren Organen. Halluzinationen der verschiedenen Sinnesgebiete treten häufig nebeneinander auf.

- Katatone Symptome

Unter katatonen Symptomen versteht man Störungen der Motorik und des Antriebs. Ein katatones Symptom ist zum Beispiel der Stupor. Der Patient bewegt sich kaum, spricht nicht, ist aber dennoch bewusstseinsklar und wach. Er wirkt dabei meist verängstigt und innerlich angespannt. In diesem Zustand nimmt er Vorgänge in seiner Umgebung mit ungewöhnlicher Empfindlichkeit wahr, kann sich aber nicht beteiligen. Ein weiteres Symptom ist die Katalepsie. Befindet sich der Patient in diesem Zustand, so kann man seine Körperteile in beliebige auch unbequeme Stellungen bringen und er verharrt darin länger als ein Gesunder. Bei der Flexibilitas Cerea, der wächsernen Biegsamkeit, fühlt man bei einer passiven Bewegung der Extremitäten einen ausgesprochen zähen Widerstand. Viel häufiger als die bisher genannten katatonen Symptome findet man psychomotorische Unruhe und Erregung. Die Patienten sind ständig in Bewegung oder werden aggressiv bis hin zu zerstörerischen

Impulsen. In katatonen Erregungszuständen kann das Bewusstsein vorübergehend leicht getrübt sein. Unter katatonen Hyperkinesen versteht man Bewegungsstereotypen, die meist einen rhythmischen Ablauf haben, zum Beispiel Klopfen mit den Fingern, Nicken des Kopfes oder Wippen des Fußes. Ein weiteres Symptom ist die Sperrung. Hier will der Patient etwas tun, hält aber mitten in der Bewegung inne. Tut der Klient immer das Gegenteil von dem, was erwartet wird, so spricht man von Negativismus. Es gibt aber auch die Befehlsautomatie, bei der der Klient kritiklos alles tut, was ihm aufgetragen wird. Ahmt der Patient ständig Bewegungen nach, heißt dies Echopraxie, ständiges Nachsprechen Echolalie.

1.3 Subtypen

Die Schizophrenie lässt sich des Weiteren in verschiedene Unterformen einteilen. Die Darstellung dieser ist mir insofern wichtig, als dass bestimmte Subtypen, wie etwa die paranoid-halluzinatorische Schizophrenie, besonders leicht zur Stigmatisierung führen können. Es ist jedoch auch hier zu beachten, dass ein Mensch mehrere Unterformen durchlaufen kann und die einzelnen Formen auch nicht immer 100%ig voneinander abzugrenzen sind. Die wichtigsten Unterformen sind folgende (Bäuml, S.20-22; Möller et al., S.139-140; Tölle, S.202-203)1:

- Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie

Die paranoid-halluzinatorische Schizophrenie kommt von allen Subtypen am häufigsten vor. Sie wird vor allem von Wahn und Halluzinationen bestimmt. Häufig kommen auch Ich- Störungen vor. Dies führt dazu, dass die Patienten häufig sehr misstrauisch sind. Schizophrenien, die nur paranoid-halluzinatorische Symptome aufweisen, beginnen meist später als andere Formen. Der Erkrankungsgipfel liegt meist im vierten Lebensjahrzehnt, bei etwa 35 % noch später. Es ist zu beachten, dass diese Form nicht selten chronisch verläuft.

- Katatone Schizophrenie

Im Vordergrund stehen bei der katatonen Schizophrenie, wie der Name schon sagt katatone Symptome. Es können aber auch noch Wahn und Halluzinationen hinzukommen. Tritt die katatone Schizophrenie akut auf, so ist die Prognose relativ günstig. Ein besonderer Verlaufstyp ist die episodische Katatonie, die von einer akut auftretenden und stark ausgeprägten Symptomatik gekennzeichnet ist. Die Krankheitsepisoden sind zwar nur kurz, dafür kann es aber rasch zu einer neuen Erkrankung kommen. Des Weiteren gibt es noch die perniziöse Katatonie, die sogar lebensbedrohlich werden kann. Die Patienten haben hohes Fieber und Kreislaufstörungen. In diesem Zustand sind sie entweder hoch erregt oder befinden sich in einem Stupor.

- Hebephrene Schizophrenie

Die hebephrene Schizophrenie ist geprägt von affektiven Störungen, alberner Gestimmtheit, Oberflächlichkeit, Enthemmung, Grimassieren und wenig geordnetem Reden. Die Patienten wirken zwar recht heiter, sind es in Wirklichkeit aber nicht. Außerdem können auffällige formale Denkstörungen hinzukommen. Diese Form kann bereits im Jugendalter auftreten.

