Frauendarstellungen im Prosawerk Erich Kästners


Term Paper (Advanced seminar), 1999

31 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

1. Erich Kästners Position in Politik und Pädagogik
1.1 Gesellschaft und Schreibmotivation
1.2. Kästners zweigeteilte Welt
1.3 Kästner für Männer?

2. Geschlechtsrollenkategorien in Kästners Prosawerk
2.1 Die Situation von Frauen in der Weimarer Republik
2.2 Bildung und Ausbildung als Sympathie- und Rollenfaktor
2.2.1 Frauen mit Hochschulbildung
2.2.2 Pseudo- und halbgebildete Frauen
2.2.3 Frauen ohne höhere Bildung
2.3 Familienstand als Rollendeterminante
2.3.1 Unverheiratete Frauen - „Ein Los, schlimmer als der Tod“
2.3.2 Eheleute - Ehepartner ?
2.3.3 Ehefrauen wohlsituierter Männer
2.3.4 Witwen und Strohwitwen
2.4 Sexualität und Geschlechterrolle
2.4.1 Die Dame ohne Unterleib
2.4.2 Die sexuell gefallene Frau als Sympton einer dekadenten Gesellschaft

3. Mütter als „soziale Urwesen“

4. Erich Kästner - Moralist mit doppelter Moral?

1. Erich Kästners Position in Politik und Pädagogik

Wenigen Zeitgenossen in Deutschland ist der Name Erich Kästner unbekannt. Seine Epigramme und Bonmots sind von hohem Wiedererkennungswert und zieren auch heute viele Poesiealben. Kästners humoristische Unterhaltungsromane werden noch immer „in manchen Krankenhäusern verordnet wie Zinksalbe und Kamillenumschläge“, während bei seinem Roman Fabian nach eigener Einschätzung des Autors „Bardamen, ja sogar Mediziner noch rot werden“[1]. Kästners Naturlyrik wie Die Dreizehn Monate begeistert empfindsame Seelen, seinen Kinderbüchern bringen „die Erzieher Anerkennung und die Erzogenen Begeisterung entgegen“[2], und mit seinen Kabarett- und Chansontexten konnte er vor allem in der Nachkriegszeit ein breites Publikum erreichen. Ungebrochene Popularität beweist die Anwesenheit Kästnerscher „Gebrauchslyrik“ und Prosa in allen gängigen Lesebüchern. Neuverfilmungen der Kinderbücher in den neunziger Jahren (Das doppelte Lottchen, 1993 , Emil und die Detektive, 1998 , Pünktchen und Anton, 1999 ) bescheren den schon recht betagten kleinen Helden eine zeitgemäße Verjüngungskur nebst hohen Besucherzahlen. Die hundertste Wiederkehr seines Geburtstages am 23. Februar 1999 gibt, im sogenannten „Kästnerjahr“, weit verbreitet Anlaß zu Chanson- und Lyrikabenden.

1.1. Gesellschaft und Schreibmotivation

Vor allem in seinen Gedichten stellt der „Giftpilz aus Sachsen“[3] mit bissigen Worten und treffsicherem Spott Mißstände in Politik und Gesellschaft an den Pranger. Material für seine spitze Feder findet er zuhauf in der gesellschaftlichen Entwicklung seiner Zeit. Am Beispiel seines Vaters, des Sattlermeisters Emil Kästner, wird deutlich, wie die fortschreitende Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts weite Kreise des Handwerkerstandes in die Proletarisierung und in den sozialen Abstieg als Fabrikarbeiter drängt. Sinkende Löhne zwingen viele Ehefrauen wie Ida Kästner dazu, in schlecht bezahlter Heimarbeit oder durch Untervermietung ohnehin beengter Wohnräume zum Familieneinkommen beizutragen. Nur durch Willensstärke und unermüdliche Energie von Seiten der Mutter gelingt es, dem Sohn „kleiner Leute“ den Besuch des Lehrerseminars zu ermöglichen.

