Möglichkeiten und Effekte betrieblicher Gesundheitsförderung in der stationären Altenpflege


Diplomarbeit, 2012

54 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einführung

2 Arbeitsbelastungen in der stationären Altenpflege
2.1 Arbeitsbelastungen und deren Ursachen
2.2 Folgen und Auswirkungen der Arbeitsbelastungen

3 Grundlagen betrieblicher Gesundheitsförderung
3.1 Zur Definition von Gesundheit
3.2 Gesundheitsförderung und betriebliche Gesundheitsförderung

4 Betriebliche Gesundheitsförderung in der stationären Altenpflege
4.1 Konzeptuelle Anwendung betrieblicher Gesundheitsförderung in der stationären Altenpflege
4.2 Praxisprojekte betrieblicher Gesundheitsförderung in der stationären Altenpflege
4.3 Weitere Anwendungsmöglichkeiten im betrieblichen Alltag

5 Effekte betrieblicher Gesundheitsförderung
5.1 Reduktion von Arbeitsbelastungen und deren Folgen und Auswirkungen
5.2 Weitere Effekte für Unternehmen und Mitarbeiter

6 Zusammenfassung und Perspektiven
6.1 Effekte und Grenzen betrieblicher Gesundheitsförderung
6.2 Diskussion der Ergebnisse und Ausblick

Literaturverzeichnis

Gesetzesverzeichnis

Anmerkung: Wenn im folgenden Text von Mitarbeitern, Arbeitnehmern etc. die Rede ist, sind damit immer beide Geschlechter gemeint. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf eine durchgehende doppelte Bezeichnung verzichtet.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Mitarbeiter in Pflege und Betreuung nach Berufsgruppen

Abb. 2: Am häufigsten genannte Belastungsfaktoren bedingt durch Arbeitsorganisation (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009, S. 9 ff., ausgewählte Ergebnisse)

Abb. 3: Häufigste Ursachen für Krankheitsfälle in der stationären Altenpflege

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

Gesundheitliche Belastungen bei Pflegekräften, bedingt durch deren berufliche Tätigkeit, sind für Arbeitgeber im Pflegebereich ein wichtiges und ernstzunehmendes Thema. Die Arbeitsanforderungen werden immer höher und somit zu Arbeitsbelastungen. Diese Belastungen führen häufig zu krankheitsbedingten Fehlzeiten und damit zu finanziellem und organisatorischem Mehraufwand, um diese Fehlzeiten zu kompensieren, sowie zu abermals höheren Belastungen für die verbliebenen Mitarbeiter, die Fehlzeiten von erkrankten Mitarbeitern „auffangen“ müssen. In Folge dessen werden auch diese Mitarbeiter irgendwann krank, woraufhin dann wieder andere Mitarbeiter einspringen müssen. Es entsteht quasi ein „Teufelskreis“ der Arbeitsbelastungen. Daraus resultierende Unzufriedenheit und damit verbundene Fluktuation stellt ein weiteres Problem für Pflegeeinrichtungen dar.

Innerhalb der Gesundheits- und Pflegeberufe ist besonders der Arbeitsbereich der stationären Altenpflege durch vielfältige berufsbedingte Gesundheitsbelastungen – sowohl psychischen als auch physischen Ursprungs – gekennzeichnet. Muskel-Skelett-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, Allergien und Infektionen sowie psychische Erkrankungen treten hier häufig auf (vgl. Behr 2005, S. 13 ff.). Außerdem ist die stationäre Altenpflege ein Bereich, der aufgrund der demographischen Entwicklung ein Bereich starken Wachstums und hoher gesellschaftlicher Relevanz ist: In der stationären Altenpflege wurden Ende 2009 717.490 Pflegebedürftige in 11.634 Pflegeeinrichtungen, in denen 621.392 Mitarbeiter beschäftigt sind, gepflegt und betreut (vgl. Statistisches Bundesamt 2011, S. 19 f.). Das entspricht gegenüber 1999 einer Zunahme von 25 % der Pflegebedürftigen und mehr als 30 % der Pflegeeinrichtungen. Eine weitere Zunahme sowohl der Anzahl der Heimbewohner als auch der Schwere ihrer Pflegebedürftigkeit ist zu erwarten (vgl. Hurrelmann / Razum 2012, S. 943 ff.). Dazu kommt der demographische Wandel, einhergehend mit der Befürchtung, dass der zweifellos heute schon vorherrschende Mangel an Pflegefachkräften unabsehbare Ausmaße annehmen wird. Immer weniger neue Pflegekräfte rücken den Berufsaussteigern – gleich ob diese nun in Rente gehen, krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen den Beruf verlassen – nach.

Auf die stationäre Altenpflege kommen somit Herausforderungen zu, die es für die Pflegeeinrichtungen unter anderem dringend erforderlich machen, qualifiziertes Pflegepersonal anwerben und auch möglichst lange in der Einrichtung und im Beruf halten zu können. Hierzu ist es seitens der Pflegeeinrichtungen notwendig, die Gesundheit und die Arbeitszufriedenheit ihres Pflegepersonals zu erhalten und zu fördern. Daher soll die vorliegende Arbeit sich auf die Möglichkeiten der betrieblichen Gesundheitsförderung in der stationären Altenpflege konzentrieren.

