Vergleich sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen bei verheirateten jungen Erwachsenen mit türkischem Migrationshintergrund

Eine explorativ-qualitative Untersuchung


Magisterarbeit, 2012

88 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Relevanz des Themas
1.2 Forschungsfragen
1.3 Aufbau der Arbeit

2. TheoretischeEinbettung
2.1 Sexualität bei Migrantinnen und Migranten aus der Türkei als Thema für die Soziologie?
2.2 Begriffserklärungen
2.2 1 Sexualität und Sexualität als Sozialität
2.2.2 Migration und Migrationshintergrund
2.2.3 Geschlecht als soziale Wirklichkeit
2.3 Sexualität und Islam in der türkischen Kultur
2.3.1 Sunniten undSexualität
2.3.2 Alevitenund Sexualität
2.4 Stand der Forschung

3. Theorienansätze
3.1 Marginal Man Konzept
3.2 Das Coping-Konzept

4. Methodik
4.1 Methodenwahl
4.1.1 Qualitative Sozialforschung
4.1.2 Gütekriterien
4.1.3 Das qualitative Interview
4.2 Fallauswahl
4.2.1 Leitfadengespräch
4.3 Feldzugang
4.3.1 Leitfaden
4.3.2 Kontaktpersonen
4.3.3 Feldphase
4.4Auswertungsstrategien
4.4.1 Software für die qualitative Datenanalyse
4.4.2 Transkriptionsregeln
4.4.3 CodesystemundCodes
4.4.4 Codierregeln

5. Überleitung von der Theorie zur Empirie
5.1 Thesen/Vermutungen
5.1.1 These von der geschlechtsbezogen marginalisierten Persönlichkeit
5.1.2 These vom kulturell und sexuell motivierten, asymmetrisch geschlechtsspezifischen Coping
5.1.3 These von der religiösen Asymmetrie der Konfessionen

6. Ergebnisdarstellung undDiskussion
6.1 Zusammenfassung der Interviews
6.2Typenbildung
6.2.1 BewusststillschweigenderTyp
6.2.2 Stillschweigender Akzeptanz Typ
6.2.3 Extremer Typ
6.2.4 Marginalisierter Typ
6.2.5 Nicht marginalisierter Typ
6.3 Die Ergebnisse im Licht der Thesen
6.3.1 Ergebnisse zur These von der geschlechtsbezogen marginalisierten Persönlichkeit
6.3.2 Ergebnisse zur These vom kulturell und sexuell motivierten, asymmetrisch geschlechtsspezifischen Coping
6.3.3 Ergebnisse zur These von der religiösen Asymmetrie der Konfessionen

7. Fazit undAusblick

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang

Leitfaden

10. Danksagung

1 Einleitung

Die Pluralisierung von Lebenswelten ist ein zentrales Charakteristikum der modernen und komplexen Gesellschaften. Die einzelnen Individuen haben die Geborgenheit in ihrer Kultur verloren. Die aktuelle Diskussion über den Verlust von Identität und die ständige Zunahme kultureller Differenzen ist eine Folge der modernen und komplexen Gesellschaften. Dies ist wiederum eine Ursache für gesellschaftliche Integrationsprobleme. Auch die deutsche Gesellschaft hat sich durch Migrationsprozesse und deren Folgen stark verändert. Die gesellschaftlichen Veränderungen sind unübersehbar.

Das Thema Migration und besonderes die sehr oft problematisierte Integration von Migrantinnen und Migranten aus fremden Kulturen, sind ein in der Öffentlichkeit sehr intensiv diskutiertes Thema. Obwohl Themen, die sich besonders auf die Integration von Migrantinnen und Migranten aus fremden Kulturen beziehen, oft und intensiv diskutiert werden, gibt es scheinbar immer noch bestimmte Themenbereiche die allgemein tabuisiert sind. Ein solcher Bereich ist das Thema Sexualität (im Kontext der kulturspezifischen Mann-Frau-Ambivalenz und der religiöser Orientierung).

Die vorliegende Arbeit untersucht einen konkreten und wichtigen Lebensbereich der in Deutschland geborenen Bürgerinnen und Bürgern mit türkischem Migrationshintergrund. Diese Menschen, die ihren Sozialisationsprozess in Deutschland erfahren haben, leben im alltäglichen Spannungsverhältnis zwischen zwei Kulturen, welche sich nach Geschlechterverhalten und religiösen Orientierungen noch immer wesentlich unterscheiden.

Viele junge Männer und Frauen die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, stehen zwischen zwei Kulturen, zwei Welten. Auf der einen Seite gehen sie in Deutschland zur Schule und dadurch erlernen sie westliche, eher liberale Werte, aber abends, wenn sie nach Hause kommen, leben sie in einer Welt, in der meist ausgeprägt familiäre, traditionelle und religiöse Werte vermittelt werden. Es ist in der Folge für diese jungen Menschen schwierig, mit dem Thema Sexualität umzugehen, da die beiden Kulturen überwiegend unterschiedliche sexuelle Einstellungen und Verhaltensmuster besitzen.

Die in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund sind in der Regel Muslime. Sie sind sowohl kulturell als auch sozial durch den Islam geprägt. Selbstverständlich lassen sich nicht alle türkischen Migranten in ihrer Lebenshaltung, ihren Werten und Moralvorstellungen durch den Islam beeinflussen. Und nicht alle haben dieselbe Weltanschauung. Wie in anderen Religionen, so gibt es auch im Islam verschiedene Konfessionen. Konfessionen, die den Islam unterschiedlich interpretieren und ausleben. Die in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund kommen zudem aus unterschiedlichen Regionen und gehören unterschiedlichen Religionsgemeinschaften an. Nach allgemeiner Einschätzung zeigt der sunnitische Islam im Vergleich zum alevitischen Islam eine deutlich konservativere Haltung in Bezug auf sexuelle Einstellungen und Verhaltensweisen. In diesem Zusammenhang stellt sich unmittelbar die Frage, inwiefern junge verheiratete Männer und Frauen mit türkischem

Migrationshintergrund bezüglich sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen differieren und wie sich diese Differenzen kategorisieren lassen.

