Die Polarisationstheorie von A. O. Hirschman und die Weiterentwicklung von P. Krugman


Hausarbeit, 2014

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Definition und Begrifflichkeiten der Polarisationstheorie

III. Historische Entwicklung der Polarisationstheorie
a) Myrdal
b) Hirschman
c) Weiterentwicklung von Krugman
d) vergleichende Analyse

IV. Anwendbarkeit der Theorie in der Gegenwart und Kritik

V. Fazit

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Fakt ist, dass auf der Welt nicht die gleichen Lebensbedingungen herrschen. Auf der einen Seite gibt es das Zentrum, auf der anderen Seite die Peripherie, die sich durch verschiedene Vor- und Nachteile auszeichnen. Im Laufe des Lebens kommt jeder Mensch zu dem Punkt, an dem er sich entscheiden und abwägen muss, welche der beiden Orte für ihn persönlich am attraktivsten ist.

Diese individuellen Fragen lassen sich auch auf die hier vorliegende Hausarbeit zum Thema „regionale Polarisationstheorie“ beziehen.

Zunächst beginne ich mit der Definition der Polarisationstheorie und werde wichtige Begrifflichkeiten erläutern, die den Einstieg in das Thema erleichtern sollen. Anschließend grenze ich die regionale von der sektoralen Polarisationstheorie ab und zeige die jeweiligen Unterschiede auf. Im 3. Kapitel beleuchte ich die historische Entwicklung des Themas und stelle die wichtigsten Theoretiker und deren Hauptaussagen sowie deren Unterschiede vor.

Beginnen werde ich mit dem schwedischen Ökonom Gunnar Myrdal, der einer der ersten war, der sich mit diesem Thema beschäftigte und einige Theorien zu Grunde legte. Diese griff der US-amerikanische Soziologe deutscher Herkunft A. O. Hirschman auf und dokumentierte seine Ansichten zum Thema. Eine entscheidende Weiterentwicklung erfolgte durch den US-amerikanischen Nobelpreisträger Paul Krugman, der im Grunde starke Ähnlichkeiten zur Polarisationstheorie ausweist, jedoch auch die Neoklassik miteinbezieht.

Im Anschluss prüfe ich die jeweiligen Auffassungen kritisch und fasse letztendlich die Hauptaugenmerke zusammenfassen.

Ziel dieser Hausarbeit ist es, die jeweiligen individuellen Ansichten der Theoretiker auszuarbeiten sowie deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten darzulegen.

II. Definition und Begrifflichkeiten der Polarisationstheorie

Die Polarisationstheorie ist eine Wachstumstheorie und lässt sich im Gebiet der Wirtschaftsgeographie einordnen. Sie beschäftigt sich mit regionalen und sektoralen Ungleichgewichten/Disparitäten und untersucht den Entwicklungsprozess im jeweiligen Bereich. Hierbei handelt es sich nicht um eine geschlossene Theorie, sondern vielmehr um eine „Vielzahl von induktiv gewonnenen Polarisationshypothesen“[1], die als Antwort auf die deduktiv abgeleiteten neoklassischen Theorien anzusehen sind. Den Anlass Polarisationstheorien aufzustellen, gab die Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929, da infolgedessen über die Staatseingriffe bezüglich der Politik diskutiert wurde.[2]