Aufgrund der genannten Belastungen und deren Auswirkungen ist ein dringender Handlungsbedarf bei den Leitungskräften der stationären Pflegeeinrichtungen gegeben. Betriebliche Gesundheitsförderung ist eine Möglichkeit des Pflegemanagements, den gesundheitlichen Belastungen von Unternehmensseite aus entgegenzuwirken und diese zu reduzieren, um damit auch die Folgen – sowohl für die Mitarbeiter als auch für das Unternehmen – abzumildern. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Möglichkeiten und die bislang erforschten Effekte der betrieblichen Gesundheitsförderung speziell bezogen auf den Bereich stationäre Altenpflege zu diskutieren und zusammenfassend darzustellen.

Die zentrale Fragestellung dieser Übersichtsarbeit soll daher lauten: „Welche Möglichkeiten der betrieblichen Gesundheitsförderung finden Anwendung in der stationären Altenpflege und können diese den Arbeitsbelastungen und deren Folgen effektiv entgegenwirken?“

Hierzu sollen zunächst die verschiedenen Arbeitsbelastungen – psychischen und physischen Ursprungs sowie Belastungen, auf die beides zutrifft – für die Mitarbeiter in stationären Pflegeeinrichtungen aufgezeigt und deren Entstehungsbedingungen dargestellt werden. Auch der Begriff der „Belastung“ an sich soll kurz geklärt werden. Daran anschließend werden die Folgen und Auswirkungen der Arbeitsbelastungen für die Mitarbeiter und für die Unternehmen anhand von aktuellen Studienergebnissen dargestellt. Im Folgenden werden zuerst die Grundlagen betrieblicher Gesundheitsförderung allgemein vorgestellt und die wichtigsten Begriffe in diesem Zusammenhang definiert. Zudem wird eine Abgrenzung der betrieblichen Gesundheitsförderung zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und zur Prävention vorgenommen.

Im nächsten Teil der Arbeit wird die theoretische Verbreitung und praktische Anwendung der betrieblichen Gesundheitsförderung in der stationären Altenpflege dargestellt. Dabei sollen einige aktuelle bundesweite Projekte, die unter anderem von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Krankenkassen und Berufsverbänden initiiert wurden, ebenso dargestellt werden wie einzelne Elemente der betrieblichen Gesundheitsförderung, die von Unternehmen im betrieblichen Alltag angewandt werden. Zudem wird kurz auf den internationalen Kontext eingegangen. Der Schwerpunkt soll aber hier in der Beschreibung der Praxisprojekte liegen.

Daraufhin folgt eine Darstellung der Ergebnisse der Praxisprojekte, die aufzeigen soll, welche Projekte und Elemente betrieblicher Gesundheitsförderung erfolgreich waren oder sind, und welche Ergebnisse daraus für Mitarbeiter und Unternehmen resultieren. Es soll dargestellt werden, welche Effekte betriebliche Gesundheitsförderung haben kann und auch wo die Grenzen liegen. Mit einer zusammenfassenden Aufarbeitung und Diskussion dieser Ergebnisse und einem Ausblick auf zukünftige Handlungserfordernisse und zukünftige Entwicklungen schließt die Arbeit ab.

2 Arbeitsbelastungen in der stationären Altenpflege

2.1 Arbeitsbelastungen und deren Ursachen

Vorab sei kurz erwähnt, dass in der vorliegenden Arbeit mit „stationären Pflegeeinrichtungen“ die Einrichtungen im Sinne des Sozialgesetzbuchs (SGB) XI, konkret gemäß § 71 Abs. 2 SGB XI, gemeint sind. Ausschließlich darauf sollen sich die weiteren Ausführungen beziehen. Wenn Vergleiche zu anderen Pflegeeinrichtungen gezogen werden, ist dies explizit erwähnt.

Wie bereits erwähnt, gibt es in stationären Pflegeeinrichtungen vielfältige Arbeitsbelastungen, die auf die Mitarbeiter einwirken und als Konsequenz häufig zu Erkrankungen führen. Arbeitsbelastungen entstehen aus Arbeitsanforderungen, die von den Mitarbeitern nicht bewältigt werden können und somit zur Belastung werden (vgl. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2008, S. 14). Dies ist bereits ein Erklärungsansatz zur Bedeutung des Begriffs „Belastung“ im Kontext der Erwerbsarbeit.

Bevor auf die konkreten Belastungen eingegangen werden soll, die im Pflegebereich vorliegen, soll kurz geklärt werden, was Belastung bedeutet und welche weiteren Erklärungsansätze hierzu existieren. Einer dieser Ansätze ist das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept. Darin wird Belastung als die Gesamtheit der auf den Menschen einwirkenden Einflüsse gesehen und Beanspruchung als die Auswirkung der Belastungen auf den einzelnen Menschen je nach seinen individuellen Voraussetzungen. Mit diesem Konzept werden hauptsächlich physische Belastungen erklärt, beispielswiese ist das Gewicht einer Last die Belastung und die Erschöpfung des Trägers ist die Beanspruchung. Für psychische Belastungen bedarf das Konzept einiger Überarbeitung, da diese vielschichtiger und nicht unbedingt messbar sind (vgl. Büssing u.a. 2008, S. 6 ff.).