Ziel der Arbeit ist es insbesondere, zu analysieren, ob und wie die sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen in Bezug auf die unterschiedlichen Geschlechts­und Konfessionszugehörigkeiten zu unterscheiden sind. Das Thema Sexualität, dem ich mich in dieser Arbeit widmen werde, gilt als ein Thema, über das man nicht spricht. Nicht öffentlich spricht, oder gar nicht spricht. Eine solche Tabuisierung eines Untersuchungsgegenstandes erfordert eine noch höhere methodische Sensibilität als ohnehin, um dennoch zu hinreichenden Ergebnissen zu gelangen.

Auf persönlicher Ebene motivieren mich vor allem meine eigenen Erfahrungen, dieses Thema an dieser Stelle zu behandeln: meine Arbeit mit sozial schwachen Menschen bei der Evangelischen Gesellschaft, aber auch die durchaus konfliktreiche Geschichte und große Relevanz der Auseinandersetzungen aufgrund der familiären und sozialen Prägungen in meinem persönlichen Umfeld.

Viele Muslime, sowohl Aleviten als auch Sunniten sehen ihre Traditionen und Werte durch die Einflüsse westlicher Kultur gefährdet. J. Kücüközkan schreibt, dass muslimische Eltern aus unterschiedlichen Gründen in der deutschen Umwelt Ängste entwickeln. Diese Ängste seien dafür verantwortlich, dass die Eltern Kontakte mit Deutschen vermieden. Die Gründe dafür schienen vielfältiger Natur: die liberale

Erziehung der deutschen Kinder, der Sexualunterricht in der Schule, der Austausch von Zärtlichkeit auf der Straße, sexuelle Freizügigkeit, die Missachtung und Abwertung der Jungfräulichkeit, das Zusammenleben der jungen Leute, uneheliche Kinder, der Alkoholgenuss unter Jugendlichen, Drogengefahr, pornographische Bilder in Schaufenstern und Kinos, Erotikfilme in Kinos, die Entfremdung der Kinder von der deutschen Kultur usw. Dadurch fühlten sich die Türken in Deutschland verunsichert (vgl. Kücüközkan in: Heidarpur-Grazwini 1986:7ff).

Diese Arbeit versucht sowohl die Frage nach der Einstellungen zur Sexualität, als auch das tatsächlich beobachtbare Verhalten bei verheirateten jungen Erwachsenen mit türkischem Migrationshintergrund zu erhellen und dabei die Faktoren Geschlecht und religiöse Orientierung explizit zu berücksichtigen.

1.1 Relevanz des Themas

Im Jahr 2001 stellte die unabhängige Kommission „Zuwanderung“ fest, dass Deutschland ein Zuwanderungsland geworden ist (vgl. Süssmuth Kommission 2001). In Deutschland ist Migration schon seit langem eine gesellschaftliche Tatsache. Von den in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürgern haben 8,8 %

Migrationshintergrund. Diese Menschen stellen jedoch keine einheitliche Gruppe dar, denn sie kommen aus unterschiedlichen Ländern. Sie unterscheiden sich zudem noch hinsichtlich ihrer Religion und ihrer kulturellen Sozialisation.

Das wichtigste Herkunftsland der in Deutschland lebenden Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist die Türken mit einem Anteil von 25 %. Laut Statistischem Bundesamt lebten am 31. Dezember 2011 1.607.161 Türken in Deutschland.

Auf der anderen Seite erfährt man relativ selten Positives aus den Zeitungen und anderen Medien über Menschen mit Migrationshintergrund. Wenn von Migrantinnen oder Migranten die Rede ist, sind Rechtsanwälte, Ärzte oder Soziologen als solche im allgemeinen Bewusstsein kaum gegenwärtig. Wenn man über Frauen mit Migrationshintergrund spricht, denkt man eher selten an autonome, entscheidungsfähige Frauen. Es wird häufig über Ehrenmorde, Totschlag, Zwangsehen, arrangierte Ehen, Bildungsdefizite, usw. berichtet.

Das Thema Sexualität ist kein leicht zu behandelndes. Menschen neigen im Allgemeinen eher selten dazu, ihre sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen von sich aus zum Gesprächsthema zu machen. Gleichwohl gibt es ein existenzielles Grundbedürfnis zu Sexualität und auch zur Kommunikation von diesbezüglichen Erfahrungen mit dem Partner oder im Freundeskreis. Sexualität wird durchaus auch in Familien mit Migrationshintergrund allgemein als nicht unwichtiger Teil der Sozialisation junger Menschen angesehen.

Der soziologische Blick löst das Sexuelle aus all den Einkleidungen, Überhöhungen und Verstecken heraus, um es nüchtern als ein zwischenmenschliches Geschehens zu betrachten, als einer unter mehreren Feldern unseres Zusammenlebens (Lautmann 2002:9).

Mit der Sexualität beschäftigen sich viele Wissenschaften, vor allem Medizin und Biologie. Das Fach Soziologie hat das Thema Sexualität lange Zeit nicht hinreichend ernst genommen, aber die neueren Geschlechterbewegungen haben diese beengte Sicht zusehends verändert. Wenn über die Soziologie der Sexualität geredet wird, stellt sich die Frage, was an der Sexualität sozial sein soll. Sexualität ist nicht eine ausschließlich subjektiv mentale Erscheinung, sie ist vielmehr auch ein kulturelles Phänomen. Die Kultur beeinflusst alle Lebensbereiche. Das „Sexuelle“ wird auch seine Gestalt durch die Kultur finden. (vgl. Lautmann 2002:9ff.) Es gibt sehr unterschiedliche Kulturen und Wertvorstellungen. Dadurch wird auch Sexualität in verschiedenen Kulturen unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert.