- Schizophrenia simplex

Diese Art der Schizophrenie beginnt fast unmerklich und auch der Verlauf ist im Vergleich zu den anderen Formen eher undramatisch und langsam. Die Erkrankung wird meist erst nach einigen Jahren erkannt. Es treten hier weder paranoid-halluzinatorische, noch katatone Symptome auf. Schizophrenia simplex erkennt man vielmehr an einem Mangel an Initiative, Denkstörungen und einer gewissen Schwunglosigkeit. Dies führt häufig dazu, dass mitmenschliche Beziehungen und der Realitätsbezug verkümmern.

- Residualtyp

Von einem Residualtyp spricht man, wenn die Schizophrenie chronisch verläuft. Es kommt zu einer Persönlichkeitsveränderung, die allerdings von Mensch zu Mensch ein unterschiedliches Ausmaß erreichen kann. Es kann zum Beispiel zu Leistungsschwäche, Konzentrationsstörungen, Kontaktschwäche oder depressiven Verstimmungen kommen. Ist der Residualtyp sehr stark ausgeprägt, kann es zu Einengung der Interessen, Autismus, Antriebsmangel und Vernachlässigung der Körperpflege kommen.

1.4 Epidemiologie

Hier nun ein paar Fakten über Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis. Schizophrenie kann in jedem Lebensalter auftreten. Die meisten Menschen erkranken jedoch zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Unterschiede gibt es hier nur bei den einzelnen Subtypen. So liegt zum Beispiel der Häufigkeitsgipfel für hebephrene Schizophrenien im Jugendalter, während der paranoid-halluzinatorische Subtyp vor allem im 40. Lebensjahrzehnt auftritt. Allgemein liegt der Erkrankungshöhepunkt bei Männern etwa fünf Jahre früher als bei Frauen. Insgesamt erkranken genauso viele Frauen wie Männer, Frauen jedoch häufiger an Spätschizophrenien. Die Erkrankungshäufigkeit ist auf der ganzen Welt gleich. In psychiatrischen Krankenhäusern stellen die Schizophrenien die größte Diagnosegruppe, vor allem bei den Langzeitpatienten. Zu 1% besteht die Wahrscheinlichkeit im Laufe seines Lebens an einer Schizophrenie zu erkranken. Die jährliche Inzidenzrate liegt bei 0,05%. Von den Schizophreniekranken erkranken 10-20% nur einmal, bei 40-60% tritt die Erkrankung in Schüben auf und 20-30% erholen sich nicht vollständig vom Krankheitsschub. Die Suizidrate liegt bei 5-10% (Bäuml, S. 10; Möller et al., S. 127; Tölle, S.192/205).

1.5 Ätiologie

Im Laufe der Geschichte wurden zahlreiche Versuche unternommen, herauszufinden woher denn die Schizophrenie nun komme. Im Rahmen dieser Arbeit ist es mir aber nicht möglich genauer darauf einzugehen.2 Auch heute ist noch keine isolierte Einzelursache bekannt, so dass es auch noch keine vollständige Schizophrenietheorie gibt. Man spricht vielmehr von einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge. Dies bedeutet, dass eine Reihe von Entstehungsbedingungen zusammentreffen müssen, um eine Schizophrenie auszulösen. Von Bedeutung sind wohl genetische, biochemische und psychosoziale Faktoren. Anhand von Zwillingsstudien wurde belegt, dass Vererbung wohl eine Rolle spielt, allerdings nur eine Teilursache darstellen kann. Daneben hat die biochemische Schizophrenieforschung in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. So geht man heute davon aus, dass einige Symptome, wie zum Beispiel Halluzinationen durch bestimmte Botenstoffe des zentralen Nervensystems ausgelöst werden. Auch wenn es schwer zu beweisen ist, sprechen sowohl klinische Erfahrungen, als auch systemische Untersuchungen dafür, dass belastende Lebenssituationen, so genannte life events zur Erkrankung beitragen können. Solche life events können zum Beispiel sein: Not, Katastrophen, Umzug, Verlusterlebnisse, neue Beziehungen. Auch sehr aktuell ist das Vulnerabilitätsmodell, das besagt, dass jeder Mensch eine unterschiedliche Verletzlichkeitsschwelle besitzt. Wenn diese durch Belastungen überschritten wird, kommt es zum Ausbruch der Erkrankung. Bei einer geringen Vulnerabilitätsschwelle, wie es häufig bei schizophrenen Menschen der Fall ist, bedarf es nur geringer Einflüsse, dass die Krankheit zum Ausbruch kommt. Bei einer sehr hohen Vulnerabiltiätsschwelle hingegen kann die Krankheitsmanifestation sogar ausbleiben. Man kann also allgemein sagen, dass Menschen, die an einer Schizophrenie erkranken, empfindlicher gegenüber verschiedenster Reize sind. Diese Empfindlichkeit hat aber nichts mit Schwäche oder Schande zu tun, wie es vielleicht von manchen Menschen gesehen wird. In gewisser Weise kann es sogar zu einer intensiveren Wahrnehmung beitragen. Betrachtet man nun diese aktuellen Erklärungsmodelle, kann man sehr schnell erkennen, dass auch diese nicht die wirklichen Ursachen beschreiben, sondern vielmehr die Auslöser. Die wahren Ursachen sind also auch weiterhin noch unbekannt und bleiben wohl eine Aufgabe der Zukunft (Bäuml, S.27-44; Finzen, 2003, S.73-94; Möller et al., S.128-133; Tölle, S. 211-218).