Zu den psychischen Belastungen existieren mehrere Erklärungsmodelle. Zwei der bekanntesten sollen hier kurz Erwähnung finden, das Job Strain Modell und die Handlungsregulationstheorie. Das Job Strain Modell unterscheidet zwischen einerseits psychischer Belastung in Form von Zeitdruck, großen Arbeitsmengen und unklaren Arbeitsanforderungen und andererseits dem Entscheidungsspielraum, der für Eigenverantwortung und Kontrolle der Arbeitssituation steht. Solange dieser Spielraum gegeben ist, kann auch eine relativ hohe Belastung unbedenklich für den Mitarbeiter sein. Wenn die Belastung jedoch den Entscheidungsspielraum übersteigt und er somit seinen Einfluss auf die Gestaltung der Tätigkeit verliert, ergibt sich daraus für den Mitarbeiter eine stark belastende Tätigkeit, die auch seine Gesundheit negativ beeinflusst (vgl. Büssing u.a. 2008, S. 10 f.).

Nach der Handlungsregulationstheorie wird zwischen psychischen Anforderungen als positive Faktoren und psychischen Belastungen als negative Faktoren von Arbeitsbedingungen unterschieden. Psychische Anforderungen werden hier auch als Regulationserfordernisse bezeichnet und beschreiben positive Aspekte von Arbeitsaufgaben, die den Mitarbeiter zwar fordern, aber auch seine Entwicklung fördern. Psychische Belastungen, hier auch als Regulationshindernisse benannt, sind Störungen der Arbeit, die in der Arbeitsorganisation begründet liegen. Ein Übermaß an Regulationshindernissen führt für den Mitarbeiter zu Stress, Unsicherheit und Überforderung (vgl. Büssing u.a. 2008, S. 12 ff.).

Soweit zu den unterschiedlichen Definitionen und Bedeutungen von Belastungen. Doch welche Arbeitsbelastungen liegen in der stationären Altenpflege konkret vor und welche Ursachen haben sie? Der Grund für Arbeitsbelastungen ist häufig, dass zu viele Arbeitsanforderungen in zu kurzer Zeit bewältigt werden müssen und dadurch eine Überforderung beim Mitarbeiter entsteht.

Arbeitsbelastungen lassen sich zunächst einmal, auf den einzelnen Mitarbeiter bezogen, in physische und psychische Belastungen unterscheiden, wobei allerdings einige Belastungen beiden Arten zugeschrieben werden können. Psychischer Stress und mangelnde Arbeitszufriedenheit zählen zu den häufigsten Belastungsfaktoren in der Pflege (vgl. Robert-Koch-Institut 2004, S. 41). Daher soll zuerst ein Blick auf die psychischen Arbeitsbelastungen geworfen werden.

Psychische Belastungen entstehen schon allein daraus, dass die Arbeit mit alten, kranken, pflegebedürftigen Menschen stattfindet, deren Erkrankungen und Einschränkungen zum Zeitpunkt des Eintritts in die Pflegeeinrichtung bereits im fortgeschrittenen Stadium sind. In den meisten Fällen endet die Pflege mit dem Tod des pflegebedürftigen Menschen, zu dem die Pflegekraft meist eine – wie auch immer geartete – Beziehung aufgebaut hatte. Oftmals existierte diese Beziehung Pflegekraft – Bewohner gerade in stationären Pflegeeinrichtungen über längere Zeit und in hoher Intensität. Daher sind dann die Sterbephase und der Tod eines Bewohners für manche Pflegekraft sehr emotionale Ereignisse, die aber dem regulären Arbeitsablauf meist untergeordnet werden müssen. Dieser quasi tägliche Umgang mit Tod und Sterben und auch die ganz explizite, unmittelbare Sterbebegleitung stellt für Pflegekräfte eine Belastung dar, auch oder gerade weil sie sich dessen teilweise gar nicht bewusst sind (vgl. Behr 2005, S. 29 ff.).

Nicht nur der Tod, auch der Umgang mit Krankheit und Leid, in der Altenpflege in den unterschiedlichsten Ausprägungen zu finden, ist eine Belastung für die Pflegekräfte, auch einhergehend mit dem Gefühl, nicht oder nicht ausreichend helfen zu können, entweder aus organisatorischen oder auch aus medizinischen Gründen heraus. Häufig ist aufgrund von Zeitmangel nicht eine so umfassende Betreuung und Versorgung möglich, wie sie vom Bewohner und auch von der Pflegekraft gewünscht wäre. Täglich sind Pflegekräfte mit den geistigen und körperlichen Abbauprozessen der Bewohner konfrontiert und erleben mit, wie die alten Menschen diese letzte Phase ihres Lebens bewältigen (vgl. Behr 2005, S. 31).

Weitere Quellen hauptsächlich psychischer, aber auch körperlicher Belastungen stellen die Organisation der Pflegearbeit an sich und die Personalausstattung der Einrichtungen dar. Durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen bezüglich der Finanzierung und der personellen Ausstattung von stationären Pflegeeinrichtungen – Stichwort Wirtschaftlichkeitsgebot nach §§ 29 und 72 SGB XI – ist den Unternehmen kein großer personeller Spielraum gegeben. Was die Qualifikation der Mitarbeiter angeht, muss lediglich die in § 5 der das Heimgesetz (HeimG) ergänzenden Heimpersonalverordnung (HeimPersV) festgelegte Fachkraftquote von 50 % erfüllt werden. Die Aufstellung des tatsächlich in stationären Einrichtungen tätigen Personals zeigt jedoch, dass noch nicht einmal das der Fall ist. Eine umfassende und auf die Pflegesituation in stationären Einrichtungen zugeschnittene, verbindliche Regelung zur Personalplanung ist bis heute nicht umgesetzt worden. Der Personalbedarf wird somit über einen Pflegeschlüssel, der von den Einrichtungen im Versorgungsvertrag mit den Kostenträgern vereinbart wird, festgelegt (vgl. König 2010, S. 363).