Das Thema Sexualität wird sowohl in der islamischen Welt, als auch in den islamischen Gemeinschaften innerhalb Deutschlands stark tabuisiert. „Diese beiden Tabus, von denen ich spreche, sind die Religion und die Sexualität.“ (vgl. Bassam 1981:163) Deshalb ist es besonders schwierig, mit Menschen, die aus muslimischen Kulturkreisen kommen, über Sexualität zu sprechen und deren Einstellungen und Verhaltensweisen zu erfragen.

Im alltäglichen Leben vieler Menschen mit türkischem Migrationshintergrund spielt der Islam mit seinen Verboten- und Geboten und verschiedenen Verhaltensweisen mittelbar oder unmittelbar eine maßgebliche Rolle. Die Nichtbeachtung von Verboten wird oft mit Ausgrenzung, Missachtung und Diskriminierung bestraft. In den meisten türkischen Familien muss eine Frau als Jungfrau in die Ehe gehen. Der

Begriff Jungfräulichkeit ist sehr stark mit dem der Familienehre verbunden. Wenn eine junge Frau ihre Jungfräulichkeit verloren hat, wird dies als Zerstörung der Familienehre angesehen.

Die erste Generation von türkischen Migranten die vor etwa 40 Jahren nach Deutschland kam, hatte die Absicht genug Geld zu verdienen und anschließend in ihr Heimatland zurückzukehren. Der Wunsch nach Rückkehr war mit der langfristig orientierten Planung einer Zukunft in Deutschland praktisch nicht zu vereinbaren.

Die Situation von muslimischen Frauen und Männern stellt sich häufig als sehr spezifische Problemlage dar. Denn besonders Frauen werden durch die patriarchalen Strukturen, welche (auch) in islamischen Gesellschaften sehr präsent sind, stark eingeschränkt. Darum sollte künftig die Aufmerksamkeit für das Thema (das Thema sexuelle Einstellungen und Verhaltensweisen junger Erwachsener mit türkischem Migrationshintergrund im Zusammenhang mit der Bedeutung von Geschlechts- und Religionszugehörigkeit) entschiedener ins allgemeine Bewusstsein rücken, um das Zusammenleben besser und verständnisvoller gestalten zu können.

1.2 Forschungsfragen

Die deutsche Gesellschaft hat sich durch Migrationsprozesse und deren Folgen stark verändert. In Deutschland ist eine multikulturelle Gesellschaft entstanden. Die Religion Islam wurde dadurch auch allgemein präsenter als vorher. In der Öffentlichkeit, in den Schulen und auf den Straßen sind Menschen zu sehen, die nach islamischen Glaubensvorschriften leben.

Die Integration des Individuums wird in den traditionellen Gesellschaften über die Stellung der Familie, die Verwandtschaft oder über die Religion gewährleistet. In den modernen Gesellschaften lassen sich Individuen weniger durch die „klassischen“ Faktoren wie Familie, Verwandtschaft oder Religion beeinflussen.

Menschen mit türkischem Migrationshintergrund befinden sich zwischen traditionellen und modernen Gesellschaftsstrukturen. Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind Einflüssen und Anforderungen unterschiedlicher kultureller Maßstäbe ausgesetzt. Auf der einen Seite spielen die Schulen als

Sozialisationsinstanz des Einwanderungslandes eine große Rolle und auf der anderen Seite die elterliche Erziehung (vgl. Kelek 2002:11)

Für die Untersuchung wurde nur mit Menschen gesprochen, die ihren Sozialisationsprozess komplett in Deutschland erfahren haben. Das heißt also Menschen, die bereits in Deutschland geboren sind. Die sogenannte zweite Generation. Dabei sollte nicht nur die Abhängigkeit sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen vom Geschlecht, sondern auch von den religiösen Orientierungen untersucht werden. Dafür wurden Menschen sowohl mit alevitischem, als auch mit dem rigideren sunnitischen Glaubenshintergrund befragt.

Männer und Frauen haben in der Gesellschaft unterschiedliche Rollen. Besonders in islamischen Gesellschaften ist die Rolle der Frau und des Mannes sehr verschieden definiert. Der durchaus unterschiedlich interpretierte und ausgelebte Islam, wirkt auch sehr unterschiedlich auf den Alltag der Menschen.

Methodisch angemessen erscheint das qualitative Interview. So soll festgestellt werden, welche Einstellungen und Verhaltensweisen türkische Migranten der zweiten Generation in der Bundesrepublik in Bezug auf Sexualität entwickelt haben und welche Perspektiven sie für sich daraus für die Zukunft ableiten.

Die Beschäftigung mit diesem Thema ist mir aufgrund meines Migrationshintergrundes ein besonderes Anliegen. Es muss erwähnt werden, dass diese Untersuchung aufgrund persönlicher Betroffenheit nicht neutral durchgeführt werden konnte. Doch bin ich mir der Problematik die eine allzu große Nähe zum Untersuchungsgegenstand mit sich bringt, durchaus bewusst. Daher eröffnet diese Nähe auch dezidiert Chancen: Denn gerade diejenigen, die mit dem Thema aufwachsen, verstehen die Notwendigkeit, bislang unberücksichtigte Aspekte zu erforschen oder aus einer ganz anderen Perspektive als der gängigen zu bearbeiten. Genau das ist nachfolgend mein Anliegen.