Geistlose schulische Erziehung zu blindem Gehorsam, anschließender unmenschlicher Drill auf dem Kasernenhof und die Greuel des Krieges bilden die Grundlage für Erich Kästners Abneigung gegen jede Art von Unterdrückung. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges wendet er sich gegen Militarismus und Glorifizierung des Krieges (Primaner in Uniform)[4], gegen Militarismus und falsche Erziehung zum Heldentum (Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?)[5] und das geistige Erbe preußischen Obrigkeitsdenkens (Zeitgenossen, haufenweise)[6]. Während der Weimarer Republik führen rapide steigende Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende millionenfache Verarmung, Radikalisierung sowie die Demokratieunfähigkeit der politischen Parteien zur nationalsozialistischen Machtergreifung - eine Entwicklung, die Kästner zu beißenden Satiren herausfordert.

In seinem Nachwort zu Fabian (1931) bezeichnet sich Erich Kästner selbst als Moralisten. Er beobachte seine Zeitgenossen, die „einem klaffenden Abgrund entgegen“[7] liefen, und rufe ihnen Warnungen zu. „Der Autor liebt die Offenheit und verehrt die Wahrheit. Er hat mit der von ihm geliebten Offenheit einen Zustand geschildert, und er hat, angesichts der von ihm verehrten Wahrheit, eine Meinung dargestellt.“[8] Daß dies mit Hilfe eines oft schockierenden, düsteren Zerrspiegels geschieht, rechtfertigt er mit dem Zweck, „die Proportionen des Lebens zu wahren“[9], welches er darstellt.

1.2 Kästners zweigeteilte Welt

Als selbstpostulierter „Rationalist und Urenkel der Aufklärung“[10] will also Kästner den Einzelnen zur Vernunft aufrufen. Auch seine Kinderbücher sollen moralische Tugenden wie Verantwortungsbewußtsein, Fairneß, Toleranz, Ehrlichkeit und Anständigkeit in den Lesern wecken. Er ist, nach seinen eigenen Aussagen, „kein Schöngeist, sondern ein Schulmeister“.[11]

Auffällig ist jedoch die völlige Gegensätzlichkeit zwischen Kästners literarischer Welt für Erwachsene und der für Kinder. In vielen seiner Gedichte wird eine grausame, gefühlskalte Welt voller Gewalt und Elend durch schärfste verbale Angriffe bloßgestellt. Das Versagen althergebrachter Autoritäten wie Schule, Kirche und Regierung führt Kästners Gesellschaft scheinbar unaufhaltsam ins Verderben, zurückzuführen auf die Unbelehrbarkeit und die in zahlreichen Kontexten genannte „Dummheit“ seiner Mitmenschen. Geradezu erstaunlich ist im Gegensatz dazu die Art und Weise, auf welche in seinen Kinderbüchern Harmonie und Idylle wiederhergestellt werden. Während im Roman Fabian die Titelperson als pessimistischer, zum Scheitern verurteilter Antiheld konzipiert ist, verkörpern die Kinderbuchhelden Emil, Anton, und die Jungs aus dem Fliegenden Klassenzimmer Optimismus, Solidarität, und sie finden stets ein glückliches Ende. Kästner selbst erklärt dieses Phänomen in seiner Rede „Kästner über Kästner“ folgendermaßen:

„Nun denn: Als ich ihn einmal fragte, warum er neben seinen bitterbösen Satiren Bücher für kleine Jungen und Mädchen schreibe, gab er eine Antwort, die uns aus der Klemme helfen kann. Die Attacken, sagte er, die er, mit seinem als Lanze eingelegten Bleistift gegen die Trägheit der Herzen und die Unbelehrbarkeit der Köpfe ritte, strengten sein Gemüt derartig an, daß er hintendrein, wenn die Rosinante wieder im Stall stünde und ihren Hafer fräße, jedesmal von neuem das unausrottbare Bedürfnis verspüre, Kindern Geschichten zu erzählen. Das täte ihm über alle Maßen wohl. Denn Kinder, das glaube und wisse er, seien dem Guten noch nahe wie Stubennachbarn. Man müsse sie nur lehren, die Tür behutsam aufzuklinken... „[12]

Idyllische Utopie wirkt demnach für den Autor selbst als Gegenpol zur deprimierenden Realität, als Eigentherapie gegen die Hoffnungslosigkeit, der sich der „Schulmeister“ Kästner angesichts der „Unbelehrbarkeit der Köpfe“ ausgeliefert fühlt.