1.6 Behandlung

Da in der Bevölkerung immer wieder das Vorurteil zu finden ist, diese Erkrankung sei nicht behandelbar, werde ich abschließend noch kurz auf die Behandlung zu sprechen kommen, ohne aber näher auf die einzelnen Behandlungsmethoden eingehen zu wollen. Man muss hier zuerst einmal festhalten, dass dieses Vorurteil nicht stimmt. Schizophrenie kann behandelt werden, wenn sie auch ähnlich wie etwa die Zuckerkrankheit meist nicht völlig geheilt werden kann. Die Symptome können aber verbessert oder manchmal sogar ganz aufgehoben werden. Um die richtige Behandlung zu finden, sollte immer die Symptomatik, die Persönlichkeitsstruktur, die Lebenssituation, die körperliche Gesundheit und die Erwartung des Patienten berücksichtigt werden. Da wir ja wie oben beschrieben von einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge ausgehen, werden bei der Therapie oft mehrere Maßnahmen verbunden, um ein möglichst optimales Ergebnis zu erzielen. Die Therapie besteht somit aus medikamentöser Behandlung mit Neuroleptika, Psychotherapie und Soziotherapie. Seit dem Neuroleptika eingesetzt werden, hat sich die Prognose für Schizophreniekranke deutlich gebessert. So liegt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Klinik nur noch bei drei Monaten, während sie früher bei drei Jahren lag. An dieser Stelle eine kurze Tabelle, die zeigt wie sich die Einführung von Neuroleptika ausgewirkt hat:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle nach Bäuml (S.54)

Neuroleptika wirken vor allem auf Symptome wie Verfolgungsangst, psychomotorische Erregung, Halluzinationen und Denkstörungen und machen so eine weitere Behandlung oft erst möglich. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Patienten die Medikamente regelmäßig einnehmen, was bei vielen Kranken, wohl auch auf Grund der Schizophrenie zu wünschen übrig lässt. Psychotherapie bei Schizophreniekranken ist nicht zu verwechseln mit Psychoanalyse. Sie besteht vielmehr aus empathischer Zuwendung, Unterstützung, Führung, Beratung, bis hin zu Verhaltenstherapie. Ein wichtiger Bereich ist hier auch die Angehörigenarbeit, da auch sie lernen müssen mit der Erkrankung umzugehen und den Patienten somit stützen können. Da es bei Schizophrenie häufig zu Folgeschäden im sozialen Bereich des Patienten kommt, sind meist soziotherapeutische Hilfen angesagt. Diese können sich auf folgende Bereiche beziehen: Pflege, Wohnen, Arbeit oder Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie dienen sowohl der Nachsorge als auch der Krisenintervention und werden in der Regel von Sozialarbeitern durchgeführt. Im Umgang mit dem Patienten sind einige grundlegende Regeln zu beachten. Informationen sollten einfach und übersichtlich vermittelt werden, der Kommunikationsstil sollte eindeutig sein, die Betreuungspersonen sollten nicht ständig wechseln und auch die gesunden Ich-Anteile sollten nicht außer Acht gelassen werden. Auch wenn die meisten Schizophrenen ambulant behandelt werden können, findet die Basisbehandlung häufig im Krankenhaus statt. Angebote sind hier zum Beispiel Ergotherapie, Physiotherapie, Sport, Bildungsangebote und Freizeitgestaltung. Diese bilden eine Basis für den Einsatz und die Wirksamkeit von Therapien im engeren Sinn. Bei Selbst- und Fremdgefährdung kann ein Patient durch einen Gerichtsbeschluss gegen seinen Willen ins Krankenhaus eingewiesen werden. Oft werden Therapien dadurch erschwert, dass die Patienten nicht einsehen, dass sie krank sind. Generell kann man sagen, dass der Verlauf umso günstiger ist, je früher die Behandlung einsetzt. Um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen, sollte das Motto Verhandeln statt Behandeln immer Vorrang haben. Man sollte also so weit möglich den Patienten über die Art der Behandlung mitbestimmen lassen. Mehr zu diesem Thema aber später, wenn ich über Empowerment schreibe ( Finzen, 2003, S.125-143; Möller et al., S.144-145; Tölle, S.220- 229).