Dies hat zur Folge, dass viele der in der stationären Altenpflege tätigen Mitarbeiter nur eine unzureichende oder gar keine entsprechende Ausbildung besitzen. So hatten nach Daten des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2009 nur 47,0 % der in Pflege und Betreuung tätigen Mitarbeiter einen Abschluss als Pflegefachkraft (Altenpfleger, Gesundheits- und Krankenpfleger oder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger) vorzuweisen. Weitere 10,8 % der Mitarbeiter hatten einen Abschluss als Pflegehilfskraft (Altenpflegehelfer oder Krankenpflegehelfer) sowie 9,0 % eine Ausbildung in einem anderen pflegerischen Beruf. Schließlich haben fast 17,5 % der Mitarbeiter gar keinen und weitere 15,3 % einen pflegefremden Berufsabschluss (vgl. Statistisches Bundesamt 2011, S. 21). Zur Darstellung der Verteilung der unterschiedlichen Berufsgruppen siehe Abb. 1 auf dieser Seite. Die meisten Pflegeeinrichtungen stellen immer noch einen großen Anteil ungelernter Kräfte ein (vgl. Hurrelmann / Razum 2012, S. 944 f.). Für die Pflegefachkräfte hat dies zur Folge, dass sie oft mit speziellen pflegefachlichen Aufgaben, die von den anderen Mitarbeitern nicht durchgeführt werden können und dürfen, überlastet sind. Auch für die ungelernten Mitarbeiter entstehen Belastungen, weil sie oftmals auf die Anforderungen der Arbeit nur unzureichend oder gar nicht vorbereitet sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Mitarbeiter in Pflege und Betreuung nach Berufsgruppen

(vgl. Statistisches Bundesamt 2011, S. 21, nicht alle Berufsgruppen aufgeführt)

Aus der grundsätzlich bereits nicht zufriedenstellenden Personalsituation heraus entstehende personelle Engpässe müssen von den vorhandenen Mitarbeitern aufgefangen und ausgeglichen werden. Dazu kommen hohe Anforderungen an die Planung und Dokumentation der Pflege sowie verpflichtende und freiwillige Maßnahmen der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements (QM) (vgl. Behr 2005, S. 32 f.). Nach Untersuchungen der BGW fühlen sich 23 % der Pflegekräfte in stationären Einrichtungen überfordert von der zu bewältigenden Arbeitsmenge; zudem fühlen sie sich belastet durch Arbeitsunterbrechungen und Mangel an Informationen und Arbeitsmitteln. (vgl. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2008, S. 13).

Zusätzlich zu diesen Anforderungen werden die Bewohner der Einrichtungen tendenziell immer mehr pflegebedürftig. Durch den in den §§ 3 und 43 SGB XI festgelegten Grundsatz, dass die ambulante pflegerische Versorgung der stationären Versorgung vorzuziehen und so lange wie möglich aufrecht zu erhalten ist, verbleiben viele Pflegebedürftige lange in der Häuslichkeit und werden dort von ambulanten Pflegediensten oder Angehörigen versorgt. Dies hat zur Folge, dass die Pflegebedürftigen häufig erst dann in die stationäre Pflegeeinrichtung ziehen, wenn gar keine andere Versorgung mehr möglich ist und eine schwere Pflegebedürftigkeit und / oder ein starker geistiger Abbau vorliegen.

Auch aufgrund der hohen Pflegebedürftigkeit der Bewohner, die häufig keine Entsprechung in der Personalausstattung hat, findet das Arbeiten häufig unter Zeitdruck statt und stellt somit eine Belastung für die Mitarbeiter dar. 42 % der von der BGW befragten Pflegekräfte gaben an, unter hohem Zeitdruck bei der Arbeit zu leiden (vgl. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2008, S. 14). Zudem wirkt auch die Lage und Gestaltung der Arbeitszeit belastend auf die Mitarbeiter ein. Das Schichtsystem und das Erfordernis, ständig „rund um die Uhr“ Pflege leisten zu müssen, schränkt die Ruhe- und Erholungszeiten der Mitarbeiter ein und durch die Schichtarbeit muss der Körper sich an unregelmäßige Arbeits- und Ruhezeiten anpassen (vgl. Behr 2005, S. 32 f.). Somit handelt es sich hier zugleich um eine psychische und um eine physische Belastung.

Weitere Daten, vor allem zu Belastungen durch (mangelnde) Arbeitsorganisation liefert die Umfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), die dieser von Oktober 2008 bis Februar 2009 durchführte und in der 3.048 Mitarbeiter aus Gesundheitseinrichtungen zu ihrer Arbeitssituation befragt wurden (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009, S. 5). Von den Teilnehmern der Umfrage arbeiteten 595 Personen oder 19,3 % in stationären Pflegeeinrichtungen. Da die Auswertung der Daten für die einzelnen Gruppen - Krankenhaus, stationäre Pflege, ambulante Pflege - auch getrennt vorgenommen wurde, kann hier gezielt ein Blick auf die Situation in der stationären Pflege geworfen werden. Daher werden im Folgenden zunächst auch nur die Ergebnisse aus diesem Bereich wiedergegeben.