Die vorliegende Magisterarbeit hat das Ziel, hinreichende Antworten, angesichts der angewandten Methodik, auf folgende zwei Fragen zu generieren:

1) Mit welchen Gefühlen werden die ersten sexuellen Beziehungen

vor dem Hintergrund der individuellen sexuellen Sozialisation und

den eventuellen Wiedersprüchen zu gesellschaftlichen kulturellen Beziehungsnormen erlebt mit ihren Konsequenzen (Marginalisierung) und sind die bei Frauen nach allgemeiner Einschätzung zu erwartenden Marginalisierungseffekte, tatsächlich zu beobachten?

2) Welche Stressbewältigungsstrategien (Coping) entwickeln junge

verheiratete Männer und Frauen mit türkischem Migrationshintergrund in Bezug auf ihre möglichen vorehelichen sexuellen Beziehungen und daraus resultierende Konflikte (sowie daran anknüpfend: Gibt es beobachtbare Unterschiede zwischen den Geschlechtern und zwischen den Migranten unterschiedlicher religiöser Orientierung)?

1.3 Aufbau der Arbeit

Mit dieser Arbeit möchte ich einen Zusammenhang zwischen den sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen von jungen Erwachsenen mit türkischem Migrationshintergrund (nach Geschlecht und religiöser Orientierung) nachweisen. Die bisherigen Untersuchungen haben viele Fragen offen gelassen. Der Schwerpunkt der Diskussion liegt auf kulturellen Hintergründen und traditionellen und religiösen Wertvorstellungen, welche die sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland beeinflussen.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich folgendermaßen:

Nach der Einleitung im ersten Kapital folgt die theoretische Einbettung des Themas im Kapitel zwei. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Klärung des Begriffes „Sexualität“ und mit der Beantwortung der Frage, warum das Thema Sexualität von türkischen Migrantinnen und Migranten für die Soziologie besonders interessant erscheint. Darüber hinaus werden in dem Kapitel die Begriffe „Migration“ und „Geschlecht“ definiert.

Des Weiteren wird ein Blick auf den Umgang mit Sexualität in sunnitisch und

alevitisch geprägten Gemeinschaften geworfen. Als letztes wird der aktuelle Stand

der Forschung in Bezug auf Sexualität von Migrantinnen und Migranten vorgestellt.

Im darauffolgenden dritten Kapitel werden die theoretischen Ansätze Marginal Man und Coping-Strategie, auf die auch in der vorliegenden Arbeit Bezug genommen wird, kurz vorgestellt.

Im vierten Kapitel wird die methodische Vorgehensweise diskutiert.

Im fünften Kapitel wird - unter Zuhilfenahme von Daten aus dreizehn qualitativen Erhebungen über sexuelle Einstellungen und Verhaltensweisen von jungen verheirateten Erwachsenen mit türkischem Migrationshintergrund - von der Theorie zur empirischen Praxis übergeleitet und drei Thesen präsentiert, die sich unmittelbar aus den Forschungsfragen ergeben.

Im sechsten Kapitel werden anhand der Aussagen der befragten Personen fünf Typen gebildet, vorgestellt und anschließend werden in detaillierter Darstellung die empirischen Schlüsse aus der Auswertung der erhobenen Daten diskutiert.

Im abschließenden Kapitel werden die wichtigsten empirischen Ergebnisse interpretiert und zusammengefasst.

2. Theoretische Einbettung

2.1 Sexualität bei Migrantinnen und Migranten aus der Türkei als Thema für die Soziologie?

Es ist gewiss nicht falsch, wenn man von weitgehender Tabuisierung des Sex in muslimischen Haushalten spricht. Wer die Sexualität von türkischen Migrantinnen und Migranten thematisieren will, muss einen Blick auf die türkische und islamische Kultur und deren Wirkung im Immigrationsland Deutschland werfen. Die kulturellen Faktoren sind besonders für junge Frauen eine psychische Last, da sie ihr Leben und natürlich auch ihre Sexualität eigentlich autonom nach ihren Vorstellungen leben möchten, aber dies aus verschiedenen Gründen nicht können. Auch nicht im Anschluss an die Zeit der Pubertät.

Unabhängig davon ob die Familie eine eher konservativ religiöse oder eher liberale Weltanschauung hat, ändert sich beim tatsächlich beobachtbaren Verhalten junger Migrantinnen und Migranten überraschenderweise kaum etwas. Die jungen Migrantinnen und Migranten haben Angst vor möglichen externen Bestrafungen oder sind unsicher über die moralischen Normen, die sie nach allgemeiner Einschätzung oder nach eigenem Urteil zu beachten haben. Die muslimische Community, unabhängig davon ob sie alevitisch oder sunnitisch ist, verbietet voreheliche Sexualität. Um diese Verbote zu umgehen, entwickeln junge Menschen konkrete Strategien. Strategien, die durchaus im allgemeinen Bewusstsein sind, die aber nicht allgemein diskutabel erscheinen.

Besonders vielen jungen Frauen wird verboten, an Klassenfahrten oder am

Schwimmunterricht teilzunehmen. Viele Frauen werden zwangsverheiratet oder im

schlimmsten Fall sogar umgebracht. Sie stehen ständig unter dem psychischen Druck

nicht von ihrem Onkel, der Tante oder der Nachbarin mit einem Außenstehenden

gesehen zu werden. So haben viele Jugendliche mit türkischem

Migrationshintergrund Angst, im Kino oder beim Bummeln in der Stadt mit ihren

(möglicherweise unliebsamen) männlichen oder weiblichen Freunden ertappt zu

werden. Sie müssen sich ständig vor irgendjemandem verstecken. Und sie fühlen

sich nicht nur den Eltern gegenüber verantwortlich, sondern auch Onkeln, Tanten

oder Nachbarn. Ihre Kultur und Religion verbietet den jungen Menschen nicht nur

Liebesbeziehungen oder sexuelle Beziehungen, auch ganz normale Freundschaften zwischen jungen Frauen und Männern sind oft sehr problematisch.