Ich hoffe dem Leser durch meine Darstellung ermöglicht zu haben, sich ein Bild vom medizinischen Modell der Schizophrenie machen zu können. Dies soll als Hintergrund für meine weiteren Ausführungen dienen.

2. Stigmatisierung

Doch nicht nur die Krankheit selbst macht den Betroffenen zu schaffen. Eine weitere Last, die sie zu tragen haben, ist das Stigma, das dieser Krankheit anlastet. Asmus Finzen (2001) geht sogar soweit, dass er sagt, „Das Leiden unter dem Stigma, unter Vorurteilen, Diffamierung und Schuldzuweisung, wird zur zweiten Krankheit“ (S.24).

Im Folgenden werde ich nun darauf eingehen, was man unter Stigma beziehungsweise Stigmatisierung versteht, wie Stigmatisierung entstehen kann, wie sie verläuft, welche Funktionen Stigmata haben, welche Folgen sich daraus ergeben und letztendlich, wie die Betroffenen darauf reagieren.

2.1 Definition

Der Begriff Stigma geht auf die Griechen zurück und wurde dort verwendet „als Verweis auf körperliche Zeichen, die dazu bestimmt waren, etwas Ungewöhnliches oder Schlechtes über den moralischen Zustand des Zeichenträgers zu offenbaren“ (Goffman, 1967, S.9). So sollte der Öffentlichkeit mit diesen Zeichen gezeigt werden, dass es sich bei den gebrandmarkten Personen um Sklaven, Verbrecher oder Verräter handelt. Suchen wir im Lexikon (Bibliographisches Institut, 1978) nach dem heutigen Sinn von „Stigma“, so finden wir:

Stigma (gr.),

- (Spiraculum) bei Stummelfüßern, Spinnentieren, Tausendfüßern und Insekten in den membranösen Körperseiten … vorhandene Atemöffnung…
- Augenfleck
- … Flügelmal
- Narbe
- in der kath. Kirche Bez. für ein bei Stigmatisierten auftretendes Wundmal…
- altgriechisches Schriftzeichen…“ (S.575)

Doch dies ist nicht die Bedeutung, die mich im Zusammenhang mit meiner Arbeit interessiert. Betrachtet man nun aber den Begriff „Stigmatisierung“ im Lexikon (Bibliographisches Institut, 1978), so entspricht die Beschreibung der Bedeutung, von der ich des Weiteren ausgehen werde. Hier heißt es:

Stigmatisierung (gr.),

Bez. der Soziologie für die Zuordnung bestimmter von der Gesellschaft bzw. einer sozialen Gruppe negativ bewerteter Merkmale (z.B. nicht ehel., vorbestraft) auf ein Individuum, das damit sozial diskreditiert wird.“ (S.576)

Stigma beziehungsweise Stigmatisierung soll in meiner Arbeit also unter einem soziologischen Gesichtspunkt betrachtet werden. Auch Brusten (1975) erklärt meiner Meinung nach sehr gut, was unter Stigmatisierung zu verstehen ist. Er schreibt:

„Als «Stigmatisierung» werden soziale Prozesse bezeichnet, die durch «Zuschreibungen» bestimmter - meist negativ bewerteter - Eigenschaften («Stigmata») bedingt sind oder in denen stigmatisierende, d.h. diskreditierende und bloßstellende «Etikettierungen» eine wichtige Rolle spielen, und die in der Regel zur sozialen Ausgliederung und Isolierung der stigmatisierten Personengruppe führen. Stigmatisierungsprozesse haben sowohl für die Lebenssituation als auch für die Identität der von ihnen Betroffenen beträchtliche Folgen.“ (S.1f).