Während sich die Neoklassik auf den Gleichgewichtsmechanismus stützt, steht bei der Polarisationstheorie die ungleichgewichtige Regionalentwicklung im Vordergrund.[3] Polarisationstheoretiker sind der Meinung, dass sich Wachstum in „Form von Impuls und Resonanz“ auswirkt und nicht - wie Neoklassiker behaupten - gleichgewichtig vonstattengeht. Damit ein Raum einen Wachstumsprozess durchläuft, ist meist eine technische Neuerung notwendig, welche zu einer Steigerung des Outputs führt. Daraus folgt, dass sich die gesamtwirtschaftliche Gleichgewichtsstruktur ändert und ein „ungleichmäßiges Wachstum“[4] mit sich bringt. Diese Veränderung wird zeitlich versetzt wahrgenommen, sodass in der Zwischenzeit wieder neue Datenvariationen eintreten. Infolgedessen wird durch Wachstum ständig versucht, den Ungleichgewichten entgegenzuwirken, gleichwohl dies aufgrund der sich immer verändernden Gleichgewichtsstrukturen nie gelingen wird.[5] Disparitäten werden in der Polarisationstheorie „als Motoren des wirtschaftlichen Wachstums“[6] aufgefasst und dienen dementsprechend dem Wachstum. Darüber hinaus sind die Verfechter der Polarisationstheorie der Ansicht, dass sichtbare „Ungleichgewichte einen zirkulär verursachten kumulativen Entwicklungsprozeß“[7] hervorrufen, der zur Folge hat, dass die Schere der Unterschiede weiter auseinander geht.

Ihren Ursprung finden die Polarisationstheorien in den wissenschaftlichen Arbeiten von Joseph Schumpeter aus dem Jahre 1911, welcher sich aber hauptsächlich auf die sektorale Polarisation bezog. Die einleitenden Thesen wurden von François Perroux, der das „Konzept des Wachstumspols“ erarbeitete, aufgenommen und in den fünfziger Jahren weiterentwickelt. Der Grundgedanke der sektoralen Polarisationstheorie besagt, dass bestimmte Perioden der Wirtschaftsentwicklung existieren, die von bestimmten Sektoren[8] dominiert werden, sodass sich das Wachstum zwischen verschiedenen Sektoren ungleichmäßig verhält.[9] Kriterien solcher Sektoren, die hauptsächlich aufgrund ihrer technischen Innovation gehäuft auftreten, sind die Größe, das Netzwerk sowie die dominierende Stellung zu anderen Sektoren und das aufsteigende Wachstum. Diese Sektoren definiert Perroux als „motorische Einheiten“[10] und „entsprechen sektoralen Wachstumspolen“[11] und werden als „Mittelpunkt eines Kräftefeldes“[12] angesehen. Motorische Einheiten in Verbindung mit ihren dazugehörigen Sektoren haben im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen eine weitaus höhere Wachstumsquote vorzuweisen. Dabei entwickeln sich dank ihrer Macht und Verflechtung „positive Anstoßeffekte und negative Abstoßeffekte“ („Bremseffekte“).[13] Demzufolge sind Wachstumspole Gebiete, an denen sich eine Entwicklungsdynamik entwickelt.[14]

Gunnar Myrdal und Albert O. Hirschman wandten sich hingegen der regionalen Polarisationstheorie zu und entwickelten vier bedeutungsvolle polarisationstheoretische Ansätze.

Zum einen die Existenz von regionalen Disparitäten „der internen Wachstumsdeterminanten“[15], zum anderen die „partielle Immobilität der Wachstumsdeterminanten“[16], welche durch Kommunikationskosten eingeschränkt werden[17] sowie das Dasein einer „interregionalen Abhängigkeit“[18] hinsichtlich des regionalen Wachstums. Als letzten Ansatz sind die Märkte zu nennen, die laut Anhängern der Polarisationstheorie „durch Monopole, Oligopole und Externalitäten geprägt“[19] sind.

III. Historische Entwicklung der Polarisationstheorie

a) Myrdal

Der schwedische Sozialwissenschaftler Gunnar Myrdal ist ein Befürworter der regionalen Polarisationstheorie und der Annahme der „zirkulären Verursachung kumulativer sozio-ökonomischer Prozesse“[20], um das wirtschaftliche Ungleichgewicht zu erklären. Dieser Ansicht widerspricht demnach die deduktiv erarbeitete Gleichgewichtstheorie, die er für realitätsfern hält.[21] Laut Myrdal sind alle Variablen in einer Marktwirtschaft so eng miteinander verbunden, dass sie in einer Abhängigkeit zueinander stehen. Das heißt, dass bei einer positiven oder negativen Veränderung einer einzelnen Variablen (z.B. Einkommen, Nachfrage) auch die anderen verbundenen Variablen dementsprechende Abweichungen mit sich ziehen.[22] Diese Theorie lässt sich anhand eines Beispiels verdeutlichen.