Die Frauen in der westlichen Welt haben nicht alles erreicht, was sie angestrebt haben, aber sie immerhin aus Sicht der Migrantinnen und Migranten sehr viel erreicht. Die traditionellen sexuellen Normen und Geschlechterrollen, die denjungen Menschen zugeschrieben werden, stellen oft ein Hemmnis dar, welches das alltägliche Leben der Migrantinnen und Migranten beeinflusst.

In der Öffentlichkeit wird ein Zusammenhang zwischen „Migration und Sexualität“ nur in der negativen Medienberichterstattung über Ehrenmorde, Zwangsehen oder religiösen Fanatismus hergestellt. Es wird relativ wenig darüber diskutiert, wie die jungen Migrantinnen und Migranten ihre sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen entwickeln.

Dass Sexualität für muslimische Familien ein Tabuthema ist, ist keine neue Erkenntnis. Die jungen Migrantinnen und Migranten stehen schon längere Zeit in einem Dilemma zwischen Religion, Tradition, kulturelle Gegebenheiten und freiem Willen. Sie haben Angst vor ihren Eltern, weil diese sie körperlich oder psychisch bestrafen können, oder sie haben Angst vor den Sünden, die durch das unangemessene Verhalten begangen worden sein könnten. Der Koran und auch die muslimische Gesellschaft verbieten vorehelichen Sex. Dabei gibt es kaum einen Unterschied zwischen den „liberalen“ Aleviten und „konservativen“ Sunniten.

Aus soziologischer Sicht ist es interessant, sich mit einem Thema, wie der Sexualität einer Gruppe, die für die Aufnahmegesellschaft nicht leicht zugänglich ist, auseinandersetzen. Menschen mit türkischem Migrationshintergrund sind inzwischen aber ein bedeutender Teil der deutschen Gesellschaft.

Die Tabuisierung der Sexualität hat sowohl bei Frauen als auch bei Männern negative Folgen. Die Verbote, denen Frauen während ihrer Pubertät ausgesetzt sind, haben extremste und vor allem psychisch belastende Folgen (vgl. Toprak 2011:1)

Darüber sollte man reden. Damit sich endlich auch etwas für das Kollektiv hinreichend verändert.

2.2 Begriffserklärungen

2.2 1 Sexualität und Sexualität als Sozialität

Der Begriff „Sexualität“ ist ein Fachausdruck, der vor 200 Jahren im Zusammenhang mit der Neubestimmung des Geschlechtsbegriffes entstanden ist. Er bezieht sich auf die allgemeinen Bilder von Frau und Mann. Empirisch zu erfassen ist nicht die Sexualität an sich, sondern nur die zeit- und gesellschaftsbezogene Sexualform (vgl. Lautmann 2002:19ff).

Nur durch diese Bedeutungszuweisungen hindurch können wir auf den Gegenstand soziologisch zugreifen. Jede sexuelle Handlung steht im Sinnbezug auf das Geschlechtliche (Lautmann 2002:20).

Das Fach Soziologie hat sich lange Zeit nicht mit dem Thema Sexualität beschäftigt. Es war besonders in der Psychotherapie und Medizin ein Diskussionsthema. Aber mit den Geschlechterbewegungen öffnete sich ein neues Feld für die Soziologie. Im Jahr 1955 veröffentlichte Schelsky das Buch „Soziologie der Sexualität“, welches man als Meilenstein betrachten kann. Seitdem interessiert sich auch die Soziologie verstärkt für das Thema Sexualität. Schließlich wurde mit dem Buch von Lautmann, ebenfalls „Soziologie der Sexualität“ tituliert, ein zweiter Meilenstein gesetzt.

Der Mensch ist ein Homo Soziologicus, ein gesellschaftliches Lebewesen. Die Gruppe, in die er hineingeboren ist, prägt seine Gewohnheiten, Wünsche, Hoffnungen und Ängste immer mit. Das gleiche gilt auch für die sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen. Je nachdem in welcher Kultur man hineingeboren ist, unterscheiden sich die sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen. In diesem Sinne gestaltet die Kultur die Rahmenbedingungen für den Alltag. Mithilfe der Sozialisation lernen auch die Kinder, wie sie sich sexuell verhalten sollen. Dabei spielt deren Geschlecht und die religiöse Orientierung des Elternhauses eine sehr große und entscheidende Rolle.

Für das Fach Soziologie ist nichts „natürlich“, sondern alles ist gesellschaftlich bestimmt. Das von Menschen konstruierte „Natürliche“ bestimmt, welche Konsequenzen dies für die soziale Realität hat. Die zwei wichtigen Aspekte

Geschlecht und Religion spielen bei der Rekonstruktion des Natürlichen eine wichtige Rolle.

Da sich im Alltag bestimmte Erscheinungen des Sexuellen bemerkbar machen, sprich, sich ein Wechselverhältnis ergibt, ist es verständlich dass sich die Soziologie über Sexualität Gedanken macht. In seinem Buch „Soziologie der Sexualität“ sieht Lautmann das Geschlechtliche als Denkmuster, das sich zwischen Modellen wie „Kultureller Einfluss“ und „Sozialer Konstruktion“ befindet (vgl. Lautmann 2002: 10). Darüber hinaus ist Lautmann der Ansicht, dass wenn man alles Geschlechtliche und Sexuelle begreifen möchte, es als eine gesellschaftliche Veranstaltung verstanden werden sollte (vgl. Lautmann 2002:9).