Ein Stigma kann auch als ein besonderes soziales Vorurteil bezeichnet werden (Hohmeier, 1975, S.7).

Obwohl die Begriffe Stigma, Vorurteil und Diskriminierung meist in einem Atemzug verwendet werden, meinen sie nicht das gleiche. Finzen (2001) gibt eine Erklärung, wie sie sich einerseits unterscheiden, andererseits aber auch miteinander in Verbindung stehen. Jeder Mensch hat Vorurteile. Es handelt sich dabei um Urteile, die im Voraus getroffen werden, ohne sie jedoch genauer nachzuprüfen. Sie dienen dazu, im Alltag nicht ständig über alles nachdenken zu müssen. Handelt man nun aufgrund von Vorurteilen, kann es zu Diskriminierung kommen, also dazu, dass man jemanden unter seiner Würde behandelt. Dieses diskriminierende Handeln ist aber keineswegs gerechtfertigt. Vorurteile und Diskriminierung lösen im Betroffenen Verletzungen aus, die bis zur Beschädigung ihrer Identität reichen. Dies nennt man Stigmatisierung (S.9f).

Goffman (1967) unterscheidet drei Typen von Stigma:

- „Abscheulichkeiten des Körpers“ (S.12)
- „individuelle Charakterfehler, wahrgenommen als Willensschwäche“ (S.12), zu denen auch psychische Krankheiten zählen
- „phylogenetischen Stigmata von Rasse und Religion“ (S. 13)

In meinen weiteren Ausführungen über Stigma möchte ich zusammenfassend darstellen, was Erving Goffman (1967) über Stigma und Stigmatisierung herausgefunden hat, da so ziemlich alles, was heute über dieses Thema geschrieben wird auf ihn zurückgeht. Des Weiteren werde ich Jürgen Hohmeier (1975) und dessen Ausführungen über Stigmatisierung berücksichtigen, da er meiner Meinung nach sehr einleuchtend darstellt, wie Stigmatisierung funktioniert.

2.2 Entstehung und Prozess der Stigmatisierung

Stigmata sind in jeder Gesellschaft anzutreffen. Auch Hohmeier betont dies. Es gibt jedoch große Unterschiede, welche Personen stigmatisiert werden und in welchem Ausmaß die Stigmatisierung geschieht. So findet man Stigmatisierungen besonders häufig in Gesellschaften, in denen Leistung und Konkurrenz von enormer Wichtigkeit sind oder aber wo es große Spannungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gibt. Beides ist häufig in Industriegesellschaften anzutreffen. In Deutschland sind zurzeit verschiedene Personengruppen von Stigmatisierung betroffen, wie etwa Obdachlose, Rauschgiftkonsumenten, Strafentlassene und eben psychisch kranke, insbesondere schizophrene Menschen.

Grundsätzlich geht man davon aus, dass es eine große Gruppe von Menschen gibt, die als normal bezeichnet wird, normal deshalb, weil sie „von den jeweils in Frage stehenden Erwartungen nicht negativ abweichen“ (Goffman, 1967, S.13). Daneben gibt es immer auch Personen, die in einem gewissen Merkmal anders sind als die Gruppe der Normalen und dadurch stigmatisierbar werden. Dem Thema „Normalität“ werde ich im dritten Kapitel noch mehr Aufmerksamkeit schenken.

Um das Phänomen der Stigmatisierung genauer beschreiben zu können, möchte ich Goffman (1967) heranziehen, der zwischen einer „virtuale(n) soziale(n) Identität“ (S.10) und einer „aktuale(n) soziale(n) Identität“ (S.10) unterscheidet. Unter einer „virtualen sozialen Identität“ versteht er die Vorstellungen, die der Normale von seinem Gegenüber hat. Die „aktuale soziale Identität“ hingegen bezeichnet das, was eine Person tatsächlich ist. Erkennt der Normale nun, dass sein Bild von der Person nicht mit deren wirklicher Identität übereinstimmt, so findet eine Abwertung statt und der Person wird ein Stigma zugeschrieben. Wie Goffman (1967) sagt, gibt es eine „Diskrepanz zwischen virtualer und aktualer sozialer Identität“ (S.11), oder mit Finzens (2001) Worten „Anspruch und Wirklichkeit unterscheiden sich voneinander“ (S.27). Diese Personen sind für die normalen Menschen nicht mehr berechenbar und werden deshalb mit Sanktionen belegt. In einigen Fällen kann dies bis zum Ausschluss aus der Gesellschaft gehen.