Im Bereich der stationären Altenpflege gaben 81,8 % der Befragten an, dass sie die Personalausstattung an ihrem Arbeitsplatz für nicht angemessen halten. 87,8 % der Befragten berichten, dass sie häufig zu pflegefremden Tätigkeiten wie Essen verteilen herangezogen werden und 24,5 % der Teilnehmer fühlen sich für die ihnen übertragenen Aufgaben nicht ausreichend qualifiziert. Weiterhin fühlen sich 63,9 % durch unzureichende oder verspätete Informationen und 55,8 % durch widersprüchliche Arbeitsanforderungen belastet. Mehr als die Hälfte der Befragten im Bereich stationäre Altenpflege berichteten, nie oder weniger als einmal im Monat eine vollständige Pause im Dienst machen zu können (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009, S. 9 ff.). Für eine übersichtliche Darstellung der am häufigsten genannten Belastungen siehe Abb. 2 auf der Folgeseite. Bezeichnend ist, dass aufgrund der Belastungen 65 % der Befragten ihnen nahestehende Personen nicht in ihrem Arbeitsbereich versorgen lassen würden (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009, S. 10).

Verglichen mit den Ergebnissen der Befragung im Krankenhaus und in der ambulanten Pflege ist festzuhalten, dass im Durchschnitt die Belastungen im Krankenhaus etwas höher und in der ambulanten Pflege etwas geringer eingeschätzt wurden (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009, S. 9 ff.)

Zusätzlich zu den psychischen Belastungen sind hohe körperliche Belastungen generell beim Arbeiten in der Pflege gegeben. Auch wenn Pflegehilfsmittel optimal eingesetzt werden, sind die Pflegekräfte bei ihrer täglichen Arbeit in hohem Maße auf den Einsatz ihrer Körperkraft angewiesen. Ungünstige Körperhaltungen beim Arbeiten und schweres Heben und Tragen prägen den Arbeitsalltag. Weitere körperliche Belastungen sind zudem der Umgang mit Reinigungs- und Desinfektionsmitteln sowie mit infektiösem Material (vgl. Menche u.a. 2007, S. 235).

Abb. 2: Am häufigsten genannte Belastungsfaktoren bedingt durch Arbeitsorganisation (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009, S. 9 ff., ausgewählte Ergebnisse)

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat zur Untersuchung der Belastungen und Gesundheitsgefährdungen in stationären Pflegeeinrichtungen das Projekt „Belastungsanalyse und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung in der Altenpflege (BELUGA)“ initiiert, das im September 2004 gestartet ist. Das Projekt sollte die Situation der Pflegekräfte und der Einrichtungen untersuchen und darstellen, einen Vergleich zu den anderen Arbeitsbereichen in der Pflege – stationäre Krankenpflege und ambulante Pflege – ziehen und schließlich Empfehlungen für eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung in der stationären Altenpflege geben (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2008, S. 14 ff.). Um verlässliche Daten zu erhalten, wurden 1.848 Mitarbeiter von 111 Pflegeeinrichtungen in Bayern zu ihren Arbeitsbedingungen befragt (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2008, S. 21). Die Befragung erfolgte durch einen Fragebogen, der nach einem selbst entwickelten Screeningverfahren erstellt wurde (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2008, S. 24 ff.). Die Analyse der Ergebnisse der BELUGA-Studie wurde für psychische und physische Belastungen dargestellt. Die am häufigsten genannten physischen Belastungen waren das Heben, Tragen und Lagern von Bewohnern sowie Verletzungs-, Infektions- und Erkrankungsrisiken. An psychischen Belastungen wurden am häufigsten Arbeitsunterbrechungen – durch Kollegen, Bewohner oder sonstige Faktoren – sowie Zeitdruck genannt. Weitere psychische Belastungen stellten Probleme mit Kollegen oder Bewohnern, Informationsprobleme und ungünstige Arbeitsumgebungen dar (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2008, S. 58 ff.).

Im Gegensatz zu anderen Studien wurde in der BELUGA-Studie auch ein Vergleich der Arbeitsbelastungen bei Pflegeeinrichtungen unterschiedlicher Träger vorgenommen. Dabei ergab sich, dass die Belastungen bei Einrichtungen öffentlicher Träger am höchsten und bei freigemeinnützigen Trägern am geringsten ausfielen. In den Einrichtungen in privater Trägerschaft lagen die Belastungen im Mittelfeld (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2008, S. 91 f.).

Außerdem wurde, wie schon erwähnt, ein Vergleich der Arbeitsbelastungen in der stationären Altenpflege mit den Arbeitsbelastungen in der stationären Krankenpflege und der ambulanten Pflege gezogen. Die Daten hierzu stammten aus Untersuchungen, die bereits zuvor von der BAuA durchgeführt worden waren. Dabei ergab sich, dass die psychischen Belastungen von den Beschäftigten im Krankenhaus überwiegend höher eingeschätzt wurden als in der stationären Altenpflege, in der ambulanten Pflege dafür durchgängig geringer. Jedoch wurde die physische Belastung, vor allem was das Heben und Tragen und die Arbeitsumgebung angeht, in der ambulanten Pflege höher eingeschätzt, was darauf zurückgeführt wird, dass im Allgemeinen stationäre Pflegeeinrichtungen über geeignetere räumliche Voraussetzungen verfügen als Privathaushalte (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2008, S. 99 ff.).