In erster Linie beeinflusst die Familie die Entwicklung der Einstellungen zur Sexualität und das daraus resultierten Verhalten. Die Familie wird als erste Instanz für die Sozialisation gesehen. Danach kommt die schulische Erziehung, die bei der Prägung der Persönlichkeit eine fast genauso große Rolle wie die familiäre Erziehung spielt.

Die kulturelle Rolle der Religion und die Rollenverteilung zwischen den beiden Geschlechtern scheinen sehr wichtige Faktoren bei der Entstehung von Einstellungen und Verhaltensweisen in Bezug auf Sexualität zu sein.

2.2.2 Migration und Migrationshintergrund

Der Begriff Migration wird in den Sozialwissenschaften als regionale Mobilitätsprozesse in einer Gesellschaft zwischen verschiedenen Gesellschaften bzw. Gesellschaften mit sowohl kulturellem als auch räumlichem Wandel menschlicher Lebensbereiche verstanden (vgl. Hillmann 1994:920). Bei Migration geht es um eine dauerhafte und temporäre Veränderung des Wohnortes eines oder mehrerer Menschen. Es gibt unterschiedliche geografische und zeitliche Kriterien bei der Definition von Migration. Man spricht auch von Binnenwanderung, die man als eine Verlagerung des Wohnsitzes innerhalb politischer Staatsgrenzen versteht. Eine andere Art von Migration ist die sogenannte internationale Migration. Bei der internationalen Migration geht es um eine Auswanderung aus einem, und die Einwanderung in einen anderen Staat. Begrenzte oder dauerhafter Migration sind

noch zu erwähnen. Darüber hinaus gibt es ferner noch die erzwungener Migration, welche sich durch die Wanderung von Flüchtlinge bemerkbar macht. Schließlich die freiwillige Migration, die ökonomische Motive hat (vgl. Labgart/ Martin-Lebeck 2007:145).

Der Begriff „Migration“ und der damit zusammenhängende Begriff

„Migrationshintergrund“ wird in der Öffentlichkeit sehr oft verwendet. Begriffe wie „Migranten“, „Zuwanderer“, „Person mit Zuwanderungsgeschichte“ und „Person mit Migrationshintergrund“ werden synonym und so in der Definition des Statistischen Bundesamtes benutzt (vgl. Zimmermann 2011: 2). Personen mit

Migrationshintergrund werden dementsprechend wie folgt beschrieben: alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit mindestens einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil (Statistisches Bundesamt 2007: 6).

Meistens werden diese Begriffe in den aktuellen Debatten und Berichten mit sozialer Integration von Migranten, gewalttätigem Verhalten von Migranten, arrangierten Ehen oder Zwangsehen assoziiert (vgl. Wippermann, Flaig 2009:3)

Mitten im deutschen Wirtschaftswunder verbreitet sich im Jahr 1960 eine Nachricht, die damals eine Sensation war. Deutschland wolle 15.000 Arbeiter aus der Türkei anwerben, damit sie bei den Ford-Werken in Köln arbeiten. Mit dem Anwerbeabkommen im Jahr 1961 der türkischen Gastarbeiter in Deutschland. Infolge des Anwerbevertrages zwischen Deutschland und der Türkei kamen seit Anfang der sechziger Jahre viele junge Männer und Frauen ohne Familie aus der Türkei, die anfangs noch in Wohnheimen untergebracht wurden (vgl. Öger 2011:1).

Zwischenzeitlich leben in Deutschland mehr als sieben Millionen Menschen nichtdeutscher Herkunft. Ihre Altersstruktur ist im Vergleich zu deutschen Ansässiger erkennbar abweichend. Obwohl die erste Generation von Einwanderer sich eigentlich für eine schnelle Rückkehr entschieden hatte, hat sich die Sache anders entwickelt. Für die nachkommenden Generationen war eine Rückkehr in die Heimat nicht mehr, als eine von Zeit zu Zeit rekapitulierte Phantasie.

Forschungsgegenstand in dieser Arbeit sind junge Menschen mit

Migrationshintergrund. Kinder der Migrantinnen und Migranten, die seit den 1960er

Jahren nach Deutschland eingewandert sind. Die sogenannte zweite Generation, unabhängig davon, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht.

Laut Studien sind zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime mit Migrationshintergrund in Deutschland wohnhaft. Im Jahr 2009 sind das fast 5% an der Gesamtbevölkerung. Ein weiteres Ergebnis der Studie besagt, dass die Muslime in Deutschland keinen einheitlichen Block darstellen. 63,2% von ihnen sind nach den Angaben der Befragten türkischstämmig (vgl. Müssig 2011:28). Migrantinnen und Migranten aus der Türkei sind in Deutschland die mit Abstand größte Gruppe der Einwanderer.

2.2.3 Geschlecht als soziale Wirklichkeit

Geschlechterthemen haben das Fach Soziologie in den vergangenen Jahren sehr stark beeinflusst.

Mann oder Frau zu sein, erscheint uns allen als Selbstverständlichkeit. Das gesellschaftliche Leben basiert auf der binären Geschlechterteilung, die sich ständig reproduziert. Eines, der im Zentrum stehenden Gliederungsprinzipien einer Gesellschaft, ist das Geschlecht (vgl. Sauer 2001:51). Das Geschlecht ist der erste Faktor für soziale Ungleichheit. Die Vorbereitungen für die Geburt ist für die Eltern auch eine Entscheidung, ob die Kleider des Kindes blau oder pink sein sollen. Man muss sich jedoch die Frage stellen, ob die für uns „selbstverständliche Geschlechterteilung“ auch wirklich so „natürlich“ oder „selbstverständlich“ ist.