Merkmale, die ein Stigma auslösen, können zum Beispiel körperliche Besonderheiten, eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit oder aber auch ein bestimmtes Verhalten sein. Vor allem im dritten Fall kommt es besonders leicht zu Stigmatisierungen. Es kommt hier besonders darauf an, wie verbindlich und wie weit verbreitet die Normen sind, von denen man abweicht. In jedem Falle sind die Eigenschaften „diskreditierend“ (Goffman, 1967, S.11). Die Merkmale können einerseits sofort sichtbar sein, wie etwa bei einer körperlichen Behinderung. In diesem Fall nimmt der Betroffene an, dass die Normalen über sein Anderssein bescheid wissen und man spricht deshalb von ihm als einem „Diskreditierten“ (Goffman, 1967, S.12). Andererseits gibt es aber auch unsichtbare Merkmale. Da sein Merkmal also nicht direkt wahrnehmbar ist, und er davon ausgeht, dass die Normalen nicht bescheid wissen, spricht man in diesem Fall von einem „Diskreditierbaren“ (Goffman, 1967, S.12). Dennoch gibt es in diesem Fall meist Verdachtsmerkmale, die den Normalen darauf schließen lassen, dass eine Person stigmatisierbar ist. Bei einem psychisch kranken Menschen wäre dies zum Beispiel der Fall, wenn er sich in Kontrollinstanzen, wie eine psychiatrische Klinik begibt. Häufig wird alleine die Tatsache, dass eine Person in einer psychiatrischen Klinik war zum Grund für die Stigmatisierung (Gebauer, 1975, S.113). In diesem Fall versucht der Diskreditierbare häufig seine Abweichung und alles, was darauf schließen lässt zu verheimlichen.

Ausschlaggebend ist, dass dem Merkmal meist negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Dabei kommt es aber häufig noch zusätzlich zu Generalisierungen, wie auch Hohmeier schreibt. Dies bedeutet, dass dem Betroffenen erfahrungsgemäß noch weitere negative Eigenschaften zugeschrieben werden, auch wenn diese keineswegs zutreffen. Generalisierung kann auch so verstanden werden, dass ein einziges Merkmal einer Person auf die gesamte Person übertragen wird und sich somit auf seine gesamten sozialen Bezüge ausdehnt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch häufiger von so genannten Klischees, die eben für die Umwelt sehr einprägsam sind. Bestimmten Gruppen von Stigmatisierten werden bestimmte Namen und Begriffe zugeschrieben, also so genannte Stigmatermini wie etwa die Bezeichnung „Geisteskranke“, „Irre“ oder „Verrückte“ bei schizophrenen Menschen. Dies geht oft so weit, dass viele negative Eigenschaften unterstellt werden, die aber in keinem Falle zutreffend sind. Besonders in Zeiten, wenn wieder einmal spektakuläre Nachrichten über Verbrechen Geisteskranker in der Presse zu lesen sind, ist es für schizophrene Menschen besonders schwer, da sie von verschiedenen Seiten zu hören bekommen, „wie es einem ihrer Art ergangen ist“ (Goffman, 1967, S.40). Es ist zu beachten, dass Stigmatisierte meist Personen sind, die über wenig Macht verfügen, sich also schlecht gegen die Stigmatisierung wehren können. Dies zeigt sich sehr offensichtlich, wenn man das Krankheitsbild der Schizophrenie betrachtet. Schizophrene Menschen scheinen nur sehr wenige Möglichkeiten zu haben, Stigmata abzuwehren.

Stigmata sind zuerst einmal Aussagen über die Eigenschaften einer Person, diese werden dann allerdings bewertet und meist enthalten sie auch direkt oder indirekt Regeln, wie man sich dieser Person gegenüber zu verhalten hat. Normale reagieren in unterschiedlicher Weise auf abweichendes Verhalten. Entweder spielen sie dem Gegenüber vor, dass sie ihn für etwas Besseres halten, als sie tatsächlich tun oder sie behandeln ihn schlecht. Eine dritte Möglichkeit ist noch, dass sie den Stigmatisierten völlig ignorieren. Es gibt jedoch immer auch Personen die sich den Stigmatisierten mit einer gewissen Sympathie zuwenden. Dies sind vor allem diejenigen, die selbst Erfahrungen mit diesem Stigma gemacht haben. Nicht selten schließen sie sich zu Selbsthilfegruppen zusammen. Aus diesem Kreis finden sich meist einige Repräsentanten, die öffentlich gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung eintreten. Eine weitere Gruppe, die sich den Stigmatisierten zuwenden, nennt Goffman (1967) die „Weisen“ (S.40), also normale Personen, die in bestimmten Situationen mit den Stigmatisierten zusammen sind, wie etwa Mitarbeiter bestimmter Organisationen oder Angehörige. Diese Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Stigmatisierten akzeptiert und umgekehrt auch von ihnen akzeptiert wird. Für den Angehörigen des Stigmatisierten besteht die Gefahr, mit diesem die Stigmatisierung teilen zu müssen, weshalb es für ihn sehr schwer sein kann, eine Beziehung über längere Zeit aufrechtzuerhalten.