Auch international wurden Ergebnisse über Belastungen in der Pflege gewonnen, die hier kurz erwähnt und den deutschen Ergebnissen gegenübergestellt werden sollen. Vom International Council of Nurses (ICN) wurden im Rahmen des Projekts „Arbeitsplatz Pflege: Mit Qualität arbeiten = Mit Qualität pflegen“ Arbeitsbelastungen von Pflegekräften weltweit erfasst. Die dort zusammengetragenen Fakten machen deutlich, dass von einem weltweiten Pflegenotstand zu sprechen ist und dass dieser zu einem großen Teil in (zu) schlechten Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte begründet liegt (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2007, S. 4 ff.).

Eine besonders dramatische Situation wurde in den Entwicklungsländern festgestellt. Dort herrscht ein hoher Mangel an Pflegekräften, da die Arbeitsbedingungen so schlecht sind, dass die Pflegekräfte in andere, reichere Länder abwandern. Als Gesundheitsbelastungen von Pflegekräften werden hier hauptsächlich genannt Stress durch Überlastung, lange Dienstzeiten, schlechter beruflicher Status, Konflikte und Gefährdungen am Arbeitsplatz (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2007, S. 5). Das zeigt, dass jedoch auch in anderen Ländern, sogar in den Entwicklungsländern, die hauptsächlichen Probleme und Belastungen im Pflegeberuf mit denjenigen in Deutschland vergleichbar sind, auch wenn die Ausprägungen der einzelnen Faktoren unterschiedlich gewichtet sind.

Natürlich gibt es in bestimmten Regionen, vor allem in den Entwicklungsländern, darüber hinaus Belastungen und Gefährdungen ganz anderer Natur. Hierzu zählen beispielsweise Gefährdungen des Pflegepersonals durch grundsätzlich fehlende medizinisch-pflegerische Infrastruktur und damit schlechte Arbeitssicherheit, mangelnde Hygiene und erhöhtes Infektionsrisiko. (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2007, S. 12 ff.). Zudem werden die – überwiegend weiblichen – Pflegekräfte in einigen Ländern diskriminiert, ihre Arbeit als „Frauenarbeit“ abgewertet (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2007, S. 27).

2.2 Folgen und Auswirkungen der Arbeitsbelastungen

Welche Folgen haben nun Arbeitsbelastungen – zunächst ganz allgemein gesehen – für die Mitarbeiter und für die Unternehmen? Hierzu gab es bereits diverse gesundheitswissenschaftliche Untersuchungen. Aus den Arbeitsbelastungen ergeben sich – auf die gesamte Arbeitswelt, nicht nur auf den Pflegebereich bezogen – aktuell zwei große Problematiken: Präsentismus und unausgewogene Work-Life-Balance (vgl. Hurrelmann / Razum 2012, S. 560):

Unter Präsentismus versteht man dem Begriff nach das Gegenteil von Absentismus, womit die (krankheitsbedingte) Abwesenheit von der Arbeit gemeint ist. Somit bedeutet Präsentismus, dass Mitarbeiter trotz Krankheit arbeiten gehen, auch wenn sie sich eigentlich nicht dazu in der Lage fühlen, teilweise auch gegen ärztlichen Rat. Als Gründe dafür werden vor allem hohes Pflichtbewusstsein sowie Rücksicht auf Kollegen genannt, erst zweitrangig die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Präsentismus ist vor allen bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen anzutreffen, als Ursachen dafür wird die schlechte Personalsituation bei hoher Arbeitsdichte, die Hilfebedürftigkeit der Patienten und ein übersteigerter Berufsethos gesehen. Gerade im Gesundheitswesen gefährden Mitarbeiter durch Präsentismus sowohl sich selbst als auch ihre Kollegen sowie die Patienten, beispielsweise wenn sie auch mit infektiösen Erkrankungen ihrer Arbeit nachgehen (vgl. Hurrelmann / Razum 2012, S. 560 ff.).

Die Work-Life-Balance beschreibt das Zusammenwirken von Berufsleben und Privatleben und das Verhältnis dieser beiden Bereiche zueinander. Dabei geht der Begriff ursprünglich von einer strikten Trennung von Arbeit und Privatleben aus, die im heutigen Arbeitsleben aber so gar nicht mehr möglich ist. Daher wird heute mehr von Life-Balance gesprochen, einem Gleichgewicht zwischen beiden Lebensbereichen mit dem Ziel des persönlichen Wohlbefindens. Dieses Gleichgewicht wird jedoch häufig durch hohen Arbeitsdruck, Stress und lange Arbeitszeiten gestört und das Privatleben kommt zu kurz. Es fällt oft schwer, Abstand zum Beruflichen zu finden. Die Folgen sind Leistungsverlust und Gesundheitsstörungen, vor allem im psychischen Bereich (vgl. Hurrelmann / Razum 2012, S. 564 ff.).