In der Soziologie gibt es nichts, was man als „natürlich“ bezeichnen kann, sondern alles ist gesellschaftlich. Man muss sich also die wichtige Frage stellen, was in der Gesellschaft tatsächlich als „natürlich“ gilt (vgl. Küppers 2012:3).

Der einfache biologische Unterschied bringt sehr große soziale Wirkungen mit sich.

Bei der Beantwortung der Frage, wer ein Mann und wer eine Frau ist, werden einfache natürlich-biologische Unterschiede wie Körperbau, Stimme oder einfache körperliche Bewegungen als Anhaltspunkte genommen (vgl. Sauer 2001:50).

Der natürlich-biologische Unterschied wurde in den 1960er Jahren von den angloamerikanischen Feministinnen als Sex bezeichnet. Demgegenüber wurde der Begriff Gender in der Bedeutung als „soziales Geschlecht angewendet, das auf erworbene Geschlechterrollenhindeutet (vgl. Küppers 2012:3ff).

Die Trennung von Sex und Gender hat enorme Vorteile gebracht, um gegen einen Alleinerklärungsanspruch der Geschlechtsunterscheidung durch biologische Determination argumentieren zu können. Sie enttarnte Gender als soziales Konstrukt und deckte auf, dass dichotome Geschlechterzuschreibungen, Geschlechterrollen und Hierarchisierung historisch entstanden sind und durch gesellschaftliche Strukturierungen, Aushandlungen und Bedeutungszuschreibungen zustande kommen (Küppers 2012:4).

Wie sich eine Frau oder ein Mann verhalten soll, wird gesellschaftlichen Strukturen zugeschrieben.

Die Unterscheidung zwischen „Sex“ und „Gender“ ist also vornehmlich eine heuristische, die deutlich machen soll, dass Geschlechterbilder, Erwartungen und Zumutungen an Männer und Frauen nicht biologisch determiniert, sondern gesellschaftlich konstruiert und mithin veränderbar sind (Sauer 2001:51).

Es gibt viele Kulturen, bei denen die Religion eine sehr wichtige Rolle im Alltag spielt. Dabei bilden sich geschlechtsspezifische Strukturen, wobei meistens eine stärkere patriarchalische Prägung den Alltag dominiert. Je nach Kultur und Religion gibt es Geschlechterrollen in Wechselwirkung mit der Gesellschaft. Jede Religion enthält Normen und Werte, die die Ordnung der Geschlechter betreffen. Um zu sehen, wie wichtig die Rolle der Religion im Alltag ist, sollte man die Konsequenzen für das Geschlechterverhältnis beobachten.

2.3 Sexualität und Islam in der türkischen Kultur

Es gibt keinen allgemeingültigen Islam sondern verschiedene Orientierungen. Dazu zählen beispielsweise sind Sunnitismus, Alevitismus und Schiismus. Diese drei unterschiedlichen religiösen Orientierungen unterscheiden sich in ihren Werten, Normen und in der Kultur. Die Aleviten haben im Vergleich zu den Sunniten eine

andere Lebensphilosophie. Aber die Entstehungsgeschichten dieser drei Orientierungen haben denselben Ursprung. (vgl. Gün 2008:16)

Wie oben erwähnt wurde, gibt es verschiedene Interpretationen des Islam. In diesem Kapital geht es darum, welchen Stellenwert die Sexualität bei Sunniten und Aleviten hat. Welche sexuellen Verbote und Gebote zu beobachten sind und welches männliche und weibliche Menschenbild sie aufbauen.

Das Thema Sexualität ist ein sehr sensibler Bereich unseres Menschseins. Wenn man das Thema Sexualität mit dem Begriff Islam in Verbindung bringt, ein an sich ebenso sensibles Thema, entsteht eine doppelte Sensibilität. Die Religionen thematisieren Sexualität sehr selten, und wenn, dann wird sie mit Geboten und Verboten in Verbindung gebracht.

Das Verhältnis zwischen Religion und Sexualität erschient als Konkurrenz, und zwar als einen wechselseitig anregenden (Lautmann 2002:271).

Die türkische Kultur ist geprägt von unterschiedlichen Faktoren wie z.B. Religion, Traditionen und Werte. Es gibt keine einheitliche Form der Ausübung des Islam und dennoch hat er einen großen Einfluss auf die Welt- und Menschenbilder und Handlungsweisen und natürliche die individuelles Leben wird auch durch die Religion beeinflusst.

2.3.1 Sunniten und Sexualität

Der sunnitische Islam hat bestimmte Vorschriften, Verbote und Regelungen entwickelt, welche die Alltagskultur seiner Anhänger entscheidend prägen. Der Koran ist die erste Quelle der islamischen Rechtsordnung, die unter anderem Geschlechterverhältnisse und das Familienleben reguliert.

Laut den Untersuchungen des Zentrums für Türkeistudien ist der Größenteil der Muslime weltweit, rund ca. 90 %, sunnitisch (vgl. Zentrum für Türkeistudien 2007:37). Sie machen die größte Glaubensrichtung im Islam aus.

Der Begriff „Sunnitismus“ geht auf das Wort „Sunna“ zurück. Es bedeutet, „das Brauchtum, die Sitte“. Die „Sunna“ bezieht sich konkret auf das Verhalten des

Propheten Muhammed (vgl. Gün 2008:16). Der Prophet Mohammed dient mit

seinem Verhalten und seiner Lebensweise als Vorbild für die islamische Gesellschaft.