Zunächst sollte festgehalten werden, dass jede Region eine kumulative Entwicklung erfahren kann, wie z.B. eine Neuerrichtung einer Produktionsstätte der Automobilindustrie und kann somit als Zufallsereignis beschrieben werden. Dieses Zufallsereignis bringt eine Reihe von Prozessen mit sich und kann als Kreislauf (Zirkulation) bezeichnet werden. Durch die Errichtung werden viele Arbeitsplätze in der Region frei und die Arbeitslosenquote sinkt. Daraus folgt, dass die Bewohner der Region eine höhere Kaufkraft besitzen und vermehrt Güter nachfragen sowie mehr Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Des Weiteren werden Produktionsfaktoren angeregt, sich in dem Raum der kumulativen Entwicklung niederzulassen, welche wiederum einen Fortschritt herbeiführen. Laut Myrdal kommt es zu einer selektiven Wanderung der Arbeitskräfte, sodass sich hauptsächlich qualifizierte Arbeitskräfte in der Nähe ansiedeln (brain gain). Infolgedessen wird „dem Hinterland Produktionspotential entzogen“[23], dieses Phänomen bezeichnet Myrdal als Entzugseffekte (backwash effects). Entzugseffekte sind nach Myrdals Definition „alle negativen Veränderungen“[24], die vom Zentrum ausgehen und in der Peripherie eine Wachstumsbehinderung verursachen.[25] Aufgrund der hohen Erwerbstätigenquote steigt das Steuereinkommen der Gemeinde. Wenn dies der Fall ist, könnte die Verwaltung die Steuersätze aufgrund des Wachstums senken, um noch attraktiver zu wirken. Die mögliche Steuerentlastung könnte weitere Betriebe inspirieren, sich in der jeweiligen Gemeinde anzusiedeln. Dies würde vermutlich zur Folge haben, dass weitere qualifizierte Arbeitskräfte den Weg in den Bereich suchen. Dadurch wird das Durchschnittseinkommen sowie die Nachfrage der Gemeinde weiter steigen, welches abermals die Steuereinnahmen steigen lässt.

Jedoch lässt sich dieser Kreislauf positiver Veränderungen auch spiegelverkehrt betrachten, sodass jede eben beschriebene Auswirkung auch lückenlos umgekehrt geschehen kann. Dies könnte z.B. durch eine Abwanderung eines Betriebes der Fall sein, somit würde der kumulative Prozess in die entgegengesetzte Richtung verlaufen.[26]

Den oben genannten Entzugseffekten stehen die sogenannten Ausbreitungseffekte (spread effects) gegenüber, die sich positiv auf die hinterlands auswirken und sind dementsprechend „alle positiven Veränderungen“[27], die ein Wachstum im Zentrum auf eine andere Region projizieren. Diese Effekte lassen sich häufig hinsichtlich der Zunahme des technischen Wissens wiederfinden.[28] Jedoch sind die spread effects gemäß Myrdal weitaus weniger ausgeprägt als die backwash effects, welches zur Folge hat, dass die räumliche Differenzierung zwischen aufsteigenden und abnehmenden Regionen weiter zunimmt.[29] Vor allem in Entwicklungsländern sollen die backwash-Effekte überwiegen, sodass sich die örtlichen Ungleichgewichte weiter ausbreiten.[30]

Zusammenfassend lässt sich Myrdals Theorie in zwei Ergebnisse gliedern. Zum einen, dass die Tendenz immer zum Ungleichgewicht tendiert und dass das Wachstum sowie die Entwicklung ebenso ungleich vonstattengeht. Die zweite Schlussfolgerung lautet: “Je ärmer das Land ist, desto ausgeprägter ist das Ungleichgewicht.“[31]