Goffman (1967) unterscheidet zwischen „In-group-Ausrichtungen“ (S.140) und „Out-group- Ausrichtungen“ (S.143). „In-group-Ausrichtung“ bedeutet, dass sich der Betroffene an der Gruppe seiner Leidensgenossen orientiert und sich diesen auch zugehörig fühlt. Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit, nämlich, dass er sich an der Gruppe der Normalen orientiert. Dies nennt man dann eben „Out-group-Ausrichtung“. Verfolgt man diese Linie, so geht es vor allem darum, wie gut sich jemand an die normale Gesellschaft anpasst. Je nachdem für welche Ausrichtung sich der Stigmatisierte entscheidet, zeigt es in gewisser Weise seine Ich-Identität.

In einer gewissen Weise kann man, wie auch Hohmeier (1975), von der „Sozialisation zum Stigmatisierten“ (S.15) sprechen. Den Stigmatisierten wird meist eine bestimmte soziale Rolle zugewiesen. Dies geschieht hauptsächlich durch einen gewissen Druck von außen und hat oft eine Veränderung der Persönlichkeit zur Folge. Wenn einer Person andauernd bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, führt dies nicht selten dazu, dass der Stigmatisierte diese Eigenschaften tatsächlich übernimmt. Ein häufig verwandter Begriff für diesen Mechanismus ist self-fulfilling prophecy. Dies bleibt jedoch häufig nicht nur auf der Ebene der Eigenschaften, sondern auch sein Bild von sich selbst passt sich immer mehr dem der Normalen an. Ein schizophrener Mensch spricht dann von sich selbst nicht mehr als menschliches Wesen, sondern als „Irrer“ oder „ Verrückter“. Allgemein kann man sagen, dass ein bestimmtes Verhalten, das der Stigmatisierte an den Tag legt, eine bestimmte Reaktion bei seiner Umwelt hervorruft und umgekehrt. Die Sozialisation lässt sich in verschiedene Phasen aufteilen. Sie beginnt meist schon in der Kindheit, wo der später Stigmatisierte lernt, was normal ist und was als abweichend zählt. Dem Kind werden soziale Normen vermittelt. Später, wenn sich zum Beispiel eine Schizophrenie entwickelt, merkt der Betroffene, dass sein Verhalten, nach den Normen, die er gelernt hat nun nicht mehr als normal eingestuft wird, sondern als abweichend. Er entwickelt somit die Gewissheit, dass auch die Umwelt ihn so einstuft. Er lernt, dass er ein bestimmtes Stigma besitzt. Durch die Interaktion mit Normalen, wird er dann letztendlich in seiner Vermutung bestätigt und es kann im Laufe der Zeit zu einer Identitätsänderung kommen. Kommt ein schizophrener Mensch dann schließlich als Klient in eine Institution, vollzieht sich auch dort wieder eine Sozialisation. Diese ist vor allem geprägt durch die Erwartungen des Personals und durch organisatorische Abläufe. Will er Klient eine Dienstleistung in Anspruch nehmen, so wird eine Anpassung des Klienten gefordert, insofern, dass er die erwartete Rolle übernehmen soll. Goffman (1972) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Karriere“, die der Stigmatisierte durchläuft.3

Welches Ausmaß die Stigmatisierung letztendlich annimmt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die Ina Becker (1987) in vier verschiedene Bereiche einteilt:

- „in dem betroffenen Individuum (z.B. Persönlichkeitsstruktur, soziale Position)“
- „in dessen sozialer Umwelt (z.B. Familie, soziales Netzwerk, sozialökologische Rahmenbedingungen)“
- „in der psychischen Erkrankung (z.B. Art, Schweregrad, Dauer)“
- „in der psychiatrischen Behandlung (z.B. Art des Krankenhauses, Aufnahmemodus)“ (S.9)

Werner Schöny (2001) spricht vom so genannten Teufelskreis der Stigmatisierung, der sich wie folgt darstellen lässt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

angelehnt an Schöny (2001)

