Variable teuflische Lustschlösser. Franz Schuberts erste vollendete Oper auf der Bühne – am Ende des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert


Essay, 2015

11 Seiten


Leseprobe


Variable teuflische Lustschlösser

Franz Schuberts erste vollendete Oper auf der Bühne –

am Ende des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert

Lange war es dunkel um Franz Schuberts Opern auf dem Theater.

Erst das Regietheater in der Person von Ruth Berghaus brach bei den Wiener Festwochen eine Lanze für den Musikdramatiker.

So traten auch bei Aufführungen von Opern Franz Schuberts im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts der szenischen Vorschriften des Komponisten und seiner Librettisten das Bemühen, ausgesprochene und uneingestandene Intentionen des Tonsetzers, seine Rezeption und Umwelt mit modernen bzw. postmodernen Theatermitteln szenisch zu realisieren.

Das postmoderne, multimediale Theater hat die Einheit des Subjekts aufgelöst. Es setzte auf eine Dissoziation des Realen und akzeptierte ganz bewusst Dissens und partielle Wahrnehmung, wie auch die Auflösung der Grenzen zwischen Realität und Simulation.

So auch bereits ansatzweise bei der späten szenischen Uraufführung der Oper „Des Teufels Lustschloss“ in Potsdam.

Szenische Uraufführung in der DDR

Hanno Meyer fasste die Intentionen der Uraufführung aus Anlass des 150. Todestages Franz Schuberts im Sender Potsdam zusammen:

„Dramaturg Hans Dieter Arnold strafft den Text, ordnete Handlung und Sprache ein wenig, gab dem Schluss einen schärferen Akzent und verhalf so dem Werk des 17 jährigen Schubert zum Bühnenleben.“[1]

Seine Inszenierungsintention hatte Regisseur Wilfried Serauky, wie folgt, formuliert:

„Der Zauber hat ‚natürlichen’ Ursprung. Mit diesem Trick bedient Kotzebue einerseits das Zauber-Schaubedürfnis seines Publikums, vermag aber andererseits seine Moralvorstellungen miteinem kleinen Schuss Gesellschaftskritik zu artikulieren. Eine Liebe wird der Prüfung ausgesetzt und bestanden. Aber diese Prüfung erweist sich eher als Rache: weil das junge aristokratische Ehepaar sich andersartigen Heiratsplanen eines vergnatzten Onkels widersetzt, rächt er sich in Form einer Liebesprobe. Bis zur Mord- und Todesandrohungzitiert er {und Kotzebue) schon nacheinander die

Iandläufigen Schauersymbole: Ruinenspuk, Grabmal, Kampfe mit Statuen, Geister, Versenkungen, Verführungsversuche in Tropfsteinhöhlen, Henkermystik und Proben mit Wasser und sonstigen Elementen. Schließlich der Auftritt des Onkels höchstpersönlich, der das sich immer noch liebende Paar in seine versöhnende Arme schließen will. Kotzebue hatte das Publikum mit Schauerromantik gesättigt, nun ließ er noch eheliche Treue und Klassenharmonie triumphieren. Unbelastet solcher historischen Zugeständnisse erteilen die hart geprüften Eheleute dem diabolus-Onkel ex machina in unserer Inszenierung die gehörige Abfuhr. Er bleibt ais Verlierer auf der Strecke, die Veranstaltungen seiner Hassgefühle haben sich gegen ihn gekehrt, er hat sich (zeitgemäß ausgedrückt) selbst disqualifiziert. Nicht nur das: seine Angestellten jubeln dem jungen Paar fasziniert zu. Das junge Paar, das bereits zu Beginn des Stückes mehrere verbale Bekundungen inniger Liebe von sich gibt, wird für den jungen Schubert zum Anlass, seine idealen Vorstellungen von Liebe, die sich erst in der Gefahr echt bewähren kann, über Kotzebue hinaus vertiefend zu gestalten.