In seinem 1960 in der damaligen DDR erschienenen Aufsatz[13] bezieht sich der Literaturkritiker Fred Rodrian auf diese zweigeteilte Welt:

„Kästner zweiteilt die Welt in eine schlechte, hoffnungslos - reale Welt der Erwachsenen (dieser Welt gelten seine satirischen Pfeile, ihr schreibt er den ‘Fabian’) und in eine integre, einzig gute Welt der Kinder, in der das Böse nur als Demonstrationsobjekt für das Gute existiert (dieser Welt gelten seine Kinderbücher). Und diese Welt der Zweiteilung ist der große Irrtum von Erich Kästner. Anders ausgedrückt: Emil, das ist die Kindheit Fabians. Und als Fabian wird Emil vermutlich ertrinken.“[14]

„Kästner für Kinder“ und „Kästner für Erwachsene“ sind also Kehrseiten derselben Medaille und sollten in der Literaturkritik als Einheit im Werk betrachtet werden. Gesellschaftliche Gegensätze wie Reichtum und Armut, Gerechtigkeit und Unrecht, Ehrlichkeit und Kriminalität, Familiensinn (vor allem Mutterliebe) und Einsamkeit sind als durchgängige Werkelemente zu erkennen. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang der Standpunkt des passiven Beobachters, den Erich Kästners Hauptfiguren im Fabian, sowie in zahlreichen Gedichten einnehmen. Von einem erklärten Gegner preußischen Obrigkeitsdenkens, militärischen Zwanges und intoleranter Borniertheit sollte man Helden vermuten, die gegen den Strom schwimmen, statt darin unterzugehen. Wie sonst könnten sie der fatalen Entwicklung jener patriarchalisch-militaristischen Gesellschaft gegensteuern? In diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Frage, welche Möglichkeiten Kästner insbesondere seinen weiblichen Figuren zubilligt, alte männliche Autoritätsstrukturen aufzubrechen. Welche Perspektive spiegeln geschlechtsrollen-spezifische Darstellungen in Erich Kästners Werk?

1.3 Kästner für Männer?

Kästners Figureninventar zeigt eine deutlich erkennbare Selektierung bestimmter Gruppen. Sowohl im Fabian als auch in den Unterhaltungs- und Kinderromanen handelt es sich um Typen, die sich im Verlauf der Handlung weder fortentwickeln noch charakterliche Brüche aufweisen. Seine Hauptfiguren sind in der Mehrzahl männlich, weiß, intelligent, zwischen 14 und 35 Jahre alt. Die kindlichen Vorbilder Emil Tischbein, Anton Gast, und Martin Thaler und auch Kästners literarische Selbstdarstellung in Als ich ein kleiner Junge war ähneln einander wie Zwillingsbrüder.

Mädchen wie Pony Hütchen oder Pünktchen, schon in der Namengebung verniedlicht, spielen deutlich untergeordnete Rollen. Im Fliegenden Klassenzimmer kommen mit Ausnahme von Martins Mutter keinerlei weibliche Wesen vor . Das doppelte Lottchen erzählt als einziges Kinderbuch die Geschichte zweier Mädchen. Obwohl als Zwillinge äußerlich identisch, unterscheiden sie sich in ihrem Geschlechtsrollenverhalten jedoch erheblich voneinander, wobei die von der weiblichen Norm eher abweichende „Luise“, wie im folgenden aufgezeigt werden wird, eine präzise vorherbestimmte Verhaltensänderung durchmacht.

Erwachsene Hauptfiguren wie Fabian und Labude, Dr. Hagedorn, Georg aus dem Kleinen Grenzverkehr, Dr. Justus Bökh und der „Nichtraucher“ sind ebenfalls meist nach jenem klar erkennbaren Muster konzipiert.

Auffallend ist, daß die Pubertät als Zeit der geschlechtlichen Orientierung und Rollenfindung im Werk Erich Kästners ausgespart bleibt. Sogar unter den Tertianern und Primanern des Fliegenden Klassenzimmers sind keine Anzeichen von Entdeckung und erster Auseinandersetzung mit dem anderen Geschlecht erkennbar. Bleibt die Frau also für Kästners männliche Helden zeitlebens „das unbekannte Wesen“?

2. Geschlechtsrollenkategorien in Kästners Prosawerk

Gegenstand der folgenden Untersuchung ist Erich Kästners literarisches Frauenbild. Hier lassen sich vor allem im Prosawerk regelmäßig wiederkehrende Kategorien von Frauen und Mädchen nachweisen, die meist auch als Gegenpol zu ihren männlichen Pendants stehen. Sie agieren dabei oft in getrennten gesellschaftlichen Welten, welche sowohl Kästners eigene kleinbürgerliche Herkunft als auch die patriarchalischen Strukturen des ausgehenden Kaiserreiches und der Weimarer Republik widerspiegeln.