Um den Gegenstand der Stigmatisierung noch etwas zu veranschaulichen, sind die Ergebnisse der Dissertation von Ina Becker (1987) hilfreich. Sie hat in ihrer Arbeit 153 psychiatrische Patienten zum Thema Stigmatisierung befragt. Dabei haben 58 angegeben, noch keine Erfahrung mit diesem Thema gemacht zu haben, 10 haben bemerkt, dass ihnen mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde und 85 haben negative Erfahrungen gemacht. So hatten sie zum Beispiel das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, wurden verspottet, erlebten Unverständnis oder berichteten davon, dass der Kontakt zu ihnen abgebrochen wurde. Einige Aussagen der Befragten waren zum Beispiel:

„Was immer ich gesagt habe, wurde einfach nicht ernst genommen, sie sind einfach darüber hinweggegangen.“ (S. 35)

„Der Vermieter der Wohnung meiner Freundin hat mir verboten, das Haus zu betreten.“ (S.35)

„Eine Bekannte hat mich als Hexe bezeichnet und gesagt, sie habe Angst vor mir.“ (S.36)

„Mein Bruder hat mich aus der Wohnung geworfen, weil er mit einem, der in der Klapsmühle war, nichts zu tun haben will.“ (S.37)

„Man trägt einen Stempel. Meine Partnerin sagt immer: « Du spinnst!». Alle anderen stimmen ihr zu, auch wenn ich eigentlich recht habe.“ (S.37)

80% der Patienten stimmten der Feststellung zu, dass viele Arbeitgeber keinen ehemaligen Psychiatriepatienten einstellen würden. 60% waren der Meinung, dass die Bevölkerung es als persönliches Versagen bewertet, wenn jemand in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird. Der Behauptung, dass psychiatrische Patienten von ihrem Umfeld nicht mehr ernst genommen werden, stimmten 50% der Befragten zu.

2.3 Funktionen von Stigmata

Nachdem ich nun geklärt habe, wie Stigmatisierung entsteht und wie sie verläuft, werde ich als nächstes darauf eingehen, welche Funktionen Stigmata haben können. Dabei orientiere ich mich an Hohmeier, der zu diesem Thema einen guten Überblick gibt.

Als erstes kann man sagen, dass Stigmata nach Hohmeier eine Orientierungsfunktion haben. In sozialen Beziehungen erleichtern sie es dem Interaktionspartner vermeintlich den Gegenüber einzuschätzen, da Stigmata, wie oben erklärt, bestimmte Anhaltspunkte, Erwartungen und Verhaltensanweisungen beinhalten. Man braucht diese Vermutungen nicht mehr zu prüfen, weil man wie selbstverständlich von deren Richtigkeit ausgeht. Auch wenn das Stigma nur einige wenige Anhaltspunkte bietet, wird sofort auf die gesamte Person geschlossen. Dies führt dazu, dass Situationen im Voraus gestaltet werden und somit Unsicherheit verringert wird. Was dies jedoch für den Betroffenen bedeuten kann, werde ich in meinen späteren Ausführungen noch genauer erläutern. Es ist zu beachten, dass Wahrnehmungen durch Stigmata verzerrt werden und neue Erfahrungen meist unmöglich machen.

Nach Hohmeier haben Stigmata auch aus tiefenpsychologischer Sicht eine Funktion. Sie werden einerseits als Projektionen verstanden und dienen der Abreaktion von Aggression. Andererseits werden sie auch als verdrängte Triebansprüche gesehen und haben in diesem Zusammenhang eine Entlastungsfunktion. Man kann sich dies so vorstellen, dass Antriebe und Wünsche, die selbst unterdrückt werden, auf andere projiziert werden.

[...]


1 Sämtliche im medizinischen Bereich verwendete Unterformen sind nachzulesen im ICD10 F20

2 Bei Interesse nachzulesen bei Bäuml, S.27-44; Finzen, 2003, S.73-94; Möller et al., S. 128-133; Tölle, S.211- 218

3 Genaueres über die Situation eines Patienten in einer psychiatrischen Anstalt ist in Goffmans Buch „Asyle“ (1972) nachzulesen

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
Stigmatisierung schizophrener Menschen
Hochschule
Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut, ehem. Fachhochschule Landshut
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
111
Katalognummer
V29275
ISBN (eBook)
9783638308342
ISBN (Buch)
9783638723824
Dateigröße
1030 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stigmatisierung, Menschen
Arbeit zitieren
Daniela Renner (Autor:in), 2004, Stigmatisierung schizophrener Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29275

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