Gerade in der Konfrontation von Liebe und deren Gefährdung, sowie in den zahlreichen Schauerstimmungen beweist sich Schubert als Musikdramatiker, der es meisterhaft versteht, Situationen und Drehpunkte der Handlung mit musikalischen Mitteln überzeugend umzusetzen.“[2]

Wie dies realisiert wurde, ist der Rezension von Klaus Klingbeil in der Berliner Zeitung zu entnehmen:

„Dann fährt der Inszenator des ‚Spuks’ in einem Rollstuhl aus der Wurzel des Zauberbaums heraus: Graf von Schwarzburg hat seine Nichte und ihren unwillkommenen Mann prüfen wollen. Bei Kotzebue war nun, da sie den Test bestehen, eitel Sonnenschein. Die Potsdamer aber [...] zeigen den Grafen als den Teufel in Menschengestalt, von dem sich alle abwenden. Auch das geht auf.“[3]

Doch der Berliner Dramaturg Manfred Haedler kritisierte in seiner Rezension in „Der Morgen“, (22. 3. 1978), dass die Inszenierung „von vorn herein klar“ mache, „dass wir es hier mit einem falschen, mit einem Theaterzauber zu tun haben. Dadurch aber wird Schuberts so ehrlich empfundener Musik und den Seelennöten der Helden der reale Boden entzogen., werden ungewollt die hier auftretenden Menschen als beschränkte Dummköpfe denunziert.“[4]

Betrachten wir heute, im Abstand von 35 Jahren, die Schwarzweißfotos dieser Inszenierung, so gemahnen die Szenenfotos eher an eine Oper von Lortzing. Biedermeierliches herrscht vor.

Wolfgang Buschmann fasste in der Zeitschrift Musik und Gesellschaft seine Eindrücke zusammen:

„Die Inszenierung Seraukys war auf Bewegung eingestellt; sie entfaltete sich in den ersten beiden Akten farbig und graziös und ließ nur im letzten Akt analog zur Musik an dynamischer Intensität etwas nach. Ein phantasievoll ausgestattetes, durch Lichteffekte den engen Bühnenraum optisch erweiterndes Bühnenbild (Jürgen Heidenreich) und geschmackvolle Kostüme im biedermeierlichen Charakter der Zeit (Irene Dietrich) unterstützten diese Konzeption wirkungsvoll.“[5]

Das postmoderne, multimediale Theater löste die Einheit des Subjekts auf. Es setzte auf eine

Das so genannte Regietheater förderte die Ambiguität.

Heterogenität und Diskontinuität traten anstelle kontinuierlicher Erzählweisen.

Und die postmoderne Theaterästhetik setzte auf eine Pluralität der Wirklichkeiten, wobei zusehends auch Gestaltungsmittel der performativen Künste Einzug auf die Bühne hielten. Regiekonzeptionen wurden und werden bestimmt von Intertextualität, Intermedialität, Assoziationsketten und Polysemantik.[6]

Der szenischen Uraufführung am 17. März 1878 im Hans-Otto-Theater in Potsdam (DDR) folgten Open Air-Produktionen 1990 in Graz (Musikalische Leitung: Jean-Philippe Rouchon, Regie: Eberhard Harnoncourt), und 1994 bei den Schlossfestspielen Zwingenberg (Musikalische Leitung: Guido Johannes Rumstadt, Regie: Ludger M. Engels). Harnoncourt, der früh verstorbene Sohn des Dirigenten setzte bei seiner Inszenierung ganz auf die von Schubert ausgesparte Ironie.

Und auch die Bühnenproduktion am Opernhaus Zürich unter der musikalischen Leitung seines Vaters Nikolaus Harnoncourt, im Jahre 1995 betonte in der Regie von Marc-Arturo Marelli die Komik der Spielvorlage.

Einzigen intertextuellen Bezug bot offenbar die Rolle des Onkels, der manche Kritiker von der Maske her an den gestrengen Zensor Metternich, andere an Franz Schubert selbst erinnerte.

Hatte es um Schuberts Opern auf dem Theater lange Zeit trübe ausgesehen, so doch keineswegs um „Schwammerl“ selbst auf der Bühne, denn kein anderer Komponist ist so oft ins bewegte Bild gesetzt, filmisch gefasst worden, wie Franz Schubert.[7] Dem Tonfilm vorausgegangen, war im Jahre 1916 das Generationen prägende Bild des verliebten Schubert in Heinrich Bertés Operette „Dreimäderlhauses“.