Hinsichtlich der Ausgleichsprozesse der Neoklassiker vertritt Myrdal die Auffassung, dass sich Differenzen nicht – wie von der neoklassischen Theorie behauptet – ausgleichen, sondern verstärken. Dies hat seiner Meinung nach zur Folge, dass bei Veränderung einer Variablen – egal, ob positiv oder negativ -, die abhängigen Variablen in die gleiche Richtung verlaufen.[32] Durch Rückkopplungen wird die Beeinflussung potenziert und führt den „kumulativen Prozess“ herbei. Dieser Prozess vergrößert somit die Differenzen eines Sektors, die national sowie international auftreten können. Auf der anderen Seite ist die Vorwärtskopplung angebotslastiger, sodass ein Angebot weitere Aktivitäten bezüglich der Weiterverarbeitung des speziellen Guts zur Folge haben kann.

Myrdal ist der Meinung, dass nicht alle Rückkopplungen positiver Natur sind, sondern dass es auch negative Rückkopplungen gäbe. Deshalb kommt es laut Myrdal darauf an, ob sich die Entwicklungen verstärken oder verringern wie sich die positiven und negativen Rückkopplungseffekte verhalten bzw. welche überwiegen.[33] Als Beispiel für dieses Prinzip lässt sich das zuvor beschriebene heranziehen. (S. 3 f.)

Inwieweit sich die Ungleichgewichte im Hinblick auf Disparitäten des BIP-Einkommens auswirken, spiegeln die „zentripetalen Entzugseffekte“[34] sowie die „zentrifugalen Ausbreitungseffekte“[35] wider. Für das Prinzip der zirkulären und kumulativen Verursachung dürfen keine Faktoren eingeschränkt sein[36], da sich dies als Basis der Polarisationstheorie herausstellt.

[...]


[1] Schätzl 2001, S. 158

[2] vgl. Novy 2003, S. 17

[3] vgl. Maier 2012a, S. 77

[4] Hirschman 1967, S. 172

[5] vgl. Eckey 2008, S. 120

[6] Maier 2012a, S. 77

[7] Schätzl 2001, S. 159

[8] i. S. v. Branchen

[9] vgl. Schätzl 2011, S. 159

[10] Bathelt 2002/2003, S. 70

[11] Schätzl 2001, S. 159

[12] Schätzl 2001, S. 160

[13] Bathelt 2002/2003, S. 70

[14] vgl. Novy 2003, S. 18

[15] Schätzl 2001, S. 158

[16] Schätzl 2001, S. 158

[17] Buttler 1977, S. 84

[18] Schätzl 2001, S. 158

[19] Maier 2012a, S. 78

[20] Bathelt 2002/2003, S. 71

[21] vgl. Schätzl 2001, S. 161

[22] vgl. Bathelt 2002/2003, S. 71

[23] Krieger-Boden 1995, S. 38

[24] Schätzl 2001, S. 163

[25] vgl. Schätzl 2001, S. 163

[26] vgl. Schätzl 2001, S. 162

[27] Schätzl 2001, S. 163

[28] vgl. Schätzl 2011, S. 163

[29] Krieger-Boden 1995, S. 38

[30] vgl. Wagner 1995, S. 41

[31] vgl. Bathelt 2002/2003, S. 71

[32] vgl. Maier 2012a, S. 80

[33] vgl. Maier 2012a, S. 80-81

[34] Schätzl 2001, S. 163

[35] Schätzl 2001, S. 163

[36] vgl. Schilling-Kaletsch 1976, S. 41

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Polarisationstheorie von A. O. Hirschman und die Weiterentwicklung von P. Krugman
Hochschule
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V288407
ISBN (eBook)
9783656887126
ISBN (Buch)
9783656887133
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Myrdal, Hirschman, Krugman, Polarisationstheorie
Arbeit zitieren
Tobias Steinbach (Autor:in), 2014, Die Polarisationstheorie von A. O. Hirschman und die Weiterentwicklung von P. Krugman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288407

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