2.1 Die Situation von Frauen in der Weimarer Republik

Erich Kästners Jugend fällt in eine Zeit gesellschaftlichen Wandels, der sowohl sein eigenes Leben wie auch das seiner literarischen Figuren beeinflußt. Ein heute noch verbreitetes Bild junger Frauen während der Weimarer Republik zeigt eine Großstadtpflanze mit Bubikopf und kurzem Rock, die ihren eigenen, wenn auch knappen Lebensunterhalt selbst verdient, ihre sexuellen Partner selbst wählt und Geburtenkontrolle, wenn nötig, auch durch Abtreibung ausübt. Tatsächlich entsprechen dieser Vorstellung, nach Renny Harrigans Untersuchung des Frauenbildes der Weimarer Republik[15], zahlreiche sozialgeschichtliche Tatsachen. So war Berlin als kulturelles und politisches Zentrum Deutschlands besonders anziehend für junge, unverheiratete Frauen, die sich dort eine Karriere erhofften. „In den zwanziger Jahren verzeichnete man dort die niedrigste Geburtenrate unter allen Großstädten, um 1933 waren 35% aller Ehepaare in der Stadt kinderlos, was dem doppelten nationalen Durchschnitt entsprach. Außerdem war die Scheidungsquote in Berlin die höchste in Deutschland, und es kam dort vermutlich zu den meisten Abtreibungen, was damals illegal war.“[16]

[...]


[1] Kästner über Kästner, in: Görtz, Franz-Josef (Hg.) Erich Kästner, Werke. (6 Bände), hier Band: Wir sind so frei, Chanson, Kabarett, Kleine Prosa, München 1998, S. 325.

Alle folgenden Zitate aus dem Gesamtwerk (GW) beziehen sich auf diese Ausgabe, mit Ausnahme der Kinderbücher.

[2] a.a.O. S. 325.

[3] Améry, Jean, Bücher aus der Jugend unseres Jahrhunderts, Stuttgart 1981, S. 75

[4] in: Ein Mann gibt Auskunft, GW: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, S. 139

[5] in: Herz auf Taille, GW: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, S. 26

[6] in: Lärm im Spiegel, GW: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, S. 71

[7] Fabian und die Sittenrichter, in: Fabian, Die Geschichte eines Moralisten, GW: Romane I, Möblierte Herren, S. 201.

[8] a.a.O. S. 201.

[9] a.a.O. S. 200.

[10] Kästner über Kästner, a.a.O. S. 326

[11] a.a.O. S. 326.

[12] ebd.

[13] Rodrian, Fred, Notizen zu Erich Kästners Kinderbüchern, in: Neue deutsche Literatur, Heft 9, 1960, zitiert in: Drouve, Andreas, Erich Kästner - Moralist mit doppeltem Boden, Marburg 1993, S. 52

[14] Rodrian, Fred, a.a.O. S. 120,

[15] Harrigan, Renny, Die emanzipierte Frau im deutschen Roman der Weimarer Republik, in: Elliott, James u.a. (Hg.), Stereotyp und Vorurteil in der Literatur, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Bd. 9, Göttingen, 1978

[16] nach: Mason, Tim: Women in Nazi Germany 1925 - 1940: Family, Welfare and Work, in: History Workshop I and II, Frankfurt, 1976, zitiert in: Harrigan, Renny, Die emanzipierte Frau im deutschen Roman der Weimarer Republik, S. 65

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Details

Title
Frauendarstellungen im Prosawerk Erich Kästners
College
University of Koblenz-Landau  (Germanistik)
Course
Hauptseminar Erich Kästner
Grade
1,0
Author
Year
1999
Pages
31
Catalog Number
V28706
ISBN (eBook)
9783638304108
ISBN (Book)
9783638649902
File size
547 KB
Language
German
Keywords
Frauendarstellungen, Prosawerk, Erich, Kästners, Hauptseminar, Erich, Kästner
Quote paper
Cornelia Peters (Author), 1999, Frauendarstellungen im Prosawerk Erich Kästners, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28706

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