Offensichtlich wurde gleichzeitig kaum ein Komponist im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit so stark verfälscht, wie gerade der am 31. Januar 1797 geborene Wiener Tonsetzer.

Erst jüngere Filme, wie „Notturno“ (Deutschland/Österreich/Schweiz 1988) und „The double Life of Franz Schubert“ (Großbritannien 1997) rückten auch die Krankheit Franz Schuberts ins Bild – die Syphilis und ihre Folgen, wie den Verlust seines Haupthaars, wochenlange Spitalsaufenthalte und seine Leiden in Heilanstalten.

Schubert in die Figur seines Helden Oswald projiziert, schien auch uns, dem Ausstatter Robert Pflanz und mir als Regisseur, der naheliegendste Weg zu einer Umsetzung.

Peter Ruzicka, der die Grazer und die Züricher Aufführung erlebt hat und der Schuberts Partitur sehr schätzt, riet mir dringend, eine radikale Bearbeitung vorzunehmen um Schuberts wertvolle Musik zu retten, ihr szenisch gerecht werden zu können.

Der Kampf gegen die Väter, welche den Jugendlichen bevormunden wollen – im Mythos häufig der stellvertretende Oheim (und in Kotzebues Libretto Luitgardes Oheim Graf von Schwarzburg) – findet nicht nur in Schuberts Liedern „Der Vatermörder“ und „Der Erlkönig“ seinen Niederschlag, sondern auch in der Oper: der Komponist nimmt dem fatalen Oheim den Odem des Gesangs, er gönnt ihm nicht einmal die bei Kotzebue vorgeschriebene „liebliche Musik [...] in der Ferne“[8] zu seinem Auftritt.

[...]


[1] Hanno Meyer, Radio DDR, Sender Potsdam,18. März 1978. Abschrift im Archiv des Hans-Otto-Theaters Potsdam.

[2] Wilfried Serauky, in: Wolfgang Lange: Beginn einer gründlichen Revision? Zur Uraufführung „Des Teufels Lustschloss“ von Franz Schubert im Hans-Otto-Theater Potsdam. In: Theater der Zeit, Berlin 1978, Heft 5, S. 15.

[3] Klaus Klingbeil: „Freischütz“ oder „Zauberflöte“? Schuberts „Des Teufels Lustschloss“ in Potsdam. In: Berliner Zeitung, Berlin, 14. 4. 1978, S. 6.

[4] Manfred Haedler: Das doppelte Missverständnis. Schuberts „Des Teufels Lustschloss“ in Potsdam uraufgeführt. In: Der Morgen, Berlin, 22. 3. 1978.

[5] Wolfgang Buschmann: Potsdam: „Des Teufels Lustschloss“ von Franz Schubert erstmals in Szene umgesetzt. In: Musik und Gesellschaft, Berlin 1978, Heft 7. Abschrift im Archiv des Hans-Otto-Theaters Potsdam.

[6] Vgl. hierzu Alfonso de Toro: Die Wege des zeitgenössischen Theaters – Zu einem postmodernen Multimediatheater, oder: Das Ende des mimetisch-referentiellen Theaters? In: Forum Modernes Theater, Bd. 10, Tübingen 1995, S. 135 ff. Und zu radikalen Neuansätzen bei Wagner-Interpretationen: Susanne Vill: Wagners „Ring des Nibelungen“ in postmodernen Perspektiven um die Jahrtausendwende. In: Isolde Schmid-Reiter (Hg.): Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“. Europäische Traditionen und Paradigmen. Regensburg 2010.

[7] Vgl.: Friederike Jary-Janecka: Franz Schubert am Theater und im Film. Anif/Salzburg 2000.

[8] Kotzebue, a. a. O., S. 173.

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Details

Titel
Variable teuflische Lustschlösser. Franz Schuberts erste vollendete Oper auf der Bühne – am Ende des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert
Autor
Jahr
2015
Seiten
11
Katalognummer
V287762
ISBN (eBook)
9783656881223
ISBN (Buch)
9783656881230
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
variable, lustschlösser, franz, schuberts, oper, bühne, ende, jahrhunderts, jahrhundert
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Peter P. Pachl (Autor:in), 2015, Variable teuflische Lustschlösser. Franz Schuberts erste vollendete Oper auf der Bühne – am Ende des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/287762

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