Die Auswirkungen dieser Probleme für die Unternehmen sind zunächst vor allem das Ansteigen betrieblicher Krankenstände, die organisatorisch ausgeglichen werden müssen, verbunden mit dem Anstieg der Krankheitskosten. Diese setzten sich zusammen aus Lohnfortzahlung sowie Einarbeitung und Entlohnung von Krankheitsvertretungen. Zudem leidet durch hohe Krankenstände die Motivation der verbliebenen Mitarbeiter und damit langfristig auch die Personal- und Organisationsentwicklung im Unternehmen (vgl. Behr 2005, S. 16 f.).

Soweit die übergeordneten Problemstellungen. Im Folgenden soll nun ein genauerer Blick auf die stationäre Altenpflege geworfen werden. Analog zu den Arbeitsbelastungen kann auch bei den Folgen der Arbeitsbelastungen grob zwischen physischen und psychischen Folgen unterschieden werden. Dabei nehmen psychische Erkrankungen einen großen Stellenwert ein. Bereits im Jahr 2001 zeigte eine Untersuchung der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), dass in der Alten- und Krankenpflege die Pflegekräfte vermehrt psychisch erkranken (vgl. Behr 2005, S. 14 f.). Der Krankenstand in den Pflegeberufen ist auch insgesamt deutlich höher als im Durchschnitt aller Berufsgruppen, vor allem was die Erkrankungen des Bewegungssystems und psychische Erkrankungen betrifft (vgl. Robert-Koch-Institut 2004, S. 41).

Besonders die stationäre Altenpflege ist „Spitzenreiter“, was Krankenstände und Berufskrankheiten angeht. Der Gesundheitszustand der Pflegekräfte in der stationären Altenpflege ist im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung deutlich schlechter (vgl. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2008, S. 7 ff.). Nach Untersuchungen der AOK melden sich fast 60 % der Pflegekräfte mindestens einmal im Jahr krank, im Durchschnitt war jeder Mitarbeiter 21,3 Tage pro jahr krankgeschrieben und die Arbeitsunfähigkeit hatte im Durchschnitt eine Dauer von 14,1 Tagen am Stück. Diese Werte liegen deutlich über dem Durchschnitt aller Branchen in Deutschland (vgl. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2008, S. 13).

Der Anstieg der Häufigkeit psychischer Erkrankungen ist auch im gesamten Arbeitsmarkt zu beobachten. Nach Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, Atemwegserkrankungen sowie Verletzungen / Vergiftungen stehen die psychischen Erkrankungen an vierter Stelle der Ursachen für Arbeitsunfähigkeit und nehmen in der Häufigkeit am stärksten zu (vgl. Schneider 2011, S. 64 ff.). In den Pflegeberufen stehen die psychischen Belastungen sogar an dritter Stelle (vgl. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2008, S. 13). Zur den häufigsten Ursachen für Krankheitsfälle in der stationären Altenpflege siehe die Abb. 3 auf der nächsten Seite.

Gründe für die Zunahme vor allem psychischer Erkrankungen sind hohe Arbeitsdichte, komplexere Arbeitsanforderungen, steigende Arbeitsgeschwindigkeit sowie mangelnde Arbeitsplatzsicherheit (vgl. Schneider 2011, S. 64 ff.). Dies alles sind Faktoren, die auch auf den Bereich der stationären Altenpflege übertragen werden können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Häufigste Ursachen für Krankheitsfälle in der stationären Altenpflege

(vgl. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2008, S. 13)

Eine weitere bedeutsame Auswirkung der Arbeitsbelastungen ist die hohe Fluktuation im Pflegebereich. Hierdurch gehen den Pflegeeinrichtungen häufig qualifizierte Mitarbeiter verloren, die oft auch nicht in angemessener Zeit wieder ersetzt werden können. Es kommt zu Problemen im Personalbereich und es entstehen Kosten durch Auswahl und Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Bei der Fluktuation ist zu unterscheiden zwischen Pflegekräften, die „nur“ die Pflegeeinrichtung wechseln wollen, und Pflegekräften, die ganz aus dem Pflegeberuf ausscheiden wollen (vgl. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2008, S. 12)

Zur Fluktuation wurden in der Langzeitstudie „Nurses‘ Early Exit Study“ (NEXT-Studie) umfangreiche Ergebnisse gewonnen. Die NEXT-Studie wurde von Februar 2002 bis Juni 2005 in 10 europäischen Ländern durchgeführt. An der Studie nahmen 39.898 Pflegekräfte aus 585 Pflegeeinrichtungen, davon 75 deutsche Pflegeeinrichtungen, teil (vgl. Hasselhorn u.a. 2007, S. 9). Das Ziel der NEXT-Studie war es, die Ursachen und Folgen der hohen Fluktuation und des frühzeitigen Berufsausstiegs in den Pflegeberufen zu untersuchen. Hierzu wurden die Arbeitssituationen in den Pflegeberufen in diesen Ländern dargestellt und zu verglichen sowie versucht herauszufinden, welche Faktoren sich positiv oder negativ auf das Arbeiten in der Pflege auswirken (vgl. Hasselhorn u.a. 2007, S. 11).