Im Koran wird Sexualität immer wieder mit dem Ziel thematisiert, eine Begehung von Sünden zu verhindern. Marburger macht uns in ihrem Buch darauf aufmerksam, dass der Islam eine die sexuellen Bedürfnisse des Menschen voll anerkennende und ihre Befriedigung bejahende Religion sei. Darüber hinaus sei im Islam die Sexualität keineswegs nur als Recht des Mannes dargestellt, das Recht auf Sexualität steht auch explizit den Frauen zu. Weder im Koran, noch in den Aussagen des Propheten wird eine Geschlechterdifferenzierung thematisiert (vgl. Marburger 1987:210). Sexualität ist keine Sünde und muss eigentlich nicht, wie Praxis, tabuisiert werden. Laut Quellen des Islam ist die Sexualität ein unverzichtbarer Bestandteil des menschlichen Lebens und Voraussetzung für eine glückliche Ehe.

Außerehelicher sexueller Kontakt, die sogenannte „Zina“ ist allerdings gemäß islamischen Quellen eine schwerwiegende (sexuelle) Sünde“. Der Islam erlaubt nur Ehepaaren die zwischenmenschliche Ausübung ihrer Sexualität. Diese Regel gilt sowohl für die Frau als auch für den Mann (vgl. Gün 2008:17ff).

2.3.2 Aleviten und Sexualität

Obwohl es keine genauen Zahlen gibt, sind laut Schätzungen ein Viertel bis ein Drittel der rund drei Millionen türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland Aleviten (vgl. Die Welt: 03.04.2011). Das bedeutet wiederum dass in Deutschland inzwischen das Alevitentum mit einem Anteil von 13 % die zweitgrößte Glaubensgruppe nach den Sunniten ist. In Deutschland leben zwischen 480.000 und 552.000 Menschen alevitischer Glaubensrichtung (vgl. Forschungsbericht Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2009: 314). Es gibt keine Einigung darüber, auch nicht unter den Aleviten selbst, ob das Alevitentum wirklich Teil des Islam ist oder nicht. Das Alevitentum ist weder ganz Teil des Islams, noch liegt es ganz außerhalb (vgl. Milliyet: zugegriffen am 18.05.12).

Die Gruppe der Aleviten ist aus der Türkei zugewandert und nimmt unter den Muslimen eine Sonderstellung ein (Forschungsbericht Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2009: 314).

Die exakte quantitative Erfassung der Aleviten ist nahezu unmöglich, da sie in der Türkei immer noch marginalisiert und diskriminiert werden. Es lässt sich aber vermuten, dass das Verhältnis von sunnitischen und alevitischen Türken auch in der Bundesrepublik in ähnlicher Weise durch Abgrenzung und Antipathie gekennzeichnet ist.

Aleviten unterscheiden sich sehr stark vom orthodoxen Islam. Die fünf Säulen des Islam werden von den Aleviten abgelehnt. Für die Aleviten spielt die islamische Rechtsordnung Scharia keine Rolle. Sie lehnen sie vollkommen ab.

Auch in der Türkei wird das Alevitentum nicht als eigenständige Religion anerkannt. Und ein Großteil der Aleviten distanziert sich auch verbal vom Islam. Alevitische Frauen tragen weder Kopftuch noch Schleier. Die Aleviten sind deutlich besser in die deutsche Gesellschaft integriert als konservative Sunniten. Für die sie stellt sich nicht die Frage, ob Scharia und Grundgesetz vereinbar sind. Fast jeder fünfte beschreibt sich als gar nicht oder eher wenig gläubig. Die Aleviten befolgen kaum Speisegebote oder Fastenregeln. Sie beten nicht fünfmal am Tag, Moscheebesuche sind eher die Ausnahme und die alevitische Frauen tragen kein Kopftuch (vgl. Forschungsbericht Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2009: 315).

In der Türkei werden die Aleviten diskriminiert, obwohl sie fast 30 % der türkischen Bevölkerung ausmachen. Die Zugehörigkeit des Alevitentum zum Islam ist sowohl unter Moslems allgemein, als auch speziell unter Aleviten heftig umstritten.

Das Alevitentum ist keine Schriftreligion, keine Buchreligion, sondern eine mündlich weitergegebene Religion. Deshalb haben sich die Aleviten immer leichter wechselnden Umständen anpassen können (vgl. Steinert 2012:29). Aleviten vertreten nicht die Auffassung dass die Frau dem Mann unterlegen ist. Frauen und Männer gelten als grundsätzlich gleichwertig und haben gleiche Rechte. Bei den Aleviten gibt es nur die Monogamie, sie verbietet die Scheidung. Männern ist es nicht erlaubt bis zu vier Frauen zu heiraten wie es die Sunna nahelegt. Nach alevitischer Auffassung ist die Frau kein Wesen, das man verschleiern soll.

Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist allerdings weniger ausgeprägt als bei den Muslimen sonstiger Glaubensrichtungen (Forschungsbericht Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2009: 315).

[...]

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
Vergleich sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen bei verheirateten jungen Erwachsenen mit türkischem Migrationshintergrund
Untertitel
Eine explorativ-qualitative Untersuchung
Hochschule
Universität Stuttgart
Autor
Jahr
2012
Seiten
88
Katalognummer
V288416
ISBN (eBook)
9783656887041
ISBN (Buch)
9783656887058
Dateigröße
719 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vergleich, einstellungen, verhaltensweisen, erwachsenen, migrationshintergrund, eine, untersuchung
Arbeit zitieren
Nurcan Dikme (Autor:in), 2012, Vergleich sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen bei verheirateten jungen Erwachsenen mit türkischem Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288416

Kommentare

  • Gast am 21.2.2017

    Enttäuschenderweise ist die Arbeit mit rassistischen Vorurteilen gespickt und beruht auf überholten Vorstellungen wie etwa der Kulturdifferenzhypothese.

Blick ins Buch
Titel: Vergleich sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen bei verheirateten jungen Erwachsenen mit türkischem Migrationshintergrund



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