Was die psychischen Belastungen angeht, wurde in der NEXT-Studie ein besonderes Augenmerk auf die – mittlerweile auch durch die Medien und prominente Betroffene nahezu allgegenwärtig erscheinende – Symptomatik des Burnout gelegt. Burnout wird hier in Anlehnung an die Burnout-Forscherin Christina Maslach definiert als „ein Zustand emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und dem Gefühl der Inkompetenz“. (Hasselhorn u.a. 2007, S. 57) Burnout tritt häufig in Arbeitsbereichen auf, die durch ein hohes Maß an Interaktion mit anderen Menschen charakterisiert sind. Im Pflegeberuf ist nicht nur eine ständige Interaktion gegeben, vielmehr findet diese Interaktion auch mit kranken, leidenden, häufig auch psychisch veränderten Menschen statt. Somit wäre ein hohes Risiko für Burnout gegeben (vgl. Hasselhorn u.a. 2007, S. 57).

Die Auswertung der NEXT-Studie ergab dann auch, dass die Gefährdung für Burnout in den Pflegeberufen deutlich höher lag als bei vergleichbaren Befragungen in der Gesamtbevölkerung. Bei Pflegekräften mit einer hohen Burnout-Gefährdung konnte ebenso eine hohe Bereitschaft nachgewiesen werden, den Beruf zu verlassen. Dabei lag die Gefährdung für Burnout in stationären Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern am höchsten, in der ambulanten Pflege etwas niedriger. Im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern liegen die Werte für Deutschland hier im Mittelfeld (vgl. Hasselhorn u.a. 2007, S. 58 ff.).

Was die körperlichen Belastungen angeht, wurden auch hier als häufigste Belastungen das Lagern, Heben und Tragen von Bewohnern, häufiges und wiederholtes Bücken sowie Arbeiten in unbequemen Körperhaltungen und häufiges Stehen während der Schicht. Rund die Hälfte der befragten Pflegekräfte war mit den körperlichen Arbeitsbedingungen unzufrieden oder sehr unzufrieden. Über 80 % der examinierten Pflegekräfte in Deutschland und weiteren Ländern gaben an, dass ihre Arbeit körperlich anstrengend sei. Viele dieser Pflegekräfte fühlten sich körperlich häufig erschöpft und schätzten ihre Gesundheit als nur mittelmäßig oder gar schlecht ein. Die Pflegekräfte, die hier die höchsten Belastungen angaben, dachten auch häufig daran, den Beruf zu verlassen. Im europäischen Vergleich lag Deutschland bei den körperlichen Belastungen im oberen Bereich. In den Niederlanden oder in Frankreich schätzten die Befragten ihre Arbeit als deutlich weniger belastend ein (vgl. Hasselhorn u.a. 2007, S. 102 ff.).

Insgesamt dachten 18,4 % der befragten Pflegekräfte in Deutschland „oft“ – in der NEXT-Studie definiert als „mehrmals monatlich oder mehr“ – daran, den Pflegeberuf aufzugeben. Dieser Wert liegt wiederum im Mittelfeld der teilnehmenden europäischen Staaten, so erwogen beispielsweise in Großbritannien 36,2 % der Befragten oft einen Berufsausstieg, in den Niederlanden dagegen nur 8,8 % (vgl. Hasselhorn u.a. 2007, S. 124 ff.). Die Studie zeigte, dass in den Ländern, in denen die Arbeitsbedingungen am besten und die Belastungen am niedrigsten eingeschätzt wurden, auch der Wunsch nach einem Berufsausstieg am geringsten war (vgl. Hasselhorn u.a. 2007, S. 133).

Soviel zu den Ergebnissen der NEXT-Studie. In der Studie wurden viele weitere Faktoren zum Berufsausstieg bei Pflegekräften untersucht, die aber im Kontext dieser Arbeit nicht weiter betrachtet werden sollen. Daher soll hier nur eine Darstellung der Ergebnisse vorgenommen werden, die relevant in Bezug auf Arbeitsbelastungen und deren Auswirkungen sind.

Der frühe Berufsausstieg wurde auch in der bereits genannten Befragung des DBfK 2008/2009 untersucht. Hier dachten gar 32,6 % der Befragten häufig bis oft - dies wurde als mehrfach monatlich bis täglich definiert - daran, den Arbeitsplatz oder auch den Beruf an sich aufzugeben und in an anderes Berufsfeld zu wechseln. (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009, S. 9 ff.). Dies ist ein dramatischer Anstieg im Vergleich zur wenige Jahre zuvor durchgeführten NEXT-Studie. Die Befragten gaben zudem an, im vergangenen Jahr vor der Befragung im Schnitt sechsmal krank gearbeitet zu haben – Stichwort Präsentismus (vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009, S. 14).

Diese Ergebnisse zeigen, dass die Arbeitsbelastungen in der stationären Altenpflege in Deutschland ein hohes Ausmaß annehmen und dass somit ein hoher Handlungsbedarf besteht, diesen Belastungen und ihren Auswirkungen entgegenzuwirken.

[...]

Ende der Leseprobe aus 54 Seiten

Details

Titel
Möglichkeiten und Effekte betrieblicher Gesundheitsförderung in der stationären Altenpflege
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule
Note
1,8
Autor
Jahr
2012
Seiten
54
Katalognummer
V287997
ISBN (eBook)
9783656882220
ISBN (Buch)
9783656882237
Dateigröße
605 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
möglichkeiten, effekte, gesundheitsförderung, altenpflege
Arbeit zitieren
Benjamin Böhme (Autor:in), 2012, Möglichkeiten und Effekte betrieblicher Gesundheitsförderung in der stationären Altenpflege, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/287997

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